
Binnenhandel (1985)
I. Grundlagen
Der B. ist derjenige Teil des Handels, der als Hauptträger der Warenzirkulation Produktion und Konsumtion miteinander verbindet und aktiv auf beide einwirkt. In der DDR wird das Hotel- und Gaststättenwesen auch zum B. gerechnet. Die ungenügende ideologische Fundierung des B., dem im Sozialismus nur eine zeitliche Bedeutung zukommt, bis der Kommunismus und damit die Verteilung nach den Bedürfnissen erreicht ist, führte dazu, daß der B. als Instrument der Verteilung der Güter der Abteilung II lange Zeit „Stiefkind des wirtschaftlichen Aufschwungs“ (Honecker) war. Zwar wurden bereits 1953 zur Zeit des Neuen Kurses nach Stalins Tod unter dem damaligen sowjetischen Handelsminister Mikojan, der die bisherige Unterbewertung und Vernachlässigung des B. kritisierte, zögernde Anläufe auch in der DDR gemacht; aber die entscheidende Erkenntnis, daß der Konsumgütermarkt und die Konsumgüterverteilung volkswirtschaftliche Wachstumsfaktoren sind, setzte sich erst während des Neuen Ökonomischen Systems (NÖS) und Ökonomischen Systems des Sozialismus (ÖSS) vor allem nach dem VII. Parteitag der SED 1967 durch.
Eine (vorübergehende) Beschleunigung des Investitionswachstums konnte den großen Nachholbedarf bei Umfang und Ausstattung des Handelsapparates jedoch nur unzureichend abbauen. Jedenfalls reichte sie nicht aus, um die im Fünfjahrplan 1971–1975 geforderten „sichtbaren Veränderungen“ bei der Versorgung der Bevölkerung durch die verschiedenen Handelseinrichtungen zu bewirken. Erst nach dem IX. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) (1976), auf dem deren Generalsekretär Erich Honecker erneut eine Modernisierung der Groß- und Einzelhandelseinrichtungen verlangte und dafür erhöhte Investitionsmittel bewilligt wurden, ließ sich ein gewisser Aufschwung erkennen, der freilich in den folgenden Jahren wieder abflachte. Die Entwicklung der Binnenhandelsinvestitionen in verschiedenen Jahren läßt einige Schlüsse auf die Bedeutung zu, die dem Handel im Rahmen der Gesamtwirtschaft jeweils zuerkannt wurde.
Im laufenden Planjahrfünft muß mit einem weiteren Rückgang der Zuwachsraten gerechnet werden angesichts der angespannten Finanzlage des DDR-Haushalts, der — im Zeitraum 1981–1985 — nur einen sehr eingeschränkten Spielraum für Investitionen frei läßt (Staatshaushalt). In seiner Rede vor dem X. Parteitag der SED im April 1981 erklärte Honecker dann auch „Rationalisierung und Intensivierung“ als „Hauptwege zur Leistungssteigerung“ im sozialistischen Handel, dessen Einrichtungen (Kaufhallen, Kaufhäuser, Warenhäuser) „noch effektiver zu bewirtschaften“ seien.
II. Produktionsmittelhandel
Unter sozialistischem Handel ist im wesentlichen der Handel mit Konsumgütern zu verstehen, unterteilt in Großhandel und Einzelhandel. Der Handel mit Produktionsmitteln spielt dagegen eine eher untergeordnete Rolle und unterliegt eigenen Gesetzen. Er umfaßt denjenigen Teil der Produktionsmittelzirkulation, der nicht im Direktverkehr (Direktbezug), d.h. ohne Zwischenlagerung vom Produzenten zum Bedarfsträger geht. Er ist das Bindeglied zwischen [S. 236]Produktion und produktiver Konsumtion. Sein Anteil an der gesamten Produktionsmittelzirkulation beträgt nur etwa 35 v.H. Die Stellung des Produktionsmittelhandels war aufgrund der marxistisch-leninistischen Theorie längere Zeit umstritten. Noch 1955 galt die sowjetische Auffassung auch in der DDR, daß Produktionsmittel keinen Warencharakter hätten. Unmittelbar nach dem Kriege bildete er jedoch aufgrund des beschränkten Konsumgüterumsatzes den Schwerpunkt im Großhandel.
Seit 1966 sind die (bereits 1958 gegründeten) Staatlichen Kontore den Industrieministerien und dem Ministerium für bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie unterstellt. Ihre Aufgabe ist die „planmäßige Realisierung“ der Lieferung eines Teils der Produktionsmittel an die ihnen nachgeordneten Betriebe des Produktionsmittelhandels. So gibt es z.B. ein dem Ministerium für chemische Industrie zugeordnetes Staatliches Chemiekontor oder ein Staatliches Kontor für Unterrichtsmittel und Schulmöbel, das dem Ministerium für Volksbildung untersteht. Nach der (bisher neuesten) Systematik der Staatsorgane (SDr. Nr. 1078, GBl. vom 20. 8. 1982) gibt es derzeit 11 (vorher 13) Kontore. Ein Zweig des „Produktionsmittelhandels“, dem in Zukunft wohl steigende Bedeutung zukommt, ist die Wiederverwertung von Altrohstoffen aller Art zwecks „Schaffung geschlossener Stoffkreisläufe“ (Recycling). Dieser Aufgabe widmet sich u.a. das dem Ministerium für Materialwirtschaft unterstehende Kombinat SERO (Sekundärrohstoffwirtschaft) als zentrale Erfassungsstelle für die Sammlung von Altstoffen. Zuständig für die Auswertung und Wiederverarbeitung der volkswirtschaftlich wichtigen metallischen Altstoffe ist das Kombinat Metallaufbereitung im Ministerium für Erzbergbau, Metallurgie und Kali.
III. Konsumgüterbinnenhandel
A. Der Großhandel gilt als verselbständigte Handelsstufe und umfaßt heute in erster Linie den Konsumgütergroßhandel, der die Funktion eines Bindegliedes von Produktion und Konsumtion hat. Auf „Vorschlag“ von Ulbricht auf der 1. Parteikonferenz im März 1946 wurden Ende 1946 Handelskontore geschaffen, an denen zu 51 v.H. staatliches und zu 49 v.H. privates Kapital beteiligt war. Ihnen oblag die Fertigwarenbewegung, den gleichzeitig entstandenen Industriekontoren die Rohstoffbewegung.
1948 wurde als Dachorganisation für den Großhandel die Deutsche Handelsgesellschaft (DHG-Berlin) geschaffen, die bereits 1949 in die Deutsche Handelszentrale (DHZ) übergeleitet wurde. Sie unterstand zunächst der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) und später den Fachministerien; neben reinen Verteilungsfunktionen hatte sie auch echte Handelsfunktionen. Die noch im erheblichen Umfange bestehenden privaten Firmen mußten ihre Produktionsmittel über die eigens dafür gegründeten Vertragskontore beziehen. Ihre Handelsspannen waren extrem niedrig (6–15 v.H.) und mußten teilweise mit dem staatlichen Großhandel geteilt werden. Der private landwirtschaftliche Großhandel wurde zunächst auf die Bäuerlichen Handelsgenossenschaften (BHG) verlagert.
1953 wurden die Großhandelskontore gebildet und direkt dem Ministerium für Handel und Versorgung unterstellt.
Im Jahr 1955 war die Sozialisierung des Großhandels als einer „Kommandohöhe der Volkswirtschaft“ (Lenin) weitgehend abgeschlossen, nur noch 10 v.H. des Umsatzes wurden vom privaten und halbstaatlichen Großhandel getätigt. Gegenwärtig beträgt der Anteil rd. 2 v.H. des Umsatzes; die halbstaatlichen Großhandelsbetriebe sind 1972 nicht wie die Mehrzahl der übrigen halbstaatlichen Betriebe in Volkseigentum umgewandelt worden.
Im Jahr 1960 sind die volkseigenen Großhandelskontore mit den konsumgenossenschaftlichen Großhandelsbetrieben zu volkseigenen Großhandelsgesellschaften (GHG) zusammengeschlossen worden (GBl. I, 1960, Nr. 20). Nach Branchengruppen gegliedert, unterstanden sie bis 1968 den Räten der Bezirke bzw. der Kreise. Ebenfalls 1960 wurden als wirtschaftsleitende Organe 6 Zentrale Warenkontore (ZWK) für die Warenversorgung mit Industriewaren und Nahrungsmitteln gegründet. Seit 1968 obliegt ihnen, und nicht mehr den Räten der Bezirke, die Gründung der als GHG organisierten sozialistischen Großhandelsbetriebe.
Gegenwärtig bestehen im sozialistischen Konsumgüter-Großhandel 7 spezialisierte Betriebe, von denen die beiden wichtigsten die für die „Waren des täglichen Bedarfs“ (WtB) sowie für „Obst, Gemüse, Speisekartoffeln“ (OGS) sind. Auf sie entfällt rund die Hälfte der gesamten Umsatzleistung des Großhandels, wobei diese beiden Warengruppen fast doppelt so viele Verkaufseinrichtungen des Einzelhandels zu beliefern haben wie alle anderen Großhandelsbetriebe zusammen. Diese sind spezialisiert auf: Textil- und Kurzwaren, Schuhe und Lederwaren, Haushaltswaren, Technik, Möbel, Kulturwaren, Sportartikel sowie auf Exquisit- und Delikaterzeugnisse.
Die Branchenstruktur der Großhandelsbetriebe ist — im Interesse einer möglichst reibungslosen Plankoordinierung zwischen Produktions-, Groß- und Einzelhandelsbetrieben — im wesentlichen an der Produktionsstruktur der Konsumgüter, am Rhythmus des spezifischen Warenumschlags und an der Gliederung der Verkaufsstellen des Einzelhandels orientiert.
Im sozialistischen Konsumgüter-Großhandel werden rund zwei Drittel des gesamten Warenfonds der DDR umgeschlagen. Das restliche Drittel geht [S. 237]durch verschiedene Spezialeinrichtungen direkt an Großverbraucher (z.B. Interhotels, Warenhäuser, Versorgungsbetriebe) bzw. bei bestimmten, leicht verderblichen Nahrungsmitteln auch direkt an den Einzelhandel.
B. Der Einzelhandel. Amtliche Angaben über Umfang und Struktur des Einzelhandelsumsatzes werden laufend in den Statistischen Jahrbüchern der DDR veröffentlicht. Dagegen erscheinen Informationen über das Einzelhandelsnetz, über Anzahl und Eigentumsform der Verkaufsstellen nur in unregelmäßigen Abständen. Sie werden in speziellen Erhebungen ermittelt. Die letzte derartige Erhebung war 1977. Damals wurden knapp 110.000 Verkaufsstellen aller Art (einschl. der Kioske, Marktstände und Verkaufszüge) gezählt, von denen rd. 82.000 Verkaufsstellen „mit Verkaufsraumfläche“ waren. Seitdem ist die Zahl der Verkaufsstellen — wie schon in den vorangegangenen 20 Jahren — weiter zurückgegangen. Für 1982 wird ein Bestand von 77.169 Verkaufsstellen (mit Verkaufsraumfläche) ausgewiesen (Der Handel, Nr. 6/1982). Der stetige Rückgang der Verkaufsstellenzahl beruht einmal auf den Verlagerungen bei der Eigentumsform der Betriebe (Private geben auf), zum anderen auf Veränderungen der Betriebsgrößenstruktur (kleine Verkaufsstellen werden zusammengelegt, Kaufhallen und Warenhäuser dringen vor).
1. Eigentumsformen. Der fortschreitende Rückgang des privaten Sektors ist — in seiner langfristigen Entwicklung betrachtet — das charakteristische Merkmal der Eigentumsstruktur des DDR-Einzelhandels. Das dokumentiert sich einmal bei der Verkaufsstellenzahl im privaten Bereich, die von 80 v.H. 1952 auf 25 v.H. aller Verkaufsstellen 1982 zurückging, zum anderen, und hier noch viel ausgeprägter, bei der Entwicklung des Warenumsatzes. 1952 erbrachten private Einzelhändler noch gut die Hälfte des gesamten Warenumsatzes, 1982 war ihr Anteil auf 6 v.H. geschrumpft. Dabei ist dieser Prozeß der Entprivatisierung und Sozialisierung des Einzelhandels nicht gleichmäßig, sondern in Schüben verlaufen, ausgelöst vor allem durch diskriminierende steuerliche Maßnahmen, die einen immer größeren Kreis privater Kaufleute zur Aufgabe ihres Betriebes oder zur Änderung ihrer Rechtsform veranlaßten. Auch die unterschiedliche Praxis der Warenzuteilung, bei der anfangs die Konsumgenossenschaften, später noch mehr die Verkaufsstellen der Staatlichen Handelsorganisation (HO) bevorzugt bedacht wurden, haben den Sozialisierungsprozeß beschleunigt. Die HO, die anfangs allein das Recht zum freien Verkauf bewirtschafteter Waren und qualitativ hochwertiger Erzeugnisse hatte, konnte sich schon bald nach ihrer Gründung (Ende 1948) zur führenden Eigentumsform des Einzelhandels entwickeln. HO (volkseigener Handel) und Konsumgenossenschaften, die überwiegend für die Versorgung ländlicher Gebiete zuständig sind (genossenschaftlicher Handel), bilden den „sozialistischen Sektor“ des Einzelhandels, auf den 88 v.H. [S. 238]des Umsatzes entfallen (Stand 1982). Die restlichen 6 v.H. (neben den bereits erwähnten 6 v.H. Umsatzanteil des privaten Einzelhandels) entfallen auf den Kommissionshandel, eine spezielle Rechtsform, die 1956 in der DDR eingeführt worden ist (vgl. Tabelle auf S. 237). Mit dem Abschluß des Kommissionshandelsvertrages verpflichtet sich der Einzelhändler, keine Geschäfte auf eigene Rechnung mehr abzuschließen, womit er praktisch zum Angestellten des staatlichen oder genossenschaftlichen Handels wird, dem er dann allerdings in der Warenbelieferung gleichgestellt ist.
In den letzten Jahren ist eine gewisse Konsolidierung im privaten Handel und Gastgewerbe (einschl. Kommissionsbetriebe) eingetreten. Ursache ist die mit dem IX. Parteitag der SED (1976) eingeleitete [S. 239](begrenzte) Förderungspolitik gegenüber privatwirtschaftlicher Betätigung, die zu einem entsprechenden Beschluß des Ministerrates führte und die vor allem dem Handwerk, in geringerem Maße aber auch dem Einzelhandel und Gaststättenwesen zugute kam. In dem auf diesem Parteitag verabschiedeten neuen Programm der SED fand diese veränderte Politik in folgenden Formulierungen Ausdruck: „Der Kommissions- und private Einzelhandel sind entsprechend den Interessen der sozialistischen Gesellschaft zu fördern … Das private Handwerk wird planmäßig gefördert und in die Lösung der Versorgungsaufgaben einbezogen.“
Zu erwähnen sind noch einige Sonderformen des Versorgungssystems der DDR, die spezifische sozialistische Einzelhandelsbetriebsformen sind:
[S. 240]Im Bereich des volkseigenen Handels existieren neben der HO z.B. der Wismut-Handel zur Versorgung der Beschäftigten der Deutsch-Sowjetischen Wismut-AG (Uranbergbau), der Spezial- und Militärhandel zur Versorgung der sowjetischen Streitkräfte, der Nationalen Volksarmee (NVA) und der Grenztruppen der DDR, die Mitropa (Hotel- und Gaststättenwesen), der Postzeitungsvertrieb, der VEB Kohlehandel, VEB Minol, Intershops, Exquisit- und Delikatläden, Staatliche Apotheken, der Volksbuchhandel (Buchhandel), der Industrievertrieb, Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung sowie seit 1975 der dem Ministerium für Außenhandel (MAH) unterstellte Versorgungsbetrieb VERSINA für die Angehörigen des diplomatischen Corps.
Der genossenschaftliche Einzelhandel umfaßt neben den bestimmenden Konsumgenossenschaften u.a. auch Verkaufseinrichtungen von Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH), gärtnerischen Produktionsgenossenschaften (GPG; Gartenbau) sowie der bäuerlichen Handelsgenossenschaften (BHG; Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe [VdgB]).
2. Betriebsgrößen. Trotz fortschreitender Konzentration überwiegen im Einzelhandelsnetz der DDR noch immer kleine und mittlere Geschäfte, unter denen die hohe Zahl der „Kleinstobjekte“ (das sind Ladengeschäfte mit weniger als 25 qm Verkaufsfläche) erstaunt. Ihr Anteil an den Verkaufsstellen lag 1982 bei 32 v.H. (24.000 von 77.000) gegenüber 37 v.H. im Jahre 1974. Die Durchschnittsgröße der Verkaufsstellen hat jedoch steigende Tendenz (1950 = 32 qm; 1982 = 64 qm) und soll weiter erhöht werden, sowohl durch Zusammenlegung von zwei oder mehreren Kleinbetrieben zu größeren Verkaufseinheiten, als auch durch Neubau von Großobjekten, die seit einigen Jahren immer stärker vordringen. Bei diesen Objekten sind im wesentlichen vier Formen zu unterscheiden:
Kaufhallen (westlichen Supermärkten vergleichbar) haben die weiteste Verbreitung unter den Groß-Vertriebsformen des Einzelhandels. Ihre Zahl liegt mit 1127 (1982) fast viermal höher als 1971 (391). Kaufhallen sollen mindestens 180 qm Verkaufsfläche haben und ein breites Warensortiment aus Nahrungs- und Genußmitteln sowie industriellen Erzeugnissen des Alltagsbedarfs führen. Am Umsatz der Nahrungs- und Genußmittel sind die Kaufhallen gegenwärtig bereits mit 30 v.H., in Berlin mit 50 v.H. beteiligt. Bei der zukünftigen Umgestaltung des Verkaufsstellennetzes soll die Entwicklung der Kaufhallen vorrangige Bedeutung haben.
Kaufhäuser, deren Zahl gegenwärtig mit 330 angegeben wird, haben mindestens 1000 qm Verkaufsfläche. Ihr Angebot ist auf einzelne Branchen spezialisiert (z.B. Bekleidung) oder auf einen bestimmten Käuferkreis abgestimmt („Alles für das Kind“).
Warenhäuser sind die größten Betriebseinheiten im Einzelhandel (Verkaufsfläche mindestens 2.500 qm), die ein universelles Warenangebot führen. Von gegenwärtig 29 Warenhäusern gehören 19 der staatlichen Handelsorganisation HO. Sie tragen einheitlich den Namen „CENTRUM“, während die 10 genossenschaftlichen Warenhäuser „konsument“ heißen. Mit der Namensgleichheit, Einheitskleidung des Personals und Ähnlichkeiten bei der baulichen Gestaltung soll das System der Warenhäuser eine Art Firmencharakter dokumentieren.
Ländliche Einkaufszentren — von denen es gegenwärtig 217 gibt — sind ähnlich konstruiert wie Kaufhallen; sie unterscheiden sich von diesen nur durch die besondere Berücksichtigung des spezifischen Bedarfs der Landbevölkerung.
3. Branchenstruktur. In der Branchenstruktur des Einzelhandels liegen die Verkaufsstellen für Waren des täglichen Bedarfs (überwiegend Nahrungs- und Genußmittel) weit an der Spitze. Auf sie entfallen rund zwei Drittel aller Verkaufsstellen und etwa die Hälfte der Verkaufsfläche. Der Anteil der Fachgeschäfte bewegt sich in den meisten Branchen um 5 v.H., lediglich die Warengruppe „Textilien, Bekleidung, Kurzwaren“ erreicht bei den Verkaufsstellen einen Anteil von knapp 10 v.H.
Der Konzentrationsprozeß hat die einzelnen Branchen allerdings in unterschiedlichem Maße betroffen. Am stärksten war der Rückgang bei den kleinen Gemischtwarenläden, deren Zeit auch in der DDR abläuft. Ein Trend zur Spezialisierung ist unverkennbar. Vor allem konnten die Fachgeschäfte für anspruchsvolle technische Konsumgüter ihren Anteilssatz gegenüber 1960 mehr als verdoppeln — ein Zeichen für den zunehmenden Wohlstand in der DDR.
Speziell auf den Bedarf einer Verbraucherschicht mit überdurchschnittlicher Kaufkraft sind solche Einrichtungen zugeschnitten, die „hochwertige Erzeugnisse“ in repräsentativem Rahmen, „mit einem hohen Niveau der Bedienung und Beratung“ anbieten. Dazu gehören neben den zur Zeit bestehenden 7 Feinkosthäusern die rd. 300 Exquisit- und 550 Delikatläden.
4. Umsatz und Warenstruktur. 1982 erreichte der Einzelhandelsumsatz ein Volumen von 103 Mrd. Mark, rd. das 6fache des Umsatzes von 1950. Damit lag der Zuwachs 1950–1982, bei sehr niedriger Ausgangsbasis, um durchschnittlich 6 v.H. pro Jahr. Der laufende Fünfjahrplan sieht für 1981–1985 eine weitere Expansion des Einzelhandelsumsatzes von insgesamt 20–22 v.H. vor, was einem jahresdurchschnittlichen Wachstum von 3,7 v.H. entspricht — ein Ziel, das allerdings in den beiden ersten Jahren deutlich verfehlt wurde (Zuwachs 1981 = 2,5 v.H., 1982 = 0,5 v.H.).
Eine differenziertere Betrachtung nach Warengruppen läßt erhebliche Strukturveränderungen im Zeit[S. 241]ablauf erkennen. Der Umsatz der Industriewaren stieg (mit jahresdurchschnittlich 7 v.H.) schneller als der der Nahrungs- und Genußmittel (5 v.H.). Innerhalb dieser beiden Hauptgruppen verlagerte sich der Umsatz von Grundnahrungsmitteln (Getreideerzeugnisse, Kartoffeln) zu höherwertigen eiweißreichen Produkten (Fleisch, Milcherzeugnisse) und zu Genußmitteln; bei den Nicht-Nahrungsmitteln konnten vor allem die „sonstigen Industriewaren“ den stärksten Zuwachs verzeichnen. Das sind im wesentlichen dauerhafte Konsumgüter mit teilweise hohem Anschaffungspreis, also nicht Textilien, Bekleidung, Schuhe, auf die 1950 noch die Hälfte des Industriewarenumsatzes entfiel.
Trotz aller den wachsenden Wohlstand signalisierenden Strukturverlagerungen im Einzelhandel ist der Umsatzanteil der Nahrungs- und Genußmittel mit rund 50 v.H. (davon 32 v.H. Nahrungs-, 18 v.H. Genußmittel) noch erstaunlich hoch für eine entwickelte Volkswirtschaft wie die der DDR. Dabei werden die realen Umsatzrelationen durch die Steuer- und Subventionspolitik verschleiert: Nahrungsmittel sind hoch subventioniert, industrielle Konsumgüter dagegen kräftig besteuert. Im realen Warenverbrauch haben demnach die Nahrungsmittel ein noch stärkeres Gewicht als in den Umsatzzahlen zum Ausdruck kommt.
5. Beschäftigte. Die Zahl der Beschäftigten im B. unterliegt nur geringen Schwankungen. Sie liegt, wie schon seit Jahren, bei rund 700.000, von denen etwa 100.000 auf Beschäftigte des Großhandels entfallen.
Ungefähr vier Fünftel der Beschäftigten des B. sind Frauen. Die Altersstruktur der Arbeitskräfte im Handel ist durch einen hohen Anteil der über 45jährigen gekennzeichnet.
Rund drei Viertel der Mitarbeiter gehören zum „Handels- und Verkehrspersonal“ (z. B. Verkäufer, Kellner, Lagerarbeiter), der Rest verteilt sich auf folgende Gruppen: Handelsvorbereitendes Personal (Disponent, Empfangssekretär); Leitungs- und Verwaltungspersonal (Direktor, Justitiar); Betreuungspersonal (Mitarbeiter der Werkküche); Pädagogisches Personal (Ausbilder, Berufsschullehrer); und übriges Personal (Hausmeister, Raumpfleger).
Die betrieblichen Arbeits- und Lebensbedingungen sind im Handel durchweg ungünstiger als in anderen Bereichen. Unter allen Wirtschaftszweigen hat der Handel den niedrigsten Beschäftigtenanteil mit Hochschulabschluß und das geringste Durchschnittseinkommen. Überdurchschnittlich hoch sind dagegen die Zahl der je Arbeitskraft geleisteten Überstunden, der Krankenstand und der Umfang der nicht erfüllten Auflagen für Hygiene, Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutz, für die Einhaltung der Tragenormen für Frauen und Jugendliche (Der Handel, Nr. 4/1981). Das alles erklärt wohl auch die besonders hohe Fluktuation der Arbeitskräfte.
IV. Leitung und Planung
Im System einer zentralisierten staatlichen Planwirtschaft scheint die Planung und Leitung des Handels erheblich schwieriger zu sein als die der anderen [S. 242]großen Wirtschaftsbereiche. Tatsächlich ist der Handel ein „besonders organisationsintensiver Wirtschaftszweig“, der es — speziell im Konsumgütereinzelhandel — mit einer Vielzahl relativ kleiner, territorial breit gestreuter Objekte zu tun hat. Bei der Koordinierung der Arbeit dieser Endverkaufsstellen untereinander, sowie ihrer Beziehungen zu Großhandels- und Produktionsbetrieben können sich die Leitenden Organe der Distributionssphäre kaum auf die Hilfe moderner Technologie stützen. Anders als die industrielle Produktionsplanung, die sich an automatisierten Produktionsprozessen orientieren kann, muß die Planung des Warenumschlags durch das „normative Festlegen einer rationellen Arbeitsteilung, Kombination und Kooperation innerhalb und zwischen Kollektiven mittels verbindlicher Organisationsregelungen“ geschehen. Die Problematik dieser Aufgabe kommt u.a. in den häufigen Änderungen, Erlassen und Ausführungsbestimmungen zur Organisationsstruktur des B. zum Ausdruck, deren Logik und Systematik von Außenstehenden schwer zu durchschauen sind. Das Schaubild über die Organisationsstruktur des Konsumgüter-B., das den für 1982 gültigen Stand wiedergibt, läßt immerhin die Grundzüge der Planungs- und Leitungsstruktur erkennen (s. Schema Organisationsstruktur des Konsumgüterbinnenhandels).
In der vertikalen Gliederung folgt die Leitungsstruktur des Handels der der allgemeinen Verwaltungsstruktur. Oberstes Organ ist das Ministerium für Handel und Versorgung, das freilich seine Direktiven vom Ministerrat der DDR und von der Staatlichen Plankommission (Planung, IV., A.) erhält. Aufgabe des Ministeriums ist es, diese grundlegenden Direktiven in konkrete Arbeitsinhalte zu übertragen und sie dann an die ihnen unterstellten Organe auf Bezirks-, Kreis- und örtlicher Ebene weiterzuleiten.
Die horizontale Gliederung nach Branchen und besonderen Einrichtungen stellt sich als ein etwas verwirrendes Geflecht von Organisationsformen dar, die unter verschiedenen Bezeichnungen firmieren, deren Bedeutung aber wiederum weitgehend davon abhängt, ob sie zentral, d.h. im Republikmaßstab, oder bezirklich orientiert sind. Das entscheidet sich im wesentlichen nach der von ihnen ausgeübten Funktion oder nach der Art des Handelsgutes, das sie vertreiben.
So empfiehlt sich eine bezirksgeleitete Organisation für alle Einzelhandelsverkaufsstellen der HO und der Konsumgenossenschaften wegen ihres begrenzten territorialen Einzugsbereiches. Bei den Warengruppen „Waren täglicher Bedarf“ sowie „Obst, Gemüse, Speisekartoffeln“ sind auch die Großhandelsorgane bezirklich geleitet, weil sie u.a. mit Waren handeln, die nur begrenzt haltbar sind, daher einen schnellen Warenumschlag erfordern, der bezirklich (und örtlich) leichter zu regeln ist als auf Republikebene.
Anders sind die Aufgaben des Großhandels mit Industriewaren, besonders bei dauerhaften Konsumgütern und technischen Erzeugnissen, gelagert. Hier muß der Handel langfristige Lieferverträge mit spezialisierten Industriebetrieben abschließen, für die ein zentral gesteuertes Organ besser geeignet ist. Das gleiche gilt für die Leitung der volkseigenen Warenhäuser „CENTRUM“, der konsumgenossenschaftlichen Warenhäuser „konsument“ und der volkseigenen Vereinigung „Interhotel“.
Die vielschichtige Verflechtung der Handelseinrichtungen untereinander und ihre doppelte Unterstellung (nach Territorial- und Branchenprinzip) führen in der Praxis immer wieder zu Friktionen. Auch scheinen noch Meinungsverschiedenheiten zu bestehen über die optimale Abgrenzung der Kompetenzen zwischen bezirklichen und zentralen Organen.
V. Intensivierung und Rationalisierung
Die Planung der mittel- und langfristigen Entwicklung des Handels geht von folgenden Prämissen aus: Das Umsatzvolumen wird bis 1985 auf rd. 120 Mrd. Mark, bis 1995 „nach den gegenwärtigen Vorstellungen“ auf rd. 155–165 Mrd. Mark steigen — bei vorrangigem Wachstum des Industriewarenumsatzes. Das Umsatzplus soll von einer „etwa gleichbleibenden Arbeitskräftezahl“ bei nur geringfügig (bis 1995 um 4 v.H.) erweiterter Verkaufsraumfläche erbracht werden. Intensivierung und Rationalisierung der Arbeitsprozesse sollen diesen quantitativen Fortschritt ermöglichen, u.a. durch: stärkere räumliche Konzentration des Angebots (Kaufhallen und Warenhäuser), Modernisierung der Verkaufsformen (Selbstbedienung, Warenautomaten), bessere Anpassung des Warenangebots an die Nachfrage (Qualität und Sortiment) bei kontinuierlicher Belieferung der Verkaufsstellen.
Die materiellen Forderungen (nach räumlicher Konzentration und Modernisierung des Apparates) dürften wesentlich leichter zu erfüllen sein als die nach der kontinuierlichen Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots. Zumal diese Problematik sich mit zunehmendem Wohlstand ständig verschärft: Mit wachsender Sättigung des Grundbedarfs und bei erheblicher Erweiterung der Pro-Kopf-Ausstattung mit Kleidung, Schuhen und technischen Hausgeräten ändert sich das Kaufverhalten der Verbraucher. Es orientiert sich stärker an qualitativen Merkmalen, reagiert sensibler auf modische Trends und Veränderungen des Angebots. Beabsichtigte Anschaffungen werden so lange hinausgezögert, bis der Markt die Güter anbietet, die den Vorstellungen der Kunden entsprechen. Dabei kann es, angesichts der hohen Kaufkraftreserven, zu „plötzlicher Nachfragekonzentration“ kommen, während gleichzeitig unverkäufliche, weil unattraktive Waren die Regale und Lager verstopfen. Eine Behebung dieses Mißstandes wird von einer besseren Kooperation der [S. 243]Handelseinrichtungen „auf allen Ebenen“ erwartet. Insbesondere der Großhandel in seiner Eigenschaft als Mittler zwischen Produktion und Absatz ist aufgerufen, Bedarfsplanung und Marktforschung (Markt und Marktforschung) zu intensivieren und die Kooperation mit dem Einzelhandel, der Konsumgüterindustrie sowie der Land- und Nahrungsgüterwirtschaft zu vertiefen. Dabei soll er sich der Vorteile bedienen, die von dem gegenwärtigen Konzentrationsprozeß, dem Zusammenschluß mehrerer Betriebe zu großen Kombinaten, erwartet werden (Betriebsformen und Kooperation). Dieser in der Industrie schon weit fortgeschrittenen organisatorischen Umwandlung soll sich auch der Handel anpassen. Mit der Kombinatsbildung im Großhandel WtB wurde der Prozeß eingeleitet. Er soll die Übernahme des technischen Fortschritts beschleunigen, und — mehr als bisher — eine „wirksame Arbeitsteilung durch Spezialisierung, Zentralisation und Kooperation“ gewährleisten.
(Maria Haendcke-Hoppe) / Maria Elisabeth Ruban
Literaturangaben
- Sozialistische Betriebswirtschaft im Binnenhandel. Fachschullehrbuch. Berlin (Ost): Die Wirtschaft 1982.
- Haendcke-Hoppe, M.: Zur Situation im Binnenhandel der DDR, in: FS-Analyse Nr. 2/1977. Berlin: Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen 1977.
- Haendcke-Hoppe, M.: Privatwirtschaft in der DDR. Geschichte — Struktur — Bedeutung. FS-Analyse Nr. 1/1982. Berlin: Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen 1982.
- Ruban, M. E.: Der Einzelhandel der DDR, in: DDR und Osteuropa. Wirtschaftssystem, Wirtschaftspolitik, Lebensstandard. Ein Handbuch. Opladen: Leske u. Budrich 1981.
- Ruban, M. E., u. H. Vortmann: Rationalisierung im Einzelhandel der DDR, in: Strukturen des Einzelhandels. Lübeck: Industrie- und Handelskammer zu Lübeck 1975. (Ostseejahrbuch der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck.)
- Verkaufseinrichtungen im Einzelhandel. Autorenkollektiv u. Ltg. v. Karl Lein. 3. Aufl., unveränd. Nachdruck der 2., überarb. Aufl. Berlin (Ost): Die Wirtschaft 1979.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 235–243