DDR von A-Z, Band 1985

Volksfront (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1965 1966 1969 1975 1979


 

Der Begriff der V. wurde auf dem VII. Weltkongreß (1935) der Komintern als Bezeichnung für eine neue Form der Bündnispolitik geprägt. Der Übergang zur V.-Politik war Ausdruck einer Änderung der strategischen Linie der Komintern. Sie versuchte mit dieser neuen politischen Konzeption Schlußfolgerungen aus dem Scheitern der kommunistischen Parteien — insbesondere der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) — vor dem Faschismus und Nationalsozialismus zu ziehen. In der V. sollten alle antifaschistischen Parteien und politischen Kräfte — einschl. der bürgerlich-demokratischen, christlich orientierten usw. — zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit sollte auf dem Boden der parlamentarisch-demokratischen Ordnung erfolgen und diese gegen faschistische Angriffe verteidigen. Als Kern der V. galt die Aktionseinheit der Arbeiterklasse, eine Forderung, die — zumindestens in ihrer Zukunftsperspektive — den jeweiligen kommunistischen Parteien die Führung innerhalb der V. sichern sollte. Aus der Sicht der Komintern war der Faschismus Ausdruck der Interessen des Finanz- und Großkapitals; entsprechend sollten derartige Großunternehmen enteignet werden, um den Faschismus mit „seinen Wurzeln“ auszurotten.

 

Die V.-Politik beendete die Angriffe auf die Sozialdemokratie, in der diese als „Sozialfaschismus“ und als „Hauptfeind“ bezeichnet worden war. Ferner verzichtete die Komintern mit der Konzeption der V. auf den Sozialismus („Räte-Deutschland“) als unmittelbares, politisches Ziel. Ihm wurde jetzt eine Phase parlamentarischer Demokratie vorgeschaltet, in der der Kampf um das sozialistische Endziel fortgesetzt werden sollte.

 

Versuche, die deutsche Emigration in einer V. in Paris zusammenzufassen, scheiterten letztlich an dem Führungsanspruch der Vertreter der KPD. V.-Regierungen gab es in Frankreich (Koalition aus Vertretern der Sozialistischen Partei Frankreichs und der französischen [liberalen] Radikalsozialisten mit parlamentarischer Unterstützung der Kommunistischen Partei Frankreichs) und in Spanien (anfänglich ebenfalls parlamentarische Unterstützung durch die Kommunistische Partei Spaniens, später mit deren Regierungsbeteiligung). Alle derartigen bündnispolitischen Versuche endeten spätestens mit dem Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes („Hitler-Stalin-Pakt“) am 23. 8. 1939. Bis in die Reihen der Kommunisten galt dieser Vertragsabschluß als Verrat am Antifaschismus.

 

Die mit der V.-Politik verbundene Neuorientierung kommunistischer Strategie und Taktik bildete jedoch die Grundlage für die Politik der KPD/SED nach 1945 in der SBZ/DDR gegenüber den anderen Parteien, für die Gründung des Deutschen Volkskongresses und die Nationale Front, für die Konzeption einer antifaschistisch-demokratischen Übergangsphase zu einer volksdemokratischen Ordnung (Geschichte der DDR) usw. — Auch die Versuche der KPD/SED, auf die Entwicklung in den Westzonen und in der Bundesrepublik Einfluß zu nehmen, insbesondere deren Bemühungen, Teile der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), der Gewerkschaften und bürgerliche Gruppen für die Deutschlandpolitik der SED zu gewinnen, erinnerten vielfach an die Konzeption der V. Der Begriff V. wird jedoch weder von der SED noch von der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) in diesem Zusammenhang verwendet.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 1439


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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