Betriebsgewerkschaftsorganisation (BGO) (1985)
Siehe auch die Jahre 1975 1979
Gewerkschaftliche Grundorganisation (GO), die in allen Betrieben und Institutionen, in denen wenigstens 10 Mitglieder des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) beschäftigt sind, gebildet wird. (Die Gewerkschaftsmitglieder an allgemeinbildenden Schulen werden in Schulgewerkschaftsorganisationen [SGO] mit eigener Schulgewerkschaftsleitung [SGL], Gewerkschaftsmitglieder, die in Kleinbetrieben ohne eigene BGO arbeiten, in Ortsgewerkschaftsorganisationen [OGO] mit eigener Ortsgewerkschaftsleitung [OGL] zusammengefaßt. Aufbau, Leitung und Aufgaben entsprechen denen der BGO.)
1. Organisation der BGO. Die BGO untergliedert sich in Anlehnung an die Betriebsstruktur (Produktionsprinzip) nach Brigaden, Schichten, Meisterbereichen, Produktions- bzw. Verwaltungsabschnitten usw. in Gewerkschaftsgruppen.
An der Spitze der BGO steht die Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL). Sie wird alle 2½ Jahre (d.h. zweimal in einem Fünfjahrplan-Zeitraum) von der Mitgliederversammlung, in Großbetrieben von der Vertrauensleutevollversammlung, direkt und geheim gewählt. Zahlenmäßige Größe (3–25 Mitglieder) und Wahlmodus werden in den jeweils vor den Wahlen veröffentlichten Wahlordnungen des FDGB-Bundesvorstandes festgelegt. Die sozialstrukturelle Zusammensetzung der BGL (Frauen-, Produktionsarbeiteranteil) soll möglichst der des Betriebes entsprechen. Die Zahl der für die Leitungsarbeit freigestellten BGL-Mitarbeiter ist gleichfalls von der Größe des Betriebes abhängig; überwiegend ist Gewerkschaftsarbeit jedoch ehrenamtlich; selbst in Großbetrieben sind außer dem BGL-Vorsitzenden nur wenige BGL-Mitglieder für ihre Leitungstätigkeit von ihrer Arbeit freigestellt.
In Betrieben mit mehr als 300 Gewerkschaftsmitgliedern werden als mittlere Leitungsebene in den einzelnen Betriebsabteilungen Abteilungsgewerkschaftsleitungen (AGL: 5–13 Mitglieder) gewählt. Die AGL organisieren in ihrem Bereich die Gewerkschaftsarbeit, sichern die Durchführung der Beschlüsse der BGL und halten die Mitgliederversammlung ab.
Die Kandidatenaufstellung für die Wahl zu den AGL und der BGL sowie für die Wahl zu den Kreisdelegiertenkonferenzen erfolgt auf Mitglieder- bzw. Vertrauensleutevollversammlungen. Die Kandidatenauswahl wird zwischen amtierender BGL und Betriebsparteileitung (BPL), der der BGL-Vorsitzende in aller Regel angehört, sowie mit den übergeordneten Gewerkschafts- und Parteileitungen vorher abgesprochen. Vorgeschlagene Kandidaten können von der Mitglieder- bzw. Vertrauensleutevollversammlung in offener Abstimmung mit Stimmenmehrheit abgelehnt werden; über die Reihenfolge der Kandidaten und den Abschluß der Kandidatenliste wird ebenfalls offen abgestimmt. Die Wahl erfolgt geheim, Streichungen und Hinzufügungen können vorgenommen werden. Gewählt sind die Kandidaten (in der festgelegten Reihenfolge des Wahlvorschlages), die mehr als 50 v.H. der Stimmen erhalten haben.
Die BGL bildet Kommissionen (K.), in denen jeweils ein BGL-Mitglied den Vorsitz führt und deren Angehörige von der Leitung berufen werden: K. Arbeit und Löhne; K. Agitation und Propaganda; Arbeitsschutz-K.; Feriendienst-K. (Feriendienst des FDGB); Finanz-K.; Frauen-Kommission; Jugend-K.; Küchen-K.; K. Kultur und Bildung (Kulturarbeit des FDGB); Kur-K. (Kuren der Sozialversicherung); Neuereraktiv (Sozialistischer Wettbewerb); Rechts-K.; K. für sozialistische Erziehung der Kinder (Patenschaften; Polytechnische Bildung und polytechnischer Unterricht); K. Sozialpolitik; Rat für Sozialversicherung (Sozialversicherungs- und Versorgungswesen); Wohnungs-K. (Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften [AWG]; Bau- und Wohnungswesen). Je nach Größe des Betriebes und nach den aktuell von der BGL zu behandelnden Problemen können weitere K. oder zeitweilige Arbeitsgruppen eingerichtet, in kleineren Betrieben verschiedene K. auch zu einer einzigen zusammengefaßt bzw. kann auf die Bildung von K. überhaupt verzichtet werden. Die AGL sind aufgefordert, für ihren Bereich ebenfalls K. zu bilden, doch ist die Zahl der AGL relativ gering (ca. 22.000), und es gibt Schwierigkeiten, auf der Abteilungsebene genügend Mitglieder zu aktivieren, über eine Wahlperiode hinweg als Funktionäre aktiv zu bleiben.
Die K. sind „Hilfsorgane“ der Leitungen und sollen diese bei der Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle des Arbeitsplanes der BGL unterstützen. Neuere Untersuchungen zeigen, daß etwa 25 v.H. der K.-Mitglieder dauerhaft in die Tätigkeit der BGL einbezogen sind.
Unter den K. kommt der K. Arbeit und Löhne besondere Bedeutung zu. Seit die Zahl der Ständigen ➝Produktionsberatungen stark zurückgegangen ist und es eine eigene K. für den Sozialistischen Wettbewerb nicht mehr gibt, ist sie die einzige K., die sich mit ökonomischen Fragen (Plandiskussion, Plandurchführung, Organisation des Wettbewerbs, Anwendung der Methoden der wissenschaftlichen ➝Arbeitsorganisation [WAO], Fragen der Einführung neuer Arbeitsverfahren sowie der Intensivierung und Rationalisierung) befaßt. Ihr zweiter Aufgabenbereich liegt in der Durchsetzung einer leistungsorientierten Lohnpolitik (Lohnformen und Lohnsystem; Materielle Interessiertheit). Sie ist dabei an die Bestimmungen des Rahmenkollektivvertrages (RKV) und rechtlicher Vorschriften gebunden, kann aber bei der Ausarbeitung [S. 208]der Kriterien für die Vergabe der Prämien, wie sie in den Betriebskollektivvertrag (BKV) Eingang finden, die Entscheidung der BGL vorbereiten.
Von den K. der BGL sind sowohl die Konflikt-K. als auch die Revisions-K. zu unterscheiden. Die Konflikt-K. sind Teil des Systems der Rechtsprechung. Die BGL sind aber an der Auswahl der Kandidaten beteiligt, führen deren Wahl in Mitglieder- bzw. Vertrauensleutevollversammlungen durch, werten die Beschlüsse der Konflikt-K. in der Gewerkschaftsarbeit aus und organisieren in der Zusammenarbeit mit der Rechts-K. des Kreisvorstandes des FDGB deren rechtliche Aus- und Weiterbildung. Hierbei und bei der Rechtsberatung der Gewerkschaftsmitglieder stützen sich die BGL auf ihre Rechts-K. (Gesellschaftliche Gerichte). — Die Revisions-K. sind Kontrollorgane innerhalb der Gewerkschaftsorganisation. Sie werden parallel mit den BGL gewählt. Ihnen obliegt die Kontrolle des Finanzgebarens und der satzungsgemäßen Arbeit der Leitung.
Es entspricht der Intention, möglichst viele Mitglieder aktiv in die Gewerkschaftsarbeit einzubeziehen, um einen ständigen Prozeß der Selbsterziehung in Gang zu setzen, daß bereits in der Gewerkschaftsgruppe (G.) mehrere Wahlfunktionen zu besetzen sind. Die G. soll etwa 10–30 Mitglieder haben. Sie wird vom Vertrauensmann (zugleich Kassierer) geleitet. Sein Stellvertreter ist der Kulturobmann. Weitere Funktionäre der G. sind der Arbeitsschutzobmann, der Bevollmächtigte für Sozialversicherung und der Sportorganisator. Die Wahl aller G.-Funktionäre erfolgt grundsätzlich in offener Abstimmung. Die G. soll monatlich und zu besonderen Anlässen (Plandiskussion, Übernahme von Wettbewerbsverpflichtungen usw.) zu Versammlungen außerhalb der Arbeitszeit zusammenkommen. Ihre Tätigkeit wird inhaltlich durch die Beschlüsse der BGL und AGL bestimmt, die wesentlich durch die Arbeit in den G. verwirklicht werden müssen und auf die die G. ihrerseits durch Kritik, Information und Vorschläge Einfluß nehmen. — Bis zu den FDGB-Wahlen 1976/77 gab es in den G., denen mehr als drei Jugendliche angehörten, einen Jugendvertrauensmann. An dessen Stelle ist seitdem — in Betrieben mit mehr als 30 jugendlichen Beschäftigten — die Jugend-K. getreten.
Auf Mitglieder- bzw. Vertrauensleutevollversammlungen wird für jeweils 30–50 Mitglieder ein Arbeiterkontrolleur gewählt. Diese kontrollieren auf der Grundlage eines von der BGL beschlossenen Arbeitsplanes innerhalb der Betriebe und Kombinate die Erfüllung der planmäßigen Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen und sollen weiterhin Material- und Leistungsreserven aufdecken. Im Territorium werden u.a. Handels- und Versorgungseinrichtungen auf Einhaltung der Preisvorschriften und einwandfreie Arbeitsweise sowie die Wohnungsämter auf die korrekte Vergabe von Wohnungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen überprüft. Die Arbeiterkontrolleure arbeiten eng mit der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion (ABI) und mit den FDJ-Kontrollposten (Freie Deutsche Jugend [FDJ]) zusammen. Vielfach werden den Arbeiterkontrolleuren ihre Aufgaben zentral vom Bundesvorstand bzw. regional von den Bezirksvorständen des FDGB vorgegeben. In den Jahren 1977–1981 gab es 24 zentrale und 159 bezirkliche gewerkschaftliche Kontrollen; ferner waren die Arbeiterkontrolleure an 53 zentralen Kontrollen des Komitees der ABI, an 259 Kontrollen, die die Bezirkskomitees der ABI organisieren, sowie an 33 zentralen Preiskontrollen, für die die Organe des Amtes für Preise beim Ministerrat, das Ministerium für Handel und Versorgung sowie der FDGB gemeinsam verantwortlich zeichneten, beteiligt. — Im Unterschied zu allen anderen betrieblichen Gewerkschaftsfunktionären werden die Arbeiterkontrolleure auf 5 Jahre gewählt, da die ihnen zugewiesenen Kontrollfunktionen gegenüber den Werkleitungen bzw. im betrieblichen und örtlichen Versorgungsbereich eine erst in längerer Tätigkeit zu erwerbende Kenntnis von rechtlichen Regelungen, Institutionen und Personen voraussetzen. Bei den staatlichen Organen, Banken, Sparkassen, Versicherungen sowie in den Bereichen Unterricht, Erziehung und Kunst werden keine Arbeiterkontrolleure gewählt.
In den 70er Jahren wurde die Gewerkschaftsarbeit unter denjenigen FDGB-Mitgliedern, die das Rentenalter erreicht hatten, verstärkt und hierfür auch eine neue organisatorische Form, die Veteranen-AGL geschaffen; diese AGL haben faktisch den organisatorischen Status einer K. der BGL. Ziel dieser Einrichtungen ist es, den Rentnern zu ermöglichen, den Kontakt zu ihrer früheren Arbeitsstätte und dem dortigen Kollegenkreis aufrechtzuerhalten sowie die betrieblichen Kultur-, Gesundheits- und Sozialeinrichtungen weiter zu nutzen (z.B. nehmen über 200.000 Rentner an verbilligten Kantinenessen in ihren ehemaligen Betrieben teil). Allerdings sind es vor allem Großbetriebe, in denen diese AGL bestehen und in denen entsprechende Aufgaben im Rahmen der Altenpolitik übernommen werden können. Die 1982 bestehenden 3.815 Veteranen-AGL mit 29.650 Mitgliedern erfaßten insges. 566.716 Arbeiterveteranen.
Als Ergebnis der Gewerkschaftswahlen in Vorbereitung des X. FDGB-Kongresses (1982) wurden folgende Zahlen über die GO veröffentlicht: es bestanden 46.744 GO, in denen 2.319.543 Mitgl. (darunter 1.179.569 = 50,9 v.H. Frauen) Funktionen übernommen hatten (Gesamtmitgliedschaft des FDGB zum gleichen Zeitpunkt: 9,1 Mill., darunter 52 v.H. Frauen). Den BGL, OGL und SGL gehörten 370.273 Mitgl. an. In den Kommissionen dieser Leitungen waren 591.982 Mitgl. tätig (darunter 77.580 Frauen in 9.736 Frauen-K., 73.973 Mitgl. in Neuereraktivs, 30.754 in Jugend-K., 76.707 in Arbeitsschutz-K., 69.591 in Feriendienst-K.). Ferner wird für diesen Zeitpunkt von rd. 4.000 Rechts-K. und 12.436 Räten für Sozialversicherung sowie von 39.748 Revisions-K. berichtet. — Auf der mittleren Leitungsebene des Betriebes zählten die AGL 174.058 Mitgl.
Besonders groß ist die Zahl der ehrenamtlichen Funktionäre in den 315.553 Gewerkschaftsgruppen; sie betrug 1982 1.445.042 (darunter: 315.553 Vertrauensleute, 301.231 Kulturobleute, 299.642 Bevollmächtigte für Sozialversicherung, 282.575 Arbeitsschutzobleute, 246.041 [S. 209]Sportorganisatoren). Weiter wurden 1982 94.113 Arbeiterkontrolleure gewählt.
Diese Zahlen zeigen den hohen Mobilisierungs- und Integrationseffekt, den der FDGB als wichtigste und größte Massenorganisation der DDR an der Basis seiner Organisation zu erreichen vermag. Allerdings ist bei der Bewertung dieser Angaben zu berücksichtigen, daß die einzelnen Gewählten häufig mehrere Funktionen gleichzeitig ausfüllen. BGL- und AGL-Mitglieder sind ebenso wie die Funktionäre der G. zugleich in den K. tätig. Außerdem sagt die Wahl in eine Funktion noch nichts darüber aus, ob bzw. mit welcher Intensität diese tatsächlich ausgeübt wird.
Die Tätigkeiten der BGO werden vor allem aus den Mitgliedsbeiträgen finanziert, von denen in den Jahren 1977–1981 durchschnittlich 45,7 v.H. in den Betrieben verblieben. Für bestimmte betriebliche, soziale und kulturelle Aufgaben stehen darüber hinaus Mittel aus den Kultur- und Sozialfonds sowie dem Leistungsfonds zur Verfügung. — Durch den Beschluß des Bundesvorstandes des FDGB vom 12. 12. 1975 wurde den BGL und OGL die Rechtsfähigkeit zuerkannt. Die Rechtsvertretung liegt bei dem BGL-Vorsitzenden, im Falle seiner Verhinderung bei dem Stellvertreter. Den SGL wurde lediglich das Recht zuerkannt, Bankkonten zu führen; sie können aber keine Verträge schließen, klagen oder verklagt werden.
2. Aufgaben der BGO. Inhalt und Möglichkeiten der Arbeit der BGO bzw. der BGL werden bestimmt durch die feste Einbindung in den durch den Demokratischen Zentralismus bestimmten Organisationszusammenhang des FDGB, dem Primat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und die (durch das Prinzip der Einzelleitung, zentral vorgegebene bzw. entschiedene Produktionspläne, gesetzlich vorgeschriebene Formen der Verwendung der betrieblichen Fonds bestimmte) Struktur und Funktionsweise des Betriebes. Die Tätigkeit der BGL richtet sich sowohl auf die optimale Erfüllung der wirtschaftlichen Aufgaben, die Einhaltung und Durchführung der staatlichen, gewerkschaftlichen und Parteibeschlüsse als auch innerhalb dieses Rahmens auf die Vertretung der unmittelbaren Interessen der Gewerkschaftsmitglieder. Zwar spricht das Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB; Arbeitsrecht) der BGO und ihren Organen ausdrücklich die Aufgabe zu, „die Interessen der Werktätigen im Betrieb“ zu vertreten, die Parteibeschlüsse, Planauflagen, rechtlichen Normen usw. gelten jedoch im marxistisch-leninistischen Verständnis als grundsätzlich nicht in Frage zu stellender Ausdruck des gesamtgesellschaftlichen Interesses und beanspruchen von daher Vorrang vor den Interessen einzelner oder sozialer Gruppen (Interessen/Interessenübereinstimmung). Insoweit sind in der Alltagsarbeit einer BGL die durchaus einander widersprechenden Interessen der einzelnen Mitglieder bzw. bestimmter Beschäftigtengruppen mit dem postulierten Gesamtinteresse in den politischen, ökonomischen und arbeits- bzw. sozialrechtlichen Vorgaben immer erneut erst in Übereinstimmung zu bringen.
Die im AGB vorgesehenen Mitbestimmungs-, Mitgestaltungs- (und) Mitwirkungsrechte der Werktätigen sind an die Tätigkeit der BGO gebunden. Danach soll die BGL mit Hilfe der differenzierten Organisationsstruktur der BGO die Betriebsangehörigen in den Plandiskussionen mobilisieren, deren Initiative wecken und eine Optimierung der Planaufgaben erreichen. Im Ergebnis erarbeitet die BGL eine eigene Stellungnahme zum Betriebsplanentwurf und vertritt diesen gegenüber dem Kombinatsdirektor. Auf der Basis des Betriebsplanes schließt sie jährlich den Betriebskollektivvertrag (BKV) (einschl. Jugend- und Frauenförderungsplan sowie Planteil Förderung der Arbeits- und Lebensbedingungen) mit der Werkleitung ab und vereinbart Arbeitsschutz- und Prämienordnungen. Der BKV und andere Vereinbarungen werden zuvor der Mitgliederversammlung, in Großbetrieben der Vertrauensleutevollversammlung unterbreitet. Diesen Gremien gegenüber legt die BGL vierteljährlich einen Rechenschaftsbericht ab. Auf der Grundlage des Betriebsplanes und zu seiner Erfüllung organisiert die BGL auf der Basis einer von der Werkleitung ausgearbeiteten Wettbewerbskonzeption den Sozialistischen Wettbewerb und unterstützt die Neuererbewegung. Es gehört zu den Aufgaben der BGL, sich gegenüber der Werkleitung und zugleich gegenüber den Gewerkschaftsmitgliedern für die Ausarbeitung und Einhaltung der Arbeitsnormen (Arbeitsklassifizierung; Arbeitsnormung) und der Lohn- und Prämiensysteme einzusetzen; diese beruhen auf den Rahmenkollektivverträgen (RKV) und anderen gesetzlichen Vorgaben und sollen leistungsstimulierend wirken (Lohnformen und Lohnsystem; Materielle Interessiertheit). Abschluß, Änderung, Auflösung und Kündigung von Arbeitsverträgen bedürfen der Mitwirkung bzw. der Mitbestimmung der BGL. Die BGL gewährt Rechtsschutz, erzieht aber zugleich ihre Mitglieder zur Arbeitsmoral und -disziplin sowie zur Erfüllung ihrer anderen arbeitsrechtlichen Verpflichtungen. Weitgehende Mitgestaltungsrechte hat die BGL im Rahmen der den Betrieben zur Verfügung stehenden Fonds in der betrieblichen Sozialpolitik. Arbeits- und Gesundheitsschutz, Qualifizierung und Weiterbildung der Werktätigen, kulturelle Betreuung, Versorgung mit Dienstleistungen, Konsumgütern und Wohnraum (Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften [AWG]) werden von der BGL wesentlich mit bestimmt. Durch eine enge Zusammenarbeit mit den örtlichen Staatsorganen, insbesondere mit den Vertretern des FDGB in den Volksvertretungen, greift die Arbeit der BGL in die Wohngebiete über. Zunehmend übernehmen die Betriebe dort Aufgaben in der politischen, sozialen und kulturellen Betreuung der Bevölkerung.
Durch die von der BGL organisierte Form der Massenschulung, die Schulen der sozialistischen Arbeit, durch Wochenendkurse sowie durch die Delegation zu Lehrgängen an Gewerkschaftsschulen unterstützen die BGO die Herausbildung eines sozialistischen ➝Staatsbewußtseins bei ihren Mitgliedern und tragen zur Heranbildung neuer Kader bei (Kaderpolitik). In jüngerer Zeit gibt es Bemühungen, die BGO direkt in die Wehrerziehung einzubeziehen.
[S. 210]Die auf und nach dem VIII. Parteitag der SED zu beobachtende Betonung der Rolle des FDGB als Massenorganisation der gesellschaftspolitisch entscheidenden Klasse hat auch zu einer Stärkung der Stellung der BGO, insbesondere der BGL, geführt. Das am 1. 1. 1978 in Kraft getretene AGB hat diese bis dahin eingetretenen Veränderungen zusammengefaßt und in einzelnen Punkten weitergeführt. Der BGL-Vorsitzende hat nunmehr — wie der Parteisekretär (Grundorganisationen der SED) — das Recht, an den Arbeitssitzungen der Betriebsleitung teilzunehmen und in die Betriebsunterlagen, einschließlich der Personalakten, Einsicht zu nehmen; dieses Recht ist allerdings an seine Person gebunden und kann nicht auf ein anderes Mitglied der BGL übertragen werden. Soweit Entscheidungen des Betriebsleiters zustimmungspflichtig sind (z.B. bei der Änderung oder Auflösung bestehender Arbeitsverhältnisse), erhalten diese erst dann Rechtskraft, wenn die BGL eine entsprechende Entscheidung herbeigeführt hat. Das — bereits zuvor vorhandene — Recht der BGL zur Beschwerde über Betriebsleiter bei deren übergeordneten Wirtschaftsleitungen wurde deutlicher gefaßt; Fälle, in denen eine BGL davon Gebrauch gemacht hat, sind bisher allerdings nicht bekannt geworden. Das Prinzip der Einzelleitung gilt zwar weiterhin uneingeschränkt, jedoch hat die BGL gegenwärtig neben der BPL der SED und der Werkleitung eine rechtlich gestärkte Position und kann in den mannigfachen betrieblichen Entscheidungsprozessen nicht mehr übergangen werden. Die Frage, inwieweit diese Stärkung der BGL auch zu einer positiven Haltung der Mitglieder zum FDGB als ihrer Interessenvertretung geführt hat, ist kaum schlüssig zu beantworten. Unverkennbar ist jedoch bei den Werktätigen die Bereitschaft gewachsen, von den Rechten, die ihnen das AGB und die Satzung des FDGB einräumen, Gebrauch zu machen.
3. Einbettung der BGO in überbetriebliche Organisationszusammenhänge. Die BGO werden von den jeweiligen Kreisvorständen (KV) der für sie zuständigen Einzelgewerkschaften (IG/Gew.) in allen zweigspezifischen Fragen angeleitet. Daneben gibt es Aufgaben, für die die KV des FDGB — die die Arbeit der KV der IG/Gew. in ihrem territorialen Bereich koordinieren und in allgemeinen gewerkschaftspolitischen Fragen anleiten — von vornherein zuständig sind; dazu gehören der Feriendienst und die Sozialversicherung.
Die Kombinatsbildung (Betriebsformen und Kooperation) hat wesentliche Auswirkungen auf die Funktionsweise der BGO gehabt, die bis heute noch nicht endgültig organisatorisch gelöst sein dürften. Die Bestimmungen des AGB sind grundsätzlich an den Betrieb, nicht aber an Betriebszusammenschlüsse, Kombinate, gerichtet. So werden z.B. Arbeitsverträge mit dem Betrieb abgeschlossen, geändert und aufgelöst. Andererseits hat der Kombinatsdirektor für einen optimalen Einsatz der in den Kombinatsbetrieben Tätigen zu sorgen, soll für das gesamte Kombinat eine einheitliche Wettbewerbskonzeption ausarbeiten und durchsetzen usw. Die sich damit stellenden Fragen wurden zusätzlich dadurch kompliziert, daß in vielen Fällen Betriebe zu einem Kombinat zusammengefaßt wurden, die in den Organisationsbereich unterschiedlicher IG/Gew. gehören und in denen dementsprechend unterschiedliche Rahmenkollektivverträge gelten. Bemühungen, die gewerkschaftliche Zuordnung der Kombinatsbetriebe zu vereinheitlichen, sind aufgegeben worden, weil sie offensichtlich nicht „kostenneutral“ zu verwirklichen waren und zudem auch die Interessen der Einzelgewerkschaften berührt wurden. Ebenso sind Überlegungen, den Kombinatsdirektor anstelle der Betriebsleiter in die arbeitsvertraglichen Beziehungen einzusetzen, fallen gelassen worden. Nicht zuletzt die räumliche und sachliche Distanz der Kombinatsebene zum Arbeitsplatz verboten ein solches Vorgehen. Trotzdem ist ein Verlust an Entscheidungsspielraum auf der Ebene des Betriebes zu beobachten, der auch die Möglichkeiten der BGL eingeschränkt hat.
Als gewerkschaftliche Mitwirkungsgremien auf der Ebene des Kombinats wurden zwei Einrichtungen geschaffen: a) das Kollektiv der BGL-Vorsitzenden, b) das Gewerkschaftsaktiv. Dem Kollektiv der BGL-Vorsitzenden gehören die Vorsitzenden aus den wichtigsten Kombinatsbetrieben an. Über die Zusammensetzung entscheiden je nach Struktur und Größe des Kombinats die zuständigen Zentralvorstände der IG/Gew. und der FDGB-Vorstand des Bezirkes, in dem die Kombinatsleitung ihren Sitz hat. Aufgabe dieses Gremiums ist die Koordinierung der laufenden Gewerkschaftsarbeit im Kombinat; es dient im übrigen der Beratung gemeinsamer Aufgaben sowie dem Erfahrungsaustausch.
Das Gewerkschaftsaktiv ist ein zahlenmäßig größeres Gremium, das sich aus den BGL-Vorsitzenden, aber auch aus anderen aktiven Gewerkschaftsfunktionären des Kombinats zusammensetzt. Es tagt in größeren zeitlichen Abständen als das Kollektiv der BGL-Vorsitzenden, das sich vor allem mit aktuellen Fragen befaßt. Demgegenüber soll das Gewerkschaftsaktiv die „grundlegenden Aufgaben der Gewerkschaftsarbeit beraten und beschließen“. Es hat ferner eine Kontrollfunktion gegenüber der Arbeit der einzelnen BGL. Der Generaldirektor des Kombinats gibt seinen Rechenschaftsbericht gegenüber dem Gewerkschaftsaktiv ab. (Das Gewerkschaftsaktiv des Kombinats ist nicht zu verwechseln mit dem sonst üblichen Ausdruck „Gewerkschaftsaktiv“, in dem territorial oder innerhalb eines Betriebes alle aktiven Gewerkschaften zusammengefaßt sind und das Aufgaben wahrnimmt, die im Rahmen des FDGB dem des Parteiaktivs der SED vergleichbar sind.)
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 207–210
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