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Hier finden Sie die retrodigitalisierten Fassungen der Ausgaben 1993 bis 2020 des Jahrbuches für Historische Kommunismusforschung (JHK).

Weitere Bände werden sukzessive online gestellt. Die aktuelle Printausgabe folgt jeweils zwei Jahre nach ihrem Erscheinen.

Das Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung wurde 1993 von Hermann Weber (†) als internationales Forum zur Erforschung des Kommunismus als europäisches und globales Phänomen gegründet. Das Jahrbuch enthält Aufsätze, Miszellen, biografische Skizzen, Forschungsberichte sowie Dokumentationen und präsentiert auf diesem Weg einmal jährlich die neuesten Ergebnisse der internationalen Kommunismusforschung.

Seit 2004 wird das Jahrbuch im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur herausgegeben und erscheint aktuell im Berliner Metropol Verlag.

Herausgeber: Ulrich Mählert, Jörg Baberowski, Bernhard H. Bayerlein, Bernd Faulenbach, Peter Steinbach, Stefan Troebst, Manfred Wilke.

Wissenschaftlicher Beirat: Thomas Wegener Friis, Stefan Karner, Mark Kramer, Norman LaPorte, Krzysztof Ruchniewicz, Brigitte Studer, Krisztián Ungváry, Alexander Vatlin.

Bitte richten Sie Manuskriptangebote an die Redaktion: jhk[at]bundesstiftung-aufarbeitung.de

JHK 2007

Stalins Vollstrecker. Biographisches zu den sowjetischen Geheimdienstchefs Ivan Serov, Viktor Abakumov und Sergej Kruglov

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 429-437 | Aufbau Verlag

Autor/in: Matthias Uhl

Petrov, Nikita Vasil’evič: Pervyj predsedatel’ KGB Ivan Serov [Der erste Vorsitzende des KGB Ivan Serov], Moskau: Materik 2005, 416 S., ISBN 5-85646-129-0

Smyslov, Oleg Sergeevič: General Abakumov. Vsesil’nyj chozjain SMERŠa [General Abakumov. Der allmächtige Herr der SMERŠ], Moskau: Veče 2005, 448 S., ISBN 5-9533-0974-0

Abramov, Vadim: Abakumov – načal’nik SMERŠa. Vzlet i gibel’ ljubimca Stalina [Abakumov – Chef der SMERŠ. Aufstieg und Sterben des Stalin-Lieblings], Moskau: Jauza u. Ėksmo 2005, 352 S., ISBN 5-699-12315-6

Bogdanov, Jurij Nikolaevič: Ministr stalinskich stroek. 10 let vo glave MVD [Minister der Stalinschen Bauten. 10 Jahre an der Spitze des MVD], Moskau: Veče 2006, 608 S., ISBN 5-9533-1690-9

In den letzten 15 Jahren wurden in Russland mehr als 3 000 Bücher über die sowjetischen Geheimdienste Tscheka, GPU, OGPU, NKVD/NKGB, MVD/ MGB und KGB veröffentlicht. Im Blickpunkt der letzten Jahre standen dabei v. a. die handelnden Personen. Rund 750 Memoiren und Biographien sowjetischer Staatssicherheitsminister, Nachrichtendienstfunktionäre, Geheimdienstoffiziere und Agenten wurden seit 1991 auf den russischen Buchmarkt geworfen. Vier Neuerscheinungen zu den Geheimdienstchefs Ivan Serov (erster KGBVorsitzender 1954 bis 1958), Viktor Abakumov (Minister für Staatssicherheit 1946 bis 1951) und Sergej Kruglov (Minister des Innern 1946 bis 1956)[1] sollen an dieser Stelle diskutiert werden. Die Präsentation der Biographien zeigt Chancen und Grenzen der neueren russischen Historiographie zum Wirken der Geheimdienste auf. 

Der »Große Terror« 1937/38 bedeutete nicht nur Leiden und Tod für Millionen von Menschen, zugleich eröffnete er einer ganzen Generation einmalige Aufstiegschancen im politischen und wirtschaftlichen System der Sowjetunion unter Stalin. Das Imperium der übermächtigen Geheimpolizei NKVD bildete hierbei keine Ausnahme. Hier spülten die Säuberungen die genannten drei Männer ins Zentrum des wichtigsten Herrschaftsinstrumentes. Sie verbanden ihren unbedingten Aufstiegswillen mit den Karrierechancen, die die Diktatur bot, und gelangten durch absolute Loyalität und widerspruchslose Umsetzung der ihnen von der kommunistischen Partei gestellten Aufgaben an die Spitze des polykratischen Geheimdienstapparates. 

Die Herkunft von Serov (geb. 1905), Abakumov (geb. 1907) und Kruglov (geb. 1908) ähnelt sich in auffallender Weise. Alle drei entstammen drei niedrigen sozialen Schichten. Ivan Aleksandrovič Serov wurde, ebenso wie Sergej Nikovorovič Kruglov, als Sohn landarmer Bauern geboren. Viktor Semenovič Abakumovs Vater war Fabrikarbeiter in Moskau, seine Mutter Putzfrau. 

Auf die steilste Karriere der drei Geheimpolizeichefs konnte Ivan Aleksandrovič Serov zurückblicken. Seinem Aufstieg und Fall widmete der Memorial-Mitarbeiter Nikita Petrov, der bereits 2002 zusammen mit Mark Jansen eine überaus gelungene Ežov-Biographie vorgelegt hatte, ein 2005 in Moskau beim Verlag Materik erschienenes Buch. Serov, der 1923 seine Schulbildung beendete und im gleichen Jahr in den Komsomol eintrat, setzte zunächst auf eine Karriere in der Armee. 1925 begann er ein Studium an der Militärschule in Leningrad. Ein Jahr später wurde er Parteimitglied. Von 1928 bis 1938 blieb er Angehöriger der Roten Armee, wo er vom Zugführer bis zum Stabschef eines Regimentes im Rang eines Majors aufstieg. Nach Abschluss der als »Kaderschmiede« geltenden Frunse-Militärakademie gelangte Serov als Seiteneinsteiger zum NKVD, wo er auf Beschluss der VKP(b) sofort zum stellvertretenden Chef der Hauptverwaltung Miliz berufen wurde. Gleichzeitig beförderte ihn die Partei zum Major der Staatssicherheit, was dem Rang eines Brigadekommandeurs bei den Streitkräften entsprach. 

Ähnlich steil verlief auch die Karriere Kruglovs, der allerdings beim Aufstieg zunächst auf die Partei setzte. Wie Serov war auch er 1923 in den Komsomol eingetreten, Mitglied der VKP(b) wurde er 1928. Nach der Arbeit als Traktorist und dem Wehrdienst studierte er von 1931 bis 1937 in Moskau, um dann im ZK der VKP(b) als Mitarbeiter der Abteilung Parteiführungsorgane tätig zu sein. Ein gutes Jahr später wurde Kruglov im Zuge des Amtsantritts von Lavrentij Berija als NKVD-Chef zum »Sonderbevollmächtigten« des Volkskommissariates für Inneres ernannt, um dort nach dem Ende des »Großen Terrors« die internen Säuberungen durchzuführen. Auch er erhielt den Rang eines Majors der Staatssicherheit.  Obgleich diese Seiteneinsteigerprofile äußerst interessant sind, können weder Petrov noch der Autor der Kruglov-Biographie, Jurij Bogdanov, genaue Gründe dafür angeben, warum die Wahl der Parteiführung ausgerechnet auf diese beiden Kandidaten fiel. Fest steht jedoch, dass die Berufung in derart hohe Funktionen ohne Zustimmung der höchsten Machtstellen nicht erfolgt wäre. 

Abakumov hingegen begann seine Karriere bereits früh beim Geheimdienst. Bereits als 13-jähriger hatte er der 2. Moskauer Brigade der Sondereinheiten des ZK der VKP(b) angehört. 1925 war er zunächst als Arbeiter tätig, zwei Jahre später wechselte er zum Industriewachschutz in Moskau, im selben Jahr trat er in den Komsomol ein. 1930 wurde er Komsomolsekretär eines Pressenwerkes, ein Jahr später Leiter der Militärabteilung des Kreiskomitees des Komsomol Zamoskvoreckogo1932 begann er ein Praktikum bei der Wirtschaftsabteilung der OGPU. 1934 wechselte er zur Abteilung Lagerbewachung des GULag. 1937 wird er Leutnant der Staatssicherheit in der Politischen Geheimabteilung der Hauptverwaltung Staatssicherheit. Ein gutes Jahr später ist der unter Protektion seines Chefs Bogdan Kobulov stehende Abakumov bereits Leiter des NKVD im Gebiet Rostov und Hauptmann der Staatssicherheit. 

1939 ist für Serov und Kruglov das Schlüsseljahr ihrer weiteren Karriere. Wenige Wochen nach Dienstantritt im Geheimdienst erhält Serov den Chefposten der Hauptverwaltung Miliz. Ende Juli 1939 ist er Leiter der 2. Abteilung der Hauptverwaltung für Staatssicherheit und am 2. September desselben Jahres Innenminister der Ukrainischen SSR. Im gleichen Jahr wird er ebenfalls zum Kommissar der Staatssicherheit III. Ranges befördert und steht damit im Rang eines Korpskommandeurs. Wenige Tage nach seiner Ernennung greift die UdSSR entsprechend dem Geheimprotokoll des Nichtangriffspaktes Polen an und besetzt die so genannte »Westukraine«. Bei der Sowjetisierung dieser Territorien ist Serov, der für seine »Verdienste« den ersten seiner vier Leninorden erhält, an Massenerschießungen polnischer Offiziere beteiligt. Allein in Charkov werden im Mai 1940 insgesamt 3 820 polnische Militärangehörige erschossen. Auch im 1940 besetzten Baltikum empfiehlt sich der Geheimdienstoffizier als brutaler Sowjetisierer. 

Kruglov festigt währenddessen seine Position im NKVD als einflussreicher Chef der Kaderabteilung und wird damit stellvertretender Geheimdienstchef. Zugleich steigt er in der Parteinomenklatur zum Kandidaten des ZK auf. 

Abakumov wird in dieser Zeit ebenfalls zum stellvertretenden Volkskommissar des NKVD befördert und übernimmt die 3. Abteilung, die für Spionageabwehr bei der Miliz, den NKVD- und Grenztruppen verantwortlich ist. Von Mai bis Juni 1941 ist er in Estland an »Maßnahmen zur Säuberung« des Baltikums »von antisowjetischen, kriminellen und sozial gefährlichen Elementen« beteiligt. 

Mit Beginn des deutschen Angriffes auf die Sowjetunion steigt Abakumov zum Chef der Spionageabwehr auf, deren Aufgabe jetzt der Kampf gegen Spionage und Verrat in der Roten Armee sowie gegen Deserteure im Frontbereich ist. Allein zwischen dem 22. Juni und dem 1. Dezember 1941 nahm die Militärabwehr des NKVD mehr als 35 000 Personen fest, von denen 14 473 erschossen wurden. Gleichwohl gelang es in den ersten Kriegsjahren kaum, die Zahl der Deserteure merklich zu senken. Doch selbst wer sich aus der deutschen Einkreisung zur Frontlinie durchgeschlagen hatte, geriet in die Fänge Abakumovs. Bis Ende 1942 landeten 354 592 Soldaten und Offiziere der Roten Armee, die sich aus den Kesseln der Wehrmacht oder aus der Gefangenschaft befreit hatten, in 27 Speziallagern, wo sie brutalen Verhören und Überprüfungen unterzogen wurden. Am 19. April 1943 kam es schließlich zur Bildung der SMERŠ. Hinter dieser Abkürzung, die »Smert’ špionam!« (Tod den Spionen!) bedeutet, verbarg sich die neu gebildete Militärabwehr des Verteidigungsministeriums, der ab jetzt alle Streitkräfte unterstanden. Zu ihrem Chef wurde ebenfalls Abakumov ernannt. 

Währenddessen betätigte sich Serov als »Umsiedlungsspezialist«. Nachdem er 1940 hauptverantwortlich für die Deportationen in den Baltischen Staaten und den ostpolnischen Gebieten gewesen war, leitete er 1941 die brutale Verschleppung der Russlanddeutschen von der Wolga nach Kasachstan. 1943/44 ließ Serov aus dem Kaukasus Kalmüken, Tschetschenen, Karatschajer, Krimtartaren, Kabardiner deportieren. 

Auch Kruglov erdiente seine Meriten in der Etappe, wobei eine seiner Hauptaufgaben war, das GULag-Imperium ständig mit frischen Arbeitskräften aus der wachsenden Zahl von Deportierten zu versorgen. Mit Serov zusammen organisierte er dann ab 1943 die Verschleppung der Kaukasusvölker nach Sibirien. 1944 verantworteten beide die erneute Sowjetisierung der Westukraine und führten einen brutalen Kampf gegen ukrainische Nationalisten. 

Ende 1944 waren die Sowjetisierungserfahrungen der drei erstmals außerhalb der UdSSR gefragt. Als NKVD-Bevollmächtigter der 1. Belorussischen Front war Serov maßgeblich an der Niederschlagung der antisowjetischen Opposition in Polen beteiligt. Im Winter 1944/45 besetzten sowjetische Truppen erstmals Gebiete des Deutschen Reiches. Serov, Kruglov und Abakumov übernahmen jetzt die »Säuberung« dieser Territorien und griffen dabei auf die erprobten Gewaltinstrumente zurück. Da allerdings selbst der massive Einsatz des NKVD bewaffnete Aktionen der Deutschen im Rücken der sowjetischen Front nicht vollständig verhindern konnte, erhielt der Oberbefehlshaber der 1. Belorussischen Front im Februar 1945 folgende Direktive Stalins: »Mit dem Ziel der Unterbindung von Versuchen, Terrorakte zu verüben, befahl das GKO [Staatliche Verteidigungskomitee] mit der Verfügung Nr. 7467 vom 3. Februar 1945: Der Oberkommandierende Žukov hat zusammen mit dem Bevollmächtigten des NKVD Serov entschiedene Maßnahmen durchzuführen. Gegen Personen, die bei Terrorakten verhaftet werden, sind allerhärteste Strafen zu verhängen. Alle Deutschen im Alter zwischen 17 und 50 Jahren sind, soweit zu physischer Arbeit tauglich, zu mobilisieren und zur Verwendung von Arbeiten in der UdSSR in Arbeitsbataillonen zu 750 bis 1 200 Mann zu formieren.«[2]

Der Terminus »allerhärteste Strafen« erfuhr im entsprechenden NKVD-Befehl Nr. 0061 vom 6. Februar 1945 eine wesentlich eindeutigere Erläuterung: »Personen, die nachweislich terroristische und Diversionshandlungen begangen haben, sind noch am Schauplatz ihres Verbrechens zu liquidieren«.

Bis zum 13. Juni 1945 wurden vom NKVD in Polen und Deutschland mehr als 422 449 Personen als »feindliche Elemente« verhaftet. Um Angriffe auf die Truppen der Roten Armee zu verhindern, griff das NKVD, entsprechend dem Befehl Nr. 0061, auf die Hinrichtung von Geiseln zurück. Im Befehlsbereich Serovs wurden im Rahmen solcher Aktionen 567 Volkssturmangehörige und NSDAP-Mitglieder erschossen. 

Die Lektüre der vier Biographien zeigt anschaulich, dass persönliche Rivalitäten und Animositäten die Entwicklung in der SBZ prägten. Auch im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands westlich der Oder änderte sich die Vorgehensweise des NKVD zunächst nicht. Bereits unmittelbar nach Kriegsende verfolgte das NKVD nicht nur Kriegsverbrecher und politische Gegner der UdSSR, sondern beeinflusste auch die Neuorganisation der örtlichen deutschen Selbstverwaltungsorgane entscheidend. Entsprechend der sowjetischen Losung »Die Kader entscheiden alles« wurde viel Sorgfalt auf die Auswahl geeigneter Amtsträger aufgewandt. Hier fiel dem NKVD eine Schlüsselrolle zu. Die Ernennungen der Bürgermeister von kreisfreien Städten, Landräten, städtischen Polizeikommandanten, Bezirkspräsidenten, Bezirkspolizeipräsidenten und Leiter wichtiger Arbeitsverwaltungen des Bezirks konnten nur nach persönlicher Bestätigung durch den Stellvertretenden Kommandeur der Front für zivile Angelegenheiten, also mithin von Serovs Apparat erfolgen. 

Zu diesem Zweck sammelte das NKVD umfangreiches Material über deutsche Verwaltungsmitarbeiter in der SBZ. Sofort nach dem Ende der Kampfhandlungen verfügte man beispielsweise über politische Kurzbiographien der gesamten Berliner Behördenspitze. Darin waren nicht nur Angaben über den beruflichen Werdegang enthalten, sondern auch Informationen zur politischen Position der Amtsinhaber. Dadurch war es möglich, die politische Zuverlässigkeit jedes Einzelnen im Sinne der UdSSR zu überprüfen und die Ablösung ungeeigneter Kandidaten zu betreiben. Zweck dieser Personalpolitik war es auch, dass das NKVD zu Bezirkspräsidenten, Landräten, Oberbürgermeistern, Bürgermeistern und Ortsvorstehern ausschließlich solche Personen ernennen sollte, die über eine »antifaschistische Gesinnung« und zugleich über Autorität in der örtlichen Bevölkerung verfügten.

Mit der Gründung der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland wurde die Sonderrolle Serovs bei der politischen Sicherung des besetzten Territoriums bestätigt. Das NKVD verfügte jetzt über einen eigenen Verwaltungsapparat, der zwar formell dem Oberkommandierenden der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland, Marschall Žukov, unterstellt war, in Wirklichkeit jedoch unabhängig von ihm agierte. Zum NKVD-Bevollmächtigten für die neue Besatzungsverwaltung wurde gleichfalls Serov ernannt. 

Für die Durchführung seiner »tschekistischen Aufgaben« bei der sowjetischen Umgestaltung der SBZ standen Serov nur 800 Mitarbeiter zur Verfügung. Nach seinen Berechnungen brauchte er mindestens 1 700. Die fehlenden Kader sollten aus der SMERŠ kommen. Abakumov, der inzwischen wegen ständiger Reibereien um die Zuständigkeit der einzelnen sowjetischen Geheimdienste in der SBZ zum Intimfeind Serovs geworden war, hintertrieb dieses Ansinnen, indem er seinen Truppen befahl, in den deutschen Städten eigene Operativgruppen zu bilden. 

Im Zuge der weiteren Sowjetisierung der SBZ mussten schließlich die bisherigen Zuständigkeiten und Befehlsstränge der Geheimdienste der UdSSR neu geregelt werden. Dabei gelang es Serov in Zusammenarbeit mit Kruglov, die bisherige Zuständigkeit Abakumovs auszuschalten und die SMERŠ in der SBZ stärker als bisher an seinen NKVD-Apparat zu binden. Damit hatte Serov NKVD und Spionageabwehr in der SBZ unter seine unmittelbare Kontrolle gebracht. 

Allerdings brachte das Jahr 1946 erhebliche Umstrukturierungen innerhalb des sowjetischen Sicherheitsapparates mit sich. Im März 1946 wurden die bisherigen Volkskommissariate in Ministerien umgewandelt. Damit wurde aus dem NKVD das Ministerium für innere Angelegenheiten (MVD) und aus dem NKGB das Ministerium für Staatssicherheit (MGB). Gleichzeitig versuchte Stalin die bisherige Machtfülle des NKVD-Chefs Berija und seiner Nachrichtendienste einzuschränken. Er fürchtete, dass die Monopolstellung der Partei durch Sicherheitsorgane und Armee gefährdet sein könnte. Bereits am 18. März 1946 wurde Berija Politbüromitglied und Stellvertretender Vorsitzender des Rates der Volkskommissare. Damit büßte er einen Teil seiner bisherigen Macht ein, weil er die unmittelbare Kontrolle über den Staatssicherheitsapparat verlor. An seine Stelle als Innenminister trat nach mehreren Spezialeinsätzen in Deutschland Kruglov, der als Russe nicht das unbedingte Vertrauen Berijas besaß. Denn um sich der Loyalität seiner Mitarbeiter zu versichern, umgab sich Berija hauptsächlich mit Männern, die wie er aus dem Kaukasus stammten. Kruglov war dann auch, insofern hatte Berija Recht, an dessen Absetzung am 26. Juni 1953 und seiner späteren Hinrichtung beteiligt.

Zunächst setzten sich MGB-Chef Vsevolod Merkulov und Kruglov bei Stalin dafür ein, Serov auch zum Bevollmächtigten des MGB in Deutschland zu ernennen. Damit hätte dieser alle sowjetischen Sicherheitsdienste in der SBZ endgültig unter seine vollständige Kontrolle gebracht. Stalin verweigerte jedoch seine Zustimmung, da er fürchtete, dass sich Serov zu viele Machtbefugnisse aneignete. Zudem erleichterte die ständige Konkurrenzsituation zwischen den Geheimdiensten ihre Kontrolle durch Moskau. Im Zuge der Umstrukturierungen geriet Serov in Deutschland zunehmend unter Druck, hatte er doch bisher immer auf die Rückendeckung Berijas vertrauen können. Umso mehr, als im Mai 1946 ein weiterer Berija-Vertrauter seinen Posten verlor. Merkulov, bisher Minister für Staatssicherheit, wurde zum Chef der Hauptverwaltung für sowjetisches Eigentum im Ausland ernannt und durch Serovs Gegner Abakumov ersetzt. Zugleich wurden Aufgaben des MVD an das MGB übergeben. 

Abakumov hatte Serov die faktische Unterstellung der SMERŠ in der SBZ unter das NKVD nie verziehen und versuchte nun, dessen bisherige Machtposition zu untergraben. Einen ersten Teilerfolg konnte er damit erzielen, dass Serov nicht zum Bevollmächtigten des MGB in Deutschland ernannt wurde. Damit gab sich Abakumov allerdings nicht zufrieden. Am 20. August 1946 traf das Politbüro auf sein Betreiben hin einen Beschluss zur weiteren Entmachtung Serovs. Die gesamte operative Arbeit in Deutschland sollte jetzt vom MGB ausgeführt werden. Bis zum Herbst 1946 gelang es Serov jedoch, seinen bisherigen Posten zu verteidigen. 

Jetzt eskalierte der Machtkampf. Im Oktober 1946 gelang es Abakumov immerhin, die Operativgruppen des MVD unter die Befehlsgewalt des MGB zu stellen. Damit verlor Serov auch sein wichtigstes Mittel zur Verschleierung der ungesetzlichen Aktivitäten des MVD in der SBZ. Denn bisher hatte die unangefochtene Stellung des NKVD/MVD beste Möglichkeiten für Korruption, Amtsmissbrauch und persönliche Bereicherung geboten. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang erscheint, dass bereits unmittelbar nach Kriegsende das NKVD in der Reichsbank Berlin ca. 80 Millionen Reichsmark sicherstellte. Diese Summe überwies Serov allerdings nicht an die Staatsbank der UdSSR, sondern setzte sie für eigene Zwecke ein. 

Die Auseinandersetzung zwischen Serov und Abakumov vergiftete das Klima zwischen den Staatssicherheitsorganen der UdSSR. Eine weitere Zusammenarbeit zwischen MVD und MGB schien Serov, wie er im Februar 1948 in einem Brief an Stalin mitteilte, unmöglich: »Unter der Leitung Abakumovs wurden unerträgliche Bedingungen für die Zusammenarbeit zwischen MVD und MGB geschaffen. Im Zentrum wie auch an der Peripherie versuchen Mitarbeiter des MGB, die Organe des MVD zu kompromittieren. Zwischen dem MGB und dem MVD gibt es keine dienstlichen Beziehungen, obwohl sie für die Arbeit zwingend notwendig sind.

Eine so feindselige Periode gab es in der Geschichte der Organe bisher nicht.«

Diese ständigen Auseinandersetzungen und der Machthunger Abakumovs führten schließlich dazu, dass Stalin seinen treuen Vasallen fallen ließ. Sein Vertrauen in die Fähigkeiten des Staatssicherheitsministers war bereits seit Spätsommer 1946 erschüttert, als es Abakumov nicht gelang, genügend belastendes Material gegen den Weltkriegshelden Žukov zu sammeln, um diesen öffentlich anklagen zu können. Abakumov sollte schließlich im Juni 1951 über eine vermeintliche Verschwörung jüdischer Mediziner in Moskau stolpern, deren Verfolgung er angeblich nicht genügend betrieben habe. Von einem Untergebenen offensichtlich auf Anregung von Berija und Malenkov bei Stalin denunziert, landete der Minister im berühmtberüchtigten Gefängnis »Matrosenruhe«. In die Haftzellen folgte ihm nur wenig später seine gesamte Entourage. Über die grausamen Haftbedingungen beschwerte sich der ehemalige Minister bei Berija und Malenkov: »Die ersten acht Tage wurde ich in einer fast dunklen, kalten Zelle festgehalten. Über einen Monat lang organisierte man die Verhöre so, dass ich täglich nur ein bis anderthalb Stunden schlafen konnte, die Verpflegung war ungenießbar. [...] In der Nacht zum 16. März wurde ich in den so genannten Karzer gebracht. Dieser erwies sich als eine Kältekammer, ohne Fenster, völlig leer, Größe zwei mal zwei Meter. In dieser Schreckenskammer, ohne Luft, ohne Nahrungsmittel (am Tag erhielt ich ein Stück Brot und zwei Krüge Wasser) verbrachte ich acht Tage. Die Kälteanlage war eingeschaltet und es wurde ständig kälter. Ich fiel unzählige Male in Ohnmacht.« Bittere Ironie der Geschichte: Genau diese unerträglichen Haftbedingungen hatte sich Abakumov 1947 in einem Brief an Stalin als gängige Praxis bei der Verfolgung antisowjetischer Tätigkeit sanktionieren lassen. Doch auch der Tod Stalins und der nachfolgende Sturz Berijas retteten Abakumovs Leben nicht. Am 19. Dezember 1954 wurde er als »Abenteurer und politischer Provokateur« verurteilt und noch am gleichen Tag hingerichtet.

Kruglov, der als Innenminister ab 1946 vor allem das sowjetische Atombombenprogramm mit Zwangsarbeitern versorgt hatte, setzte seine Karriere als Innenminister bis 1956 fort. Dann begann mit der Entstalinisierungspolitik Chruščevs sein Abstieg im sowjetischen System. Zunächst schob man ihn auf den Posten des stellvertretenden Ministers für den Bau von Elektrizitätswerken ab. 1957 folgte der Ausschluss aus dem MVD und die Herabstufung zum stellvertretenden Leiter des Volkswirtschaftsrats im Gebiet Kirov. 1959 wird sein Generalsrang aberkannt und ein Parteiverfahren eröffnet, das 1960 mit dem Ausschluss aus der KPdSU endet. Seine Invalidenrente wurde auf 60 Rubel gekürzt, 1966 erfolgte eine erneute Kürzung um 20 Rubel, zeitgleich verliert er seine Moskauer Wohnung. 1977 geriet der inzwischen weitgehend verarmte Kruglov unter einen Zug und verstarb an seinen schweren Verletzungen. 

Am längsten konnte sich Serov weiter im politischen System der Sowjetunion halten. Nach der Liquidation Berijas setzte er seinen Aufstieg ungebremst fort und wurde 1954 auf Betreiben Chruščevs zum ersten Vorsitzenden des KGB ernannt. Vier Jahre später ließ ihn der Parteichef allerdings fallen und versetzte ihn auf den wenig einflussreichen Posten eines Leiters des Militärgeheimdienstes GRU (Hauptverwaltung Aufklärung). Der neue Amtschef verstärkte vor allem die Spionage in den USA, aber auch die Agententätigkeit in Westeuropa nahm im Zuge der zweiten Berlinkrise zu. Im Rahmen der Penkovskij-Affäre wurde Serov jedoch im Januar 1963 wegen »mangelnder politischer Wachsamkeit« von seiner Funktion als GRU-Chef entbunden und zum Generalmajor degradiert. (Ein Freund Serovs, GRU-Oberst Oleg Penkovskij, wurde wegen Spionage für die USA verhaftet und zum Tode verurteilt.) Ab 1963 war er dann Gehilfe des Kommandierenden für Ausbildungsfragen im Militärbezirk Transwolga. 1965 quittiert Serov den Dienst aus »gesundheitlichen Gründen«, nachfolgend wird er ebenfalls aus der Partei ausgeschlossen. Er verstirbt im Juli 1990 in Moskau.

So aufschlussreich das dargebotene Material der vier Bücher ist, bleibt abschließend einzuschätzen, dass nur die Serov-Biographie von Nikita Petrov den im Westen gültigen wissenschaftlichen Standards genügt. Sein Buch ist nicht nur glänzend geschrieben, sondern charakterisiert Serov, dank des vielseitigen Aktenzuganges, auch als Menschen im stalinistischen System. Ein umfangreicher Dokumententeil und ein ausführlicher biografischer Anhang runden das gelungene Buch, dem eine deutsche Übersetzung zu wünschen wäre, ab. 

Die beiden Abakumov-Biographien leiden vor allem darunter, dass ein Großteil der aufgeführten Zitate nicht nachprüfbar ist. Die umfangreichen Aktenauszüge beleuchten zwar gelegentlich Hintergründe, oft fehlt allerdings die nötige historische Einordnung. Nicht selten werden sogar die gleichen Dokumentenauszüge mehrfach wiederholt. Insgesamt scheint sich der Eindruck zu bestätigen, dass es sich bei beiden Büchern vor allem um Werke handelt, die rasch auf den Markt geworfen wurden, um vom derzeitigen Geheimdienstboom in den russischen Buchhandlungen profitieren zu können.

Jurij Bogdanov ist bei seiner intensiven Beschäftigung mit Kruglov die für einen Historiker notwendige Distanz zu seinem Untersuchungsobjekt abhanden gekommen. Den sowjetischen Innenminister und GULag-Verantwortlichen als »herausragenden Menschen« im positiven Sinne zu bezeichnen, irritiert zumindest. Aber vor allem ist anzumerken, dass sich auch in diesem Buch der wissenschaftliche Apparat überaus dürftig und äußerst unübersichtlich präsentiert. Eine kritische Kruglov-Biographie steht folglich noch aus. 

Es wäre jedoch arrogant, die Anstrengungen der neueren russischen Historiographie nicht zur Kenntnis zu nehmen. Ihre Werke entstehen oft unter nicht einfachen Forschungsbedingungen, und die Ergebnisse können sich, bei aller Kritik, sehen lassen. Denn immerhin ergibt sich in der Zusammenschau der besprochenen Werke ein interessantes Prisma der Führung des sowjetischen Geheimdienstes unter Stalin. Sichtbar wird nicht nur, wie Menschen für eine Karriere in der Diktatur ihre moralischen Schranken fallen lassen, um ihren persönlichen Traum vom gesellschaftlichen Aufstieg verwirklichen zu können. Dass die gleichen Personen von den Tyrannen fallen gelassen werden, wenn sie in deren Augen ihre Schuldigkeit getan haben, ist eine Erfahrung, die Serov, Abakumov und Kruglov mit ihren Amtsvorgängern Jagoda und Ežov teilen. Nachvollziehbar und anregend für die Formulierung weitergehender Fragestellungen sind Ausführungen zur strukturellen Arbeitsweise des stalinistischen Systems, in dem sich persönliche Ambitionen, ideologische Vorgaben und institutionelle Rahmenbedingungen zu einer spezifischen terroristischen Herrschaftspraxis verknüpften.

 


[1]  Nach dem Tod Stalins war Lavrentij Berija – nach 1938 bis 1946 – für wenige Monate von März bis Juni 1953 erneut Minister des Innern. 

[2]  Zitiert nach Semirjaga, M. G.: Kak my upravili Germanii. Politika i žisn [Wie wir Deutschland regierten. Politik und Leben], Moskau 1995, S. 159.

Inhalt – JHK 2007

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