Weltgewerkschaftsbund (WGB) (1985)
Siehe auch:
Englisch: World Federation of Trade Unions (WFTU); französisch: Fédération Syndicale Mondiale (F. S. M.).
Oberstes Organ des WGB ist der „Weltgewerkschaftskongreß“. Dem Gründungskongreß vom 3. bis 8. 10. 1945 in Paris ging eine internationale Konferenz im Februar 1945 in London voraus. Schon der II. WGB-Kongreß vom 29. 6. bis 9. 7. 1949 in Mailand mußte sich damit auseinandersetzen, daß einige wichtige nationale Gewerkschaftsbünde, unter ihnen der britische TUC, den WGB wegen eindeutiger kommunistischer Manipulationen durch die Führungsgremien verlassen und den „Internationalen Bund Freier Gewerkschaften“ (IBFG) mit Sitz in Brüssel gegründet hatten. Der III. WGB-Kongreß fand vom 10. bis 21. 10. 1953 in Wien statt. Die dann folgenden 6 Weltkongresse wurden ausschließlich in Staaten des Warschauer Paktes abgehalten: Leipzig [S. 1472](1957), Moskau (1961), Warschau (1965), Budapest (1969), Warna (1973) und Prag (1978). Der X. WGB-Kongreß tagte in Havanna (10.–15. 2. 1982).
Die Zahl der Delegierten für die Kongresse wird nach einem Schlüssel ermittelt, der die Mitgliederzahl und die „Bedeutung“ der nationalen Mitgliedsorganisationen berücksichtigen soll. Damit ist das Übergewicht des Einflusses der Gewerkschaften der UdSSR und der osteuropäischen Staaten garantiert. Die Mitgliedschaft Rotchinas ist bisher noch nicht in Frage gestellt worden, obwohl seit Mitte der 60er Jahre die chinesischen Gewerkschaften keinen Vertreter mehr in ein WGB-Gremium entsandt haben.
Weitere Führungsgremien sind der Generalrat, der die Politik zwischen den Kongressen zu bestimmen hat, das Büro und das Sekretariat.
Sitz des WGB und seiner Gremien war zunächst Wien. Im Februar 1956 von dort ausgewiesen, siedelte der WGB nach Prag über.
Die bisherigen WGB-Präsidenten waren Lord Walter Citrine (TUC Großbritannien) 1945, Arthur Deakin (TUC Großbritannien) 1946–1948, Guiseppe di Vittorio (CGIL Italien) 1949–1957, Agostino Novella (CGIL Italien) 1958–1961, Renato Bitossi (CGIL Italien) 1961–1969 und Enrique Pastorino (Uruguay) 1969–1978; seit 1978 ist Sándor Gáspár (Ungarn) WGB-Präsident.
Louis Saillant (CGT Frankreich) war Generalsekretär des WGB von 1945 bis 1969. Auf dem VII. Kongreß in Budapest trat er zurück und wurde zum WGB-Ehrenpräsidenten gewählt. Seine Nachfolger als Generalsekretäre waren von 1969 bis 1978 Pierre Gensous (CGT Frankreich) und von 1978 bis 1982 Enrique Pastorino (Uruguay). Ibrahim Zakaria (Sudan) übernahm im Oktober 1980 die Leitung des WGB-Sekretariats als zunächst nur „amtierender“ Generalsekretär und wurde in Havanna 1982 formal in seinem Amt bestätigt.
Organ des WGB ist die monatlich in Prag (in mehreren Sprachen) herausgegebene Zeitschrift „Weltgewerkschaftsbewegung“, seit Ende der 70er Jahre ergänzt durch die in 5 Sprachen erscheinende Wochenzeitschrift „flashes, Streiflichter aus der Gewerkschaftswelt“.
Nach eigenen Angaben vertritt der WGB „über 200 Mill. Werktätige aus 91 Ländern in 96 nationalen Gewerkschaftsverbänden“, die ihm als Mitglieder angehören.
Ein nicht geringer Teil der Tätigkeit des WGB spielt sich in den nach Berufen bzw. Branchen gegliederten Internationalen Gewerkschaftsvereinigungen (IVG) ab. Es gibt zur Zeit 11 solche Vereinigungen: die Internationale Vereinigung der Gewerkschaften der Land- und Forstarbeiter, die IVG im Nahrungs-, Genuß- und Gaststättengewerbe, die IVG der Bau-, Holz- und Baustoffindustrie, die IVG der Chemie-, Erdöl- und verwandter Industrien, die IVG des Handels, die IVG des öffentlichen Dienstes und verwandter Berufe, den Internationalen Lehrergewerkschaftsbund, die IVG der Metall- und Maschinenbauindustrie, die Internationale Vereinigung der Bergarbeitergewerkschaften, die IVG der Textil-, Bekleidungs-, Leder- und Häuteindustrie und die IVG im Transport, in den Häfen und im Fischereiwesen. Die Bezeichnungen für die IVG in der deutschsprachigen Literatur variieren sehr oft, da es kein offizielles deutschsprachiges Protokoll beim WGB gibt.
In den ersten Nachkriegsjahren wurde im WGB die Auffassung vertreten, daß der Aufnahme einer deutschen Mitgliedsorganisation der Zusammenschluß der Gewerkschaftsorganisationen der 4 Besatzungszonen vorangehen sollte. Nach dem Scheitern der Interzonenkonferenzen der deutschen Gewerkschaften (10 Konferenzen 1946–1948) wurde der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) im Januar 1949 Mitglied im WGB. (Der Deutsche Gewerkschaftsbund konstituierte sich auf seinem Gründungskongreß vom 12. bis 14. 10. 1949 in München.) Der damalige FDGB-Vorsitzende, Herbert Warnke, dankte den Delegierten des II. WGB-Kongresses in Mailand Anfang Juli 1949 für den durch die Aufnahme ausgedrückten „Akt der Solidarität“.
Obwohl es der FDGB seitdem niemals versäumt hat, sich in allen WGB-Aktionen (z.B. für Korea, Afrika, Lateinamerika, Vietnam) durch hohe Spenden und engagierte Mitarbeit hervorzutun, ist sein Einfluß innerhalb des WGB verhältnismäßig gering geblieben. Herbert Warnke rückte 1956 in die Reihe der Vizepräsidenten vor, fiel aber Mitte der 60er Jahre auf den Status eines Büromitglieds zurück. Sein Nachfolger Harry Tisch wurde in Prag (1978) und Havanna (1982) als Mitglied des Generalrates und des Büros bestätigt (Vertreter: Heinz Neukrantz). In den 11 Internationalen Gewerkschaftsvereinigungen (IVG) des WGB haben sich als Generalsekretäre an der Spitze der IVG des Öffentlichen Dienstes seit 1969 nur Dagobert Krause, dann sein Nachfolger Hans Lorenz gehalten. Der aus dem FDGB hervorgegangene Gerhard Wetzel wirkt als ständiger Vertreter des WGB bei der UNESCO.
Die „deutsche Frage“ ist im WGB in der Regel nicht Gegenstand gewerkschaftspolitischer Erörterungen. Nach dem Bau der Berliner Mauer schaltete sich jedoch der WGB mit einer außerordentlichen Konferenz in Berlin (Ost) vom 22. bis 24. 9. 1961 in die Deutschlandpolitik unmittelbar ein, indem ca. 200 WGB-Vertreter „aus mehr als 40 Ländern“ unter der Leitung des WGB-Präsidenten Agostino Novella den Bau der Mauer ausdrücklich billigten sowie den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland und eine „friedliche Lösung der Westberlin-Frage“ im Sinne der sowjetischen Vorstellungen forderten. Seit der Einleitung der Entspannungspolitik Ende der 60er Jahre begnügen sich die Aussagen der WGB-Führung damit, die Entspannungs-Fortschritte auf das Erfolgskonto der sowjetischen Außenpolitik zu buchen und zu „Wachsamkeit“ gegenüber der nach wie vor angeblich „imperialistischen“ Bundesrepublik Deutschland aufzurufen.
Seit Anfang der 70er Jahre widmet sich der WGB mehr und mehr der Arbeit in den Ländern der Dritten Welt. Er agitiert dort „für den Frieden“, weitgehend im Sinne sowjetischer Vorstellungen, „gegen die Monopole“, insbesondere gegen die „transnationalen“ Unternehmen und fordert weltweit „Gleichberechtigung für eingewanderte Arbeitskräfte“. Die politische Plattform für seine [S. 1473]internationale Arbeit hat der WGB in seinen „ständigen Vertretungen“ bei allen Institutionen der Vereinten Nationen und, wie z.B. mit seinem „Komitee für Sozialtourismus“ (seit 1964), durch Mitarbeit in entsprechenden internationalen Gremien am Sitz der EG in Brüssel.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 1471–1473
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