DDR von A-Z, Band 1985

Genossenschaftsbauer (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979


 

Bezeichnung für Mitglieder von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG). 1982 waren in ca. 4.000 LPG, 20 Kooperativen Abteilungen und zwischenbetrieblichen Einrichtungen der Pflanzenproduktion sowie in 247 zwischenbetrieblichen Einrichtungen der Tierproduktion (Landwirtschaftliche Betriebsformen) 815.400 Mitglieder organisiert, unter ihnen etwa 596.000 landwirtschaftlich Berufstätige. Die LPG und ihre kooperativen Einrichtungen bewirtschaften gegenwärtig knapp 90 v.H. der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Sie produzieren etwa 95 v.H. des staatlichen Aufkommens an pflanzlichen und 77 v.H. an tierischen Erzeugnissen. 1982 bestanden neben den LPG 211 Gärtnerische Produktionsgenossenschaften (GPG) mit ca. 26.700 Angehörigen und 49 weitere ländliche Genossenschaften (Produktionsgenossenschaften der Binnenfischer [PGB], Produktionsgenossenschaften werktätiger Zierfischzüchter [PwZ] und werktätiger Pelztierzüchter [PwP]) mit zusammen etwa 1100 Mitgliedern.

 

Gemäß den Musterstatuten der LPG von 1977 ist die Mitgliedschaft freiwillig. Die Aufnahme erfolgt durch die Vollversammlung. Die Genossenschaften stehen grundsätzlich allen Bürgern offen. Nach dem LPG-Gesetz von 1982, das auch die innere Ordnung und gesellschaftliche Funktion der anderen ländlichen Genossenschaften regelt, lösen die LPG ihre Aufgaben auf der Grundlage der Beschlüsse der SED und der Rechtsvorschriften eigenverantwortlich.

 

Obgleich sozial inhomogen, werden die genossenschaftlich organisierten landwirtschaftlichen Produzenten von der DDR-Soziologie als „Klasse der Genossenschaftsbauern“ definiert. Sie gilt neben der Arbeiterklasse (Klasse/Klassen, Klassenkampf) als „Grundklasse“ der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Im Bündnis mit der Arbeiterklasse und unter Führung der Partei der Arbeiterklasse (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands [SED]) soll sie sich der Arbeiterklasse sozial und kulturell annähern (Soziologie und Empirische Sozialforschung). Dieses Ziel wird langfristig durch die Anwendung industriemäßiger Produktionsverfahren, die Entwicklung städtischer Lebensbedingungen und die Angleichung von genossenschaftlichem und sozialistischem Eigentum (Agrarpolitik; Landwirtschaftliche Betriebsformen) angestrebt. Gegenwärtig jedoch betont die SED-Führung die Kontinuität der Agrarverfassung stärker als deren Wandel. Zwar postuliert auch das neue LPG-Gesetz von 1982 die „schrittweise Überwindung der wesentlichen Unterschiede zwischen Stadt und Land“, verweist aber zugleich auf die Festigung und den Schutz des genossenschaftlichen Eigentums durch den Staat.

 

Bereits nach Abschluß der Kollektivierung (1960) betrug der Anteil ehemaliger Einzelbauern an den LPG-Mitgliedern nur 69 v.H. Er sank bis 1970 auf 56 v.H. und liegt gegenwärtig unter 50 v.H. Die Mehrzahl der G. stammt heute aus der Land- und Industriearbeiterschaft, der Intelligenz oder aus dem Handwerk. In der ländlichen Bevölkerung (Gemeinden unter 2.000 E.) bildet die Klasse der G. nach Berechnungen von Agrarsoziologen mit ca. 30 v.H. nur eine starke Minderheit. In ihrer Bewertung der einzelnen sozialen Gruppen dominiert auf dem Lande die „ländliche Abteilung der Arbeiterklasse“, die sich aus den Arbeitern und Angestellten der LPG, der Volkseigenen Güter (VEG), der Forstwirtschaft, des Veterinärwesens, des Pflanzenschutzes, der Agrochemischen Zentren (ACZ) und der ländlichen Industrie- und Dienstleistungsbereiche zusammensetzt.

 

Das Qualifikationsniveau aller in der Landwirtschaft Tätigen (und damit auch der G.) hat sich seit dem Beginn der 60er Jahre erheblich verändert. Der Anteil der Berufstätigen mit abgeschlossener Berufsausbildung stieg von 18,1 v.H. im Jahre 1963 bis 1982 auf knapp 90 v.H. und lag damit über dem Durchschnitt der DDR-Volkswirtschaft (1982 = 77 v.H.). Die Mehrzahl der ausgebildeten Berufstätigen erwarb bis 1982 einen Facharbeiterabschluß (83,3 v.H.), 7,4 v.H. waren Meister, und 6,8 v.H. hatten eine Fachschule bzw. 2,5 v.H. eine Hochschule absolviert.

 

Unter den 2,2 Mill. SED-Mitgliedern und Kandidaten (Stand Anfang 1983) stellten die G. mit 103.000 einen 4,7 v.H.-Anteil, d.h. ca. 13 v.H. der LPG-Mitglieder sind Angehörige der SED. In der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD), die sich als Partei der Klasse der G. versteht und 1983 105.000 Mitglieder organisierte, liegt der Anteil der G. gegenwärtig bei ca. 60 v.H. 1982 wurde die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) als „sozialistische Massenorganisation der Genossenschaftsbauern und Genossenschaftsgärtner“ reaktiviert. Die Vereinigung organisierte im Mai 1984 ca. 420.000 Mitglieder; damit war nach VdgB-Angaben mehr als die Hälfte der Genossenschaftsbauern und -gärtner erfaßt.

 

Die Zahl der LPG-Mitglieder hatte 1965 mit knapp einer Million ihren Höchststand erreicht. Sie sank bis 1980 auf ca. 801.000 und stieg seither wieder an (1982: 815.000). Seitdem wuchs auch die Gruppe der tatsächlich in der landwirtschaftlichen Produktion mitarbeitenden G. Der Frauenanteil unter ihnen betrug ca. 40 v.H., der der unter 25jährigen (ohne Lehrlinge) knapp 14 v.H. gegenüber 10 v.H. im Jahre 1975.

 

Die Zahl der ständig Berufstätigen in der Landwirtschaft lag in den letzten Jahren um ca. 3 v.H. unter der Zahl der Berufstätigen (inkl. zeitweise Beschäftigte). Nahezu jeder zweite landwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte war zu Beginn der 80er Jahre in den LPG [S. 514]bzw. ihren kooperativen Einrichtungen beschäftigt, etwas mehr als die Hälfte im staatlichen Agrarbereich. Nach einer Presseinformation des Ministerrates vom November 1983 arbeiteten etwa 95.000 auf 457 volkseigenen Gütern (VEG) (das Statistische Jahrbuch der DDR 1983 weist für 1982 478 VEG aus) und ca. 26.000 in etwa 260 Agrochemischen Zentren (ACZ), die für die Versorgung mit Düngemitteln zuständig sind. Darüber hinaus waren 1982 in der Forstwirtschaft etwa 46.000 Arbeiter und Angestellte tätig, im Veterinärwesen ca. 11.000 und im Pflanzenschutz ca. 900 Mitarbeiter.

 

 

Zwischen 1965 und 1978 war die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten im Jahresdurchschnitt um 1,75 v.H. gesunken. Ihr Anstieg seither geht offenbar auf den Beschluß der SED-Führung zurück, das Eigenaufkommen der DDR an Erzeugnissen der Landwirtschaft zu erhöhen und das Land u.a. von Getreideimporten unabhängig zu machen. Wenngleich am Konzept der Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion festgehalten wird, deutet die Aufforderung E. Honeckers auf dem X. SED-Parteitag (1981), die Zahl der Arbeitskräfte „nicht weiter zurückgehen zu lassen“, auf Schwierigkeiten hin, finanzierbare, sozial tragfähige und zugleich produktivitätssteigernde Konzepte für die Intensivierung und Rationalisierung der Landwirtschaft zu entwickeln. Nach Berechnungen der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR (Agrarwissenschaften) entsprechen die Kosten, die für Rationalisierungsinvestitionen (Substitution von Arbeitskraft durch Landtechnik usw.) aufgewendet wurden, seit Mitte der 70er Jahre nicht mehr dem durch sie erzielten Produktivitätszuwachs, „weshalb ein Rückgang an Arbeitskräften ökonomisch nicht mehr begründet war …“ (Wirtschaftswissenschaft 4/1983, S. 496 ff.). Mittelfristig wird offenbar von einem konstanten bzw. leicht steigenden Arbeitskräfteeinsatz ausgegangen. Da die DDR nominal über Arbeitskraftreserven nicht verfügt, wirbt die SED-Führung für die Selbstrekrutierung der G.: „Heute brauchen wir die Initiative der FDJ mehr denn je. Unsere LPG tragen eine hohe Verantwortung dafür, daß sie immer jung bleiben, daß der Nachwuchs für die Klasse der Genossenschaftsbauern vorwiegend aus den Bauernfamilien selbst kommt.“ (E. Honecker 1982 auf dem XII. Bauernkongreß) Gegenwärtig stammt nahezu die Hälfte der landwirtschaftlichen Lehrlinge aus städtischen Familien (Berufsausbildung, landwirtschaftliche).

 

Die durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen der LPG-Mitglieder sind im Laufe der 70er Jahre denen der Arbeiter und Angestellten der sozialistischen Wirtschaft angeglichen worden (1982 = 1066 Mark). Aufgrund der differierenden Ertragslagen bestehen zwischen den Genossenschaften aber Einkommensunterschiede. Neben Einnahmen aus individueller und genossenschaftlicher Tätigkeit (Arbeitseinheit) können LPG-Mitglieder Einkommen aus den von ihnen eingebrachten Bodenanteilen erhalten. Bis zur Durchschnittsgröße der in die LPG eingebrachten Wirtschaftsflächen aller G. können 50 Mark pro ha und Jahr vergütet werden, allerdings müssen diese G. dann für die gesamte von ihnen eingebrachte Fläche Grundsteuern (Agrarsteuern) entrichten. Zusätzliche Einnahmen werden durch Erlöse aus der persönlichen ➝Hauswirtschaft erzielt.

 

Im Jahre 1977 wurde erstmals ein „Tag der Genossenschaftsbauern und der Arbeiter der sozialistischen Land- und Forstwirtschaft“ (18. 6.) begangen. Seitdem werden die Ehrentitel „Verdienter Genossenschaftshauer der DDR“ und „Verdienter Werktätiger der Land- und Forstwirtschaft der DDR“ verliehen (Auszeichnungen). Agrarpolitik; Landwirtschaft; Landwirtschaftliche Betriebsformen; Sozialstruktur.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 513–514


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.