In den zahlreichen Abhandlungen zur Geschichte der DDR wird die SED als allgegenwärtige Staatspartei dargestellt. Ihr Machtmonopol wird von den Forschern als uneingeschränkt charakterisiert. Doch die SED und ihre Politik stehen seit 1990 fast nie im Mittelpunkt des historischen Interesses. Im Folgenden sollen einige Gesichtspunkte für eine zukünftige, die ganze Geschichte der SED ins Auge fassende Historiographie umrissen werden.
Die SED – Herrschaft im Diktaturenvergleich
Die Vergesellschaftung des Herrschaftswissens der SED-Diktatur begann im Dezember 1989 mit der Besetzung regionaler Dienststellen des Ministeriums für Staatssicherheit durch Bürgerkomitees. Der Sicherung der MfS-Akten folgte deren Öffnung für die geheimpolizeilich verfolgten Opfer, für die Strafverfolgungsbehörden und für Medien und Wissenschaft 1991. Obwohl recht schnell klar war, das das MfS nicht Staat im SED-Staat, sondern »Schild und Schwert der Partei« war, bezog und bezieht sich der öffentliche Diskurs über die untergegangene Diktatur – um im Bild zu bleiben – vornehmlich auf die Waffen der totalitären Partei. Die MfS-zentrierte öffentliche Diskussion war im Prozess der friedlichen Revolution 1989/90 eine politische Notwendigkeit, um die SED-Herrschaft zu entwaffnen. Heute verfestigt sie sich zunehmend zum Geschichtsbild, das den Blick auf die politische Verantwortungshierarchie in der DDR verstellt.
Hierzu trägt die Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des ehemaligen Staatsicherheitsdienstes der DDR (BStU) aktiv bei. In einem Entwurf für ein behördeninternes Leitbild aus dem Jahr 2004 heißt es: »Die Bedeutung der MfS-Archive reicht weit über das zeitgenössische Interesse hinaus. Als historisch einmaliger Bestand und als Gedächtnis der Stasi- und Diktaturgeschichte müssen sie in ihrer Gesamtheit erhalten bleiben.«[1] War das MfS also doch Staat im SEDStaat?
Ein erstes Problem für eine Geschichte der SED liegt offenbar in der Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen dem ideologischen und gesellschaftlichen Allmachtsanspruch und dessen Umsetzung in staatliches Handeln, zumal Plan und Realität dabei aufeinander trafen. Oft kam es zu Kompromissen, die dem Allmachtsanspruch der SED Grenzen setzten. Die heutigen Historiker konzentrieren sich bei der Behandlung der politischen Geschichte der DDR auf das staatliche Handeln, damit stellen sie zugleich eine Kompatibilität zur Geschichte der Bundesrepublik bis 1990 her. Die SED, obwohl allgegenwärtig, wird als Herr des politischen Verfahrens nicht fassbar. Oft entschwindet in solchen Darstellungen ihr totalitäres Selbstverständnis vom Staat. Er war für die Kommunisten nur das zentrale Instrument der Partei, um ihre Ziele in der sozialistischen Gesellschaft nach innen durchzusetzen und gegenüber einer staatlich verfassten internationalen Ordnung nach außen zu vertreten. Das instrumentale Staatsverständnis der SED war in der DDR-Verfassung von 1968 als Suprematie der Partei rechtsförmig verankert worden. Die politische Geschichte der DDR muss deshalb mit dem totalitären, ideologisch begründeten Machtwillen der Kommunisten beginnen, Voraussetzung ist, dass er von Historikern verstanden wird und nachvollzogen werden kann. In der bisherigen DDR-Geschichtsschreibung haben dies bislang vor allem Ernst Richert[2] und Hermann Weber[3] getan. Ihre DDRGeschichten nahmen den totalitären Gestaltungswillen der SED zum Ausgangspunkt der Beschreibung über die Politik der Kommunisten an der Macht. Sie konfrontierten die Pläne der SED, festgehalten in den Beschlüssen ihrer Führung, mit den Auswirkungen ihrer Politik auf die gesellschaftlichen Realitäten in der DDR und die jeweiligen außenpolitischen Konstellationen.
Um die »Aufarbeitung der SED-Diktatur« in Deutschland ging es politisch erst nach der Vereinigung. Das Referenzmodell für diese Aufgabe besaßen die Deutschen bereits, entwickelt und erprobt in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nach 1945. Die Vorgaben für diese Diktatur-Aufarbeitung wurden nach Kriegsende zunächst von außen gesetzt. Die Bestrafung der Kriegsverbrecher, »der Täter«, war ebenso alliiertes Kriegsziel, wie die Entschädigung begangenen Unrechts an den »Opfern«. Sichtbarer Ausdruck dieser Politik der »Entnazifizierung« war die Konstituierung des Internationalen Gerichtshofes zur Aburteilung der Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg 1945/46. Hitlers Partei wurde von den vier Besatzungsmächten, die 1945 die oberste staatliche Gewalt in Deutschland übernahmen, sofort verboten. Das Nürnberger Tribunal konzentrierte sich auf Kriegsverbrechen und den Terror der deutschen Besatzungsherrschaft und befasste sich in diesem Zusammenhang auch mit der Zentrale dieses Terrors: dem Reichssicherheitshauptamt. In seinem Urteil wurden die Geheime Staatspolizei (Gestapo) und die SS zu verbrecherischen Organisationen erklärt. Die Verantwortlichen für den Vernichtungskrieg im Osten, den Völkermord an den europäischen Juden und den geheimpolizeilichen Terror gegen die der deutschen Besatzung unterworfenen Völker wurden angeklagt. Diejenigen Angehörigen der Terrormaschinerie, die in den Konzentrationslagern gemordet und den Besatzungsterror in Polen und anderen Ländern exekutiert hatten, wurden gesucht, festgenommen und vor Gericht gestellt. Die Deutschen waren damals mit dem Überlebenskampf in den Trümmern ihres zerstörten Landes beschäftigt. Diese »Siegerjustiz« war in Deutschland nicht populär, sie wurde hingenommen, aber nicht als notwendige Sühne angenommen.
Die Verbrechen der »Führerpartei« und ihres Terrorapparates gegen das eigene Volk wurden nachgeordnet. Der amerikanische Hauptankläger, Robert Jackson, stellte zu Beginn des Prozesses und im Blick auf die Zukunft fest, dass die vier Mächte nicht beabsichtigen, »das ganze deutsche Volk zu beschuldigen […] wenn die breite Masse des deutschen Volkes das nationalsozialistische Parteiprogramm willig angenommen hätten, wäre in den frühen Zeiten der Partei die SA nicht nötig gewesen, und man hätte auch keine Konzentrationslager und keine Gestapo gebraucht […] Wahrlich die Deutschen – nicht weniger als die Welt draußen haben mit den Angeklagten eine Rechnung zu begleichen.«[4] Diese Abrechnung dominierte die zeitgeschichtliche Debatte bis heute.
Die 1945 nicht mögliche Chance, mit einer Diktaturpartei selbst abzurechnen, bekamen die Deutschen 1989 durch die friedliche Revolution in der DDR. Die Qualität der Verbrechen und das Ende der SED-Herrschaft sind mit denen der Nationalsozialisten nicht gleichzusetzen, zumal sie unmittelbar nur einen Teil des Landes betrafen. Aber das Nürnberger Vorbild wirkte prägend. De facto wurde im Einigungsvertrag das MfS als »verbrecherische Organisation« behandelt, während die Diktaturpartei die Chance zum Neuanfang als Partei des demokratischen Sozialismus bekam.
Vor dem Terror stand der Glaube
Wie schwer es ist, im Land, in dem »Täter« und »Opfer« und deren Kinder zusammen weiterleben, an die Geschichte der totalitären Bewegungen und Parteien zu erinnern, denen Millionen glaubten und hoffnungsvoll folgten, das lässt sich in Berlin am Schicksal zweier Gedenkorte an die nationalsozialistische Diktatur ablesen. Nach heftigem Streit wird das Stelenfeld wie geplant fertig, das als Mahnmal an den Völkermord an den europäischen Juden und nur an diesen erinnern
soll. Die »Topographie des Terrors« auf dem Gelände des Reichssicherheitshauptamtes dagegen, die den nachgeborenen Deutschen ein Bild der nationalsozialistischen Diktatur, ihrer Rassen- und Kriegspolitik und der terroristischen Methoden ihrer Herrschaft vermitteln soll, ist 2004 noch immer eine Bauruine. Ähnlich wird mit dem Gedenken an die SED verfahren. Die Gedenkstätten an die Opfer der Diktatur und der befestigten »Staatsgrenze West« sind errichtet; nicht aber die Topographie II, die im Amtssitz des Ministers für Staatssicherheit eingerichtet werden soll, um über die Strukturen und Machtmechanismen der kommunistischen Diktatur zu informieren. Das Vorhaben scheitert bislang noch daran, dass sich das Land Berlin und der Bund nicht über die Sanierungskosten dieses letzten originären Regierungsgebäudes der DDR einigen können.
Die Täter-Opfer-Perspektive ist in der Auseinandersetzung mit der Geschichte totalitärer Parteien an der Macht ein unabweisbarer Schwerpunkt. Vor ihrer Machtergreifung waren sie revolutionäre Parteien, die die bestehenden Verhältnisse erklärtermaßen umzustürzen suchten, um die utopische Vision ihres Gesellschaftsentwurfs auf den Trümmern der von ihnen zerstörten bürgerlichen Zivilisation zu errichten. Der »Schrecken« war bereits ein Kennzeichen der Jakobinerdiktatur in der Französischen Revolution, deren Geschichte als revolutionäres Erbe von den Kommunisten und auch von der SED gepflegt wurde. Im Terror als Methode zur Brechung von sozialem und politischem Widerstand erschöpfte sich die Politik der Kommunisten an der Macht nicht. Terror war nützlich, er verbreitete Furcht, Entsetzen und Angst und lähmte den Widerstandswillen in den Reihen der »feindlichen Kräfte«, die es zu unterwerfen galt. Zugleich beförderte die Faszination der gewalttätigen Entschlossenheit des totalitären Machtwillens die Anziehungskraft auf die zu gewinnenden »Massen«.
Aber vor dem Terror stand der Glaube an das humanistische Endziel der kommunistischen Gesellschaft, der diesen Weg der Gewalt und der Kriege rechtfertigte, um Frieden auf Erden und soziale Gerechtigkeit für Jedermann zu schaffen. Dieser Glauben an das machbare Paradies inspirierte im 20. Jahrhundert weltweit Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle; das galt auch für Deutschland. Die Hoffnung, mit der DDR, ihrem Staat, das »bessere Deutschland« nach Hitler und der nationalsozialistischen Katastrophe aufzubauen, führte Berthold Brecht und Anna Sehgers aus dem Exil in die DDR und veranlasste Ernst Bloch und Hans Mayer, in Leipzig Lehrstühle anzunehmen. Die euphemistisch »antifaschistisch-demokratischen Umwälzungen« umschriebenen Verstaatlichungen der großen Industrie, die Enteignung adligen und bäuerlichen Besitzes 1945/46 und die Bildungsrevolution schufen für die skeptische Generation der enttäuschten Hitlerjugend die gesellschaftlichen Voraussetzungen für einen ideologischen Neuanfang und soziale Karrieren.
Machtergreifung im sowjetischen Auftrag
Unbestritten war die SED die diktatorische Staatspartei der SBZ/DDR. Die DDR war damit einer der Teilstaaten der deutschen Nachkriegsgeschichte, die erst 1990 endete. Die Geschichte der Partei lässt sich aber nicht auf diese Rolle reduzieren.
Die deutschen Kommunisten errangen ihre Macht nicht durch eine von ihnen siegreiche geführte »proletarischen Revolution«, sondern aufgrund der Entscheidung der sowjetischen Sieger- und Besatzungsmacht, die sich beim Aufbau einer neuen staatlichen Verwaltung in ihrer Zone auf ihre »Moskauer Kader« und die von ihnen geführte und ideologisch-politisch ausgerichtete KPD stützten. Die historische
Grundlage für die 40-jährige SED-Diktatur sah der Bericht der EnqueteKommission Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland folgerichtig im totalitären »Machtanspruch der sowjetischen und deutschen Kommunisten.«[5] Zugleich erinnerte die Kommission an die entscheidende Voraussetzung für diesen Weg der KPD zur Macht und der damit verbundenen Teilung Deutschlands. Die Wurzel der Moskauer Herrschaft in Deutschland war die nationalsozialistische Kriegs- und Vernichtungspolitik des Zweiten Weltkrieges. »Deutschland hatte 1945 nicht nur eine militärische Niederlage erlitten, sondern mußte auch mit Gebietsverlusten im Osten rechnen, die mit einer massenhaften Vertreibung der deutschen Bevölkerung eingeleitet wurde. Es war von der NS-Diktatur befreit, aber auch den Besatzungsmächten bedingungslos ausgeliefert. Die in der Ära Bismarck gewonnene Großmachtstellung, die bereits durch den Ersten Weltkrieg geschwächt worden war, hatte es selbst verschuldet, vollends verspielt. Am 5. Juni 1945 übernahm der Alliierte Kontrollrat die oberste Regierungsgewalt in Deutschland.«[6]
Damit sind die unverrückbaren historischen Ausgangsbedingungen für die Geschichte der SED festgehalten. Sie begann mit der Wiederbegründung der Kommunistischen Partei Deutschlands in der sowjetischen Besatzungszone 1945. Vor der Partei stand eine doppelte Herausforderung, zum einen der Neubau deutscher Verwaltungen in der SBZ, die am sowjetischen Referenzmodell, namentlich der Durchsetzung der »führenden Rolle« der kommunistischen Partei, orientiert war. Gleichzeitig versuchte die KPD, sich in den westlichen Besatzungszonen mit einer die Einheit Deutschlands betonenden Bündnispolitik als hegemoniale Partei der Arbeiterbewegung zu etablieren. Die Planungen der Moskauer Kader im Exil 1944/45 gingen von der nach dem Krieg bevorstehenden Auseinandersetzung zwischen der Sowjetunion und den Westmächten um die Frage aus: Wo geht Deutschland hin – West oder Ost?[7] Schon im Juni 1945 hielten es Josef W. Stalin und die KPD-Führung nicht für ausgeschlossen, dass es »zwei Deutschlands«[8] geben würde. Der Wille zur ungeteilten Macht der Kommunisten war von Anfang an konfrontiert mit den innerdeutschen Widerständen gegen ihre Politik.
Zu ihnen zählte selbst in der SBZ das Wiedererstarken der SPD. Um die »Spaltung der Arbeiterbewegung« zu überwinden, startete die KPD im Herbst 1945 eine Einheitskampagne gegenüber den Sozialdemokraten. Kurt Schumacher, der in der britischen Besatzungszone agierte, sah darin den Versuch, in der SBZ »der sozialdemokratischen Partei eine kommunistische Führung aufzuzwingen«[9]. Der Versuch gelang nur in der SBZ, hier willigte der von Otto Grotewohl geleitete Zentralausschuss ein, mit der KPD zu fusionieren. Grotewohls Aufstieg zum Parteivorsitzenden der Einheitspartei an der Seite von Wilhelm Pieck (KPD) war eine einvernehmliche Unterwerfung. Entscheidend für das Gelingen der Parteigründung war das direkte Eingreifen der sowjetischen Besatzungsmacht zugunsten der KPD, sie handelte auf direkte Weisung von Josef W. Stalin.
Nach diesem Ereignis begann in den westlichen Besatzungszonen bereits der Niedergang der KPD, deren Vorsitzender weiterhin bis 1968 an Sitzungen des SED-Politbüros teilnahm. Die SED gab ihren Anspruch als gesamtdeutsche Partei nicht auf, sie beanspruchte als »Staatspartei« die politische und ideologische Führung ihrer »Bruderparteien« KPD und DKP bis 1989.[10] Sie finanzierte diesen Interventionsapparat in der Bundesrepublik, im ZK der SED wurden die Kaderakten der KPD/DKP-Funktionäre geführt, ihre Ausbildung erfolgte auf Parteihochschulen der SED und der KPdSU. Die Geschichte der deutschen Kommunisten nach 1945 ist ebenso gespalten, wie die des Landes: im Osten an der Macht und im Westen eine als extremistisch beobachtete, teilweise verfolgte Splitterpartei.
Die KPdSU und die SED
Ausschlaggebend für den Aufstieg zur Macht in der SBZ/DDR und ihre Sicherung blieb die Bedeutung der SED für die sowjetische Deutschlandpolitik. Bis zu Stalins Tod 1953 fallen alle Grundsatzentscheidungen ihrer Politik in Moskau. Grundsätzlich ändert sich daran nichts, als seine Erben die Macht übernehmen und der SED im Juni 1953 einen »neuen Kurs« verordnen, um die Folgen des
Aufbaus der »Grundlagen des Sozialismus« zu korrigieren. Dieser Kurs von 1952 führte insbesondere durch die hohen Flüchtlingszahlen zur ersten Staatskrise der DDR. Das Eingeständnis der SED, »Fehler« begangen zu haben, wirkte wie eine Aufforderung zum Volksaufstand am 17. Juni 1953, der nur mit Hilfe des raschen Eingreifens der Sowjetunion in der DDR und durch die Verhängung des Ausnahmezustandes unterdrückt werden konnte. Hatte Stalin 1945 die Zusammensetzung der KPD-Führung persönlich »bestätigt«, so tat dies die Moskauer kollektive Führung ebenso im Juli 1953 gegenüber Walter Ulbricht und Otto Grotewohl nach dem gescheiterten Volksaufstand.
Der 17. Juni richtete sich nicht nur gegen die SED, sondern auch gegen deren Schutzmacht. Er war eine Niederlage in der »Systemauseinandersetzung« zwischen dem Sozialismus in der DDR und dem Kapitalismus in der Bundesrepublik oder auf dem Feld der staatlichen Ordnung zwischen Diktatur und Demokratie. Dieser »Systemkonflikt« war prägend für Entstehung und Geschichte der SED. Auch wenn die Hoffnung, die Systemauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus in Deutschland für sich zu entscheiden, trügerisch war, hielt diese Hoffnung viele Kader der SED doch über vier Jahrzehnte aufrecht in ihrem Dienst für ihren Staat.
Die Weltsicht der SED war bipolar. Das Schicksal ihres Staates war unwiderruflich und auf ewig, so die Verfassung der DDR von 1974, mit der Sowjetunion verbunden und damit stand auch kulturell und ideologisch das antiamerikanische und antiwestliche Feinbild fest. In der Ausrichtung auf die Sowjetunion konnte sich die SED auf eine kulturelle Tradition der deutsch-russischen Beziehungen stützen. Wie tief diese war, zeigte sich in der friedlichen Revolution in der DDR 1989. Teile der SED und die Mehrzahl der Bürgerrechtler begannen den revolutionären Umbruch in der Hoffnung auf die Hilfe des Generalsekretärs der KPdSU Michail S. Gorbatschow.
Bis zu den Ostverträgen der sozialliberalen Koalition tat die Sowjetunion alles, um die internationale Anerkennung der DDR als zweiten deutschen Staat durchzusetzen. 1967 garantierte sie der SED, bevor die Bundesrepublik nicht diplomatische Beziehungen zur DDR aufgenommen und sie damit anerkannt hatte, sollte kein sozialistischer Staat Botschafter mit der Bundesrepublik austauschen. Zu Beginn der Verhandlungen 1970 änderte die sowjetische Führung die Agenda und die Reihenfolge der Vertragsverhandlungen. Nun stand die Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik am Ende des Verhandlungsprozesses über die Ostverträge und das alliierte Berlin-Abkommen 1972. Im gleichen Jahr wurden beide deutschen Staaten in die Vereinten Nationen aufgenommen. Die Änderung der Reihenfolge bei den Verhandlungen der Bundesrepublik über die Ostverträge, die mit der Sowjetunion begannen, hatte für die Geschichte der SED eine folgenreiche Bedeutung. Mit ihrem Vorgehen akzeptierte die sowjetische Führung implizit den Wiedervereinigungsvorbehalt im Grundgesetz der Bundesrepublik. Walter Ulbricht konnte sich mit seiner Position, die Anerkennung der DDR müsse Priorität in den Vertragsverhandlungen haben, nicht durchsetzen. Er verlor auch deshalb sein Amt an den von Leonid I. Breschnew favorisierten Erich Honecker. Das Ende der SED-Herrschaft und damit des Staates DDR war auch Folge der sowjetischen Reformpolitik von Michail S. Gorbatschow, der die »Breschnew-Doktrin« und der mit ihr verbundenen militärischen Interventionsdrohung gegenüber den »sozialistischen Bruderstaaten« 1989 aufhob.
Die Geschichte der SED ist ohne Einbeziehung der Deutschlandpolitik der sowjetischen Kommunisten während des Kalten Krieges in und um Deutschland und Europa nicht zu schreiben. Allerdings waren und sind zu diesen Fragen die Moskauer Archive weitgehend geschlossen. Damit fehlt eine wichtige Voraussetzung, um diese Schicksalslinie der SED zu erforschen.
Eng verbunden mit dem euphemistisch so genannten »Bruderbund« zwischen KPdSU und SED war auch deren Zugehörigkeit zur »Kommunistischen Weltbewegung«. Diese Perspektive auf die SED-Geschichte verbindet sie mit dem Schicksal der KPD vor 1945. Die am Jahreswechsel 1918/1919 gegründete KPD zählte 1919 zu den Gründungsparteien der Kommunistischen Internationale (Komintern) in Moskau. Sie war damit »Sektion« einer im Sitzland beheimateten und von dort dirigierten Weltpartei. Ein Detail der Beziehungen zwischen KPD und Komintern mag diese Abhängigkeit illustrieren. Die Personalunterlagen der leitenden KPD-Funktionäre wurden in der Moskauer Zentrale geführt. Hier fielen auch die Entscheidungen über Parteiausschlüsse und den Aufstieg in die Führungsspitze. Nach der formalen Auflösung der Komintern 1943 wanderten diese Kaderakten in die Internationale Abteilung des ZK der KPdSU. Aus den Beständen der Abteilung Außenpolitik des ZK der KPdSU liegt eine Einschätzung über Ulbricht vom Dezember 1946 vor. Sie kommt zum Ergebnis, dass er faktisch »die gesamte organisatorische und administrative Arbeit des Apparates des Zentralsekretariats der SED« [11] leitet.
Die SED war integraler Bestandteil der auf Moskau ausgerichteten kommunistischen Weltbewegung. Die Folgen ihres Wandels und dem polyzentristischen Zerfall durch die Ausbildung regionaler Führungszentren, angefangen in Belgrad 1948, fortgesetzt in Peking 1956/57 bis hin zum Eurokommunismus der Siebzigerjahre in Westeuropa, betrafen und bestimmten nachhaltig die Ideologie der SED und ihre Politik gegenüber anderen kommunistischen Parteien. Obwohl die SED 1947 nicht zu den Parteien gehörte, die eingeladen wurden, ein neues »Informationsbüro der kommunistischen Parteien« (Kominform) zu bilden, folgte sie doch der Linie dieses neuen Führungszentrums. Dieses wurde im Konflikt zwischen der KPdSU und der KP Jugoslawiens 1948 deutlich. In den »Volksdemokratien« begann der Terror gegen die »Nationalkommunisten« in dort regierenden Parteien und es kam zur Wiederholung von Schauprozessen nach dem Moskauer Vorbild der Dreißigerjahre. Die SED beteiligte sich an der Jagd auf »Titoisten und Trotzkisten« in den eigenen Reihen. Begonnen wurde mit Funktionären der KPD, die in die DDR zitiert wurden, um dort verhaftet und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt zu werden.
In den Entstalinisierungskrisen 1956/57 vertrat die SED – wie stets während ihrer Existenz von 1946 bis 1989 – im Grundsatz dogmatische Positionen und bekämpfte aktiv den »polnischen Revisionismus« und die ungarische Revolution 1956. Im Streit der KPdSU mit der Kommunistischen Partei Chinas trat die SED dem »Maoismus« ebenso entgegen, wie dem in Westeuropa entstandenen »Eurokommunismus« der italienischen, französischen und spanischen kommunistischen Parteien in den Siebzigerjahre. Den Prager Frühling und den Reformkurs der tschechoslowakischen Kommunisten 1968 half die SED aktiv zu unterdrücken. Ulbricht stimmte dem Einmarsch der Warschauer Pakttruppen in das Nachbarland am 21. August 1968 in Moskau ausdrücklich zu. Seine Truppen standen Gewehr bei Fuß und wären auf den sowjetischen Befehl in die ČSSR einmarschiert.
Das westdeutsche Bundesverfassungsgericht hatte die KPD 1956 verboten. Trotz Fortbestehens des Verbots entstand 1968 die DKP, und zwar unmittelbar nach dem Einmarsch in Prag. Die DKP übernahm als einen ihrer ersten Aufträge die Kampagne gegen die Prager Reformkommunisten in der westdeutschen Öffentlichkeit. Auch wenn ihr in den Medien wenig Resonanz beschieden war, so gelang es dem SED-Interventionsapparat doch, in Verbindung mit dem aktiven Werben für die Entspannungspolitik und der Anerkennung der DDR, sozialistische Solidarität mit den verfolgten Reformkommunisten in der nichtkommunistischen Linken in den Hintergrund zu drängen. Die propagandistische Rechtfertigung von Menschenrechtsverletzungen im sowjetischen Lager in Westdeutschland ist Teil der Geschichte der SED. Dabei ist anzumerken, dass es in der scheinbar vollständigen Aktenüberlieferung der SED gerade zu dieser Frage Lücken gibt. Die Akten der ZK-Abteilung »Verkehr«, die die konspirative Verbindung zu den westdeutschen Kommunisten regelte, wurden vernichtet (genauso wie die zentrale SED-Mitgliederkartei).
Dem letzten Kurs der KPdSU hat sich die SED verweigert und versuchte ihn abzuwehren. Die Reformen von Gorbatschow verstand Honecker als Gefährdung der Macht der SED. Die Agonie der SED-Führung im letzten Jahr ihrer Herrschaft war Ausdruck realistischer Ratlosigkeit. Eine kommunistische Weltbewegung, an die sie auch gegen die Moskauer Führung noch hätte appellieren können, war bereits Geschichte.
Die Biographien der Generalsekretäre, die Bedeutung der »Renegaten« und der Gegenentwurf der SPD
Populäres Medium für die Geschichte totalitärer Parteien und Bewegungen sind die Biographien ihrer Führer. Die SED hatte drei Generalsekretäre in den 45 Jahren ihrer Existenz. Den Biographien der drei SED-Generalsekretäre Walter Ulbricht, Erich Honecker und der Sechs-Wochen-Funktionsausübung von Egon Krenz liegt ein gemeinsames Problem zu Grunde. Ihnen fehlt der siegreiche Glanz der Tat aus eigener Kraft. Außerdem standen sie im doppelten Schatten der Monstrosität der Verbrechen Hitlers und Stalins. Dieses Urteil gilt auch für das sozialistische Endziel und die ideologische Anziehungskraft des Marxismus-Leninismus, wie sie von der SED vertreten wurden. Nichts Eigenständiges war hier zu finden. Es galten die Vorgaben der führenden Partei der kommunistischen Weltbewegung. Ulbricht wagte mit seiner These vom »entwickelten Sozialismus« einen zaghaften Versuch der ideologischen Emanzipation Ende der Sechzigerjahre, der mit seiner Absetzung abrupt endete. Auch ideologisch blieb die SED bis zu ihrem Ende dem sowjetischen Kommunismusmodell verhaftet. Die überzeugendste Biographie von Walter Ulbricht schrieb Carola Stern nicht zufällig in den Sechzigerjahren.[12] Damals regierte Ulbricht noch immer und sein Staat stand kurz vor der internationalen Anerkennung. Kurzzeitig sah es so aus, als ob der SED-Parteichef gegen alle Widrigkeiten die DDR als antifaschistische Alternative zur Bonner Republik etabliert hatte.
Bindekraft, im Sinne eines gesamtgesellschaftliches Staatsbewusstseins, entfaltete über die Partei hinaus bis zum Ende der DDR allein der von der SED propagierte Antifaschismus, der sich auf die Realgeschichte des kommunistischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gründen konnte. Es gehört zur Parteigeschichte, dass Ulbricht bereits in der Moskauer Emigration im Februar 1945 gefordert hatte: Die überlebenden KPD-Mitglieder aus den Zuchthäusern und Konzentrationslagern des »Dritten Reiches« müssen gegenüber den Moskauer Kadern vor ihrer Wiederaufnahme in die KPD Rechenschaft ablegen, wie sie sich in der Haft verhalten hatten und welchen Umgang sie mit »Parteifeinden« hatten.[13]
In die Parteigeschichte der SED gehören auch jene Kommunisten, die Opfer von »Säuberungen« wurden, wie zum Beispiel Rudolf Herrnstadt oder Robert Havemann. Der Begriff »Säuberung« täuscht über seinen Inhalt, es ging um Parteiausschlüsse, Berufsverbote, Haft und Tötung. Zu den Ausgestoßenen kamen noch die, die bewusst mit der Partei brachen und die die kommunistische Propaganda als »Renegaten« geächtet hatte. Das Wort stammt aus der mittelalterlichen Kirchensprache und bezeichnete Christen, die Muslim wurden. Lenin führte dieses Feindbild 1918 mit der Polemik gegen Karl Kautsky in die Parteisprache ein.
Noch gewichtiger als das Thema der Renegaten für die Geschichte der SED ist das Verhältnis der Kommunisten zu den Sozialdemokraten, die bis zum Godesberger Programm 1959 als Gegenentwurf zum Moskauer Weg der SED einen demokratischen Sozialismus vertraten. Hatten die Kommunisten mit Gründung der SED die SPD durch Fusionen politisch und organisatorisch in der SBZ beseitigt, so hat die von Kurt Schumacher geführte SPD im Westen die KPD in direkter Konfrontation marginalisiert. Der demokratische Sozialismus der SPD schuf für die SED immer wieder ideologische Abgrenzungsprobleme. Gleichzeitig suchte die Staatspartei immer wieder das innerdeutsche Gespräch gerade mit Sozialdemokraten, um die Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik durchzusetzen. Das Verhältnis zwischen beiden Parteien entspannte sich, als jene kommunistische Generation aus der Führung der SED ausschied, die wie Ulbricht 1918 mit der SPD gebrochen hatten, um die KPD zu gründen. Dies galt ebenso für ihre sozialdemokratischen Widersacher aus der Generation, der auch Schumacher angehörte, die den Gegensatz von Diktatur und Demokratie im Umgang mit den Kommunisten oftmals leidvoll hatten durchleben müssen.
Bilder, aber noch kein Bild der SED
Organisatorischer Aufbau und hierarchische Funktionsweise der »Kader- und Massenpartei« sind hinlänglich präzise erforscht, dazu zählen auch die innerparteilichen Mechanismen zur Mitgliederführung und Disziplinierung. Die Mitglieder besaßen bis zum Ende der diktatorischen Staatspartei keinen Einfluss auf die politische Willensbildung innerhalb der SED, die in den Händen des Generalsekretärs und seiner Kader lag. Dieser Zentralismus erklärt auch die Agonie der SED-Führung im zweiten Halbjahr 1989, der finalen Staatskrise. Honecker war krank, die Nachfolgefrage offen und die Moskauer Existenzgarantie für die SEDHerrschaft unsicher. Die Parteigeschichte lehrte die Kader vor Linienwechseln der Führung oder in unübersichtlichen Situationen abzuwarten, um sich dann schnell neu zu orientieren. Über dem Abwarten verlor die Partei die Macht.
Eine historische Beschreibung der SED, die ihre Geschichte als totalitäre Staatspartei nicht aufnimmt, kann es nicht geben. Noch immer haben wir vielfältige Wahrnehmungen, aber kein Bild von der SED. Die Ursachen hierfür liegen vornehmlich an der immer noch zweistaatlich geprägten Darstellung der deutschen Nachkriegsgeschichte und dem Bestreben der Historiker, eine differenzierte Geschichte der DDR neben die der Bundesrepublik zu setzen.[14] Rolle und Bedeutung der alliierten Vorbehaltungsrechte für die deutschen Teilstaaten und insbesondere für die DDR waren als untergegangene Realitäten offenbar nicht existent. Die Wahrnehmung der politischen Bedeutung der SED in der DDR wird obendrein blockiert durch die Fokussierung der Debatte um die Diktatur auf die Tätigkeit des Staatsicherheitsdienstes. Staatspartei wurden die deutschen Kommunisten in ihrem Teilstaat, weil die Siegermacht Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg es so wollte. Sie war es auch, die die SED-Herrschaft in zwei der drei Staatskrisen der DDR 1953 und 1961 gegen ihr rebellierendes Staatsvolk und die Fluchtbewegungen schützte. Als die Existenzgarantie 1988/89 seitens der sowjetischen Führung zurückgezogen wurde, endeten die Macht der SED und so ihr Staat. Weiterhin war die SED Teil der von der KPdSU geführten kommunistischen Weltbewegung, an deren Erosion und Niedergang sie teilhatte. Und schließlich agierte die SED als gesamtdeutsche Partei. Formal waren KPD und DKP Parteien der Bundesrepublik. Aber Steuerung, Finanzierung und Kaderpolitik lagen seit 1945 in den Händen der DDR-Staatspartei, die die KPD/DKP als Interventionsapparat in der Bundesrepublik verstand und politisch einsetzte. Die Geschichte der SED kann also nicht aus der Beschränkung auf die DDR geschrieben werden. Ein solches Unterfangen greift zu kurz. Erst die Zusammenführung aller in diesem Artikel aufgeführten Gesichtspunkte gewährleistet ein stimmiges Bild jener Partei, die Deutschland tief geprägt hat. Eine vollständige Geschichte der SED ist noch nicht geschrieben.
[1] Das Papier ist zitiert nach: Birthler: Leitbilder für die Zukunft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Mai 2004.
[2] Richert, Ernst: Das zweite Deutschland. Ein Staat, der nicht sein darf, Gütersloh 1964.
[3] Weber, Hermann: Die DDR 1945–1990, München 2000.
[4] Taylor, Telford: Die Nürnberger Prozesse, München 1994, S. 207.
[5] Bericht der Enquete-Kommission, in: Materialien der Enquete-Kommission »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland«. Hrsg. vom Deutschen Bundestag, Baden-Baden 1995, Bd. 1, S. 208.
[6] Ebenda, S. 209.
[7] Vgl. Florin, Wilhelm: Lage und Aufgaben in Deutschland, in: Erler, Peter/Laude, Horst/Wilke, Manfred (Hrsg.): »Nach Hitler kommen wir«. Dokumente zur Programmatik der Moskauer KPD-Führung 1944/45 für Nachkriegsdeutschland. Berlin 1994, S. 143–145.
[8] »Es wird zwei Deutschlands geben«. Entscheidung über die Zusammensetzung der Kader. Eine Niederschrift Piecks über ein Treffen von Stalin mit der KPD-Führung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. März 1991, S. 6.
[9] Zitiert nach: Friedrich Ebert Stiftung (Hrsg): Einheit oder Freiheit. Zum 40. Jahrestag der Gründung der SED, Bonn o. J. [1986], S. 142.
[10] Erinnert sei auch an die Umwandlung der SED in Berlin (West) zur SEW (Sozialistische Einheitspartei Westberlins) 1962.
[11] Erler/Laude/Wilke: »Nach Hitler kommen wir« (Anm. 7), S. 416.
[12] Stern, Carola: Ulbricht. Eine politische Biographie. Berlin/Köln 1963.
[13] Vgl. Ulbricht, Walter: Vorschlag für die nächsten Maßnahmen der deutschen Kommunisten, in: Erler/Laude/Wilke: »Nach Hitler kommen wir« (Anm. 7), S. 327 f.
[14] Vgl. Jarausch, Konrad: Jenseits von Verdammung und Verklärung. Plädoyer für eine differenzierte DDR-Geschichte, in: Benussan, Agnes/Dakowska, Dorota/Beaupré, Nicolas (Hrsg): Die Überlieferung der Diktaturen, Essen 2004, S. 229.