Arbeitshygiene (1985)
Siehe auch die Jahre 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979
1. Prinzipien. Mit A. wird (in der DDR) die gesamte wissenschaftliche und angewandte Arbeitsmedizin bezeichnet, insbesondere der auf Vorbeugung („Prophylaxe“) ausgerichtete Schutz der Erwerbstätigen in der Industrie, zunehmend aber auch in der industrialisierten Landwirtschaft und in allen anderen Wirtschaftsbereichen, gegen die spezifischen Gesundheitsgefahren der Betriebe, ihrer Arbeitsplätze und Arbeitsmittel mit dem Ziel der Ausschaltung derartiger Risiken, mindestens aber der Früherkennung von Gesundheitsschäden. Die Aktivitäten zum Ausbau der A. haben schon 1946 eingesetzt. Das hat — wie in der UdSSR — z.T. historisch-ideologische, überwiegend aber rationale Gründe: Die verfügbaren Arbeitskräfte sollen auch unter ungünstigen Bedingungen so effektiv wie möglich eingesetzt und aus diesem Grund „pfleglich“ behandelt werden. Die nachdrückliche Entwicklung des Betriebsgesundheitswesens nach 1945 hat hier ihre stärksten Wurzeln. Eine seiner beiden Hauptaufgaben war stets der Gesundheitsschutz in den Betrieben, also die vorbeugende Arbeit. Sie ist in den Perspektivplänen für die Entwicklung des Gesundheitswesens und in den Volkswirtschaftsplänen (Planung) immer wieder stark betont worden.
Dem gesetzten Ziel dienen arbeitsmedizinische Tauglichkeits- und Überwachungsuntersuchungen (ATÜ), die als Einstellungs- und Wiederholungsuntersuchungen vorgeschrieben sind für Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres und Werktätige, die schwere körperliche Arbeit leisten bzw. bestimmten „physikalischen oder chemischen Schadfaktoren“ oder aber Infektionsgefahren ausgesetzt sind. Weiter sind im Katalog auch Arbeitnehmer mit Mehrfachbelastungen, Frauen mit 3 oder mehr Kindern unter 16 Jahren und Arbeitnehmer [S. 59]in den letzten 5 Jahren vor Erreichen der Altersgrenze genannt.
1982 wurden von den betriebsmedizinischen Diensten 871.475 Überwachungsuntersuchungen ausgeführt, das waren 85,7 v.H. der vorgesehenen 101.6.362, außerdem 293.615 Tauglichkeitsuntersuchungen und 506.047 sonstige Vorsorgeuntersuchungen. Andere ambulante Einrichtungen führten weitere 284.956 Überwachungs- (= 93,3 v.H. des Solls) und 139.5.080 sonstige Vorsorgeuntersuchungen durch.
2. Organisation. Die jetzige Organisation der A. ist 1978 und 1980 gesetzlich fixiert worden (VO über das Betriebsgesundheitswesen und die A.-Inspektion v. 11. 1. 1978 [GBl. I, S. 61]; 3. DB dazu — Arbeitshygienische Zentren und Arbeitshygienische Beratungsstellen — v. 7. 1. 1980 (GBl. I, S. 41]); die Neuregelung der Tauglichkeits- und Überwachungsuntersuchungen folgte erst 1981 (Berufskrankheiten). Vorhergegangen waren langjährige Bemühungen um eine geeignete Organisationsform, in der die generell „territoriale“, d.h. regionale Gliederung der medizinischen Versorgung in Einklang gebracht werden sollte mit den in den Wirtschaftsbereichen und -zweigen unterschiedlichen Erfordernissen der angewandten Arbeitsmedizin, auf deren zentrale „Anleitung“ das Ministerium für Gesundheitswesen nicht verzichten wollte. Es konnte sich mit dieser Forderung gegenüber Verkehrsministerium, Volkspolizei, Nationaler Volksarmee, dem Staatssicherheitsdienst und der Wismut-AG (Uranbergbau) nicht durchsetzen.
Nach der Neuregelung bestehen 15 A.-Inspektionen bei den Räten der Bezirke und 250 ärztlich geleitete A.-Inspektionen bei den Räten der Kreise, fachlich angeleitet von einer entsprechenden Hauptabteilung des Ministeriums für Gesundheitswesen.
Aufgabe der A.-Inspektion ist die Beratung der Betriebe bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen mit dem Ziel der Umsetzung arbeitsmedizinischer und arbeitshygienischer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis des Arbeitslebens, sowie die Anleitung und Kontrolle der Betriebe und der Einrichtungen des Betriebsgesundheitswesens bei der Verwirklichung der einschlägigen Rechtsvorschriften. Dementsprechend haben sie beträchtliche Eingriffsbefugnisse und auch Strafvollmacht auf der Grundlage des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten. Außerdem obliegt den A.-Inspektionen die Sammlung aller Meldungen von Berufskrankheiten, deren Begutachtung und die fachliche Mitwirkung bei der Entschädigung von Betroffenen.
In loser Kooperation mit den A.-Inspektionen sind „zweigspezifisch profilierte“ A.-zentren (AHZ) eingerichtet worden (für Bauwesen, Bergbau, Chem. Industrie, Geologie, Gesundheit und Sozialwesen, Konsumgüter-Binnenhandel, Landwirtschaft, Polygrafie und Verlagswesen, Theater und Orchester — zumeist bei besonders großen Betrieben des jeweiligen Wirtschaftsbereiches); ihnen nachgeordnet sind eine große Zahl von Arbeitshygienischen Beratungsstellen (AHB) in Industriebetrieben, neuerdings auch in Großbetrieben der Landwirtschaft (Landwirtschaftliche Betriebsformen). Organisatorisch sind AHZ wie AHB jeweils Teil einer Betriebspoliklinik bzw. eines Betriebsambulatoriums. Diese führen gegebenenfalls eine entsprechende Zusatzbezeichnung. Grundlage der fachlichen Arbeit der AHZ und AHB ist eine Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Gesundheitswesen und dem für den betreffenden Wirtschaftszweig zuständigen Ministerium, und sie werden durch beide Ministerien „fachlich-inhaltlich“ angeleitet. Aufgetragen sind ihnen die Erfassung. Analyse und Bewertung der arbeitshygienischen Situation und des Gesundheitszustandes der Beschäftigten, die Erforschung der bereichsspezifischen Einflüsse auf den Gesundheitszustand und die Beratung aller Beteiligten wie auch der A.-Inspektionen.
3. Zentrale Steuerung. „Leiteinrichtung“ des Ministeriums für Gesundheitswesen für die A. und die „arbeitsmedizinische Betreuung der Werktätigen“ ist das Zentralinstitut für Arbeitsmedizin (ZAM) der DDR in Berlin-Lichtenberg. Seine Errichtung geht auf das Jahr 1948 zurück. Es ist zentrales Forschungsinstitut für A. und die Aufklärung der Zusammenhänge zwischen physikalischen, chemischen und biologischen Schadensfaktoren einerseits und arbeitsbedingten Gesundheitsschäden andererseits. Zu seinen Aufgaben gehören die Ausarbeitung von arbeitshygienischen Grenzwerten und Normen mit den der dazugehörigen Meß- und Bewertungsverfahren, ferner die Begutachtung schwieriger Einzelfälle sowie die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften der A. (letzteres „im Auftrag“ der Akademie für Ärztliche Fortbildung). Auch vertritt es die DDR in den fachlich einschlägigen, internationalen wissenschaftlichen oder fachpolitischen Institutionen und Gremien. Es ist dem Ministerium für Gesundheitswesen direkt unterstellt; Leiter: Prof. Dr. sc. med. Hans Günther Häublein.
4. Ausbildung der Fachkräfte. Die Ausbildung von Arbeitsmedizinern ist durch die Errichtung von entsprechenden Lehrstühlen bei allen Universitäten (Universitäten und Hochschulen) und Medizinischen Akademien und durch die Einrichtung von Lehrgängen bei der Akademie für Ärztliche Fortbildung unter Mitwirkung des Zentralinstituts schon frühzeitig in Angriff genommen worden. 1980 gab es mehr als 800 Fachärzte für A. Die A.-Ingenieure und A.-Inspektoren, denen die Überwachung der Betriebe und Arbeitsplätze obliegt, werden auf einer Fachschule in Berlin (Ost) in einem 3jährigen Studium ausgebildet. Sie gehören zu den Mittleren medizinischen Berufen. Die Zahlen der berufstätigen A.-Ingenieure und -Inspektoren werden nicht mehr veröffentlicht. Gesundheitswesen.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 58–59
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