Davis, Mary: Sylvia Pankhurst. A Life in Radical Politics, London – Sterling, VA: Pluto Press, 1999, 157 Seiten.
Wadsworth, Mark: Comrade Sak. Shapurji Saklatvala MP. A Political Biography, Leeds: Peepal Tree, 1998, 202 Seiten.
Darlington, Ralph: The Political Trajectory of J. T. Murphy, Liverpool: Liverpool University Press, 1998, 316 Seiten.
Murphy, Molly: Suffragette and Socialist, Salford: Institute of Social Research, 1998, 164 Seiten.
McIlroy, John: New Light on Arthur Reade. Tracking Down Britain’s First Trotskyist, in: Revolutionary History, Jg. 8, Nr. 1, 2001, Seite 2–48.
Croft, Andy (Hg.): A Weapon in the Struggle: the cultural history of the Communist Party of Great Britain, London – Sterling, VA: Pluto Press, 1998, 218 Seiten.
Thorpe, Andrew: The British Communist Party and Moscow, 1920–43, Manchester: Manchester Univer-sity Press, 2000, 308 Seiten.
Zweifellos ist die Kommunistische Partei Großbritanniens – im Unterschied zu manchen kontinentaleuropäischen – niemals eine wirklich politisch entscheidende Kraft gewesen, auch wenn sie in nicht wenigen Teilen der Gewerkschaftsbewegung und bei zahlreichen Intellektuellen über Rückhalt verfügte. Zudem gehörte sie zu denjenigen KPen, die sich im Gefolge und als Konsequenz des »realen Sozialismus« auflösten, auch wenn es kurioserweise seit 1991 einen Streit verschiedener Übrigbleibsel um den Namen gibt. Trotz allem ist das Interesse an ihrer Geschichte offensichtlich ungebrochen, ja die Zahl der über ihre Geschichte publizierten Arbeiten nimmt zu. Seit einigen Jahren wird von einer Arbeitsgruppe an der Universität Manchester, die ein umfangreiches biographisches (»prosopographisches«) Projekt zur Mitgliedschaft der KPGB durchführt, ein Newsletter herausgegeben, der davon zeugt.[1]
Zwar liegt der von John McIlroy, Kevin Morgan und Alan Campbell auf Grundlage dieser Untersuchung angekündigte Band bei Abschluß dieser Literaturübersicht noch nicht vor. Doch gibt es bereits nach den vor mehreren Jahren erschienenen Biographien der beiden zentralen Führungspersönlichkeiten seit Mitte der zwanziger Jahre, Harry Pollitt und Rajani Palme Dutt (siehe die Besprechung in Jahrbuch für historische Kommunismusforschung, Bd. 1997), eine Reihe unabhängig davon erstellter Einzelbiographien.
Auch wenn Sylvia Pankhurst nur vorübergehend zur britischen KP gehörte, ist ihr Name doch untrennbar mit den Gruppierungen wie den Kämpfen verknüpft, die zu ihrer Gründung führten. Darüber hinaus ist ihr Name noch am ehesten dafür bekannt, daß sie eines der Angriffsziele für Lenins heftige Polemiken gegen den »Linksradikalismus« der jungen kommunistischen Parteien Westeuropas darstellte. Dabei geben ihre zahllosen unermüdlichen Aktivitäten vor wie nach ihrer kommunistischen Phase einen guten Einblick in die »causes«, die das 20. Jahrhundert bewegten, wie ihr Sohn im Vorwort der von Mary Davis verfaßten Biographie schreibt.
Sylvia Pankhurst wurde 1882 in einer Familie geboren, deren Name untrennbar mit dem Kampf um das Frauenwahlrecht verknüpft ist. Ihre Mutter war nach der Jahrhundertwende die Begründerin einer der wichtigsten Organisationen der Suffragetten. Dort war auch Sylvias Schwester aktiv, und sie selbst stieß nach ihrem Kunststudium dazu. Was sie allerdings von ihren Angehörigen unterschied, war die gleichzeitige Hinwendung zum Sozialismus (obwohl sich Teile der britischen Arbeiterbewegung mit dem Frauenwahlrecht sehr schwer taten). Dies brachte sie schließlich zum gleichzeitigen Bruch mit der Organisation wie mit ihrer Familie. Während Mutter und Schwester gewalttätige Straßenkämpfe provozierten, und die Gaslaternen und Schaufenster Londons nicht mehr vor ihren (Mittelklasse-)Aktivistinnen sicher waren, suchte Sylvia Pankhurst die Zusammenarbeit mit den Massenkämpfen des »industrial unrest« in jenen von Dangerfield klassisch beschriebenen Jahren am Vorabend des Weltkriegs. Folgerichtig konzentrierte sie sich auf die Agitation im Londoner East End.
Als nach Kriegsausbruch Mutter und Schwester zu britischen Patriotinnen mutierten, für die nun die allgemeine Wehrpflicht wichtiger als das Wahlrecht war, radikalisierte sie sich weiter nach links. Aus ihrer Workers’ Suffrage Federation wurde die Workers’ Socialist Federation, ihre Zeitung Woman’s Dreadnought nannte sie in Workers’ Dreadnought um. Die russische Revolution und die bolschewistische Machteroberung fanden ihre begeisterte Unterstützung. Bei den Bemühungen um die Gründung einer britischen KP, die von den verschiedenen sozialistischen Gruppierungen des Landes verfolgt wurden, versuchte sie, die Protagonistenrolle einzunehmen, und stand dabei vor allem in engem Kontakt zu dem im Sommer 1919 eingerichteten Amsterdamer Büro der Kommunistischen Internationale. Auch ging sie im Sommer 1920 als Delegierte ihrer sich inzwischen Kommunistische Partei nennenden Gruppe zum zweiten Komintern-Kongress nach Moskau.
Dort mußte sie jedoch erleben, daß ihre politischen Vorstellung von den Bolschewiki und besonders Lenin als »ultralinks« verurteilt wurden. Sie trat für Wahlboykott, Ablehnung eines Anschlusses an die Labour Party und schließlich noch für die Gründung revolutionärer Gewerkschaften ein. Zudem war sie mit der Umbenennung ihrer Organisation vorgeprescht. All das half Punkhurst nichts. Sie war gezwungen, sich an den Vereinigungsverhandlungen Anfang 1921 zu beteiligen. Doch kaum war die Einheitskonferenz abgehalten, bewirkte diese ihren Ausschluß. Sie hatte sich geweigert, ihre Zeitung der Partei zu unterstellen.
In den nächsten drei-vier Jahren versuchte sie, eine eigene kleine Gruppe aufrechtzuerhalten, die in Kontakt mit ähnlichen Strömungen wie der KAPD oder später der Arbeiteropposition stand. Dann gab sie die Versuche zur Bildung einer revolutionären Partei auf und wandte sich, auf dieselbe unermüdliche Art, anderen Zielen zu: Antikolonialismus, Antirassismus und Antifaschismus, wobei ab 1936 die Solidarität mit Äthiopien ihr besonderes Engagement fand. Sie sollte schließlich die Verhältnisse unter Haile Selassi idealisieren und verbrachte ihre letzten Jahre von 1955 bis 1960 in Addis Abeba.
Mary Davis hat mit erklärter Sympathie den Weg dieser lebenslangen Aktivistin nachgezeichnet. Es ist allerdings nicht die erste Biographie. Besonders die feministische Historiographie hat sich bereits mit ihren Jahren als Vorkämpferin für das Frauenwahlrecht auseinandergesetzt. Doch bemüht sich Davis um ein vollständiges Lebensbild, das Punkhurst in ihren verschiedenen Wendungen bis hin zu dem nicht mehr »revolutionär« geprägten letzten Lebensabschnitt beschreibt und ihre Widersprüche bei allem durchgängig erklärten Kampf auf der Seite der Unterdrückten nicht verschweigt. Entsprechend der wenigen Jahre, in denen sie erklärte Kommunistin war, nimmt diese Zeit nur einen kleinen Teil ein. Und bedauerlicherweise erfährt man so gut wie nichts über ihre Bemühungen um eine »ultralinke Internationale« zwischen 1921 und 1924. Die im wesentlichen der Chronologie folgende Arbeit beruht auf zeitgenössischen Publikationen, insbesondere auf den von Sylvia Pankhurst herausgegebenen Zeitungen, sowie auf Sekundärliteratur. Die im Literaturverzeichnis vorangestellten Hinweise auf Archivsammlungen, insbesondere auf ihren Nachlass im Amsterdamer Institut für Sozialgeschichte, gaukeln da nur etwas vor, wovon man sich anhand der Fußnoten leicht überzeugen kann.
Shapurji Saklatvala ist heute kaum noch bekannt. In der Selbstdarstellung der britischen KP wurde er von den späteren Ikonen der Volksfrontzeit wie Pollitt oder Gallacher ganz in den Hintergrund gedrängt. Aber auch z. B. Drachkovitch/Lazitch würdigen ihn in ihrem Biographical Dictionary of the Comintern mit keinem Eintrag. Er gelangte auch nicht durch das Hochdienen im Parteiapparat in eine Führungsposition. Es war eine Kombination eher zufälliger Faktoren, die ihn in den zwanziger Jahren in die für die Partei wichtige Einflußposition als Unterhausabgeordneter brachte. Das allerdings machte ihn zur damaligen Zeit zu einem der bekanntesten britischen Kommunisten. Zweifellos ist er mit dem, was er als Inder und damit Immigrant verkörperte, für diese Zeit als eine Ausnahmeerscheinung auf Seiten der britischen Linken insgesamt zu bezeichnen.
Saklatvala wurde 1874 in Bombay in einer parsischen, eng mit den Tatas, der führenden indischen Industriellendynastie, verwandten Familie geboren. Entsprechend privilegiert aufgewachsen und ausgebildet, kam er nach Großbritannien, um dort für das Familiengeschäft zu arbeiten. Seine Enttäuschung über das Unvermögen der Liberalen, nach ihrem großen Wahlsieg im Jahre 1906 irgendwelche substantiellen Reformen für Indien einzuleiten, brachte ihn dazu, sich sozialistischen Strömungen zuzuwenden. Er wurde in der Independent Labour Party aktiv, wo er nach 1917 einer der Wortführer des pro-kommunistischen Flügels wurde. Seit 1921 Kommunist, gelang es ihm, im Jahre 1922 als Labour-Kandidat in Battersea im südwestlichen London aufgestellt und trotz heftiger Gegenkampagne mit rassistischen Untertönen als dritter Inder überhaupt in das Unterhaus gewählt zu werden. 1923 verlor er knapp, um ein Jahr darauf erneut mit Haaresbreite zu gewinnen. Auch diesmal wieder war er als Labour-Kandidat angetreten. Im Jahre 1926 allerdings schloß Labour alle Ortsgruppen, die sich nicht von den Kommunisten trennten, aus. Er wurde damit fraktionslos und repräsentierte als einzelner die KP im Unterhaus. Bei den nächsten Wahlen im Jahre 1929 wurde er mit deutlicher Mehrheit vom offiziellen Labour-Kandidaten geschlagen. (Erst 1935 sollte die KP wieder einen Unterhausabgeordneten bekommen.)
Als Abgeordneter machte er sich schnell einen Namen. Dabei vertrat er nicht nur all die Punkte, für die die Partei im allgemeinen eintrat – vom Antimilitarismus bis hin zur Verteidigung der vielfältigen ökonomischen und sozialen Arbeiterforderungen. Ein besonderes Anliegen stellte für ihn die Lage in Indien dar. Er wirkte quasi als inoffizieller Abgeordneter seines Heimatlandes, das ansonsten nur noch einige wenige linke Labour-Abgeordnete verteidigten. Im Jahre 1927 besuchte er Indien und knüpfte direkte Kontakte zur indischen Nationalbewegung. Gandhi selbst stand er wegen dessen politischen Pazifismus und ökonomischen Lehren (»Selbstgenügsamkeit«) kritisch gegenüber. Auf den großen Zuspruch für Saklatvala in seiner Heimat reagierte die britische (konservative) Regierung, indem sie ihm eine weitere Einreise untersagte. Daran hielt auch die 1929 ins Amt gekommene Labour-Regierung fest. Bereits 1925 war ihm die Einreise in die USA im Rahmen einer Unterhausdelegation von der US-Regierung (mit Nachhilfe durch die britische Regierung) untersagt worden.
Nach seiner Abwahl im Jahre 1929 wurde es still um Saklatvala. Zwar kandidierte er noch mehrere Male – bei Unterhausnachwahlen, für kommunale Vertretungen. Doch erhielt er nur noch wenige Stimmen. In der Partei war er nur infolge seines Abgeordnetenmandats in Führungspositionen gewählt worden. Darüber hinaus kam es sowohl wegen seines »großbürgerlichen« Hintergrunds – noch bis in die zwanziger Jahre hatte er für die Tatas gearbeitet – wie aufgrund seiner weiterhin gepflegten Beziehungen zur parsischen Kultur und Religion in der Partei mit ihrer spezifisch britischen »working-class culture« zu gelegentlicher Kritik. Zweifellos verbaute ihm das den Weg zu den üblichen Parteipositionen. Dies erklärt wohl auch, warum er in der Komintern keine zentrale Funktion bei der Anleitung der kommunistischen Bewegung Indiens spielte. Andererseits blieb er bis zu seinem Tod Anfang 1936 ein loyales, positiv zur Sowjetunion eingestelltes Parteimitglied. Seine unkritische Haltung machte er durch entsprechende Berichte nach seinen verschiedenen Reisen dorthin deutlich.
Diese zeigen allerdings auch die Gründe für seine Einstellung an. Er war nicht aufgrund theoretischer Studien Marxist geworden – er galt im Gegenteil auf diesem Gebiet als nicht allzu gefestigt –, sondern wegen des Kampfs für Indiens Unabhängigkeit. Nur im Kommunismus sah er die Kraft, die sich diese Forderung international zu eigen gemacht hatte. Das führte ihn auch zur unkritischen Betrachtung der Verhältnisse in der Sowjetunion, insbesondere in Zentralasien, die sich für ihn positiv von der Lage in seiner Heimat abhoben. (Allerdings starb er »rechtzeitig« nicht nur vor den großen »Säuberungen«, sondern auch bevor die Sowjetunion die Forderung nach der Unabhängigkeit Indiens taktischen Bedürfnissen der Außenpolitik unterwarf.) Jedenfalls war es dieses »indische Motiv«, das für ihn auch jedwede Rückkehr zu Labour nach seinem Ausschluss unvorstellbar machte, obwohl es wohl einige entsprechende Angebote gab. Im Gegenteil wurde seine Polemik gegen Labour ab Mitte der zwanziger Jahre immer schärfer, und er hatte nicht umsonst die Wendung zum ultralinken Kurs ab 1928 öffentlich unterstützt. Übrigens äußerte er kein Wort der Kritik, als die Partei als Folge dieses Sektierertums Anfang der dreißiger in die absolute Bedeutungslosigkeit gedrückt wurde.
Wadsworth liefert eine gut lesbare, eindringliche Lebensbeschreibung. Nach Skizzierung des persönlichen Hintergrundes werden kapitelweise sein Auftreten im Unterhaus, seine Beziehungen zum indischen Freiheitskampf, sein Verhältnis zur Komintern, sein Eintreten für die aus den Kolonien zugewanderten Immigranten und schließlich seine letzten Jahre ab 1929 beschrieben. Ein Anhang dokumentiert wichtige Unterhausreden, Korrespondenz mit Gandhi und alle Ergebnisse von Wahlen, bei denen er Kandidat war. Die Biographie beruht im wesentlichen auf zeitgenössischen Veröffentlichungen, insbesondere der Kommunistischen Partei, sowie auf staatlichen Archivdokumenten und Aussagen einiger Zeitzeugen. Leider wurden weder das KP- noch das Komintern-Archiv herangezogen. Das hätte sicher erlaubt, seine Stellung in der kommunistischen Organisation genauer zu beschreiben. Mit diesen Einschränkungen ist zweifellos ein interessantes Porträt gelungen.
John Thomas (Jack) Murphy gehörte im Unterschied zu den Pankhurst und Saklatvala längere Jahre zum Führungskorps der Partei. In Sheffield 1888 in einer Arbeiterfamilie geboren, wurde er Metallarbeiter, nachdem seine frühen Ambitionen auf eine Tätigkeit in der Staatsverwaltung an der ökonomischen Situation seiner Familie gescheitert waren. Als aktiver Gewerkschafter kam er unter syndikalistischen Einfluß und wurde während des Ersten Weltkriegs einer der Wortführer der Shop Stewards-Bewegung. Obwohl als Syndikalist, wie er es auch in mehreren Veröffentlichungen vertrat, eigentlich Anhänger der Selbstorganisierung der Arbeiter und Gegner ihrer Unterordnung unter verbürokratisierte Partei- oder Gewerkschaftsapparate, wandte er sich dennoch den Bolschewiki zu. Schließlich hatten die Shop Stewards nach 1918 große Niederlagen erlitten, und die Bolschewiki verfügten nun einmal über das Prestige als »Revolutionäre der Tat«. Er wurde einer der Begründer der Roten Gewerkschafts-Internationale 1920/21.
Die Forderung nach der Diktatur des Proletariats auf der Grundlage der Gewerkschaften und die Verteidigung der selbständigen Organisation der Arbeiterschaft schob er schnell beiseite und wurde einer der führenden Funktionäre der britischen KP. Als ihr Vertreter bei der Komintern in Moskau spielte er 1926-27 eine wichtige Rolle bei der Ausschaltung Trotzkis und Sinowjews und nach der Rückkehr bei der Durchsetzung der »Sozialfaschismus«-Politik. Obwohl also loyaler Stalinist, geriet er 1932 nach diversen Zusammenstößen über taktische Fragen mit dem zentralen Parteiführer Pollitt – zugrunde lag dem, dass Murphy letztlich die Kräfteverhältnisse etwas realistischer einschätzte – in eine unhaltbare Lage und trat überraschend für alle aus der Partei aus.
Binnen weniger Wochen wurde er Labour-Mitglied. Dort nahm er schnell eine Führungsposition in der Socialist League, dem offiziellen linken Parteiflügel, ein. Ironischerweise folgte er dabei durchaus den Wendungen, die nun auch die KP einschlug, und das hieß ab 1934 die Volksfrontpolitik. Die Verteidigung der UdSSR blieb auch weiterhin eine Konstante seiner politischen Vorstellungen, auch wenn er jetzt nicht mehr hundertprozentig den entsprechenden Vorgaben folgen musste, und entsprechend sah er zwischen 1939 und 1941 den deutsch-sowjetischen Vertrag wie ab 1941 die bedingungslose Unterstützung des Kriegs als gerechtfertigt an. Während er sich langsam aus der politischen Arbeit zurückzog, wurde er zunehmend als Publizist aktiv und verfaßte unter zahlreichen politischen Büchern eine Autobiographie mit interessanten Einzelheiten zur frühen Geschichte der britischen KP sowie eine mit voller Bewunderung geschriebene Stalin-Biographie. In den fünfziger Jahren wandte er sich zunehmend vom Marxismus ab, verstand sich allerdings in einem sehr allgemeinen Sinn weiterhin als links. Mehreren Historikern, die in dieser Zeit die Geschichte der britischen KP entdeckten und Pionierarbeiten dazu verfaßten, gab er wertvolle Ratschläge. Im Jahre 1965 starb er.
Murphy war der typische Arbeiter-Autodidakt mit intellektuellen Ambitionen. Diesen hatte er mit einer beruflichen Karriere nicht nachkommen können. Dies ›kompensierte‹ er nicht nur durch breite Bildung aufgrund einer umfangreichen Lektüre, sondern auch durch seine umfangreiche politische Tätigkeit und damit verbundene Reisen. Kennzeichnend für seine politische Haltung war seine positive Einstellung zum Stalinismus weit über die Jahre seiner Parteimitgliedschaft hinaus. Dies war bei den Syndikalisten, die nach der Oktoberrevolution zum Kommunismus stießen, eher unüblich. Viele von ihnen wandten sich bereits Mitte der zwanziger Jahre nach Festigung der Herrschaft des Parteiapparats, verkörpert durch Stalin, ab. Doch vielleicht fehlte Murphy zu diesem Schritt etwa im Unterschied zu den Syndikalisten aus den romanischen Ländern, auch die Beeinflussung durch heterodoxe Theoretiker, vor allem des Anarchismus.
Ralph Darlington hat eine materialreiche Biographie vorgelegt, für die er nicht nur aus den zeitgenössischen Veröffentlichungen geschöpft hat, sondern auch aus zahlreichen Archivquellen aus Großbritannien sowie aus Moskau. So gelingt es ihm nicht nur, Murphys Lebensweg detailliert nachzuzeichnen, sondern auch die vielfältigen Bezüge zum jeweiligen politischen und sozialen Umfeld. Damit wird auch ein Stück Geschichte der britischen Linken in jenen Jahren aufgearbeitet. Leider sind die auf dem Kominternarchiv beruhenden Abschnitte sehr knapp gehalten und beschäftigen sich vor allem mit seinen auch nach außen hin bekannt gewordenen Aktivitäten im EKKI. Doch Drachkovitch/Lazitch verweisen darauf, daß er seit 1924 auch der Internationalen Kontrollkommission sowie der Leitung der Lenin-Schule angehörte. Dazu findet sich hier leider nichts.
Zweifellos bleibt der private Murphy, sein Leben jenseits der Politik, aufgrund des Darlington vorliegenden Materials eher blass. Einige Hinweise darauf finden sich allerdings in einem autobiographischen Manuskript seiner Frau, das jetzt von Ralph Darlington herausgegeben wurde und seine Biographie gut ergänzt. Sie war Aktivistin der Suffragetten, als Murphy sie in Sheffield kennenlernte. Später ging sie nach London, wurde Krankenschwester und heiratete Murphy Ende 1920. Zweimal begleitete sie ihn nach Russland: 1921, als sie auch Lenin kennenlernte, und 1926–28. Weitere Abschnitte sind ihrem gemeinsamen Leben in London gewidmet. Einen ganz eigenständigen Schritt machte sie, als sie 1936 nach Bürgerkriegsbeginn als Krankenschwester nach Spanien ging. In der Partei war sie nicht aktiv, folgte aber den politischen Schritten ihres Mannes. Ihre Schilderungen geben einen Einblick in die Atmosphäre, in der er sich bewegte, z. B. bei seinen Aufenthalten in Sowjetrußland.
Arthur Reade schließlich stellt in der Parteigeschichte nicht mehr als eine Episode dar, die allerdings insofern interessant ist, als er der erste Verteidiger Trotzkis in der britischen kommunistischen Bewegung war. Des weiteren repräsentierte er mit seinem bürgerlichen Hintergrund und als Oxford-Student nach dem Ersten Weltkrieg ein Milieu, das in dieser »proletarischen« Partei zwar nur eine Randbedeutung hatte, dem allerdings einige wichtige Parteiintellektuelle entstammten. Es war auch für die spätere Entwicklung von Belang, daß an den britischen Eliteuniversitäten nach Beginn der Volksfrontpolitik nicht nur Parteiaktivisten, sondern auch bedeutende Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes rekrutiert wurden.
John McIlroy hat eine biographische Skizze über Reade aus zahlreichen verstreuten Informationen zusammengetragen. Nachdem er Oxford wegen seiner politischen Aktivitäten verlassen mußte, kam er 1922 nach London, wo er dem Distrikt-Parteikomitee angehörte sowie für das Labour Monthly arbeitete, mit dem die KP sich ein intellektuell anspruchsvolles Organ geschaffen hatte. Aufsehen erregte er, als er Ende 1924, als Trotzki zum zweiten Mal in der sowjetischen Partei scharf attackiert wurde, zu dessen Verteidigung auftrat. Der Parteiapparat reagierte sofort und isolierte ihn. Eine trotzkistische Opposition konnte sich nicht herausbilden. Er selbst zog die Schlussfolgerung daraus, das Land erst einmal für mehrere Jahre zu verlassen. Als er in den dreißiger Jahren zurückkehrte, hatte er sich vom Kommunismus/Trotzkismus längst abgewandt.
Diese Episode stellt somit nur eine Fußnote in der Parteigeschichte dar. McIlroys Skizze ist insofern verdienstvoll, als sie das Bild der Auseinandersetzung um Trotzki in der Komintern wie dann von der Entstehung des britischen Trotzkismus komplettiert. Zwar folgten auf Reade erst einmal keine weiteren diesbezüglichen Bemühungen. Doch einer der damaligen Aktivisten der Jugendorganisation hatte nun einen ersten Eindruck erhalten, den er mehrere Jahre später wieder aufnahm, als er in der Sowjetunion auf der Lenin-Schule direkt mit dem Stalinismus konfrontiert wurde und nach der Rückkehr eine organisatorische Initiative ergriff.[2]
Es ist schwierig, aus diesen drei Biographien, deren Erscheinen eine gewisse Zufälligkeit hat, so etwas wie eine Gesamtsumme zu ziehen. Dazu waren auch die persönlichen Hintergründe zu unterschiedlich, ebenso wie die Schlußfolgerungen, die sie aus den Erfahrungen mit der kommunistischen Mitgliedschaft zogen. Darüber hinaus sind alle drei sicher nicht repräsentativ für die sich weniger behend literarisch ausdrückende ›Arbeiterbasis‹. Zumindest auf einer sehr allgemeinen Ebene kann man jedoch feststellen, daß ihre Hinwendung zum Kommunismus, ihre persönliche Radikalisierung, aufgrund von politischen Sackgassen erfolgte, als die sie die Verweigerung ihrer Ambitionen im weitesten Sinne – Demokratisierung des Wahlrechts, sozialer Aufstieg, Unabhängigkeit Indiens – durch die »bürgerliche Gesellschaft« empfanden.
Auf einem ganz anderen Feld bewegt sich der von dem Literaturhistoriker und Dichter Andy Croft herausgegebene Sammelband, der der »Kultur als Waffe im Kampf« – wie ein Parteislogan hieß – nachgeht. Elf Aufsätze beleuchten verschiedene, mit der Partei verbundene kulturelle Aktivitäten, im wesentlichen aus ihrer Hochzeit in den dreißiger und vierziger Jahren. Dabei sind nicht nur die Felder ganz unterschiedlich, erstrecken sich von klassischer Folk-Musik über grafisches Design bis hin zur Literatur und reichen damit von der »Hoch-« zur »Massenkultur«. Einige der Fallstudien diskutieren Aktivitäten, die im direkten Parteiauftrag ausgeführt wurden. Dies betrifft etwa die Bemühungen, dem Edinburgh-Festival ein »People’s Festival« gegenüberzustellen, oder die Organisierung von kulturellen Massenveranstaltungen. Dann wiederum geht es um das Verhältnis, um die »Parteilinie«, zu kulturellen Bereichen wie etwa dem Jazz und damit um das widersprüchliche Verhalten gegenüber amerikanisch geprägter Massenkultur. Schließlich werden einzelne Künstler dargestellt, die zunächst einmal ihrem eigenen Antrieb folgten, sich dabei aber mit den aus den Vorgaben des »sozialistischen Realismus« resultierenden Zwängen der Parteilinie arrangierten. Eine systematische Übersicht über die Kulturpolitik der KPGB wollte dieser Band also nicht liefern. Sie muss erst noch geschrieben werden.
Daß ein deutlicher Widerspruch zwischen den emanzipatorischen Ansprüchen und den Parteizwängen existierte, gibt der Herausgeber gleich in seiner Einleitung ausdrücklich zu, obwohl man den Eindruck hat, man habe die übelsten Folgen stalinistischer Kulturpolitik, wie man sie aus der Historiographie anderer Parteien kennt, lieber erst einmal beiseite lassen wollen. Die Autorinnen und Autoren, darunter auch zwei Deutsche, stehen der von ihnen dargestellten kulturellen Hinterlassenschaft der Partei erklärtermaßen positiv gegenüber, wenn sie nicht sogar in der einen oder anderen Weise an ihrer Entstehung beteiligt waren. Zwar bemühten sich die hier dargestellten Künstler zumeist, den parteilichen Rahmen möglichst weit auszuschöpfen und auszudehnen, doch letztlich ist es ja kein Zufall, daß vieles von diesen Initiativen stecken blieb. Und nicht zuletzt brachen viele aus dem künstlerisch-intellektuellen Umfeld mit der Partei im großen Krisenjahr 1956, als die Widersprüche zwischen Emanzipation und Stalinismus nicht mehr länger verdrängt werden konnten. Wobei im engen Zusammenhang mit den politischen Zwängen steht, daß die britische KP es in den fünfziger Jahren auch nicht verstand, eine Brücke zur Kultur einer neu heranwachsenden Generation zu schlagen. Diese kulturellen Bewegungen hatten nun einmal wesentliche Impulse aus den USA erhalten und wurden nun einseitig mit dem »US-Imperialismus« identifiziert. Im übrigen gewinnt man den Eindruck, daß die Partei auf ihrem Höhepunkt den weit über den unmittelbaren politischen Einzugsbereich hinausgehenden kulturellen Einfluss in seiner Wirkungskraft letztlich überschätzte und sich damit für stärker hielt, als sie es tatsächlich war.
Zweifellos ist die Arbeit von Andrew Thorpe die gewichtigste der hier vorzustellenden Veröffentlichungen. Dies nicht nur wegen ihres Umfangs. Zum einen ist sie das Ergebnis langjähriger Archivstudien insbesondere im KPGB-Archiv (heute im National Museum of Labour History in Manchester) und im Kominternarchiv. Vor allem aber geht sie nun einmal ausführlich der zentralen Fragestellung für die KPGB-Historiographie nach: der nach dem Verhältnis der Partei zu »Moskau«, wobei der Zeitraum von der Parteigründung bis zur Auflösung der Komintern reicht.
Eine Unzahl an Fakten und Details werden darin ausgebreitet. Seine Darstellung folgt sehr eng dem Archivmaterial, etwa 80 bis 90 Prozent seiner Fußnoten sind nichts anderes als Verweise darauf, und so gelingt es ihm, ein sehr dichtes Abbild der gegenseitigen Beziehungen zu zeichnen. Vielfältige organisatorische Abläufe, interne Sitzungen, finanzielle Leistungen, personelle Entscheidungen werden dadurch sichtbar, von denen man bisher kaum oder gar nichts wußte, weil sie der Öffentlichkeit entzogen waren. Damit kann er das aus dem äußeren Auftritt der Partei gewonnenes Bild an vielen Stellen korrigieren, wenn er, um nur ein Beispiel anzuführen, auf die bedeutende Rolle von Campbell in der Parteiführung verweist, der gegenüber Pollitt in der bisherigen Historiographie im Hintergrund stand.
Obwohl seine Arbeit unbestreitbar verdienstvoll ist und als unverzichtbarer Beitrag zur Geschichte des britischen Kommunismus gewertet werden muß, kommt er in den von ihm aus der Faktenaufbereitung und der Rekonstruktion zahlreicher Abläufe gezogenen Schlussfolgerungen zu teilweise fragwürdigen, durchaus auch im Gegensatz zu seiner Darstellung befindlichen Resultaten. Er meint nämlich herauslesen zu können, daß, im Gegensatz zu den meisten früheren Darstellungen, das Verhältnis zwischen der Partei und Moskau charakterisiert werden kann als »more of a partnership – albeit an equal one« (S. 4) Zu einer solchen Behauptung kann er jedoch nur kommen, indem er die Position, gegen die er polemisiert, aufs Karikaturhafte zuspitzt und etwa als »slaves of Moscow approach« bezeichnet. Dagegen kann er natürlich leicht die »importance of agency« stellen, die aber als Erklärung wenig taugt.
Andererseits sieht er sich gezwungen, seine apodiktischen Aussagen einzugrenzen: »There is, indeed, material here to hearten those who wish to see the hidden hand of Moscow in most of the CPGB’s activities.« (S. 276.) Seine ganze Argumentation beruht auf Einschränkungen, zieht sich vielfach auf »aber doch« und »das heißt jedoch nicht« usw. zurück, statt Stringenz anzustreben.[3] Daß etwa bestimmte zentrale Wendungen in der Partei nur durch direkte Interventionen der Komintern zustande kamen, gibt Thorpe Anlaß zur Feststellung, deren Hervorhebung in der bisherigen Historiographie sei ein Zeichen dafür, daß es ›unterhalb‹ immer wieder Möglichkeiten zur Flexibilität gegeben habe. Seiner gewundenen Argumentationsweise folgend, muß er dem jedoch hinzufügen, daß verschiedene Parteiführer diese Flexibilität überschätzten. (S. 279) Auch daß er unter Verwendung zahlreicher Beispiele anführen kann, die Komintern habe neue Generallinien nicht einfach nur von außen übergestülpt, sondern dabei immer auf einzelne Sektoren sowohl in der Mitgliedschaft wie in der Führung setzen konnte, stärkt seine Position eigentlich nicht. Denn es gibt keinen Grund dafür anzunehmen, diese Sektoren hätten sich sonst so durchsetzen können.
Gegen solche von ihm aufgebaute Pappkameraden kann Thorpe natürlich leicht anrennen – insbesondere mit dem vollen Gewicht umfangreicher Archivstudien, das erst einmal scheinbar jedem Kritiker den Wind aus den Segeln nimmt, obwohl noch abzuwarten ist, zu welchen Ergebnissen weitere Nachforschungen in den Archiven führen werden.[4]
Bereits seit längerem gibt es Diskussionen über die Charakterisierung einzelner Kommunistischer Parteien, besonders zugespitzt in den USA, aber jüngst auch in Deutschland zum Weimarer Kommunismus. Anhänger der ›Autonomie‹-These, die die Partei aus ihrem ›Milieu‹ heraus verstehen wollen, stehen dabei denjenigen gegenüber, die die Partei als einen politischen Faktor vom Selbstverständnis wie von der Praxis betrachten, die sich nun einmal auf die Sowjetunion berief, daraus ihre Identität bezog, deshalb auch in vielfältiger Weise mit ihr verbunden war und durch dieses Verhältnis, das ein Abhängigkeitsverhältnis war, bestimmt wurde. Spätestens mit dem Erscheinen von Thorpes Buch hat diese Diskussion auch die Historiographie der britischen KP erreicht. Weitere Arbeiten, die in diese Richtung gehen, z. B. von Matthew Worley über die KPGB in der »ultralinken« Periode 1929–34, sind angekündigt. Entsprechende Gegenpositionen sind bezogen.[5]
[1] Er ist inzwischen auch im Internet einschließlich aller bisher erschienenen Nummern zu finden: les1.man.ac.uk/chnn
[2] Vgl. Harry Wicks, Keeping My Head: Memoirs of a British Bolshevik, London 1992, S. 42–45.
[3] Ein anderes Beispiel für seine Methode, sich um klare und eindeutige Aussagen herumzudrücken, immer wieder Einschränkungen zu machen und sich auf Unbestimmtheiten zurückzuziehen, ist etwa: »It would, then, be foolish to argue that the CPGB was autonomous of, and still less independent from, the CI in this period. But it would be equally fallacious to see it simply as a tool of Moscow without significant life of its own. Instead, the relationship was constantly being renegotiated and remade.« (S. 282)
[4] Siehe etwa die kritischen Bemerkungen von John McIlroy zu einzelnen Behauptungen von Thorpe in seinem Aufsatz »Rehabilitating Communist Historiography. The Communist International, the Communist Party of Great Britain and Some Revisionist Historians«, in: Revolutionary History, Jg. 8, Nr. 1, 2001, S. 195–226.
[5] Siehe vorige Anmerkung. McIlroy hat außerdem bisher schon eine Reihe von Aufsätzen und Beiträgen zu Sammelbänden – z. T. in Zusammenarbeit mit Alan Campbell – vorgelegt, die sich kritisch mit der Betriebs- und Gewerkschaftspolitik der KP und ihren politischen Vorgaben auseinandersetzen. – Für die ›Autonomie‹-These wiederum hat Nina Fishman, Autorin einer umfangreichen Arbeit über die KP-Gewerkschaftspolitik nach 1932 (siehe die Besprechung im Jahrbuch, Bd. 1997), kürzlich erst wieder eine Lanze zu brechen versucht: Sie stellte dem »essentialism«, d. h. dem Verständnis der KP als einer an Moskau orientierten stalinistischen Partei, eine »realistische« Interpretation gegenüber, da die KP spätestens mit der Volksfront ihre Politik an den realen Bedingungen in Großbritannien orientiert habe. Siehe ihre Bemerkungen »Essentalists and Realists: reflections on the historiography of the CPGB«, in: Communist History Network Newsletter, Nr. 11, Herbst 2001, S. 7–16.