DDR von A-Z, Band 1985

Patriotismus (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979


 

Der Marxismus-Leninismus versteht unter P. die „Liebe zum Vaterland, die sich mit der Entstehung und Entwicklung ethnischer und politischer Gemeinschaften als ein Ausdruck der Interessiertheit am jeweiligen politischen, kulturellen und sozialen Milieu des Lebens und Kampfes eines Volkes herausbildet“. Träger des P. seien in der Geschichte immer die Volksmassen, denn diese seien „am meisten am Schicksal des Vaterlandes interessiert gewesen“. Die Arbeiterklasse „als einzige konsequent revolutionäre Klasse“ sei zugleich die am meisten patriotische, weil nur bei ihr Klasseninteresse und das Gesamtinteresse eines Volkes zusammenfalle.

 

P. und Proletarischer ➝Internationalismus bilden nach marxistisch-leninistischer Auffassung eine Einheit. Für jede einzelne nationale Arbeiterklasse sei zwar das „jeweilige Vaterland der Kampfboden für die Erfüllung ihrer historischen Mission“, der „Kampf für den Sieg des Sozialismus“ im eigenen Land gilt jedoch als „Bestandteil des allgemeinen Kampfes … für den Sieg des Sozialismus im Weltmaßstab“ (Kleines politisches Wörterbuch, Berlin [Ost] 1978, S. 684 f.).

 

Nach Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse (Eigentum) und der Errichtung der Arbeiter-und-Bauern-Macht wird der P. zur „höchsten Form des P.“, zum sozialistischen P. (SP.). Der SP. sei „bewußter P.“ (Bewußtsein, Gesellschaftliches), weil sich nunmehr die Vaterlandsliebe mit dem Marxismus-Leninismus verbinde. Der SP. erfasse „das gesamte Volk des sozialistischen Vaterlandes“.

 

P. wird als Gegenbegriff zum bekämpften Nationalismus (N.) verstanden. N. sei „bürgerliche Ideologie und Politik …, welche die nationalen Klasseninteressen der Bourgeoisie, vor allem ihr Streben nach einem nationalen Markt, nach einem eigenen Nationalstaat und nach Unterdrückung und Ausbeutung der eigenen und anderer Nationen ausdrückt“. Er ignoriere die Gleichberechtigung der Nationen, indem er die eigene den anderen überordne. Beim Übergang des bürgerlichen Nationalstaates zum Imperialismus werde der N. zum Chauvinismus. Lediglich im Rahmen der nationalen Befreiungsbewegungen (Außenpolitik, V.) komme dem N. — wie vormals in den bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts — für eine begrenzte Zeitspanne eine fortschrittliche Bedeutung zu.

 

Gegenüber den sozialistischen Staaten erfülle der N. Funktionen des Antikommunismus. Mit seiner Hilfe würde der Versuch unternommen, „die Einheit und Geschlossenheit der sozialistischen Staatengemeinschaft zu untergraben, die weitere Annäherung und die sozialistische ökonomische Integration der sozialistischen Länder zu verhindern, einzelne Länder gegeneinander auszuspielen und sie vor allem in Gegensatz zur Sowjetunion zu bringen“ (a.a.O., S. 614 ff.). Besonders gefährlich sei die Verbindung von N. und Revisionismus (Eurokommunismus; Nationalkommunismus). Die SED sieht auch für sich derartige Gefahren und mißt in ihrem Parteiprogramm von 1976 „dem konsequenten Kampf gegen bürgerlich-nationalistische Konzeptionen aller Art ebenso wie gegen nationalistische Vorurteile im Bewußtsein der Menschen eine große Bedeutung bei“.

 

Die Stellung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zum SP. hat sich im Zeichen ihrer revidierten Einstellung zur Nation und nationalen Frage geändert. Bis in die zweite Hälfte der 60er Jahre hinein sprach die SED von Deutschland als dem Vaterland, für dessen künftiges Geschick die Nation der Deutschen — und damit auch die Bevölkerung der DDR — Verantwortung trüge. Seit Ende der 60er Jahre wird der „sozialistische deutsche Nationalstaat“ DDR als „sozialistisches Vaterland“ bezeichnet, das in der Gegenwart keinerlei Gemeinsamkeiten mehr mit dem westlichen Deutschland besitze.

 

Der Erziehung zum SP. und zur Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes (Wehrerziehung) kommt im Bildungswesen, aber auch in der Agitation und Propaganda der SED zentrale Bedeutung zu. In Art. 25,2 der Verfassung der DDR heißt es, daß die DDR „das Voranschreiten des Volkes zur sozialistischen Gemeinschaft allseitig gebildet und harmonisch entwickelter Menschen, die vom Geist des sozialistischen Patriotismus und Internationalismus durchdrungen sind und [S. 980]über eine hohe Allgemeinbildung und Spezialbildung verfügen“, sichere. Das Programm der SED von 1976 sagt: „Die weitere Vertiefung des sozialistischen Patriotismus und des proletarischen Internationalismus gehört zu den wichtigsten politisch-ideologischen Aufgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands … Wo immer ein Kommunist arbeitet und lebt — er wird beispielgebend wirken für sein sozialistisches Vaterland, das fester Bestandteil der um die Sowjetunion gescharten Völkerfamilie ist, er wird die Ideen des sozialistischen Patriotismus und des proletarischen Internationalismus in die Hirne und Herzen der Menschen tragen!“


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 979–980


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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