XVIII. Sozialökonomische Grunddaten
Berlin (1985)
I. Vereinbarungen der Siegermächte
Bestimmend für die Nachkriegsentwicklung B. waren die im Londoner Protokoll vom 12. 9. 1944 und im Londoner Abkommen über die Kontrolleinrichtungen in Deutschland vom 14. 11. 1944 getroffenen Festlegungen. Danach sollte das besiegte Deutschland „zum Zwecke der Besetzung“ in Zonen und ein „besonderes Berliner Gebiet“ gegliedert werden. „Groß-Berlin“ in den durch das Gesetz vom 27. 4. 1920 festgelegten Grenzen sollte in Sektoren aufgeteilt und einem „besonderen Besatzungssystem“ unterstellt werden. Die Verwaltung B. sollte einer Interalliierten Behörde („Komendatura“) übertragen werden, die unter Leitung des Kontrollrates arbeitete und aus je einem Vertreter der vier Siegermächte als Kommandanten bestand, von denen jeder abwechselnd als Hauptkommandant fungierte. Wie im ebenfalls in B. ansässigen Kontrollrat, konnten auch in der Kommandantur Beschlüsse nur einstimmig gefaßt werden.
II. Bildung von Sektoren
Nach der endgültigen Kapitulation der deutschen Truppen in B. gegenüber der Sowjetarmee gingen die sowjetischen Militärbehörden mit Unterstützung der aus Moskau heimgekehrten Gruppe Ulbricht unverzüglich daran, Bezirksverwaltungen und einen Magistrat von Groß-B. einzusetzen, um noch vor dem Einzug der westalliierten Garnisonen die neue Verwaltungsstruktur — vor allem in personeller Hinsicht — unter ihre Kontrolle zu bringen. Amerikaner, Briten und Franzosen besetzten erst Anfang Juli ihre Sektoren in B., während die Sowjetarmee in Thüringen, Sachsen und Mecklenburg bis zu der im Londoner Protokoll vereinbarten Zonengrenze vorrückte. Zum amerikanischen Sektor von B. gehörten 6 Bezirke (Neukölln, Kreuzberg, Tempelhof, Schöneberg, Steglitz und Zehlendorf), zum britischen 4 (Tiergarten, Charlottenburg, Wilmersdorf und Spandau), zum französischen Sektor 2 Bezirke (Wedding und Reinickendorf). Die 3 Westsektoren umfaßten 54,4 v.H. der Fläche und 63,2 v.H. der Bevölkerung von Groß-B., das im August 1945 2,8 Mill. Einwohner zählte. Der sowjetische Sektor — 45,6 v.H. der Fläche und 36,8 v.H. der Bevölkerung — bestand aus 8 Bezirken (Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Treptow, Köpenick, Lichtenberg, Weißensee und Pankow).
Ende November 1945 kamen die Vertreter der Vier Mächte überein, drei jeweils 32 km breite Luftkorridore von B. nach Hamburg, Bückeburg (Hannover) und Frankfurt a. M. sowie eine besondere Kontrollzone mit einem vom Gebäude des Alliierten Kontrollrats ausgehenden Radius von 32 km festzulegen. Die Lufthoheit innerhalb dieser Zone wurde in einer Vereinbarung vom 22. 10. 1946 einer Alliierten Luftsicherheitszentrale (Berlin Air Safety Center) B. übertragen. Diese Regelungen gelten auch heute noch für den Luftverkehr von und nach Berlin (West); sie haben sich trotz einiger Zwischenfälle in den Luftkorridoren bewährt und sind von den Botschaftern der Vier Mächte 1970/71 bei ihren Verhandlungen über das Berlin-Abkommen nicht in Frage gestellt und auch nicht durch neue Absprachen ersetzt oder ergänzt worden (s. Schaubild).
Hingegen sind besondere Regelungen für den Zugang der westalliierten Garnisonen und der deutschen Zivilbevölkerung auf den Landwegen zwischen den westdeutschen Besatzungsgebieten und den Westsektoren von B. im Rahmen der alliierten Abkommen 1944/46 nicht getroffen worden. Auf amerikanischer Seite vertrat man die Auffassung, das Recht auf Anwesenheit in B. schließe das Recht des ungehinderten Zugangs ein.
III. Bildung von Parteien und Gewerkschaften
Die chaotischen Verhältnisse in der zerstörten Stadt verlangten eine Zusammenarbeit aller sich mit Zustimmung der Besatzungsbehörden formierenden politischen Kräfte. Nachdem die sowjetische Militäradministration (SMAD) am 10. 6. 1945 in ihrem Befehl Nr. 2 die Bildung von politischen Parteien und Gewerkschaften zugelassen hatte, entstanden in B. in rascher Folge vier Parteien : Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU) und Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD). Ihre Berliner Gründer versuchten Verbindung zu Gleichgesinnten in den fünf Ländern der [S. 165]sowjetischen Besatzungszone und — soweit das überhaupt möglich war — auch in das westliche Deutschland zu knüpfen.
Die seit Juli 1945 in B. amtierenden westlichen Stadtkommandanten übernahmen zunächst im wesentlichen die von den Sowjets erlassenen Verfügungen. Ein erster ernster Konflikt bei der gemeinsamen Verwaltung Groß-B. entwickelte sich jedoch bereits im Frühjahr 1946, als die KPD, unterstützt von der SMAD, die Verschmelzung ihrer Partei mit [S. 166]der SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) durchsetzte. Eine Urabstimmung unter den sozialdemokratischen Parteimitgliedern über den Zusammenschluß wurde von der östlichen Besatzungsmacht unterbunden, so daß sie nur in den Westsektoren B. stattfand. Hierbei sprachen sich mehr als vier Fünftel der an der Abstimmung teilnehmenden Sozialdemokraten gegen die Verschmelzung mit der KPD aus, während allerdings eine deutliche Mehrheit (62,1 v.H.) für eine Zusammenarbeit beider Parteien votierte. Auf Beschluß der Vier Mächte wurde neben der SPD auch die SED in allen 4 Sektoren zugelassen. (Die Ost-Berliner Gliederungen der SPD wurden formell erst nach dem Bau der Mauer 1961 aufgelöst, nachdem sie während der vorangegangenen 13 Jahre in ihrer Arbeit weitgehend beschränkt gewesen waren und sich seit 1949 nicht mehr an Wahlen beteiligen konnten.)
Bei den Wahlen der Stadt- und Bezirksverordneten in B. am 20. 10. 1946 entschieden sich 48,7 v.H. der Wähler für die SPD. die in allen 4 Sektoren den größten Stimmenanteil gewinnen konnte. Zweitstärkste Partei wurde die CDU mit 22,2 v.H. Die SED erhielt 19,8 v.H., die LDPD 9,3 v.H. der abgegebenen gültigen Stimmen.
Die von der Stadtverordnetenversammlung beschlossenen Gesetze bedurften ebenso wie die Verordnungen und Anweisungen des von ihr gewählten Magistrats der — einmütigen — Zustimmung der Vier-Mächte-Kommandantur.
IV. Konflikte zwischen der UdSSR und den Westmächten
Die sich im Laufe des Jahres 1947 — auch aufgrund weltpolitischer Ereignisse — verschärfenden Konflikte zwischen der Sowjetunion und den Westmächten erschwerten die Zusammenarbeit im Kontrollrat und in der Kommandantur. Die Sowjets blockierten durch ihren Einspruch die Wahl Ernst Reuters (SPD) zum Oberbürgermeister von B. Zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten entbrannte ein heftiger Streit innerhalb des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB). Sozialdemokratische und christliche Gewerkschaftler zogen sich aus dem FDGB zurück, dessen Vorstand nach ihrer Überzeugung demokratische Grundregeln verletzte. Sie bildeten schließlich eine unabhängige Gewerkschaftsorganisation (UGO), aus der später der Landesverband B. des DGB hervorging.
Der von den Sowjets 1945 eingesetzte Polizeipräsident Paul Markgraf (SED), dem die Stadtverordnetenversammlung im November 1947 mehrheitlich das Mißtrauen aussprach, weigerte sich, Weisungen des Magistrats auszuführen und bevorzugte in seiner Personalpolitik Mitglieder der SED.
Nachdem am 18./19. 3. 1948 der „2. Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden“ in Ost-B. einen „Deutschen Volksrat“ berufen hatte, der u.a. eine Verfassung entwerfen sollte, brach am 20. 3. der Kontrollrat auseinander, der sowjetische Vertreter verließ die Sitzung, nachdem ihm von seinen Kollegen Aufschluß über die von den Westmächten und den drei Benelux-Staaten auf der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz erwogenen Pläne für die Bildung eines westdeutschen Staates verweigert worden war. Diese Pläne verstießen nach Ansicht der UdSSR gegen das Potsdamer Abkommen, das in allen Fragen, die „Deutschland als Ganzes“ betrafen, eine gemeinsame Zuständigkeit der Vier Alliierten vorsah. (Der Vorwurf des Vertragsbruches durch Vorbereitung und spätere Durchführung der Gründung der Bundesrepublik Deutschland, mit dem die Geschäftsgrundlage der gemeinsamen alliierten Oberhoheit über Deutschland durch die Westmächte zerstört worden sei, diente und dient der Sowjetunion als Rechtfertigung für die schrittweise durchgeführte einseitige Aufhebung des alliierten Sonderstatus für Berlin [Ost]. Z.B.: Hauptstadt der Republik [1949], Verteidigungsgesetz [1961], direkte Wahl der Volkskammerabgeordneten [1979].)
Im Juni 1948 zog sich die Sowjetunion auch aus der Kommandantur zurück.
V. Blockade Berlins
Nachdem am 18. 6. 1948 — wegen des Fehlens eines sowjetischen Vertreters im Kontrollrat — einseitig eine Währungsreform für die Westzonen verkündet worden war, führten auch die Sowjets — mit Wirkung vom 24. Juni — in ihrer Zone eine solche Reform durch (Währung/Währungspolitik). Sie verlangten, daß die DM-Ost als einziges gesetzliches Zahlungsmittel auch in allen 4 Sektoren von B. eingeführt werden sollte. Nachdem bereits seit der Jahreswende 1947/48 die Behinderungen des zivilen Personen- und Güterverkehrs zwischen B. (West) und dem westlichen Besatzungsgebiet zugenommen hatten, nahm die UdSSR die Ablehnung dieses Vorstoßes durch die Westmächte zum Anlaß, sämtliche Land- (am 19. 6.) und Wasserwege (am 8. 7.) von und nach B. (West) zu blockieren.
Die weiterreichenden politischen Ziele dieser Maßnahme verdeutlicht ein Hinweis des damaligen Oberbefehlshabers der sowjetischen Truppen in Deutschland. Marschall Sokolowski, den er am 3. 7. 1948 bei einem Treffen mit den westlichen Militärgouverneuren äußerte: die „technischen Schwierigkeiten“ auf den Zugangswegen würden solange anhalten, bis der Westen seine Vorbereitungen für die Gründung eines westdeutschen Staates eingestellt habe.
Um eine militärische Auseinandersetzung zu vermeiden, entschlossen sich die Westmächte, B. (West) auf dem Luftwege zu versorgen. Während der folgenden elfmonatigen Blockade B. (West) wurden im Rahmen dieser Luftbrücke in annähernd [S. 167]200.000 Flügen rd. 1,44 Mill. t Güter — vor allem Kohle und Lebensmittel — nach B. transportiert.
Ab 24. 6. 1948 galten in den Westsektoren zunächst beide Währungen als gültiges Zahlungsmittel, während im Ostsektor Besitz und Verwendung der DM-West bestraft wurden. Expertengespräche — auf der Ebene der Vier Mächte und schließlich auch im Rahmen der Vereinten Nationen — führten zu keiner Einigung in der Währungsfrage.
Die erfolgreiche Abwehr der Blockade ist auch auf psychologische Ursachen zurückzuführen: es gelang den führenden Repräsentanten der nichtkommunistischen Parteien — vor allem Ernst Reuter —, die Bevölkerung in der blockierten Stadt zu einer mutigen und entschlossenen Haltung gegenüber den östlichen Pressionen zu ermuntern. Diese Haltung fand weltweite Beachtung und Anerkennung, so daß auch — im Gegensatz zu den eigentlichen Interessen der Sowjetunion — das Verhältnis zwischen der Bevölkerung in B. (West) und den westlichen Besatzungsmächten immer enger und freundschaftlicher wurde. Auf der anderen Seite machten trotz spürbarer Versorgungsmängel nicht mehr als 5 v.H. der West-Berliner von der durch die UdSSR eröffneten Möglichkeit Gebrauch, sich im Ostsektor als Käufer von Lebensmitteln registrieren zu lassen.
Während der Blockadezeit, am 6. 9. 1948, zerbrach schließlich auch die gemeinsame Verwaltung B.: die in dem im sowjetischen Sektor gelegenen Stadthaus tagende, ordnungsgemäße Stadtverordnetenversammlung mußte an diesem Tag wegen des gewaltsamen Eindringens kommunistischer Demonstranten abgebrochen werden. Die Mehrheit der Versammlung — mit Ausnahme der SED-Fraktion — beschloß, weitere Sitzungen in B. (West) abzuhalten. In den acht Bezirksverwaltungen von B. (Ost) setzte daraufhin eine rigorose personelle „Säuberung“ ein.
Am 30. 11. 1948 trat unter dem Vorsitz des stellvertretenden Stadtverordnetenvorstehers Ottmar Geschke (SED) in B. (Ost) eine mehr als 1600 Teilnehmer zählende Versammlung zusammen, der neben den 23 gewählten SED-Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung Delegierte des Demokratischen Blocks (Nationale Front der DDR) von B. (Ost), der Betriebe und verschiedener, mit der SED verbündeter Massenorganisationen angehörten. Diese Versammlung erklärte den Magistrat von Groß-B. für abgesetzt und wählte einen neuen „provisorischen demokratischen Magistrat“ mit Friedrich Eben (SED) als Oberbürgermeister an der Spitze. Diese auf B. (Ost) beschränkte Stadtverwaltung wurde von den Sowjets anerkannt. Die nach der vorläufigen Verfassung für ganz B. vorgeschriebenen Wahlen konnten am 5. 12. 1948 nur in den Westsektoren abgehalten werden. Die auch in den Westsektoren weiterexistierende SED rief zum Wahlboykott auf — dennoch beteiligten sich 86,3 v.H. der Wahlberechtigten an der Abstimmung, bei der 64,5 v.H. sich für die SPD, 19,4 v.H. für die CDU und 16,1 v.H. für die LDPD entschieden. Nach dieser Wahl übernahm Ernst Reuter (SPD) das Amt des Oberbürgermeisters von B., ohne seine verfassungsmäßigen Funktionen im Ostsektor noch wahrnehmen zu können. Die drei Westmächte setzten — ohne sowjetische Beteiligung — ihre Zusammenarbeit in der alliierten Kommandantur fort.
VI. Beendigung der Blockade
Nach erfolglosen Vier-Mächte-Verhandlungen in B., Moskau und vor den Vereinten Nationen kam es im Frühjahr 1949 zu sowjetisch-amerikanischen Gesprächen, die schließlich zum sog. Jessup-Malik-Abkommen führten, das am 4. 5. 1949 veröffentlicht wurde: Blockade und Gegenblockade (insbesondere Beschränkungen im Personen- und Güterverkehr zwischen der SBZ und den Westzonen) der Westmächte wurden am 12. 5. 1949 aufgehoben und eine erneute Außenministerkonferenz zum 23. 5. 1949 nach Paris einberufen. Diese Konferenz bestätigte das Jessup-Malik-Abkommen. Ergänzend dazu wurde im Kommuniqué festgestellt, daß die Besatzungsmächte für ihre Zonen die Verpflichtung („obligation“) übernehmen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um „das normale Funktionieren und einen normalen Gebrauch der Schienen-, Wasser- und Straßenverbindungen für den Personen- und Güterverkehr sowie der Post-, Telefon- und Telegraphenverbindungen“ sicherzustellen. Die Besatzungsbehörden vereinbarten, „deutsche Sachverständige und geeignete deutsche Organisationen“ heranzuziehen.
Die im November 1948 vollzogene Spaltung der Stadtverwaltung konnte jedoch auch nach der Beendigung der Blockade nicht mehr rückgängig gemacht werden.
VII. Stellung Berlins zur Bundesrepublik Deutschland und zur DDR
Der Parlamentarische Rat in Bonn hatte in seiner konstituierenden Sitzung am 1. 9. 1948 beschlossen, 5 Abgesandte aus B. mit beratender Stimme an seinen Arbeiten teilnehmen zu lassen. Das von diesem Rat erarbeitete Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bezeichnete in seinem Artikel 23 Groß-B. als eines der 12 zu dessen Geltungsbereich gehörenden Länder. Dieser Bestimmung widersprachen am 22. 4. 1949 die 3 westlichen Militärgouverneure. In ihrem formellen Genehmigungsschreiben zum Grundgesetz präzisierten sie am 12. 5. 1949 diesen Vorbehalt, in dem sie erklärten, B. könne „keine abstimmungsberechtigte Mitgliedschaft im Bundestag oder Bundesrat erhalten und auch nicht durch den Bund regiert werden“, es dürfe „jedoch eine beschränkte Anzahl Vertreter zur Teilnahme an den Sitzungen dieser gesetzgebenden Körperschaft benennen“.
[S. 168]Die am 1. 9. 1950 verkündete Verfassung von B. formuliert in Artikel 1: „1. Berlin ist ein deutsches Land und zugleich eine Stadt. 2. Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland. 3. Grundgesetz und Gesetze der Bundesrepublik sind für Berlin bindend.“ In ihrem Genehmigungsschreiben zur Verfassung von B. vom 29. 8. 1950 erklärten die westlichen Alliierten den 2. und 3. Absatz dieses Artikels 1 für „zurückgestellt“. B. werde „während der Übergangsperioden keine der Eigenschaften eines zwölften Landes“ der Bundesrepublik Deutschland haben; Bestimmungen eines Bundesgesetzes können in B. erst Anwendung finden, „nachdem seitens des Abgeordnetenhauses darüber abgestimmt wurde und dieselben als Berliner Gesetze verabschiedet worden sind“. Die am 7. 10. 1949 in Kraft gesetzte Verfassung der DDR bezeichnet hingegen in ihrem Artikel 2 B. als „Hauptstadt der Republik“. Die Bevölkerung des Ostsektors war aufgefordert worden, sich am 15. 5. 1949 an der Wahl zum Dritten Deutschen Volkskongreß zu beteiligen.
Nachdem die im Juli 1945 auf Weisung der SMAD gebildeten Zentralverwaltungen für die Länder der SBZ ihren Sitz in B. (Ost) genommen hatten, und nachdem dort im Juni 1947 die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) entstanden war, die den Kern des späteren Regierungsapparates der DDR darstellte, war B. (Ost) seit dem 7. 10. 1949 der Sitz aller wichtigen Ministerien, Behörden und Ämter der DDR. Dennoch nahm auch die östliche Seite zunächst Rücksicht auf den Vier-Mächte-Status der Stadt: die Vertreter des Ostteils der Stadt in der provisorischen Volkskammer und in der provisorischen Länderkammer der DDR hatten kein volles Stimmrecht. DDR-Gesetze galten in B. (Ost) nicht automatisch, sondern erst nach Zustimmung des Magistrats. Die ersten Volkskammer-Wahlen am 15. 10. 1950 blieben — wie die späteren Wahlen zur obersten Volksvertretung der DDR bis 1979 — auf die Länder (ab 1952 Bezirke der DDR) beschränkt.
In den 50er Jahren bestanden noch vielfältige Verbindungen zwischen den beiden Teilen der gespaltenen Stadt. Die Grenzen — einschl. der Grenze zwischen B. (West) und der DDR — waren offen. Offizielle Kontakte zu dem nach westlicher Überzeugung nicht durch ein demokratisches Votum der Bevölkerung legitimierten Magistrat in B. (Ost) lehnten der Senat von B. (West) und die im Westteil vertretenen nichtkommunistischen Parteien jedoch ab.
Schon damals kam es wiederholt zu Zwischenfällen und angespannten Situationen — so während des Pfingsttreffens der Freien Deutschen Jugend (FDJ) 1950, während der in B. (Ost) stattfindenden Weltjugendfestspiele 1951 (Festival), bei der Besetzung des Westteils von Staaken im Februar 1951 und bei der nach 5 Tagen wieder rückgängig gemachten Besetzung der Exklave Steinstücken durch Volkspolizei im Oktober 1951.
Seit dem 1. 9. 1951 erhoben die Behörden der DDR Straßenbenutzungsgebühren für alle Fahrten von zivilen Fahrzeugen auf den Zugangswegen von und nach B. (West). Am Tage der Unterzeichnung des Deutschlandvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Westmächten, dem 26. 5. 1952 (Beendigung des Besatzungsregimes, Gewährung voller staatlicher Souveränität für die Bundesrepublik Deutschland — in Kraft getreten 1955), ordnete der Ministerrat der DDR die Errichtung eines Kontroll- und Sperrgürtels zwischen B. (West) und der DDR, die Schließung der aus den Westsektoren in die DDR-Bezirke führenden Straßenübergänge, soweit sie nicht dem Interzonenverkehr dienten, und die Unterbrechung der Telefonverbindungen innerhalb der gespaltenen Stadt an. (Über gleichzeitige Sperrmaßnahmen an der innerdeutschen ➝Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik Deutschland: Deutschlandpolitik der SED.) West-Berlinern wurden Reisen in das Gebiet der DDR — außerhalb B. (Ost) — nur noch in Ausnahmefällen aufgrund von Sondergenehmigungen gestattet. Im Januar 1953 wurde der über die Sektorengrenzen führende Straßenbahn- und Autobus-Durchgangsverkehr auf Weisung der Behörden von B. (Ost) unterbrochen. Lediglich S- und U-Bahnlinien verbanden weiterhin beide Teile der Stadt. Während des Juni-Aufstandes 1953 wurde die Sektorengrenze von sowjetischen Soldaten und Volkspolizisten zeitweilig hermetisch abgeriegelt.
Auf der anderen Seite führte die im Frühjahr 1949 von den Westalliierten getroffene Entscheidung, die DM-West als einziges gesetzliches Zahlungsmittel in B. (West) zuzulassen, zu engen sozialen und wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Bundesgebiet. Das 3. Überleitungsgesetz vom 4. 1. 1952 regelte die Stellung B. im Finanzsystem des Bundes. Der Bund gewährte B. eine Bundeshilfe in Gestalt von Zuschuß und Darlehen „zur Deckung eines auf andere Weise nicht auszugleichenden Haushaltsfehlbedarfs“. Um die vorgesehene künftige Hauptstadtfunktion B. zu unterstreichen und zugleich angesichts der Anfang der 50er Jahre noch relativ hohen Arbeitslosenzahl weitere Arbeitsplätze zu schaffen, nahmen zahlreiche Bundesbehörden ihren Sitz in B. 1952 erließen die westlichen Alliierten Verfügungen, unter welchen Voraussetzungen B. in internationale Verträge der Bundesrepublik einbezogen werden sollte. Der im Mai 1955 in Kraft getretene Deutschlandvertrag bestätigte im Artikel 2, daß die Westmächte die „bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes“ aufrechterhielten. Auch die Sowjetunion unterstrich in ihrem am 20. 9. 1955 mit der DDR abgeschlosse[S. 169]nen Vertrag die weitere Geltung ihrer Verpflichtungen „gemäß den bestehenden internationalen Abkommen, die Deutschland als Ganzes betreffen“. In einem den Vertrag ergänzenden Briefwechsel stellten beide Seiten fest, daß die DDR zwar die Bewachung und Kontrolle „am Außenring von Groß-Berlin, in Berlin sowie auf den in der DDR liegenden Verbindungswegen zwischen der Deutschen Bundesrepublik und West-Berlin“ ausüben, daß aber die Kontrolle des Verkehrs der westlichen Garnisonen auf den Zugangswegen weiterhin der UdSSR obliegen sollte. Bis in die zweite Hälfte der 50er Jahre nahmen die UdSSR und die DDR die Bemühungen, B. (West) enger mit der Bundesrepublik zu verbinden, relativ gelassen hin. (Gegen die Abhaltung der Bundesversammlung 1954 in B. [West] erhob die östliche Seite keinen Einspruch. Die Presse der SED nahm die Wahl des Bundespräsidenten sogar zum Anlaß, den Wahlmännern einen Besuch im Ostsektor anzuraten.)
UdSSR und DDR ergriffen eine Reihe von Maßnahmen, durch die der Status von B. (Ost) faktisch weitgehend dem der 14 DDR-Bezirke gleichgestellt wurde; dennoch blieben wichtige Elemente des Viermächte-Status der Stadt auch in ihrem Ostteil wirksam.
VIII. Berlin-Ultimatum der UdSSR
Eine neue B.-Krise kündigte sich 1958 an: nachdem der sowjetische Parteisekretär N. Chruschtschow in einer Rede am 10. 11. 1958 eine Beendigung des „Besatzungsregimes in Berlin“ verlangt und die Übertragung der von den Sowjets wahrgenommenen Funktionen auf die Organe der DDR angekündigt hatte, bezeichnete die UdSSR gegenüber den Westmächten die Londoner Vereinbarungen über die Besetzung und Kontrolle Deutschlands als nicht mehr in Kraft befindlich und forderte eine grundlegende Veränderung der B.-Situation. Der Westteil der Stadt müsse in eine „selbständige politische Einheit — in eine Freie Stadt“ umgewandelt werden, „in deren Leben sich kein Staat, auch keiner der beiden bestehenden deutschen Staaten, einmischen dürfe“. Die Sowjetunion setzte den Westmächten eine Frist von 6 Monaten, innerhalb der die von ihr verlangte Regelung vereinbart werden sollte. Andernfalls drohte sie eine entsprechende Separatvereinbarung mit der DDR an. Dieser sowjetische Vorstoß stand in engem Zusammenhang mit der am 10. 1. 1959 erhobenen Forderung an die Westmächte, mit beiden deutschen Staaten getrennte Friedensverträge abzuschließen. So war das Berlin-Ultimatum in erster Linie darauf gerichtet, eine Anerkennung der DDR durch die westliche Staatengemeinschaft zu erzwingen und zugleich Rüstungsbeschränkungen für die Bundesrepublik Deutschland — insbesondere ihren Verzicht auf Verfügungsmacht über Atomwaffen — vertraglich zu verankern. Die Westmächte lehnten jedoch die sowjetischen Forderungen ab und bekräftigten ihre Garantien für den Westteil der Stadt (Anwesenheit der westalliierten Garnisonen, Sicherung der Zugangswege und der Lebensfähigkeit von B. [West]). Zur Beilegung dieses Konflikts verhandelten die Vier Mächte im Sommer 1959 — erstmals unter Beteiligung zweier Beraterdelegationen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR — in Genf über das B.- und Deutschlandproblem, ohne jedoch einen Kompromiß zu erzielen.
In der Folgezeit erneuerte die Sowjetunion mehrfach ihre Forderung nach Umwandlung von B. (West) in eine „entmilitarisierte Freie Stadt“, wobei sie den Abschluß eines separaten Friedensvertrages für den Fall androhte, daß die Westmächte sich nicht zu einer einvernehmlichen friedensvertraglichen Regelung mit zwei deutschen Staaten bereit fänden. Nach dem Scheitern der Pariser Gipfelkonferenz im Mai 1960 verschärfte sich die Situation erneut. Am 8. September führten die DDR-Behörden einen Passierscheinzwang für westdeutsche Besucher in B. (Ost) ein.
IX. Bau der Mauer
Aufgrund des ständig anwachsenden Stroms von Flüchtlingen aus der DDR über die noch offene Grenze in B. wurden in der Nacht vom 12. zum 13. 8. 1961 die Grenzen in und um B. vollständig abgeriegelt. Jegliche Form der Kommunikation zwischen dem Ostteil der Stadt und den Westsektoren wurde unterbunden. Die Westmächte protestierten zwar gegen die Errichtung der Sperren, sahen jedoch ihre eigenen Garantieverpflichtungen für B. (West) nicht berührt und nahmen die veränderte Lage schließlich hin. Die Bewegungsfreiheit ihrer Militärpersonen in B. (Ost) wurde zwar eingeschränkt, aber nicht grundsätzlich angetastet. Ende 1963 ermöglichte das erste Passierscheinabkommen, das von einem Unterhändler des Senats und einem Vertreter der DDR-Regierung ausgehandelt worden war, einem Teil der West-Berliner wieder, wenn auch nur befristet, den Zutritt zum Ostteil ihrer Stadt. Die Passierscheinregelung konnte in den folgenden Jahren dreimal erneuert werden. 1966 aber scheiterten die Bemühungen um ein neues Abkommen, nachdem die DDR ihre Ansprüche erhöht und auf formellen Verhandlungen mit dem Senat bestanden hatte. Lediglich die Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten (Härtestelle) konnte ihre Tätigkeit — ohne vertragliche Absprache — fortsetzen. Von der DDR und der Sowjetunion wurde B. (West) in dieser Zeit als „selbständige politische Einheit“ bezeichnet. Nachdem die östliche B.-Politik bisher vor allem darauf gerichtet gewesen war, die Position der drei Westmächte in B. abzubauen oder einzuschränken, richtete sich der Hauptstoß der Sowjetunion und der DDR in der zweiten Hälfte [S. 170]der 60er Jahre gegen die Bindungen zwischen B. (West) und der Bundesrepublik Deutschland. Soweit auf den Viermächte-Status der Stadt Bezug genommen wurde, geschah das in der Weise, als ob lediglich der westliche Teil der Stadt diesem Status unterworfen sei.
Proteste der DDR gegen die Anwesenheit des Bundespräsidenten, gegen Sitzungen von Bundestags- und Bundesratsausschüssen, gegen Parteitage westdeutscher Parteien in B. (West) waren wiederholt mit Behinderungen auf den Zugangswegen verknüpft. Im April 1965 begleiteten demonstrative Tiefflüge von östlichen Flugzeugen über B. (West) eine Plenarsitzung des Bundestages in der Kongreßhalle. Im März 1968 verhängte die DDR ein Ein- und Durchreiseverbot gegen Mitglieder der NPD, am 13. April gegen Minister und leitende Beamte der Bundesregierung. Am 11. 6. 1968 wurde schließlich auf den Zugangswegen ein Paß- und Visumzwang eingeführt. Am 1. 12. 1967 behauptete W. Ulbricht vor der Volkskammer der DDR, B. (West) liege „auf dem Territorium der DDR“ und gehöre „rechtlich zu ihr, sei aber zur Zeit noch einem Besatzungsregime unterworfen“; die DDR werde sich dafür einsetzen, daß „Schritt um Schritt auch die letzten Überreste des II. Weltkrieges beseitigt werden“.
Im März 1969 nahm die DDR die Einberufung der Bundesversammlung nach B. (West) erneut zum Anlaß für erhebliche Behinderungen des Verkehrs auf den Zugangswegen.
X. Viermächte-Abkommen
Kurze Zeit zuvor hatte der amerikanische Präsident Nixon bei einem Besuch in B. erklärt, die Situation sei nicht zufriedenstellend, alle Beteiligten seien zum Handeln aufgerufen. Die Sowjetunion griff diese — von Bundesaußenminister Willy Brandt auf der Washingtoner NATO-Konferenz im April nachhaltig unterstützte — Anregung auf: Am 10. 7. 1969 unterstrich der sowjetische Außenminister Gromyko vor dem Obersten Sowjet, daß seine Regierung zu einem Meinungsaustausch mit den ehemaligen Kriegsalliierten bereit sei, um künftig „Komplikationen“ um B. (West) zu verhüten.
Am 26. 3. 1970 trafen die Botschafter der Vier Mächte zu ihrem ersten Gespräch im Gebäude des Alliierten Kontrollrats in B. (West) zusammen. Ihre Verhandlungen, die sowohl in engen Konsultationen zwischen den 3 Westmächten und der Bundesrepublik als auch in ständigen Kontakten zwischen der UdSSR und der DDR vorbereitet wurden, führten schließlich am 3. 9. 1971 zu dem Viermächte-Abkommen, das am 3. 6. 1972 von den Außenministern unterzeichnet und in Kraft gesetzt wurde. (Die englische Bezeichnung „Quadripartite Agreement“ wird in der Bundesrepublik mit „Viermächte-Abkommen“, in der DDR mit „Vierseitiges Abkommen“ übersetzt.) Der Erfolg der Botschaftergespräche über B. war erst durch den Abschluß der Verträge von Moskau und Warschau 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR sowie Polen ermöglicht worden.
In der Präambel ihres Abkommens stellten die Vier Mächte fest, daß sie auf der Grundlage ihrer bestehenden Rechte und Verantwortlichkeiten, „die nicht berührt werden“, unter „Berücksichtigung der bestehenden Lage in dem betreffenden Gebiet“ und „unbeschadet ihrer Rechtspositionen“ zu „praktischen Verbesserungen der Lage“ beizutragen wünschten. Sie klammerten also unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten über Grundsatzfragen aus und suchten „praktische“ Regelungen im Hinblick auf 3 Komplexe: Zugang, Zutritt und Zuordnung (die „drei Z“).
Ausgehend von einem Abschnitt „Allgemeine Bestimmungen“ (Verzicht auf Androhung und Anwendung von Gewalt, friedliche Streitschlichtung, Respektierung der individuellen und gemeinsamen Rechte und Verantwortlichkeiten der 4 Regierungen, Bereitschaft, die Lage, die sich „in diesem Gebiet entwickelt hat“, nicht „einseitig“ zu verändern) legten die Mächte „Bestimmungen, die die Westsektoren Berlins betreffen“, fest.
Hinsichtlich des seit fast einem Vierteljahrhundert umstrittenen Problems des Zugangs zu Lande und zu Wasser erklärte die Sowjetunion, daß „der Transitverkehr von zivilen Personen und Gütern zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland auf Straßen, Schienen- und Wasserwegen durch das Territorium der Deutschen Demokratischen Republik ohne Behinderungen sein wird, daß dieser Verkehr erleichtert werden wird, damit er in der einfachsten und schnellsten Weise vor sich geht und daß er Begünstigungen erfahren wird“. Im einzelnen wurde diese grundlegende Zusicherung durch den am 17. 12. 1971 von den Staatssekretären Bahr (Bundesrepublik Deutschland) und Kohl (DDR) in Bonn unterzeichneten Transitvertrag präzisiert.
Hinsichtlich des seit vielen Jahren unterbrochenen Zutritts der West-Berliner zum Ostteil B. und zu den DDR-Bezirken gab die Sowjetunion die Zusicherung, „daß die Kommunikationen zwischen den Westsektoren Berlins und Gebieten, die an diese Sektoren grenzen, sowie denjenigen Gebieten der Deutschen Demokratischen Republik, die nicht an diese Sektoren grenzen, verbessert werden“ und daß Personen mit ständigem Wohnsitz in den Westsektoren B. aus „humanitären, familiären, religiösen, kulturellen oder kommerziellen Gründen oder als Touristen“ in diese Gebiete reisen und sie besuchen könnten. Mit der Formulierung „Gebiete, die an diese Sektoren grenzen“ war B. (Ost) gemeint — die Westmächte wünschten eine ausdrückliche Bezeichnung der Hauptstadtfunktion von B. (Ost) zu vermeiden. Der Kreis derer, denen das Abkommen den [S. 171]Zutritt zum umliegenden Gebiet öffnete, ging — personell, zeitlich und räumlich — weit über diejenigen hinaus, die in den Jahren von 1963 bis 1966 von den Passierscheinabkommen Gebrauch machen konnten, er erfaßte jetzt alle West-Berliner ohne Einschränkungen.
Im einzelnen wurde diese Zutrittsregelung in Verhandlungen zwischen dem Senat von B. und der Regierung der DDR präzisiert, die am 20. 12. 1971 mit einer von Senatsdirektor Ulrich Müller und DDR-Staatssekretär Günter Kohrt unterzeichneten Vereinbarung über Erleichterungen und Verbesserungen des Reise- und Besucherverkehrs beendet wurden.
Ebenfalls am 20. 12. 1971 trafen Senat und DDR-Regierung eine Vereinbarung über die Regelung der Frage von Enklaven durch Gebietstausch — sie gestattete es dem Senat von B., den Ortsteil Steinstücken durch eine neue, von der DDR nicht mehr kontrollierte Straße fest mit dem Bezirk Zehlendorf zu verbinden.
Zu den schwierigsten Problemen, mit denen sich die Botschafter der 4 Alliierten während ihrer anderthalbjährigen Verhandlungen beschäftigen mußten, [S. 172]gehörte die Zuordnung B. (West) zur Bundesrepublik Deutschland, also der gesamte Komplex der in mehr als 2 Jahrzehnten gewachsenen Bindungen wirtschaftlicher, finanzieller, sozialer, juristischer und kultureller Art.
Die 3 Westmächte erklärten in dem Abkommen vom 3. 9. 1971, daß „die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwickelt“ würden, wobei sie berücksichtigten, daß „diese Sektoren so wie bisher kein Bestandteil (konstitutiver Teil) der Bundesrepublik Deutschland“ seien und „auch weiterhin nicht von ihr regiert“ würden. Diese Erklärung wurde in einer Mitteilung der 3 Westmächte an die UdSSR in Anlage II des Abkommens näher erläutert.
In einem Brief an Bundeskanzler Brandt stellten die Botschafter der 3 Westmächte in Ergänzung zu Anlage II erläuternd fest, daß Repräsentanten und Organe der Bundesrepublik Deutschland keine „unmittelbare Staatsgewalt über die Westsektoren Berlins“ ausüben könnten, daß keine Sitzungen der Bundesversammlung, des Bundestages und des Bundesrates in B. (West) stattfinden dürften, daß aber auch künftig „einzelne Ausschüsse des Bundestages und des Bundesrates … im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen“ im Westteil der Stadt tagen könnten: „Im Falle der Fraktionen werden Sitzungen nicht gleichzeitig abgehalten werden.“
Westmächte und Bundesregierung ließen sich dabei von der Ansicht leiten, daß ein Verzicht auf demonstrative Bundespräsenz möglich sei, nachdem die UdSSR sich zur Hinnahme der substantiellen Bundespräsenz in Gestalt der zahlreichen in B. (West) seit langem bestehenden Bundesbehörden bereitgefunden hatte. In einer Anlage zum Viermächte-Abkommen bestätigte die Sowjetunion, sie habe — „unter der Voraussetzung, daß Angelegenheiten der Sicherheit und des Status nicht berührt werden“ — ihrerseits keine Einwände gegen eine „konsularische Betreuung für Personen mit ständigem Wohnsitz in den Westsektoren Berlins“ durch die Bundesrepublik. Die Sowjetunion stimmte der Ausdehnung der von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge und Abmachungen auf B. (West) „in Übereinstimmung mit den festgelegten Verfahren“ zu. In der Praxis macht jedoch die UdSSR die Einbeziehung von B. (West) in völkerrechtliche Verträge der Bundesrepublik von der Aufnahme der sog. „Frank-Falin-Formel“ abhängig. Diese Formel, die anläßlich der Unterzeichnung eines westdeutsch-sowjetischen Handelsvertrages im Juli 1972 erstmals angewandt worden war und den Namen der damaligen Chefunterhändler trägt, enthält im Gegensatz zur bis dahin gebräuchlichen, einfachen B.-Klausel den ausdrücklichen Hinweis, daß das jeweilige Abkommen „entsprechend dem Vier-Mächte-Abkommen vom 3. September 1971 … in Übereinstimmung mit dem festgelegten Verfahren auf B. (West) ausgedehnt“ wird. Eine Zustimmungsautomatik seitens der UdSSR ist freilich auch bei Übernahme dieser Formel nicht gegeben. Die UdSSR akzeptierte schließlich auch die Vertretung der Interessen von B. (West) in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen durch die Bundesrepublik Deutschland.
Die Westmächte stimmten der Errichtung eines sowjetischen Generalkonsulats in B. (West) zu. Geklärt wurde schließlich auch, unter welchen Voraussetzungen West-Berliner Reisende sich in der Sowjetunion durch Pässe der Bundesrepublik Deutschland ausweisen könnten. (Die DDR hatte im September 1960 die Ausgabe von Pässen der Bundesrepublik Deutschland an Einwohner von B. [West] als „rechtswidrig“ bezeichnet und die Anerkennung dieser Personaldokumente verweigert.)
XI. Entwicklung nach dem Viermächte-Abkommen
Seit der Unterzeichnung des Viermächte-Abkommens und seiner unmittelbar daran anschließenden Inkraftsetzung am 3. 6. 1972 hat sich die Lage in und um B. (West) deutlich verbessert, obwohl nicht zu übersehen ist, daß die Verhandlungsergebnisse in Ost und West z. T. unterschiedlich interpretiert werden. Indessen waren die auftretenden Meinungsverschiedenheiten in der B.-Frage bisher nicht so schwerwiegend, daß der im Viermächte-Abkommen vorgesehene Konsultationsmechanismus in Gang gesetzt werden mußte.
Der Senat von B., der seit 1973 dem Abgeordnetenhaus jährlich einen Bericht über die Durchführung des Viermächte-Abkommens erstattet, stellte im elften dieser Berichte vom August 1983 fest, daß seit dem Inkrafttreten des Abkommens die äußere Lage B. ruhig ist:
„Berlin war seither weder Ausgangspunkt noch Ziel von Spannungen zwischen den beiden Machtblöcken, die sich hier berühren.“ Auch die Verschärfung der weltpolitischen Lage habe die Situation in und um B. nicht nachhaltig beeinträchtigt: „Die mit dem Viermächte-Abkommen gefundene und praktizierte Regelung ist ein Beispiel für konzertiertes westliches Zusammenarbeiten und für Interessenausgleich im Ost-West-Bereich, das nachhaltig weiterentwickelt und den Berlinern Erleichterungen und Verbesserungen gebracht hat, die für die Lebensfähigkeit der Stadt von großer Bedeutung sind und fortwirken“ (Drucksache 9/1247, S. 3).
Während die Westmächte ebenso wie die Bundesregierung und der Senat davon ausgehen, daß das Abkommen dem Fortbestand des Viermächte-Status von ganz B. Rechnung trägt und sich auf ganz B. bezieht, behaupten die Sowjetunion und die DDR, das Abkommen beziehe sich lediglich auf B. (West), weil „Berlin als Hauptstadt der DDR überhaupt [S. 173]nicht Gegenstand der Verhandlungen zwischen den vier Mächten war“ — so E. Honecker in seinem Interview mit der „Saarbrücker Zeitung“ im Juli 1978. Darin betonte er gleichzeitig, das Abkommen habe sich „in der Praxis bewährt“, und „keine Seite sollte es auf seine Belastbarkeit testen“, es gehe darum, seine Bestimmungen „strikt einzuhalten und voll anzuwenden“ (ND 7. 7. 1978).
Die Formel von der „strikten Einhaltung und vollen Anwendung“ des Viermächte-Abkommens war im Mai 1973 von Bundeskanzler W. Brandt und dem Generalsekretär der sowjetischen KP, L. Breschnew, bei dessen erstem Besuch in Bonn vereinbart worden. Sie ist in der Folgezeit in zahlreichen Reden und Kommuniqués von Politikern, Diplomaten und Publizisten der beteiligten Länder verwendet worden (so auch während der späteren Besuche von L. Breschnew in Bonn 1978 und 1981). Jedoch bestehen über den Inhalt dieser Formel zwischen den westlichen Alliierten und der Bundesregierung einerseits und der UdSSR und der DDR andererseits Meinungsverschiedenheiten fort. Die Sowjets fordern zwar immer wieder die „strikte Einhaltung“ insbesondere jener Bestimmung, daß die Westsektoren von B. „wie bisher kein Bestandteil (konstitutiver Teil) der Bundesrepublik Deutschland sind“, haben jedoch vielfach der praktischen Verwirklichung der „vollen Anwendung“ des Abkommens im Hinblick auf die Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen von B. (West) an die Bundesrepublik politischen und propagandistischen Widerstand entgegengesetzt.
Die UdSSR und die DDR protestierten wiederholt gegen die Anwesenheit von führenden Politikern der Bundesrepublik in B. (West), gegen Tagungen von Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Landesparlamente, von Parlamentsausschüssen und Ministerkonferenzen, einschließlich der Ministerpräsidenten-Konferenzen der Länder. Sie erhoben scharfe Einwände gegen die Errichtung des Bundesumweltamtes in B. (West) im Jahre 1974 sowie gegen die Tätigkeit von schon seit langem in der Stadt anwesenden Bundeseinrichtungen.
In der zweiten Hälfte der 70er Jahre wandte sich die UdSSR mit wachsendem Nachdruck gegen die Einbindung von B. (West) in die Europäische Gemeinschaft. Die 3 Westmächte betonten dagegen, daß die Entsendung von West-Berliner Abgeordneten in das Europäische Parlament den Status B. nicht verändere.
Zwar hat die Bundesrepublik seit 1972 mit Ländern des Warschauer Paktes zahlreiche Abkommen schließen können, in die B. (West) ausdrücklich einbezogen worden ist. Jedoch kamen wegen Meinungsverschiedenheiten über eine B.-Klausel 3 deutsch-sowjetische Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, Rechtshilfe und kulturellen Austausch bisher nicht zustande.
Ohne wesentliche Schwierigkeiten gestaltete sich die konsularische Betreuung von West-Berlinern durch diplomatische Missionen der Bundesrepublik Deutschland in osteuropäischen Ländern. Diese Staaten lehnen allerdings die konsularische Betreuung juristischer Personen aus B. (West) nach wie vor ab. Daß die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in B. (Ost) die Interessen von B. (West) „in Übereinstimmung mit dem Viermächte-Abkommen“ vertritt, ist unumstritten. Die Stadt wurde auch in die zwischen beiden deutschen Staaten bisher abgeschlossenen, den Grundlagenvertrag ergänzenden Folgeverträge über die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen, den nichtkommerziellen Zahlungsverkehr und das Post- und Fernmeldewesen einbezogen.
Weit mehr als vor dem Inkrafttreten des Viermächte-Abkommens im Jahr 1972 beteiligten sich Staaten des Warschauer Paktes an internationalen Kongressen, Tagungen, Festspielen, Ausstellungen und Messen in B. (West). Bei derartigen Veranstaltungen in osteuropäischen Ländern sind jedoch mehrfach Bestrebungen erkennbar geworden, Teilnehmer aus B. (West) von denen aus der Bundesrepublik protokollarisch zu unterscheiden.
In ihrem Freundschafts- und Beistandsvertrag vom 7. 10. 1975 kündigten die UdSSR und die DDR an, sie würden „ihre Verbindungen zu Westberlin ausgehend davon unterhalten und entwickeln, daß es kein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland ist und auch weiterhin nicht von ihr regiert wird“ (GBl. II, 1975, S. 239). Die ständige Wiederholung dieser Formel, die auch in andere bilaterale Verträge der DDR mit osteuropäischen Ländern Eingang fand, war darauf gerichtet, die Aussagen der 3 Westmächte über den Charakter der Bindungen zwischen B. (West) und der Bundesrepublik Deutschland zu relativieren.
Ungeachtet dieser Meinungsverschiedenheiten bewährte sich das Viermächte-Abkommen jedoch vor allem im Transitverkehr und bei den Besuchen von West-Berlinern in B. (Ost) und in der DDR.
XII. Der Transitverkehr 1972--1982
Die Zahl der von und nach B. (West) beförderten Personen war 1983 mit 23,58 Mill. fast fünfmal so groß wie 1957 (4,9 Mill.) und doppelt so groß wie 1968 (11,6 Mill.). Im Jahre 1983 benutzten 16,61 Mill. Reisende die Transit-Autobahnen, 3,52 Mill. die Eisenbahnverbindungen. 3,45 Mill. Reisende sind im Luftverkehr von und nach B. (West) — über die Flughäfen Tegel und Tempelhof — gezählt worden (0,35 Mill. reisten über den DDR-Flughafen Schönefeld).
Im Transitverkehr auf den Landwegen wurden im Jahre 1982 99 Personen festgenommen (1981 waren es 71) — davon 32 wegen des Vorwurfs der Fluchthilfe und 48 wegen schwerer Verkehrsdelikte. Über den [S. 174]Grund der Festnahme ist die Bundesregierung von den zuständigen Organen der DDR vertragsgemäß, wenn auch gelegentlich spät unterrichtet worden.
1982 machte die DDR in 97 Fällen von der im Art. 16 des Transitabkommens vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, Personen wegen eines Mißbrauchs des Abkommens zurückzuweisen.
Verdachtskontrollen, deren Zahl Ende 1977 und zu Beginn des Jahres 1982 zeitweilig auffallend gesteigert worden war, betrafen 1982 etwa 600 Reisende, die solche Kontrollen den Behörden des Bundes zur Kenntnis brachten (1981 ca. 300 Kontrollen). Im Jahresdurchschnitt 1982 mußte sich — den vorliegenden Meldungen zufolge — nur einer von jeweils 27.400 Transitreisenden im Straßenverkehr einer unbegründeten Verdachtskontrolle unterziehen — unbegründet deshalb, weil sich der von den Grenzorganen der DDR geäußerte Verdacht eines Mißbrauchs der Transitwege bei der Durchsuchung nicht bestätigte.
Im Zusammenhang mit den die Erleichterungen des Transitabkommens ausnutzenden Fluchthilfeunternehmen warf die DDR der Bundesregierung wiederholt vor, sie verletze ihre Pflichten aus Artikel 17 des Transitabkommens, demzufolge sie „im Rahmen der allgemein üblichen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland bezüglich der öffentlichen Ordnung geeignete Maßnahmen zur Verhinderung des Mißbrauchs“ zu treffen hatte. Dagegen betonte die Bundesregierung wiederholt, sie könne nur gegen offensichtlich kriminelle Aktivitäten von kommerziellen Fluchthilfeorganisationen im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Vorschriften einschreiten. Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Transitabkommens waren Gegenstand intensiver Beratungen in der deutsch-deutschen Transitkommission, die regelmäßig zusammentrat und der es gelang, eine Fülle schwieriger Einzelfragen einvernehmlich zu klären. Strittig blieben allerdings einige schwerwiegendere Eingriffe der DDR in den Transitverkehr — so im Januar 1974 bei einer angeblichen Fahndung nach sowjetischen Deserteuren, im Juli 1974 nach der Errichtung des Umweltbundesamtes, am 13. 8. 1976, als Teilnehmer einer Kundgebung in B. (West) zum 15. Jahrestag des Mauerbaus an der innerdeutschen ➝Grenze zur DDR in Helmstedt zurückgewiesen wurden, und erneut am 16. 6. 1978, als es zu Behinderungen im Reiseverkehr kam. Die Bundesregierung hat dagegen jeweils Protest eingelegt.
Am 10. 4. 1983 erlitt ein Transitreisender während einer Vernehmung am Grenzübergang Drewitz einen tödlichen Herzanfall. Dieser Vorgang und ein ähnlicher Todesfall am 26. 4. 1983 lösten eine erregte öffentliche Debatte über das Verhalten von DDR-Grenzorganen bei Verdachtskontrollen aus. In der Folgezeit bestätigte die Bundesregierung Berichte von Reisenden, daß die DDR bemüht sei, bei Grenzkontrollen psychologische Belastungen zu vermeiden.
In der zweiten Hälfte der 70er Jahre ist mit dem Ausbau der Transitwege begonnen worden. Den am 19. 12. 1975 zwischen den beiden deutschen Regierungen geschlossenen Vereinbarungen gemäß begann im Januar des folgenden Jahres die Grunderneuerung der Autohahn B.-Helmstedt einschließlich des Ausbaus des B. Ringes.
Durch eine Änderung der Streckenführung über Staaken konnte ferner die Fahrtzeit der Züge zwischen B. und Hamburg um eine halbe Stunde verkürzt werden. Zur Verbesserung des Eisenbahnverkehrs trug auch die Eröffnung neuer Fernbahnhöfe in B. (West), in Wannsee und Spandau bei.
Intensive Verhandlungen im Laufe des Jahres 1978 führten am 16. 11. zur Unterzeichnung weiterer wichtiger Vereinbarungen: Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR kamen überein, eine Autobahnverbindung zwischen B. (West) und Hamburg zu schaffen, die nach 4jähriger Bauzeit die Fernstraße F 5 als Transitstrecke ersetzen sollte. Im November 1982 war diese neue Autobahn zwischen dem Berliner Übergang Heiligensee und dem Grenzübergang Gudow in Schleswig-Holstein fertiggestellt — die F 5 wurde für den Transitverkehr geschlossen.
Weitere am 30. 4. 1980 unterzeichnete Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR sahen einen Autobahnneu- bzw. -ausbau bei Wartha und Eisenach vor: Im Dezember 1984 soll eine durchgehende Autobahnverbindung zwischen B. und der Grenze bei Herleshausen hergestellt sein. Den Vereinbarungen vom 30. 4. 1980 zufolge soll bis 1984 ein durchgängig zweigleisiger Eisenbahnbetrieb zwischen B. und Helmstedt/Marienborn geschaffen werden (Innerdeutsche Beziehungen; Deutschlandpolitik der SED).
XIII. Auswirkungen des Besuchs- und Reiseabkommens
Nachdem in den Oster- und Pfingsttagen des Jahres 1972 bereits 1,24 Mill. Besuche von West-Berlinern im Ostteil der Stadt und in den Bezirken der DDR registriert worden waren, machten die Bewohner der Stadt in den folgenden Jahren von den Möglichkeiten des Abkommens über den Besucher- und Reiseverkehr lebhaft Gebrauch. Die Verdoppelung des von der DDR geforderten Mindestumtausches von Zahlungsmitteln im November 1973 verringerte die Zahl der Besuche um mehr als ein Drittel. Diese den Reise- und Besucherverkehr erschwerende Maßnahme der DDR wurde nach einem Jahr weitgehend zurückgenommen, so daß der Besucherstrom wieder anschwoll. Als noch schwerwiegender erwies sich jedoch die erneute, erheblich stärkere Erhöhung des Mindestumtausches im Oktober 1980 (bei Reisen nach B. [Ost] waren statt zuvor 6,50 DM [S. 175]pro Tag und Person ab 13. 10. 1980 25,00 DM in DDR-Währung, nun auch für die zuvor ganz vom Mindestumtausch Freigestellten, umzutauschen; für ebenfalls bisher vom Umtausch befreite Kinder zwischen 6 und 15 Jahren wurde ein Mindestumtausch von 7,50 DM festgelegt). Waren in den Monaten Juni 1979 bis Mai 1980 noch 3,04 Mill. Besuche von West-Berlinern in B. (Ost) und in der DDR gezählt worden, so sank diese Zahl während der folgenden zwölf Monate auf 2,15 Mill. und lag in dieser Zeit zwischen Juni 1981 und Mai 1982 bei knapp 1,7 Mill. und in den folgenden zwölf Monaten bis Ende Mai 1983 bei 1,8 Mill. Bemühungen der Bundesregierung und des Senats — auch des Regierenden Bürgermeisters R. v. Weizsäcker bei einer Begegnung mit E. Honecker in B. (Ost) am 15. 9. 1983, die DDR zu einer Senkung des Mindestumtausches zu veranlassen, blieben ergebnislos. Lediglich Kindern unter 14 Jahren erließ die DDR ab 27. 9. 1983 den Mindestumtausch.
Insgesamt wurden während der elf Jahre zwischen dem 4. 6. 1972 und dem 31. 5. 1983 31,39 Mill. Besuche von West-Berlinern in B. (Ost) und in der DDR registriert. In diesem Zeitraum mußten sich die West-Berliner Behörden mit 12.534 Beschwerden über die Handhabung dieser Regelung befassen.
Dabei erwies sich die Mehrzahl der Beschwerden als unbegründet. 3.848 Fälle von Einreiseverweigerungen waren Gegenstand von Erörterungen zwischen den Beauftragten des Senats und der DDR-Regierung, die in den ersten elf Jahren nach dem Inkrafttreten des Viermächte-Abkommens 139mal zusammentrafen. Die Einreise wurde insbesondere den West-Berlinern verwehrt, die legal aus der DDR in den Westen übergesiedelt waren oder eine Familienzusammenführung anstrebten. Ein großer Teil dieses Personenkreises konnte erst vom Sommer 1982 an wieder am Reise- und Besucherverkehr teilnehmen.
In den ersten elf Jahren des Viermächte-Abkommens wurden 254 West-Berliner bei Besuchen in B. (Ost) und in der DDR festgenommen — von ihnen waren im August 1983 noch 15 in DDR-Haft (8 wegen des Vorwurfs der Fluchthilfe, 7 wegen anderer Vergehen).
XIV. Ergänzende praktische Regelungen
Auch die Ausweitung des Post- und Telefonverkehrs zwischen B. (West) und B. (Ost) sowie der DDR hat wesentlich zur Verstärkung menschlicher Kontakte beigetragen. Der im Mai 1952 unterbrochene Telefonverkehr zwischen beiden Teilen der Stadt konnte Ende Januar 1971 wieder aufgenommen werden. 1981 wurden von B. (West) aus 8,7 Mill. Telefongespräche mit Teilnehmern in B. (Ost) und 2 Mill. Gespräche mit Teilnehmern in der DDR geführt — die letzteren zu annähernd 98 v.H. vollautomatisch abgewickelt (die Zahl der in B. [West] ankommenden Gespräche ist auf westlicher Seite nicht festzustellen). Ende Dezember 1981 waren 412 vollautomatische Leitungen nach B. (Ost) geschaltet — in die DDR 96 vollautomatische Leitungen, 9 Leitungen für halbautomatische Gespräche und 8 Handrufleitungen. In umgekehrter Richtung führten Ende 1981 60 vollautomatische Leitungen aus B. (Ost) und 24 aus der DDR (davon 12 vollautomatisch) in den Westteil der Stadt.
Die im Viermächte-Abkommen vorgesehene Regelung des Problems kleiner Enklaven führte zu einem Gebietstausch (17,1 ha an B. [West], 15,6 ha an die DDR). Dieser ersten Vereinbarung, die vor allem die Enklaven Steinstücken und Eiskeller betraf, folgte im Juli 1972 eine weitere Absprache über den Ankauf einer rd. 8,5 ha großen Fläche in der Nähe des ehemaligen Potsdamer Bahnhofs durch B. (West). Dies ermöglichte es dem Senat, eine wichtige innerstädtische Entlastungsstraße zwischen den Bezirken Kreuzberg und Charlottenburg bzw. Tiergarten zu bauen.
Im Februar 1974 ist zwischen der dem Ministerium für Verkehrswesen der DDR unterstehenden Deutschen Reichsbahn (DR) und der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen eine Grundsatzvereinbarung über den Bau eines neuen Güterbahnhofs in B. (West) und im Zusammenhang damit über einen umfangreichen Gebietstausch („Schöneberger Südgelände“) erzielt worden, der u.a. das innerhalb B. (West) gelegene Reichsbahngelände des ehemaligen Anhalter Bahnhofs umfaßte. Einzelheiten waren Gegenstand von Expertengesprächen in den folgenden Jahren, die im März 1979 erfolgreich abgeschlossen wurden. Verhandlungen über einen vom Senat gewünschten Gebietstausch im Norden von B. („Frohnauer Entenschnabel“) blieben bisher ergebnislos. Einigkeit über die Öffnung eines neuen Grenzübergangs an der nördlichen Stadtgrenze von B. (West) — in Heiligensee — wurde im November 1978 im Rahmen der Vereinbarung über den Bau der Autohahn B.-Hamburg erzielt.
Nach zweieinhalbjährigen Verhandlungen tauschten Beauftragte des Berliner Senats und der Regierung der DDR am 29. 10. 1975 Briefe aus, in denen die Zuständigkeiten für Rettungsmaßnahmen bei Unglücksfällen in Gewässern an der Sektorengrenze geregelt worden sind.
Beide Seiten kamen in einem 1974 abgeschlossenen 20-Jahr-Vertrag überein, daß Abfallstoffe aus B. (West), insbesondere Siedlungsmüll, gegen Entgelt in Deponien der DDR verbracht werden. (Schon 1968 war eine Vereinbarung über die Abnahme von Abwässern aus B. [West] getroffen worden.)
Für die Binnenschiffahrt waren schließlich eine im Dezember 1977 erzielte Absprache über den Bau einer zweiten, größeren Kammer der Spandauer Schleuse in B. (West), die im November 1978 vereinbarte, 3 Jahre später vollzogene Öffnung des Tel[S. 176]towkanals von Westen her, ferner die Reparatur der Transitwasserstraßen einschließlich des in der DDR gelegenen Schiffshebewerkes Rothensee sowie die am 30. 4. 1980 verabredete Verbreiterung eines 27 km langen Abschnitts des Mittellandkanals bedeutsam. Der Kanal-Ausbau soll im Juli 1984 beendet sein.
Am 28. 9. 1982 einigten sich die Bundesrepublik Deutschland und die DDR über Maßnahmen zum Schutz der Berliner Gewässer (insbesondere der Spree, der Havel und ihrer Seen). Mit einem Betrag von 68 Mill. DM beteiligte sich die Bundesrepublik an der Errichtung einer dritten (chemischen) Reinigungsstufe in 3 Großklärwerken der DDR, die — beginnend 1986 — den Phosphatgehalt der Berliner Gewässer vermindern soll.
Nachdem der Senat im Frühjahr 1981 beschlossen hatte, 8 von dem Baumeister K. F. Schinkel entworfene, seit dem Kriege in B. (West) aufbewahrte Skulpturen der in B. (Ost) gelegenen ehemaligen Schloßbrücke dem Magistrat von B. (Ost) zu übergeben, fand sich die DDR bereit, das umfangreiche Archiv der ehemals Königlich-Preußischen Porzellan-Manufaktur (KPM) an den Senat zurückzugeben. Im März 1982 billigte das Abgeordnetenhaus weiterhin die vom Senat vorgeschlagene Übergabe der in B. (West) lagernden Fassadenteile des barocken Ephraim-Palais an die DDR-Behörden. Gegenwärtig bereiten sich B. (West) und B. (Ost) gleichermaßen auf die 750-Jahr-Feier im Jahr 1987 vor. Zu einer Abstimmung der Vorhaben oder einer Zusammenarbeit, wie sie von B. (West) angestrebt wird, ist es bisher jedoch nicht gekommen.
Nachdem die DDR in den vorhergehenden Jahren wiederholt erklärt hatte, sie wolle die mit dem Betrieb der S-Bahn in B. (West) verbundenen Kosten nicht länger tragen (nach einem Reichsbahner-Streik im September 1980 waren Teile des Streckennetzes stillgelegt worden), vereinbarten der Senat und die Deutsche Reichsbahn (DR) der DDR am 29. 12. 1983, mit Wirkung vom 9. 1. 1984 unter Zustimmung der Alliierten die Betriebsrechte der S-Bahn in B. (West) einer vom Senat zu bestimmenden Stelle (der West-Berliner BVG) zu übergeben. Annähernd 600 in B. (West) wohnende Reichsbahn-Bedienstete traten so in den Dienst der BVG. Die S-Bahn-Vereinbarung regelt in fünf Protokollvermerken detailliert technische und finanzielle Fragen und enthält eine zusätzliche Protokollnotiz über das in B. (West) gelegene, bis zu diesem Zeitpunkt von der Reichsbahn verwaltete Verkehrs- und Baumuseum, das zum 1. 2. 1984 ebenfalls dem Senat übergeben wurde.
XV. Völkerrechtliche Problematik und Status von Berlin (Ost)
Die Vier Mächte waren sich beim Abschluß ihres B.-Abkommens am 3. 9. 1971 der Tatsache bewußt, daß zwischen ihnen wie bisher keine Übereinstimmung über den Rechtsstatus der Vier-Sektoren-Stadt B. bestand.
Obwohl B. (Ost) bei der Gründung der DDR 1949 noch nicht als integraler Bestandteil dieses Staates, sondern als sowjetischer Sektor (in der Agitation der SED als „demokratischer Sektor“) der Vier-Sektoren-Stadt B. galt, versuchte die SED-Führung frühzeitig, den Ostsektor von B. politisch und gesellschaftlich mit der DDR zu verflechten.
In B. (Ost) haben nahezu alle Ministerien und zentralen Staatsorgane (mit Ausnahme des Ministeriums für Nationale Verteidigung), die zentralen Partei- und Gewerkschaftsapparate, die Spitzen der Massenorganisationen und die wichtigsten Medien ihren Sitz.
Ungeachtet der Viermächte-Vereinbarungen über den entmilitarisierten Status von ganz B. wurden das Verteidigungsgesetz der DDR vom 20. 9. 1961 und das Wehrpflichtgesetz vom 24. 1. 1962 auch in B. (Ost) in Kraft gesetzt. Am 22. 8. 1962 lösten die Sowjets ihre Stadtkommandantur für B. (Ost) auf — die DDR ernannte einen eigenen Stadtkommandanten.
Die Westmächte und die UdSSR wahrten ihre unterschiedlichen Rechtsauffassungen auch in der Folgezeit: Die USA, Großbritannien und Frankreich halten daran fest, daß ihr Recht auf Anwesenheit in der ehemaligen deutschen Reichshauptstadt aus der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. 5. 1945 und aus der „occupatio bellica“, d.h. aus der wirksamen Inbesitznahme eines Gebietes im Verlaufe einer Kriegshandlung, resultiert und insofern nicht von einer Zustimmung der UdSSR abhängt. Nach Überzeugung der Westalliierten und in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Völkerrecht schließt das originäre Recht auf Anwesenheit in B. das Recht des ungehinderten Zuganges ein.
Die Westmächte haben zum anderen auch nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR und nach Eröffnung ihrer Botschaften in B. (Ost) wiederholt betont, daß der Viermächte-Status in ganz B. fortbesteht und daß dieser Status auch künftig weder von der UdSSR und erst recht nicht von der DDR, der als Nicht-Signatarstaat überhaupt keine Rechte zukommen, einseitig aufgekündigt werden kann, sondern erst mit Beendigung besatzungsrechtlicher Funktionen und Zustimmung aller 4 ehemaligen Siegermächte verändert bzw. aufgehoben werden kann. Würde die UdSSR das Viermächte-Abkommen vom 3. 9. 1971 einseitig aufkündigen oder kämen die beteiligten Regierungen überein, weitere ergänzende Abmachungen zu treffen, so würde das nach westlicher Auffassung den Viermächte-Status nicht berühren.
Amerikanische, britische und französische Militärpatrouillen, die von den Grenzorganen der DDR nicht kontrolliert werden dürfen, fahren weiterhin [S. 177]regelmäßig durch B. (Ost), obwohl die UdSSR im Frühjahr 1977 an die Westmächte eine Aufforderung richtete, auf diese Patrouillen-Fahrten zu verzichten. Als die westlichen Regierungen dieses sowjetische Verlangen ablehnten, erhöhten die Sowjets die Zahl ihrer eigenen Militärpatrouillen in B. (West), ohne daß die 3 Westalliierten dem widersprachen: Die Bewegungsfreiheit für militärisches Personal der 4 ehemaligen Siegermächte in ganz B. gilt als sichtbare Demonstration des fortbestehenden Viermächte-Status der Stadt.
Nach wie vor bestehen ferner in B. (West) 2 Viermächte-Institutionen: die Luftsicherheitszentrale im ehemaligen Kontrollratsgebäude und das Spandauer Kriegsverbrechergefängnis, in dem der ehemalige Stellvertreter A. Hitlers, R. Hess, als letzter der in den Nürnberger Prozessen 1945–1948 verurteilten Kriegsverbrecher seine lebenslängliche Strafe verbüßt.
Die Sowjetunion deutete und deutet das Abkommen vom 3. 9. 1971 als eine ausschließlich die Westsektoren von B. betreffende Vereinbarung. Sie bestreitet ebenso wie die DDR, daß der Viermächte-Status weiterhin auch für B. (Ost) gilt. Eine Reihe von seit langem geltenden Sonderregelungen, die dem völkerrechtlich unterschiedlichen Status von B. (Ost), der „Hauptstadt der DDR“, und dem ihrer 14 Bezirke Rechnung trugen, sind von der DDR mit Billigung der UdSSR um die Jahreswende 1976/77 weitgehend aufgehoben worden: Ab 1976 erhielten die von der Stadtverordnetenversammlung benannten „Vertreter“ von B. (Ost) in der Volkskammer keine besonderen Ausweise mehr, durch die sie sich bis zu diesem Zeitpunkt von den Abgeordneten der Bezirke unterschieden haben. (Schon seit längerem war auch die Sitzordnung in der Volkskammer geändert worden: die „Vertreter“ von B. [Ost] saßen nicht mehr abgesondert, sondern bei ihren jeweiligen Fraktionen. Auch über ihr Abstimmungsverhalten wird seit längerer Zeit nicht mehr gesondert berichtet.)
Der Magistrat stellte im Herbst 1976 die Herausgabe seines „Verordnungsblattes für Groß-B.“ ein — damit entfielen auch alle bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlichten Mitteilungen über die Übernahme von Gesetzen der DDR durch Beschlußfassung im Magistrat (eine ähnliche Verfahrensweise wird in B. [West] bei der Übernahme von Bundesgesetzen durch Beschluß des Abgeordnetenhauses von B. [West] praktiziert).
Am 1. 1. 1977 ist die Visapflicht für Ausländer bei Tagesfahrten nach B. (Ost) eingeführt worden. Seitdem treten die Kontrollposten an den Ausfallstraßen von B. (Ost) in das Gebiet der DDR nicht mehr in Erscheinung. Auch durch die Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr im innerdeutschen und internationalen Reiseverkehr für B. (Ost) am 1. 3. 1977 sollten die restlichen Unterschiede zwischen der „Hauptstadt“ und dem Gebiet der DDR beseitigt werden. Die Bezeichnung „Magistrat von Groß-B.“ ist in „Magistrat von B., Hauptstadt der DDR“ geändert worden. Als Ende der 70er Jahre aus Teilen der Bezirke Lichtenberg und Weißensee ein 9. Stadtbezirk „Berlin-Marzahn“ gebildet und somit einseitig die innere Verwaltungsstruktur von B. (Ost) geändert wurde, nahmen die Westmächte dies allerdings als eine Verwaltungsmaßnahme hin, die indes „eine Veränderung der Grenze zwischen dem Ostsektor Berlins und der DDR nicht einschließen dürfe“. Eine Veränderung der Grenzen von Bezirken stelle keine Verletzung des Londoner Protokolls von 1944 dar. Schließlich wurde am 28. 6. 1979 das Wahlgesetz der DDR so geändert, daß — trotz westlicher Proteste — die Einwohner von B. (Ost) am 17. 6. 1981 erstmals direkt an der Volkskammer-Wahl teilnahmen. Die Westmächte sahen darin einen Verstoß gegen das Viermächte-Abkommen vom 3. 9. 1971.
XVI. Innere Ordnung von Berlin (West)
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Grundlagenvertrag am 31. 7. 1973 die Auffassung vertreten, daß Art. 23 GG, in dem Groß-B. als zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gehörend bezeichnet wurde, „weder durch die politische Entwicklung überholt noch aus sonst irgendeinem Grund rechtlich obsolet geworden“ sei: „Derzeit besteht die Bundesrepublik aus den in Art. 23 GG genannten Ländern, einschließlich Berlins; der Status des Landes Berlin der Bundesrepublik Deutschland ist nur gemindert und belastet durch den sog. Vorbehalt der Gouverneure der Westmächte.“ Alle Verfassungsorgane in Bund und Ländern seien — auch für die Zukunft — verpflichtet, diese Rechtsposition ohne Einschränkung geltend zu machen und dafür einzutreten.
Demgegenüber hatten die 3 Westmächte 1949, 1954 und 1967 ihre — auch im Viermächte-Abkommen 1971 bestätigte — Ansicht zum Ausdruck gebracht, daß B. kein Land der Bundesrepublik sei. In ihrer Stellungnahme zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. 1. 1966 im Fall Niekisch erklärte die Alliierte Kommandantur am 24. 5. 1967: „It has been and remains the Allied intention and opinion that Berlin is not to be regarded as a Land of the Federal Republic and is not to be governed by the Federation. It also has been and remains the Allied intention and opinion that Berlin laws, if they adopt the provisions of Federal laws, are legislative acts of the Berlin House of Representatives and are legally distinct from such Federal laws … The Allied Kommandantura considers that the Court does not have jurisdiction in relation to Berlin.“
Ungeachtet dieser unterschiedlichen Rechtsauffassungen stimmen Westalliierte, Bundesregierung und Senat von B. darin überein, daß die in mehr als [S. 178]3 Jahrzehnten gewachsenen Bindungen zwischen B. (West) und dem Bund für die Lebensfähigkeit der Stadt von fundamentaler Bedeutung sind.
Die am 1. 9. 1950 erlassene Verfassung von B., die in allen 20 Bezirken der Stadt Geltung beanspruchte, ersetzte die Bezeichnung „Stadtverordnetenversammlung“ durch „Abgeordnetenhaus“ von B.; der „Magistrat“ wird seitdem „Senat“ genannt. Er besteht aus dem Regierenden Bürgermeister, dem Bürgermeister als seinem Stellvertreter sowie höchstens 16 Senatoren.
In den 12 Bezirken bestehen Bezirksverordnetenversammlungen (mit maximal 45 Mitgliedern) als legislative und Bezirksämter (Bezirksbürgermeister und höchstens 8 Bezirksstadträte) als exekutive Organe.
Bei den — nach einer Krise der SPD-F.D.P.-Koalition in B. — am 10. 5. 1981 vorzeitig abgehaltenen Wahlen zum Abgeordnetenhaus von B. entschieden sich 48,0 v.H. der Wähler für die CDU. 38,3 v.H. für die SPD, 7,2 v.H. für die „Alternative Liste“ (AL) und 5,6 v.H. für die F.D.P. Die SEW erzielte mit 0,6 v.H. ihr schlechtestes Wahlergebnis seit der Teilung der Stadt. Die Wahl vom 10. 5. 1981 führte zunächst zur Bildung eines von der Mehrheit der F.D.P.-Fraktion tolerierten CDU-Minderheitensenats unter dem Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker. Im März 1983 gingen CDU und F.D.P. eine Koalition ein, bei gleichzeitiger Übernahme von 2 Senatsressorts durch die F.D.P. Im Herbst 1983 kündigte v. Weizsäcker für 1984 seinen Rücktritt als Regierender Bürgermeister an, um für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren zu können. Die CDU nominierte ihren bisherigen Fraktionsvorsitzenden Eberhard Diepgen als seinen Nachfolger.
B. entsendet 22 Abgeordnete in den Bundestag und 4 Vertreter in den Bundesrat. Sie haben volles Stimmrecht in den Ausschüssen, aber nur beratende Stimme in Plenarsitzungen, d.h., ihr Votum wird jeweils gesondert registriert und hat keinen Einfluß auf das Abstimmungsergebnis. Seit 1959 sind die West-Berliner Wahlmänner in der Bundesversammlung den übrigen, aus den westdeutschen Bundesländern stammenden Mitgliedern dieses Gremiums, das den Bundespräsidenten zu wählen hat, völlig gleichgestellt.
Nach Art. 87 der Verfassung von B. kann das Abgeordnetenhaus feststellen, daß ein Gesetz der Bundesrepublik Deutschland unverändert auch in B. Anwendung findet. Die Übernahme erfolgt auf dem Wege der „Mantelgesetzgebung“. Ausgenommen sind alle Bundesgesetze, die die Sicherung des Staates gegen gewaltsame Einwirkung von außen gewährleisten sollen: Weder die Wehrdienstgesetzgebung noch das Notstandsrecht der Bundesrepublik sind mit Rücksicht auf die ausschließliche Zuständigkeit der Alliierten in B. übernommen worden. Nach alliierter Auffassung stellt die Übernahme bundesrechtlicher Regelungen durch das Abgeordnetenhaus eine Transformation von Bundesrecht in Berliner Landesrecht dar.
Gemäß dem Anliegen aller bisherigen Bundesregierungen, die Bindungen zwischen B. (West) und der Bundesrepublik Deutschland so eng wie möglich zu gestalten, sind in Übereinstimmung mit den westlichen Alliierten seit Beginn der 50er Jahre zahlreiche Bundesbehörden in B. (West) angesiedelt worden, darunter die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, das Bundesgesundheitsamt, der Bundeskartellamt, das Bundesverwaltungsgericht (mit Ausnahme seiner Wehrdienstsenate) und der 5. Senat des Bundesgerichtshofes. Insgesamt beschäftigt der Bund rund 25.000 Beamte, Angestellte und Arbeiter in B. (West).
XVII. Innere Ordnung von Berlin (Ost)
Die innere Ordnung von B. (Ost) ist weitgehend der der 14 Bezirke der DDR angeglichen. (In der DDR wird B. [Ost] gelegentlich auch als 15. Bezirk der DDR bezeichnet.) Dementsprechend wird der Magistrat von B. (Ost) wie die anderen Bezirke der DDR vom Ministerrat der DDR angeleitet und das Prinzip der doppelten Unierstellung (Anleitung und Kontrolle) auf ihn angewendet. Der Oberbürgermeister von B. (Ost) gehört dem Ministerrat seit Ende 1976 als Mitglied des Präsidiums an.
Im Anschluß an die Wahl der Stadtverordnetenversammlung im Juni 1981 bestand der Magistrat aus dem Oberbürgermeister Krack (SED), seinem Ersten Stellvertreter, 10 weiteren — für bestimmte Sachgebiete zuständigen — Stellvertretern, 10 Stadträten und dem „Sekretär des Magistrats“. Bis auf wenige Vertreter der 4 Blockparteien gehören die Mitglieder des Magistrats durchweg der SED an. Ähnlich ist die personelle Zusammensetzung in den 9 Stadtbezirken, an deren Spitze jeweils Bezirksbürgermeister stehen (abweichend von der seit 1920 bestehenden Gliederung und Struktur der ursprünglich 8 Stadtbezirke ist 1979 ein 9. Stadtbezirk — Berlin-Marzahn — aus Teilen von Lichtenberg und Weißensee gebildet worden).
Die Stadtverordnetenversammlung wird wie die Volkskammer und die Bezirkstage alle 5 Jahre nach dem Prinzip der Einheitsliste gewählt (Wahlen) — sie tritt in der Regel dreimal jährlich zusammen. Im Juni 1981 wurde bei einer Wahlbeteiligung von 98,13 v.H. und einem Anteil der ungültigen Stimmen von 0,05 v.H. der Anteil der für den Wahlvorschlag der Nationalen Front abgegebenen Stimmen mit 99,65 v.H. beziffert.
A. Berlin (West) (480 qkm)
Die Einwohnerzahl betrug Ende 1982 1,87 Mill. (die Zahl beruhte auf der amtlichen Bevölkerungsfort[S. 179]schreibung; nach einer verwaltungsinternen Schätzung liegt die tatsächliche Bevölkerungszahl um rd. 102.000 Personen höher, weil z.T. Berliner mit westdeutscher Nebenwohnung als „Fortzüge aus B.“ registriert werden mußten). Annähernd ¼ Mill. Einwohner von B. (West) waren Ende 1982 Ausländer. Am 31. 12. 1950 lebten 2,15 Mill. Personen in B. (West), am 31. 12. 1960 waren es noch 2,20 Mill. (bei einem Ausländer-Anteil von rd. 1 v.H.). Seitdem ist die Bevölkerungszahl fortlaufend gesunken — vor allem als Folge einer ungünstigen Altersstruktur und des veränderten generativen Verhaltens, aber auch aufgrund des Rückgangs der in B. (West) produzierenden Industriebetriebe. Im Jahre 1982 waren 15 v.H. der Einwohner von B. (West) jünger als 15 Jahre (Bundesdurchschnitt: 17 v.H.). 65 Jahre alt und älter waren 21 v.H. der Einwohner von B. (West), aber nur 15 v.H. der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland.
1982 erzeugten 803.000 Erwerbstätige ein Bruttoinlandsprodukt im Wert von 55,4 Mrd. DM — das waren etwa 3,5 v.H. des Bruttoinlandsproduktes der Bundesrepublik Deutschland (bei einem Anteil der West-Berliner an der Einwohnerzahl des westlichen Deutschland von 3,2 v.H.).
Zum Vergleich: 1950, im ersten Jahr nach Beendigung der Blockade, hatten 780.000 Erwerbstätige eine gesamtwirtschaftliche Leistung von 3,8 Mrd. DM erbracht.
Rückgrat der West-Berliner Wirtschaft ist nach wie vor die Industrie — wenn auch mit abnehmender Tendenz. Die Zahl der Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe sank von 305.000 im Jahre 1960 auf 265.000.1970 und weiter auf 165.000.1982. An der letztgenannten Beschäftigtenzahl waren die Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie mit 10,7 v.H., die Investitionsgüterindustrie mit 62,1 v.H., der Sektor Verbrauchsgüter mit 14,0 v.H. und die Nahrungs- und Genußmittel erzeugenden Betriebe mit 13,2 v.H. beteiligt.
Herausragende Bedeutung für die West-Berliner Industrie haben im Bereich „Grundstoff- und Produktionsgüter“ die chemischen Betriebe und im Bereich „Investitionsgüter“ die Elektrotechnik und der Maschinenbau.
Im Jahre 1982 lieferte B. (West) Waren und Dienstleistungen im Gesamtwert von 27,6 Mrd. DM ins Bundesgebiet (74,9 v.H. der Lieferungen), in die DDR (1,2 v.H.) und ins Ausland (23,9 v.H.). Im selben Jahr hatten die Bezüge ebenfalls einen Wert von 27,6 Mrd. DM — sie stammten zu 74,9 v.H. aus dem Bundesgebiet, zu 7,5 v.H. aus der DDR und zu 17,7 v.H. aus dem Ausland. Auf Staatshandelsländer entfielen 1982 4,4 v.H. der gesamten Ausfuhr — der Exportanteil in die Entwicklungsländer lag zur selben Zeit bei 23,8 v.H.
Der Verlust der Hauptstadtfunktion nach dem II. Weltkrieg brachte es mit sich, daß B. seine Bedeutung als Zentrum überregionaler Dienstleistungen teilweise einbüßte; Bemühungen des Senats und der Bundesregierung waren in den letzten Jahren darauf gerichtet, diesen Bereich stärker auszubauen (z.B. das Kongreß-, Messe- und Ausstellungswesen).
B. (West) ist die größte Universitätsstadt Deutschlands. 1982 zählten die Hochschulen 88.000 Studierende — davon 74.000 an FU und TU (unter ihnen 8.000 ausländische Studenten). Bildung, Wissenschaft und Forschung bestimmen ebenso wie die Theater- und Musikbühnen und die Museen und Galerien den geistigen und kulturell-künstlerischen Rang von B. (West).
B. Berlin (Ost) (403 qkm)
Ende 1982 betrug die Einwohnerzahl 1,17 Mill. — davon standen 64,0 v.H. im arbeitsfähigen Alter. 18,8 v.H. waren Kinder und Jugendliche im nichtarbeitsfähigen Alter, und 17,3 v.H. standen im Rentenalter (Männer ab 65, Frauen ab 60 Jahre).
Von den 641.700 Berufstätigen (ohne Lehrlinge) waren im Jahre 1982 95,5 v.H. als Arbeiter und Angestellte tätig — lediglich 14.900 waren Mitglieder von Produktionsgenossenschaften, und 14.100 galten noch als Selbständige und mithelfende Familienangehörige (Anfang der 60er Jahre waren es noch über 30.000).
Die Bedeutung von B. (Ost) als Sitz der meisten zentralen Organe des Staatsapparates, der obersten Gremien der Parteien, Massenorganisationen und Verbände, der wichtigsten Verlage und Redaktionen drückt sich darin aus, daß von den 641.700 Berufstätigen (ohne Lehrlinge) 1982 30,7 v.H. in „nichtproduzierenden Bereichen“ und nur 24,9 v.H. in der Industrie von B. (Ost) tätig waren. An dritter Stelle lag der Handel mit 14,9 v.H., auf dem vierten Platz das Verkehrs-, Post- und Fernmeldewesen mit 11,1 v.H. der Berufstätigen.
Nach dem Wert der industriellen Bruttoproduktion im Jahre 1982 nahmen die Produktionsbereiche Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau den wichtigsten Platz ein (29,4 v.H.). Daneben haben der Maschinen- und Fahrzeugbau (16,1 v.H.), die Leicht- und Textilindustrie (16,1 v.H.) sowie die chemische Industrie (11,9 v.H.) und die Lebensmittelindustrie (11,4 v.H.) Gewicht — gefolgt von der Energie- und Brennstoffindustrie (9,5 v.H. der industriellen Bruttoproduktion in B. [Ost]).
Werden die Daten von B. (Ost) und die der 14 DDR-Bezirke zusammengefaßt, so ist der Ostteil der gespaltenen Stadt mit 7,0 v.H. an der Wohnbevölkerung, mit 7,7 v.H. an der Zahl der Berufstätigen (ohne Lehrlinge) und mit 5,3 v.H. an der industriellen Bruttoproduktion der DDR beteiligt. Auch B. (Ost) ist ein Zentrum des Theaterlebens, der Wissenschaft und der Forschung (Humboldt-Universität zu Berlin; Akademie der Wissen[S. 180]schaften der DDR [AdW]). Außenpolitik; Deutschlandpolitik der SED; Innerdeutsche Beziehungen.
Manfred Rexin
Literaturangaben
- Veröffentlichungen aus der Bundesrepublik Deutschland und westlichen Ländern werden in den Literaturhinweisen am Ende des Handbuches in der Sachgruppe 13: Berlin-Fragen aufgeführt. Auf eine erneute Nennung an dieser Stelle wird daher verzichtet.
- Abrassimow, Pjotr: Westberlin — gestern und heute, Berlin (Ost): Staatsverl. 1981.
- Berlin. 800 Jahre Geschichte in Wort und Bild. Autorenkollektiv u. Ltg. v. Roland Bauern und Erik Hühns. Berlin (Ost): Dt. Verl. d. Wissenschaften 1980.
- Boldyrew, Viktor: Das Vierseitige Abkommen über Westberlin — ein Schritt zu Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit, in: Deutsche Außenpolitik, 1972, 5, S. 873–899.
- Entwicklung und Probleme Westberlins in den 70er Jahren, in: IPW-Forschungshefte, hrsgg. v. Institut für Internationale Politik und Wirtschaft. Berlin (Ost) 1978, 4.
- Görner, Günter: Potsdamer Abkommen und Westberlinfrage, in: Deutsche Außenpolitik, 1969, 5, S. 515–539.
- Keiderling, Gerhard: Die Berliner Krise 1948/49. Zur imperialistischen Strategie des Kalten Krieges gegen den Sozialismus und der Spaltung Deutschlands. Berlin (Ost): Akademie Verl. 1982.
- Keiderling, Gerhard, u. Percy Shulz: Zur Geschichte der Hauptstadt der DDR und der selbständigen politischen Einheit Westberlins. Berlin (Ost): Dietz 1970.
- Kröger, Herbert: Strikte Einhaltung des Westberlin-Abkommens — ein Gebot der Vernunft und des Rechts, in: Deutsche Außenpolitik, 1977, 12, S. 57–65.
- Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR: Das vierseitige Abkommen über Westberlin und seine Realisierung. Dokumente 1971–1977. Berlin (Ost): Staatsverl. 1977.
- Volk, Waltraud: Historische Straßen und Plätze heute. Berlin. Hauptstadt der DDR, 7., bearb. Aufl., Berlin (Ost): Verl. für Bauwesen 1980.
- Weise, Klaus: Berlin. Hauptstadt der DDR (m. Abb. u. Ktn.). Berlin (Ost): Tourist Verl. 1979.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 164–180