Wirtschaftliche Rechnungsführung (1985)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979
Die WR. gilt als „objektive ökonomische Kategorie der sozialistischen Produktionsweise und Methode der sozialistischen Wirtschaftsführung der Betriebe, Kombinate und Vereinigungen, die die zentrale staatliche Leitung der Wirtschaft mit der relativen Selbständigkeit der Wirtschaftseinheiten als Teile des einheitlichen Volkseigentums bei planmäßiger Ausnutzung der Ware-Geld-Beziehungen verknüpft und darauf zielt, eine höchstmögliche Effektivität im gesellschaftlichen Interesse zu erreichen“ (Lexikon der Wirtschaft. Arbeit — Bildung — Soziales. Berlin [Ost] 1982, S. 768 f.).
In der von einem klassisch marxistischen Standpunkt vorgenommenen und in der DDR auch offiziell vertretenen Einschätzung, daß die VEB Erzeugnisse und Leistungen produzieren, die von vornherein für den Austausch, vermittelt durch Geld, bestimmt und daher Waren sind, obliegen der WR. wichtige Meß-, Kontroll- und Stimulierungsfunktionen für die Realisierung der Betriebsprozesse im Zeichen der Ware-Geld-Beziehungen. Die in der Literatur der DDR genannten Grundprinzipien der WR. sind, „mit möglichst niedrigen Ausgaben möglichst hohe Einnahmen zu erzielen“, eine dauerhafte hohe Rentabilität zu sichern und einen maximalen Nettogewinn zu erwirtschaften, letzterer definiert als Zielfunktion für die operative Betriebsführung (Gewinn).
Als wichtigste Voraussetzungen hierfür werden in Literatur und Gesetzestexten älteren wie jüngeren Datums genannt: a) treuhänderische Ausstattung der Betriebe mit sog. Eigenen Fonds (unter Beachtung der prinzipiell unterschiedlichen Eigentums- und Dispositionsverhältnisse im Sinne der buchhalterischen Bilanz rechnerisch zu begreifen als Quasi-Korrelat zum Eigen-, Stamm- oder Grundkapital einer marktwirtschaftlichen Unternehmung); b) Verleihung des Status juristischer Selbständigkeit (Rechtsfähigkeit) an die VEB; c) Verpflichtung der Betriebe zur Aufbringung der Mittel für planmäßige, von übergeordneten Instanzen bewilligte Investitionen („Prinzip der Eigenerwirtschaftung der [S. 1504]Mittel für die erweiterte Reproduktion“); d) Installierung und streng leistungsorientierte Nutzung des „Prinzips der Materiellen Interessiertheit“); e) materielle Verantwortung und Haftung der VEB für ihre wirtschaftliche Tätigkeit; f) exakte wert- und mengenmäßige Widerspiegelung der betrieblichen Ablaufprozesse durch eine vollständig reglementierte Buchführung und Berichterstattung sowie nicht zuletzt g) permanente Kontrolle und Analyse der wirtschaftlichen Tätigkeit der Betriebe durch betriebswirtschaftliche, finanzwirtschaftliche, administrative, technische und gesellschaftliche Kontrolleinrichtungen und -organe. Hierzu zählen u.a. intensive Buch- und Betriebsprüfungen, innerbetrieblich durch den Hauptbuchhalter, überbetrieblich durch die „Staatliche Finanzrevision“ und (seit 1981) die „Staatliche Bilanzinspektion“ vertreten, eine dezidierte Bankenaufsicht in Verbindung mit dem Prinzip „Kontrolle durch die Mark“ (Währung/Währungspolitik), die Berichtspflicht und Weisungsabhängigkeit der VEB-Leitung gegenüber übergeordneten Instanzen, Empfehlungsfunktionen der Technischen Kontrollorganisation (TKO) im Betrieb sowie insbesondere Einsichtnahme-, Mitwirkungs- und Anzeigebefugnisse der Betriebsparteiorganisation, der Betriebsgewerkschaftsorganisation (BGO), der betrieblichen Ständigen ➝Produktionsberatungen und der Arbeiter-und-Bauern-Inspektionen (ABI).
Die Geltung des Prinzips der WR. stand bis 1971 unter der Devise, das Problem der „Dialektik von schöpferischer Initiative der Betriebe und gesellschaftlicher Plandisziplin“ zu meistern (Planung). Nach weiterführender, im Schrifttum der DDR entwickelter Definition sollen damit die materiellen Interessen der Betriebe mit den Interessen der Gesellschaft in Verbindung gebracht werden, wobei in den einschlägigen Diskussionen etwa seit der Jahreswende 1977/78 eine Zeitlang ausdrücklich eingeräumt wurde, daß „nichtantagonistische Widersprüche zwischen der Planung und der WR. auftreten“ können. Die VO über die weitere Vervollkommnung der WR. auf der Grundlage des Plans vom 28. 1. 1982 (GBl. I, S. 85) tendiert dagegen wieder auf eine Betonung des direkten Zusammenhangs von WR. und Plan, was dem für das Wirtschaftssystem der DDR typischen Wechselspiel von Zentralisation — Dezentralisation und Rezentralisation entspricht und mit einer Verschärfung der Kontrollmechanismen einen neuerlichen Machtzuwachs der zentralen Staatsorgane im ökonomischen Bereich signalisiert.
Ideologisch-zeithistorische Basis für das heute in der DDR geltende Verständnis von WR. ist das von Lenin entwickelte Prinzip „Chosrastschot“ (Kurzbezeichnung für „chosjaistwennyi rastschot“, in den amtlichen Übersetzungen der DDR interimistisch kurze Zeit als „Prinzip der Eigenwirtschaftlichkeit“ wiedergegeben, seitdem einheitlich WR. genannt). Von Lenin selbst möglicherweise lediglich als Übergangsempfehlung für die Periode der „Neuen Ökonomischen Politik“ (NEP) gedacht, wurde das Chosrastschot-Prinzip auch nach Beendigung der NEP durch einen Beschluß des ZK der KPdSU (B) vom 28. 12. 1929 ausdrücklich als weiterhin gültige Methode sozialistischer Betriebsführung bestätigt. Bis in die Gegenwart wird die konsequente Entwicklung der Prinzipien der WR. in Industriebetrieben, in Kolchosen, Sowchosen und den übrigen Teilbereichen der Wirtschaft sowohl in der UdSSR wie in der DDR als „sehr aktuell“ bezeichnet.
In der DDR wurde schon anläßlich der „Großen Finanzpolitischen Konferenz“ vom September 1951 das System der WR. als die grundlegende Methode festgelegt, die nach den Erfahrungen des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion als die zweckmäßigste Form der Leitung der VEB anzuwenden sei. Ihre erste gesetzliche Normierung fand die WR. mit der VO über Maßnahmen zur Einführung des Prinzips der WR. in den Betrieben der volkseigenen Wirtschaft vom 20. 3. 1952. Unbeschadet mancher Schwankungen in der Wertung anderer Elemente der Planung und Leitung im Zuge der Wirtschaftsreformen der DDR in den letzten drei Jahrzehnten ist die WR. seitdem konstant ein zentrales Anliegen der wirtschaftsleitenden Organe der DDR geblieben. Dies gilt gleichermaßen für die Periode des Neuen Ökonomischen Systems (NÖS) von 1963 bis 1967, für die Phase des auf dem VII. Parteitag der SED (1967) verkündeten Ökonomischen Systems des Sozialismus (ÖSS) sowie für die neueren Direktiven seit dem VIII. Parteitag der SED (1971). Die Bedeutung der WR. nach wie vor stark hervorhebend, heißt es in der Direktive des X. Parteitages der SED (1981) zum Fünfjahrplan 1981–1985: „Um den Kampf um höchste Effektivität wirksam zu unterstützen, sind die Kategorien der wirtschaftlichen Rechnungsführung wie Kosten, Gewinn, Preis, Kredit und Zins planmäßig so zu gestalten und zu nutzen, daß von ihnen eine hohe stimulierende Wirkung auf ein dynamisches Leistungswachstum, auf die Verbesserung der Produktions- und Exportstruktur, auf die Erhöhung der Grundfonds und Materialökonomie sowie auf eine rationelle Nutzung des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens ausgeht.“
Der Verwirklichung des Systems der WR. in der betrieblichen Praxis der DDR dient ein umfangreiches Bündel von Verfahrens- und Verhaltensweisen. Hierzu zählen u.a. das Sparsamkeitsregime („Spare mit jeder Sekunde, mit jedem Pfennig und jedem Gramm“), das Vertragssystem, das Dispatchersystem, Nutzung des technischen Fortschrittes, Standardisierung und Normung, Mechanisierung und Automatisierung, die Initiierung des Sozialistischen Wettbewerbs und seine Nutzung für innerbetriebliche WR. zum Zwecke der Steigerung der Arbeitsproduktivität sowie die Anwendung solcher mit dem „Wertgesetz“ verbundenen Kategorien wie Umsatz, Preis, Kosten, Gewinn, Lohn, Prämien, Produktionsfondsabgabe oder zinspflichtiger Kredit für die ökonomische Stimulierung der Betriebe.
Für den Zeitraum des Fünfjahrplanes 1981–1985 behandelt die VO über die weitere Vervollkommnung der WR. v. 28. 1. 1982 eingehend 6 Hauptanliegen:
1. Straffung der Kostenplanung und Entwicklung von Kostenkonzeptionen mit dem Ziel einer drastischen Kostensenkung,
[S. 1505]2. Erhöhung der ökonomischen Wirksamkeit des wissenschaftlich-technischen Fortschrittes,
3. Ausgestaltung der Fondsrechnung sowie Verstärkung des Einflusses von Kredit und Zins mit dem Ziel der unbedingten Erfüllung finanzieller Verpflichtungen — insbesondere der Gewinnabführung — gegenüber dem Staatshaushalt,
4. Verbesserung der rechnerischen und analytischen Grundlagen für die Preisbildung,
5. Stärkung der Verantwortung der Kombinate und Betriebe für die außenwirtschaftliche Tätigkeit,
6. Erhöhung der Verantwortung der Hauptbuchhalter im Rahmen ihrer Rechnungslegungs-, Kontroll-, Informations- und Anzeigepflichten.
In diesem Kontext ist gleichermaßen die Aufgabe gestellt, die innerbetriebliche WR. — verstanden als „eine verselbständigte nach innen gerichtete Form der WR … mit dem Ziel höchstmöglicher Effektivität“ — weiter auszugestalten, um Planung, Wettbewerbsführung, Haushaltsbuch und Prämierung enger miteinander zu verbinden.
Diese Hauptanliegen entspringen offensichtlich dem Bestreben, den von der DDR-Führung unleugbar erkannten Effektivitätsdefiziten im gegebenen Entwicklungsstadium vor allem durch betriebswirtschaftliche Maßnahmen zu begegnen. Dabei kommt nach den einschlägigen Kommentaren (so z.B. nach Harald Rost (SED), Stellvertreter des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission) der VO vom 28. 1. 1982 insofern besondere Bedeutung zu, als sie erstmalig „eine einheitliche, geschlossene, komplexe Rechtsvorschrift darstellt, in der die Anforderungen, Aufgaben und Maßnahmen zur Vervollkommnung der WR. zusammengefaßt enthalten sind“. Davon abgesehen bringt jedoch diese VO keineswegs etwas generell Neues.
Alle darin genannten Postulate zur Erhöhung der Wirksamkeit der WR. wie z.B. engere Verbindung mit der Planung, stärkere Ausrichtung auf die quantitativen Faktoren des Wirtschaftswachstums, bessere Erfüllung der Außenwirtschaftsverpflichtungen, Indienststellung für die sozialistische Intensivierung, Verbesserung der Meßfunktionen und ökonomischen Information, Vervollkommnung der Haushaltsbücher, Einsparung von Arbeitszeit und Material sowie insbesondere Senkung der Kosten sind vielfach bereits in früheren Verlautbarungen zu finden.
Wenn auch die WR. prinzipiell als ein komplexes Gesamtsystem für alle Tätigkeitsbereiche und Aktionsformen der VEB zu verstehen ist und ihre Funktionen — obwohl es sich vom Terminus her anbietet — keineswegs auf die Begriffe Buchführung oder Rechnungswesen reduziert werden dürfen, bilden dennoch eben diese Bereiche betriebswirtschaftlich zwangsläufig einen besonders wichtigen Bestandteil der verschiedenen Methoden, mit deren Hilfe die Erfüllung der Anforderungen der WR. stimuliert und kontrolliert werden soll.
In diesem Kontext ist auf mannigfaltige Verordnungen zur Ausgestaltung des grundsätzlich nach dem System der Doppelten Buchführung strukturierten betrieblichen Rechnungswesens in der DDR zu verweisen, bei denen vielfach Empfohlenes widerrufen und Widerrufenes erneut empfohlen wurde. (So z.B. VO über die Finanzwirtschaft volkseigener Betriebe von 1948, Grundsätze des „Neuen Rechnungswesens“ von 1952, VO über die Buchführung und buchhalterische Berichterstattung der volkseigenen Industriebetriebe von 1955, Selbstkostenverordnung vom 12. 7. 1962, Einführung des Einheitlichen Systems von Rechnungsführung und Statistik: ab 1968 gem. allgemeiner VO und industriebetrieblich ergänzender AO in den GBl. II — vom 5. und 30. 7. 1966, neu gefaßt gem. AO vom 20. 6. 1975 — GBl. I, S. 585 ff. und GBl.-SDr. Nr. 800, S. 1, VO über die Produktionsfondsabgabe vom 16. 12. 1970, AO über die zentrale staatliche Kalkulationsrichtlinie vom 1. 11. 1972 bzw. deren wiederholte Neufassungen, zuletzt vom 17. 11. 1983 — GBl. I, S. 341 f., oder AO Nr. 3 über Rechnungsführung und Statistik in den Betrieben und Kombinaten vom 6. 9. 1982 — GBl. I, S. 604).
Wie auch immer diese gesetzlichen Bestimmungen im einzelnen ausgestaltet sein mögen, läßt sich aus ihnen doch immer wieder das generelle Anliegen der Wirtschaftsorgane der DDR ablesen, das System der betrieblichen Wirtschaftsrechnung tendenziell aus einer statischen Gegenüberstellung von Aufwands- und Ertragskomponenten herauszuführen und dahingehend weiterzuentwickeln, daß es der Dynamik des Reproduktionsprozesses unter den Bedingungen der Wissenschaftlich-technischen Revolution (WTR) gerecht wird. Daß dieses Ziel bisher noch nicht erreicht ist, wird in den einschlägigen Verlautbarungen der DDR nicht nur nicht bestritten, sondern (so u.a. regelmäßig in den Präambeln der einschlägigen, etappenweise wiederkehrenden VO) ausdrücklich eingeräumt. Es ist folglich kein Zufall, daß in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur der DDR Probleme der Vervollkommnung und der weiteren Ausgestaltung der WR. — im Einklang mit neueren Diskussionen in der UdSSR unter dem Schlagwort „Die WR. im reifen Sozialismus“ — einen breiten Raum einnehmen.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 1503–1505
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