Familie (1985)
I. Offizielles Leitbild
Das 1965 verabschiedete Familiengesetzbuch (FGB) soll laut Präambel allen Bürgern helfen, „ihr Fami[S. 371]lienleben bewußt zu gestalten“ (Familienrecht). Rechtliche Regelungen und Postulate zielen auf einen F.-Typ, für den individuelle und gesellschaftliche Interessen zusammenfallen sollen (Widerspruch). Als Voraussetzungen sind die „sozialistische Entwicklung“ in der DDR und die daraus resultierende „gleichberechtigte Stellung der Frau auf allen Gebieten des Lebens“ vorgegeben. Darauf aufbauend entwickelt das FGB ein Leitbild, das in Definition und Wertung sowohl der Ehe als auch der elterlichen Erziehung über alle früheren offiziellen Aussagen zu dieser Thematik hinausgeht und die dem Recht zugewiesene Disziplinierungsfunktion deutlich macht. In einer „auf gegenseitiger Liebe, Achtung und Treue, auf Verständnis und Vertrauen und uneigennütziger Hilfe füreinander“ beruhenden Gemeinschaft sollen die Ehegatten ihre Beziehungen zueinander so gestalten, „daß beide das Recht auf Entfaltung ihrer Fähigkeiten zum eigenen und gesellschaftlichen Nutzen voll wahrnehmen können“. Die Möglichkeit einer funktionalen Aufgabenteilung — im Sinne der Beschränkung eines Partners auf häusliche Pflichten — wird zwar vom Gesetz nicht ausgeschlossen, gilt aber als unerwünschte Übergangserscheinung. Prinzipiell geht man davon aus, daß beide Ehepartner berufstätig und darüber hinaus gesellschaftlich bzw. politisch aktiv sind. Ihre Kinder sollen sie „in vertrauensvollem Zusammenwirken mit staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen zu gesunden und lebensfrohen, tüchtigen und allseitig gebildeten Menschen, zu Erbauern des Sozialismus“ erziehen (Elternhaus und Schule). Die F. wird als „Grundkollektiv“ verstanden, dessen organische Verbindung mit anderen Kollektiven (im Haus, in der Schule, am Arbeitsplatz, im öffentlichen Leben) einen „Gleichklang von gesellschaftlichen Erfordernissen und grundlegenden persönlichen Interessen“ schafft.
II. Entwicklung bis 1966
Ausgesprochen familienfeindliche Tendenzen hat es in der DDR niemals gegeben. Dagegen könnte man — vor allem bis zum Ende der 50er Jahre — von einer gewissen „Vernachlässigung“ der F. sprechen. Da sie im Gegensatz zu anderen Institutionen einer Kontrolle durch die SED kaum zugänglich war, galt sie als retardierendes, zumindest aber unsicheres Moment im Prozeß der „sozialistischen Bewußtseinsbildung“. Die Ausrichtung auf ein neues F.-Modell vollzog sich in diesen Jahren eher indirekt — hauptsächlich durch Distanzierung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. Dort stand gerade dieser Zeitraum im Zeichen der „Mutterideologie“. Herrschende Lehre und Rechtspraxis der DDR waren damals in erster Linie von der rigorosen Ablehnung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bestimmt. So stand bald fest, was man nicht wollte (z.B. Funktionsteilung in der Ehe, Unterhaltsanspruch nach einer Scheidung), während die Entwicklung eines sozialistischen F.-Verständnisses zumeist über wenig präzise Ansätze nicht hinauskam. Zwar wurde bereits 1954 ein erster Entwurf für ein Familiengesetzbuch vorgelegt; er trat jedoch nie in Kraft. Die damalige Justizministerin Hilde Benjamin begründete sein Scheitern mit der noch nicht voll verwirklichten Sozialisierung der Wirtschaft und dadurch bedingten Hemmnissen bei der Durchsetzung des Gleichberechtigungsprinzips.
In der marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie gilt die Erwerbsarbeit der Frau als wesentliche Grundlage für ihre Gleichberechtigung und „eine höhere Form der Familie und des Verhältnisses beider Geschlechter“ (Marxismus-Leninismus). Von daher schien es geboten, die Integration der weiblichen Bevölkerung in den Arbeitsprozeß zunächst zu einem vorläufigen Abschluß zu bringen und erst dann ein neues F.-Leitbild zu entwerfen. Folgerichtig trat vor dem FGB eine Fülle von Gesetzen und Verordnungen in Kraft, die auf die berufliche Gleichstellung der Frauen abzielten. Sie waren von ideologischen „Aufklärungsaktionen“ begleitet. Neben dem Recht der Frau auf volle Entfaltung ihrer Fähigkeiten und Talente wurde zunehmend auch die positive Auswirkung ihrer Berufsarbeit auf die innerfamiliären Beziehungen einerseits sowie auf das Verhältnis zwischen F. und Gesellschaft andererseits propagiert. Walter Ulbricht betonte vor dem V. Parteitag der SED 1958, daß sich die Umerziehung der Menschen zur bewußten Beachtung und Anerkennung sozialistischer Verhaltensweisen am klarsten und eindeutigsten im Arbeitskollektiv vollziehe und somit die Arbeitsmoral auch die wichtigste Quelle der F.-Moral sei (Kollektiv).
1963 verkündete die SED auf ihrem VI. Parteitag den „Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse“ und beschloß auf dieser Grundlage den Ausbau und die Vervollkommnung der juristischen Normen für das „gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen“. Die mit der Ausarbeitung eines FGB beauftragte Kommission war sich der Schwierigkeiten bewußt, die in dem Mangel an fundierten familiensoziologischen Erkenntnissen gründeten. Die wenigen vorliegenden Daten gaben Grund zu der Annahme, daß für ein Großteil aller F. noch immer das tradierte „patriarchalische“ Leitbild maßgebend war. Diese Haltung versuchte man in einer großangelegten Propagandaaktion zu korrigieren. Der im April 1965 vorgelegte neue Entwurf eines FGB war in den folgenden Monaten Gegenstand einer Fülle von erläuternden Darstellungen und Kommentaren in den Massenmedien sowie Anlaß für über 30.000 Veranstaltungen, deren Teilnehmer fast 24.000 Stellungnahmen zu dem Gesetz abgegeben haben sollen (Gesetzgebung). Nichtsdestoweniger hielt man gewisse Zugeständnisse an überlieferte Verhaltens[S. 372]muster für angezeigt. Im ersten FGB-Kommentar des Justizministeriums (1966) wurde die Beschränkung auf Hausarbeit und Kindererziehung „als Form der Beteiligung am Familienaufwand“ ausdrücklich „gesellschaftlich“ anerkannt. Die dem zugrunde liegende Norm des FGB ist zwar weiterhin geltendes Recht, doch wäre eine offizielle Billigung der „Hausfrauenehe“ heute in der DDR unvorstellbar. Vermutlich zielte sie auf eine breite Identifizierungsbereitschaft ab, um auf dieser Basis eine allgemeine Bewußtseinsänderung in Richtung des Modells einzuleiten. Diese Taktik wurde allerdings schon bald wieder aufgegeben. An ihre Stelle trat die totale Anpassung der „sozialistischen Familienmoral“ an gesellschaftspolitische Leitlinien. Die Propaganda konzentrierte sich zunehmend auf bestimmte Schwerpunkte. Dabei wurden und werden die in erster Linie gesellschaftsbezogenen Forderungen an den einzelnen weitaus kategorischer eingeklagt als diejenigen Regelungen des FGB, die primär den innerfamiliären Raum betreffen. Mit anderen Worten: Ob Mann und Frau zu Hause Gleichberechtigung praktizieren, ist so lange von untergeordneter Bedeutung, wie beide nach außen hin „funktionieren“. Während der Appell zur häuslichen Arbeitsteilung mehr und mehr zur verbalen Pflichtübung wurde, sehen sich die Frauen in der DDR immer drängender formulierten Ansprüchen gegenüber, ohne daß die Grenzen der individuellen Belastbarkeit die erforderliche Beachtung finden. Das rührt z.T. auch daher, daß ein wesentlicher ursprünglicher Bestandteil des sozialistischen Emanzipationsmodells bisher weder in der DDR noch in einem anderen osteuropäischen Land gegeben ist. Die Klassiker des Marxismus-Leninismus waren davon ausgegangen, daß die Einbeziehung der Frauen in den Produktionsprozeß parallel zu ihrer weitgehenden Entlastung von häuslichen Pflichten verlaufen müßte. Die Hausarbeit sollte industrialisiert, die Kindererziehung „vergemeinschaftet“ werden. Die damit intendierte Auflösung der Klein-F. ist jedoch weder vollzogen noch beabsichtigt. Statt dessen gilt der Grundsatz, es müsse den Frauen ermöglicht bzw. erleichtert werden, familiale, berufliche und gesellschaftliche Pflichten miteinander in Einklang zu bringen. Doch selbst bei optimaler öffentlicher Hilfe — durch vermehrte Einrichtung von Kinderkrippen, Kindergärten und Schulhorten (Einheitliches sozialistisches Bildungssystem) und Dienstleistungsbetrieben — werden durch diesen Anspruch unter den gegebenen Umständen viele Frauen ständig überfordert. Die behauptete Übereinstimmung von Gleichberechtigung und -verpflichtung trifft nur bei Ledigen oder allenfalls noch bei kinderlosen Ehepaaren zu. Erwerbstätige Mütter dagegen sind im Normalfall erheblich stärker belastet als Familienväter, weil sie ca. 70 v.H. aller häuslichen Arbeiten allein verrichten (Zur gesellschaftlichen Stellung der Frau in der DDR, Leipzig 1978, S. 102).
III. „Widersprüche“ zwischen familienpolitischer Zielsetzung und individuellem Verhalten
Publikationen zur F.-Entwicklung in der DDR heben seit Anfang der 70er Jahre — neben der hohen Zahl von Ehescheidungen — übereinstimmend 2 „Widersprüche“ zwischen „gesamtgesellschaftlichem Interesse“ und realem Verhalten hervor, die es zu überwinden gelte:
1. die verbreitete Teilzeitarbeit verheirateter Frauen;
2. die niedrige Geburtenrate (Bevölkerung).
Für diese Widersprüche lassen sich in doppelter Hinsicht gemeinsame Bezugspunkte finden:
1. Sowohl die Teilzeitbeschäftigung als auch der Verzicht auf mehrere Kinder können Ausdruck dafür sein, daß familiale und berufliche Anforderungen anders nicht zu vereinbaren sind.
2. Beide Erscheinungen stehen mit dem Mangel an Arbeitskräften in einem direkten Zusammenhang. Einmal stellen angesichts der hohen weiblichen Beschäftigungsquote (88 v.H. aller Frauen im arbeitsfähigen Alter sind erwerbstätig oder befinden sich in der Ausbildung [Bericht des Bundesvorstandes des DFD an den XI. Bundeskongreß, ND 5. 3. 1982]) die verkürzt tätigen Frauen (ca. 30 v.H.) neben den Rentnern (Altenpolitik) faktisch die letzte nennenswerte Reserve am Arbeitsmarkt. Zum anderen wird eine fortdauernde Disproportion in der Altersstruktur und dementsprechend in der Relation zwischen erwerbs- und nichterwerbsfähiger Bevölkerung durch zu niedrige Geburtenraten bereits vorprogrammiert.
Die starke Zunahme der Teilzeitarbeit wie der rapide Rückgang der Geburten traten erst nach der Verabschiedung des FGB ein. Die dort formulierte Zielvorstellung wurde der neuen Entwicklung entsprechend konkretisiert, wie aus dem 1972 erschienenen Lehrbuch des Familienrechts exemplarisch hervorgeht: „Worauf es ankommt, ist, daß die Frau den wachsenden Erwartungen und Anforderungen beider Lebensbereiche gemäß ihr Leben gestalten kann, daß sie nicht in dem einen Bereich (z.B. durch Ausweichen auf Teilbeschäftigung oder die Ablehnung verantwortungsvollerer Funktionen, durch den Verzicht auf mehrere Kinder oder auch auf die Ehe) gravierende Zugeständnisse zugunsten des anderen Bereichs für notwendig oder unabänderlich erachtet.“
Dieses — im Vergleich zum FGB — erweiterte und anspruchsvollere Leitbild zielt auf eine optimale Harmonisierung von ökonomischer und materneller Funktion der Frau ab. Obwohl das Ausmaß der wechselseitigen Abhängigkeit beider Faktoren bisher nur unzulänglich erforscht ist, lassen die vorliegenden Daten auf enge Beziehungen schließen.[S. 373]
IV. Familienförderung
Seit Ende der 60er Jahre findet die F. in Politik und Wissenschaft der DDR zunehmende Beachtung. Die Anzahl einschlägiger Publikationen ist deutlich gestiegen. Das Recht auf Förderung der F. wurde 1968 in die Verf. aufgenommen (Art. 38,1) und im SED-Programm von 1976 bekräftigt („Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands widmet der Förderung der Familie, der Fürsorge für Mutter und Kind sowie der Unterstützung kinderreicher Familien und junger Ehen große Aufmerksamkeit“). 1972 begann der gezielte Einsatz sozialpolitischer Maßnahmen — z.B. Erhöhung der Geburten- und Kinderbeihilfen, Verlängerung des Schwangerschaftsurlaubs (Mutterschutz/Förderung von Mutter und Kind), Einführung des bezahlten Babyjahres vom 2. Kind an, Arbeitszeitverkürzung und Urlaubsverlängerung für Mütter mehrerer Kinder, besondere Unterstützung alleinstehender Mütter (Frauen). Außerdem werden Ausbildungsbeihilfen für Schüler der EOS (Einheitliches sozialistisches Bildungssystem) sowie Grundstipendien für Studenten (Ausbildungsförderung) gewährt. Zusätzlich kann weiterhin für jedes Kind bis zur Beendigung der Ausbildung ein Steuerfreibetrag geltend gemacht werden.
Eheleute unter 26 Jahren haben Anspruch auf zinslose staatliche Kredite bis zu einer Gesamthöhe von 10.000 Mark, die zweckgebunden verwendet werden müssen. Innerhalb der 8jährigen Tilgungsfrist werden bei der Geburt des 1. Kindes 1000 Mark erlassen, beim 2. Kind 1500 Mark, beim 3. Kind 2.500 Mark.
Die besondere Unterstützung kinderreicher F. (Eltern mit 4 und mehr, Alleinstehende mit 3 und mehr Kindern) ist in der DDR seit 1975 gesetzlich vorgeschrieben. Diese Regelung von 1975 umfaßt u.a.
- Hilfe bei der Wohnungsbeschaffung;
- Mietzuschüsse (abhängig von der Höhe des Einkommens);
- Zuwendungen „zum Erwerb von Kinderbekleidung, Betten und anderen Möbeln, Bettwäsche, Brennstoffen und sonstigen Gegenständen sowie bei besonders hohem Aufwand für Gas- und Stromverbrauch, für Umzugskosten, anläßlich der Einschulung, der Teilnahme am Kinderferienlager und der Jugendweihe“ (abhängig vom Einkommen);
- verbilligte Dienstleistungen;
- Bevorzugung bei der Vergabe von Ferienplätzen. Partielle Erfolge zeichneten sich ab.
Zwischen 1974 und 1980 erhöhte sich die Geburtenrate um rd. 37 v.H., 1981/82 war sie allerdings wieder leicht rückläufig. Nach Berechnungen von Demographen werden noch immer zuwenig zweite und dritte Kinder geboren. Neuere Erhebungen bestätigen, daß Frauen vielfach die Belastungen fürchten, die sich aus Berufsarbeit und Mehrkinderhaushalt ergeben. Auch beengte Wohnverhältnisse und mögliche Einbußen im Lebensstandard werden häufig als Grund für den Verzicht auf mehrere Kinder genannt. Fachpublikationen propagieren seit Jahren die 3-Kinder-F. als gesellschaftliche Norm. Entsprechende sozialpol. Maßnahmen traten am 1. 6. 1984 in Kraft: u.a. Verlängerung des bezahlten Babyjahrs auf 18 Monate vom 3. Kind an; bezahlte Freistellung zur Pflege erkrankter Kinder; vorrangige Versorgung mit größeren Wohnungen.
Der Trend zur Teilzeitarbeit konnte mit den erwähnten sozialpolitischen Maßnahmen bislang nicht umgekehrt werden. Ein Mitte der siebziger Jahre konstatiertes „verbreitetes Leitbild in Gestalt der Teilzeitbeschäftigung der Frau“ (Neue Justiz 1975, S. 501) dürfte im wesentlichen weiterhin zutreffen. Die bei Befragungen angegebenen Gründe — in erster Linie Überlastung durch häusliche Pflichten — werden von Soziologen als vielfach nicht stichhaltig bewertet. Um möglichst viele Frauen für eine Vollbeschäftigung zu gewinnen, werden die Betriebe „auf eine planmäßige Kaderarbeit mit den Teilzeitarbeitenden orientiert“ (Zur gesellschaftlichen Stellung der Frau in der DDR, Leipzig 1978, S. 125). Zusammenfassend ist festzuhalten, daß sich die F.-Politik der SED sowohl theoretisch als auch praktisch in erster Linie an die Frauen wendet. Doch durch das Einräumen von Sonderkonditionen werden die überkommenen Verhaltensmuster verfestigt. Anregungen, bestimmte Erleichterungen alternativ für Mütter oder Väter anzubieten und damit einen Beitrag zur Überwindung von Rollenklischees zu leisten, konnten sich nicht durchsetzen. Folgt man der Ostberliner Familienrechtlerin Anita Grandke, so ist damit auf absehbare Zeit auch nicht zu rechnen: „Solange die Frauen den Hauptteil der familiären Belastungen tragen und solange das eine gesellschaftliche Erscheinung — also nicht nur Einzelfall — ist, solange muß die Familienförderung dem Rechnung tragen, und sie kann bestimmte Leistungen der Gesellschaft — wie die Verkürzung der gesetzlichen Arbeitszeit — im Interesse der Familie von vornherein an die Frauen adressieren.“ (Familienförderung als gesellschaftliche und staatliche Aufgabe, Berlin [Ost] 1981)
V. Familienerziehung
Beiträge in Massenmedien und Fachzeitschriften, insbesondere aber auch in Lehrbüchern für Pädagogen, Soziologen und Psychologen machen deutlich, daß den erzieherischen Möglichkeiten der F. neuerdings ein höherer Stellenwert beigemessen wird. Die im Lauf der 60er Jahre eher zögernd anerkannte Basisfunktion der elterlichen Erziehung wird inzwischen zunehmend betont. Die Vermittlung von gesellschaftlichen Normen durch die F. gilt jetzt als eine „wesentliche Bedingung für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes“ (Wörterbuch der Psy[S. 374]chologie, Leipzig 1976, S. 172). Elternhaus und Schule, Freie Deutsche Jugend (FDJ) und F. sollen sich im Erziehungsprozeß gegenseitig ergänzen, wobei der F. — insbesondere im Bereich der Charakterbildung — Aufgaben zugeordnet werden, „die durch andere Erziehungsträger nur zum Teil oder gar nicht ersetzt werden können“ (ebd.).
Maßgeblich für diese Einschätzung waren zahlreiche Untersuchungen, die einen direkten Zusammenhang zwischen Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern bzw. Jugendlichen und gestörten F.-Beziehungen nachgewiesen haben. Lange Zeit war man in der DDR offenbar davon ausgegangen, daß sich die F. spontan im Sinne des offiziellen Leitbildes entwickeln würde. Inzwischen wird diese Entwicklung, sehr viel realistischer, als „konfliktreicher Prozeß“ (Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie, 2., erw. Aufl., Berlin [Ost] 1977, S. 179) verstanden, den man nicht dem Selbstlauf überlassen, sondern durch gezielte Beeinflussung steuern will.
Gisela Helwig
Literaturangaben
- Zur politischen und moralischen Erziehung in der Familie. Hrsgg. von der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Berlin (Ost): Volk u. Wissen 1978.
- Wie emanzipiert sind die Frauen in der DDR? Beruf — Bildung — Familie. Hrsgg. von Herta Kuhrig u. Wulfram Speigner. Lizenzausg. Leipzig. Köln: Pahl-Rugenstein 1979. (Kleine Bibliothek Politik, Wissenschaft, Zukunft. 171.)
- Grandke, Anita: Familienförderung als gesellschaftliche und staatliche Aufgabe. Berlin (Ost): Staatsverl. d. DDR 1981.
- Helwig, Gisela: Frau und Familie in beiden deutschen Staaten. Köln: Wissenschaft u. Politik 1982.
- Hille, Barbara: Familie und Sozialisation in der DDR. Opladen: Westdeutscher Verl. 1984.
- Wenik, Elisabeth: Schutz und Förderung von Ehe und Familie. Berlin (Ost): Tribüne 1979.
- Werner, Reiner: Problemfamilien — Familienprobleme. Berlin (Ost): Deutscher Verl. d. Wissenschaften 1980.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 370–374