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Hier finden Sie die retrodigitalisierten Fassungen der Ausgaben 1993 bis 2020 des Jahrbuches für Historische Kommunismusforschung (JHK).

Weitere Bände werden sukzessive online gestellt. Die aktuelle Printausgabe folgt jeweils zwei Jahre nach ihrem Erscheinen.

Das Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung wurde 1993 von Hermann Weber (†) als internationales Forum zur Erforschung des Kommunismus als europäisches und globales Phänomen gegründet. Das Jahrbuch enthält Aufsätze, Miszellen, biografische Skizzen, Forschungsberichte sowie Dokumentationen und präsentiert auf diesem Weg einmal jährlich die neuesten Ergebnisse der internationalen Kommunismusforschung.

Seit 2004 wird das Jahrbuch im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur herausgegeben und erscheint aktuell im Berliner Metropol Verlag.

Herausgeber: Ulrich Mählert, Jörg Baberowski, Bernhard H. Bayerlein, Bernd Faulenbach, Peter Steinbach, Stefan Troebst, Manfred Wilke.

Wissenschaftlicher Beirat: Thomas Wegener Friis, Stefan Karner, Mark Kramer, Norman LaPorte, Krzysztof Ruchniewicz, Brigitte Studer, Krisztián Ungváry, Alexander Vatlin.

Bitte richten Sie Manuskriptangebote an die Redaktion: jhk[at]bundesstiftung-aufarbeitung.de

JHK 2006

Die sowjetische Besatzung in Österreich

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 393-400 | Aufbau Verlag

Autor/in: Jan Foitzik

Mueller, Wolfgang: Die sowjetische Besatzung in Österreich 1945–1955 und ihre  politische Mission, Wien u. a.: Böhlau Verlag 2005, 300 S., ISBN 3-205-77399-3

 

Mueller, Wolfgang/Suppan, Arnold/Naimark, Norman M./Bordjugov, Gennadij (Hrsg.): Sowjetische Politik in Österreich 1945–1955. Dokumente aus russischen Archiven/Sovetckaja politika v Avstrii 1945–1955 gg. Dokumenty iz Rossijskich archivov, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2005, 1119 S.,ISBN 3-7001-3536-8

 

Suppan, Arnold/Stourzh, Gerald/Mueller, Wolfgang (Hrsg.): Der österreichische Staatsvertrag 1955. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, nationale Identität/The Austrian State Treaty 1955. International Strategy, Legal Relevance, National Identity. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2005, 1019 S., ISBN 3-7001-3537-8

 

Im September 1955 verließen sowjetische Besatzungstruppen Österreich. Ihr Kriegsziel hatten sie erreicht und Österreich »dauerhaft« von Deutschland abgetrennt, wie es schon der Friedensvertrag von Saint Germain 1919 festgelegt hatte. Die Errichtung eines volksdemokratisch-sozialistischen Österreichs – das eigentliche politische Ziel der zehneinhalbjährigen Besatzung – scheiterte jedoch an den Wahlen der Jahre 1945 bis 1953, bei denen die »antisowjetischen« Volksparteien, die Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ), zwischen 80 und 95 Prozent der österreichischen Wählerstimmen auf sich vereinten, und zwar ohne dass das Wahlergebnis eine rechnerische Grundlage für eine sozialistisch-kommunistische Koalition bot. Im Vertrauen auf den ideologisch induzierten historischen Automatismus konfrontierten die sowjetische Besatzungsmacht und die KPÖ als ihr strategischer Handlanger die traditionell politisch westorientierten Österreicher mit einer konstanten, auf dogmatischen politischen Grundsätzen fußenden Strategie, die nicht nur politisch realitätsfern, sondern auch für die inneren Widersprüche ihrer eigenen Politik blind war. Die ideologische Besessenheit hemmte lediglich das risikoscheue außenpolitische Kalkül der Sowjetunion, die im Frühjahr 1948 auch den Gedanken an eine Abspaltung des sowjetisch besetzten Landesteils verbot, der 1947 in Moskau von der KPÖ-Führung vorgetragen worden war. Eine Zäsur in der sowjetischen Besatzungspolitik setzten die Nationalratswahlen vom 25. November 1945, von denen sich die UdSSR die Anerkennung der provisorischen Regierung Karl Renner durch die westlichen Alliierten versprach. Sie endeten mit einem innenpolitischen Fiasko der KPÖ, die trotz ihrer drittelparitätischen Regierungsbeteiligung nur auf 5,4 Prozent der Wählerstimmen kam. Damit schlug die konstruktive Politik der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich noch vor dem Beginn des offiziellen »Kalten Krieges« in konkrete Obstruktion und abstrakte Propaganda um.

Durch die Einbettung der sowjetischen Österreich-Politik in die ostmitteleuropäische Nachkriegsgeschichte gelingt es Wolfgang Mueller in seinem Buch über Die sowjetische Besatzung in Österreich 1945–1955 auf der Grundlage intensiver systematischer Recherchen in Moskauer Archivbeständen plausibel darzulegen, dass Österreich keinen »Sonderfall« in der sowjetischen Nachkriegspolitik darstellte. Den Streit zwischen den »Traditionalisten«, nach denen die UdSSR mittelfristig das Ziel eines sowjetisch kontrollierten Österreichs verfolgt habe, und den »Revisionisten«, für die die sowjetische Besatzungspolitik auf die Restauration Österreichs gerichtet gewesen sei,[1] führt Mueller auf die Unterschätzung der Rolle der UdSSR in der österreichischen Nachkriegspolitik zurück. Die Ergebnisse seiner Quellenstudien stellt er in vier Abschnitten vor, die problemorientiert in übersichtlich gegliederte chronologisch-systematische Kapitel unterteilt sind: I. Die sowjetische Österreich-Planung und -Politik 1938 bis 1945, II. Der sowjetische Besatzungsapparat in Österreich 1945 bis 1955, III. Die sowjetische Rolle beim Aufbau der politischen Strukturen in Österreich 1945, IV. Die politische Arbeit der sowjetischen Besatzung in Österreich 1946 bis 1955. Nach der Zusammenfassung werden im Anhang einige zentrale Dokumente über den sowjetischen Besatzungsapparat ediert. Besondere Beachtung verdient das Literaturverzeichnis, weil es die nur schwer erschließbare russische Fachliteratur enthält, die in den letzten anderthalb Jahrzehnten erschienen ist. Die politik- und institutionsgeschichtliche Fragestellung wird sehr diszipliniert durchgehalten, was der Arbeit eine klare Struktur gibt. Nicht zuletzt auch dank des fließenden Stils und eines für Dissertationen sehr moderaten Umfangs leistet die gut lesbare, materialreiche Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung nicht nur der österreichischen, sondern auch der mitteleuropäischen politischen Nachkriegsgeschichte.

Der Autor stellt den Vergleich mit Osteuropa und mit der Sowjetisch Besetzten Zone in Deutschland (SBZ) her, der an zahlreichen Stellen unmittelbar bestand bzw. sich aufdrängt. Evident war beispielsweise der Zusammenhang zwischen dem Ergebnis der ersten österreichischen Nationalratswahl 1945 und der Entwicklung in der SBZ, wo unmittelbar danach der Kurs auf die Vereinigung der zonalen KPD und SPD befohlen, aber auch mildere Töne in der sowjetischen Entnazifizierungspolitik eingeschlagen wurden. Auch in Österreich war schon Anfang Juni 1945 die Frage einer sozialistischen Einheitspartei aufgeworfen worden (S. 118), und Ende Mai 1946 entstand in Moskau nach SED-Vorbild der Plan einer paritätisch konstruierten »Sozialistischen Einheitspartei Österreichs«. Zur Realisierung sollte geschritten werden, sobald die KPÖ ihren Stimmenanteil verdoppelt hätte. Ab 1946 wurde dann eine Volksdemokratie nicht mehr als ein »unmittelbares Ziel«, sondern als ein »langfristiges Projekt« verfolgt. Die sowjetische Besatzungsmacht erschöpfte sich jedoch im »kleinlichen Bevormunden«, wie sie es selbst nannte, also in Schikane. In enger Kooperation mit ihr verschärfte die KPÖ den Kurs auf Volksdemokratie. Nach der Kominform-Gründung trug sie sogar den kollektiven Abschied von »parlamentarischen Illusionen« mit und betrieb »Opposition«. Im Oktober 1947 führte die KPÖ-Führung in Budapest eine geheime Besprechung mit Vertretern des sowjetischen ZK über eine Abtrennung der österreichischen Ostzone und wiederholte diesen Spaltungsvorschlag auch im März 1948 in Moskau, wo ihn Andrej Ždanov ablehnte und der KPÖ statt dessen die SED-Propaganda über die Einheit Deutschlands als Vorbild hinstellte. Desinteressiert war die UdSSR auch an den separatistischen Plänen der KPÖ zur Schaffung eines sowjetisch dominierten Wirtschaftsraumes – einer politisch-ökonomischen Sonderentwicklung in der Sowjetzone – die als ein österreichisches Gegenstück zur ostdeutschen Magnettheorie die Attraktivität des sozialistischen Wirtschaftsmodells demonstrieren sollte. Die Gründe für die sowjetische Ablehnung leuchten sofort ein, sobald man sich die Wirtschaftsstatistiken anschaut: Die österreichische Ostzone war ohne massive Subventionen durch die Zentralregierung nicht lebensfähig.

Doch die politischen Parallelen zur Entwicklung in der SBZ gingen weiter: Noch nach der kommunistischen Machtübernahme in Prag 1948 versuchte die KPÖ, durch Parteien-Neubildungen wie in der SBZ die ÖVP und die SPÖ unter politischen Druck zu setzen oder gar zu ersetzen, um eine Volksfront zu erreichen. Und noch 1952 fand der Versuch zur Bildung einer KPÖ-geführten »Nationaldemokratischen Front« mit volksdemokratischer Perspektive statt, doch die Abspaltung von »linken« Kräften aus SPÖ und ÖVP misslang abermals. Die Wahlergebnisse von 1953 bestätigten, dass SPÖ und ÖVP über 80 Prozent der Stimmen binden konnten.

Die Gemeinsamkeiten wie auch die Unterschiede zur SBZ und SED eröffnen auch heute oft neue Einblicke in die deutsche und osteuropäische Nachkriegsgeschichte. In der sowjetischen Besatzungsverwaltung in Deutschland galt Österreich beispielsweise im Dezember 1946 als negatives Beispiel dafür, dass dort der Regierung zu große Vollmachten gewährt worden seien. Die in Österreich gemachten sowjetischen Erfahrungen dürften ebenfalls Einfluss auf deren Politik in Osteuropa gehabt haben. Unter den Unterschieden fällt auf, dass die Dokumente belegen, dass die KPÖ-Führung viel intensiver an direkten Kontakten zu Stalin interessiert war als die SED. 

Aus der österreichischen Perspektive gesehen, entsprach es durchaus der damaligen kommunistischen Taktik, dass die UdSSR mit der provisorischen Regierung Renner ein Hilfsinstrument der sowjetischen Besatzungsmacht für Verwaltungs- und Versorgungsaufgaben installierte, um die Führungen besser »vor den Massen kompromittieren« zu können, wie damals hinter verschlossenen Türen in Prag formuliert wurde. Zwar genossen auch in Österreich die Parteivertreter eine herausgehobene Stellung im Kabinett, doch ohne »sozialistischen« oder »Parteien-Block« wie in der SBZ und in Osteuropa waren österreichische Kommunisten nicht imstande, dieses Verfassungsnovum politisch zu nutzen. Hierin unterschied sich das österreichische Konkordanzmodell, getragen von weiterhin miteinander frei konkurrierenden politischen Parteien, von der volksdemokratischen Vertragskonkordanz mit gefesselten politischen Parteien als Teilnehmern: Freie Wahlen (wie in Ungarn) oder eine starke Opposition (wie in Polen) garantierten allein kein freies demokratisches Kräftespiel. Zudem gelang es in Österreich schon in den ersten Nachkriegsmonaten, die öffentliche Verwaltung auf der Grundlage der verfassungsrechtlichen Grundsätze »von oben nach unten« zu kontrollieren, während sonst in Osteuropa und in der SBZ die Taktik angewandt wurde, die Verantwortung ausschließlich »oben« anzusiedeln, die tatsächliche Macht aber bei den revolutionären Verwaltungskörperschaften »unten« zu belassen. So wurde in Österreich eine Vormachtstellung der Exekutive verhindert, die für die Volksdemokratien in Ostmitteleuropa charakteristisch war. Das Legalitätsprinzip wurde wieder hergestellt, während außerhalb Österreichs im sowjetischen Einflussbereich mit Hilfe von zunächst temporär eingesetzten Sondergerichten bald auch die Unabhängigkeit der Judikative zerstört wurde. Es sticht zwar ins Auge, dass der provisorische Bundeskanzler Renner das verordnete Einstimmigkeitsprinzip bei Regierungsentscheidungen eigenwillig interpretierte und kommunistische Minderheitsvoten mit Berufung auf dieses Prinzip einfach überging, indem er Mehrheitsbeschlüsse sozusagen mit seiner eigenen Stimme »einstimmig« machte. Diese amüsante Anekdote wirkt jedoch nur auf dem Resonanzboden der ordentlichen, verfassungsmäßigen Grundlagen. Die Beauftragung Renners mit der Bildung einer provisorischen Regierung im Mai 1945 stellte bereits die Weichen für die österreichische Entwicklung. Renners autokratische Entscheidung für die Verfassung von 1929 ließ den Protest der KPÖ in der Verfassungsfrage verpuffen, nachdem es die SPÖ schon im April/Mai 1945 abgelehnt hatte, politische Ersatz-Gremien in Form von Einheitsorganisationen oder eine Aktionsgemeinschaft KPÖ-SPÖ zu bilden, die als Druckmittel auf parlamentarische Körperschaften und ihre Vollzugsorgane hätten eingesetzt werden können. 

Die im Auftrag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erarbeitete und von Wolfgang Mueller, Arnold Suppan, Norman M. Naimark und Gennadij

Bordjugov herausgegebene Edition über Die Sowjetische Politik in Österreich 1945–1955 verfolgt das Ziel, sowjetische Dokumente zur Politik der UdSSR in Österreich zwischen 1945 und 1955 zugänglich zu machen. Die mehrheitlich erstmals veröffentlichten Dokumente vervollständigen die von Gerald Stourzh und Stefan Karner vorgelegten Dokumenteneditionen.[2] Synchron in der russischen Originalfassung und in deutscher Übersetzung werden insgesamt 101 Dokumente aus der Zeit vom 2. April 1945 bis zum 25. November 1955 vorgestellt. Sie sind in chronologischer Reihenfolge angeordnet und fortlaufend numeriert. Die Einleitung der Herausgeber fasst die politische Nachkriegsentwicklung knapp zusammen und ordnet die Dokumente ein (S. 18–55). Besonders wertvoll ist der von Börris Kuzmany verfasste Artikel über »Die Sprache der Dokumente als Zeugnis sowjetischen Denkens« (S. 57–73), dessen Lektüre jeder begrüßen wird, der mit sowjetischen Quellentexten arbeitet. Glossar, Literaturverzeichnis, Personenregister mit kurzen biographischen Angaben sowie ein Ortsregister erleichtern die Handhabung dieses zweisprachigen Werkes. Insgesamt kann die Bearbeitung und die Ausstattung als beispielhaft gelten, zumal ein geschickter Kompromiss zwischen der (starren) russischen und der (beweglichen) westlichen Editionsdogmatik gefunden wurde. Dennoch vermisst zumindest der nichtösterreichische Leser an einigen Stellen eine Hilfestellung, die sicherlich auch für russische Benutzer nützlich wäre. Auf S. 317 beispielsweise ist von einer 1945 festgesetzten Dollar-Schilling-Parität von 1 : 10 die Rede, gegenüber früher 1 Dollar = 3,5 Schilling; der Umrechnungskurs für österreichische Schillinge irritiert den Nichtinformierten wegen der etwa gleichen Reichsmark- Dollar-Parität. Gleiches gilt für die im Dokument Nr. 15 vom sowjetischen Politbüro am 5. Juni 1945 beschlossene sowjetische Anleihe an die österreichische Regierung in Höhe von 400 Millionen Reichsmark, da sie ohne Erläuterung weder rechtlich-politisch noch ökonomisch oder fiskalisch eingeordnet werden kann. 

 Die meisten Dokumente sind Rechenschaftsberichte der Besatzungsverwaltung sowie Beschlüsse, Weisungen und Anordnungen vorgesetzter Behörden der Besatzungsmacht. Wiedergegeben sind ebenfalls Programmdokumente der KPÖ und Briefe ihrer Führer an Stalin. Insgesamt wird die Tätigkeit und Politik der sowjetischen Besatzungsmacht recht breit dokumentiert.

Systematisch lassen sich die Dokumente in drei Teile einordnen, wobei die 25 aus dem Jahr 1945 abgedruckten Dokumente eine Sondergruppe bilden. Sie enthalten Informationen über die erste Phase der Besatzungsverwaltung und den Wiederaufbau österreichischer Verwaltungs- und politischer Strukturen. Einzigartig ist hierbei das aus dem Archiv des Präsidenten der Russischen Föderation stammende Dokument Nr. 18 vom 4. Juli 1945, insbesondere die auf S. 179–181 abgedruckte »Instruktion über die Tätigkeit des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich«. Einzigartig schon deshalb, weil ein entsprechendes Dokument für die SMAD fehlt und die Klarheit der darin fixierten Arbeitsziele auch als Interpretationshilfe für die Tagesaufgaben der sowjetischen Besatzungspolitik in der SBZ dienen kann. Etwa der Punkt 15 der Instruktion mit der Überschrift »Militärzensur über die Presse«.

Der zweite Teil umfasst die nach den Wahlen von 1945 entstandenen Dokumente, nachdem »die politischen Positionen der Reaktion und der AngloAmerikaner in Österreich gestärkt« worden sind, wie es im Dokument Nr. 26 vom 15. Januar 1946 heißt. Sie sind schon im Hinblick auf die Entwicklung der Ost-West-Konfrontation interessant, weil entgegen den gängigen Klischees in Österreich der »Kalte Krieg« schon »vereist« war, bevor der globale überhaupt erst begann. Die Fakten werden »weicher«. Mehrheitlich enthalten die Papiere die allseits bekannten Lamenti über die Schlechtigkeit der Welt im Allgemeinen und aller ihrer Teile im Besonderen. Den Gesamteindruck, dass ab Frühjahr 1948 die sowjetische Politik in Österreich primär aus Propaganda bestand, bestätigen die abgedruckten Dokumente, z. B. die Dokumente Nr. 60 vom 19. August 1949 oder Nr. 62 vom 8. Dezember 1949 »über Vorbereitung und Durchführung« von Plenen des ZK der KPÖ in Zusammenarbeit mit der Besatzungsverwaltung oder das Dokument Nr. 67 vom 27. April 1950 über »Säuberungen« in der KPÖ. Die Partei verlor dabei 20 Prozent ihrer Mitglieder, die zur Hälfte in Wien beheimatet und zu einem weiteren Viertel Beschäftigte der sowjetischen Unternehmen in Österreich waren. Aus deutscher Sicht geradezu Aufsehen erregend ist das Dokument Nr. 74 vom 21. Februar 1951, das detailliert über Zensurmaßnahmen der Besatzungsverwaltung Auskunft gibt. Zu einem Zeitpunkt, als die DDR-Verfassung bereits »die Freiheit des Wortes« usw. garantierte. Solche und ähnliche Details konterkarieren nebenbei trefflich die geschichtsmächtigen Rückwirkungsfolgen der Leistungen der SED-Geschichtsschreibung, die sich im ironischen Sinne noch heute auch in den postsowjetischen Aktenablagen feststellen lassen. Nicht nur, dass der Ausdruck Zensur im Kontext der SBZ/DDR-Geschichte nach wie vor ein immanentes Tabu bleibt. Auch die angebliche Sonderbehandlung Deutschlands, in dem – wie es in Muellers Dissertation an einer Stelle heißt – »Kulturoffiziere« und nicht wie in Österreich nur gewöhnliche »Propagandaoffiziere« eingesetzt wurden, ist nur eine gefälschte Ikone aus dem Bestand des DDR-Kulturministeriums, auf die die etwa in den 1970er Jahren zu »Kulturoffizieren« Beförderten instinktiv mit Skepsis reagierten, weil sie aus ihrer praktischen Erfahrung in Deutschland noch das »deutsche« Vorurteil in

Erinnerung behalten hatten, »wer von wem Kultur gelernt hat«.[3] 

Den dritten Teil leitet das Dokument Nr. 77 vom 17. Oktober 1951 ein: Der Bericht der Außenpolitischen Kommission des ZK der VKP (b) und der Politischen Hauptverwaltung der sowjetischen Armee »Über die Arbeit des Sowjetischen Teils der Alliierten Kommission für Österreich und Maßnahmen zur Stärkung des sowjetischen Einflusses in Österreich« und die dazu gehörigen Beschlüsse des sowjetischen Politbüros vom 18. Oktober (Dokument Nr. 78) und 1. November 1951 (Dokument Nr. 79) sowie die Ausführungsbeschlüsse und Verordnungen des Ministerrates der UdSSR vom Februar 1952 (Dokument Nr. 80) über die Umstrukturierung der sowjetischen Besatzungsverwaltung und eine stärkere Ausrichtung ihrer Tätigkeit auf die »Demokratisierung der sowjetischen Zone«. Interesse verdient die Verschärfung des politischen Kurses allein wegen der zur gleichen Zeit gestarteten Initiative Stalins zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf demokratischer Grundlage, denn als »demokratisch« wurde damals »partei- und regierungsamtlich« nur noch die KPÖ und ihre Vorfeldorganisationen bezeichnet. 

Der Gesamteindruck, dass Propaganda die tragende Konstante der sowjetischen Politik in Österreich blieb, lässt sich wohl nicht korrigieren. Und so freut man sich, wenn etwa auf S. 947 von der »Aktivierung deutscher Agenten in Westösterreich […] in Form von Touristen« die Rede ist oder in dem (nicht minder redundanten zwanzigseitigen) Arbeitsbericht des Vertreters des sowjetischen Hochkommissars für Oberösterreich für das Jahr 1954 vom 17. Februar 1955 die versöhnlich stimmende Feststellung entdeckt: »Die Beziehungen zwischen den sowjetischen Besatzungsbehörden und den österreichischen Behördenorganen […] haben sich verbessert und bleiben weiterhin normal.« Ein kurzer Blick in die russische Originalfassung genügt, um festzustellen, dass es so wortwörtlich auch nach Moskau gemeldet wurde und dort vermutlich im gleichen Sinne verstanden wurde wie heute … Lesen kann man die Dokumente kaum, sondern nur auswerten. Der Arbeitsaufwand der Herausgeber, Übersetzer und Bearbeiter kann nicht hoch genug gewürdigt werden.

Der 50. Jahrestag der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags am 15. Mai 1955 wurde von der österreichischen Zeitgeschichtsschreibung mit großen Arbeitsanstrengungen gefeiert. Die Bewältigung der russischen Aktenüberlieferung stand zwar aus nahe liegenden Gründen im Zentrum der Aufmerksamkeit der Forschung, der vorliegende Sammelband führt jedoch den in den vorangegangenen Jahrzehnten erreichten Forschungsstand zusammen, den der Nestor der österreichischen Zeitgeschichtsschreibung Gerald Stourzh unter dem Titel Der österreichische Staatsvertrag in den weltpolitischen Entscheidungsprozessen des Jahres 1955 in einer systematisierenden Darstellung aufzeigt. Darin wird nicht nur die politik- und diplomatiegeschichtliche Entwicklung von 1945 bis 1955 vorzüglich strukturiert, sondern auch die kulturellen und mentalgeschichtlichen Folgen der Auseinandersetzung der Österreicher mit der »jüngeren« Vergangenheit ihres Landes thematisiert.

Insgesamt enthält der Sammelband 33 Beiträge international renommierter Historiker, Völkerrechtler und Diplomaten. Etwa ein Drittel der Texte ist in englischer Sprache abgedruckt. Der thematische wie auch zeitliche Rahmen ist sehr weit gesteckt. Die Beiträge sind in acht thematische Gruppen eingeteilt. Der sowjetischen Politik wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Großen Raum nehmen aber auch die Probleme der deutsch-österreichischen Beziehungsgeschichte ein. Der zeitliche Bogen wird in den Abschnitten »Minderheitenschutz- und Völkerrechtsfragen« sowie »Neutralität, europäische Integration, österreichische Identität« bis in die 1990er Jahre gespannt. Auch die österreichische Innenpolitik wird nicht ausgespart. So bietet der Band ein imposantes Kompendium der österreichischen Zeitgeschichte mit einigen informativen Beiträgen zur österreichischen Nationalidentität. 

Aufmerksamkeit verdienen aus deutscher Sicht, mit Blick auf »neue Funde« in russischen Archiven, vor allem die Beiträge von Wolfgang Mueller über die sowjetische Haltung zum Staatsvertrag 1946 bis 1952 und von Alexei Filitow über einige Details in den Zusammenhängen zwischen dem österreichischen Staatsvertrag, der »deutschen Frage« und den Nachfolgekämpfen nach Stalins Tod. Behandelt werden nicht nur die Aspekte der internationalen Politik aller Großmächte, sondern auch der direkten Nachbarstaaten Italien und Jugoslawien. Auch Finnland, Schweden und Polen wurden mit Beiträgen bedacht. Stellenweise stellt sich hier jedoch das Gefühl einer gewissen »Detailübersättigung« ein, die die englischsprachigen Texte noch verstärken. »Krisen und Irritationen im deutsch-österreichischen Verhältnis 1955–59« untersucht Matthias Pape, mit Vermögensfragen im deutsch-österreichischen Verhältnis beschäftigt sich Rudolf Jeřábek. Probleme der deutsch-österreichischen Beziehungen, die Parallelität und Interdependenz der Geschichte beider Länder bilden schließlich sogar einen eigenen Schwerpunkt. In den letzten beiden Abschnitten steht die österreichische Neutralität im Focus völkerrechtlicher, international-politischer und national-kultureller Untersuchungen. Spätestens hier werden die subkutanen Zusammenhänge eher Spezialisten ansprechen. Der Sammelband bedient viele Interessen gleichzeitig. Generalisten bietet er einen vorzüglichen Überblick über den Forschungsstand in der österreichischen Zeitgeschichte und über die Grundzüge ihrer jüngsten Entwicklung. Spezialisten werden insbesondere über innenpolitische Kontexte des Staatsvertrags (z. B. Entnazifizierung und Restitutionsfragen) oder etwa über die komplexen Details seiner modernen völkerrechtlichen Interpretation informiert. Für den Einzelnutzer kein leicht handhabbares Buch, eher ein informationsträchtiges Nachschlagewerk, das man sich griffbereit im Bücherregal wünscht.

 

 


[1] Siehe hierzu Mueller, Wolfgang: Stalin, Renner und die Wiedergeburt Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 54 (2006), H. 1, S. 125–154.

[2] Stourzh, Gerald: Um Einheit und Freiheit: Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der OstWest-Besetzung Österreichs 1945–1955, Wien 1998; Karner, Stefan/Stelzl-Marx, Barbara/

Tschubarjan, Alexander (Hrsg.): Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945– 1955. Dokumente/Krasnaja Armija v Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945–1955, Graz/Wien/ München 2005.

[3] Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass in einem Rechenschaftsbericht der All-UnionsGesellschaft für Kulturelle Beziehungen mit dem Ausland (VOKS) aus dem Jahr 1946 der Ausdruck »Kulturoffiziere« auftaucht. Er wurde dort auf Deutschland und Österreich bezogen. Siehe Rossijskij gosudarstvennyj archiv social’no-političeskoj istorii/Russisches Staatsarchiv für sozial-politische Geschichte (RGASPI), f. 17, op. 128, d. 84, Bl. 82. 

Inhalt – JHK 2006

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