Ordnungswidrigkeiten (1985)
Siehe auch die Jahre 1965 1966 1969 1975 1979
Während das Strafgesetzbuch die Straftaten in Verbrechen und Vergehen unterteilt und diesen beiden Kategorien die nicht mehr zu den Straftaten zählenden „Verfehlungen“ anfügt (Strafrecht), sind weitere weniger schwerwiegende Rechtsverletzungen durch das Gesetz (OWG) vom 12. 1. 1968 (GBl. I, S. 101), nunmehr in der Fassung des 3. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 28. 6. 1979 (GBl. I, S. 139), als O. bezeichnet. Das Gesetz definiert sie als „schuldhaft begangene Rechtsverletzungen, die eine Disziplinlosigkeit zum Ausdruck bringen und die staatliche Leitungstätigkeit erschweren oder die Entwicklung des sozialistischen Gemeinschaftslebens stören, jedoch die Interessen der sozialistischen Gesellschaft oder einzelner ihrer Bürger nicht erheblich verletzen und deshalb keine Straftaten sind“. Ausdrücklich ist also klargestellt, daß es sich bei O. nicht um unter das Strafrecht fallende Straftaten handelt. Um in einem Ordnungsstrafverfahren geahndet werden zu können, müssen die Rechtsverletzungen in einer gesetzlichen Bestimmung ausdrücklich als O. bezeichnet sein.
Im O.-Gesetz sind keine O.-Tatbestände enthalten. Ordnungsstrafbestimmungen können in Gesetzen der Volkskammer, in Erlassen des Staatsrates und Anordnungen des Nationalen Verteidigungsrates (NVR), in Verordnungen und Beschlüssen des Ministerrates sowie (unter Beteiligung des Ministers der Justiz) in Anordnungen einzelner Minister und von Leitern zentraler Organe festgelegt werden. Alle geltenden Ordnungsstrafbestimmungen sind von Zeit zu Zeit durch den Minister der Justiz bekanntzumachen. Letztmalig ist dies mit der Bekanntmachung vom 9. 3. 1978 (GBl. I, S. 130) geschehen.
Danach hat es zwar eine neue Bekanntmachung im Gesetzblatt nicht gegeben, aber die im Staatsverlag der DDR 1981 erschienene Textausgabe des Strafgesetzbuches (S. 258 ff.) enthält im 3. Teil eine Übersicht über Rechtsvorschriften mit geltenden Ordnungsstrafbestimmungen nach dem Stand vom 1. 1. 1981. Am 1. 4. 1982 waren in 229 Rechtsvorschriften O.-Tatbestände und Ordnungsstrafbestimmungen erfaßt (Neue Justiz 1982, H. 7, S. 310).
In der Verordnung über O. vom 16. 5. 1968 (GBl. II, S. 359) waren verschiedene O.-Tatbestände zusammengefaßt. Diese VO erfuhr am 22. 3. 1984 eine Neufassung (GBl. I, S. 173), die am 1. 7. 1984 in Kraft getreten ist. Offenbar um die Wirkung der Ordnungsstrafverfahren zu erhöhen, wurde in allen Tatbeständen die angedrohte Ordnungsstrafe heraufgesetzt — von 100 Mark auf 300 Mark, von 300 Mark auf 500 Mark, im § 20 (Verletzungen der Preisbestimmungen) von 1000 Mark auf 10.000 Mark. In die Bestimmungen über die „Störung des sozialistischen Zusammenlebens“ wurden neue O.-Tatbestände über unerwünschte und unerlaubte Zusammenkünfte und Demonstrationen aufgenommen und eine weit auslegbare Generalklausel geschaffen: „Wer vorsätzlich das sozialistische Zusammenleben der Bürger stört, indem er andere Handlungen begeht, die den allgemeinen Interessen der sozialistischen Gesellschaft oder den Bedürfnissen der Bürger nach Gesetzlichkeit, Ordnung und Sicherheit widersprechen, kann mit Verweis oder Ordnungsstrafe bis 500 Mark belegt werden“ (§ 4 Ziffer 7). Zusätzliche Tatbestände betreffen die Nichtbefolgung von Maßnahmen zum Schutz gegen die Gefährdung der Gesundheit der Tierbestände (§ 9, Abs. 1) und die fahrlässige Verkürzung von Steuern und Beiträgen zur Sozialversicherung (§§ 21, 22).
Untersuchungen, die 2 Arbeitsgruppen des Verfassungs- und Rechtsausschusses der Volkskammer im Saalkreis (Bezirk Halle) und in der Stadt Erfurt durch[S. 957]geführt haben (Bericht in: Neue Justiz 1982, H. 7, S. 310 ff.), ließen folgende O. als besonders häufig erkennen: Verunreinigungen auf öffentlichen Straßen, Wegen, Plätzen und Grünanlagen; Nichtbeachtung der Anliegerpflichten, insbesondere der Räum- und Streupflicht; Errichtung oder Vergrößerung von Bauwerken ohne staatliche Genehmigung; Verstöße gegen Bestimmungen und Forderungen über das Verhalten im Straßenverkehr; Verabfolgung oder Verkauf von alkoholischen Getränken und Tabakwaren an Kinder oder Jugendliche unter 16 Jahren; Verletzung der Pflicht zur An- und Abmeldung von Personen; Verletzung von Preisbestimmungen.
Als Ordnungsstrafmaßnahmen können angedroht werden: Verweis und Ordnungsstrafe von 10 Mark bis 500 Mark, in vom Gesetz in § 5 besonders aufgezählten Fällen bis zu 1000 Mark. Die VO vom 22. 3. 1984 läßt in § 27 bei verschiedenen Tatbeständen Ordnungsstrafen bis 1000 Mark zu, wenn
„1. ein größerer Schaden verursacht wurde oder hätte verursacht werden können,
2. die gesellschaftlichen Interessen grob mißachtet wurden,
3. die staatliche oder öffentliche Ordnung und Sicherheit erheblich beeinträchtigt wurden oder
4. sie aus Vorteilsstreben oder wiederholt innerhalb von 2 Jahren begangen und mit Ordnungsstrafe geahndet wurden.“
Bei geringfügigen O. kann eine „Verwarnung mit Ordnungsgeld“ ausgesprochen werden, wobei das Ordnungsgeld 1 bis 20 Mark betragen kann. Außerdem sind zusätzliche Ordnungsstrafmaßnahmen möglich, u.a. Entzug von Erlaubnissen, Einziehung von Gegenständen, Heranziehung zur gemeinnützigen Arbeit in der Freizeit. Gegen Jugendliche unter 16 Jahren darf nur eine mit Ordnungsgeld bis zu 5 Mark verbundene Verwarnung ausgesprochen werden, daneben aber auch die zusätzlichen Ordnungsstrafmaßnahmen. Für Zoll- und Devisenverstöße können durch die Dienststellen der Zollverwaltung Strafverfügungen bis zu 20.000 Mark oder bis zur fünffachen Höhe des Wertes der mitgeführten Gegenstände verhängt werden. Durch die Anwendung von Ordnungsstrafmaßnahmen soll der Rechtsverletzer zur künftigen disziplinierten Wahrnehmung seiner gesetzlichen Pflichten angehalten, auf ihn und andere Bürger erzieherisch eingewirkt und weiteren O. und anderen Rechtsverletzungen vorgebeugt werden (§ 13 OWG).
Die für die Verfolgung von O. zuständigen Organe werden in den einzelnen Ordnungsstrafbestimmungen jeweils genannt. Es sind dies nicht nur die Volkspolizeibehörden, sondern auch eine Vielzahl anderer, z.B. die Gesundheitsbehörden der Bezirke und Kreise, die Leiter der Abt. und Referate „Preise“ bei den örtlichen Räten, die Vorsitzenden und hauptamtlichen Mitglieder der Räte der Bezirke, Kreise, Städte und Gemeinden. Insgesamt gibt es 82 verschiedene Organe bzw. Verantwortliche, die für die Durchführung von Ordnungsstrafverfahren zuständig sind (Neue Justiz 1982, H. 7, S. 310). Sie sollen ein Ordnungsstrafverfahren dort durchführen, wo die größte gesellschaftliche Wirksamkeit erzielt wird, vorrangig am Ort der Begehung der O. oder am Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Rechtsverletzers. Ein Ordnungsstrafverfahren ist durch schriftliche Verfügung formell einzuleiten, dem betroffenen Bürger ist Gelegenheit zu mündlicher oder schriftlicher Stellungnahme zu geben. Der Ausspruch einer Ordnungsstrafmaßnahme erfolgt durch schriftliche Verfügung, die neben einer Begründung der Entscheidung eine Rechtsmittelbelehrung enthalten muß. Der Betroffene hat das Recht zur Beschwerde innerhalb von 2 Wochen nach Empfang oder Zustellung der Entscheidung. Die Beschwerde, die schriftlich einzulegen oder mündlich zu Protokoll zu erklären ist, hat aufschiebende Wirkung, sofern nicht die Durchsetzung der festgelegten Maßnahmen keinen Aufschub duldet. Entscheidungen von Mitgliedern des Ministerrates und von Leitern zentraler Organe unterliegen nicht der Beschwerdemöglichkeit. Über die Beschwerden entscheidet das übergeordnete Organ endgültig.
O. können an die Gesellschaftlichen Gerichte übergeben werden, wenn der Sachverhalt aufgeklärt und mit Rücksicht auf den Charakter und die Umstände der O. sowie die Persönlichkeit des Rechtsverletzers eine bessere erzieherische und vorbeugende Einwirkung durch das Gesellschaftliche Gericht zu erwarten ist (§ 31 OWG). Insbesondere sollen solche O. übergeben werden, die in der Verletzung betrieblicher Pflichten bestehen (Konfliktkommission) oder das sozialistische Gemeinschaftsleben im Wohngebiet beeinträchtigen (Schiedskommission).
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 956–957
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