
Politische Ökonomie (1985)
Siehe auch:
Die PÖ. im weiteren Sinne ist die „Wissenschaft von den Bedingungen und Formen, unter denen die verschiedenen menschlichen Gesellschaften produziert und ausgetauscht und unter denen sich demgemäß jedesmal die Produkte verteilt haben“ (Marx/Engels Werke, Bd. 20, Berlin [Ost] 1962, S. 139). Sie untersucht also die Produktionsverhältnisse und wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten aller ökonomischen Gesellschaftsformationen von der Urgemeinschaft bis zum Kommunismus (Gesellschaftsordnung). Im engeren Sinne ist die PÖ. die Wissenschaft von den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten in einer bestimmten Gesellschaftsformation.
I. Funktion und Stellung im Marxismus-Leninismus
Die PÖ. als „wissenschaftliche Theorie der Arbeiterklasse“ wurde von Marx und Engels auf der [S. 1011]Grundlage der Kritik der klassischen bürgerlichen PÖ. entwickelt und von Lenin im historischen Entwicklungsprozeß ausgeformt und weiterentwickelt. Sie gilt heute in ihrer engen Verflechtung und Durchdringung mit dem Dialektischen und Historischen Materialismus und zusammen mit dem wissenschaftlichen Kommunismus als einer der drei Bestandteile des Marxismus-Leninismus. Sie versteht sich als historische wie als aktuelle Gesellschaftswissenschaft und untersucht die Produktionsverhältnisse in ihrer geschichtlichen Entwicklung und will die Entstehung, Entwicklung und Ablösung der gesellschaftlichen Produktionsformen durch neue, fortschrittlichere zeigen. Die innere Struktur und die Bewegungsgesetze einer Gesellschaftsformation erforschend, betrachtet sie den Zusammenhang von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, von Produktionsweise und gesellschaftlichem Überbau sowie deren jeweilige Durchdringung und Wechselwirkung. Am Ende der Untersuchung werden allgemeine, für alle oder mehrere bzw. für bestimmte Gesellschaftsformationen geltende Gesetzmäßigkeiten formuliert, um aus ihnen dann Erfordernisse und Konsequenzen für das Handeln der Arbeiterklasse und der mit ihr verbündeten Klassen und Schichten zur Erfüllung ihrer historischen Aufgabe abzuleiten (Sozialstruktur). In diesem Sinne ist sie parteilich und trägt, da sie ihre Analysen vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus formuliert, Klassencharakter.
„Alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen.“ (Marx/Engels Werke, Bd. 25, S. 825) Ausgehend von den äußeren Erscheinungsformen sucht die marxistische PÖ. das „Wesen“ der Verhältnisse und die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Beziehungen zu erkennen. Sie soll die reale Bewegung der inneren Widersprüchlichkeit gesellschaftlicher Prozesse abbilden. Die verwendeten polit-ökonomischen Kategorien haben die quantitativen und qualitativen Änderungen und den treibenden Grund der realen Bewegung zu erfassen; als theoretische Ausdrücke der historisch bestimmten Produktionsverhältnisse sind sie in ihrem Gehalt ebenfalls historische und damit vergängliche Produkte.
Die marxistische PÖ. bedient sich dabei nahezu aller Gesellschaftswissenschaften als Hilfswissenschaften, besonders also spezieller Disziplinen der Ökonomie wie Industrieökonomik, Arbeitsökonomie, Agrarökonomie u.a. m., sowie aber auch der Mathematik und Kybernetik.
II. Geschichte
Die Geschichte der PÖ. ist von der bürgerlichen Geschichte des ökonomischen Denkens zu unterscheiden. Sie begann mit dem Zerfall der Urgemeinschaft und erlebte in der Sklavenhaltergesellschaft ihren ersten Aufschwung (Aristoteles). Die eigentliche Geschichte der PÖ. beginnt mit der systematischen Analyse des Kapitalismus. Sie vollzieht sich im marxistisch-leninistischen Selbstverständnis in Abhängigkeit von der Entwicklung der jeweiligen Produktionsweise, ist Ausdruck der materiellen Interessen bestimmter Gesellschaftsklassen und somit Bestandteil des ideologischen Klassenkampfes. Im Gegensatz zur bürgerlichen Geschichtsschreibung, die die Entwicklung der PÖ. als ständige Weiterentwicklung ökonomischer Theorien darstellt, behandelt die marxistische Theoriengeschichtsschreibung die Geschichte der PÖ. als Teil der materiellen und ideologischen Entwicklung der Gesellschaft.
Der Aufschwung der Waren- und Geldwirtschaft, die Ausdehnung des Handels und später die Anfänge der kapitalistischen Industrieproduktion weckten das Interesse an der Untersuchung und Formulierung aller in der Volkswirtschaft wirkenden Gesetzmäßigkeiten. Als eigentlicher Beginn der Nationalökonomie gilt die klassische PÖ., die sich hauptsächlich in England zugleich mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion entfaltete und ihre wichtigsten Vertreter in Adam Smith und David Ricardo hatte. Ihre Theorien waren eng mit dem Kampf des industriellen Bürgertums gegen die feudalen Verhältnisse und die Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit verbunden. Da mit seinem politischen Sieg das Bürgertum an einer Stabilisierung der sozialen Verhältnisse interessiert war und sich einer allmählich erstarkenden Arbeiterbewegung gegenüber fand (Chartisten in England), die kapitalistischen Produktionsverhältnisse als „ewige Naturform gesellschaftlicher Produktion“ (Marx) ansah, wurde die bürgerliche PÖ. aus marxistischer Sicht zunehmend zur Rechtfertigungsideologie („Vulgärökonomie“). Auf der Grundlage des Forschungsstandes der klassischen PÖ., in der Tradition der bürgerlichen Philosophie, unter dem moralisch-politischen Anspruch utopischer Sozialisten in England und Frankreich und der sich entwickelnden Arbeiterbewegung schrieben Marx und Engels ihre Kritik der PÖ., die im „Kapital“ (1. Bd. 1867) ihre systematische Darstellung fand.
Seit Marx und Engels entwickelte sich die PÖ. in zwei gesonderten Strömungen, der (marxistischen) PÖ. der Arbeiterbewegung und der bürgerlichen Ökonomie.
Der Eintritt des Kapitalismus in die „monopolistisch-imperialistische“ Entwicklungsphase um die Jahrhundertwende brachte neue Erscheinungen hervor (Monopolbildung, Aufgabe der freien Konkurrenz, Konflikte der Kolonialpolitik, Strukturkrisen, Ansteigen der Reallöhne u.a. m.), die die innermarxistische Diskussion belebten: Eindringen revisionistischer Strömungen in die Arbeiterbewegung (Revisionismus), die die Marxsche These von der Verschärfung der inneren Widersprüche [S. 1012]des Kapitalismus in Frage stellte (Bernstein, David, Tugan-Baranowski); Diskussion über die Frage des Einflusses des Kapitalismus auf Rußland; Diskussion über Entwicklungstendenzen der Landwirtschaft im Kapitalismus. Ein zentrales Problem in der theoretischen Diskussion war die politische und wissenschaftliche Erklärung des Imperialismus (Hilferdings: „Finanzkapital“ 1910; R. Luxemburgs: „Die Akkumulation des Kapitals“ 1913; Lenins: „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ 1916). Vor allem die Schriften Lenins über den Imperialismus wurden in der Sicht der Marxisten-Leninisten zum Fundament einer neuen Strategie der Arbeiterbewegung, da nach Lenin die Ungleichmäßigkeit der Entwicklung der kapitalistischen Länder zur Instabilität führe und die Möglichkeit des revolutionären Umsturzes in nur einem Land geschaffen werde. Zugleich ziehe der Imperialismus den Aufschwung nationaler Befreiungsbewegungen in den Kolonien nach sich, die zum Bundesgenossen der internationalen Arbeiterbewegung würden.
Die bürgerliche Theorie nahm eine andere Entwicklung. Sie spaltete sich in eine „subjektivistische“ und eine historische Richtung. Die Subjektivisten entwickelten zum einen die Lehre von der Verfügung der Güter nach ihrem Grenznutzen, den das einzelne Gut für den jeweiligen Konsumenten habe und der somit auf dem Markt den Wert bestimme (Wieser, Böhm-Bawerk), zum andern entwickelte sie die Theorie von der Grenzproduktivität der Produktionsfaktoren, nach der die Eigentümer verschiedener Produktionsfaktoren so viel erhalten, wie die von ihnen gestellten Faktoren zum Wert des Sozialprodukts beigetragen haben (J. B. Clark). Beide Theorien berücksichtigen nach marxistisch-leninistischer Sicht den geschichtlich-gesellschaftlichen Charakter der kapitalistischen Produktion nicht; sie dienten lediglich zur Rechtfertigung der kapitalistischen Distributionsverhältnisse.
Die historische Schule entstand als Kritik der klassischen bürgerlichen Ökonomie und grenzte sich gegen die historisch-materialistische Theorie ab; sie bestritt die Existenz ökonomischer Gesetze überhaupt (Roscher) und beschränkte sich immer mehr auf die Wirtschaftsgeschichtsschreibung (Schmoller). Aus dieser Schule gingen die Werke von W. Sombart („Der moderne Kapitalismus“ 1902) und Max Weber („Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ 1904/05) über die Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus hervor. Sie gingen in Auseinandersetzung mit Marxschen Vorstellungen ebenfalls von der historischen Bedingtheit des Kapitalismus aus, fanden aber die Erklärung für die Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus im „kapitalistischen Geist“ (Sombart) und in der calvinistisch geprägten protestantischen Ethik (Weber). Unter dem Einfluß von Marx stand auch J. A. Schumpeter, der den Ursprung der Dynamik der kapitalistischen Wirtschaft im Streben der Unternehmer nach technischem Fortschritt im Produktionsprozeß sah, diese Ursache aber im Unterschied zu Marx nicht als objektive Notwendigkeit des kapitalistischen Produktionsprozesses erklärte, sondern der schöpferischen und risikofreudigen Einstellung der Unternehmer zuschrieb.
Die Errichtung des sowjetischen Staates als Ergebnis der Oktoberrevolution 1917 und die Entwicklung des Kapitalismus nach dem I. Weltkrieg schufen neue Bedingungen für die Weiterentwicklung der PÖ. Die entstehenden sozialistischen Produktionsverhältnisse verlangten nach einer PÖ. des Sozialismus, die allerdings ihre eigene „konkret-materielle Grundlage“ erst schaffen mußte. Da sich die Erfahrungen und die Gesetze des sozialistischen Wirtschaftens erst allmählich herausbildeten, kam es auch erst langsam zu theoretischen Schlußfolgerungen. Zentrale Probleme der Diskussion waren der sozialistische Umbau der Landwirtschaft, die Bedeutung des Ware-Geld-Verhältnisses und die Wirtschaftsrechnung im Sozialismus.
Im Zuge der Vorbereitungen für den ersten Fünfjahrplan in der UdSSR (1928–1932) wurden die Grundlagen der Prinzipien der Wirtschaftsplanung herausgearbeitet. Das von Stalin in den 30er Jahren geschaffene System der wirtschaftlichen und politischen Leitung ließ kaum Untersuchungen über das Wirken objektiver ökonomischer Gesetze zu. Als Beleg dafür kann die 1952 veröffentlichte Arbeit Stalins „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ gelten. Sie eröffnete allerdings zugleich mit dem Hinweis auf das Wirken ökonomischer Gesetze sowie auf die Existenz von Widersprüchen zwischen den Produktionsverhältnissen und den Produktivkräften im Sozialismus den Weg zu wissenschaftlichen Analysen, wie die Belebung in der PÖ. des Sozialismus nach 1956 zeigt. Bei ihrer Ausarbeitung befaßte man sich zunächst vor allem mit Problemen der Herausbildung sozialistischer Eigentumsverhältnisse (Eigentum).
Die Errichtung eines sozialistischen Wirtschaftssystems seit 1917 und vor allem eines ganzen Systems von Staaten mit sozialistischer Gesellschaftsordnung als Ergebnis des II. Weltkrieges schuf eine neue Lage für die Staaten mit kapitalistischer Wirtschaftsordnung und auch für die Entwicklung der bürgerlichen Ökonomie. Sie war nun nicht mehr das einzige System der Weltwirtschaft und zur Koexistenz mit einem rivalisierenden sozialistischen System und somit zu einer kritischen Analyse des eigenen Systems gezwungen, die über Rechtfertigungstheorie hinausgehen mußte. Unmittelbarer Anlaß waren die Weltwirtschaftskrise 1929–1933 und die darauf folgende Depression bis zum Ausbruch des II. Weltkrieges. In dieser Situation entwarf J. M. Keynes seine „Neue Ökonomie“. Ausgehend von der Feststellung, daß die reife kapitalistische Wirtschaft [S. 1013]nicht imstande ist, die gesamte vorhandene Arbeitskraft zu beschäftigen, forderte er die aktive Intervention des Staates, um private Investitionen anzuregen, eine Hebung des Beschäftigungsgrades zu erreichen und die Konsumtätigkeit durch gesellschaftliche Umverteilung der Einkommen zugunsten der unteren Schichten zu steigern. Gleichzeitig intensivierte sich auch die sozialistische Kritik an der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sowohl aus der UdSSR (Eugen Varga) wie auch in kapitalistischen Ländern (Bauer, Sweezy, Dobb, Kalecki, Lange). Auch die bürgerliche Ökonomie selbst wandte sich nun im Zusammenhang mit Problemen der Planung der Wirtschaft, die sich konsequenterweise aus den Keynesschen Forderungen ergaben, nach dem II. Weltkrieg die relativ enge Analyse der Markterscheinungen verlassend, den grundlegenden Konzepten der klassischen bürgerlichen PÖ. zu und begann, die Prozesse der Akkumulation und Reproduktion zu untersuchen (Joan Robinson und P. Sraffa). Die marxistische Analyse des „Monopolkapitalismus“ wurde ebenfalls nach dem II. Weltkrieg fortgesetzt, wobei sie sich einerseits mit der vermeintlichen Unfähigkeit des Kapitalismus zur Industrialisierung schwach entwickelter Länder befaßte (Baran), andererseits die Wandlungen in der wirtschaftlichen und sozialen Struktur der kapitalistischen Länder untersuchte. Aus dem Versuch, eine systematische Theorie der grundlegenden ökonomischen Gesetze des Monopolkapitalismus zu formulieren, ist die Doktrin vom staatsmonopolistischen Kapitalismus (Imperialismus) entwickelt worden.
III. Verhältnis zur klassischen bürgerlichen Politischen Ökonomie
Die klassische bürgerliche PÖ. entstand in der Zeit von etwa 1650 bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts in den damals am weitesten industrialisierten Ländern England und Frankreich und hatte in A. Smith und D. Ricardo ihre bekanntesten Vertreter. Ihr historisches Verdienst war es, wesentliche Zusammenhänge der bürgerlichen Produktion aufgedeckt und somit dazu beigetragen zu haben, die entwickelten Produktivkräfte aus den Fesseln der feudalen Eigentums- oder Produktionsverhältnisse befreit zu haben. Von besonderer Bedeutung war die Entwicklung der Arbeitswerttheorie durch die klassische bürgerliche PÖ. — alles, was nicht Resultat menschlicher Arbeit ist, ist Natur und als solche nicht sozialer Reichtum —, wodurch sie den Mehrwert in Form von Profit, Zins und Grundrente als Abzug vom Produkt der Arbeit erklären konnte und damit faktisch die kapitalistische Ausbeutung aufdeckte. Allerdings fand sie — nach Marx — nicht den „Springpunkt, um den sich das Verständnis der Politischen Ökonomie dreht“ (Marx/Engels Werke, Bd. 23, Berlin [Ost], S. 56), und den er als erster nachgewiesen hat, nämlich den Doppelcharakter der Arbeit, konkret-nützlich und abstrakt-gesellschaftlich zu sein (Wert- und Mehrwerttheorie). Aus diesem Mangel würden sich auch letztlich alle anderen Unzulänglichkeiten bürgerlicher Theorie erklären.
Die klassische PÖ. verwickelt sich nicht nur bei der Analyse in Widersprüche; ihre Entwicklung entspricht vielmehr der realen Entwicklung der in der kapitalistischen Produktionsweise enthaltenen gesellschaftlichen Gegensätze. Der tatsächlich vorhandene Antagonismus, der sich bei der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft notwendig einstellt, findet selbst Eingang in die ökonomische Theorie und tritt ihr nach marxistischer Auffassung als mehr oder minder utopischer, kritischer und revolutionärer Gegensatz entgegen. Der Mangel der Analyse der klassischen PÖ., die auf Aneignung fremder Arbeit gerichtete Produktion nicht als historisch spezifische Form der Produktion aufzufassen, wird jedoch am Ende der Entwicklung dieser Wissenschaft selbst aufgelöst. Daher brachten die Klassiker des Marxismus-Leninismus der klassischen bürgerlichen PÖ. große Wertschätzung entgegen und hoben sie positiv von der ihr folgenden „Vulgärökonomie“ ab.
IV. Kritik der Politischen Ökonomie (Politische Ökonomie des Kapitalismus)
Die Kritik der PÖ. ist die Bezeichnung für den Teil der marxistischen ökonomischen Theorie, der die kapitalistische Produktionsweise zum Untersuchungsgegenstand hat. Sie will die Bewegungsgesetze der kapitalistischen Produktionsweise in ihrer Widersprüchlichkeit aufzeigen, ihre historische Begrenztheit nachweisen und die Arbeiterklasse als die gesellschaftliche Kraft hervorheben, die berufen sei, die Ablösung des Kapitals zu vollziehen. 1844 formulierte Marx in der Auseinandersetzung mit der klassischen PÖ. die These, daß in der Bewegung des Privateigentums, eben in der Ökonomie, die revolutionäre Bewegung ihre empirische und theoretische Basis findet. Die bürgerliche Gesellschaft ist die entwickeltste und vielfältigste Organisation der Produktion, der eine komplizierte Struktur von ökonomisch-sozialen Verhältnissen zugrunde liegt, die man als eigenständige Sphäre für sich analysieren kann (Basis) und über die sich eine ebenso komplizierte Struktur anderer Gesellschaftsphären als Überbau erhebt. Von Anbeginn seines Schaffens kritisierte Marx die Art und Weise, in der die klassische PÖ. die Verhältnisse der kapitalistischen Reichtumsproduktion erfaßt: sie sei nicht in der Lage, die spezifische Gesellschaftlichkeit, die sich in Form von Lohn, Profit und Grundrente reflektiert, zu erfassen. Er wendet sich gegen das Verfahren der klassischen Theorie, die PÖ. auf reine Wirtschaftswissenschaft als Fachökonomie zu reduzieren. Demgegenüber beansprucht die Marxsche Kritik der [S. 1014]PÖ., den Vermittlungszusammenhang aller Gesellschaftssphären darstellen zu können. Damit formuliert Marx zugleich eine Kritik philosophischer Bewußtseinsformen: Ideologie als bestimmte theoretische Bewußtseinsform und als praktisches Verhalten der Individuen kann nach seiner Auffassung nicht auf Basis philosophischer Abstraktionen begriffen werden, sondern nur, indem die jeweils zugrundeliegende gesellschaftliche Lebenssphäre selbst betrachtet wird. Die Entwicklung wissenschaftlichen Wissens wird so als theoretischer Reflex verschiedener Entwicklungsstufen gesellschaftlicher Arbeit begriffen. Daher seien die deutsche idealistische Philosophie, die klassische PÖ. und der utopische Sozialismus eben nicht als theoretische Quellen des wissenschaftlichen Sozialismus zu verhandeln, sondern erweisen sich als theoretische Reflexe der mehr oder minder entwickelten bürgerlichen Form der Arbeit. Die Kritik der PÖ. bedürfe keines philosophischen Fundaments; sie habe ihr Fundament in der Priorität gesellschaftlicher Arbeit gegenüber allen anderen, abgeleiteten Lebenssphären der bürgerlichen Gesellschaft. Ohne eine klare Fassung der Grundstrukturen der bürgerlichen Gesellschaft ist eine kritische Darstellung aller Lebensbereiche nicht möglich. Die Ausarbeitung eines Leitfadens zur Analyse der kapitalistischen Produktionsweise ist im System der Kritik der PÖ., im „Kapital“, formuliert.
Das dreibändige Hauptwerk von K. Marx, „Das Kapital“, ist als Kritik der bürgerlichen PÖ. konzipiert. Es will, vom inneren Zusammenhang der kapitalistischen Produktion ausgehend, über den Zirkulationsprozeß dem Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital bis an die Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft folgen, um zum einen das innere Band dieses Verhältnisses aufzudecken und um zum andern die Formen aufzuzeigen, in denen es an der Oberfläche erscheint. Es will zeigen, wie die ökonomischen Kategorien die dahinterstehenden gesellschaftlichen Beziehungen verschleiern und wie der Produktionsprozeß des Kapitals diese gesellschaftlichen Beziehungen der Abhängigkeit, der Ausbeutung, des Zwangs ständig produziert und reproduziert, zugleich aber auch, da er widersprüchlich und krisenhaft sei, die Bedingungen seiner Aufhebung schaffe.
Mit der systematischen Darstellung der Struktur des bürgerlichen Gesamtproduktionsprozesses ist es mit Marx nach Auffassung seiner Anhänger möglich, sowohl die gesamte konkrete Gestalt der bürgerlichen Gesellschaft eines Landes zu begreifen, als auch die revolutionäre Politik der Arbeiterorganisationen genau zu bestimmen.
Auf der Grundlage des Marxschen Gesetzes von der Konzentration und Zentralisation des Kapitals konstatierte Lenin das Umschlagen der Konkurrenz in das Monopol. Der Monopolkapitalismus ist nach Lenin vor allem gekennzeichnet durch die Verschränkung von Banken und industriellem Kapital zum Finanzkapital und soll das letzte und höchste Stadium des Kapitalismus vor dem Übergang in den Kommunismus sein. Als seine letzte, heute erreichte Stufe gilt der staatsmonopolistische Kapitalismus (Stamokap) (ein Begriff, den Lenin schon 1917 verwendet, der dann aus der marxistischen Diskussion verschwindet und erst wieder seit 1955 gebraucht wird). Er ist dadurch gekennzeichnet, daß der Staat die Verwertungsbedingungen des Kapitals und den gesamten Reproduktionsprozeß der Gesellschaft sichern muß. Eine unter Marxisten allgemein akzeptierte Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus (SMK) konnte bisher nicht entwickelt werden. Die Entstehung einer theoretischen Diskussion um den SMK ist Reflex einer Phase lang dauernder Prosperität in den Ländern des kapitalistischen Weltmarktes, einer Phase, während der die Phänomene der zyklischen Bewegung bei genauer Betrachtung zwar erkennbar bleiben, im Vergleich zu den überdurchschnittlichen Wachstumsraten jedoch in den Hintergrund treten.
V. Politische Ökonomie des Sozialismus
A. Grundlagen
Unter PÖ. des Sozialismus wird die Wissenschaft von den ökonomischen Gesetzen und der Planung, rationellen Organisation und Leitung der Produktion und des Austausches in der auf dem sozialistischen Eigentum an Produktionsmitteln und der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse beruhenden sozialistischen Gesellschaft verstanden. Sie befaßt sich mit der Entstehung und Entwicklung der sozialistischen Produktionsweise und gilt als theoretische Grundlage, auf der die gesellschaftliche Reproduktion planmäßig, rationell und effektiv durchgeführt werden soll. Zu diesem Zweck erforscht sie die Wirkungsweise der „objektiven ökonomischen Gesetze“ der sozialistischen Produktionsweise und die Grundformen der gesellschaftlichen Organisation der Produktion und der erweiterten sozialistischen Reproduktion sowie die gesellschaftlichen und persönlichen Interessen der sozialistischen Produzenten. Gegenwärtig wird davon ausgegangen, daß alle im Sozialismus wirkenden unterschiedlichen und sich gegenseitig beeinflussenden ökonomischen Gesetze sich in einem in sich geschlossenen, sehr komplizierten System bewegen. Diese Gesetze werden nach unterschiedlichen Merkmalen klassifiziert; es werden im wesentlichen 3 Gruppen unterschieden: 1. spezifisch ökonomische Gesetze der sozialistischen/kommunistischen Gesellschaftsformation; 2. allgemeine ökonomische Gesetze, die während der gesamten Geschichte menschlicher Gesellschaft wirken; 3. besondere ökonomische Gesetze, die in mehreren, aber nicht allen Gesellschaftsformationen wirken.
In diesem System der ökonomischen Gesetze, wird [S. 1015]dem „ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus“ die entscheidende Bedeutung eingeräumt; diesem sind das „Gesetz der planmäßigen proportionalen Entwicklung“ und das „Gesetz der Ökonomie der Zeit“ nachgeordnet. Das Hintansetzen des „Gesetzes der Ökonomie der Zeit“ verwundert: denn dem Anspruch nach soll in der sozialistischen Gesellschaft die Entgegensetzung von gesellschaftlicher Arbeit und Tätigkeit im Nicht-Arbeitsbereich verschwinden. Schließlich gelten die Schaffung von frei verfügbarer Zeit und die Entwicklung von Bedürfnissen des gesellschaftlichen Subjekts als die entscheidenden Maßstäbe für die Produktion im Sozialismus. Eine sozialistische Produktionsweise müßte daher so ausgestaltet sein, daß in ihr so viel an gesellschaftlich disponibler Arbeitszeit gewonnen werden könnte, daß trotz größeren Vermittlungsaufwandes für den gesellschaftlichen Charakter der Produktion (z.B. Planung), die Arbeitszeit weiter gesenkt werden kann. Im Zentrum der Arbeitsverausgabung einer sozialistischen Gesellschaft müßte also die Ökonomie der Zeit stehen. Als ökonomische Theorie hat die PÖ. des Sozialismus die Wechselbeziehungen zwischen Produktivkräften, Produktionsverhältnissen und politisch-ideologischem Überbau zu erforschen (z.B. Rückwirkung der staatlichen Wirtschaftspolitik auf die Dynamik der Produktivkräfte). Ob es ein spezifisches Verhältnis von ökonomischer Basis und ideologisch-politischem Überbau in einer sozialistischen Gesellschaft im Unterschied zum Kapitalismus gibt und wie diese Spezifik ausgestaltet ist, ist ständiges Thema aller gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen in der DDR. Die These von der relativen Selbständigkeit des Überbaus, wonach dieser also kein bloßer Reflex der ökonomischen Basis, sondern ihr organisch notwendiger Bestandteil ist, wird weithin akzeptiert. Während im Kapitalismus die Gesetze ökonomischer Reproduktion über die Konkurrenz vermittelt sind, wird diese Funktion im Sozialismus z. B. durch die zentrale Wirtschaftsplanung vom politischen Überbau (Partei/Staat) übernommen. Strittig ist in diesen Diskussionen jedoch die Frage, ob ökonomische Gesetze nur über bewußt gesetzte Verhaltensvorgaben (Plan/Recht) wirksam werden oder auch über die Erfahrungen der Menschen und über die auf dieser Grundlage sich bildenden Verhaltensmaximen. Würde dieses zugestanden, wäre damit eingeräumt, daß ökonomische Gesetze ihren Ausdruck sowohl in staatlicher Rechtsdurchsetzung als auch in der Reaktion der Werktätigen auf ihre gewandelten Arbeits- und Lebensverhältnisse finden können. Derartige Reaktionen könnten durchaus auch Forderungen nach Korrektur unwirksamer ökonomischer Regelungen bis hin zu Rechtsverletzungen umfassen; also nicht nur den Nachvollzug politischer Entscheidungen, sondern durch positive inhaltliche Bestimmung durch die Produzenten selbst. Damit ist der Sache nach formuliert, daß im Sozialismus sich die Bedürfnisse und Interessen der Bevölkerung über die Lösung von Widersprüchen im politischen Überbau verwirklichen.
B. Rolle der Politischen Ökonomie im Sozialismus
Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde einer PÖ. des Sozialismus die Existenzberechtigung überhaupt bestritten, die Möglichkeit einer ökonomischen Wissenschaft im Sozialismus verneint (Bucharin). Die sozialistische Revolution sollte das Ende der PÖ. als Wissenschaft bedeuten (R. Luxemburg), da im Sozialismus nur noch technische und praxisbedingte Probleme auftauchen würden, die durch planmäßige Gestaltung der Produktion zu lösen seien. Doch da — so wurde dem entgegengehalten — die Ablösung des Kapitalismus nicht gleichbedeutend sei mit der Beseitigung aller Widersprüche und solange noch Entscheidungen über verschiedene Ziele und Mittel (Ressourcen, Programme) zu fällen seien, könnten politische Komponenten nicht ausgeschlossen werden. So bedürfe der Sozialismus einer eigenen PÖ., welche die Bewegungsgesetze der Gesellschaft erfaßt, ihre „Widersprüche“ aufdeckt und ein Konzept der Überwindung dieser Widersprüche formuliert.
Die PÖ. des Sozialismus stand damit vor einem Dilemma: Sie konnte sich nicht, ähnlich wie die klassische bürgerliche PÖ., allmählich entwickeln, sondern sollte vom Zeitpunkt der Gründung der UdSSR parallel zur Schaffung ihrer materiellen Grundlagen zugleich bereits erste wissenschaftliche Ergebnisse vorweisen; sie war damit zunächst eine Wissenschaft ohne Geschichte; es fehlte an entfalteten Analysen des Funktionsmechanismus und an systematisierbaren Erkenntnissen. Auch die Äußerungen von Marx und Engels zu Funktionsprinzipien einer sozialistischen Wirtschaft waren zurückhaltend, weil sie sich über den Mangel an Prämissen für eine wissenschaftliche Begründung konkreter, historischer Entwicklungsformen klar waren. Daher sind diese Äußerungen immer allgemeiner Natur und unter zweierlei Umständen entstanden: 1. im Zusammenhang mit der Analyse der Bewegungsgesetze des Kapitalismus und mit dem Zweck, dessen historischen Charakter hervorzuheben; 2. im Zusammenhang mit den praktischen Bedürfnissen des ideologischen Klassenkampfes, vor allem um ihrer Meinung nach falschen Programmthesen entgegenzutreten (Kritik des Gothaer Programms und III. Teil des Anti-Dühring).
Dennoch lassen sich — mit aller Vorsicht — aus ihren Formulierungen der allgemeine Rahmen der Funktionsprinzipien der sozialistischen Wirtschaft herauslesen und die wichtigsten Merkmale benennen: direkte, ex ante Regulierung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung; direkte Bestimmung der individuell aufgewendeten lebendigen und vergegenständlich[S. 1016]ten Arbeit; notwendige Bilanzierung des Reproduktionsprozesses in stofflichen Größen; Verteilung des erzeugten Sozialproduktes unter dem Gesichtspunkt der Befriedigung der allgemeinen Bedürfnisse, wobei der Arbeitsaufwand das Kriterium für die Zuteilung des individuellen Konsumfonds ergibt; Konzentration des Akkumulationsfonds und der Entscheidung der Verwendung in den Händen der ganzen Gesellschaft.
Die Anwendung der Naturalrechnung in stofflichen Einheiten galt von Beginn an als einzig adäquate Form der Verteilung im Sozialismus, und die Bemühungen der Theoretiker liefen durchweg darauf hinaus, zu begründen, warum es noch nicht möglich sei, das System der Naturalverteilungswirtschaft zu verwirklichen.
Nach der Oktoberrevolution hatte Lenin sich für die Notwendigkeit und für die Erhaltung der Ware-Geld-Beziehungen in der ersten Periode der Machtübernahme ausgesprochen. Doch der Ausbruch des Bürgerkrieges und die Einführung des Kriegskommunismus vereitelten die Verwirklichung der Reform der Geldzirkulation. Die Periode des Kriegskommunismus (1919–1921) begann mit der Einführung der entschädigungslosen Ablieferungspflicht von Getreide- und Futtermitteln an den Staat. Sie stellte der PÖ. die Aufgabe, eine Methode der volkswirtschaftlichen Erfassung für die Ökonomik der geldlosen sozialistischen Wirtschaft auszuarbeiten. Obgleich Lenin erkannte, daß der Kriegskommunismus keine normale Entwicklungsetappe war, sah er in ihm die Möglichkeit zu einem direkten Übergang zum Naturalverteilungssystem. Die reale geschichtliche Entwicklung hat die Unhaltbarkeit des Vorgehens gezeigt, man mußte zu Ware-Geld-Formen zurückkehren (Geldtheorie und Geldpolitik).
Die Neue Ökonomische Politik (seit März 1921) stellte eine Konzeption dar, in der die Ware-Geld-Beziehungen durch den sozialistischen Staat in der Übergangsperiode genutzt werden sollten. Sie beruhte auf der Einsicht, daß die Ware-Geld-Formen sich nicht auf die Beziehungen zwischen Stadt und Land beschränken dürfen, sondern auch auf den staatlichen Sektor ausgedehnt werden müssen, um die Rentabilität zum Kriterium des Nutzeffekts der staatlichen Industrie zu machen. Dies verlieh dieser zwar größere Selbständigkeit, bedeutete aber nicht eine Ablehnung des zentralen Planes, insbesondere dann nicht, wenn die grundsätzlichen Entscheidungen bei den staatlichen Organen lagen und die Möglichkeit fortbestand, in die Tätigkeit der Betriebe in gesamtgesellschaftlich begründeten Fällen einzugreifen. Auf die Formel gebracht, hieß das, „daß die Neue Ökonomische Politik den einheitlichen staatlichen Wirtschaftsplan nicht ändert und seinen Rahmen nicht überschreitet, sondern die Art und Weise ändert, wie seine Verwirklichung in Angriff genommen werden muß“ (Lenin Werke, 4. Aufl., dt., Bd. 35, S. 510). Auch die weitere Diskussion der 20er Jahre in der UdSSR ergab, daß die sozialistische Wirtschaft in allen ihren Bestandteilen eine zentralgeleitete Wirtschaft ist, daß der Marktmechanismus im sozialistischen System ein widersprüchliches Moment darstellt, das man zwar eine Zeitlang wegen der Existenz unterschiedlicher Eigentumsformen und nichtsozialistischer Sektoren und zur Ankurbelung der Industrialisierung tolerieren müsse, aber auch so rasch wie möglich überwinden sollte.
Mit dem Übergang zur Neuen Ökonomischen Politik ist ein Wandel der Einstellung der sozialistischen Nationalökonomen zu verzeichnen: Man mußte aus der Wiederherstellung der Ware-Geld-Wirtschaft die Konsequenzen, die sich für das Funktionieren des sozialistischen Sektors ergaben, theoretisch aufarbeiten. Die Auffassung, daß Ware-Geld-Formen dem Plan widersprechen, wurde relativiert, man erblickte mehr und mehr im Markt einen zum Plan gehörenden Mechanismus. Das bedeutete, das Prinzip der Wirtschaftlichen Rechnungsführung auszubauen (Erzielung maximalen Ausstoßes bei minimalen Kosten) und dem Wertgesetz unter Einschränkungen wieder Wirkung zukommen zu lassen.
Die Bedenken gegen den Markt, die sich vor allem zur Zeit des ersten Fünfjahrplanes 1928–1932 nochmals lautstark artikulierten, hatten ihre Ursache in den Erfahrungen der ersten Jahre der Neuen Ökonomischen Politik: Es hatte sich ein enger Zusammenhang zwischen dem Markt und dem sich entwickelnden privaten, also auch kapitalistischen Sektor herausgebildet, welcher sich einerseits besser als die vergesellschafteten Betriebe an die Marktsituation anzupassen vermocht hatte, andererseits der Planungstätigkeit des Staates und der sozialistischen Entwicklung ständig entgegenwirkte.
In der UdSSR hat es ausgiebige und kontroverse Debatten über die Interpretation der Marxschen PÖ. gegeben (z. B. Rubin/Bessonow 1927–1929); dabei waren sich die Kontrahenten durchaus der schwerwiegenden politischen Konsequenzen für die Taktik der kommunistischen Partei bewußt. Die z. T. unverhüllte Gegensätzlichkeit der Standpunkte hatte ihren objektiven Grund in der Entwicklungsstufe der neuen Formen der gesellschaftlichen Arbeit, die durch die tradierten Vermittlungsformen der gesellschaftlichen Arbeit auf der einen Seite und durch die beginnende Emanzipation des gesellschaftlichen Produktionsprozesses von den Beschränkungen der bürgerlichen Gesellschaft auf der anderen gekennzeichnet war. Der Versuch, diesen Widerspruch theoretisch zu lösen, endete in einer dogmatischen Verteidigung der Marxschen Theorie und in der zeitweiligen Preisgabe ihres kritischen Gehaltes.[S. 1017]
C. Die besonderen Aufgaben der Politischen Ökonomie im Sozialismus
1. Allgemeine Probleme
Mit der Entwicklung der PÖ. des Sozialismus eng verbunden, entstanden neue Wirtschaftswissenschaften, wie die Industrieökonomik, Agrarökonomie, Arbeitsökonomie u.a.m. Diese „konkreten Ökonomien“ und die Einbeziehung von Mathematik und Kybernetik sollen eine wirkungsvollere perspektivische Planung und Leitung der sozialistischen Wirtschaft ermöglichen. Umstritten sind Abgrenzung und Zuordnung der ökonomischen Spezialdisziplinen zur PÖ. In der darüber geführten Diskussion gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen, bis zu dem Vorschlag, ein „System des optimalen Funktionierens der Ökonomie“ (SOFÖ) an die Stelle der traditionellen PÖ. zu setzen. Als Begründung für diesen Vorschlag wird gesagt, daß es falsch sei, die konkreten ökonomischen Wissenschaften nur als angewandte PÖ., nur als Konkretisierung einer Fundamentalwissenschaft zu betrachten. Hinter diesem Argument steckt jedoch im Kern die Überzeugung, daß die politische Umwälzung zum Sozialismus/Kommunismus eigentlich vollzogen sei und es jetzt nur noch darum gehe, mit Hilfe von Fachökonomien die Volkswirtschaft zu optimieren. Das Festhalten an der PÖ. als Leitwissenschaft drückt dagegen das Bewußtsein aus, daß Ökonomie es immer auch mit sozialen und politischen und kulturellen Beziehungen zu tun hat.
Nach offizieller Auffassung gliedert sich das System der ökonomischen Wissenschaften wie folgt: 1. PÖ. als theoretische und methodologische Grundlage des gesamten Systems ökonomischer Disziplinen; 2. allgemeine ökonomische Disziplinen (Geschichte der Ökonomie, Volkswirtschaftsplanung usw.); 3. Querschnittswissenschaften (Geldzirkulation, Kredit usw.); 4. Zweigdisziplinen (Industrieökonomie, Bildungsökonomie usw.).
Die theoretischen Auseinandersetzungen über den Funktionsmechanismus der sozialistischen Wirtschaft kreisten von Anfang an um den Problemkreis: Plan und Markt, Zentralisierung und Dezentralisierung der ökonomischen Entscheidungen, was nicht hieß, Plan und Markt, Zentralisierung und Dezentralisierung seien als sich gegenseitig ausschließende Alternative zu begreifen, sondern es ging um die Art der Verbindung von Plan und Markt, um die optimale Abgrenzung der Bereiche zentralisierter und dezentralisierter Entscheidungen.
Nationale Wirtschaftsprogrammierung verlangt nach dem doppelten Prozeß der Planung der gesellschaftlichen Nachfrage und der Planung des gesellschaftlichen Angebots; beides zusammengenommen würde neue Formen der Willensbildung auf allen Ebenen voraussetzen. Es müßte eine breite Diskussion über die Rangfolge der Bedürfnisse und über die daraus erwachsenden Prioritäten stattfinden. Die Beteiligung an diesen Diskussionen und an den Entscheidungen auf den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen wäre ein schrittweiser Prozeß der Entwicklung gesellschaftlich vermittelter Bedürfnisstrukturen und der rationellen Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit auf die verschiedenen Arbeitszweige. Ein solches Verfahren würde es erlauben, daß die Klassen und Schichten sich konstruktiv am Aufbau des Sozialismus beteiligen.
Die zu fällenden wirtschaftlichen Entscheidungen in einer sozialistischen Gesellschaft werden in 3 Gruppen geteilt: 1. die grundlegenden makro-ökonomischen Entscheidungen mit dem Charakter von direkten Entscheidungen auf zentraler Ebene; 2. Entscheidungen über die Struktur des individuellen Konsums bei gegebenem Einkommen sowie über Berufswahl und Arbeitsplatz; 3. die laufenden Wirtschaftsentscheidungen (Umfang und Struktur der Produktion in Betrieben und Branchen, Volumen und Struktur der Aufwendungen, Absatzstrategie, Rohstoffversorgung, kleinere Investitionen, konkrete Form der Entlohnung usw.), wobei für die Problemstellung Plan und/oder Markt die dritte Gruppe von Entscheidungen bedeutsam ist.
2. Rolle des Wertgesetzes in der Politischen Ökonomie des Sozialismus
Die PÖ. des Sozialismus konnte die o.g. Problemstellung nur lösen, wenn sie sich über das Wirken des Wertgesetzes im Sozialismus klar wurde. Das Wirken des Wertgesetzes bedeutet, daß die Wertrelationen die Preisrelationen bestimmen, nicht in dem Sinne, daß sie sich in jedem Fall decken, sondern daß eine kontinuierliche Rückführung der Preisrelationen auf die Wertrelationen stattfindet. Dabei mußte zugleich beachtet werden, daß die Existenz von Ware-Geld-Formen nicht zugleich der Beweis ist für das Wirken des Wertgesetzes; denn überall dort, wo ein Disponent über hochgradig konzentrierte Vorräte einen wirksamen Einfluß auf die Gesamtstruktur der ökonomischen Größe hat, ist das Auftreten der Ware-Geld-Formen nicht mehr identisch mit dem Wirken des Wertgesetzes: Auf der Basis gesellschaftlichen Eigentums findet Kontrolle über den Großteil der wirtschaftlichen Ressourcen statt und bei Planung der Proportionen der gesellschaftlichen Produktion und der Preise kann in der Theorie das Abweichen der Preisrelationen von den Wertrelationen nur als Ergebnis einer bewußten Politik verstanden werden. Die Schwierigkeit besteht darin, die These vom Wirken des Wertgesetzes mit der These in Einklang zu bringen, nach der die Proportionen der sozialistischen Produktion sich nach anderen ökonomischen Gesetzen (ökonomisches Grundgesetz des Sozialismus und das Gesetz der geplanten proportionalen Entwicklung) herausbilden. Das Wirken des Wertgesetzes ist nicht loszulösen von der Regulierung der Produktionspropor[S. 1018]tionen, die das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage bei Annäherung von Preis- und Wertrelationen herstellen sollen. Es ist kein absoluter, allgemeiner Regulator der Produktions- und Tauschproportionen mehr; es behält aber seine regulierende Rolle in den von den zentralen Entscheidungen gezogenen Grenzen. In diesem Fall kommt es sogar um so direkter zur Anwendung, je näher die Produktions- und Tauschproportionen dem Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage kommen. Das heißt, daß das Wertgesetz im Sozialismus begrenzt wirksam ist. Heute wird in den sozialistischen Ländern ohne Wenn und Aber von der Existenz von Ware-Geld-Beziehungen ausgegangen, die allerdings gegenüber den Bedingungen des Kapitalismus als mit einem prinzipiell neuen, sozialistischen Inhalt bekleidet angesehen werden. Daraus wird gefolgert, daß die Ware-Geld-Beziehungen im Sozialismus nicht einzuschränken, sondern durch die Anwendung Wirtschaftlicher Rechnungsführung — also durch Kategorien wie Preis, Gewinn, Kredit usw. — auszunutzen seien. Wachstumsdefizite und Probleme bei der Planerfüllung werden folgerichtig nicht der Fortexistenz, sondern der unzulänglichen Ausnutzung der Ware-Geld-Beziehungen zugeschrieben.
3. Zentralisation/Dezentralisation; Plan/Markt
Wie für die Wirtschaftspolitik eine optimale Verbindung von Plan und Markt zu erreichen ist, hängt davon ab, welche theoretische Einschätzung Zentralisierung und Dezentralisierung durch die PÖ. des Sozialismus erfahren, welche historischen Erfahrungen berücksichtigt werden und auf welchem Entwicklungsstand sich die jeweiligen Volkswirtschaften befinden. Als negative Merkmale des zentralisierten Systems gelten: mangelnde Elastizität der Produktion, exzessive Kosten bei der Realisierung der Planziele sowie falsche Aufgliederung des Produktionsprogramms, mangelhafte Ausschöpfung des vorhandenen Produktionsapparates, ungleichmäßige Entwicklung der Branchen, geringe Entfaltung der ökonomischen Hebel, wodurch die Verbindung von individuellen und gesellschaftlichen Interessen geschwächt ist, Bürokratismus und Schwerfälligkeit des Staats- und Wirtschaftsapparates. Die Vorteile der Zentralisierung werden vor allem in ihrer Leistungsfähigkeit für die Aufbau- und Industrialisierungsphase gesehen, in der es für notwendig erachtet wird, durch rücksichtslose Beschleunigung des Wachstumstempos und durch den Zwang zu raschen und einschneidenden Veränderungen in der ökonomischen Struktur einen hohen Konzentrationsgrad der Investitionsmittel zu sichern, die Wirtschaft dynamisch zu entwickeln, was in einer komplexen Wirtschaft faktisch nicht ohne Disproportionalitäten realisierbar ist.
Zur Rechtfertigung des Marktmechanismus in den Grenzen der vom Plan festgesetzten Bedingungen wird die Elastizität der Anpassung der Angebots- an die Nachfragestruktur angesehen; die angestrebte Maximierung des Gewinns löse eine stetige Tendenz zur Senkung der Produktionskosten aus, die Gleichmäßigkeit im Prozeß der erweiterten Reproduktion werde gefördert, ein höheres Maß von Autonomie für die unteren Stufen führe zur Entlastung der zentralen Ebene und gebe ihr Spielraum für die langfristige Planerstellung; als gesellschaftlicher Aspekt ergebe sich die Heranführung breiter Massen an Probleme der Wirtschaftstätigkeit, die Verbindung der Individual- und Gruppeninteressen mit den Interessen der gesamten Volkswirtschaft, was bedeute, zugleich die Grundvoraussetzungen für die Überwindung von Entfremdung zu schaffen.
Als Einwände gegen die Dezentralisierung wurden genannt: Der Marktmechanismus erlaube keine präzise Bestimmung der Entwicklungsproportionen; die Lenkung der Produktion mit Hilfe des Marktmechanismus sei uneffektiv, da der Markt eine Regulierung ex post sei und nur die Regulierung ex ante Gleichgewichtsstörungen vermeiden könne, der Marktmechanismus fordere eine größere Elastizität der Preisstruktur, die die Betriebe zur Gewinnmaximierung verleiten könne.
4. Reformversuche
Mitte der 60er Jahre gingen fast alle sozialistischen Länder dazu über, entscheidende Reformen ihrer Wirtschaftssysteme vorzunehmen, die sowohl zeitlich als auch in ihrer grundsätzlichen Orientierung weitgehende Parallelitäten aufwiesen. Diese Orientierung kann als Übergang von einem überzentralisierten System zu einer Planwirtschaft mit Elementen eines Marktmechanismus verstanden werden (Wirtschaft). Die Reformen sollten für die Anpassung der Angebots- an die Nachfragestruktur und für die Reduktionen der Aufwendungen und zur Stimulierung von Innovationen im Produktionsbereich günstigere Bedingungen schaffen.
Die Notwendigkeit der Reformen wie auch ihre langsame Verwirklichung werden als Ausdruck des bewußten Übergangs von der extensiven zur intensiven Entwicklungsphase erklärt. Dieser Übergang wurde durch eine Verlangsamung der Entwicklungsdynamik und durch eine geringe Effizienz der Aufwendungen, die sich in der Nichterfüllung der Planziele und damit als mangelnde Bedürfnisbefriedigung manifestierte, hervorgerufen. Da die sozialistische Volkswirtschaft erklärtermaßen die möglichst umfassende Befriedigung der gesamtgesellschaftlichen Bedürfnisse zum Zweck hat, müssen die Formen der Planwirtschaft diesem Ziel untergeordnet werden. Um die Zentrale dabei nicht zu überfordern, sei es wichtig, Elemente der Selbstregulierung einzubauen.
Als allgemeine Aussage über eine solche Planwirt[S. 1019]schaft kann der objektive Widerspruch zwischen der Notwendigkeit einer Gesamtkonzeption auf nationaler Ebene und der Notwendigkeit von Einzelinitiativen auf den verschiedenen Stufen der Produktion formuliert werden. Dieser Widerspruch zwischen vertikaler und horizontaler Struktur des Planes und seinen hierarchischen Abstufungen soll auf der Basis eines entwickelten Demokratischen Zentralismus durch Einführung von zwei Prinzipien gelöst werden, wobei eingeräumt wird, daß sie ein hochentwickeltes ökonomisches Niveau zur Voraussetzung haben: 1. auszugehen sei von den erkannten ökonomischen Bedürfnissen bei Produktion und Dienstleistung, um darauf aufbauend die Pläne zu erstellen. Dies scheint eine Umkehrung des Zwecks von Produktion und Konsumtion zu sein. 2. Es handele sich darum, eine Koordination für Leitung und Planung von wirtschaftlich umfassenden Programmen zu institutionalisieren, die sowohl für die Branchen der Volkswirtschaft als auch für die territorialen Verwaltungseinheiten gilt. Es wird darauf verwiesen, daß die eingeleiteten Reformen nicht nur ökonomische Aspekte, sondern auch weittragende soziale und politische Bedeutung haben; sie seien daher in den Gesamtzusammenhang der Gesellschaftspolitik einzuordnen. Die in der DDR ab 1963 erfolgten organisatorischen Umgestaltungen der ökonomischen und politischen Strukturen (NÖS/ÖSS) waren in der Folge begleitet von Diskussionen um die Qualitätsmerkmale sozialistischer Gesellschaften (z.B.: Beginn der Diskussion um Sozialpolitik und um eine Sozialistische ➝Persönlichkeitstheorie). Sie leiteten erst Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre zu einer neuen politischen Programmatik über: die Hauptaufgabe in ihrer Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Sie waren Ausdruck eines Bewußtseins von dem erreichten Entwicklungsstand, nach dem die unmittelbaren Lebensfragen — siehe das spätere Wohnungsbauprogramm — eben noch nicht gelöst sind.
Im Rückblick ist festzuhalten, daß die organisatorischen Umgestaltungen und die inhaltlich-programmatischen Schwerpunktsetzungen zu einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit und zu einer Stabilisierung der DDR-Ökonomie geführt haben. Die damit verbundene Verbesserung des Lebensstandards hat in der Bevölkerung eine positive Resonanz gefunden. Nicht erreicht wurde jedoch eine breite Mobilisierung für bzw. ein allgemein akzeptierter Konsens über die weitere sozialistische Gestaltung der eigenen Entwicklung; dazu fehlte es weiterhin an einer, effektive Mitwirkung ermöglichenden, Öffnung des politischen Systems als Voraussetzung für einen von der Gesellschaft ausgehenden Einfluß auf Inhalt und Durchführung der zentralen und betrieblichen Pläne. Statt dessen wurde das Gewicht der zentralen Planung verstärkt und damit die Aufgabenfülle der staatlichen Organe vermehrt.
5. Leitung und Planung. Rolle des Staates
Kernpunkt einer seit mehreren Jahren kontrovers geführten Auseinandersetzung ist die Bestimmung der gesellschaftlichen Form, in der im „entwickelten Sozialismus“ die gesamtgesellschaftliche Leitung und Planung der Produktion organisiert werden soll. Ausgegangen wird von der Tatsache, daß die wirtschaftspolitische und damit die wirtschaftlich-organisatorische Tätigkeit des Staates ständig an Bedeutung und im Umfang zunimmt. In der sich daran entzündenden Diskussion gibt es im wesentlichen zwei Positionen: Die Vertreter der einen meinen, daß dies als gesetzmäßiges Ergebnis der zunehmenden Aktivität des politischen Überbaus zu werten sei und deshalb seinen Ausdruck auch im Anwachsen der organisatorischen und lenkenden Rolle der Partei als Führungskern der politischen Organisation finden muß.
Die anderen sehen in der Verstärkung der ökonomischen Rolle des Staates das Ergebnis eines Prozesses der Objektivierung seiner wirtschaftlich-organisatorischen Funktion, seine Umwandlung in einen Teil der ökonomischen Basis, in ein Element der Produktionsverhältnisse. Der gemeinsame Bezugspunkt beider Positionen ist, daß sich die materiellen Verhältnisse — die Basis — ohne das Bewußtsein der Menschen „zu durchlaufen“ herausbilden, was auch im Sozialismus unverändert fortgelte. Zwar würden die Menschen nun bewußt und planmäßig auch die materiellen Grundlagen schaffen, aber der objektive Charakter der Basisverhältnisse bleibe bestehen. Daraus wird nun einerseits geschlossen, daß die staatliche Leitung zu den Produktionsverhältnissen gehöre, denn die Leitungsbeziehungen seien notwendige, vom Willen der Menschen unabhängige Beziehungen; die andere Seite hält daran fest, daß diese Leitungsbeziehungen, da sie erst von der Wissenschaft entdeckt werden müßten, das Bewußtsein durchlaufen und deshalb dem Überbau angehören. Die Konsequenzen der beiden Auffassungen werden beim Aufwerfen der Frage nach dem Absterben des Staates deutlich. Von den einen wird die wachsende wirtschaftliche Bedeutung des sozialistischen Staates — eben weil sie mit einer Wandlung des Staates von einem Element des Überbaus in ein Element der Basis verbunden sei — als Symptom seines bereits beginnenden Absterbens interpretiert; die anderen beharren darauf, daß die Erweiterung seiner Funktion als Vermittler der Wirtschaftspolitik der Partei ihn zu der wichtigsten Institution des Überbaus werden läßt. Eine Umwandlung der Funktion des Staates von einer überwiegend politischen in eine administrative vollziehe sich erst im entwickelten Kommunismus.
6. Ökonomische Integration im RGW
Das Problem der Bestimmung der gesellschaftlichen Form der Organisation der Produktion im Sozialis[S. 1020]mus stellt sich darüber hinaus aber auch im internationalen Rahmen der „ökonomischen Integration“ des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), vor allem nach der Annahme des Komplexprogramms von 1971. Die PÖ. des Sozialismus betrachtet das Entwicklungsniveau der sozialistischen ökonomischen Integration als eine unerläßliche materielle Bedingung für den den entwickelten Sozialismus charakterisierenden Entwicklungsstand der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse und damit für das Wirken der ökonomischen Gesetze im innerstaatlichen Maßstab wie in der sozialistischen Staatengemeinschaft. Mit den sich verdichtenden wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Ländern des RGW entwickeln sich neue Bedingungen, die nachhaltig die Wirtschaftspolitik im Innern eines jeden Landes beeinflussen. Mit der angestrebten Vereinheitlichung des Entwicklungsniveaus der industriellen Produktivkräfte wird auch der Reproduktionsprozeß in den RGW-Ländern vereinheitlicht. Das zentrale Problem besteht für die PÖ. in diesem Zusammenhang in der Beurteilung der Rolle der einzelstaatlichen Leitung der Volkswirtschaft in diesem Prozeß. In der Diskussion wird gelegentlich von einem „Grundwiderspruch“ zwischen der Internationalisierung der Produktivkräfte und der national-staatlichen Organisation der Produktion gesprochen, was bedeutet, die einzelstaatliche Leitung und Planung zu Fesseln der gesellschaftlichen Entwicklung zu erklären.
VI. Perspektiven
Zum Ende der 70er/Beginn der 80er Jahre zeichnet sich ab, daß die RGW-Länder auf Grenzen ihrer ökonomischen Entwicklung stoßen, die — so scheint es — nur überwunden werden können durch Eingriffe und Veränderungen in die Struktur ihres Vergesellschaftungszusammenhanges, in die Struktur ihrer Organisation der gesellschaftlichen Arbeit. Die sich in den letzten Jahren abzeichnende relative Effizienzschwäche der sozialistischen Länder drückt sich in abnehmenden Wachstumsraten der Industrieproduktion aus. Nach Einschätzung von DDR-Ökonomen soll die Reduzierung der Wachstumstempi nur von zeitweiliger und partieller Natur sein; es wird darauf verwiesen, daß ein prinzipiell stabiles und dynamisches Wachstum im Sozialismus durchaus mit nachlassenden Wachstumsraten vereinbar sei.
Es scheint aber durchaus ein Bewußtsein davon zu geben, wie tiefgreifend die Wandlung sein muß, um wieder auf einen progressiven Wachstumspfad zu gelangen, denn es werden in den diversen Kommentaren zur ökonomischen Strategie des X. Parteitages der SED (1981) ausdrücklich Bezüge zu den Reformentwürfen der 60er Jahre (NÖS/ÖSS) hergestellt. Damals hatten jedoch bloße Veränderungen des produktiven Apparates nicht ausgereicht. Erst als dazu übergegangen wurde, die Mitwirkungs- und Kontrollrechte des FDGB gegenüber den Betrieben zu stärken, ihn in die programmatische Diskussion einzubeziehen und die staatlichen Organe (Ministerrat) zur Zusammenarbeit mit dem FDGB zu verpflichten, war ein erster zaghafter, allerdings völlig unzureichender Versuch gemacht, die produktiven, sozialen und politischen Strukturen des Gesellschaftssystems nicht nur einfach nebeneinander wirken zu lassen, sondern sie so miteinander zu verknüpfen, daß die weitere Umgestaltung der Produktionsweise als allgemein akzeptiertes Konzept breite Verankerung gefunden hätte. Auf diesem Weg ist in den 70er Jahren nicht fortgeschritten worden, die Veränderung erschöpfte sich in einer Effektivierung der Produktions- und Verteilungsapparate.
Wir haben heute eine Situation, in der zwar in den theoretischen Aussagen darüber Einigkeit besteht, daß es einen Zusammenhang von Bedürfnisermittlung, demokratischen Strukturen und effektiver Planung gibt als Voraussetzung einer rationellen Produktion und umfassender Bedürfnisbefriedigung. In diesen Diskussionen zeigen sich jedoch keine Fortschritte in den Aussagen über die organisatorische Ausgestaltung, die sowohl den Tagesforderungen als auch den langfristigen Notwendigkeiten gerecht würden. Danach bleibt nichts anderes übrig, als neben dem Festhalten an den traditionellen Konzepten der Perfektionierung der Planungsprozesse an den Leistungswillen und an die Leistungsbereitschaft der DDR-Bürger zu appellieren, um vorhandene Hemmnisse abzubauen.
Der bisherige relativ gute Verlauf der DDR-Ökonomie wurde durch Schritte der Dezentralisierung der Planökonomie unterstützt. Im wesentlichen handelt es sich aber dabei um die Stärkung dezentraler Entscheidungsinstanzen der zentralen Machtausübung auf territorialer Ebene und eben nicht um kollektive Instanzen für die Konsensbildung der Bevölkerung.
Die beständig wiederkehrenden ökonomischen Probleme der sozialistischen Länder belegen: eine widerspruchsfreie und effiziente Ausgestaltung sozialistischer Produktionsverhältnisse ist allein durch zentrale Planung der gesellschaftlichen Produktion nicht möglich. Die faktische Trennung von Ökonomie und politisch-gesellschaftlichen Veränderungen in den sozialistischen Ländern ist in den polnischen Ereignissen seit 1980 deutlich geworden. Auslöser für die Unruhen waren die katastrophale Versorgungslage und die von Partei und Staat durchgesetzten, massiven Preiserhöhungen; diese wurden von der Mehrheit der Bevölkerung nicht akzeptiert, da mit ihnen kein erfolgversprechendes Sanierungskonzept der Volkswirtschaft verbunden war, d.h. der Kampf gegen die ökonomische und soziale Misere und gegen das Auseinanderbrechen der gesellschaftlichen Reproduktion war nicht zugleich mit einer Reformierung der Strukturen der Willensbil[S. 1021]dung und Entscheidungsfindung verknüpft; es war für die Bevölkerung nicht abzusehen, inwiefern eine Rücknahme verselbständigter Planungs- und Leitungsinstanzen in die Richtung einer bewußten Vergesellschaftung der Arbeit und einer Veränderung des Verhältnisses zur politischen Führung eingeleitet werden sollte.
Diese Situation verweist auf ein Grundproblem sozialistischer Ökonomie: die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse sozialistischer Länder sind komplizierter als die in kapitalistischen Gesellschaften; sie zeichnen sich durch ein an diesen gemessen verändertes Verhältnis von Ökonomie und Politik aus, in dem sich diese beiden Seiten im gesellschaftlichen Lebensprozeß nicht voneinander trennen lassen, sondern viel stärker einander durchdringen. Die politischen Machtstrukturen reproduzieren sich nicht getrennt von den ökonomischen und sozialen Verhältnissen der Gesellschaft. Über alle Institutionen gesellschaftlicher Planung sind Partei- und Staatsführung in den gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß eingebunden und können sich auch einer veränderten Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung auf Dauer nicht entziehen; sie geraten somit auf vielfache Weise in Konflikt zu ihrer ideologisch proklamierten führenden Rolle im gesellschaftlichen Leben. In dem Maße, wie unter sozialistischen Produktionsverhältnissen eine beschleunigte Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit eintritt und damit verbunden eine erhebliche Differenzierung in den arbeitsteiligen Strukturen des Produktionsorganismus sowie der Lebensverhältnisse der Werktätigen einsetzt, werden eine Umgestaltung des politischen Überbaus (Partei und Staat) und damit eine Neugestaltung der öffentlichen Angelegenheiten zur Notwendigkeit, soll eine rationelle Nutzung der Naturressourcen und des Einsatzes gesellschaftlicher Arbeit erreicht werden.
Insofern trifft die auch in der DDR weit verbreitete Auffassung nicht den Kern des Problems, die da sagt, gesellschaftspolitische Krisen wie in Polen seien Folge einer vollständig ungenügenden Realisierung leninistischer Erfahrung und auf das Versagen einiger führender Persönlichkeiten in Staat und Partei sowie auf antikommunistische Propaganda von außen zurückzuführen; vielmehr sind gerade die vorhandenen Strukturen des Leninismus der eigentliche Grund für den Eklat der gesellschaftlichen Widersprüche. Gerade wegen der gegenseitigen Durchdringung der ökonomischen und politischen Sphären in sozialistischen Gesellschaften kann die Interessenartikulation der Werktätigen nicht auf die ökonomische Interessenvertretung beschränkt bleiben.
Die von den kommunistischen Parteien beherrschten gesellschaftlichen Institutionen sind ein wesentlicher Schauplatz der ökonomischen, sozialen und politischen Auseinandersetzung; das wiederholte Aufbrechen ökonomisch-politischer Konflikte signalisiert, daß sie in ihrer existierenden Form historisch überholt sind; zugleich ist aber klar, daß sie den Ausgangspunkt und die Durchgangsform für eine grundlegende Umgestaltung und Weiterentwicklung der Gesellschaft bilden, die die vorwiegende Organisation der gesellschaftlichen Prozesse „von oben“ beseitigt und der sozialen und politischen Differenziertheit Rechnung trägt, soll in der Zukunft eine konsensfähige Synthese der vielfältigen Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung erreicht werden.
Hasko Hüning
Literaturangaben
- Fabiunke, Günter, und Peter Thal: Geschichte der politischen Ökonomie. Leitfaden. 2., überarb. Aufl. Berlin (Ost): Die Wirtschaft 1981.
- Ökonomische Gesetze des Sozialismus. System, Besonderheiten der Wirkung, Formen und Methoden der Ausnutzung. Hrsg. Leonid Iwanowitsch Albakin u. Gerhard Schulz. Berlin (Ost): Dietz 1981.
- Grundbegriffe der marxistischen Theorie. Hrsg. Joachim Bischoff. Hamburg: VSA 1978.
- Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. ‚Rohentwurf‘. Kommentar. Hrsgg. von der Projektgruppe Entwicklung des Marxschen Systems. Hamburg: VSA 1978.
- Heppener, Sieglinde: Die sozialistische Produktionsweise. Eine philosophiehistorische Analyse. Berlin (Ost): Dietz 1981.
- Heuer, Uwe-Jens: Recht und Wirtschaftsleitung im Sozialismus. Von den Möglichkeiten u. von d. Wirklichkeit des Rechts. Berlin (Ost): Staatsverl. d. DDR 1982.
- Hoffmann, Hans: Ökonomie, Staat und Recht. Eine politische Studie. Hrsgg. v. der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR. Potsdam-Babelsberg 1981. (Aktuelle Beiträge der Staats- und Rechtswissenschaft. 235.)
- Ökonomisches Lexikon. 3., überarb. Aufl. Bde. 1, 2 u. 3. Berlin (Ost): Die Wirtschaft 1978–1980.
- Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Bde. 1, 2 u. 3. MEW Bde. 23, 24 u. 25. Berlin (Ost): Dietz 1969.
- Medwedew, W. A.: Die sozialistische Produktion. Berlin (Ost): Die Wirtschaft 1978.
- Mottek, Hans: Die Krise und die Entwicklung des Kapitalismus. Berlin (Ost): Akademie-Verl. 1982.
- Politische Ökonomie des Kapitalismus. Lehrbuch. Hrsg. Alfred Lemmnitz u.a. Berlin (Ost): Dietz 1980.
- Politische Ökonomie des Kapitalismus und des Sozialismus. Lehrbuch. 5., überarb. Aufl. Berlin (Ost): Dietz 1979.
- Pokrytan, A. K.: Das Historische und das Logische in der ökonomischen Theorie des Sozialismus. Berlin (Ost): Akademie-Verl. 1981.
- Reinhold, Otto, u. Karl-Heinz Stiemerling: Politische Ökonomie. Geschrieben für die Jugend. Berlin (Ost): Dietz 1978.
- [S. 1022]Söder, Günter: Ökonomie, Politik, Wirtschaftspolitik. Weltanschaulich-philosophische Aspekte des Verhältnisses von Politik und Wirtschaft im Sozialismus. Berlin (Ost): Deutscher Verl. d. Wissenschaften 1977.
- Steinitz, Klaus: Neue Bedingungen des Wirtschaftswachstums in den 80er Jahren. Berlin (Ost): Die Wirtschaft 1982.
- Sozialistische Volkswirtschaft. Fachschullehrbuch. Autorenkoll. u. d. Ltg. v. Gerhard Reuscher. 3., wesentl. überarb. Aufl., Berlin (Ost): Die Wirtschaft 1982.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 1010–1022