DDR von A-Z, Band 1985

Mikroelektronik (1985)

 

 

1. Zum Mikroelektronik-Begriff. Als M. wird in der DDR ganz allgemein die „Entwicklungsstufe der Elektronik, bei der alle oder ein Teil der Funktionselemente auf kleinstem Raum eines Trägermaterials untrennbar miteinander verbunden sind“, bezeichnet (Grundlagen der — Elektronik, der BMSR-Technik, der — Datenverarbeitung. Gruppierung II, 5. Aufl., Berlin [Ost] 1981, S. 32). Nach einer weitergefaßten Begriffsdefinition wird unter M. eine „durch Einsatz hochintegrierter Festkörperschaltkreise weiterentwickelte konventionelle Elektronik verstanden; aber auch die modernen technologischen Herstellungsverfahren, die Methoden und Hilfsmittel zum Entwurf und zur Programmierung der hochintegrierten Schaltkreise und deren Anwendung für den Bau von Steuergeräten und Rechnereinheiten werden in diesen Begriff einbezogen“ (W. Meiling, Mikroprozessor-Mikrorechner. Funktion und Anwendung, Berlin [Ost] 1978, S. 1).

 

2. Zur Entwicklung der M. Die Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Halbleitertechnik setzte in der DDR etwa 1958 ein. Zu den ersten hierbei tätig gewesenen Institutionen zählte u.a. das Institut für Halbleitertechnik Teltow. Halbleiterbauelemente wurden seit Ende der 50er Jahre zunächst im VEB Spurenelemente Freiberg-Muldenhütten hergestellt. Ab 1961 nahm der VEB Halbleiterwerk Frankfurt/Oder die Produktion dieser Erzeugnisse auf. Dieser und weitere VEB dieses Produktionsbereiches waren in der VVB Bauelemente und Vakuumtechnik zusammengeschlossen. Auf dem VI. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) Anfang 1963 wies deren 1. Sekretär Walter Ulbricht erstmals auf die „umwälzenden Möglichkeiten“ hin, die mit der Anwendung der M. verbunden sind, jedoch blieben dieser wie auch weitere Hinweise und Appelle noch ohne Einfluß auf das Produktionsverhalten der Betriebe der Elektronik-Industrie. Unter dem Eindruck der inzwischen eingetretenen Entwicklungslücke beschloß daher der Ministerrat im Juni 1963 zunächst ein „Programm zur Entwicklung der elektronischen Bauelemente und Geräte“ (Beschluß vom 27. 6. 1963), um eine Beseitigung der auf dem Elektronik-Sektor sichtbar gewordenen Disproportionen einzuleiten. Parallel hierzu wurde zur gleichen Zeit eine Regierungskommission für die Ausarbeitung einer „Grundlinie der Entwicklung der maschinellen Datenverarbeitung“ gebildet (Datenverarbeitung, Elektronische [EDV]). Diese Regierungskommission legte ein Jahr nach ihrer Gründung ihr Untersuchungsergebnis vor, das die Grundlage des ebenfalls vom Ministerrat beschlossenen „Programms zur Entwicklung, Einführung und Durchsetzung der maschinellen Datenverarbeitung in der DDR in den Jahren 1964 bis 1970“ (Beschluß vom 3. 7. 1964) bildete. Als Voraussetzung für die Durchführung der mit diesem Ministerratsbeschluß festgelegten Aufgaben wurde schließlich eine „Grundkonzeption zur Entwicklung der elektronischen Industrie im Zeitraum des Perspektivplanes bis 1970“ beschlossen (Ministerratsbeschluß vom 30. 7. 1964). Alle 3 Beschlüsse bildeten einen zusammenhängenden und sich ergänzenden Maßnahmenkomplex zur Sanierung und Fortentwicklung der ins technologische Abseits geratenen Elektronik-Industrie der DDR. Zwar führten diese staatlichen Maßnahmen zu Veränderungen und gaben Anstöße für Entwicklungsfortschritte; dennoch blieb trotz weiterer Appelle und Maßnahmen von Partei- und Wirtschaftsführung die Gesamtsituation im wesentlichen unverändert. Die DDR lief auch weiterhin der technologischen Entwicklung im Westen mit deutlicher werdendem Abstand hinterher. Als Anfang der 70er Jahre die M. im Westen bereits das Profil vieler Bereiche prägte, blieben diese Entwicklungstendenzen in der DDR ohne sichtbare Auswirkungen. Weder in der Direktive zum Fünfjahrplan 1976–1980 noch in dem verabschiedeten Gesetz dieses Fünfjahrplanes findet sich ein Hinweis auf die M. Erst auf der 4. Tagung des ZK der SED im Dezember 1976 erklärte der damalige Minister für Elektrotechnik und Elektronik, Steger, die Beherrschung der M. zur Kernfrage der weiteren wissenschaftlich-technischen Entwicklung; er forderte mit dem „Programm zur Entwicklung der Mikroelektronik … den notwendigen wissenschaftlich-technischen Vorlauf für den Zeitraum nach 1980 zu schaffen“. Damit trat die Entwicklung und Anwendung dieser neuen Technologie in das Zentrum politischer und ökonomischer Anstrengungen. Die Halbleiterindustrie begann ihr Entwicklungs- und Produktionsprogramm im Rahmen der bestehenden bescheidenen Möglichkeiten den neuen Aufgaben anzupassen. Ferner importierte die DDR trotz knapper Devisen Mikroprozessoren z.B. von den amerikanischen Firmen Intel und Texas Instruments für ausgewählte Einsatzzwecke sowie für wissenschaftliche Forschungsinstitute. Die nunmehr verstärkten, eigenen Entwicklungsarbeiten führten bereits 1977 [S. 889]zu sichtbaren Ergebnissen: auf der Leipziger Frühjahrsmesse wurden der erste Mikroprozessor und weitere integrierte Schaltkreise vom VEB Funkwerk Erfurt sowie mit Mikroprozessoren bestückte Rechner aus dem VEB Kombinat Robotron Dresden vorgestellt. Für die Praxis standen solche Erzeugnisse vorerst kaum zur Verfügung, da die notwendigen produktionstechnischen Voraussetzungen fehlten, um diese in Serie herzustellen. So wurde der erreichte Stand von Partei- und Regierungsführung noch immer als nicht ausreichend bezeichnet. Die 7. ZK-Tagung im November 1977 beschloß dementsprechend weitere Maßnahmen zur Verbesserung der „Leitung und Planung im Bereich des Ministeriums für Elektrotechnik/Elektronik“, die zur Gründung der Kombinate Mikroelektronik Erfurt und Elektronische Bauelemente Teltow mit Beginn des Jahres 1978 sowie die Neubildung und Erweiterung der Kombinate NARVA Berlin (Ost), Robotron Dresden, Elektrogerätewerk Suhl, Fahrzeugelektrik Ruhla und Pentacon Dresden führten. Der Industriebereich Elektrotechnik/Elektronik wurde damit zum Mittelpunkt der verstärkten Kombinatsbildungsphase in der DDR Ende der 70er Jahre (Betriebsformen und Kooperation, III.; Elektrotechnische und Elektronische Industrie; Wirtschaft, II.). Die vorgenommenen Veränderungen führten tatsächlich zu einem erkennbaren Aufschwung der Elektronik-Industrie. Im Vergleich zum Entwicklungsstand westlicher Industrieländer war jedoch noch immer ein deutlicher Rückstand sowohl im Erzeugnisangebot als auch bei der Nutzung der M. festzustellen. Auf der 11. ZK-Tagung der SED im Dezember 1979 wurde von Generalsekretär Erich Honecker u.a. nach wie vor auf folgende Mängel hingewiesen:

  • ungenügende Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse,
  • zu langsame Überführung wissenschaftlicher Ergebnisse in die Produktion,
  • fehlende Risikobereitschaft in Betrieben und Kombinaten sowie
  • mangelhafte Bereitstellung der für den Produktionsprozeß notwendigen Materialien.

 

Hinzu kam, daß es am Ende der 70er Jahre trotz einiger Erfolge noch immer an ausreichenden produktionstechnischen Voraussetzungen für eine Serienproduktion vor allem von Schaltkreisen mit höchster Integrationsdichte und anderen von der M. stark geprägten Erzeugnissen fehlte. Die Zeit bis 1983 brachte weitere staatliche Appelle und neue Maßnahmen zur Sicherung von Entwicklung und Anwendung der M. Unter den sich in dieser Zeit für die DDR erheblich verschlechternden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Rohstoffpreiserhöhungen, Absatzschwierigkeiten auf dem Weltmarkt usw.), avancierte die M. in Hinblick auf die von ihr erhofften Rationalisierungseffekte allmählich zur „Zauberformel“ für die weitere Wirtschaftsentwicklung der DDR.

 

Um eine schnellere Entwicklung der M. zu erreichen, wurden im Frühjahr 1980 der VEB Elektromat Dresden und der dem neuen Kombinat Mikroelektronik angegliederte VEB Institut für Mikroelektronik Dresden zum VEB Zentrum für Forschung und Technik Mikroelektronik Dresden mit rd. 7.000 Beschäftigten vereinigt. Ziel des dem Kombinat Mikroelektronik unterstellten Instituts soll es sein, sich zum führenden wissenschaftlich-technischen Zentrum für die M. in der DDR zu entwickeln. Ebenso soll das Institut Einfluß auf die Bedarfsdeckung der Industrie mit mikroelektronischen Ausrüstungen nehmen und die Anwendung neuer Erkenntnisse bei Weiterentwicklung und Anwendung der M. sichern helfen. Parallel hierzu wurde die Dresdener Ingenieurhochschule vom Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen mit der Leitfunktion für die Anwendung der Klein- und Mikrorechentechnik im Hochschulwesen der DDR beauftragt. In der Ingenieurhochschule für Elektrotechnik und Maschinenbau Eisleben wurde ein sog. „Konsultationspunkt Mikroelektronik“ zur Beratung von VEB speziell über die Einsatzmöglichkeiten von Mikrorechnern und Mikroprozessorsystemen eingerichtet, um neue Technologien möglichst schnell praxiswirksam werden zu lassen. In der Folgezeit wurden an weiteren Lehr- und Forschungseinrichtungen derartige anwendungsbezogene Konsultationsstellen eingerichtet.

 

Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1980 konnten die ersten Erzeugnisse des bereits angekündigten neuen Robotronprogramms „Dezentrale Datentechnik“ (Datenverarbeitung, Elektronische [EDV]) vorgestellt werden. Zu den erstmals gezeigten Elektronik-Exponaten gehörten weiterhin neue Schaltkreistypen, spezielle M.-Anwendungen für den Maschinenbau, erste Erzeugnisse der Hobby-Elektronik sowie mikrolithografische Spezialausrüstungen für die Herstellung von integrierten Schaltkreisen aus dem VEB Kombinat Carl Zeiss Jena.

 

Im Rahmen der Wettbewerbsverpflichtungen in Vorbereitung des X. Parteitages der SED (1981) wurden in den Elektronik-Kombinaten nicht nur neue M.-Erzeugnisse entwickelt, sondern ebenso in den Rationalisierungsbetrieben und -abteilungen der Kombinate neue Anwendungsformen der M. eingeführt. Erwartungsgemäß wurden auf dem Parteitag selbst die schnelle Entwicklung, die Produktion und die breitere Anwendung mikroelektronischer Erzeugnisse übereinstimmend sowohl in der Direktive des X. Parteitages als auch in den Berichten von Honecker und Ministerratsvorsitzenden Willi Stoph sowie in verschiedenen Delegiertenberichten zur Grundlage aller Entwicklungsziele und zur Voraussetzung bei der Lösung der gestellten Aufgaben erklärt. Wie Honecker hervorhob, gehöre die DDR gegenwärtig „zu den wenigen Ländern der Welt, die auf wichtigen Gebieten über das Potential verfügen, um mikroelektronische Bauelemente zu entwickeln und zu produzieren“. Nach DDR-Quellen wurden bis Mitte 1981 rd. 420 Typen elektronischer Bauelemente, darunter 210 verschiedene Schaltkreistypen produziert.

 

Den von Partei- und Regierungsführung der DDR aufgestellten Leitlinien zur Entwicklung und Anwendung der M. folgend, nahmen die Aktivitäten in Forschung und Praxis deutlich zu und führten auch zu sichtbaren Ergebnissen:

 

[S. 890]

  • In den Kombinaten der M.-Industrie wurden die Kapazitäten für Forschung, Entwicklung und Produktion erweitert, um die festgelegten Planungsziele realisieren zu können.
  • In allen Bezirken entstanden „Beratungs- und Informationszentren ‚Mikroelektronik‘“, um vor allem Erstanwender sowie Klein- und Mittelbetriebe ohne eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen bei der Einführung der M. zu unterstützen.
  • Ebenso wurde begonnen, in verschiedenen Industriekombinaten Forschungs-, Entwicklungs- und Anwenderzentren für M. einzurichten.
  • Im Rahmen der „territorialen Rationalisierung“ entstanden in einigen Bezirken „Anwendergemeinschaften Mikroelektronik und elektronische Rechentechnik“, um durch gegenseitige Unterstützung und gemeinsame Nutzung gegebener Kapazitäten die neuen Technologien möglichst effektiv anzuwenden.
  • Parallel hierzu wurden die Ausbildung von Lehrlingen, Hoch- und Fachschülern sowie die Weiterbildung von Berufstätigen geändert: z.B. bot der Bezirksverband der Kammer der Technik (KDT) in Leipzig seinen Mitgliedern und anderen Interessenten rd. 70 Lehrgänge zur M. und Industrierobotertechnik an. Andere Bezirksverbände der KDT nahmen ebenfalls Kurse zur Anwendung der M. in ihr Weiterbildungsprogramm auf. Nach Mitteilung des Ministers für Hoch- und Fachschulwesen der DDR wurden für alle Hoch- und Fachschulabsolventen Grundkurse zur M. als Pflichtveranstaltung eingeführt. Auch in der Ausbildung für bestimmte Facharbeiterberufe wie z.B. „Elektronikfacharbeiter“ oder „Mechaniker für Datenverarbeitungs- und Büromaschinen“ ist die M. inzwischen Pflichtfach.

 

Das Ende 1981 veröffentlichte Gesetz über den Fünfjahrplan für 1981–1985 bestätigte den zentralen Stellenwert der M. entsprechend den bereits auf dem X. Parteitag verkündeten Aufgaben und Zielen. Nach offiziellen Berichten betrug das Produktionsvolumen an elektronischen Bauelementen 1983 insgesamt 1724 DDR-Mark. Im gleichen Jahr wurden 135.000 Stück Mikroprozessoren gefertigt. Das Produktionsprogramm des Kombinates M. umfaßt gegenwärtig 1086 Typen elektronischer Bauelemente. DDR-Fachleute räumen jedoch ein, daß es noch verschiedene Probleme mit der Beherrschung der M. gibt. Zu hohe Fertigungskosten und die immer kürzer werdenden Innovationszyklen bereiten die größten Schwierigkeiten.

 

Zwar wird inzwischen eine Reihe elektronischer Konsumgüter produziert. Doch es fehlt noch immer an ausreichenden und preisgünstigen Angeboten. Das gilt besonders für Taschenrechner, Schach- und Heimcomputer. Erstmals angebotene Erzeugnisse dieser Art stehen zunächst nur einem kleinen Kreis ausgewählter Anwender zur Verfügung.

 

3. M. und ökonomische Strategie für die 80er Jahre. Die ökonomische Strategie des X. Parteitages ist darauf gerichtet, die „materiell-technische Basis“ der Volkswirtschaft der DDR vor allem qualitativ auszubauen. Sie geht dabei von einer „intensiv erweiterten Reproduktion“ aus. Deren Durchsetzung zwingt jedoch zu einer vollen Nutzung der Möglichkeiten des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, wobei insbesondere die M. als eine entscheidende Grundlage des „Kampfes um höchste Produktivität, Effektivität und Qualität“ angesehen wird. Entsprechend stellt daher die M. ein wesentliches Element der Wirtschaftsstrategie für die 80er Jahre dar. Die angestrebten Ziele waren Gegenstand eines auf der 13. ZK-Tagung im Dezember 1980 bestätigten, nicht veröffentlichten Politbürobeschlusses „über die weitere Durchführung der langfristigen Konzeption zur beschleunigten Entwicklung und Anwendung der Mikroelektronik in der Volkswirtschaft der DDR“.

 

Die im Gesetz über den Fünfjahrplan genannten Aufgaben sehen für diesen Produktionsbereich u.a. vor, die Herstellung mikroelektronischer Bauelemente gegenüber 1980 zu verdoppeln und die Produktion hochintegrierter Schaltkreise im Vergleich zu 1980 zu verdreifachen. Dabei sollen der überwiegende Bedarf an Mikroprozessoren aus eigenem Aufkommen gedeckt und die Vormaterialien hierfür weitgehend selbst hergestellt werden. Geplant ist ferner eine Erhöhung der Produktion numerisch gesteuerter Maschinen, von Industrierobotern (angestrebtes Ziel: 45.000) sowie von elektronischen Rechenanlagen. Bei der Produktion von Erzeugnissen der Rechentechnik, der Automatisierungs- und Steuerungstechnik, des wissenschaftlichen Gerätebaus sowie bei elektrischen, elektronischen und fotooptischen Konsumgütern soll durch den verstärkten Einsatz der M. ein weitgehender Generationswechsel durchgesetzt werden (Anstieg des Anteils mikroelektronisch ausgestatteter Maschinen auf über 50 v.H. des Gesamtbestandes). Darüber hinaus ist vorgesehen, durch Anwendung der M. rd. ein Viertel der geplanten Material- und Energieeinsparungen und 20 bis 25 v.H. der geplanten Arbeitsproduktivitätssteigerung zu erreichen. Um diese Ziele verwirklichen zu können, sind jedoch eine Reihe organisatorischer Probleme zu lösen, denn sowohl die M. als auch die Robotertechnik haben noch nicht in voller Höhe den erwarteten Rationalisierungseffekt erbracht. Diese Technologien wurden gerade Anfang der 80er Jahre z. T. überstürzt, ohne genaue Einsatzplanungen und unkoordiniert eingeführt. Eine möglichst effektive M.-Anwendung wird in Zukunft jedoch schon deshalb immer notwendiger werden, weil die mit Mangelproblemen kämpfende DDR-Wirtschaft auf einen wirtschaftlichen Einsatz ihrer knappen Technologie-Investitionen bedacht sein muß.

 

4. Die M.-Industrie der DDR und deren Erzeugnisse. Die M.-Industrie ist ein besonderer Zweig innerhalb des Industriebereiches Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau und untersteht dem Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik (Minister von 1965 bis Sept. 1982: Otmar Steger, ab 1. 10. 1982: Felix Meier). Die M.-Industrie wird durch 3 Kombinate repräsentiert:

 

(1) VEB Kombinat M. Erfurt, Beschäftigte: rd. 60.000. Gründung: 1. 1. 1978 durch Zusammenfassung verschiedener VEB und eines Kombinates der inzwischen aufgelösten VVB Bauelemente und Vakuumtechnik.

 

[S. 891]Kombinatsbetriebe: 23, davon 19 Produktionsbetriebe (darunter 1 Leitbetrieb u. 1 Stammbetrieb), ein Zentrum für Forschung und Technologie M. in Dresden mit dem Charakter eines „wissenschaftlichen Industriebetriebes“, das Applikationszentrum Elektronik in Berlin (Ost), ein Projektierungsbetrieb in Dresden sowie der VE Außenhandelsbetrieb (AHB) elektronik export-import in Berlin (Ost).

 

Kombinatsdirektor: Heinz Wedler.

 

Produktionsprogramm des Kombinats:

  • Elektronische Bauelemente, z.B. integrierte Schaltkreise, Transistoren, Dioden usw.;
  • Konsumgüterelektronik, und zwar elektronische Taschenrechner, Telespiele, Schachcomputer sowie Baugruppen für Konsumgüter;
  • Zeitmeßgeräte u. meteorologische Geräte wie z.B. Quarzuhren u. -wecker, Radio- u. Schachuhren, Barometer, Hygrometer, Polymeter und Chronometer;
  • Spezialausrüstungen für Elektrotechnik u. Elektronik;
  • Erzeugnisse u. Ausrüstungen für die Vakuumtechnik;
  • Grundlagenmaterialien für elektronische Bauelemente sowie
  • Sondererzeugnisse.

 

(2) Kombinat VEB Elektronische Bauelemente „Carl von Ossietzky“ Teltow,

 

Beschäftigte: rd. 24.000.

 

Gründung: 1. 1. 1971. Kombinatserweiterung am 1. 1. 1978 im Rahmen der Kombinatsreform durch Eingliederung verschiedener VEB der aufgelösten VVB Bauelemente und Vakuumtechnik.

 

Kombinatsbetriebe: 9 mit dem Stammbetrieb VEB Elektronische Bauelemente Teltow an deren Spitze.

 

Kombinatsdirektor: Wolfgang Langershausen.

 

Produktionsprogramm: z.B. Leiterplatten, Widerstände, Kondensatoren, Schalter und Tasten.

 

(3) Kombinat VEB Keramische Werke Hermsdorf, Beschäftigte: rd. 23.000.

 

Gründung: 1. 1. 1969. Durch die Einbeziehung der Produktionsbetriebe des früheren Kombinates Elektroinstallation (Kombinat der aufgelösten VVB Automatisierungsgeräte) im Rahmen der Kombinatsreform entstand mit Wirkung vom 1. 1. 1979 das Kombinat in seiner jetzigen Form.

 

Kombinatsbetriebe: 20 Produktionsbetriebe einschl. des Stammbetriebes VEB Keramische Werke Hermsdorf sowie ein Zentrum für Forschung und Technologie.

 

Kombinatsdirektor: Günter Wirth.

 

Produktionsprogramm:

  • Isolierkörper und Isolatoren;
  • Elektronische Bauelemente, z.B. Hybridschaltkreise für die Datenverarbeitung und die Funknachrichtentechnik;
  • Apparate und Anlagen aus Hartporzellan und Steinzeug;
  • Elektroinstallationsmaterial;
  • Niederspannungsschaltgeräte für den Industriebau;
  • Bauteile und Elemente der Hochfrequenz-Technik sowie
  • komplette Produktionsanlagen für die Fertigung von Elektroinstallationsmaterial, Elektrokeramik sowie Zündkerzen.

 

5. Kooperationen mit RGW-Ländern. Auch auf dem M.-Sektor vollzieht sich vor allem bei Forschung und Entwicklung auf der Grundlage des im Sommer 1971 auf der XXV. RGW-Tagung verabschiedeten Komplexprogramms und im Rahmen der „Sozialistischen ökonomischen Integration“ eine enge Kooperation mit den übrigen RGW-Ländern, insbesondere mit der UdSSR (Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe [RGW]). Ein Beispiel hierfür ist die als „gemeinsames Parteitagsprojekt“ bezeichnete Entwicklung und Herstellung von Spezialausrüstungen zur Produktion von 64 KBit-Speicherchips durch Carl Zeiss Jena und einen sowjetischen Elektronik-Betrieb anläßlich des X. Parteitages der SED und des XXVI. Parteitages der KPdSU. Auf der Grundlage von Verträgen bezog die DDR darüber hinaus z.B. elektronische Bauelemente aus Bulgarien und der UdSSR sowie Mikrocomputer aus der UdSSR. Sie lieferte ihrerseits M.-Erzeugnisse in andere RGW-Länder, insbesondere in die UdSSR. Gerade die UdSSR verlangt von der DDR zum Ausgleich der bilateralen Zahlungsbilanz eine Steigerung des Exports hochwertiger elektronischer Erzeugnisse. Eines der Zentralthemen auf der XXXVI. Ratstagung der RGW-Länder in Budapest im Juni 1982 war u.a. die weitere Zusammenarbeit in Forschung, Entwicklung und Produktion im Bereich der M. Zu den Ergebnissen der Tagung zählte die Verkündung von „Generalabkommen“ über die Zusammenarbeit zur Entwicklung und Nutzung der Mikroprozessortechnik sowie von Industrierobotern und über „die Spezialisierung und Kooperation in Entwicklung und Produktion“ von mikroelektronischen Bauelementen.

 

6. Soziale Folgen der Mikroelektronik. Die Zielstellung des X. Parteitages der SED, durch den Einsatz von M., EDV und Robotertechnik einen Rationalisierungsschub zu erreichen und damit die gesamtwirtschaftliche Effektivität zu steigern, führte zwangsläufig zu sozialen Veränderungen. Wie u.a. von dem Direktor der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED (AfG) Otto Reinhold hervorgehoben wurde, verändern die neuen Technologien nicht nur die bestehenden Produktions- und Arbeitskräftestrukturen, sondern sie beeinflussen ebenso die Arbeits- und Lebensbedingungen vieler Werktätiger: „Mancher muß seinen Arbeitsplatz, den Beruf oder das Kollektiv, den Betrieb und mitunter auch den Wohnort wechseln, Gewohntes aufgeben, sich in Neues einarbeiten.“ (Einheit Nr. 2/1981, S. 112) Den durch den verstärkten M.-Einsatz freigesetzten Arbeitskräften sollen neue Aufgaben in anderen Tätigkeitsbereichen zugewiesen werden. So wird im Stammbetrieb des Kombinates Elektro-Apparate-Werk Berlin-Treptow jeder 5. Beschäftigte neue Arbeiten übernehmen müssen. Im Robotron-Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt wurden 1982 insges. 850 Arbeitsplätze umgestaltet und 368 Arbeitskräfte freigesetzt. Auch andere Kombinate und Betriebe berichteten über derartige Freisetzungen als Folge des Einsatzes von M. und Industrierobotertechnik.

 

[S. 892]Mit dem Hinweis auf die in der Bundesrepublik Deutschland bestehende Arbeitslosigkeit und die „negativen Auswirkungen“ der M. auf den Beschäftigtenstand als Ausdruck „kapitalistischer Interessen“, wird vergleichend auf das Wesen „der sozialistischen Gesellschaft“ in der DDR verwiesen, welches derartige Entwicklungen ausschließe. M. und Industrieroboter dienen hier, wie es heißt, den Interessen der Werktätigen und dem sozialen Fortschritt. Unerwähnt bleibt jedoch, daß inzwischen auch in der DDR Arbeitsuchende wochen- und monatelang ohne Arbeit sind. Das Problem besteht darin, die durch Rationalisierung eingesparten Arbeitskräfte dorthin zu lenken, wo sie tatsächlich gebraucht werden.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 888–892


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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