DDR von A-Z, Band 1985

Intelligenz (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979


 

[S. 658]Die I. wird als „Schicht“ oder auch als „Zwischenschicht“ bezeichnet. Sie steht neben den beiden Grundklassen: den Arbeitern und Angestellten einerseits, den Genossenschaftsbauern andererseits. Die Zahl der zur Schicht der I. Gehörenden ist ebensowenig fest umrissen wie ihre — in der einschlägigen Fachliteratur aus der DDR immer wieder geforderte — präzise sozialstrukturelle Definition. So ist es z.B. strittig, ob höhere Funktionäre der SED zur I. oder zu den „Arbeitern und Angestellten“ zu zählen sind. Auch weist das „Statistische Jahrbuch der DDR“ keine Bevölkerungsgruppe als I. aus. Kategoriale Unsicherheit war einer der Gründe dafür, daß bisher weder eine differenziertere I.-Statistik aufgebaut noch einfache umfassendere Erhebungen durchgeführt wurden.

 

In neueren soziologischen Arbeiten aus der DDR wird die „besondere Rolle“ der I. in der „gesellschaftlichen Organisation der Arbeit“ als konstitutives Merkmal angegeben. Allerdings hat die Soziologie in der DDR bisher die „objektive Dialektik“ der Stellung der I. in der DDR-Gesellschaft nicht empirisch entschlüsseln können. Mehr als der Hinweis, daß die I. einerseits durch die gleichen Eigentumsverhältnisse wie andere soziale Klassen und Schichten gekennzeichnet sei, andererseits sich durch eine „Vielzahl von Eigenschaften von der Arbeiterklasse“ unterscheide, ist auch in soziologischen Standardwerken nicht zu finden (vgl. „Grundlagen der marxistisch-leninistischen Soziologie“, Hrsg. G. Aßmann und R. Stollberg, Berlin [Ost] 1977, S. 182 ff.). Generell werden zur I. Personen gerechnet, die beruflich vorwiegend geistige Arbeit leisten und meistens eine Fach- bzw. Hochschulausbildung besitzen: Wissenschaftler, Ärzte, Lehrer, Ingenieure, Techniker, Künstler und Schriftsteller. Entsprechend werden je nach den Tätigkeitsbereichen unterschieden: „wissenschaftliche I.“, „medizinische I.“, „pädagogische I.“, „technische I.“ und „künstlerische I.“. Alle Personen mit Universitäts- bzw. Hochschulabschluß und mit Fachschulabschluß zählen zur I. In diesen Gruppen sind laut „Statistisches Jahrbuch“ diejenigen Fachkräfte eingeschlossen, denen — ohne Absolvierung eines Studiums oder einer Fachschule aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder besonderer Leistungen — ein wissenschaftlicher Grad bzw. Titel oder der Qualifikationsgrad „Ingenieur“ bzw. „Techniker“ zuerkannt wurde.

 

Die Zahl der Ende 1982 in der Wirtschaft Tätigen mit Hochschul- bzw. mit Fachschulabschluß betrug 534.700 bzw. 967.400. Im gleichen Jahr studierten 130.442 Studenten an den Universitäten und Hochschulen (ohne Forschungsstudium) sowie 172.058 an den Fachschulen. Während die Zahl der Studierenden an den Universitäten und Hochschulen seit 1973 gefallen ist, stieg die Zahl der Studierenden an den Fachschulen zwischen 1974 und 1981 ständig an. Der Anteil der Berufstätigen mit einem Hoch- oder Fachschulabschluß je 1000 Berufstätiger stieg zwischen 1961 und 1982 beim Hochschulabschluß von 22 auf 70 und beim Fachschulabschluß von 39 auf 127. Die wichtigsten Massenorganisationen der I., der Kulturbund der DDR (KB) sowie die Kammer der Technik (KdT), hatten Ende 1982 244.706 bzw. 250.255 Mitglieder, darunter 79.521 bzw. 66.556 Angehörige der I. im engeren Sinne, d.h. mit Hochschulabschluß.

 

Der überwiegende Teil der gegenwärtig tätigen I. hat seine Ausbildung bereits nach 1945 in der DDR erhalten. Die in der Nachkriegszeit in der SBZ bzw. DDR verbliebene „bürgerliche“ I. wurde materiell bevorzugt und berufspolitisch gefördert, wenn deren Mitglieder zur Mitarbeit in der Wirtschaft und in anderen Gesellschaftsbereichen und zu einer gewissen sozialen Integration bereit waren. Erheblich bevorzugt wurden besonders naturwissenschaftlich-technische Spezialisten und Berufsgruppen, z.B. bei der Festlegung des Arbeitseinkommens und des Urlaubsanspruchs (über Einzelverträge), der Wohnungszuweisung und Versorgung. Die in der Zwischenzeit ausgebildete „sozialistische“ I. hat auf materielle Vergünstigungen nicht verzichten müssen und stellt dementsprechend heute — allerdings ohne Lehrer, Ingenieure und Techniker — eine Sozialgruppe mit überdurchschnittlichem Lebensstandard dar, wenn auch die Einkommensdifferenz zwischen I.-Einkommen und durchschnittlichem Facharbeiterlohn in der Regel nicht so groß wie in der Bundesrepublik Deutschland ist. Wiederholt hat die I.-Politik der SED der Annäherung der I. und der Arbeiterklasse das Wort geredet. Als Teil einer Gesamtpolitik, die die gesellschaftliche Entwicklung in allererster Linie auf die Entwicklung der Produktivkräfte zurückführt, verfolgte sie dabei vor allem das Ziel, Wissenschaft zur Wirkung zu bringen. Besonders prägnant zeigte sich dies Ende der 60er Jahre, als eine naturwissenschaftlich-technische „sozialistische Großforschung“ aus dem organisatorischen, planerischen und finanziellen Zusammenschluß von universitärer und betrieblicher I. gebildet werden sollte. Über erste Gründungen von Großforschungszentren kamen diese Bemühungen schon aufgrund finanzieller Schwierigkeiten nicht hinaus. Im Rahmen der Kombinatsbildungen und der Förderung der Kombinatsforschung seit Beginn der 80er Jahre wurde diese Linie wieder aufgenommen, ohne allerdings auch die gesellschaftspolitische Erwartung zu erneuern, aus den engen Arbeitszusammenhängen von produktionsnaher Forschung und forschungsbezogenem Ingenieurwesen mit dem jüngeren „Arbeiter-Wissenschaftler“ den Prototyp des zukünftigen Gesellschaftsmitgliedes zu gewinnen.

 

Gegenwärtig verfährt die I.-Politik traditionalistisch und sucht individuelle Leistungsmotivation über Konkurrenzverhalten und die Aussicht auf individuelle Karrieren zu fördern. Seit dem X. Parteitag der SED werden von der I. mehr Meinungsstreit und die Herausbildung miteinander konkurrierender wissenschaftlicher Schulen erwartet. Ferner soll die Talentförderung zukünftig individualisierter, die Ausbildung wie die Entlohnung der I.-Gruppen weniger starr und vermehrt leistungsbezogen erfolgen. In der Vergangenheit haben die starke Verschulung der Ausbildung — die individuellen Befähigungen wenig Beachtung schenkte — sowie mangelnde fachwissenschaftliche Information und Kommunikation, die starre Entlohnung, die Dominanz [S. 659]politisch engagierter I. in Wissenschaftsfragen sowie schließlich die begrenzten Lebensverhältnisse dahin geführt, daß trotz der starken quantitativen Ausweitung der I. die DDR im internationalen Vergleich relativ wenige hervorragende wissenschaftliche Leistungen verzeichnen und kommerziell verwerten konnte. Sozialstruktur; Wissenschaftlich-technische Revolution (WTR).


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 658–659


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.