Kulturarbeit des FDGB (1985)
Siehe auch:
- Kulturarbeit, gewerkschaftliche: 1969
1. Aufgaben der K. Die K. gilt als wichtiger Teilbereich der Gewerkschaftsarbeit. Mit Hilfe der K. sollen sich die Gewerkschaftsmitglieder die nationalen und internationalen kulturellen Traditionen aneignen, ihre Fähigkeiten zu eigenem künstlerischem Ausdruck entwickeln, Elemente sozialistischer Allgemeinbildung und spezielle, im Berufsleben anwendbare Kenntnisse erwerben sowie in der Gestaltung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen Ansätze zu einer Sozialistischen ➝Lebensweise herausbilden. Die Inhalte der K. orientieren sich an den jeweiligen kulturpolitischen Zielsetzungen der SED (Kulturpolitik).
Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) will mit seiner K. an den Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung, deren eine Wurzel in den bürgerlich-demokratischen Bildungsvereinen des 19. Jahrhunderts zu suchen ist und die sich immer auch als Kultur- und Bildungsbewegung begriffen hat, anknüpfen. Unter Kultur wurden die historischen Hervorbringungen in Wissenschaft und Kunst in ihrer ganzen Breite verstanden, soweit sie dauerhaft und zukunftsweisend schienen. Zugleich gab es Ansätze zu einem eigenen kulturellen Beitrag als „sozialistische“ bzw. „proletarische Kultur“. Sich-Bilden, Lernen wurden als eine Voraussetzung und als ein Ausdruck des Abbaus von bürgerlicher Herrschaft sowie erfolgreicher gesellschaftlicher Emanzipation gesehen. Allgemeinbildung, kulturelle Eigenbetätigung und Erwerb beruflich verwertbarer Kenntnisse standen in engem Zusammenhang; sie waren gleichermaßen Mittel für individuellen Aufstieg und gesamtgesellschaftliche Emanzipationsbestrebungen. Wenn diese Traditionslinie auch durch die marxistisch-leninistische Parteilichkeit und die aktuellen kulturpolitischen Beschlüsse von SED und Staat umgeformt worden ist, wirkt sie in Form und Inhalt der K. z.T. immer noch nach.
Der FDGB versteht seine K. als einen Beitrag zur „allseitigen Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten“ (Persönlichkeitstheorie, Sozialistische). Produktionsarbeit, politisch-soziale Aktivität, ständige fachliche und allgemeine Weiterbildung werden als einander bedingende Elemente eines einheitlichen Prozesses gedeutet. Entsprechend wollen die verschiedenen Bereiche der K. als Einheit im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang, in dessen Zentrum der Produktionsprozeß steht, gesehen werden.
Aufgaben der K. sind:
a) Förderung der „Arbeitskultur“ (A.), d.h. das Herstellen optimaler Bedingungen für Wohlbefinden und Arbeitsfreude am Arbeitsplatz. A. umschließt Arbeits- und Gesundheitsschutz, arbeitsphysiologisch und arbeitspsychologisch richtige Gestaltung von Arbeitsmitteln, -räumen und -prozessen (Arbeitsgestaltung), kameradschaftliche Zusammenarbeit (gegenseitige Hilfe), gesellschaftlich nützliche und ästhetisch gestaltete Arbeitsprodukte;
b) Vermittlung fachlicher Kenntnisse als ein das gesamte Berufsleben begleitender Prozeß (Einheitliches sozialistisches Bildungssystem, XII.);
c) Erziehung im Rahmen der Weltanschauung des Marxismus-Leninismus (Schulen der sozialistischen Arbeit);
d) Entwicklung und Organisation der kulturellen und künstlerischen Eigentätigkeit (Laienkunst);
e) Vermittlung des Kulturellen Erbes und Werbung für die Teilnahme am gegenwärtigen Kulturleben;
f) Förderung der Beziehungen zwischen Kunstinstitutionen und Berufskünstlern und den Werktätigen im Betrieb als eines gegenseitigen Lern- und Erziehungsprozesses;
g) Einwirken auf die Gestaltung der Freizeit und die kulturelle Entwicklung in den Wohngebieten (Wohnbezirk).
2. Organisation und Formen der Kulturarbeit. Die K. vollzieht sich wesentlich im Betrieb; die Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) trägt für sie die Verantwortung und stützt sich dafür auf die bei ihr und z. T. bei den Abteilungsgewerkschaftsleitungen (AGL) bestehenden Kommissionen Kultur und Bildung sowie auf die Kulturobmänner (1983: 301.231) in den Gewerkschaftsgruppen. Die Kommissionen stellen die Kontakte zu den örtlichen Kulturstätten her, beeinflussen und koordinieren die Jahrespläne der betrieblichen Kultureinrichtungen (z.B. Kultur- bzw. Klubhäuser und Gewerkschaftsbibliotheken), erarbeiten in größeren Betrieben Jahrespläne zur Entwicklung des geistig-kulturellen Lebens und beeinflussen die Kultur- und Bildungspläne der Gewerkschaftsgruppen (1982 sollen 290.000 Gewerkschaftsgruppen einen derartigen Plan beschlossen haben).
Das weite Verständnis von K. berührt jedoch faktisch alle Bereiche gewerkschaftlicher Arbeit (Betriebsgewerkschaftsorganisation [BGO]).
Die Vorhaben der K. sind Bestandteil des Betriebskollektivvertrages (BKV); sie werden aus dem Kultur- und Sozialfonds des Betriebes und der Gewerkschaftskasse finanziert. Das Arbeitsgesetzbuch (AGB) (Arbeitsrecht) verpflichtet die Betriebe zur Unterstützung des geistig-kulturellen und sportlichen Lebens, zum Unterhalt, Ausbau sowie zur effektiven Nutzung der entsprechenden Einrichtungen. Entscheidungen des Betriebsleiters in diesem Bereich bedürfen der Zustimmung der BGL. Großbetriebe werden angehalten, mit den schlechter gestellten Klein- und Mittelbetrieben Vereinbarungen zu treffen, damit die dort Beschäftigten die vorhandenen Kultureinrichtungen mitbenutzen, sich an der Zirkelarbeit beteiligen, an Exkursionen teilnehmen können usw. Diese Einrichtungen übernehmen darüber hinaus Aufgaben bei der kulturellen Versorgung der Städte und Gemeinden. Im Zusammenhang mit der Ausdehnung der Schichtarbeit werden gegenwärtig für diese Beschäftigtengruppe besondere Öffnungszeiten in den Kultureinrichtungen angestrebt und in der K. Sonderveranstaltungen angeboten. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Suche nach Formen der K., die geeignet sind, Jugendliche kontinuierli[S. 763]cher einzubeziehen (z.B. Jugendtanzveranstaltungen, spezielle Vortragsthemen, Diskotheken und Jugendklubs in den Kulturhäusern) (Unterhaltungskunst). Die betriebliche K. wird von den Abteilungen Kultur der übergeordneten Gewerkschafts- und FDGB-Leitungen angeleitet (Leiter der Abteilung Kultur d. BV des FDGB: Sekretär und Mitglied des Präsidiums des BV des FDGB, Dr. Harald Bühl). Die Funktionäre der K. werden in 3-Monats-Lehrgängen in den Bezirksschulen des FDGB, in einem 1jährigen Studium der Zentralen Kulturschule des FDGB in Leipzig und im Direkt- bzw. Fernstudium (3 bzw. 5 Jahre) an der Hochschule des FDGB in Bernau ausgebildet. Zur Unterstützung der K. erscheinen Informationsmaterial und Buchpublikationen im Verlag des FDGB „Tribüne“ sowie Aufsätze in der Monatszeitschrift „Gewerkschaftsleben“. Ferner werden die Veröffentlichungen der Zentralhäuser für Kulturarbeit, mit denen der FDGB eng zusammenarbeitet, für die K. genutzt.
Um zu einer möglichst wirkungsvollen K. zu kommen, arbeitet der FDGB eng mit den anderen im Betrieb vertretenen Massenorganisationen (besonders mit der Freien Deutschen Jugend [FDJ], der Kammer der Technik [KdT], dem Kulturbund der DDR [KB], der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft [DSF], dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) der DDR, der Urania (Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse)), im Wohngebiet mit den örtlichen Staatsorganen und der Nationalen Front der DDR und den Künstlerverbänden zusammen. Über Form und Inhalt der Zusammenarbeit sind mit allen Organisationen schriftliche Vereinbarungen getroffen worden. Ein nicht unwesentlicher Teil der K. ist die Volkskunstbewegung, deren Einrichtungen und staatliche Unterstützungen auch für die K. genutzt werden.
Die Teilnahme am kulturellen Leben (z.B. Theateranrechtsscheine, gemeinsamer Ausstellungsbesuch usw.) und die fachliche Weiterbildung sind Bestandteile des sozialistischen Wettbewerbs unter dem Motto: „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ um den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ (Sozialistischer Wettbewerb). Für kulturelle Selbstverpflichtungen und Leistungen ist daneben als eigene Wettbewerbsform der ökonomisch-kulturelle Leistungsvergleich eingeführt worden. Ergebnisse dieser Bemühungen spiegeln sich sowohl in der hohen Beteiligung an den Maßnahmen zur beruflichen Aus- und Weiterbildung (Einheitliches sozialistisches Bildungssystem, XII.) als auch in den großen Besucherzahlen von Museen, Theatern, Kunstausstellungen usw. wider. Nach Befragungsergebnissen sollen 30 v.H. der Arbeiter 4–12mal jährlich, 25 v.H. selten ein Theater besuchen. Die Verbreitung des Fernsehens läßt diese Zahlen zurückgehen.
Ein dichtes Netz von Gewerkschaftsbibliotheken in Ergänzung der staatlichen Allgemeinbibliotheken dient sowohl der fachlichen wie der allgemeinen Bildung; im Buchbestand sollen beide Bereiche mit gleichem Anteil vertreten sein. 1982 gab es 3.169 hauptberuflich, 1174 ehrenamtlich geleitete Gewerkschaftsbibliotheken mit einem Buchbestand von 9,28 Mill. Büchern. Es wurden 0,970 Mill. Benutzer und 13,9 Mill. Entleihungen gezählt. Die Entleihungen verteilten sich 1980 auf die verschiedenen Literaturgruppen wie folgt: 52 v.H. Belletristik; 34 v.H. wissenschaftliche und Fachliteratur; 10 v.H. Kinderliteratur, 4 v.H. audiovisuelle Materialien (Bibliotheken).
Der Selbstbetätigung dienen vor allem die verschiedenen Zirkel und Interessengemeinschaften, die für alle denkbaren künstlerischen Interessen und Freizeitbeschäftigungen bestehen. Etwa 7 v.H. der Werktätigen sollen sich an dieser Form der K. regelmäßig beteiligen. Ansätze, durch eine forcierte Entwicklung der künstlerischen Selbsttätigkeit in absehbarer Zeit den Unterschied zwischen Laien- und Berufskunst zum Verschwinden zu bringen (Bitterfelder Weg: Greif zur Feder, Kumpel), sind inzwischen abgeklungen. Beide Bereiche werden in ihrer Eigenart anerkannt, sollen aber sehr eng verzahnt werden. Besondere Beachtung haben die Zirkel schreibender Arbeiter, die in der Regel von einem Berufsschriftsteller geleitet werden, gefunden (1972: 250 Zirkel mit ca. 4.000 Mitgliedern; 1976 gab es noch 130); Ergebnisse ihrer Arbeit erscheinen außer in Betriebszeitungen, der Tagespresse usw. im Mitteldeutschen Verlag und im Verlag Tribüne.
Für die Zusammenarbeit mit den Berufskünstlern wurden mit deren gesellschaftlichen Organisationen Verträge abgeschlossen. Auch mit Theatern, Museen usw. bestehen Vereinbarungen. Berufskünstler sind als Zirkelleiter tätig, übernehmen Patenschaften, sind Ehrenmitglieder von Arbeitsbrigaden. Dichterlesungen und Ausstellungen finden in den Betrieben statt. Die Betriebe vergeben Aufträge an bildende Künstler; Vorhaben und Ausführung werden mit der Belegschaft diskutiert. Der Verleihung der Kunstpreise des FDGB (erstrecken sich auf alle Bereiche der Kunst einschließlich Fernsehen und Rundfunk) geht eine breitgefächerte Diskussion in den Betrieben, insbesondere in den Interessengemeinschaften, voraus, in der die besonders beachteten Werke sowohl popularisiert als auch zugleich einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Aus den Betrieben werden Vorschläge und Stellungnahmen schriftlich an die Jury beim BV des FDGB eingereicht. Mittelpunkt für die K. im Betrieb und auch für das Wohngebiet sind die Kultur- und Klubhäuser, auf deren materielle und personelle Ausstattung und Tätigkeit der FDGB auch dann entscheidend Einfluß ausübt, wenn sie ihm nicht unmittelbar zugeordnet sind. Die Kultur- und Klubhäuser dienen sowohl dem kulturellen als auch dem geselligen Leben. In kleineren Betrieben und Gemeinden existieren mit gleichen Aufgaben Kultur- und Zirkelräume, Musik- und Spielzimmer (1982: 4.529) sowie Säle mit und ohne Bühne bzw. Kinosäle, die ebenfalls für die K. genutzt werden (1982: 1457). 1982 gab es 1109 Kultur- und Klubhäuser (darunter über 350 gewerkschaftseigene, vor allem in Großbetrieben) mit 9.079 Interessengemeinschaften (Ig.) und rd. 181.300 Teilnehmern (darunter 6.204 Ig. des künstlerischen Volksschaffens bzw. Freundeskreise der Kunst mit 116.300 Mitgl. sowie 903 naturwissenschaftliche, technis[S. 764]che und fachliche Ig. mit 15.200 Mitgl.). Die Zahl der Ig. und ihrer Mitglieder ist seit Mitte der 70er Jahre leicht rückläufig. Insgesamt verzeichneten die Kultur- und Klubhäuser 1982 58,5 Mill. Besucher bei den 590.673 Veranstaltungen (darunter 9,12 Mill. zu Vorträgen; 16,5 Mill. zu künstlerischen Veranstaltungen; 6,5 Mill. zu Ausstellungen; 13,1 Mill. zu Tanzveranstaltungen; 13,3 Mill. bei Ehrungen, bei der Jugendweihe und sonstigen Veranstaltungen). Das Zentrale Klubhaus der Gewerkschaften „Hermann Duncker“ in Halle übt eine Leitfunktion für die Klubhausarbeit aus, entwickelt Musterprogramme und organisiert den Erfahrungsaustausch.
Höhepunkt der K. sind die von den Großbetrieben seit 1970 in wachsender Zahl jährlich veranstalteten Betriebsfestspiele, an denen sich auch die kleineren Industrie- und landwirtschaftlichen Betriebe beteiligen und in die die Wohngebiete einbezogen sind (1981: 3.657 Betriebsfestspiele mit 9,7 Mill. Besuchern und Mitwirkenden). Die besten Darbietungen werden ausgewählt und — ergänzt um Ausstellungen und Veranstaltungen mit Berufskünstlern (ausgewählt von der Gew. Kunst) sowie ausländischen Gruppen — zu den zunächst jährlich, seit 1972 alle 2 Jahre stattfindenden Arbeiterfestspielen zusammengefaßt. Die Arbeiterfestspiele dauern 3 Tage und werden jeweils in einer anderen Bezirkshauptstadt und in den größeren Städten des Bezirks abgehalten. (Die 19. Arbeiterfestspiele fanden 1982 in Neubrandenburg statt; geplant 1984: Gera, 1986: Magdeburg.)
Zwischen seinem 9. und 10. Kongreß in den Jahren 1977–1981 (in Klammern die Zahlen für die Jahre 1972–1976) hat der FDGB für die K. 470,5 (374) Mill. Mark aufgewendet. 1980 entfielen von den 3,5 Mrd. Mark der Kultur- und Sozialfonds 175 Mill. Mark auf kulturelle Aufgaben (5 v.H.); allerdings schwanken die Ausgaben stark von Betrieb zu Betrieb und von Industriezweig zu Industriezweig. Die sich seit Jahren wiederholenden Klagen über die ungleiche Ausgestaltung der K. sind ein Hinweis darauf, wie stark die K. von dem persönlichen Engagement der Funktionäre und Werkleiter abhängig ist und wie leicht sie immer noch von ökonomischen und sozialen Aufgaben in den Hintergrund gedrängt werden kann. Soweit die K. auch Aufgaben in den Gemeinden, Städten und Wohngebieten erfüllt, erhält sie auch Finanzmittel von den örtlichen Räten.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 762–764
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