DDR von A-Z, Band 1985

Genossenschaften (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979


 

Formal sind G. unabhängig vom Wirtschaftssystem freiwillige Zusammenschlüsse zur Erreichung eines wirtschaftlichen Zweckes. Ihre ordnungsspezifische Funktion hat sich in der DDR jedoch völlig gewandelt. Bereits von Marx wurden die Möglichkeiten der traditionellen G. zur Überwindung des Kapitalismus angezweifelt und aufgrund ihrer privatwirtschaftlichen Eigentumsform — auch als Gruppeneigentum — abgelehnt. Im Rahmen des „Leninschen Genossenschaftsplans“ wurde den G. unter bestimmten Voraussetzungen eine positive Rolle zugedacht: Die „Verfügungsgewalt des Staates über alle großen Produktionsmittel“ in Verbindung mit einem „genügend tiefen und breiten genossenschaftlichen Zusammenschluß“ wurde als notwendig und hinreichend zur Errichtung der sozialistischen Gesellschaft erachtet. Über „niedere“ Formen der G. auf den Gebieten des Absatzes, des Einkaufs, des Kredites sollte allmählich die Bildung von Produktions-G. (PG) erreicht werden.

 

Die Lehre Lenins bildete die Basis für die G.-Politik in der DDR. In ihrer Durchführung orientierte sie sich dabei zunächst an der von Stalin auf dem XV. Parteitag der KPdSU 1927 proklamierten G.-Politik, in deren Verlauf das gesamte G.-Wesen umstrukturiert wurde und straff gelenkte Kollektivbetriebe in Landwirtschaft, Handel und Gewerbe entstanden, die sich nur noch durch den Grad der Vergesellschaftung von Staatsbetrieben unterschieden. Diese Kollektive sind Träger der zweiten Form des sozialistischen Eigentums : in der DDR wird es lt. Art. 10 der Verfassung als „genossenschaftliches Gemeineigentum werktätiger Kollektive“ definiert.

 

Mit dieser Formulierung kommt zum Ausdruck, daß das genossenschaftliche Eigentum kein isoliertes Gruppeneigentum mehr ist, sondern ebenfalls als eine Form des sozialistischen Eigentums angesehen wird.

 

1945/46 nahmen aufgrund von SMAD-Befehlen die Handels- und Kredit-G. ihre Tätigkeit wieder auf. Sie übernahmen teilweise Kreditfunktionen der geschlossenen Banken. Handelsfunktionen des privaten Großhandels und Zuteilungsfunktionen, wie die ländlichen Genossenschaften (Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe [VdgB]) und die Einkaufs- und Liefer-G. (ELG) des Handwerks (IV. 4.). Im Rahmen der 1948 einsetzenden zentralen Planung erfüllten sie organisatorische Aufgaben, wie Planaufschlüsselung, Produktionsmittelversorgung und zentrale Auftragserteilung, wodurch eine Mitgliedschaft bei den G. weitgehend obligatorisch wurde. Nach 1952 hatten sie die sozialistische Umgestaltung, insbesondere in Landwirtschaft und Handwerk, zu unterstützen, d.h. die Bildung von sozialistischen landwirtschaftlichen PG (LPG) und PG des Handwerks (PGH) als geeignetsten Weg zum Sozialismus für Bauern, Kleingewerbetreibende und Handwerker zu propagieren. Obwohl die sozialistischen PG auf der Basis freiwilliger Zusammenschlüsse entstehen sollten, mußten die erheblichen Widerstände vor allem von Bauern und Handwerkern in den 50er Jahren sowohl mittels wirtschaftlicher Anreize wie steuerlicher Vergünstigungen, bevorzugter Materialzuteilung und billiger Kredite beseitigt als auch durch politischen und psychologischen Druck (Zwangskollektivierung) gebrochen werden.

 

In den neuen sozialistischen PG gingen die Nachkriegs-G. weitgehend auf. Bedeutung haben bis in die Gegenwart nur noch die nichtsozialistischen ELG für das private Handwerk.

 

Im Unterschied zu den traditionellen Produktiv-G. dienen die sozialistischen PG der Beseitigung der Selbständigkeit des einzelnen. Die Dispositionsbefugnis bzw. das Eigentum an Produktionsmitteln gingen entsprechend dem Grad der Vergesellschaftung (3 Typen bei den LPG und 2 Stufen bei den PGH) auf das Kollektiv über. Durch die Einbeziehung in die Planung, die gemeinsame Arbeit und den Sozialstatus als gleichberechtigte Mitglieder (unabhängig von ihrer früheren Stellung) haben sich die kleinen Warenproduzenten von Privateigentümern zu sozialistischen Werktätigen zu entwickeln.

 

Im Gegensatz zu anderen europäischen kommunistischen Ländern, mit Ausnahme der UdSSR, gibt es in der DDR keine industriell produzierenden G. mehr. Sie wurden 1972 in VEB umgewandelt. Die anfänglichen Vergünstigungen zur Bildung von PG sind weitgehend beseitigt worden. Auch die Sonderstellung hinsichtlich der Vergütung, der kollektiven Leitung und der Fondswirtschaft wird zunehmend beseitigt. So dienen die neuen Musterstatuten der PGH von 1973, der LPG Pflanzenproduktion und der LPG Tierproduktion (beide von 1977) (Agrarpolitik, III. E.) vor allem dem Zweck, die Rechtsstellung der G.-Handwerker und G.-Bauern derjenigen der Industriearbeiter weitgehend anzugleichen. Neben den beiden wichtigsten sozialistischen PG in Landwirtschaft und Handwerk bestehen u.a. die Gärtnerischen PG (GPG), die PG werktätiger Fischer (PwF — Binnenfischerei) und die Fischereipro[S. 513]duktionsgenossenschaften (FPG — See- und Küstenfischerei).

 

Weitere sozialistische G. sind die Arbeiterwohnungsbau-G. (AWG) und die Konsum-G. (KG) (Binnenhandel, II., B., 2), die aufgrund ihrer zusätzlichen Eigenschaft als politische Massenorganisationen eine Sonderstellung einnehmen. Weiterhin sind die seit 1953 bestehenden Kollegien der Rechtsanwälte (Rechtsanwaltschaft) als PG organisiert. Auf der Basis einer VO vom April 1982 (GBl. I, S. 349) sollen sich nun auch in derartigen als PG konstruierten Kollegien bildende Künstler organisieren.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 512–513


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.