JHK 1994

Inhaltsverzeichnis

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Der bolschewistische "Revolutionsexport" im Jahre 1920 und die schwedischen Linkssozialisten

Alexander Kan (Uppsala/Oslo)

Schon im zeitgenössischen Verständnis wurde das Jahr 1920 mit dem sowjetischen Feldzug in Polen und den 21 Eintrittsbedingungen der Komintern als vorläufiger Kulminationspunkt des bolschewistischen "Revolutionsexportes" ausgemacht. Dies war damals sowohl für die Bolschewiken als auch für ihre Gegner offenkundig. Innerhalb der internationalen Arbeiter­bewegung war man hinsichtlich der bolschewistischen Großoffensive im Spätsommer 1920 geteilter Meinung. Das Spektrum reichte von offener…

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Rituale von Konfession und Selbstkritik: Bilder vom stalinistischen Kader

Berthold Unfried (Wien)

Die Geschichte des Stalinismus und der Komintern ist lange Zeit parteiliche Geschichte und politische Geschichte in engem Sinn gewesen. Das hatte sicherlich auch damit zu tun, daß das politische Milieu, das die Komintern ausmachte, in Form politischer Organisationen, die sich in der einen oder anderen Form in ihrer Tradition sahen, noch lebendig war. In diesem Sinn existierte also noch eine gelebte Tradition der Komintern, ihrer zahlreichen Richtungen und Häresien, die sich auch in der…

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"Brauchbar für Arbeiten unter Tage". Der MWD-Befehl Nr. 001196-1946

Achim Kilian (Weinheim)

Der nachstehende Befehl des Ministers für Innere Angelegenheiten der UdSSR Nr. 001196-1946 vom 26. Dezember 1946 entsprach einer wenige Tage zuvor vom Ministerrat der UdSSR gegebenen Weisung, nach der deutsche Insassen sowjetischer Gefängnisse und Speziallager in Deutschland Anfang 1947 kurzfristig in die UdSSR zu deportieren waren. Der Ministerrat - das war 1946 Stalin. Er stand hinter diesem Beschluß, der im Zusam­menhang mit den Folgen von Hitlers Unternehmen "Barbarossa" samt dessen von…

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Ernö Gerö. Aus dem Leben eines Apparatschiks

György Borsanyi (Budapest)

Moritz Singer, Bankangestellter in dem kleinen nordungarischen Dorf Tergebec (heute Tre­busovce, Slowakei), war Oberhaupt einer Familie mit sieben Töchtern und drei Söhnen. In den kleinbürgerlichen jüdischen Familien der Habsburg-Monarchie galt es als selbstver­ständlich, den Kindern eine relativ hohe Bildung (mindestens das Gymnasium) zu sichern. Bei zehn Kindern hierfür die Bedingungen zu schaffen, war keine Kleinigkeit. Singer blieb mittellos und die Kinder mußten ihr Studium selbst…

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Zu den Veränderungen der Archivlage in Bulgarien

Antoaneta Tcholakova (Wien)

Nach dreijährigen Verhandlungen zwischen dem Hohen Rat der Bulgarischen Sozialistischen Partei (dem Nachfolger der Bulgarischen Kommunistischen Partei) und der Hauptverwaltung der Archive beim Mini­sterrat der Republik Bulgarien wurde am 8. Juli 1993 ein Vertrag abgeschlossen, der den Status des Zen­tralen Parteiarchivs der Bulgarischen Sozialistischen Partei (im weiteren: ZPA BSP) regelt. Nach diesem Vertrag bleibt der Archivfonds der BSP Eigentum der Partei, wobei die Hauptverwaltung der…

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Einzelrezensionen

Pipes, Richard: Die Russische Revolution, Bd. 3: Rußland unter dem neuen Regime. Rowohlt Berlin Ver­lag, Berlin 1993, 919 S. Richard Pipes gehört zu jenen Rußlandhistorikern und Sowjetexperten, die in den USA und in Europa kon­troverse Positionen nie gescheut haben. Obwohl mit dem Vorwurf des Russophoben und Antikommunisten belegt (vgl. die fulminante Rezension von Peter Kenez, in: The Russian Review, 50 (1991). S. 345ff.), ist er ein ausgezeichneter Fachmann, außerdem einer der wenigen…

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Das Zentralkomitee der WKP(B) und das Ende der "nationalen Wege zum Sozialismus"1

Galina P. Muraschko, Albina F. Noskowa, Tatjana W. Wolokitina (Moskau)

Das Konzept der Volksdemokratie und darauf aufbauend das der "nationalen Wege zum Sozialismus" basierte auf den von Georgi Dimitrow auf dem VII. Weltkongreß der Kom­munistischen Internationale (Komintern) 1935 vorgetragenen Überlegungen über die "Regierung der Einheitsfront". Für den Generalsekretär der Komintern war die Beteiligung von Kommunisten an Koalitionsregierungen nicht als eine Form der Stützung der bürgerli­chen Demokratie gedacht, auch stellte sie keine friedliche Form des Überganges…

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Die KPÖ 1945 - 1955

Fritz Keller (Wien)

Als die Führung der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ), verkörpert durch den Parteiobmann Johann Koplenig (1891-1968) und Ernst Fischer (1899-1973), an einem Aprilmorgen des Jahres 1945 "als politisches Zubehör" nach Österreich eingeflogen wurde, war die Kontrolle der Besatzungsmacht über die Partei total. Lokale Kommandanten der Roten Armee positionierten während des Vormarsches Kommunisten (oder Personen, die sich als solche ausgaben) als Bürgermeister und Hilfspolizisten. In Wien…

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Zum Umgang mit DDR-Archivalien - am Beispiel von Berichten über die Weltjugendfestspiele 1959

Hermann Weber (Mannheim)

Die Diskussion über die Aussagekraft, genauer über die "Glaubwürdigkeit" der schriftlichen Hinterlassenschaften der DDR ist in Deutschland 1994 heftiger geworden, nachdem sie schon seit längerem um die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit, des MfS, geführt wird. Startschuß weiterer Debatten waren "Enthüllungen" über Herbert Wehner, danach se­lektive Veröffentlichungen aus SED-Archiven zur Deutschlandpolitik der sozialliberalen Bundesregierung. Vielfach wurden dabei weder die…

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Die DDR - ein Blick aus Wünsdorf

Juri W. Bassistow (St. Petersburg)

Ein halbes Jahrhundert dauerte der Aufenthalt der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) auf ostdeutschem Territorium. Das Hauptquartier der Gruppe in Wüns­dorf spielte eine bedeutende Rolle in der gesamten Deutschlandpolitik der Sowjetunion. Seit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik war die GSSD einer der einfluß­reichsten Faktoren, die die politische Situation im Lande bestimmten. Die Stationierung so­wjetischer Truppen in der DDR wurde zum wichtigsten Mittel…

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Neuere Kominternforschung in Japan

Akira Sait6 (Tokio)

Die wissenschaftlichen Forschungen zur Kommunistischen Internationale (Komintern) wurden in Japan erst Ende der siebziger Jahre aufgenommen. So erschien im Jahre 1978 der Band "Faschismus und die Komintern" von Y. Tominaga u.a. Die Autoren haben versucht, die Faschismusanalyse der Komintern in den jeweiligen konkreten historischen Situationen zu "verstehen". Nicht nur die hervorragenden Bücher von K. Nakabayashi, T. Iwamura, K. Yamagiwa und M. Kawabata sind daraufhin erschienen, sondern auch…

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Zum Stand der zeitgeschichtlichen DDR-Forschung in Japan

Eiichi Kido (Osaka)

Die historische Entwicklung Japans zeigt wichtige Parallelen zu Deutschland auf: Die relativ späte Hin­wendung zur kapitalistischen Gesellschaftsform, die Entscheidung für den Faschismus als "Habenichts", die bedingungslose Kapitulation und anschließende Besatzungsherrschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, die Rolle des Vorpostens für den Westen im Kalten Krieg, die Entwicklung zur Wirtschaftsmacht und die Suche nach einem neuen Standpunkt in der Weltpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges. Vor…

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Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Babitschenko, Leonid G., Dr., Mitarbeiter am Russischen Zentrum für Aufbewahrung und Erforschung von Dokumenten der neuesten Geschichte in Moskau. Bahne, Siegfried, Prof. Dr., Professor für Geschichte an der Universität Bochum. Bassistow, Juri W., Dr., em. Professor für Politologie an der Universität St. Petersburg, nach Kriegsende Mitarbeiter der SMAD und GSSD. Beyrau, Dietrich, Prof. Dr., Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Tü­bingen. Borsanyi, György, Dr., Mitarbeiter…

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The 1932 Theses of the Japanese Communist Party and the Koza-ha (Lecture Faction). The significance of the Russian published original text of the Theses1

Tosio Iwamura (Kobe)

As it is well known, the prewar illegal Japanese Communist Party (JCP) had always had a handful of members, but it was nevertheless able to influence an incredible number of intel­lectuals and students in this country from its foundation in the early 1920s. Such an imba­lance reached its peak during the Great Depression. Hence, E. Varga wrote at the time of adoption of the so-called 1932 Theses in April 1932 as follows: "So much Marxist-Leninist literature is not published by bourgeois…

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All-German Unity and East German Separation in Soviet Policy, 1947 - 1949

Gerhard Wettig (Cologne)

lt is clear in historical retrospect that the years which followed the mid-1947 outbreak of the Cold War were most crucial for the communist system to establish itself separately in the Soviet-controlled part of Germany. Party and state structures were so shaped as to conform increasingly to the Soviet model. At the same time, however, the Soviet authorities instructed the SED to organize an interzonal German movement which was demonstratively directed at preserving, respectively…

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Lenin historisch lesen. Zu den Betrachtungen von Wolfgang Ruge im Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 1993

Helmut Fleischer (Darmstadt)

Nicht nur die große Sozialrevolution des 20. Jahrhunderts, auch die ganze daraus hervorge­gangene Sozialformation des "realen Sozialismus" ist binnen kurzer Zeit "Geschichte gewor­den". Sehr viel länger wird es aber dauern, bis man sie auch durchgängig als Geschichte be­griffen haben wird, in ihren Einzelheiten wie in ihrem Gesamtcharakter. Kaum eine andere geschichtliche Umwälzung hat schon in ihrem eigenen Vollzug eine so enorme Masse an hi­ storisch-sein-wollender Selbstdarstellung aufgeboten…

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Briefe aus Montevideo - Arthur Ewert und die Wandlung von Luis Carlos Prestes zum Kommunisten

Jürgen Mothes (Leipzig)

Die historische Kommunismusforschung steht am Ende unseres Jahrhunderts vor immensen Aufgaben. Die dahinter stehenden An- und Herausforderungen werden die zeitgeschichtliche Forschung auf lange Sicht beschäftigen und nachhaltig prägen: Das Ende der "Systemausein­ andersetzung" und des "Kaltem Krieges", nicht zuletzt auch der endlich mögliche Zugang zu jahrzehntelang verschlossenen Archiven schufen neue Ausgangssituationen. Das begünstigt differenziertere Sichten zur Aufdeckung der Wurzeln des…

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Zwischen Arbeitererhebung und gescheiterter Revolution in der DDR. Retrospektive zum Stand der zeitgeschichtlichen Aufarbeitung des 17. Juni 1953

Torsten Diedrich (Potsdam)

Untersuchungen zur DDR-Geschichte haben derzeit Hochkonjunktur. Das liegt zum einen daran, daß für Ost- und Westdeutsche im Vereinigungsprozeß das Interesse an der deutsch-deutschen Geschichte sehr stark ist. Zum anderen eröffnete sich mit dem Umbruch zwischen Elbe und Oder eine Quellenbasis, die viele historische Prozesse in der DDR in einem neuen Licht erscheinen läßt. So mag es nicht verwundern, daß vier Jahre nach der Vereinigung beider deutscher Staaten bereits eine Vielzahl wertvoller…

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Zur Aktualität von Karl Marx. Eine Tagung in Sapporo (Japan)

Narihiko Ito (Tokio)

Der "Verein zum Studium der Geschichte sozialer Gedanken" ist eine 1976 gegründete wissenschaftliche Gesellschaft. Sie hat in Japan ca. 700 Mitglieder. Jeden Herbst wird im Rahmen der Jahrestagung ein Sym­posium veranstaltet. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat der Verein folgende Themen behandelt: Sozial­demokratie, Feminismus, Nationalstaat und Nationalismus. Nach dem Zusammenbruch der "Ostblock"-Staaten, besonders nach der Auflösung der Sowjetunion, verbreitete sich auch unter den…

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"Die Lage vor Ort ist unbefriedigend". Die Informationsberichte des sowjetischen Geheim­ dienstes zur Lage der russischen Bauern in den Jahren der Neuen Ökonomischen Politik (1921-1927)

Markus Wehner (Berlin)

Die Tätigkeit der sowjetischen Geheimdienstorgane hat die mit der sowjetischen Geschichte befaßten Historiker und Publizisten immer wieder beschäftigt. Dies hat gute Gründe, denn der mit dem Ende der Sowjetunion aufgelöste KGB und seine Vorläufer (WTschK, GPU, OGPU, NKWD u.a.) spielten stets eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Politik von Partei- und Staatsführung. Daß die Quellenlage für eine historisch-wissenschaftliche Darstel­ lung von Struktur und Tätigkeit dieser Organe naturgemäß…

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Aus der Buchhaltung der Weltrevolution. Finanzhilfen der "regierenden kommunistischen Parteien" für den internationalen Kommunismus 1950-1958

Jan Foitzik (Potsdam)

Zeitungsberichte über vermutete geheime Geldzahlungen Moskaus an ausländische kommu­ nistische Parteien gehörten zum Standardrepertoire des Kalten Krieges und noch heute sollen groß angekündigte Veröffentlichungen angeblicher KGB-Bilanzen über Auslandsinvestionen der KPdSU auf Schweizer Nummernkonten die Phantasie der Zeitungsleser anregen.1 In den letzten Jahren instrumentalisierte man in Moskau solche jahrzehntelang dementierten Gerüchte verschiedentlich "gegen den Strich": Weil Rußland als…

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Das Tagebuch des Betriebsrates der Firma Carl Zeiss in Jena

Wolfgang Mühlfriedel, Edith Hellmuth (Jena)

1990 wurde dem Archiv des Jenaer Zeiss-Unternehmens das Tagebuch überlassen, das der Vorsitzende des Betriebsrates, Otto Marquardt, vom 21. April 1945 bis zum 21. September 1948 geführt hat. Das Tagebuch besteht aus vier Heften, in die Marquardt jeden Tag - die Urlaubs- und Sonntage ausgenommen - eintrug, was sich ereignete, was er oder seine Kollegen im Inter­esse der Belegschaft oder des einzelnen Beschäftigten unternahmen. So entstand ein Arbeitsjournal, das sehr detailliert über den…

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Ein Prozeß in Rom und seine Wiederholung in Moskau. Der Fall des Schweizer Komintern-Instrukteurs Karl Hofmaier

Brigitte Studer (Lausanne)

Der Einfluß von Jules Humbert-Droz auf die Politik der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) im Auftrag des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) ist in der zeitgeschichtlichen Forschung reichlich bekannt. Zwischen 1921 und 1926 wohnte der Sekretär der Kommunistischen Internationale (Komintern) und Verantwortliche für das Se­kretariat der lateinischen Länder allen Parteitagen der KPI bei. Weniger bekannt ist indessen, daß in den zwanziger Jahren noch ein zweiter Schweizer…

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The Image of the Communist Movement in Contemporary Polish Historiography

Michal Sliwa (Cracow)

During the last decades, there have been significant changes in the historiography of the most recent Polish history, including the Communist movement. The events of August 1980 constituted a breakthrough cae­sura in this process of change. As a result, the demands of groups of historians on the govemment to en­large access to the archives for research purposes, to put an end to political interference in the research workshop of the historian, and to restrict the political and govemmental…

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Sammelrezensionen

Als Hermann Weber 1969 das von ihm in der sog. Buttinger-Bibliothek in New York aufgefundene Manu­skript des Gründungsparteitages der KPD (Spartakusbund) veröffentlichte, bedeutete dies eine wichtige Bereicherung der Quellenbasis für die Anfangsperiode des deutschen Kommunismus. Der bis dahin allein bekannte "Bericht über den Gründungsparteitag der KPD (Spartakusbund)" aus dem Jahre 1919 umfaßte lediglich 56 Seiten, das von Landtagsstenographen angefertigte Parteitagsprotokoll, dessen -…