DDR von A-Z, Band 1985

Friedliche Koexistenz (1985)

 

 

Siehe auch:


 

Auf Lenin zurückgeführter, erstmals von Stalin verwendeter und von dessen Nachfolgern in der UdSSR seit dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) 1956 zum „Grundprinzip sozialistischer Außenpolitik“ erhobener Grundsatz für „friedliches Nebeneinander und Zusammenarbeit von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen in der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus“.

 

FK. bedeutet sowohl Konfrontation als auch Kooperation. FK. als verbindliche außenpolitische Richtschnur aller sozialistischen Staaten sowjetischen Typs für deren Verhalten gegenüber den bürgerlichen Staaten gilt sowohl als „wichtige Form des Klassenkampfes“ wie auch als „Prinzip der Zusammenarbeit auf zwischenstaatlicher Ebene“. Insbesondere schließt FK. die ideologische Koexistenz aus: „Auf dem Gebiet der Ideologie jedoch kann es keine Kompromisse, keine Vermischung von sozialistischer und bürgerlicher Ideologie geben. Daher schließt die Politik der FK. die ideologische Auseinandersetzung ein.“ „Im Interesse der Bewahrung des Weltfriedens und der Gewährleistung der internationalen Sicherheit“ sollen im übrigen „die Beziehungen der Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung auf der Grundlage der Anerkennung ihrer souveränen Gleichheit und territorialen Integrität, der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, der Unverletzlichkeit der Grenzen, der Entwicklung der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil, der friedlichen Streitbeilegung und auf der Grundlage anderer demokratischer Prinzipien und Normen geregelt und gestaltet werden“ (Wörterbuch der Außenpolitik und des Völkerrechts, Berlin [Ost] 1980. S. 201 ff.).

 

Entsprechend der These des Marxismus-Leninismus, nach der sich gegenwärtig weltweit der „Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus“ vollziehe, ist mit der FK. auch keineswegs die Festschreibung der gegenwärtigen Machtverhältnisse im internationalen Feld verbunden. Erich Honecker sagte dazu auf dem IX. Parteitag der SED (1976): „Friedliche Koexistenz bedeutet … niemals Klassenfrieden zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten. Friedliche Koexistenz bedeutet weder die Aufrechterhaltung des sozialökonomischen Status quo noch eine ideologische Koexistenz.“ Der Politik der FK. liegt die Beurteilung zugrunde, „daß der Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung, die Entfaltung des revolutionären Weltprozesses in seiner Gesamtheit durch die Bewahrung des Friedens und die Gewährleistung der internationalen Sicherheit die günstigsten internationalen Bedingungen erhält“ (a.a.O., S. 202). Die FK. soll demnach günstige Voraussetzungen für den Sieg der sozialistischen Revolution auch in den nichtsozialistischen Ländern schaffen.

 

Als Ausdruck einer auf FK. gerichteten Außenpolitik gelten u.a. die Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit der UdSSR, mit Polen, mit der ČSSR und der DDR, das Viermächte-Abkommen über Berlin sowie die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki 1975.

 

Die Doppelgesichtigkeit des Begriffs FK., der sowohl Elemente der Konfrontation als auch der Kooperation enthält, macht es möglich, entsprechend der jeweiligen internationalen Situation und der für ihre Bewältigung notwendigen Strategie und Taktik den einen oder anderen Aspekt in der politischen Auseinandersetzung stärker zu betonen oder herunterzustufen. Die Vieldeutigkeit des Begriffs FK. eröffnet demnach die Möglichkeit, [S. 483]ihn jeweils neu auszudeuten; nicht zuletzt in diesem Umstand liegt sein Nutzen. In den 70er Jahren erfuhr der Kooperationsaspekt der FK. im sozialistischen Lager eine Aufwertung. Ob und inwieweit sich dieser für die internationale Entspannung bedeutsame Trend aufrechterhalten läßt, hängt nicht zuletzt von der Entwicklung der angesichts der Konflikte in Afghanistan, Polen, Nah- und Mittelost generell und der beiderseitigen Rüstungsanstrengungen schwierig gewordenen Beziehungen zwischen Ost und West ab. Abrüstung; Deutschlandpolitik der SED.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 482–483


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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