Innerdeutscher Handel (IDH) (1985)
I. Ausgangslage
Nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. 5. 1945 verwirklichten die Siegermächte ihre im II. Weltkrieg entwickelten Vorstellungen über die Zukunft Deutschlands. Das Deutsche Reich wurde entmilitarisiert und seiner zentralen Staatsmacht beraubt, die Ostgebiete wurden abgetrennt und Restdeutschland in Besatzungszonen aufgeteilt. Zwischen den 4 Besatzungszonen entwickelte sich nach dem Wiedererwachen des Wirtschaftslebens, nach der Beseitigung der Verkehrsschwierigkeiten und administrativen Hemmnisse seit Frühjahr 1946 langsam ein Güteraustausch. Als dann die 3 Westzonen politisch und wirtschaftlich zu einer Einheit zusammenwuchsen und sich die Ost-West-Spaltung im Zeichen des kalten Krieges vertiefte, wurde unter „Interzonenhandel“ nicht mehr der Warenaustausch zwischen [S. 644]allen 4 Besatzungszonen verstanden. Als Interzonenhandel (I.) — seit Ende der 60er Jahre Innerdeutscher Handel (IDH) — wird seitdem der Güter- und Dienstleistungsverkehr zwischen der SBZ/DDR, einschließlich Berlin (Ost), und der heutigen Bundesrepublik Deutschland, einschließlich Berlin (West), bezeichnet.
Der Güteraustausch zwischen dem östlichen und westlichen Teil Deutschlands wurde von Anfang an durch zweiseitige Abkommen geregelt. In der Zusammenstellung (s. unten) sind die wichtigsten IDH-Abkommen aufgeführt.
II. Institutionelle und rechtliche Grundlagen
Zur Organisation des IDH ließ die Bundesregierung durch AO des Bundesministeriums für Wirtschaft beim Deutschen Industrie- und Handelstag bereits Anfang November 1949 in Frankfurt/Main die Treuhandstelle für den Interzonenhandel gründen, die seit April/Mai 1950 ihren Sitz in Berlin (West) hat. 1963 wurde die Treuhandstelle der Aufsicht des Bundesministeriums für Wirtschaft unterstellt. Die Treuhandstelle handelte stets auf Weisung der Bundesregierung. Sie wurde ermächtigt, mit den obersten Wirtschaftsorganen der Währungsgebiete der DM-Ost in allen Fragen, die die geschäftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) und den Währungsgebieten der DM-Ost betreffen, Verbindung zu halten, Verhandlungen zu führen und Vereinbarungen zu treffen. Das Bundesministerium für Wirtschaft übertrug der Treuhandstelle wiederholt die Wahrnehmung von Aufgaben, die nicht direkt mit der Abwicklung des IDH zusammenhingen. Während des Treffens am Werbellinsee (11.–13. 12. 1981) zwischen Bundeskanzler Schmidt und dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Honecker, vereinbarten der Bundesminister für Wirtschaft, Graf Lambsdorff, und das für Wirtschaftsfragen zuständige Politbüromitglied, Mittag, die Umbenennung der Treuhandstelle für den Interzonenhandel in Treuhandstelle für Industrie und Handel (TSI), weil die alte Bezeichnung „eigentlich keine sehr aktuelle Beschreibung des Zustandes unserer Handels- und unserer politischen Beziehungen ist“ (Lambsdorff am 13. 12. 1981).
Das „Berliner Abkommen“ („Abkommen über den Handel zwischen den Währungsgebieten der Deutschen Mark [DM-West] und den Währungsgebieten der Deutschen Mark der Deutschen Notenbank [DM-Ost]“) bildet in der Fassung vom 16. 8. 1960 bis heute mit seinen Anlagen, Verordnungen, Durchführungsverordnungen, allgemeinen Ausnahmegenehmigungen zur Interzonenhandelsverordnung, Interzonenrunderlassen, Bekanntmachungen (Ausschreibungen) und anderen Bestimmungen die Rechtsgrundlage des IDH. Nach den Bestimmungen des Berliner Abkommens wird der Warenaustausch auf der Grundlage der vereinbarten Warenlisten abgewickelt, die seit 1961 unbefristet gültig sind und den Bezugs- und Liefermöglichkeiten angepaßt werden. Grundsätzlich dürfen nur in der Bundesrepublik Deutschland oder in der DDR produzierte Waren ausgetauscht werden; der Handel mit ausländischen Produkten bedarf besonderer Vereinbarungen. Das Berliner Abkommen verbietet die Kompensation von Zahlungen aus verschiedenen Geschäften.
Da die alliierten Devisenbewirtschaftungsgesetze aus dem Jahre 1949 für den IDH weiterhin gelten und zwischen den Währungen der beiden deutschen Staaten keine offizielle Kursrelation besteht, sind direkte Überweisungen von einem Währungsgebiet in das andere im Rahmen des IDH nicht möglich. Der Grenzüberschreitende ➝Zahlungsverkehr erfolgt ausschließlich im Verrechnungswege über die Staatsbank der DDR und die Deutsche Bundesbank. Beide Notenbanken führen ein Verrechnungskonto der Zentralbank der anderen Seite. Die Zahlungen von Beziehern aus der DDR, die auf Leistungen aus der Bundesrepublik Deutschland oder Berlin (West) beruhen, sind bei der Staatsbank der DDR in Mark der DDR zu leisten, worauf dann ein von den Vertragspartnern vereinbarter entsprechender Betrag von der Staatsbank der DDR dem Konto der Deutschen Bundesbank in Verrechnungs[S. 645]einheiten (VE) gutgeschrieben wird. Befindet sich der Bezieher in der Bundesrepublik, gilt sinngemäß das gleiche. Durch den Verrechnungsverkehr verwandelt sich eine bei der Deutschen Bundesbank eingezahlte DM über eine Verrechnungseinheit in eine Mark der DDR für den östlichen Zahlungsempfänger und umgekehrt. Im Verrechnungswege wird eine DM einer Mark der DDR gleichgesetzt; das Verrechnungsverhältnis 1:1 ist nur ein Clearingwert, der nicht die DM der Mark der DDR währungsmäßig gleichsetzt. Die IDH-Geschäfte werden in der Regel auf der Basis der westdeutschen Marktpreise abgeschlossen.
Die Notenbanken der DDR und der Bundesrepublik richteten für die finanzielle Abwicklung des IDH auf jeder Seite 3 Unterkonten ein. Über das Unterkonto 1 wurden alle Zahlungen verrechnet, die sich aus Lieferungen und Bezügen nach der Warenliste zum Unterkonto 1 ergaben. Diese Warenliste enthielt die vereinbarten Kontingente für die „harten“ Waren (Bergbau- und Mineralölerzeugnisse, forstwirtschaftliche Erzeugnisse, Maschinen und Rohstoffe bei Lieferungen der DDR; Eisen- und Stahlerzeugnisse, Nicht-Eisenmetalle, Bergbauerzeugnisse, elektrotechnische Erzeugnisse und Maschinen bei Lieferungen der Bundesrepublik Deutschland). Über das Unterkonto 2 wurden alle Zahlungen nach der Warenliste, auf der die „weichen“ Waren (die übrigen Waren im IDH) verzeichnet sind, abgewickelt. Die Unterkonten 1 und 2 sind 1975 zu einem Unterkonto 1/2 zusammengelegt worden. Über das Unterkonto 3 werden bis heute alle Zahlungen abgewickelt, die für Dienstleistungen erfolgen.
Die Konten können bis zu einem vereinbarten Betrag (Swing) überzogen werden. Wenn eine Seite diesen Überziehungskredit ausgeschöpft hat, kann die Notenbank der anderen Seite ihre Zahlung einstellen. In diesem Falle können weitere Lieferungen nur noch gegen Barzahlung über das Sonderkonto S erfolgen.
Der Swing wurde in den 50er Jahren wiederholt an die Umsatzentwicklung angepaßt. Nach der Neufassung des Berliner Abkommens belief er sich von 1960 bis 1968 auf 200 Mill. VE. Durch eine ergänzende Vereinbarung vom 6. 12. 1968, die bis zum 31. 12. 1975 befristet war, entsprach er jeweils 25 v.H. der DDR-Lieferungen des vorausgegangenen Jahres. Im Mai 1970 wurde für den Swing ein erhöhter Mittelbetrag für 1970 und 1971 festgelegt, um der DDR mehr Liquidität zu verschaffen. Durch die im Dezember 1974 abgeschlossene Swing-Vereinbarung, die bis 31. 12. 1981 galt, wurde die Vereinbarung von 1968 weitergeführt, gleichzeitig aber der Swing-Höchstbetrag auf 850 Mill. VE begrenzt. In der Hoffnung, die DDR würde Zugeständnisse im innerdeutschen Besuchsverkehr machen, wurde beim Treffen am Werbellinsee (11–13. 12. 1981) diese Abmachung um ein halbes Jahr verlängert. Am 18. 6. 1982 vereinbarte die TSI mit dem Ministerium für Außenhandel die schrittweise Rückführung des Swing. Die Beträge werden bis 31. 12. 1985 neu festgesetzt, und zwar vom 1. 7. 1982 bis 31. 12. 1982 auf 850 Mill. VE, vom 1. 1. 1983 bis 31. 12. 1983 auf 770 Mill. VE, vom 1. 1. 1984 bis 31. 12. 1984 auf 690 Mill. VE und vom 1. 1. 1985 bis 31. 12. 1985 auf 600 Mill. VE. 1985 soll über die weitere Regelung des Swing verhandelt werden. Der Swing wurde bisher nur von der DDR in Anspruch genommen. Er wurde also zu einem zinslosen Dauerkredit für die DDR.
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III. Entwicklung von Volumen und Struktur
Die Umsatzentwicklung des statistisch ausgewiesenen IDH zeigt, daß der Warenverkehr von 1950 bis 1982 um das 17½fache gestiegen ist. Allerdings war der Warenaustausch der ersten Nachkriegsjahre höher als in den veröffentlichten Zahlen angegeben. In den Statistiken ist nur der legale, vertragsmäßige IDH erfaßt. In den Anfangsjahren wurde jedoch ein großer Teil des Warenverkehrs außerhalb der Verträge als private Kompensationsgeschäfte, durch Dreiecksgeschäfte unter Einschaltung von ausländischen Zwischenhändlern und in Form des Schwarzhandels abgewickelt. Überdies sind in den Zahlen für die Jahre bis 1952 nicht die Angaben für Berlin enthalten. Der illegale IDH wurde 1953 auf 40 bis 200 v.H. des legalen Handels geschätzt.
Der IDH entwickelte sich ungleichmäßig. Die Jahre 1951–1953, 1960–1963 und 1967/68 brachten größere Rückschläge; dazwischen lagen Phasen relativ stabilen Wachstums. In den ersten beiden Zeitabschnitten ging der Warenaustausch aus politischen Gründen zurück, während 1967/68 die bestehenden Regelungen im IDH-Verfahren die Entwicklung hemmten. Zu Beginn der 50er Jahre behinderte die westliche Embargo-Politik die Entwicklung. Anfang der 60er Jahre wirkten sich die Behinderungen des freien Zugangs nach Berlin und die daraufhin von der Bundesregierung ausgesprochene vorsorgliche Kündigung des Berliner Vertrags (30. 9. 1960), das Bestreben der DDR, von westdeutschen Lieferungen unabhängig zu werden („Störfreimachung“), die Vollkollektivierung der Landwirtschaft und der Mauerbau in Berlin handelshemmend aus. Die Entspannung des innerdeutschen Verhältnisses und die kooperationsbereitere Handelspolitik der Bundesregierung der Großen Koalition führten dann Ende der 60er Jahre zu einer Intensivierung des IDH. 1969 stiegen die Umsätze um 36,8 v.H., 1970 um 12,3 v.H., 1971 um 10,4 v.H., 1972 um 10,2 v.H. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gab es seit 1972 nur 1976, 1980 und 1982 ein nennenswertes reales Wachstum im IDH (DIW-Wochenberichte 22/1982 u. 10/1983). In den übrigen Jahren beruhte die nominale Expansion auf Preissteigerungen. 1973/74 und 1979/80 waren die Preisschübe am stärksten. Die Lieferungen und Bezüge nahmen von 1972 bis 1981 real insgesamt nur um 6 v.H. zu. Die verlangsamte Wirtschaftsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland schränkte die Liefermöglichkeiten der DDR ein; die hohen Defizite gegenüber den anderen westlichen Ländern und der Sowjetunion zwangen die DDR, ihre Waren verstärkt in diese Länder zu exportieren. Die hohe Verschuldung gegenüber den OECD-Ländern (ohne Bundesrepublik) führte dann jedoch 1982 zu einem überraschenden Aufschwung. Die DDR mußte ihre Importe aus den westlichen Industriestaaten um rd. ein Drittel drosseln und bezog dringend benötigte Waren verstärkt aus der Bundesrepublik Deutschland; denn gegenüber der Bundesrepublik war die Verschuldungssituation günstiger als gegenüber anderen OECD-Ländern. Da es 1982 — wiederum nach Berechnungen des DIW — Preissteigerungen in geringem Umfang lediglich bei den Lieferungen der Bun[S. 647]desrepublik gab, konnte mit einer preisbereinigten Zuwachsrate von 11 v.H. der größte reale Zuwachs seit 1970 erzielt werden.
1983 nahm der IDH mit einem Umsatzwachstum von 6,2 v.H. stärker zu als der Handel der Bundesrepublik mit anderen Staaten (+ 2,3 v.H.). Die Lieferungen stiegen um 8,8 v.H., die Bezüge um 3,6 v.H. 1983 ergab sich also wieder ein Lieferüberschuß für die Bundesrepublik Deutschland, nachdem die DDR von 1980 bis 1982 die Warenbilanz positiv gestaltet hatte.
Da die DDR bei den Dienstleistungen (vor allem durch die Inanspruchnahme der Leistungen des Hamburger Hafens) weiterhin ein Defizit erzielte, veränderten sich ihre gesamten Verbindlichkeiten im IDH 1982 nicht. Der kumulierte Passivsaldo betrug zum Jahresende 1982 rd. 3,8 Mrd. VE; er entstand aus der Inanspruchnahme von Lieferantenkrediten in der Bundesrepublik (4,1 Mrd. VE) und der Swing-Beanspruchung (0,5 Mrd. VE) abzüglich der Lieferantenkredite der DDR (0,8 Mrd. VE). Setzt man den kumulierten Passivsaldo zu den jeweiligen jährlichen Lieferungen der DDR ins Verhältnis, wird deutlich, daß sich die Schuldensituation der DDR in den letzten Jahren relativ verbessert hat. 1978 betrug der kumulierte Passivsaldo noch 95 v.H. der Jahreslieferungen, bis 1982 sank dieser Anteil auf 58 v.H. Ende 1983 belief sich der kumulierte Passivsaldo auf ca. 4,0 Mrd. VE, das waren wiederum 58 v.H. der Jahreslieferungen der DDR.
Der Dienstleistungsverkehr hat sich seit 1970 nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft wie folgt entwickelt (Dienstleistungen in Mill. VE):
Dienstleistungen in diesem Sinne sind Kosten und Vergütungen, die im Zusammenhang mit der Beförderung und dem Verkauf von Gütern stehen, also vor allem Fracht-, Hafen-, Lager-, Montage-, Gerichts- und Messekosten sowie Provisionen, Lizenzgebühren, Bankspesen, Bankzinsen, Schadensersatzzahlungen sowie die Postausgleichszahlungen. Transportkosten und Nebenleistungen des Warenverkehrs, die über die einzelnen Warengruppen direkt abgerechnet werden, sind in den Umsätzen des Unterkontos 3 nicht enthalten.
Die Warenstruktur des IDH entspricht weder der Außenhandelsstruktur der beiden hochindustrialisierten Länder Bundesrepublik Deutschland und DDR, noch ist sie dem Entwicklungsstand beider Volkswirtschaften angemessen. Der Anteil von Fertigerzeugnissen am Warenaustausch zwischen beiden deutschen Staaten ist relativ gering. Der Warenstruktur nach ähnelt der IDH dem Außenhandel weniger entwickelter Länder. Bei den Bezügen und bei den Lieferungen beträgt der Anteil von Erzeugnissen der Grundstoff- und Produktionsgüterindustrien (chemische Erzeugnisse, Eisen und Stahl, Metalle, Mineralölerzeugnisse u.a.) über 50 v.H.
Während der Anteil der verschiedenen Wirtschaftsgruppen bei den Lieferungen in den vergangenen Jahren bemerkenswert konstant blieb, änderte sich die Struktur der Bezüge erheblich.
Am stärksten schwankten die Bezüge von Erzeugnissen der Grundstoff- und Produktionsgüterindustrien, deren Anteil sich in der ersten Hälfte der 70er Jahre gegenüber der zweiten Hälfte der 50er Jahre um die Hälfte verringerte und deren Anteil an den gesamten Bezügen 1982 mit 54 v.H. wieder fast die frühere Größenordnung erreichte. Der Anteil von Verbrauchsgütern (u.a. Textilien, Bekleidung, Holzwaren) an den Gesamtbezügen stieg von knapp 20 v.H. in der zweiten Hälfte der 50er Jahre auf knapp ein Drittel in den 70er Jahren und lag 1982 bei 24 v.H. Wie in den vergangenen Jahren hatten 1982 die Erzeugnisse der Verbrauchsgüterindustrien nach denen der Grundstoff- und Produktionsgüterindustrien den zweitgrößten Anteil an den Gesamtbezügen. Der Anteil der land- und ernährungswirtschaftlichen Produkte war mit knapp 11 v.H. noch nicht einmal halb so groß wie in der zweiten Hälfte der 60er Jahre (Fünfjahresdurchschnitt 1966–1970: 25,6 v.H.). Wie in den vergangenen Jahren bestand 1982 lediglich ein Zehntel der bezogenen Waren aus Erzeugnissen der Investitionsgüterindustrien (vor allem Maschinenbauerzeugnisse, elektrotechnische Erzeugnisse, Eisen-, Blech- u. Metallwaren).
Bei den Lieferungen der Bundesrepublik hatten die Erzeugnisse der Grundstoff- und Produktionsgüterindustrien 1982 einen Anteil von 56 v.H., als zweitgrößte Warengruppe folgten die Produkte der Investitionsgüterindustrien mit 20,1 v.H. Diesen Warengruppen folgen die bergbaulichen Erzeugnisse, die Produkte der Landwirtschaft und der Ernährungsindustrie sowie der industriellen Verbrauchsgüter. Wenn auch innerhalb dieser Warengruppen erhebliche Veränderungen zu beobachten waren, so besteht doch diese Struktur fast unverändert seit den 50er Jahren.
Die DDR bezieht im IDH nach wie vor in großem Umfang Waren, um akute Engpässe zu beseitigen, d.h. die Lieferungen in die DDR dienen der Sicherung der laufenden Produktion und (zumindest [S. 648]1982) auch der Beseitigung von Versorgungsengpässen.
Belebend wirkte aufgrund der Preis- und Mengenerhöhungen in den letzten Jahren vor allem das „Mineralölgeschäft“. Nachdem die Bezüge von Braunkohlebriketts stark zurückgegangen waren, bezog die Bundesrepublik in zunehmendem Umfang Mineralölerzeugnisse aus der DDR. Diese Bezüge wurden mit Lieferungen von Erdöl gekoppelt. Eine Rahmenvereinbarung zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Ministerium für Außenhandel regelt die Lieferungen und Bezüge bis 1985. 1982 machten die Bezüge von Dieselkraftstoff, Motorenbenzin und Heizöl 23,5 v.H. des gesamten Warenwertes aus, der Anteil des Rohöls an den Gesamtlieferungen betrug 10,9 v.H. Die Preisentwicklung auf dem Mineralölsektor hat es der DDR ermöglicht, ihre Warenverkehrsbilanz seit 1980 positiv zu gestalten.
Der Anteil des IDH machte 1982 lediglich 1,6 v.H. des Außenhandelsumsatzes der Bundesrepublik Deutschland aus — 1950 hatte dieser Anteil immerhin noch bei 3,8 v.H. gelegen. Für die DDR und den gesamten Ost-West-Handel hatte der IDH ein ungleich größeres Gewicht: Der Anteil am Außenhandel der DDR betrug 1982 8,6 v.H. (1950 waren es noch 16 v.H.). Die Bundesrepublik Deutschland ist der zweitgrößte Handelspartner der DDR, die ihrerseits mit der Bundesrepublik nach der OECD-Statistik 1982 wieder einen größeren Warenaustausch als mit allen übrigen westlichen Industrieländern zusammen hatte.
IV. Politische Bedeutung
Wenn die Bundesregierung den IDH selbst während des kalten Krieges und oftmals gegen den Widerstand ihrer Verbündeten, die in ihm eine Gefährdung der Embargo-Politik sahen, förderte, dann geschah das fast ausschließlich aus politischen Gründen. Die Interzonenhandelspolitik der Bundesregie[S. 649]rung war immer ein Teil ihrer Deutschlandpolitik. Die wirtschaftliche Bedeutung dieses Handels wurde gering eingeschätzt.
In den 50er Jahren sollte der IDH eine doppelte Funktion erfüllen: Einerseits sollte er als eine der letzten Klammern zwischen beiden Teilen Deutschlands die Versorgung der mitteldeutschen Bevölkerung verbessern helfen, zur Erhaltung der Kontakte zwischen den Menschen beitragen und die Reste der Verflechtung beider Volkswirtschaften bewahren; andererseits sollte der IDH als ökonomischer Hebel die eigenen politischen Ziele durchsetzen helfen, [S. 650]d.h. in erster Linie den freien Zugang nach und in Berlin sichern. In den 50er Jahren schuf die Bundesregierung die institutionellen und rechtlichen Grundlagen, die dem IDH bis in die Gegenwart den Charakter einer von allen Seiten anerkannten Sonderbeziehung geben. Die wichtigsten Merkmale dieser Sonderbeziehung sind: Bilateralität, Einschaltung der TSI, Zoll- und Abschöpfungsfreiheit.
1951 konnte die Bundesregierung in der Ergänzung zum Torquay-Protokoll zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) durchsetzen, daß „der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland keine Änderung der gegenwärtigen Regelungen oder des gegenwärtigen Zustandes für den innerdeutschen Handel mit Gütern deutschen Ursprungs erfordert“.
Im Protokoll über den IDH und die damit zusammenhängenden Fragen vom März 1957 ließ sich die Bundesregierung von ihren EWG-Partnerländern bestätigen, daß die DDR von der Errichtung einer Zollgrenze zur Bundesrepublik Deutschland verschont bleibt. Die DDR gehört bezüglich des IDH seitdem praktisch zum EWG-Innenmarkt. Auf Lieferungen von gewerblichen Gütern aus der DDR in die Bundesrepublik werden deswegen keine Zollabgaben erhoben und bei Agrarerzeugnissen keine Abschöpfungen vorgenommen.
Die Bundesregierung betonte in den 50er Jahren wiederholt, der IDH sei ein wichtiges Instrument zur Sicherung Berlins. Bereits vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR sind Berlin (West) und Berlin (Ost) in die Vereinbarungen über den Interzonenhandel einbezogen worden.
Der bestehende Zustand wurde dann zuerst im Frankfurter und später im Berliner Abkommen vertraglich geregelt. Beide Abkommen sind zwischen den Währungsgebieten geschlossen worden, diese Kompromißformel umging die staatliche Anerkennung der DDR, bestätigte aber die faktische Zugehörigkeit von Berlin (West) zur Bundesrepublik Deutschland und von Berlin (Ost) zur DDR. Zwei Anlagen zum Frankfurter Abkommen bestimmten, der Anteil von Berlin (West) an den Umsätzen des IDH solle ein Drittel betragen, während das Berliner Abkommen in Artikel I, Ziffer 3 von einem „angemessenen Teil“ spricht, der auf die Lieferungen und Bezüge der Berliner Wirtschaft entfallen soll. Aufgrund der so bestätigten Zugehörigkeit Berlins zum Bund konnten die Unterhändler der Bundesrepublik behaupten, es bestehe ein Junktim zwischen dem Handel und dem freien Zugang nach Berlin.
Mit der Kündigung des Berliner Abkommens zum Jahresende 1960 wollte die Bundesregierung die DDR dazu zu bewegen, die Kontrolle des Besucherverkehrs an der Sektorengrenze, die Nichtanerkennung der Bundespässe von West-Berlinern und die Behinderungen des Lastwagenverkehrs zwischen Berlin und dem Bundesgebiet aufzuheben und formell zu widerrufen. Die DDR beugte sich jedoch diesem Druck nicht. Nach vierwöchigen Verhandlungen mußte die westliche Seite einem für sie ungünstigen Kompromiß zustimmen. Daraufhin vereinbarten die Unterhändler am 29. 12. 1960, das Berliner Abkommen mit allen Zusatzvereinbarungen in seiner Neufassung vom 16. 8. 1960 am 1. 1. 1961 in Kraft treten zu lassen.
Die Kündigung des Abkommens hatte in der DDR die Aktion Störfreimachung ausgelöst, durch die die Abhängigkeit von Bezügen aus „kapitalistischen Ländern“, vor allem aber von Lieferungen aus der Bundesrepublik Deutschland, verringert werden sollte. Während die Verhandlungen über die Fortsetzung des IDH noch liefen, erklärte Bruno Leuschner als Vorsitzender der Staatlichen Plankommission im Dezember 1960 vor dem Zentralkomitee (ZK) der SED, es sei die vordringlichste Aufgabe, alles so zu organisieren und umzustellen, daß es für die Betriebe von der Bundesrepublik [S. 651]Deutschland her keine Störungen mehr geben könne. Die DDR-Wirtschaft werde sich auf Lieferungen aus den sozialistischen Ländern orientieren und die Produktion umstellen. Die „Störfreimachung“ wurde 1962 aufgegeben, denn die sowjetischen Lieferungen konnten die Bedürfnisse der DDR-Industrie nur unvollkommen befriedigen, und es war zudem für die DDR ökonomisch günstiger, dringend benötigte hochwertige Industrieprodukte aus der Bundesrepublik zu beziehen, als sie in kleinen Serien und dementsprechend teuer selbst herzustellen. Die Versuche der Bundesregierung, die DDR durch Kündigung des Berliner Abkommens unter Druck zu setzen, um sie zur Änderung ihrer Berlin-Politik zu veranlassen, trugen zum Rückgang des IDH bei und führten zu einer intensiveren Integration der DDR in den RGW sowie zur engeren Kooperation mit der UdSSR. Die IDH-Umsätze sanken 1961 gegenüber dem Vorjahr um 12,9 v.H. Der Anteil der RGW-Länder am gesamten Außenhandelsumsatz der DDR stieg von 74,9 v.H. im Jahre 1960 (UdSSR: 42,8 v.H.) auf 79,0 v.H. im Jahre 1962 (UdSSR: 48,9 v.H.), umgekehrt sank der Anteil des IDH am Außenhandel der DDR von 10,3 v.H. im Jahre 1960 auf 8,3 v.H. 1962. Die Kündigung des Berliner Abkommens zeigte, daß der IDH nur in eng begrenztem Maße als Druckmittel taugt, obwohl die DDR in Schwierigkeiten gerät, wenn sie sich wirtschaftlich von der Bundesrepublik abgrenzt.
Das Junktim zwischen ungehindertem Berlin-Verkehr und IDH ist im Januar 1961 durch die sog. Widerrufsklausel zum letzten Mal hergestellt worden. Sie besagte, daß Warenbegleitscheine für Lieferungen von Waren des Unterkontos 1 nur noch unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufes im Falle einer schweren politischen Störung des Berlin-Verkehrs genehmigt werden. Tatsächlich ist diese Klausel niemals angewandt worden. Trotz mehrfacher Behinderungen des freien Zugangs nach Berlin verzichtete die Bundesregierung in den folgenden Jahren darauf, den IDH als politisches Druckmittel anzuwenden.
Für die DDR war und ist der IDH in weit größerem Maße als für die Bundesrepublik Deutschland eine ökonomische Notwendigkeit. Deshalb sprachen sich die Politiker der SBZ bzw. der DDR bis in die 60er Jahre immer wieder dafür aus, den IDH zu erleichtern und zu erweitern. Auf jede westdeutsche Maßnahme, die die wirtschaftliche Teilung Deutschlands vertiefte, reagierte die DDR-Führung mit propagandistischen Angriffen und ernstgemeinten Vorschlägen, die der Erschwerung des Handels entgegenwirken sollten. Sie kritisierte vor allem die westliche Embargo-Politik und die Einführung von Sperrlisten, die Kontingentierung von Einfuhr und Ausfuhr sowie das zentrale Ausschreibungs- und Genehmigungsverfahren. Die Ost-Berliner Regierung forderte mehrjährige Abkommen, die Erhöhung des Swings und das Zusammenlegen der Unterkonten. Diesen Forderungen ist die westdeutsche Seite bereits in den 50er Jahren weitgehend entgegengekommen.
Mit der grundlegenden Veränderung der deutschlandpolitischen Konzeption der SED-Führung wandelte sich 1967/68 auch die Einstellung gegenüber dem IDH. Im August 1967 wurde das für die innerdeutschen Wirtschaftsbeziehungen zuständige Ministerium für Außenhandel und innerdeutschen Handel in Ministerium für Außenwirtschaft umbenannt (seit 1. 1. 1974 Ministerium für Außenhandel [MAH]). Die DDR leugnete nun immer häufiger den Sondercharakter der innerdeutschen Wirtschaftsbeziehungen.
Die Interzonenhandelspolitik der Bundesrepublik hatte sich bereits zu Beginn der 60er Jahre geändert. Im IDH wurde nunmehr zunehmend ein Instrument zum Abbau der politischen Gegensätze zwischen beiden deutschen Staaten gesehen. Das Freund-Feind-Denken aus der Zeit des kalten Krieges wich langsam dem Willen, im Verhältnis zur DDR über ein „geregeltes Nebeneinander“ zum „Miteinander“ zu kommen. Im IDH sah man immer weniger ein Druckmittel und immer mehr eine Leistung, für die man etwas einhandeln kann. Statt von „Interzonenhandel“ wurde nun auch von Regierungsseite immer häufiger vom „Innerdeutschen Handel“ gesprochen. Dadurch fand der Funktionswandel seinen sprachlichen Ausdruck.
Die Bundesregierung der Großen Koalition gab den Forderungen der Wirtschaft und der DDR nach und befreite den IDH weitgehend von den aus politischem Kalkül entstandenen Hemmnissen. Im März 1967 wurde die Bundesgarantie für langfristige Investitionsgüterlieferungen auf den IDH ausgedehnt. Im Mai 1967 entstand die Gesellschaft zur Finanzierung von Industrieanlagen (GEFI), durch die Lieferungen und Leistungen in die DDR durch mittelfristige Kredite finanziert werden können. Im August desselben Jahres wurde die Widerrufsklausel aufgehoben, die Swing-Beträge für die einzelnen Unterkonten wurden zu einem Gesamtswing zusammengefaßt; seitdem kann die DDR den Swing für die Waren beanspruchen, für die er benötigt wird; die Unterkonten 1 und 2 wurden „bis auf weiteres“ zusammengelegt (die endgültige Zusammenlegung erfolgte am 9. 7. 1975 mit Wirkung zum 1. 1. 1976). Die Maschinenkontingente wurden im August 1967 aufgestockt. Im September 1967 ist eine Sonderregelung zum neuen Mehrwertsteuergesetz erlassen worden. Im Dezember 1967 wurde dann durch Briefaustausch eine neue Grundlage bis 1975 geschaffen: Die Bundesregierung erklärte sich dazu bereit, die seit Jahren anhängende Mineralölfrage durch Ausgleichszahlungen zu bereinigen; beide Seiten verpflichteten sich zur kontinuierlichen Erhöhung ihrer [S. 652]Lieferkontingente für Maschinen, Fahrzeuge und elektrotechnische Erzeugnisse; zur Erleichterung des Warenverkehrs sollte der Swing von bisher 200 Mill. DM in Zukunft elastisch sein, er sollte jeweils 25 v.H. der Lieferungen der DDR des vergangenen Jahres entsprechen und jeweils im Januar für das laufende Jahr neu festgesetzt werden. Am 1. 1. 1968 trat eine neue Umsatzsteuerregelung im IDH in Kraft (nach dem heutigen Stand werden die Lieferungen im Regelfall mit 6 v.H. belastet, während die Bezieher von Waren aus der DDR einen Kürzungsanspruch ihrer Umsatzsteuerschuld von 11 v.H. des Warenwertes haben). Im Mai 1969 wurde die Einrichtung von Kommissions- und Konsignationslagern vereinbart. Im April 1969 erfolgte die Erweiterung der Bezugsmöglichkeiten durch eine Erhöhung der wertbegrenzten Abschreibungen bzw. Überführung wertbegrenzter Bezugspositionen in die offene Ausschreibung. Für einen großen Teil der Lieferungen wurde im Januar 1969 die Einzelgenehmigungspflicht durch die allgemeine Genehmigung ersetzt. Warenbegleitscheine für Lieferungen in die DDR mußten nicht mehr beantragt und genehmigt werden — für diese Waren brauchte statt der bisherigen Anträge auf Einzelgenehmigung künftig nur noch eine Bezugserklärung gegenüber dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft für statistische Zwecke abgegeben zu werden. Durch die Allgemeine Genehmigung Nr. 3 (B) wurde im Dezember 1969 auch der Bezug von Waren von der Einzelgenehmigungspflicht freigestellt. Voraussetzungen für den Geschäftsabschluß sind danach vor allem ein schriftlicher Kaufvertrag, die Zahlung des Kaufpreises über die Unterkonten und die Meldung der Verträge an das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft. Im gewerblichen Sektor waren 1970 von den rund 5.200 Warenpositionen 191 für den Bezug kontingentiert, 1971 waren nur noch 79, Ende 1972 103 und Ende 1977 87 Positionen kontingentiert. Diese Handelserleichterungen bewirkten nach 1968 die schnellste Umsatzausweitung in der Geschichte des IDH.
Im landwirtschaftlichen Sektor ist der Kontingentierungsstand nach wie vor höher als im gewerblichen. Sowohl bei den Lieferungen wie auch bei den Bezügen ist zwischen den allgemein genehmigten und den einzelgenehmigungspflichtigen Waren zu unterscheiden. Wenn keine Einzelgenehmigungspflicht mehr nötig ist, gelten die Geschäftsabschlüsse mit ihrer Meldung bei den Behörden als genehmigt. Anfang 1983 waren von den Bezügen im gewerblichen Sektor 4.997 Positionen (95,4 v.H.) allgemein genehmigt, lediglich 168 Positionen (3,2 v.H.) waren offen ausgeschrieben und einzelgenehmigungspflichtig. Kontingentiert waren nur noch 72 Positionen (1,4 v.H.). Im Sektor Landwirtschaft und Ernährung waren 218 Positionen (36, 1 v.H.) allgemein genehmigt, 203 Positionen (33,6 v.H.) offen ausgeschrieben, 183 Positionen (30,3 v.H.) noch kontingentiert. Dem Wert nach waren Anfang 1983 im gewerblichen Bereich 66 v.H., im landwirtschaftlichen und ernährungswirtschaftlichen Bereich jedoch nur 12 v.H. der Bezüge liberalisiert.
V. Ausblick
Trotz Abgrenzungs-Politik und Polemik gegen die neue Ostpolitik und deren Anspruch, die bestehenden Sonderbeziehungen auszubauen, stimmte die DDR im Grundlagenvertrag der Erhaltung dieser Sonderbeziehungen zu. Nach Artikel 7 des Grundlagenvertrages sollen Abkommen geschlossen werden, „um auf der Grundlage dieses Vertrages und zum beiderseitigen Vorteil die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft … zu entwickeln und zu fördern“. Im Zusatzprotokoll zu Artikel 7 heißt es in Ziffer 1: „Der Handel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik wird auf der Grundlage der bestehenden Abkommen abgewickelt.“
Die Haltung der DDR bleibt jedoch auch nach dem Abschluß des Grundlagenvertrages ambivalent. Einerseits verleugnet sie weiterhin die Existenz von Sonderbeziehungen zur Bundesrepublik, andererseits gab Honecker im November 1972 zu, daß es nach dem Grundlagenvertrag „keinen Grund zu Veränderungen“ gebe und im Handel „eine der wenigen Besonderheiten … in den Beziehungen weiterbestehen“ (ND 25. 11. 1972, S. 4).
Am 29. 3. 1978 verteidigte das „Neue Deutschland“ in einem redaktionellen Artikel den IDH gegen Kritiker in der Bundesrepublik Deutschland und im eigenen Lager. Die SED-Führung warnte in dieser Erklärung vor Versuchen, „den Handel mit der DDR und speziell die Swing-Regelung als Mittel des politischen Drucks zu benutzen“, und brachte ihren Willen zum Ausdruck, „den Handel mit der BRD zum gegenseitigen Vorteil weiter zu entwickeln“.
Im „Gemeinsamen Kommuniqué über das Treffen von Bundeskanzler Helmut Schmidt mit dem Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker, vom 11. bis 13. Dezember 1981“ bekannte sich die DDR-Regierung noch einmal zu den vertraglichen Grundlagen und damit zum Sonderstatus des IDH und bekräftigte die Absicht, die innerdeutschen Wirtschaftsbeziehungen auszubauen. In dem Kommuniqué heißt es: „Beide Seiden sind bestrebt, die im gegenseitigen Interesse liegende wirtschaftliche und industrielle Zusammenarbeit langfristig zu entwickeln, zu erleichtern und zu vertiefen. Es bestand Übereinstimmung, den Warenaustausch auf der Grundlage der bestehenden Abkommen und nach Maßgabe der Möglichkeiten beider Seiten auszubauen und seine Struktur zu verbessern. Sie unterstrichen die Bedeutung der Zusammenarbeit bei Projekten und der Unternehmenskooperation einschließlich der Zusammenarbeit auf dritten Märkten.“
[S. 653]Die aus der Koalition von CDU/CSU und FDP entstandene Bundesregierung will im Bereich des IDH die Politik früherer Bundesregierungen fortsetzen. Bundeskanzler Kohl sagte in seiner Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am 13. 10. 1982: „Der innerdeutsche Handel bleibt ein wichtiges Element der Zusammenarbeit. Auf der Grundlage des Berliner Abkommens von 1951 und seiner Zusatzvereinbarungen ist die Bundesrepublik Deutschland — auch zum Wohl Berlins — zur Ausweitung dieses Handels bereit.“ Der IDH soll als Sonderbeziehung ausgebaut werden; er soll weiterhin dazu beitragen, die Möglichkeit einer deutschen Wiedervereinigung offenzuhalten.
Gegenüber den Regierungen ihrer Partnerländer in der Europäischen Gemeinschaft vertritt Bonn die Ansicht, daß der in den Beitrittsverträgen zum GATT, zur Montanunion und zum EWG-Vertrag vereinbarte Sonderstatus für den IDH weiter gilt. Dieser Standpunkt wurde im März und September 1973 dem Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft vorgetragen und von den Partnern erneut anerkannt. Der Sonderstatus wird von den Regierungen in der EG nicht in Frage gestellt. Allerdings müssen Rat und Kommission der Gemeinschaft immer wieder Anfragen zu den innerdeutschen Wirtschaftsbeziehungen beantworten.
Eine weitere Steigerung des Handelsvolumens kann auf lange Sicht nur erreicht werden, wenn sich beide Vertragspartner verstärkt auf Absatz 2 der Nr. 1 des Zusatzprotokolls zu Artikel 7 des Grundlagenvertrages besinnen, in dem „langfristige Vereinbarungen mit dem Ziel, … eine kontinuierliche Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zu fördern, überholte Regelungen anzupassen und die Struktur des Handels zu verbessern“, in Aussicht gestellt worden sind. Der IDH wird nur dann kontinuierlich wachsen können, wenn zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in größerem Umfang als bisher qualitativ höherwertige Formen der Kooperation möglich werden, wenn die Exportkraft der DDR-Wirtschaft erhalten bleibt, und wenn die beiden deutschen Staaten eine Ausweitung des IDH nicht aus politischen Gründen gefährden.
Siegfried Kupper
Literaturangaben
- Bethkenhagen, Jochen: Die Außenwirtschaftsbeziehungen der DDR vor dem Hintergrund von Kaltem Krieg und Entspannung, in: Beiträge zur Konfliktforschung, H. 4/1980, S. 39 ff. Köln: Markus 1980.
- Biskup, Reinhold: Deutschlands offene Handelsgrenze. Die DDR als Nutznießer des EWG-Protokolls über den innerdeutschen Handel. Frankfurt a. M.: Ullstein 1976.
- Ehlermann, Claus-Dieter: Handelspartner DDR — Innerdeutsche Wirtschaftsbeziehungen. Baden- Baden: Nomos 1975.
- Federau, Fritz: Der Interzonenhandel Deutschlands von 1946 bis 1953, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung. Hrsg.: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin. H. 4/1953, S. 385 ff. Berlin: Duncker & Humblot 1953.
- Kupper, Siegfried: Der innerdeutsche Handel. Rechtliche Grundlagen, politische und wirtschaftliche Bedeutung. Köln: Markus 1972.
- Lambrecht, Horst: Die Entwicklung des Interzonenhandels von seinen Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg.: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Berlin: Duncker & Humblot 1965. (Sonderhefte, NF. 72.)
- Lambrecht, Horst: Der innerdeutsche Handel — Ein Güteraustausch im Spannungsfeld von Politik und Wirtschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament 40/1982. Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn.
- Morawitz, Rudolf: Der innerdeutsche Handel und die EWG nach dem Grundvertrag, in: Europa-Archiv, H. 10/1973, S. 353 ff. Bonn: Europa Union 1973.
- Rösch, Franz: Thirty Years of the Berlin Agreement — Thirty Years of Inner-German Trade: Economic and Political Dimensions, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Nr. 137/1981, S. 525 ff. Tübingen: Mohr 1981.
- Schlemper, Annemarie: Die Bedeutung des innerdeutschen Handels. Eine empirische Analyse unter besonderer Berücksichtigung sektoraler und betriebsgrößenspezifischer Aspekte. Göttingen: Schwartz 1978.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 543–653
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