DDR von A-Z, Band 1985

Nuklearer Umweltschutz (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1975 1979


 

Der NU. umfaßt neben der Überwachung von Strahlenquellen, der Strahlenschutzforschung auch die Gestaltung der Sicherheitsvorschriften beim Bau von Kernanlagen. Hinzukommen die Sicherung eines gefahrfreien Transportes von radioaktiven Materialien sowie die unschädliche Lagerung radioaktiver Abfälle, die Schulung des Fachpersonals und die Bildung eines Katastrophenschutzes. Der NU. liegt vornehmlich in den Händen des Staatlichen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz der DDR (SAAS.), das eng mit dem Ministerium für Gesundheitswesen, dem Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, mit weiteren Ministerien sowie den für die Kernforschung zuständigen Forschungsinstituten zusammenarbeitet. Hier sind vor allem das „Zentralinstitut für Kernforschung“ sowie das Zentralinstitut für Hochenergiephysik zu nennen. Da der Komplex Kernforschung und Schutz vor nuklearen Strahlen für den gesamten Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) von Bedeutung ist, hat die DDR wichtigen Anteil sowohl an der Ständigen Kommission für die friedliche Nutzung der Atomenergie als auch an dem als Koordinierungsinstanz für die Kernforschung der RGW-Länder fungierenden „Vereinigten Institut für Kernforschung der sozialistischen Länder“ in Dubna/UdSSR.

 

Zu den entscheidenden Aufgaben des SAAS. gehört die Erarbeitung von Grundsätzen zum Schutz sowohl der Bevölkerung als auch der Strahlenbelastungen ausgesetzten Beschäftigten vor ionisierender Strahlung und die Überprüfung der Sicherheit von Kernanlagen. Dazu sind bereits Mitte der 50er Jahre Verordnungen über den Umgang mit radioaktiven Stoffen (GBl. I, 1956, S. 496 f.) sowie seit den 60er Jahren das Atomenergiegesetz (GBl. I, 1962, S. 47 ff.) mit Änderungen (GBl. I, 1964, S. 1, GBl. I, 1966, S. 75) und Zusatzverordnungen (GBl. II, 1962, S. 151 und 152 ff.) und Strahlenschutzverordnungen (GBl. II, 1964, S. 655 ff.) erlassen worden. Gegenwärtig gilt noch immer die Strahlenschutzverordnung von 1969 (GBl. II, S. 627 ff.) mit einer umfangreichen Durchführungsbestimmung (GBl. II, S. 635 ff.) und mehreren Anlagen. In diesen sind die maximal zulässigen Werte der Strahlenbelastung festgelegt: z.B. die maximal zulässigen Dosisäquivalente für die individuelle Strahlenbelastung, die genehmigten Freigrenzen, die erlaubte Strahlenbelastung in Arbeitsräumen, in denen mit offenen radioaktiven Stoffen umgegangen wird, sowie für das Gesundheitswesen die zulässigen Werte der inneren Strahlenbelastung menschlicher Organe, getrennt nach unterschiedlichen Radionukliden. [S. 949]Mitte der 70er Jahre hat das SAAS. Richtlinien zur Überwachung der Umgebung von Kernanlagen herausgegeben. In den letzten Jahren sind Bestimmungen für die Erfassung und Endlagerung von radioaktiven Stoffen erlassen und erhöhte Anforderungen für die Erteilung von Strahlenschutzgenehmigungen als Voraussetzung des Betriebes von Kernanlagen festgelegt worden (s.u.).

 

Unter Strahlenschutz ist die Einheit von Forschung, Überwachung, Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet des Strahlenschutzes sowie die Durchführung von wissenschaftlichen Untersuchungen zum Schutz des Menschen und der Biosphäre zur Erkennung von Strahlenschäden zu verstehen. Einbezogen sind aber auch die Erarbeitung und Durchführung von Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit nuklearer Anlagen einschließlich der Gegenmaßnahmen bei Eintritt außergewöhnlicher Strahleneinwirkungen.

 

Für die individuelle Strahlenbelastung werden 3 Personengruppen unterschieden: a) beruflich strahlenexponierte Personen, b) mit Überwachungsfunktionen beauftragte Personen und c) Personengruppen der Bevölkerung. Für jede dieser Gruppen gelten unterschiedliche Dosislimite, wobei insbesondere bei Personen, an denen strahlenmedizinisehe Maßnahmen durchgeführt werden, die in detaillierten Wertetabellen festgelegten Limite eingehalten werden müssen. Insbesondere soll gewährleistet werden, daß Personen im fortpflanzungsfähigen Alter, Schwangere, Kinder und Jugendliche bei strahlenmedizinischen Maßnahmen nur den niedrigsten Strahlenbelastungen ausgesetzt sind. Daneben wurden maximal zulässige Werte für die Strahlenbelastung durch Radionuklide infolge von Ingestion (Aufnahme radioaktiver Stoffe mit Nahrungsmitteln) sowie von Inhalation (Aufnahme radioaktiver Stoffe in der Atemluft) für bestimmte Zeitintervalle erarbeitet. Schließlich ist festgelegt worden, daß Rohstoffen, Halbfabrikaten und Endprodukten — wenn dies unvermeidlich ist — jeweils nur Radionuklide mit der geringsten Radiotoxität zugesetzt werden dürfen, wobei die jeweilige Konzentration vorgegebene Werte nicht überschreiten darf. Zur Lösung des Problems radioaktiver Abfälle dient ihre zentrale Erfassung. Darüber hinaus sind je nach Höhe der Aktivitätskonzentration, Oberflächenkontamination und des Dosisleistungsäquivalents bestimmte Formen der Abfallbeseitigung vorgeschrieben. Das gleiche gilt für die Ableitung radioaktiver Abwässer. Bei der Abgabe radioaktiver Stoffe in die Atmosphäre dürfen in der Abluft bestimmte Konzentrationen nicht überschritten werden.

 

Zum Problem der Endlagerung wurde in neuen Anordnungen (GBl. I, 1981, S. 224 ff. und SDr. des GBl. 1981, Nr. 1073) bestimmt, daß radioaktive Abfälle (radioaktive Stoffe ohne weitere Nutzungsmöglichkeit) an einen zentralen Betrieb (VE Kombinat Kernkraftwerke „Bruno Leuschner“, Betrieb Endlager für radioaktive Abfälle, Morsleben) abzuführen und dort vor der Endlagerung in die zulässige Form zu überführen sind. Vom abgebenden und übernehmenden Betrieb ist nicht nur ein lückenloser Nachweis über Art, Menge, Bearbeitung, Zwischenlagerung und Herkunft der Stoffe zu führen, Abfallieferer und Endlagerer haben auch entsprechende Verträge über den Vorgang der Abfallverlagerung abzuschließen. Bei Verletzung der vereinbarten Termine der Übergabe oder bei Lieferung nicht den staatlichen Standards entsprechender Abfälle (bzw. falscher Kennzeichnung) sind Vertragsstrafen vom Verschulder in staatlich vorgegebener Höhe zu zahlen. Geringe Mengen radioaktiver Stoffe werden in einem früheren Salzbergwerk in Bartensleben abgelagert, hochaktive Abfälle gehen in die Sowjetunion zur Endlagerung in Wüstenregionen. Für nur wenig strahlende Materialien, die in Halden und industriellen Absetzanlagen gelagert werden dürfen, gelten besondere Bestimmungen (GBl. I, 1980, S. 347), insbesondere hinsichtlich Kontrolle, Verwendung von Haldenmaterialien zu Bauzwecken sowie zum Schutz der an den Halden beschäftigten Arbeiter.

 

Die Notwendigkeit, Atomenergie für die Erzeugung von elektrischem Strom zu nutzen, führte auch in der DDR zum Aufbau von Kernkraftwerken (Atomenergie). Die Erfahrungen des 1966 in Betrieb genommenen Kraftwerkes Rheinsberg sowie die im Kernkraftwerk Nord (in Lubmin an der Ostsee) betriebenen vier Reaktorblöcke zu je 440 MW — derzeitige Gesamtkapazität der Kernkraftwerke der DDR: 1800 MW — stellen die DDR, ähnlich wie andere Länder, vor erhöhte Anforderungen an den Sicherheitsschutz. Technologische Probleme bestehen vor allem im Auftreten von Abwärme, mit der Folge einer Aufheizung von Gewässern, im hohen Raumbedarf der Anlagen, in der Gefahr radioaktiver Strahlung sowie im möglichen Auftreten von Unfällen. Nach Auffassung von Wissenschaftlern in der DDR (Prof. Ernst Adam und Mitarbeiter, TU Dresden) werden eine 3stufige Konstruktion des Kühlungssystems für einen möglichen Kühlmittelausfall sowie eine 3stufige Sicherung gegen Strahlungsaustritt (1. radioaktive Stoffe sind von metallenen Brennelementen zu umschließen, 2. Trennung des Kühlkreislaufs von den übrigen Teilen des Kraftwerkes, 3. gasdichte Metallkuppel innerhalb des Reaktorgebäudes) für ausreichend angesehen. Inwieweit die in Lubmin tatsächlich angewandten Sicherheitsvorkehrungen diesen bzw. den im Westen gegenwärtig üblichen Ansprüchen genügen, ist nicht bekannt. Immerhin hat Finnland für das in Loviisa durchgeführte Projekt, das sowjetische Anlagen gleicher Bauart, wie sie in Lubmin stehen, verwendet (Druckwasserreaktoren vom Typ WWER 440 Novovoronesh), wichtige Verbesserungen durchgesetzt. Daraus folgt, daß die in bevölkerungsarmen Gebieten der UdSSR gebauten Anlagen wahrscheinlich einen deutlich niedrigeren Sicherheitsstand aufweisen, als die Anlagen, die die DDR in Lubmin übernommen hat und die in Stendhal bei dem bis 1989 geplanten Kernkraftwerk verwendet werden. Denn es darf nicht außer acht bleiben, daß die DDR in den vergangenen 15 Jahren der Verbesserung der Reaktorsicherheit und des Strahlenschutzes große Aufmerksamkeit gewidmet hat. Die Staatsführung wird aber auch noch in Zukunft erhöhte Sicherheitsvorkehrungen treffen müssen, selbst wenn [S. 950]der Druck einer sicherheitsbewußten Öffentlichkeit in der DDR nur wenig ausgeprägt ist — die Massenmedien verschweigen die in der Bundesrepublik aufgetretenen Protestaktionen gegen den Kernkraftwerksbau.

 

Obwohl die Nutzung der Atomenergie in staatlichem Eigentum liegt, muß man internationale Forschungsergebnisse über die Reaktorsicherheit in Betracht ziehen. So hat man die Anforderungen zur Erteilung der Strahlenschutzgenehmigung für den Betrieb von Kernanlagen (GBl. I, 1979, S. 198 ff.) verschärft. Das SAAS. gibt erst nach eingehender Prüfung vielfältiger — im Gesetz genannter — Unterlagen in getrennten Dokumenten und nach mehreren Genehmigungsstufen die Zustimmung zum Standort, zur Errichtung, zur Inbetriebnahme, zum Dauerbetrieb und schließlich zur Stillegung der Kernanlage. Hierbei spielen insbesondere die Werte für die auftretende Strahlenbelastung für Personal und Umgebung, Vorkehrungen für ihre Eindämmung, aber auch die Lösung der allgemeinen Probleme der nuklearen Sicherheit eine große Rolle. Wichtig ist z.B. vor Errichtung einer neuen Anlage auch die Erläuterung denkbarer Störfälle und deren Bekämpfungsmöglichkeiten (einschließlich beabsichtigter Vorkehrungen). Zudem hat man zum Schutze von Kernmaterial sowohl vor unbefugter Einwirkung und gegen kriminelle Angriffe als auch beim Kernmaterialtransport (innerbetrieblich, außerbetrieblich und international) neue Bestimmungen erlassen (GBl. I, 1982, S. 410 ff.). Die Beseitigung des Atommülls bereitet der DDR weniger Probleme als der Bundesrepublik Deutschland, da alle verbrauchten Brennstäbe — wie bereits erwähnt — in die UdSSR zurücktransportiert werden.

 

Zum Zwecke des Strahlenschutzes ist in der DDR ebenfalls sowohl der Betrieb als auch der Verkehr mit radioaktiven Stoffen geringer Strahlenintensität genehmigungspflichtig, wobei dem SAAS. die Strahlenschutzbauartprüfung und die Strahlenschutzbauartzulassung (GBl. 1978, SDr. Nr. 947) obliegen. Die Leiter der Institutionen, in denen radioaktive Stoffe Verwendung finden oder in denen Kernanlagen betrieben werden, sind für die Einhaltung der Strahlenschutzbestimmungen verantwortlich; sie haben entsprechende Mitarbeiter als Strahlenschutzbeauftragte zu berufen und durch das SAAS. ausbilden und prüfen zu lassen. Während der innerbetriebliche Strahlenschutz vom SAAS. durch seine „Strahlenschutzinspektion“ bzw. seinen „medizinischen Dienst“ kontrolliert wird, ist die Überwachung der Biosphäre in bezug auf Strahlenschäden oder durch Strahlungen hervorgerufene Beeinträchtigungen 3 weiteren Instituten übertragen: Über ihre eigentlichen Aufgaben hinaus sind der „Meteorologische Dienst der DDR“ mit der Überwachung der bodennahen Atmosphäre in bezug auf radioaktiven Staub, das „Amt für Wasserwirtschaft der DDR“ mit der Gewässerüberwachung hinsichtlich nuklearer Beeinträchtigungen betraut, und dem Rat für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft (RLN) der DDR ist die Überwachung tierischer und pflanzlicher Produkte hinsichtlich Strahlungsschäden übertragen worden. Sie haben darüber dem SAAS. Bericht zu erstatten.

 

Alle beteiligten Institutionen sind zu laufender Strahlenschutzmessung und zur Einhaltung der Schutzbestimmungen verpflichtet und müssen im Falle des Auftretens außerordentlicher Strahlenbelastungen eine sofortige Benachrichtung der „Strahlenschutzbereitschaft“ durchführen. Umweltschutz.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 948–950


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.