DDR von A-Z, Band 1985

 

Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) (1985)

 

 

Siehe auch:

 

I. Entstehung und Entwicklung des RGW

 

 

Der RGW (im Westen auch als COMECON bekannt) wurde im Januar 1949 in Moskau gegründet. Gründungsmitglieder waren: Bulgarien, ČSSR, Polen, Rumänien, UdSSR und Ungarn. Albanien ist dem Rat einen Monat später beigetreten, im September 1950 folgte die DDR als Vollmitglied. 1962 hat der RGW mit dem Beitritt der Mongolei seinen auf Europa bezogenen Regionalcharakter verloren. Im gleichen Jahr verzichtete Albanien aus politischen Gründen (Auseinandersetzungen zwischen der Sowjetunion und der VR China) auf die aktive Mitgliedschaft, blieb aber de jure Mitglied des Rates. Im Juli 1972 wurde Kuba als Vollmitglied aufgenommen — die ökonomischen Auswirkungen der Erweiterung der Gemeinschaft auf die westliche Hemisphäre sind jedoch, ebenso wie im Falle der Mongolei, relativ gering. Dies trifft auch auf die jüngste Vergrößerung des RGW zu: Durch Beschluß der 32. Ratstagung (Juni 1978 in Bukarest) wurde Vietnam als 10. Mitglied aufgenommen — ein Schritt, der vor allem politisch motiviert gewesen sein dürfte. Die übrigen sozialistischen Länder (VR Korea, Jugoslawien und — bis 1966 — die VR China) nehmen seit Mitte der 50er Jahre an Beratungen der Ratsorgane teil. Jugoslawien erhielt 1964 den Status eines teilassoziierten Mitglieds und ist an bestimmten Aktivitäten der Gemeinschaft („von gemeinsamem Interesse“) beteiligt.

 

Die Gründung des RGW war überwiegend politisch motiviert (Gegenstück zum Marshall-Plan). Den beteiligten Regierungen fehlte seinerzeit der Wille zu gemeinschaftlichem, ökonomischem Handeln. Erst nach und nach kam es zu einer Belebung der Tätigkeiten des RGW. Ende 1959 wurde die erste Satzung der Gemeinschaft angenommen, die seither zweimal (1962 und 1974) korrigiert wurde und in dieser Fassung Ziele, Prinzipien, Funktionen und Vollmachten der Organisation definiert.

 

1962 scheiterte der Versuch von Chruschtschow, im RGW eine überstaatliche Wirtschaftsplanung einzuführen, am offenen Widerstand Rumäniens. Statt dessen wird in den „Grundprinzipien der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung“ — im selben Jahr einstimmig angenommen — die Koordinierung der staatlichen Wirtschaftspläne zur Hauptmethode der Zusammenarbeit erklärt.

 

Das Jahr 1969 markiert den Beginn einer neuen Entwicklungsetappe. Seither wird im RGW-Raum eine Debatte über die sozialistische ökonomische Integration geführt; dieser Begriff ist in einem offiziellen RGW-Dokument erstmals Mitte 1970 erwähnt worden. Bisheriger Höhepunkt dieser Integrations-Diskussion ist das „Komplexprogramm für die weitere Vertiefung und Vervollkommnung der Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Integration der Mitgliedsländer des RGW“ (im folgenden „Komplexprogramm“), das im Juli 1971 von den Mitgliedsstaaten einstimmig angenommen wurde. Es sieht für den RGW eine Übergangsperiode von 15 bis 20 Jahren vor, in der die Zusammenarbeit der osteuropäischen Volkswirtschaften mit dem Ziel der Integration gestärkt und vertieft werden soll.

 

[S. 1074]Das seit der Annahme des Komplexprogramms am stärksten ins Auge fallende Moment in der Entwicklung des RGW sind die Ansätze zu einer Gemeinschaftspolitik gegenüber Drittländern. Im Mai 1973 hat der RGW mit Finnland zum ersten Mal ein Abkommen mit einem nicht-sozialistischen Drittland abgeschlossen. Diese Vereinbarung enthält allerdings noch keine konkreten Bestimmungen über Bereiche, Formen und Umfang der angestrebten Kooperation. Vielmehr wurde eine Gemischte Kommission eingesetzt, deren Aufgabe es sein soll, Gebiete der Zusammenarbeit „von gegenseitigem Interesse“ zu präzisieren. Im Jahr 1974 hat die UN-Vollversammlung dem RGW erstmalig den Beobachterstatus gewährt.

 

In diesem Zusammenhang wurde wie erwähnt im Juni 1974 (Ratstagung in Sofia) die RGW-Satzung ein weiteres Mal geändert: Dadurch sind nicht nur neue Hauptorgane geschaffen worden (Komitees des Rats); die Gemeinschaft wurde darüber hinaus berechtigt, mit den Mitgliedsländern des RGW, mit anderen Staaten und mit anderen internationalen Organisationen Verträge abzuschließen und Beziehungen zu unterhalten. Der materielle Inhalt dieses Mandats wird von der Satzung allerdings nicht festgelegt; er muß von Fall zu Fall durch die Mitgliedsstaaten bestimmt werden („enumerative Einzelermächtigung“).

 

Im Juli 1975 wurde zwischen dem RGW und dem Irak ein Abkommen über wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit unterzeichnet, das ebenfalls die Einsetzung einer Gemischten Kommission für die Zusammenarbeit vorsieht; über den sachlichen Vertragsinhalt wurden keine Einzelheiten bekanntgegeben. Im August 1975 folgte Mexiko dem Beispiel des Irak, indem es die Zusammenarbeit mit dem RGW vertraglich regelte und institutionell absicherte (Gemischte Kommission für die Zusammenarbeit).

 

Seit Herbst 1973 bemüht sich der RGW um offizielle Kontakte zur EG. Diese Bemühungen sind sicherlich auch auf das Auslaufen der zweiseitigen Handelsverträge zwischen den einzelnen EG- und RGW-Ländern zurückzuführen: Seit Anfang 1975 existiert im Handel zwischen diesen Ländern ein vertragsloser Zustand, d.h. auf seiten der EG kommen sog. autonome handelspolitische Maßnahmen zur Anwendung; mit anderen Worten: Die RGW-Länder haben gegenwärtig keinerlei Einfluß auf die Konditionen, zu denen dieser Handel abgewickelt wird. Um hier Abhilfe zu schaffen, fanden im Februar 1975 erste Gespräche zwischen beiden Gemeinschaften auf der Ebene hoher Beamter statt. Ein Jahr später (Februar 1976) unterbreitete der RGW einen Entwurf (Präambel und 15 Artikel) für ein „Abkommen zwischen dem RGW und der EWG über die Grundlagen der gegenseitigen Beziehungen“. Im November 1976 reagierte die EG mit einem eigenen Abkommensentwurf (Präambel und 7 Artikel). Der RGW-Entwurf enthält folgende Vorschläge: Verbesserung des Warenverkehrs, insbesondere des Agrarhandels, Gewährung der Meistbegünstigung und von Krediten zu besten Konditionen, Errichtung von Schutzmaßnahmen gegen Marktstörungen, Gründung einer gemischten Regierungskommission u.a.m.; er sieht auch Handelsverträge zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten beider Gemeinschaften vor. Die EG-Seite schlägt die Herstellung von „Arbeitsbeziehungen“ vor, und zwar auf folgenden Gebieten: Informationsaustausch, Standardisierung, Umweltschutz; sie negiert damit die handelspolitischen Kompetenzen des RGW. Somit stehen sich zwei gegensätzliche Entwürfe gegenüber, wobei der RGW-Vorschlag verfahrenstechnisch ein Maximalangebot ist, während dem der EG dagegen die Bedeutung eines Minimal- oder sogar Ablehnungsangebotes zukommt. Kein Wunder, daß die Gespräche, die im April 1980 als Reaktion auf die sowjetische Invasion in Afghanistan seitens der EG abgebrochen wurden, ohne positives Ergebnis geblieben sind.

 

Die jüngsten Aktivitäten des RGW in der Dritten Welt sind eine Bestätigung dafür, daß diese Organisation immer häufiger eine Art von „Stellvertreter“-Rolle für die sowjetische Außenpolitik spielt. In allen Entwicklungsländern, in denen sich prosowjetische Kräfte durchgesetzt haben, sollen die RGW-Mitglieder einzeln und „auch auf kollektiver Grundlage einen Beitrag zur ökonomischen Konsolidierung leisten“. Auf der 37. Jahrestagung des RGW im Oktober 1983 in Ost-Berlin nahmen aus der Dritten Welt als Beobachter teil: Afghanistan, Angola, Äthiopien, VDR Jemen, Laos, Mosambik und Nikaragua. Mit Nikaragua hat der RGW damals ein Abkommen über die Zusammenarbeit nach dem oben genannten Muster abgeschlossen. Darüber hinaus kündigten Laos und Mosambik eine sehr enge Zusammenarbeit mit den RGW-Ländern an. Alle diese Partnerstaaten, die nach sowjetischer Auffassung den „Entwicklungsweg sozialistischer Orientierung“ gehen, zählen nicht nur zu den am schwächsten entwickelten Volkswirtschaften der Dritten Welt. Sie alle sind darüber hinaus in Kriegswirren verwickelt — entsprechend groß dürften ihre Wünsche nach wirtschaftlicher (und militärischer) Unterstützung sein.

 

II. Integrationspolitische Bedeutung der Niveau- und Strukturunterschiede im RGW

 

 

Die Grundprobleme der „sozialistischen ökonomischen Integration“ im RGW und der „Wirtschafts- und Währungsunion“ der EG sind — trotz aller systembedingten Unterschiede im Detail — nahezu identisch: In beiden Fällen geht es um eine Abstimmung der nationalen Wirtschaftspolitiken unter der [S. 1075]notwendigen Bedingung einer gleichmäßigen Verteilung der daraus resultierenden Vor- und Nachteile. Daraus leitet sich die Frage ab, ob eine solche wirtschaftspolitische Abstimmung („Harmonisierung“) unter Wahrung nationalstaatlicher Autonomie zu erreichen ist oder der Übertragung eines Mindestmaßes nationalstaatlicher Kompetenzen auf gemeinschaftliche („supranationale“) Organe bedarf. Eng verknüpft damit ist das Problem, ob und wieweit eine Angleichung des wirtschaftspolitischen Instrumentariums, d.h. eine gewisse Übereinstimmung im ordnungspolitisch-institutionellen Bereich der beteiligten Volkswirtschaften, herbeigeführt werden muß; dieses Problem ist im RGW-Raum gerade im Zusammenhang mit den Wirtschaftsreformen in den einzelnen Mitgliedsstaaten von großer aktueller Bedeutung.

 

Die für die Integration unerläßliche wirtschaftspolitische Abstimmung hat die allmähliche Angleichung der wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten zur Voraussetzung. Eine solche Interessenangleichung ist im RGW bislang — trotz gemeinsamer Parteiideologie und prinzipieller Übereinstimmung der Gesellschaftsordnungen — ausgeblieben. Die wichtigste Ursache sind die gravierenden Niveau- und Strukturunterschiede. Das ökonomische Leistungspotential ist im RGW sehr ungleichmäßig verteilt. Allein die UdSSR produziert 65 bis 70 v.H. des (geschätzten) Sozialprodukts der Gemeinschaft. Dies ist nicht nur Grundlage der gegenwärtigen ökonomischen und politischen Vormachtstellung der Sowjetunion, es ist gleichzeitig unveränderliches Merkmal für die Zukunft des RGW: Fortschritte in der Zusammenarbeit werden zur Stärkung der sowjetischen Vorherrschaft beitragen, und zwar unabhängig vom politischen Willen der jeweiligen sowjetischen Führung.

 

Nach der absoluten Höhe des Sozialprodukts ist die DDR gegenwärtig hinter der UdSSR und Polen die drittgrößte Volkswirtschaft im RGW. Gemessen am Produkt je Einwohner bzw. je Erwerbstätigen steht sie an der Spitze der Rangfolge der RGW-Länder, sie dürfte den Durchschnitt — ebenso wie beim Lebensstandard — um rd. 50 v.H. übertreffen. Die UdSSR, die führende politische Macht der Gemeinschaft, gehört dagegen, gemessen an der Pro-Kopf-Produktion, zu den schwächer entwickelten Volkswirtschaften. Innerhalb des RGW gibt es gravierende Unterschiede hinsichtlich fast aller ökonomischen Kennziffern: Produktivität und Lebensstandard, Wirtschaftsstruktur und Außenhandelsintensität. Aus diesen Differenzen resultieren vor allem stark divergierende nationalstaatliche Wachstumsziele. Hinzu kommen Unterschiede in den Produktions- und Konsumgewohnheiten der Menschen sowie ihrer psychologischen Einstellung zu wirtschaftlichen Problemen, ein Tatbestand, dessen integrationspolitische Bedeutung auch in der EG im Zusammenhang mit der angestrebten Wirtschafts- und Währungsunion erkannt worden ist.

 

Ein bedeutsames Strukturproblem des RGW ist ferner die unterschiedliche Außenhandelsverflechtung der Mitglieder. Die kleineren Volkswirtschaften weisen eine — relativ hohe — Verflechtungsquote auf (Exporte in v.H. des Nationalprodukts), die gegenwärtig zwischen 45 (Ungarn) und 25 (DDR) schwankt; diese Länder müssen der Außenwirtschaft im Rahmen ihrer Wirtschaftspolitik eine entsprechend große Beachtung schenken. Im Falle der UdSSR beträgt diese Quote nur rund 6 v.H., und die Sowjetunion ist — ebenso wie die USA — in der Lage, wirtschaftspolitische Maßnahmen unter Mißachtung ihrer außenwirtschaftlichen Konsequenzen durchzuführen.

 

III. Ziele und Methoden der Integration

 

 

Die strukturellen Unterschiede und die damit zusammenhängenden Interessengegensätze zwischen den RGW-Ländern tragen einen langfristigen Charakter. Um die ökonomische Kooperation im RGW unter diesen Voraussetzungen überhaupt voranbringen zu können, mußten die Integrationsziele so allgemein formuliert werden, daß sie von allen Mitgliedern akzeptiert werden konnten.

 

Das Komplexprogramm ist deshalb keine Richtschnur für konkretes wirtschaftspolitisches Handeln; es ist vielmehr eine Absichtserklärung über die „Marschrichtung“, in der eine Interessenangleichung herbeigeführt werden soll. Das strategische Endziel der „sozialistischen Integration“ ist im Komplexprogramm aus diesem Grunde möglicherweise nicht definiert worden. Die Integration selbst wird nur vage als ein von den kommunistischen Parteien und Regierungen der Mitgliedsstaaten „bewußt und planmäßig gestalteter Prozeß der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung“ beschrieben. Im Zuge dieses Prozesses soll zwar eine Reihe von ökonomischen, politischen und ideologischen Einzelzielen verwirklicht werden (u.a. beschleunigtes Wirtschaftswachstum, höherer Lebensstandard, erhöhte Verteidigungskraft, höherer und stabilerer Intrablockhandel). Ihre zeitliche und sachliche Priorität ist jedoch nach wie vor interpretationsbedürftig. Zum Hauptziel der Gemeinschaft für die kommenden 15–20 Jahre ist die schrittweise Annäherung und Angleichung des sozioökonomischen Leistungsniveaus der beteiligten Staaten erklärt worden.

 

Darüber, welche der im RGW zusammengeschlossenen Volkswirtschaften unterentwickelt sind und demzufolge Entwicklungshilfe von ihren Partnern beanspruchen dürfen, wurde zunächst — die Mongolei ausgenommen — ebensowenig gesagt wie darüber, wer für diese Hilfe aufzukommen hat, in welcher Höhe und in welcher Form.

 

Im Abschlußkommuniqué der 32. Ratstagung 1978 [S. 1076]wird als Empfängerland dann neben der Mongolei auch Kuba genannt — Staaten, denen „bei der beschleunigten Entwicklung und Erhöhung der Effektivität ihrer Wirtschaft Hilfe und Unterstützung“ zu erweisen sei; auf der 36. Ratstagung (1982) wurde bestätigt, daß gegenüber der Mongolei, Kuba und Vietnam „auch künftig Vorzugsbedingungen bei der Zusammenarbeit vorgesehen sind“.

 

Als „Hauptmethode der Organisation der Zusammenarbeit und Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung“ wird im Komplexprogramm die Koordinierung der Pläne bestätigt. Sie beeinträchtigt bisher nicht die nationalstaatliche Souveränität. Die Mitgliedsländer sollen die mittel- und vor allem langfristig wichtigsten wirtschaftspolitischen Maßnahmen untereinander abstimmen, einmal im Bereich der Strukturpolitik sowie der Entwicklung von Wissenschaft und Technik, zum anderen auf dem Gebiet der Spezialisierung und Kooperation der Industrieproduktion. Die Unabhängigkeit der nationalen Regierungen ist allein dadurch ausreichend gewahrt, daß sich an der Koordinierung bestimmter Sachbereiche nur die jeweils „interessierten“ Mitglieder zu beteiligen brauchen.

 

[S. 1079]Eine neue, im Komplexprogramm genannte Form der wirtschaftlichen Verflechtung ist die gemeinsame Planung einzelner Industriezweige und Produktionsarten. Im Sinne einer maximalen Sicherung nationalstaatlicher Kompetenzen wird diese Form der zukünftigen Zusammenarbeit jedoch in dreifacher Weise eingeschränkt: a) Es sollen sich daran nur die jeweils „interessierten“ Länder beteiligen, b) der selbständige Charakter der „inneren Planung“ muß erhalten bleiben und c) die entsprechenden Produktionsanlagen und -ressourcen bleiben im nationalen Eigentum.

 

 

 

In kleineren Bereichen ist es schon zu gemeinsamem Handeln gekommen. So hat die DDR mit der UdSSR Ende 1973 eine sog. Internationale Wirtschaftsorganisation „Assofoto“ gegründet (s. Übersicht). Geschäftsbereich dieses Konzerns: Gemeinsame Planung der Forschung und Entwicklung, der Produktion und des Handels fototechnischer und magnetischer Materialien für Informationsaufzeichnung. Auch an weiteren Organisationen hat sich die DDR beteiligt (Interatominstrument, Interatomenergo, Intertextilmasch). Es hat den Anschein, als ob mit diesen Experimenten demonstriert werden soll, daß es heute im RGW gemeinsam zu planende Integrationsprojekte gibt und gemeinschaftliches Vorgehen zum Vorteil für alle wird („Politik der kleinen Schritte“).

 

Darüber hinaus verpflichteten sich die RGW-Länder zu gegenseitigen Konsultationen — der am wenigsten intensiven Integrationsmethode — in allen Grundfragen der Wirtschaftspolitik sowie der nationalstaatlichen Wirtschaftsreformen.

 

Auf der 30. Ratstagung (1976) wurde — auf sowjetisches Drängen — die Empfehlung angenommen, sogenannte langfristige Zielprogramme (LZP) in folgenden Bereichen auszuarbeiten: Brennstoffe, Energie- und Rohstoffe; Maschinenbau; Produktion von Hauptnahrungsmitteln; Erweiterung der Produktion und der gegenseitigen Lieferungen industrieller Konsumgüter und Entwicklung der Transportverbindungen zwischen den Mitgliedsländern des RGW.

 

Hauptziel der LZP ist die Ausarbeitung — ausgerichtet am Vorbild der Materialbilanzen, dem wichtigsten Glied der langfristigen (Natural-)Planung in der UdSSR — langfristiger, bis 1990 und danach reichender Bedarfsprognosen und darauf aufbauend gemeinsamer Maßnahmen zur Bedarfsdeckung. Die LZP, die „ein neues Instrument der Zusammenarbeit der RGW-Länder bei der Planung“ darstellen, werden nicht nur die Koordinierung der Volkswirt[S. 1080]schaftspläne weitgehend vorbestimmen. Sie könnten die Grenze zwischen der Plankoordinierung und der gemeinsamen Planung verwischen und dadurch zu einem Element „supranationaler“ Wirtschaftspolitik im RGW-Bereich werden. Allerdings setzt dies eine Koordinierung der Investitionspläne voraus. Auf diesem Sektor aber dürften sich die größten Schwierigkeiten der langfristigen Zusammenarbeit zeigen. Während nämlich die Ausarbeitung von Bedarfsprognosen bis zum Jahre 1990 relativ problemlos ist, dürften bei der Aufteilung entsprechender Produktionsverpflichtungen, die ja wiederum einen mehr oder weniger großen Investitionsaufwand nach sich ziehen, die größten Hindernisse bestehen. Für derartige Vorhaben fehlt es grundsätzlich an geeigneten Effektivitätskriterien.

 

IV. Organisation und Willensbildung

 

 

Die Hauptprinzipien des RGW, wie sie in der Ratssatzung aus dem Jahre 1962 niedergelegt sind, wurden im Komplexprogramm bestätigt: „Die sozialistische ökonomische Integration erfolgt auf der Grundlage der völligen Freiwilligkeit und ist nicht mit der Schaffung übernationaler Organe verbunden …“

 

Die gegenwärtige Organisationsstruktur der Gemeinschaft unterscheidet die folgenden Hauptorgane (s. Graphik):

 

 

Ratstagung. Sie setzt sich aus Vertretern der Mitgliedsländer zusammen, die von den nationalen Regierungen entsandt werden. Sie ist das oberste Organ des RGW.

 

Exekutivkomitee. Die stellvertretenden Regierungschefs bilden das wichtigste Vollzugsorgan, das die Aufsicht über alle nachgeordneten Organe ausübt.

 

Ständige Kommissionen: Es gibt gegenwärtig 22 Kommissionen, entweder als Branchenkommissionen (z.B. für chemische Industrie) oder mit allgemeinem Aufgabenbereich (z.B. für Außenhandel). Sie werden aus Vertretern der Mitgliedsländer, angeführt vom zuständigen Ressortminister, gebildet. Ihre Funktion: Weiterentwicklung der Zusammen[S. 1081]arbeit in ihrem Bereich. Der Minister des Landes, in dem die Ständige Kommission ihren Amtssitz hat, ist ihr Vorsitzender.

 

In Moskau haben — neben allen anderen Hauptorganen — insgesamt 9 Kommissionen ihren ständigen Sitz: Elektroenergie, Schwarzmetallurgie, Außenhandel, Post- und Fernmeldewesen, Ausnutzung der Atomenergie zu friedlichen Zwecken, Statistik, Valuta- und Finanzfragen, Zivilluftfahrt sowie Gesundheitswesen; alle Ständigen Kommissionen allgemeineren Charakters befinden sich somit in der sowjetischen Hauptstadt.

 

Von den übrigen Kommissionen haben 3 ihren Sitz in Berlin (Ost) (Chemische Industrie, Bauwesen, Standardisierung), jeweils 2 in Warschau (Kohleindustrie, Transportwesen), Prag (Maschinenbau, Leichtindustrie), Sofia (Nahrungsmittelindustrie, Landwirtschaft), Budapest (Buntmetallurgie, Radiotechnische und elektronische Industrie) sowie je 1 in Bukarest (Öl- und Gasindustrie) und Ulan-Bator (Geologie).

 

Komitee für Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Planungstätigkeit: In diesem Komitee beraten die Planungschefs der Mitgliedsländer über Bereiche und Maßnahmen der Plankoordinierung.

 

Komitee für wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit: Organ der Länder-Ressortschefs für Wissenschaft und Technik zur Beratung und Abstimmung von Maßnahmen zur Koordinierung der Forschung.

 

Komitee für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der materiell-technischen Versorgung: gegründet auf der 28. Ratstagung (18.–21. 6. 1974); es ist das jüngste Hauptorgan der Gemeinschaft, das sich aus den Leitern der staatlichen Ämter für die materiell-technische Versorgung (staatlicher Großhandel mit Produktionsgütern) zusammensetzt.

 

Sekretariat: Ständiges Organ des RGW (1 Generalsekretär und etwa 650 Mitarbeiter), führt die Verwaltungsarbeiten für alle Haupt- und Nebenorgane durch. Der Sekretär ist der höchste hauptamtliche Funktionsträger des Rates und vertritt diesen bei internationalen Organisationen, seit Oktober 1983 ist es V. V. Syčev (UdSSR).

 

Die Hauptorgane — ausgenommen das Sekretariat — besitzen im Rahmen ihres Geschäftsbereichs lediglich das Recht, Empfehlungen in Sachen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auszusprechen. Diese Empfehlungen müssen, um in der Praxis wirksam zu werden, von den souveränen Mitgliedsländern angenommen werden. Auf der 32. Ratstagung hat die UdSSR offensichtlich versucht, die Kompetenzen des Rates zu erweitern, und zwar in zwei Richtungen: nach innen gemeinsame Planung und nach außen gemeinsame Politik gegenüber Drittländern; dieser Versuch scheiterte am Widerstand der übrigen Mitgliedsstaaten. Als Hauptorgan, das unter allen Ratsorganen am ehesten in der Lage wäre, Gemeinschaftsinteressen zu verfolgen, ist das Sekretariat nicht zu Empfehlungen berechtigt; es erfüllt im Rahmen der Willensbildung innerhalb des RGW die Funktion eines Initiators.

 

Die gleiche Rolle spielen die Neben- oder Hilfsorgane des Rates, wie z.B. die Ständige Beratung der Minister für Binnenhandel (insgesamt gibt es 7 solcher Beratungen) oder die Arbeitsgruppe für nationale und internationale Preisbildung.

 

Diese Organisationsstruktur sichert den Mitgliedsländern ein Höchstmaß an Einflußnahme auf Gemeinschaftsebene. Noch wichtiger für die Dominanz der nationalen über die Gemeinschaftsinteressen ist allerdings die bestehende Form der Willensbildung: Alle Empfehlungen müssen einstimmig verabschiedet werden. Das Prinzip der Einstimmigkeit, die entscheidende Garantie der staatlichen Souveränität der Mitgliedsländer, ist ein Grundsatz der RGW-Verfassung. Seit 1967 gilt das Einstimmigkeitsprinzip nur für die jeweils „interessierten“ Mitglieder: Jedes Land, das in bezug auf eine geplante Maßnahme sein „Nicht-Interesse“ erklärt, kann seine Mitarbeit in diesem Falle zwar einstellen (Rumänien ist z.B. kein Mitglied von Interatominstrument), es kann aber nicht mehr, wie zuvor, das Zustandekommen einer mit dem Einverständnis der interessierten Länder empfohlenen Maßnahme verhindern.

 

Dieses Prinzip gilt sowohl für die zwischenstaatlichen Sonderorganisationen der RGW-Länder (Einrichtungen der Staaten aufgrund völkerrechtlicher Verträge, die in der Regel aus Zuschüssen der Mitgliedsstaaten finanziert werden) als auch für die Internationalen Wirtschaftsorganisationen, deren Gründung im Komplexprogramm vorgesehen ist (s. Übersichten). Letztere können die Form der Internationalen Wirtschaftsvereinigungen (IWV) oder diejenige von Gemeinsamen Betrieben (GB) annehmen.

 

Seit der Verabschiedung des Komplexprogramms sind 7 IWV gegründet worden; sie sind juristische Personen des jeweiligen Sitzlandes, ihre Mitglieder sind Wirtschaftsorganisationen aus den Gründungsstaaten, die hinsichtlich ihres Vermögens und ihrer rechtlichen Stellung die volle Selbständigkeit behalten. Die Mehrzahl aller Entscheidungen — diese werden in den Satzungen einzeln aufgezählt — muß einstimmig gefaßt werden; alle übrigen Beschlüsse erfordern eine qualifizierte Mehrheit — wie bei der Internationalen Investitionsbank ist damit das Einstimmigkeitsprinzip zumindest in Randbereichen gemeinsamer Aktivitäten durchbrochen. Die IWV sollen — wenn auch erst nach einer Anlaufzeit — in der Regel Gewinne erzielen, und sie sollen die Zusammenarbeit der RGW-Staaten auf speziellen Märkten vorantreiben. Sie sind allerdings noch keine „sozialistischen multinationalen Unternehmungen“; denn lediglich „Interatominstrument“ hat bisher damit begonnen (5 Jahre nach ihrer Gründung), ihre Akti[S. 1082]vitäten multinational auszuweiten. Alle gemeinsamen Betriebe der RGW-Länder beruhen auf bilateralen Abkommen, d.h., sie stellen eine Form der Auslandsinvestition dar.

 

Im RGW gibt es noch eine dritte Form der Internationalen Wirtschaftsorganisationen, die sog. Internationalen Wirtschafts-Gemeinschaften (IWG). Zu den bekanntesten IWG zählen „Petrobaltic“ (Koordinierung der gemeinsamen geologischen Erkundung des Ostseeraumes) und „Interwasserreinigung“ (Koordinierung aller Aktivitäten bei Altwasserreinigung und Wasseraufbereitung), an denen auch die DDR beteiligt ist. Die IWG selbst übt keine operative Wirtschaftstätigkeit aus; sie beschränkt sich im wesentlichen auf die Koordination der einzelnen nationalen Aktivitäten und benötigt deshalb weder eigene Rechtssubjektivität noch ein eigenes Exekutivorgan.

 

Die IWG kommen durch vertragliche Vereinbarungen zwischen den interessierten Staaten zustande.

 

V. Bereiche der Zusammenarbeit

 

 

A. Intrablockhandel (IBH)

 

 

Die mit Abstand wichtigste Form der internationalen Zusammenarbeit ist im RGW der gegenseitige Warenaustausch. Die Mitgliedsländer des RGW wickeln 60 v.H. ihres Außenhandels untereinander ab (die Intrablockverflechtung ist damit im RGW höher als in der EG). Für den IBH gelten im RGW nach wie vor folgende Regelungen:

  • Er wird ausschließlich auf der Grundlage bilateraler Handelsabsprachen auf Regierungsebene abgewickelt (5jährige Handelsabkommen und jährliche Warenprotokolle);
  • er unterliegt unverändert einem strengen Kontingentierungsregime, d.h. für die jeweils volkswirtschaftlich wichtigsten Handelsgüter („harte Waren“) werden mengenmäßige Ausfuhr- und Einfuhrkontingente, für alle übrigen Güter („weiche Waren“) Wertkontingente festgesetzt;[S. 1083]
  • er wird bilateral mit Hilfe des Transfer-Rubels (TR.) — einer künstlichen Recheneinheit — verrechnet („clearing“);
  • Grundlage dieser zweiseitigen Verrechnung sind Vertragspreise, die ebenfalls auf Regierungsebene ausgehandelt werden.

 

 

Auf dem Gebiet der Preisbildung gab es allerdings 1975 eine bedeutsame Veränderung: Zwar werden die Vertragspreise nach wie vor von den jeweiligen Partnern zweiseitig ausgehandelt, ausgehend von — wie es das Komplexprogramm formuliert hat — „der Basis der Weltmarktpreise, die vom schädlichen Einfluß konjunktureller Faktoren des kapitalistischen Marktes bereinigt sind“. Die so vereinbarten Vertragspreise bleiben jedoch nicht mehr wie in den Jahren 1958–1974 über 5 Jahre unverändert. Sie unterliegen nach der neuen Formel einer alljährlichen Revision, und zwar auf der Grundlage der Weltmarktpreisentwicklung in den jeweils vorausgegangenen 5 Jahren („gleitender Fünfjahrsdurchschnitt“). Auf diese Weise hat sich die explosionsartige Preisentwicklung auf den Weltrohstoffmärkten seit 1973 auch auf die Austauschverhältnisse im IBH ausgewirkt (Außenwirtschaft und Außenhandel, VII.; Exportpreis; Zahlungsverkehr); dadurch hat sich die Position derjenigen Länder, die über keine oder nur unzureichende Rohstoffquellen (DDR, ČSSR, Ungarn) verfügen, zugunsten der Rohstoffproduzenten (UdSSR und — mit Abstand — Polen sowie Rumänien) verschlechtert. Allerdings wird die Wirkung dieser Preisausschläge auf die RGW-Volkswirtschaften durch das Prinzip der gleitenden Durchschnitte erheblich gebremst. So erhöhte sich z.B. der Preis für sowjetisches Erdöl (einschl. Erdölprodukte) im IBH von 18 TR. je Tonne (1974) auf zuletzt 92 TR. je Tonne (1981), eine Zunahme in den letzten 7 Jahren auf das 6,5 fache. Dennoch lag dieser Preis immer noch um mehr als 50 v.H. unter dem Weltmarktpreis. Insgesamt haben sich die sowjetischen Terms of Trade im IBH aufgrund der neuen Preisbildungsformel von 1975 = 100 auf 1981 = 135 verbessert; diese Verbesserung hat sich bis 1983 (in noch nicht genau bekanntem Ausmaß) fortgesetzt. Die kleineren europäischen RGW-Staaten waren infolgedessen nicht in der Lage, die höhere sowjetische Energie- und Rohstoffrechnung zu bezahlen, sie mußten gegenüber der UdSSR in den Jahren 1976 bis 1983 ein kumuliertes Handelsbilanzdefizit von über 12 Mrd. TR. hinnehmen; davon entfiel auf die DDR mit über 3 Mrd. TR. nach Polen (über 4 Mrd. TR.) der zweitgrößte Betrag.

 

Seit einigen Jahren wird ein bestimmter Teil des IBH nicht in TR. verrechnet, sondern auf der Grundlage von Zahlungen in konvertiblen Währungen abgewickelt. Dieser Teil des IBH betrifft in erster Linie die genannten „harten Waren“, Waren also, die vom Anbieter gewinnbringend auch auf westlichen Märkten verkauft werden könnten, oder solche, für die auf dem RGW-Markt ein Nachfrageüberhang besteht. Mit der Einführung der Zahlungen in US-$ wollte man hier offensichtlich einen größeren Interessenausgleich zwischen Anbietern und Käufern schaffen. Über den Umfang dieses Handels gibt nur die ungarische Außenhandelsstatistik Auskunft: Danach entfielen in den Jahren 1976–1980 rd. 14 v.H. des ungarischen RGW-Exports auf Geschäfte, die auf der Basis des US-$ abgewickelt worden sind; importseitig waren es demgegenüber nur 8,5 v.H., d.h. Ungarn erzielte gegenüber seinen RGW-Partnern — vor allem gegenüber der UdSSR — einen Überschuß aus dem Dollarhandel in Höhe von umgerechnet 35 Mrd. Forint. Es wird geschätzt, daß Mitte der 70er Jahre 5 bis 10 v.H. des gesamten IBH in US-$ verrechnet wurden. Es stellt sich die interessante Frage, ob von diesem speziellen Handelsverkehr integrierende oder desintegrierende Wirkungen ausgehen; das letztere dürfte wahrscheinlicher sein.

 

Die DDR muß auf der einen Seite — so Ministerpräsident Stoph auf der 32. Ratstagung (1978) — über 60 v.H. ihres gesamtwirtschaftlichen Rohstoffverbrauchs durch Importe decken; wichtigster Lieferant war und bleibt die UdSSR. Die DDR ist innerhalb der osteuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf der anderen Seite das Land mit dem höchsten wirtschaftlichen Leistungsniveau. Diese beiden Faktoren haben — unabhängig von anderen politischen Überlegungen — zu einer relativ starken Beteiligung der DDR-Wirtschaft am IBH geführt. Mit einem Anteil von 14,5 v.H. am IBH (1982) ist die DDR hinter der UdSSR (42 v.H.) die zweitgrößte Handelsmacht der Gemeinschaft; jede fünfte im IBH exportierte Maschine stammt aus der DDR (1960 war es noch jede dritte). Aus ihrer Rolle als überragender Investitionsgüterlieferant resultiert auch die überdurchschnittliche Handelsverflechtung der DDR im RGW: Rund zwei Drittel ihres gesamten Außenhandels werden mit den RGW-Partnern abgewickelt; allein auf die UdSSR entfällt ein Anteil von mehr als einem Drittel.

 

Hierin zeigt sich allerdings — neben einer gewissen Abhängigkeit von der Wirtschaftslage der UdSSR — ein wichtiger Nachteil für die DDR: Ihre Partner befinden sich — die ČSSR ausgenommen — auf einer Entwicklungsstufe, die der technologisch in vielen Fällen überlegenen DDR kaum ausreichend Möglichkeiten bietet, die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung verstärkt zu nutzen.

 

Eine nachhaltige Intensivierung des IBH, zu erreichen über eine Konzentration der Exportindustrie in allen Partnerländern einschl. der DDR, ist die notwendige Voraussetzung für die Nutzung aller Vorteile aus der Integration. Dazu müßte die Plankoordinierung, wie ursprünglich beabsichtigt, zu einer weitreichenden Abstimmung der nationalstaatlichen Wirtschaftspolitik, insbesondere der Investi[S. 1084]tionspolitik, führen. Wichtigstes Instrument einer solchen Abstimmung wären ökonomisch begründete Wechselkurse, die bis heute im RGW fehlen — alle RGW-Währungen sind reine Binnenwährungen. Laut Komplexprogramm sollten in den Jahren 1971–1974 ökonomisch begründete und aufeinander abgestimmte Kurse bzw. Koeffizienten der nationalen Währungen zum TR. — und damit auch untereinander — festgelegt werden. Diese und eine ganze Reihe anderer währungspolitischer Bestimmungen des Komplexprogramms konnten indes nicht realisiert werden und sind inzwischen längst obsolet geworden. Es hat sich nämlich erwiesen, daß eine Reform des Integrationsmechanismus im RGW allein über eine Verbesserung der finanziellen und währungspolitischen Instrumente nicht zu erreichen ist. Diese ließe sich nur über eine (schrittweise vorzunehmende) Multilateralisierung der Handelsbeziehungen bewerkstelligen; ohne sie kann es auch keine Währungskonvertibilität geben. Zu einem solchen — radikalen — Schritt fehlt im RGW allerdings der politische Wille, auch weil dafür nirgendwo die ökonomischen Voraussetzungen gegeben sind (in erster Linie fehlt es allenthalben an einem ausreichenden Angebot von international begehrten Gütern). Multilateralisierung des gegenseitigen Handelsverkehrs und Konvertibilität der Währungen werden im RGW allenfalls am Ende eines langen Entwicklungsprozesses stehen. Bis dahin bleiben alle RGW-Länder — auch die DDR — grundsätzlich an bilateralen Beziehungen zueinander interessiert, d.h. der gegenseitige Handel wird weiterhin primär auf Kompensationsbasis abgewickelt werden („harte Waren gegen harte Waren“), und die Finanz- und Währungsbeziehungen werden dabei nach wie vor eine untergeordnete und passive Rolle spielen.

 

B. Produktionsspezialisierung und -kooperation

 

 

In der osteuropäischen Integrationsliteratur werden unter dem Begriff der Spezialisierung und Kooperation der Produktion (im folgenden zitiert als PSK) 2 unterschiedliche Tatbestände zusammengefaßt: die Aufteilung der Herstellung von Endprodukten auf ein Land bzw. mehrere Länder („internationale Konzentration“) und die Produktionszusammenarbeit zwischen Betrieben aus 2 oder mehreren Ländern („internationale Koproduktion“). Zielsetzung ist in beiden Fällen, „den gesamten Reproduktionszyklus zu verkürzen, die Produktion zu verbilligen, die Qualität der Erzeugnisse zu erhöhen und eine bedarfsgerechte Produktion und Versorgung zu erreichen“.

 

Im RGW wird zwischen bilateraler und multilateraler PSK unterschieden. Im ersten Fall sind die zwischenstaatlichen Regierungskommissionen die dafür verantwortlichen Gremien; ob und wieweit hierbei auch RGW-Organe mitarbeiten, z.B. durch Bereitstellung von Informationen, ist unbekannt, aber eher unwahrscheinlich. Am Zustandekommen der mehrseitigen PSK-Abkommen sind dagegen sowohl die RGW-Organe als auch die internationalen Organisationen der RGW-Länder — im Rahmen ihrer Zuständigkeiten — beteiligt.

 

Der juristische Rahmen für die PSK sind entweder zwischenstaatliche Abkommen (Regierungsabkommen oder Ministervereinbarungen) oder internationale ➝Wirtschaftsverträge (zwischen Wirtschaftsorganisationen aus den RGW-Staaten). Beide Arten von Abkommen führen letzten Endes zu zwischenstaatlichen Handelsverpflichtungen, d.h. der PSK-Handel unterliegt somit denselben juristischen Regelungen wie der gesamte RGW-Intrablockhandel; er verbleibt damit voll in der Kontrolle der Regierungen der Mitgliedsländer.

 

Die DDR hat mit ihren RGW-Partnern 379 zweiseitige und 102 mehrseitige Verträge über die Produktionsspezialisierung abgeschlossen (Stand 1980). Auf dieser Grundlage erreichte die Ausfuhr von PSK-Erzeugnissen einen Wert von 11 Mrd. Valutamark (VM) (Währung/Währungspolitik, III. A.) (1980) bzw. von 16 Mrd. VM (1982), das waren 30 v.H. bzw. 35 v.H. der Gesamtausfuhr des Landes in den RGW-Raum. Im Vergleich dazu waren spezialisierte Erzeugnisse am gesamten Export der RGW-Länder untereinander 1982 nur mit 17,5 v.H. (1970: 7 v.H.) beteiligt. Die DDR-Wirtschaft ist demnach gegenwärtig im besonderen Maße in diese Form der RGW-Zusammenarbeit einbezogen:

 

 

Dies ist in erster Linie auf die stürmische Zunahme der spezialisierten Ausfuhr in der ersten Hälfte der 70er Jahre zurückzuführen (jahresdurchschnittlich um 200 v.H.). Aber auch im vergangenen Planjahrfünft stieg diese Ausfuhr — ebenso wie 1981 und 1982 — schneller als der gesamte DDR-Export in den RGW-Raum.

 

Die Einfuhr der DDR von PSK-Produkten läßt sich für 1980 auf 5,35 Mrd. VM schätzen. Die DDR erreichte 1980 im PSK-Handel einen Ausfuhrüberschuß von 5,85 Mrd. VM (während die gesamte Handelsbilanz gegenüber den RGW-Ländern einen Passivsaldo von 570 Mill. VM aufwies).

 

In regionaler Hinsicht spielt der sowjetische Markt für die DDR-Ausfuhr eine besonders große Rolle: 1975 wurden 85 v.H. der gesamten PSK-Ausfuhr in der UdSSR abgesetzt. Dieser Anteil, der vorüberge[S. 1085]hend gesunken war, steigt seit 1980 wieder an und betrug 1982 über 82 v.H.

 

Über die Güterstruktur des PSK-Außenhandels der DDR gibt es nur sehr wenige Informationen. Es läßt sich nur feststellen, daß die ohnehin führenden Exportbereiche der DDR-Industrie am stärksten in die RGW-PSK eingebunden sein dürften. Für den Zeitabschnitt 1981–1985 ist z.B. vorgesehen, daß innerhalb des RGW im Rahmen der PSK-Abkommen spanabhebende Werkzeugmaschinen im Wert von 900 Mill. TR. ausgetauscht werden, davon stammen 85 v.H. aus der DDR.

 

Anhand der verfügbaren Informationen lassen sich keine exakten, empirisch nachprüfbaren Aussagen über die ökonomische Signifikanz der bisher im RGW vereinbarten Produktionsspezialisierung machen. Zwei Erklärungen bieten sich jedoch in diesem Zusammenhang an: Erstens war das Volumen der aufgrund von PSK-Absprachen in der osteuropäischen Gemeinschaft ausgetauschten Güter bis zuletzt nicht groß genug, um den gesamten Intrablockhandel in einem nennenswerten Maße zu beschleunigen. Diese Absprachen dürften dennoch einen handelsschaffenden Effekt gehabt haben: Durch Abnahmegarantien, die mit einem Produktionsverzicht einhergehen können, und durch Lieferverpflichtungen, die zu einer Produktionsausweitung führen können, haben sie die Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien intensiviert oder zumindest auf eine stabilere Grundlage gestellt. Sie wirken damit der im RGW weit verbreiteten und systembedingten Neigung der obersten Planbehörden entgegen, das Außenhandelsvolumen wenn möglich gering zu halten.

 

Die zweite Schlußfolgerung: Die PSK-Abkommen sind bis in die Gegenwart hinein, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht das Ergebnis einer zwei- oder mehrseitigen internationalen Industrieplanung gewesen. Im Gegenteil, sie haben die historisch gewachsenen Produktionsstrukturen in den Gemeinschaftsländern endgültig und verpflichtend festgeschrieben. Produktionseinstellungen aufgrund von Spezialisierungsabmachungen haben dagegen kaum stattgefunden (mit sowohl politisch als auch ökonomisch motivierten Ausnahmen, wie z.B. Einstellung des Flugzeugbaus in der DDR und des Schiffbaus in Ungarn, Verkleinerung der Produktionssortimente bei Wälzlagern). Die Hauptursache für die bis heute fehlende Bereitschaft der RGW-Staaten, ihre Industriepolitik enger zu koordinieren, liegt in der von diesen Ländern verfolgten Industrialisierungsstrategie, die dem sowjetischen, wenn man so will, dem stalinistischen Modell folgend, auf einen möglichst umfassenden Ausbau der heimischen Industrie abzielte. Aufgrund dieser Strategie wurde allenthalben der national orientierten, komplexen und möglichst viele Industriebranchen umfassenden Entwicklung zuungunsten der internationalen Produktionsspezialisierung der Vorrang gegeben. Ein weiteres Spezialisierungshemmnis, das bis in die Gegenwart fortbesteht, ist die Furcht der einzelnen RGW-Staaten vor nicht termin- und qualitätsgerechten Lieferungen und vor Störungen bei der Ersatzteilversorgung. Diese Befürchtungen sind durch den Ausfall zahlreicher polnischer Kooperationslieferungen Anfang der 80er Jahre dramatisch bestätigt worden.

 

Die Vorteile der Spezialisierung durch eine bewußte Planung zur Vermeidung von Parallelarbeiten sowie zur Nutzung der Großserienproduktion werden im RGW bisher nur sehr zögernd, in erster Linie bei der Entwicklung neuer Produkte bzw. neuer Produktionsverfahren genutzt. Eine internationale Industriepolitik der RGW-Staaten, die das Ziel verfolgt, die Produktionskapazitäten umzuverteilen und damit Produktivitätsgewinne zu erzielen, steckt gegenwärtig also noch in den Kinderschuhen. Eine beschleunigte Entwicklung der PSK in dieser Richtung erfordert 2 Voraussetzungen, die bis heute fehlen: Die Währungen der RGW-Länder müßten wenigstens innerhalb des RGW konvertibel sein (Währung/Währungspolitik), und die RGW-Organe müßten ein Mindestmaß an Planungskompetenzen erhalten.

 

C. Zusammenarbeit im Investitionsbereich

 

 

Die bisherige Zusammenarbeit der RGW-Länder auf dem Gebiet der Investitionen umfaßt neben der Koordinierung einzelner Investitionen vor allem die Finanzierung von Projekten von übernationaler Bedeutung. Nur in wenigen Fällen geht die Zusammenarbeit darüber hinaus, werden gemeinsam finanzierte Projekte auch gemeinsam unterhalten. Eine Ausnahme bildet die Baumwollspinnerei in der Nähe von Kattowitz, die von Polen und der DDR gemeinsam gebaut wurde, sich im „gemeinsamen“ Eigentum beider Staaten befindet (mit Anteilen zu je 50 v.H.) und von Fachleuten aus beiden Staaten gemeinsam geleitet wird.

 

Da die Währungen der RGW-Länder jedoch reine Binnenwährung sind, gibt es für gemeinsame Investitionsvorhaben keinen internationalen Kapitalmarkt, der über die Zinshöhe Kapitalangebot und Kapitalnachfrage international zum Ausgleich bringen und darüber hinaus die Rentabilitätsschwelle für Investitionen anzeigen könnte. Entsprechend ihrem Wirtschaftssystem werden derartige Finanzierungsprobleme vielmehr von den RGW-Staaten zentral gelöst. Anhand der Zweckbestimmung der bereitgestellten Mittel lassen sich 2 Formen der internationalen Investitionsbeteiligungen unterscheiden:

  • unmittelbare Investitionsbeteiligungen aufgrund von bilateralen Regierungsabkommen;
  • mittelbare Investitionsbeteiligungen aufgrund von Kreditzusagen an die Internationale Investitionsbank des RGW.

 

[S. 1086]1. Unmittelbare Investitionsbeteiligungen. Bei den naturalen direkten Investitionsbeteiligungen werden die Kreditvereinbarungen direkt zwischen 2 RGW-Ländern abgeschlossen, wobei sich auf der Grundlage von jeweils zweiseitigen Abkommen mehrere Länder an demselben Investitionsprojekt beteiligen können. Die Beteiligung besteht in der Regel in der Lieferung von Waren, in Projektierungsarbeiten oder im Einsatz von Arbeitskräften, d.h. es handelt sich um projekt- und liefergebundene Kredite. Die Kredite werden mit Naturalleistungen getilgt (Warenlieferungen, die im allgemeinen aus der Produktion des errichteten Betriebes stammen). Auch die Zinsen für die gewährten Kredite werden auf diese Weise entrichtet. Der Zinssatz beträgt zumeist 2 bis 3 v.H. pro Jahr, eine im internationalen Maßstab sehr niedrige Belastung für den Kreditnehmer. Die Investitionsbeteiligung hat keine Auswirkungen auf die Eigentumsverhältnisse des Produktionsbetriebes. Dieser ist vielmehr Teil der verstaatlichten Volkswirtschaft des Standortlandes.

 

Auf der 29. Ratstagung (1975) wurde in dem „Abgestimmten Plan der multilateralen Integrationsmaßnahmen der Mitgliedsländer des RGW für 1976–1980“ die gemeinsame Finanzierung von Investitionen in den Grundstoffindustrien in Höhe von 9 Mrd. TR., wovon 7 Mrd. TR. auf den Zeitraum 1976/80 entfallen, vereinbart. Wenn in diesem Zusammenhang die Rede von multilateralen Integrationsmaßnahmen ist, so bezieht sich die Multilateralität allenfalls auf die Koordinierung der Beteiligten. Die jeweiligen Verträge wurden jedoch bilateral abgeschlossen. Über die Aufteilung der Investitionslasten gibt es keine genauen Angaben. Vermutlich machen die ausländischen Beteiligungen 40 bis 50 v.H. der jeweiligen Investitionskosten aus. Von seiten der DDR wurde im Rahmen dieses Plans ein Beteiligungsvolumen von 3,4 Mrd. (Binnen-)Mark, davon 3,1 Mrd. Mark im Zeitraum 1976–1980, genannt. Gemessen am geplanten Investitionsvolumen der DDR von 240 Mrd. Mark waren dies nur 1,3 v.H.

 

Im Fünfjahrplan der DDR, 1976–1980, war demgegenüber insgesamt ein Volumen für „Investitionsbeteiligungen in der UdSSR und in den übrigen sozialistischen Ländern“ von 7 bis 8 Mrd. Mark vorgesehen (3 v.H. der insges. geplanten Investitionsausgaben). Tatsächlich wurden für diesen Zweck 6,9 Mrd. Mark aufgewendet (= 2,8 v.H. des gesamten Investitionsvolumens). Am Beispiel der DDR wird deutlich, daß die tatsächlichen Auslandsinvestitionen spürbar höher waren, als im Rahmen der RGW-Zusammenarbeit vereinbart wurde. Auch hier zeigt sich, daß die RGW-Organe nur einen Teil der wirtschaftlichen Zusammenarbeit koordinieren können.

 

Mit der 35. Ratstagung (1981) wurde der „Abgestimmte Plan mehrseitiger Integrationsmaßnahmen für die Jahre 1981 bis 1985“ angenommen. Darin sind Investitionsbeteiligungen im Umfange von über 3 Mrd. TR. vorgesehen; es ist unbekannt, welcher Anteil auf die DDR entfallen soll.

 

Auch wenn Zahl und Umfang der international finanzierten Investitionsprojekte in den letzten Jahren zugenommen haben, so kann doch die von den RGW-Ländern praktizierte Form der naturalen Investitionsbeteiligung einen Kapitalmarkt kaum ersetzen. Faktisch handelt es sich ja hierbei um ein zeitlich gestrecktes Kompensationsgeschäft. Nicht zuletzt aus diesem Grunde dürfte sich diese Art der Kreditierung in erster Linie auf die Erschließung von Rohstoffvorkommen konzentrieren. Es liegt im übrigen die Vermutung nahe, daß bei naturalen Kreditvereinbarungen eine Interessenidentität zwischen den Vertragspartnern schwerer herzustellen ist als bei rein monetären Beziehungen.

 

2. Mittelbare Investitionsbeteiligungen. Um die kapitalmäßige Verflechtung der RGW-Staaten voranzubringen, wurde Ende 1970 die Internationale Investitionsbank (IIB) gegründet. Hauptaufgabe der IIB ist die mittel- und langfristige Finanzierung von Investitionsprojekten, deren Realisierung im Interesse mehrerer RGW-Mitgliedstaaten liegt. Die Laufzeit der Kredite, die sowohl auf TR. als auch auf konvertible Währungen lauten können, beträgt zwischen 5 und 15 Jahren, die Zinssätze liegen zwischen 4 und 6 v.H. p.a., bei Krediten in konvertiblen Währungen werden sie jedoch den Sätzen der internationalen Kapitalmärkte angepaßt. Die IIB kann sich die erforderlichen Mittel für die Hergabe von Krediten — soweit die Einzahlungen auf das Grundkapital hierfür nicht ausreichen — durch Kreditoperationen auf internationalen Märkten, aber auch von der Internationalen Bank für wirtschaftliche Zusammenarbeit (IBWZ) beschaffen. (Mit der Gründung der IBWZ wurde 1963 der bisher ernsthafteste Versuch unternommen, den Bilateralismus in den Handels- und Währungsbeziehungen der RGW-Staaten zu überwinden. Wichtigste Aufgaben der Bank sind nämlich die Durchführung der mehrseitigen Verrechnung der Außenwirtschaftsaktivitäten — vor allem des Außenhandels — der Mitglieder untereinander sowie die Kreditierung von kurz- und mittelfristigen Zahlungsbilanzgleichgewichten zwischen den Mitgliedern. Für jedes Mitgliedsland wurde zu diesem Zweck bei der Bank ein Verrechnungskonto eingerichtet, über das alle Handelsgeschäfte mit den übrigen RGW-Staaten täglich verrechnet werden. Damit entstehen Gläubiger- und Schuldnerpositionen nur noch zwischen der Bank und den Mitgliedsländern, nicht mehr aber zwischen den Handelspartnern untereinander. In der Handelswirklichkeit werden die Verträge zwischen den RGW-Partnern — darauf wurde bereits hingewiesen — nach wie vor ausschließlich zweiseitig abgeschlossen, so daß es für die IBWZ auch keine ökonomische [S. 1087]Basis für ihre Tätigkeit gibt. Es gibt — paradoxerweise — ein Tätigkeitsfeld, auf dem die IBWZ wie jede andere westliche Geschäftsbank aktiv ist, nämlich Bankgeschäfte in konvertiblen Währungen.)

 

Die IIB tut sich bei der Vergabe von TR.-Krediten allerdings sehr schwer: Voraussetzung für die Gewährung eines TR.-Kredits ist eine vorherige Übereinkunft zwischen dem potentiellen Gläubiger und dem potentiellen Schuldner über die Lieferung bestimmter Güter auf Kreditbasis. Ein TR.-Kredit der IIB ist daher kein autonomer, sondern ein abgeleiteter Warenkredit. Die Einzahlungen der Mitgliedsländer in TR. auf das Grundkapital geben somit lediglich ihre Bereitschaft wieder, bis zu diesem Betrag Waren über das bereits vereinbarte Handelsvolumen hinaus an einen anderen RGW-Staat zu liefern. Welche Waren zu welchem Zeitpunkt und zu welchen Preisen dann tatsächlich exportiert werden, muß auf dem Wege der bilateralen Plankoordinierung vereinbart werden.

 

Die IIB ist somit primär ein Instrument zur Beschaffung konvertibler Währungen für ihre Mitgliedsländer. Von der zum Ende 1981 auf über 4 Mrd. US-$ geschätzten Netto-Verschuldung der beiden RGW-Bankinstitute (neben der IIB die IBWZ) dürfte der größte Teil auf die IIB entfallen. Allein zur Finanzierung der 2.750 km langen Erdgasleitung von Westsibirien zur sowjetischen Westgrenze hat die IIB auf westlichen Märkten Kredite von knapp 3 Mrd. US-$ aufgenommen.

 

Die IIB hat in den Jahren von 1971 bis 1982 insgesamt Kredite im Umfange von über 3,7 Mrd. TR. vergeben. Sie finanzierte damit knapp 80 Projekte mit einer Bausumme von rd. 10 Mrd. TR. (Eigenfinanzierung: rd. 60 v.H.). Das größte Einzelprojekt war die genannte Gasleitung, die in den Jahren 1975 bis 1979 gebaut wurde; für sie hat die IIB einen Kredit in Höhe von 2,3 Mrd. TR. bereitgestellt (= 62 v.H.). Die übrigen Projekte verteilen sich auf den Rohstoffsektor (14 v.H.), Maschinenbau und Metallverarbeitung (11 v.H.), Metallurgie (6 v.H.), Chemie (3 v.H.) und sonstige Zweige (3,5 v.H.).

 

VI. Der RGW-Wirtschaftsgipfel von 1984

 

 

Vom 12. bis 14. 6. 1984 fand in Moskau, nach einer fast 4jährigen Anlaufzeit, die „Wirtschaftsberatung der Mitgliedsländer des RGW auf höchster Ebene“ statt. Die Einberufung eines Gipfeltreffens wurde erstmalig auf der 34. Ratstagung im Sommer 1980 vom rumänischen Regierungschef vorgeschlagen. Das Treffen sollte noch im Herbst 1980, spätestens im Frühjahr 1981 stattfinden, darüber hinaus sollte für künftige Gipfeltreffen ein regelmäßiger Turnus von 5 Jahren festgelegt werden. Das rumänische Interesse konzentrierte sich auf höhere Erdölimporte aus der UdSSR zu Vorzugspreisen, ferner auf höhere Vertragspreise und andere ökonomische Anreize im gegenseitigen Handel mit Agrarerzeugnissen und Nahrungsmitteln und schließlich auf eine stärkere Einbeziehung rumänischer Produktionskapazitäten in die RGW-Industriekooperation. Als sowjetische Reaktion auf diesen rumänischen Vorstoß stellte Breschnew auf dem XXVI. Parteitag der KPdSU im Februar 1981 fest: „Das Leben selbst erfordert es, die Koordinierung der Pläne durch Abstimmung der gesamten Wirtschaftspolitik zu ergänzen. Auch Fragen wie die strukturelle Annäherung von Wirtschaftsmechanismen, der weitere Ausbau direkter Verbindungen zwischen den an der Kooperation beteiligten Ministerien, Vereinigungen und Betrieben sowie die Schaffung gemeinsamer Firmen stehen auf der Tagesordnung. Möglich sind auch andere Formen der Vereinigung unserer Anstrengungen und Ressourcen. Wie Sie sehen, Genossen, gibt es hier zahlreiche neue große Probleme. Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn die führenden Repräsentanten der Bruderländer sie in nächster Zukunft kollektiv erörtern.“

 

In der jüngsten sowjetischen Integrationsliteratur wird von den RGW-Ländern gefordert, die nationale Struktur- und Investitionspolitik zu harmonisieren sowie die Maßnahmen zur Modernisierung der nationalen Wirtschaftsmechanismen aufeinander abzustimmen. Vor dem Hintergrund der bisherigen RGW-Zusammenarbeit wäre dies eine wirtschaftspolitische (und politische) Herausforderung für die beteiligten Regierungen; denn diese Zusammenarbeit konzentrierte sich bislang weitgehend auf die bilaterale Absprache des gegenseitigen Warenaustausches. Harmonisierung und Abstimmung würden die nationalstaatliche Souveränität in der Reformpolitik beschränken; denn Methoden und Wirksamkeit direkter staatlicher Planung und Kontrolle der Wirtschaftsprozesse unterscheiden sich von Land zu Land.

 

Es ist deswegen nicht überraschend, daß die einzelnen RGW-Mitgliedsstaaten lange Zeit brauchten, um ihre Position für den bevorstehenden Gipfel festzulegen. Das Politbüro der SED „billigte die in Vorbereitung der Wirtschaftsberatung der Mitgliedsländer des RGW auf höchster Ebene abgestimmten Dokumente“ z.B. erst Ende November 1983 (ND 25. 11. 1983). Zum Schluß verzögerte die schwere Krankheit des inzwischen verstorbenen sowjetischen Parteichefs, Andropov, die Einberufung des Treffens ein weiteres Mal.

 

A. Ergebnisse des Gipfeltreffens

 

 

Einen Schwerpunkt der Beratung bildeten offensichtlich die Probleme der gemeinschaftsinternen Energie- und Rohstoffversorgung. Zur Entlastung der sowjetischen Energie- und Rohstoffbilanz haben die übrigen RGW-Länder dreierlei Verpflichtungen übernommen: 1. Die eigenen Ressourcen (einschl. Importe aus Drittländern) sollen maximal genutzt und die Volkswirtschaften auf einen sparsamen und [S. 1088]rationellen Rohstoffeinsatz umgestellt werden. 2. Die Struktur der Energiebezüge aus der UdSSR soll sich mittelfristig verändern (Ersatz von Erdöl durch Erdgas; eine Entscheidung über den Bau der neuen Gasleitung, der im langfristigen Energieprogramm der Sowjetunion vorgesehen ist, wurde anscheinend noch nicht getroffen). 3. Zur Sicherung der Energie- und Rohstoffimporte müssen „Nahrungsmittel und industrielle Konsumgüter, einige Arten von Konstruktionsmaterialien, Maschinen und Ausrüstungen hoher Qualität und mit technischem Weltniveau“ in die Sowjetunion geliefert werden, und zwar mehr, als ursprünglich vorgesehen. Die UdSSR hat dem Vernehmen nach zugestanden, daß sie bei ihren Lieferungen immer dann den Weltmarktpreis in Rechnung stellen wird, wenn dieser unter dem RGW-Verrechnungspreis liegen sollte. Alles in allem laufen diese Ergebnisse darauf hinaus, daß der sowjetische Markt für die kleineren RGW-Länder anspruchsvoller und schwieriger werden wird und daß der hohe sowjetische Exportüberschuß gegenüber diesen Ländern allmählich abgebaut werden soll.

 

Eine wichtige Aufgabe soll ferner die engere Zusammenarbeit im Bereich des sogenannten Agrar-Industrie-Komplexes (Landwirtschaft und alle ihr vor- und nachgelagerten Zweige) werden. Damit will man eine quantitativ und qualitativ bessere Versorgung der Bevölkerung erreichen. Ziel der abgestimmten Agrarpolitik ist vermutlich auch die Erhöhung der Selbstversorgung im RGW-Maßstab. Insbesondere die Getreideimporte aus dem Westen sollen spürbar verringert werden, in erster Linie die sowjetischen Importe (1982 war die Nettoeinfuhr am inländischen Getreideverbrauch in der UdSSR mit 18 v.H. und in den RGW[6]-Ländern im Durchschnitt mit 4 v.H. beteiligt). Der Intrablockhandel mit Agrarerzeugnissen soll durch Investitionsbeteiligungen „interessierter“ Länder bei den Agrarproduzenten stimuliert werden. Auch „andere ökonomische Bedingungen“ sollen diese Agrarlieferungen anregen. Von diesen Maßnahmen werden vor allem Ungarn, Bulgarien und Rumänien profitieren.

 

Die europäischen RGW-Mitglieder haben sich verpflichtet, den anerkannten Entwicklungsländern der Gemeinschaft — Kuba, Mongolei und Vietnam — „auch weiterhin Hilfe zu gewähren“. Über Umfang und Art dieser Hilfe wurde indes nichts gesagt. Wie bisher wird der größte Teil dieser Hilfe, primär aus politischen Gründen, von der Sowjetunion geleistet werden. Auch auf dem Gebiet der Verkehrsverbindungen zwischen den RGW-Staaten sollen „gegenseitig interessierende Investitionen“ abgestimmt werden, wobei dem Seetransport nach Kuba und nach Vietnam „eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet“ sein soll. Insgesamt soll die „Durchlaßfähigkeit der Grenzbahnhöfe“ erhöht werden.

 

In einer politischen Absichtserklärung haben die RGW-Staaten bekundet, an der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung teilzunehmen und — im Rahmen ihrer Möglichkeiten — zur „Gesundung der internationalen Beziehungen auf dem Gebiet der Wirtschaft“ beizutragen. Sie wollen dies aus politischem Interesse tun, weil sie 1. im Sinne der KSZE-Schlußakte der Überzeugung sind, damit einen Beitrag zu mehr Vertrauen und zur Entspannung leisten, und 2. ihren Einfluß in der Dritten Welt erweitern zu können. Vor allem aber entspricht dieser Kurs auch ihrer ökonomischen Interessenlage, weil 1. die weltwirtschaftliche Lage sich auch „auf die Erfüllung ihrer Wirtschaftspläne … auswirkt“, 2. der Aufbau einer wettbewerbsfähigen Exportindustrie und damit indirekt auch die ordentliche Finanzierung ihres Schuldendienstes an westliche Gläubiger ohne westliche Technik nicht zu bewerkstelligen sein dürften, und 3. die Zusammenarbeit mit den Ländern der Dritten Welt zur Erweiterung der Rohstoffbasis erforderlich ist — die angestrebte Intensivierung der Intregation innerhalb des RGW und der Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen zu Drittländern stehen also nicht im Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich.

 

In diesem Zusammenhang wollen die RGW-Länder auch die „potentiellen Möglichkeiten für die Entwicklung der kommerziellen Zusammenarbeit mit kapitalistischen Staaten sowie deren Betrieben und Firmen“ aktiv nutzen, und es soll ein „diesbezügliches Abkommen zwischen RGW und EWG“ abgeschlossen werden.

 

B. Bewertung des Gipfeltreffens

 

 

In der Schlußerklärung wurde mit vielen Worten verschleiert, daß der Grundcharakter der RGW-Zusammenarbeit nicht geändert wurde. Zwar ist dort von „einem neuen Schritt zur Vertiefung der Abstimmung der Wirtschaftspolitik durch die Mitgliedsländer des RGW“ die Rede. Zugleich wurde aber betont, daß die „Koordinierung der Volkswirtschaftspläne das Hauptinstrument der Abstimmung der Wirtschaftspolitik“ sein werde. Plankoordinierung setzt aber eine selbständige Planung und Wirtschaftspolitik der einzelnen Staaten voraus. Die Grundsätze des RGW über das Verhältnis von Einzelstaat zur Gemeinschaft wurden erneut bekräftigt. Besonders das Prinzip der Interessiertheit wurde hervorgehoben, das beim gegenwärtigen Mechanismus der Willensbildung im RGW („Einstimmigkeit der interessierten Mitglieder“) den Vorrang nationaler vor gemeinschaftlichen Interessen sichert.

 

In diesem Zusammenhang ist besonders wichtig, daß die sowjetischen Bestrebungen zur „Annäherung der Strukturen des Wirtschaftsmechanismus“ offensichtlich vertagt worden sind. Neue gemeinschaftliche Preisbeschlüsse konnte dieser Gipfel nicht treffen. Die währungspolitischen Instrumente der Integration bleiben auch für den Rest dieses Jahrzehnts [S. 1089]— hinter der zentralen Planung — zweitrangig. Auf dem Gipfeltreffen wurde es für „zweckmäßig“ angesehen, „regelmäßige Treffen der Partei- und Staatsführung auf höchster Ebene durchzuführen“ (ohne daß man sich allerdings auf einen zeitlichen Turnus geeinigt hätte).

 

Die veröffentlichten Dokumente stellen einen integrationspolitischen Kompromiß dar, mit dem alle RGW-Staaten leben können. Das bedeutet allerdings nicht, daß es insbesondere den kleinen RGW-Staaten Europas leichtfallen wird, die getroffenen Ergebnisse in wirtschaftspolitische Taten umzusetzen. Im Gegenteil: Sie werden sich anstrengen müssen, um ihre Wirtschaftsbeziehungen zur UdSSR auszuweiten und umzustrukturieren. Zugleich wollen alle RGW-Volkswirtschaften die industrielle Zusammenarbeit gerade bei modernster Technik verstärken, um auf diesem Gebiet gegenüber den westlichen Industriestaaten nicht noch stärker in Rückstand zu geraten. Beide Aufgaben sind ohne westliche Technik und ohne westliches Know-how kaum in einer zeitlich überschaubaren Weise zu lösen. Daher die erklärte Bereitschaft der RGW-Länder, die wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen aus politischen Überlegungen heraus nicht kürzen oder gar abbrechen zu wollen. Es dürfte auch im ökonomischen und politischen Interesse des Westens liegen, daß sich die RGW-Staaten an der Lösung internationaler Wirtschaftsprobleme beteiligen und in den internationalen Wirtschafts- und Währungsorganisationen mitarbeiten.

 

Heinrich Machowski

 

Literaturangaben

  • Bethkenhagen, Jochen, u. Horst Lambrecht: Wachstumsfördernde und wachstumshemmende Effekte der Integration der DDR in den RGW, in: Deutschland Archiv, S.-Heft 1979, S. 189 ff. Köln: Wissenschaft und Politik 1979.
  • Bethkenhagen, Jochen, u. Heinrich Machowski: Integration im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Entwicklung, Organisation, Erfolge und Grenzen. 2., erw. Aufl. Berlin: Berlin Verl. 1976.
  • Brezinski, Horst Dieter: Internationale Wirtschaftsplanung im RGW. Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh 1978. (Schriftenreihe der Gesamthochschule Paderborn. Reihe Wirtschaftswissenschaften. 1.)
  • Faddejew, N. W.: Der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe. Berlin (Ost): Die Wirtschaft 1975.
  • Lexikon RGW. Hrsg. Manfred Engert u. Heinz Stephan. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1981.
  • Machowski, Heinrich: Probleme der Integration in Osteuropa unter vergleichenden Aspekten, in: Osteuropa Wirtschaft, Nr. 4/1979, S. 267 ff. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1979.
  • Machowski, Heinrich: Zur Politischen Ökonomie der Beziehungen zwischen RGW und EWG, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Nr. 12/1982, S. 33 ff. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1982.
  • Machowski, Heinrich: Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, in: Handbuch der Finanzwissenschaften. Hrsg. Fritz Neumark. 3., gänzl. neubearb. Aufl. Tübingen: Mohr 1982.
  • Morgenstern, Karl: Zur wachsenden Rolle der sozialistischen internationalen Kooperation in Verbindung mit der Spezialisierung, in: Wirtschaftswissenschaften, Nr. 1/1982. Berlin (Ost): Die Wirtschaft 1982.
  • Seiffert, Wolfgang: Das Rechtssystem des RGW. Baden-Baden: Nomos 1982.
  • Thalheim, Karl C.: Die Wirtschaftspolitik der DDR im Schatten Moskaus. Hannover: Niedersächsische Landeszentrale für Politische Bildung 1979.
  • Wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit der RGW-Länder. Dokumente, zusammengestellt und bearb. v. Lothar Rüster. Berlin (Ost): Staatsverl. d. DDR 1981.

 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 1073–1089


 

Rahmenkollektivvertrag (RKV) A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, Z Rat für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft (RLN)

 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.