Strafvollzug (1985)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979
Gesetzliche Grundlage des St. sind das St.-Gesetz vom 7. 4. 1977 (GBl. I, S. 109) und die 1. und 2. Durchführungsbestimmung vom selben Tage (GBl. I, S. 118, 123). Diese Bestimmungen sind mit dem Wiedereingliederungsgesetz vom 7. 4. 1977 (GBl. I, S. 98) mit Wirkung vom 5. 5. 1977 an die Stelle des erst durch Gesetz vom 19. 12. 1974 (GBl. I, S. 607) geänderten St.- und Wiedereingliederungsgesetzes (SVWG) vom 12. 1. 1968 (GBl. I, S. 109), durch das der St. erstmals gesetzlich geregelt wurde, getreten.
Ziel des St. ist die gesellschaftliche Erziehung und Wiedereingliederung des Strafgefangenen in die sozialistische Gesellschaft. Im Mittelpunkt des Vollzuges steht die „gesellschaftlich nützliche Arbeit“. Der Strafgefangene soll durch die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit erzogen werden. Dadurch sollen sein Verantwortungs- und Pflichtbewußtsein, die Disziplin und aktive und schöpferische Mitwirkung im Arbeitsprozeß gefördert werden.
[S. 1343]Oberstes Vollzugsorgan ist die im Ministerium des Innern bestehende „Verwaltung St.“. Ihr unterstehen die verschiedenen St.-Einrichtungen: St.-Anstalten, St.-Kommandos, Jugendhäuser, Haftkrankenhäuser, St.-, Strafhaft-, Jugendhaft- und Militärstrafarrestabteilungen.
Neben den großen St.-Anstalten für Männer (Bautzen, Berlin-Rummelsburg, Brandenburg, Bützow-Dreibergen, Cottbus, Leipzig, Naumburg, Torgau, Waldheim) und Frauen (Görlitz, Halle, Stollberg-Hoheneck) gibt es z. Z. ca. 30 St.-Kommandos, früher Haftarbeitslager genannt, sowie die Jugendhäuser Dessau, Gräfentonna, Ichtershausen und Luckau, in denen die zu Freiheitsstrafen verurteilten Jugendlichen untergebracht werden.
Die Aufsicht über die Wahrung der Gesetzlichkeit beim St. und bei der Vorbereitung der Wiedereingliederung in das gesellschaftliche Leben übt die Staatsanwaltschaft aus.
In der DDR gibt es 2 Vollzugsarten: den allgemeinen und den erleichterten Vollzug. Der strenge und der erst 1974 eingeführte verschärfte Vollzug für Rückfalltäter ist im Gesetzestext weggefallen, obwohl die Probleme der Bekämpfung der Rückfallkriminalität seitdem kaum geringer geworden sind.
Die sichere Verwahrung und Erziehung des Strafgefangenen erfolgt durch Trennung des Vollzugs nach Arten der Strafen mit Freiheitsentzug, nach Geschlechtern, zwischen Jugendlichen und Erwachsenen, zwischen Erstbestraften und Rückfalltätern. Die unterschiedlichen Gruppen werden in verschiedenen Strafanstalten bzw. getrennten Abteilungen innerhalb einer St.-Einrichtung untergebracht. Welche Vollzugsart angewendet wird, bestimmt sich grundsätzlich nach der Qualifikation der Tat als Verbrechen (allg. Vollzug) oder Vergehen (erleichterter Vollzug). Politische ➝Häftlinge werden sich demnach künftig fast ausschließlich im allgemeinen Vollzug befinden, da ihre Taten grundsätzlich als Verbrechen (Strafrecht, III.) gewertet werden.
Der erleichterte Vollzug gewährt den Gefangenen mehr Bewegungsfreiheit. Persönliche Verbindungen zu Außenpersonen sind in größerem Umfange möglich. Er wird nicht in verschlossenen oder nicht ständig geschlossenen Verwahrräumen durchgeführt. Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein Wechsel von der einen in die andere Vollzugsart erfolgen.
In der Regel sollen die Strafgefangenen in derselben St.-Einrichtung sowie in denselben Kollektiven verbleiben, um eine kontinuierliche Erziehung zu gewährleisten. Der Arbeitseinsatz erfolgt in volkseigenen Betrieben. Die Arbeitszeit richtet sich nach den arbeitsrechtlichen Vorschriften. Die Arbeitsleistung wird nach dem Leistungsprinzip durch die St.-Einrichtung vergütet. Berechnungsgrundlage ist der Betrag, den Werktätige als Nettolohn für die gleiche Arbeit erhalten. Bei Erfüllung der Arbeitsnormen erhält der Gefangene 18 v.H. des Nettolohnes für einen Arbeiter bei entsprechender Arbeit. Bei Übererfüllung der Norm erhöht sich dieser Prozentsatz. Außerdem sind Prämien für Neuerervorschläge und Materialeinsparungen vorgesehen. Die Vergütung dient zur Rücklage, Schuldentilgung sowie zum Einkauf von Waren des persönlichen Bedarfs.
Im erleichterten Vollzug und bei Jugendlichen können bis zu 100 v.H. der Arbeitsvergütung für den Einkauf verwendet werden, im allgemeinen Vollzug bis zu 75 v.H. Strafgefangene, die wegen ihres Gesundheitszustandes nicht arbeiten können, dürfen im allgemeinen Vollzug bis zu 30 Mark und im erleichterten bis zu 50 Mark monatlich von ihren Angehörigen erhalten. In besonderen Fällen kann durch die St.-Einrichtung ein Taschengeld gewährt werden. Die Dauer des Arbeitseinsatzes in der Strafanstalt wird nach der Entlassung einer versicherungspflichtigen Tätigkeit gleichgestellt.
Der Arbeitseinsatz ist Voraussetzung für die Leistung von Unterhalt. Die Höhe der Unterhaltszahlung ist von der monatlichen Arbeitsleistung der unterhaltspflichtigen Strafgefangenen abhängig. Bemessungsgrundlage ist die gleiche wie bei unterhaltspflichtigen Werktätigen, die die gleiche Arbeit verrichten. Bei unverschuldetem Arbeitsausfall wird jedoch der laufende Unterhalt unabhängig von der Arbeitsvergütung durch die St.-Einrichtung aus staatlichen Mitteln geleistet, um größere finanzielle Auswirkungen der Bestrafung auf die Unterhaltsberechtigten des Strafgefangenen zu verhindern.
Das St.-Gesetz sieht eine umfassende staatsbürgerliche Schulung durch Vorträge und Diskussionen vor. In der arbeitsfreien Zeit sollen Unterricht und kulturelle Selbstbetätigung in Gruppen und Arbeitsgemeinschaften durchgeführt werden.
Die Strafgefangenen dürfen persönliche Verbindungen mit ihren Ehegatten, Kindern, Eltern, Geschwistern, Großeltern, Verlobten und anderen Personen aus ihren ehemaligen oder künftigen Wirkungs- und Lebensbereichen unterhalten. Einschränkungen sind möglich, wenn das Erziehungsziel gefährdet ist oder die Sicherheit beeinträchtigt wird. Im allgemeinen Vollzug dürfen monatlich 3, im erleichterten 4 Briefe abgesandt werden. Bei Jugendlichen ist die Zahl der Briefe nicht mehr begrenzt. Auch die Häufigkeit des Besuchs ist von der Vollzugsart abhängig. Im erleichterten Vollzug ist jeden Monat ein Besuch, im allgemeinen jeden zweiten Monat ein Besuch gestattet. Strafgefangene im erleichterten Vollzug und Jugendliche können jährlich bis zu 6 Pakete, Gefangene im allgemeinen Vollzug bis zu 4 Pakete empfangen. Diese dürfen Gegenstände des persönlichen Bedarfs enthalten.
Für vorbildliche Arbeitsergebnisse, gute Arbeitsdisziplin oder aktive Unterstützung des Erziehungsprozesses können Anerkennungen erfolgen: Ausspruch eines Lobes, Gewährung von Vergünstigungen, Streichung früher ausgesprochener Disziplinarmaßnahmen, Prämiierung, Überweisung in den erleichterten Vollzug. Disziplinarmaßnahmen bei schuldhaften Verstößen gegen die Pflichten und sonstigen Verhaltensregeln in der St.-Einrichtung: Ausspruch einer Mißbilligung, Verwarnung, Einschränkung oder Entzug von Vergünstigungen und des Verfügungssatzes für den monatlichen Einkauf, Arrest. Der Arrest darf 21 Tage, bei Jugendlichen 14 Tage nicht übersteigen. Der strenge Einzelarrest mit [S. 1344]weitgehendem Entzug der Verpflegung ist durch das St.-Gesetz vom 7. 4. 1977 abgeschafft worden.
Zur Verhinderung eines körperlichen Angriffs auf Angehörige des St. oder andere Personen, einer Flucht oder des Selbstmordes sowie zur Aufrechterhaltung der Sicherheit dürfen als Sicherheitsmaßnahmen Einrichtungsgegenstände entzogen oder Absonderung und Unterbringung in Einzelhaft angeordnet werden. Unmittelbarer Zwang ist nach dem St.-Gesetz vom 7. 4. 1977 nur noch als letztes Mittel zulässig. Übergriffe von Angehörigen des St. sowie erhebliche Mißhandlungen von Strafgefangenen bei oft nur geringfügigem Anlaß kommen jedoch nach Berichten entlassener politischer Häftlinge immer noch recht häufig vor.
In einem besonderen Kapitel sind die Rechte und Pflichten der Strafgefangenen zusammengefaßt. Sie haben das Recht auf ordnungsgemäße Unterbringung, Bekleidung und Ernährung, täglichen Aufenthalt im Freien (mindestens 1 Stunde), 8 Stunden Schlafenszeit, eine den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen entsprechende medizinische Betreuung und Versorgung, gesellschaftlich nützliche Arbeit, Erwerb von Waren des persönlichen Bedarfs, persönliche Verbindungen, Wahrung ihrer rechtlichen Interessen. Bei Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft ist ihnen auf Wunsch religiöse Betätigung zu ermöglichen.
Die Strafgefangenen sind verpflichtet, ihnen zugewiesene Arbeit ordnungsgemäß durchzuführen, sich die für ihren Arbeitseinsatz erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse anzueignen, an den Maßnahmen der staatsbürgerlichen Erziehung und der allgemeinen und beruflichen Bildung teilzunehmen und aktiv mitzuarbeiten. Die Maßnahmen zur Resozialisierung Strafgefangener sind, im Unterschied zum SVWG vom 12. 1. 1968, in einem besonderen Wiedereingliederungsgesetz geregelt. Darin wird die Wiedereingliederung als ein gesamtgesellschaftliches Anliegen gewertet. Den aus dem St. entlassenen Bürgern wird die volle Wahrnehmung ihrer staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten, soweit sie nicht durch gerichtliche Entscheidungen eingeschränkt worden sind, garantiert. Zuständig sind die Räte der Kreise, Städte und Stadtbezirke, in deren Bereich der Entlassene seinen Wohnsitz hat.
Sie sollen Wohnraum und Arbeitsplätze bereitstellen, wobei darauf zu achten ist, daß der Entlassene möglichst wieder bei seiner alten Arbeitsstelle tätig sein kann. Die örtliche Räte können bis zu einem Jahr nach der Entlassung oder der gerichtlich angeordneten Maßnahme zur Wiedereingliederung (Bewährung) Auskünfte von den Betrieben, Genossenschaften und sonstigen staatlichen Einrichtungen über den erreichten Entwicklungsstand des Entlassenen einholen. Zur Vorbereitung und Durchführung der Wiedereingliederung sollen die Räte mit der Staatsanwaltschaft, den Gerichten, der Volkspolizei, den St.-Einrichtungen und Jugendhäusern, Betrieben, Genossenschaften und gesellschaftlichen Organisationen eng zusammenarbeiten. Sie sollen staatsbewußte Bürger, die das Vertrauen der Werktätigen besitzen, als ehrenamtliche Mitarbeiter gewinnen. Jugendliche sollen eine durch die Freiheitsstrafe unterbrochene oder im St. begonnene Berufsausbildung beenden. Zu diesem Zweck sind schon vor der Entlassung aus dem Jugendhaus Lehrverträge abzuschließen.
Wenn sich bei Verurteilung eines bereits mit Freiheitsentzug bestraften Täters herausstellt, „daß die erneute Straftat wesentlich durch seine Disziplinlosigkeit bei der Wiedereingliederung in das gesellschaftliche Leben begünstigt wurde“, kann das erkennende Gericht für 1–3 Jahre besondere Maßnahmen im Urteil festlegen (§§ 47, 48 StGB). Es kann ein Kollektiv beauftragen, dem Verurteilten bei der Wiedereingliederung zu helfen und erzieherisch auf ihn einzuwirken; der Verurteilte kann verpflichtet werden, einen ihm zuzuweisenden Arbeitsplatz nicht zu wechseln oder sich in bestimmten Gebieten nicht aufzuhalten sowie den für seinen Aufenthalt von den staatlichen Organen erteilten Auflagen strikt nachzukommen. Bei Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat kann auf die Zulässigkeit staatlicher Kontrollmaßnahmen durch die Organe der Deutschen Volkspolizei erkannt werden (Polizeiaufsicht). Verletzt der Strafentlassene vorsätzlich die ihm erteilten Auflagen, kann er nach § 238 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren, Verurteilung auf Bewährung oder mit Geldstrafe bestraft werden.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 1342–1344
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