Alsbald nach ihrer Gründung begann die KPD nach dem Vorbild der Leninschen Partei mit der nachrichtendienstlich betriebenen Erkundung der Politik und der Aktivitäten des Klassengegners sowie der Aufdeckung von (Polizei-)Spitzeln und Provokateuren in den Reihen der Partei. Die Parteiführung und die Bezirksleitungen richteten Untersuchungskommissionen ein, um die Abwehr von Spitzeln und Provokateuren zu organisieren. Abwehrarbeit begriff die KPD von jeher defensiv und offensiv. Einerseits also ging es um die Entlarvung von Agenten innerhalb der Partei, andererseits um das Eindringen in gegnerische Geheimdienste, in Polizei- und Abwehrorgane.[1]
Der in den Zwanzigerjahren eingerichtete AM-Apparat (Anti-Militaristischer Apparat)[2] der Partei verwandte auch die in Nachrichtendiensten übliche Terminologie. Er gewann »Vertrauensleute« unter geeigneten Genossen, die den Apparat unterstützten, »Mittelsmänner« oder »Agenten«, die vorwiegend aus finanziellem Interesse oder aus Abenteuerlust für den Apparat tätig wurden.[3] Das hieß auch: Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten der Partei wurden von Anbeginn nicht nur mit Hilfe eigener Genossen, sondern auch mit bezahlten, politisch »außenstehenden« Agenten betrieben.
Viele Parteianhänger hatten selbst noch in der erzwungenen völligen Illegalität der NS-Zeit beträchtliche Schwierigkeiten, sich die vor allem von den Mitgliedern des Apparates immer wieder eingeschärften Regeln der Konspiration zu Eigen zu machen. Die überlieferte Ermahnung aus den Zwanzigerjahren, die gefährliche Geschwätzigkeit und Vertrauensseligkeit vieler Parteigenossen zu überwinden, belegt diese Schwierigkeiten.[4] Die Formung der Parteimitglieder zu »zuverlässigen Genossen« nach den Maßstäben des Apparates half mit, eine Atmosphäre primären Misstrauens zu schaffen. Das früh einsetzende Aufspüren und Verfolgen von »Abweichlern« trug zur Verstärkung dieser Atmosphäre bei. Erst recht taten das die systematischen Verdächtigungen, die die in der sowjetischen Emigration stets neu zu beweisende »Wachsamkeit« in den Dreißigerjahren auslöste.[5]
Seit ihrem Bestehen sah sich die KPD veranlasst, in »Spitzelalmanachen« vor Personen zu warnen, von denen nicht wenige der Partei angehört hatten.[6] Das war ein Abwehrmittel zwiespältiger Art. Zwar klärte es auf, bewahrte (nicht immer) vor weiterem Schaden durch bereits entdeckte Agenten und stellte die Erfolge des Abwehrapparates der Partei dar. Aber es förderte auch das kommunikationsbehindernde Misstrauen zwischen den Mitgliedern der Partei und die Besorgnis, wie viele noch unentdeckte, aktive »Spitzel« in der Partei hinter jedem entdeckten stehen mochten.
Der illegale AM-Apparat steckte noch in seinen Anfängen, als es in Düsseldorf bereits in seinen Reihen einen V-Mann (VM) der politischen Polizei gab: Eduard Krölle, Mitglied der Militärischen Oberleitung, bot sich schon im September 1920 (gegen Vergütung) der Polizei als Informant an. Er lieferte unter anderem Informationen über den als »Hans« in Essen für den Militärapparat tätigen Wilhelm Zaisser, später Minister für Staatssicherheit der DDR (1950 bis 1953).[7]
Adolf Diener kam 1919 zur KPD. Im Herbst 1923 war er bereits zum Mitglied der Bezirksleitung in Württemberg und zum Bezirksnachrichtenleiter avanciert. Er baute eine Gruppe von V-Leuten auf und streute angeblich mit ihrer Hilfe Verdächtigungen über Parteifunktionäre aus. Im Zusammenhang mit dem Tscheka-Prozess,[8] der 1925 vor dem Reichsgericht in Leipzig verhandelt wurde, fand die KPD heraus, dass Diener und noch weitere Genossen für die politische Polizei gearbeitet hatten.[9] Egon Erwin Kisch griff den Fall Diener, dessen Tätigkeit als »Polizeispitzel« die Verteidigung der angeklagten Kommunisten hervorhob, in einer Gerichtsreportage unter dem Titel »Die beiden Tschekas vor dem Reichsgericht« auf: »Der Name ›Tscheka‹, unter dem der Prozeß begann, wird nicht mehr genannt. Statt dessen tritt eine ganz neue Tscheka in Erscheinung, die diesen mehr als langweiligen Prozeß doch zu unerhörter politischer Wichtigkeit stempelt […] schweben hier geradezu Myriaden von Polizeiagenten über den Wassern. Diener ist ein Spitzel, König ist ein Spitzel […] Spitzel, Spitzel, nichts als Spitzel, rechte Tschekisten.«[10] Was Kisch aussparte – womöglich guten Glaubens – war Dieners Tätigkeit im Nachrichtendienst der KPD, war der – für dieses Mal – von der KPD verlorene Kampf zwischen staatlichem und parteieigenem Nachrichtendienst.
Vielerorts kam es zum Parteiausschluss vermeintlicher oder wirklicher »Spitzel und Verräter«.[11] Allerdings gab sich die Partei anscheinend mit einem Ausschluss eines Spitzels oder eines Verdächtigten nicht in allen Fällen zufrieden. So wurde Fridolin Leutner, Mitarbeiter der Düsseldorfer Lokalredaktion der Parteizeitung Freiheit, 1923 von der Zentrale der KPD wegen Spitzelverdachts nach Moskau geschickt und ist dort mit großer Wahrscheinlichkeit umgebracht worden.[12]
Gegenstand der Untersuchung, Quellen und Umfang der Funde
Im Vorgriff auf ein federführend von Hans Schafranek (Wien) geplantes, bisher noch nicht gesichertes Projekt, mit dem der Einsatz von V-Leuten durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) in mehreren Großregionen des »Großdeutschen Reiches« untersucht werden soll, hat der Verfasser eine regional und inhaltlich begrenzte Untersuchung für den Rhein-Ruhr-Raum mit dem Schwerpunkt im Gebiet der Gestapo-Stelle Düsseldorf aufgenommen.[13] Einerseits ist die Forschung im Wesentlichen begrenzt auf Gestapo-V-Leute kommunistischer Herkunft, also solcher, die der KPD bzw. einer ihrer Nebenorganisationen angehört haben oder für kommunistische Organisationen tätig waren. Einzelne der ermittelten V-Leute gehörten zwar weder der KPD noch einer ihrer Nebenorganisationen an, sympathisierten aber mit den Kommunisten oder waren mit ihnen gut vertraut und eigneten sich deshalb zur Informationssammlung in ihrem Milieu.
Andererseits sind auch solche V-Leute dieser Herkunft einbezogen, die ausschließlich oder überwiegend oder ursprünglich für Nachrichtendienste der NSDAP, der SA und SS tätig geworden sind. Deren Arbeit mündete meist in die Tätigkeit der Gestapo ein. V-Mann oder V-Frau wurde jemand dadurch, dass ein Nachrichtendienst ihn – freiwillig oder gezwungen – zur Beschaffung geheimer Informationen verpflichtete. Wen auf solcher Grundlage »sein« Dienst als VM ansah und bezeichnete, der oder die wird in der Regel auch hier so eingeordnet.[14]
Spätestens seit der NS-Machtübernahme war das Ziel der Informationsbeschaffung durch V-Leute die Vernichtung der (illegalen) KPD. Die Indienstnahme und der Einsatz von V-Leuten folgten dieser Zielsetzung. Die Konzentration auf die Vernichtung der KPD führte auch dazu, dass V-Leute oft mit Blick auf den kurzfristigen Erfolg eingesetzt und dafür auch preisgegeben wurden. Oft wurden sie für eine einzelne Operation gegen die KPD in Dienst genommen und nach deren Abschluss »ausgemustert«.[15] Es kam auch vor, dass ein festgenommener illegaler Funktionär, der sich durch besondere Aussagewilligkeit auszeichnete, für eine einzelne Operation ohne ausdrückliche Indienstnahme wie ein VM eingesetzt und dann der Strafverfolgung überlassen wurde.[16]
Als Quellenmaterial wurden vor allem der umfangreiche GestapoaktenBestand des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf (über 65 000 personenbezogene Akten),[17] Gerichtsaktenbestände der Dreißiger- bis Fünfzigerjahre in der Zweigstelle Kalkum dieses Archivs und des Staatsarchivs Münster (Bestände des Generalstaatsanwaltschaft und des Oberlandesgerichtes Hamm), sowie Wiedergutmachungsakten bei der Bezirksregierung Düsseldorf und in etlichen Stadtarchiven benutzt. Wesentliche Ergänzungen lieferten die NS-Akten (vor allem des Oberreichsanwalts) der Z-Bestände des Bundesarchivs. Deren Erschließung wurde durch Auskünfte der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) erheblich erleichtert. Die im Sondervorgang 1/81 der Hauptabteilung IX/11 des MfS zusammengetragenen umfangreichen Materialien und Analysen über den Nachrichtendienst der KPD,[18] in die die BStU Einblick gewährte, halfen in zahlreichen Fällen beim Auffinden und Identifizieren von V-Leuten, lieferten auch Hinweise auf Schicksale einzelner von ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg.
Gelegenheit zu Gesprächen mit Beteiligten oder Zeitgenossen gab es so gut wie keine mehr. Parteigeschichtliche Publikationen aus dem Bereich des westlichen KPD-Nachfolgers, der DKP, die auch nur am Rande das Thema berührten, sind nicht bekannt. Der Parteihistoriker Günther Judick befand sich auf Nachfrage für nicht kompetent; seine Arbeit habe allein der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gegolten.
Literarische Quellen über V-Leute kommunistischer Herkunft aus dem RheinRuhr-Gebiet sind selten. Der von Rudi Goguel, einem Verfolgungsopfer, 1947 veröffentlichte Erinnerungsband nennt immerhin zwei Düsseldorfer V-Leute.[19] Goguel sagt aber selbst, er wisse von beiden nur durch andere. Dagegen schreibt der Essener Kommunist Ernst Haberland in seiner erst 1981 im Militärverlag der DDR unter MfS-Obhut erschienenen Autobiographie sehr direkt von dem Ex-Genossen und V-Mann Alfred Sitter,von dem er sich verraten fühlte.[20]
Als Sekundärquellen zu nutzende wissenschaftliche Arbeiten über die Tätigkeit von Sicherheitsdienst (SD) und Gestapo im Rhein-Ruhr-Raum oder über den Widerstand der KPD in der NS-Zeit sind zum Gegenstand dieser Untersuchung kaum vorhanden. Zwar stehen neben Detlev Peukerts Standardwerk eine ganze Anzahl von Arbeiten zum Widerstand gegen das NS-Regime in einzelnen Städten zur Verfügung.[21] Peukert ist immerhin auf das Problem der aus der KPD gekommenen V-Leute der Gestapo eingegangen, aber weitgehend verschlüsselt, ohne Namen, oft auch ohne präzise Quellenangaben. Die meisten anderen Autoren äußern sich noch zurückhaltender zu diesem Gegenstand, sahen sich zum Teil wohl bei genauen Angaben, vor allem bei Namensnennung, Risiken ausgesetzt, die sie nicht tragen mochten oder konnten.[22] So sind selbst dort, wo sich Hinweise auf Aktivitäten von V-Leuten finden, nur wenige Informationen zu gewinnen, die zu deren Identifizierung und zur Auffindung weiteren Materials führen können.
Immerhin haben diese Quellen Informationen über mehr als 70 V-Leute kommunistischer Herkunft in dem zuvor dargestellten Sinne geliefert, über ihre Person, ihre Zugehörigkeit zu kommunistischen Organisationen, meist auch ihre Funktionen dort, ihre Indienstnahme, Festnahmen und Bestrafungen, ihre »Leistungen« für den SD oder die Gestapo (bzw. den Schaden für die illegale KPD und deren Aktivisten) und über die Umstände ihres Ausscheidens aus dem Dienst als VM.[23] Zu etwa 50 weiteren Personen haben sich einzelne Hinweise gefunden, die erlauben, zuverlässig anzunehmen, dass sie als V-Leute gegen die illegale KPD eingesetzt waren und selbst aus deren Umfeld kamen.
Die angeführten Funde, eine Reihe von Angaben in der Literatur über Verfolgung von Kommunisten und deren Widerstand während des NS-Regimes, eine größere Anzahl nicht weiter verfolgbarer Hinweise und Zufallsfunde bei den Aktenrecherchen, die Listennummer 215 für einen 1941 von der Gestapo Düsseldorf gegen die KPD eingesetzten V-Mann[24] deuten in ihrer Summe darauf hin, dass die Zahl der im Untersuchungsbereich eingesetzten V-Leute kommunistischer Herkunft mit einer Größenordnung von 300 kaum überschätzt sein dürfte.
Da alle VM-Listen oder -Karteien, auch die Sammlungen von VM-Berichten aus dem Bereich der Gestapo-Leitstelle Düsseldorf verloren sind, dürfte es nur noch eine einzige Möglichkeit geben, die Zahl der eingesetzten VM genauer zu erfahren und mehr von ihnen zu identifizieren: Der von britischen Nachrichtendienst-Mitarbeitern in den Jahren 1946/47 auf der Grundlage des Düsseldorfer Gestapoakten-Bestandes zusammengestellte »Katalog« von KPD-Funktionären und V-Leuten müsste gefunden werden. Diese Geheimdienstler haben den Aktenbestand durchgearbeitet und danach eine Kartei zusammengestellt.[25] Entsprechende Bearbeitungshinweise, in einem Fall eine Nachricht des Aktenbearbeiters an seinen Kartei führenden Kollegen, an anderer Stelle die handschriftlichen Notizen zu einem ausführlichen Gespräch mit einem ehemaligen VM, finden sich in den Gestapo-Akten.[26] Aus dem Auswertungsmaterial, so geht aus einem Schreiben westdeutscher Kommunisten an Genossen in der SBZ aus dem Jahre 1949 hervor, wurde eine Zusammenstellung (auch) über Gestapo-V-Leute kommunistischer Herkunft gefertigt.[27] Alle bisher unternommenen Versuche, diesen »Katalog« zu finden, waren vergeblich.[28]
Typen von V-Leuten
Schon die bisher aufgefundenen Informationen über V-Leute kommunistischer Herkunft, die vor Beginn der NS-Herrschaft für die politische Polizei und für NS-Nachrichtendienste tätig geworden sind, und über solche, die danach ihre Tätigkeit fortgesetzt haben oder freiwillig oder unfreiwillig für eine solche Tätigkeit in Dienst genommen worden sind, liefern reichliches Material. Auch ohne eine abschließende Typisierung von Fällen lassen sich wiederkehrende Merkmale und charakteristische Karrieren von V-Leuten darstellen.
Fünf aus der KPD kommende V-Leute der politischen Polizei stechen ins Auge, deren VM-Tätigkeit zwischen der Mitte der Zwanzigerjahre und den frühen Dreißigerjahren begann und bis in die NS-Zeit reichte.[29] Diese wenigen Fälle liefern wohl kein repräsentatives Bild für V-Leute kommunistischer Herkunft, die bereits vor der NS-Zeit und danach der Polizei als geheime Informanten gedient haben. Immerhin ist bemerkenswert, dass zwei von ihnen ihre Tätigkeit als VM sehr bald oder gar unmittelbar nach ihrem Parteibeitritt aufnahmen. Direkte Informationen über die Umstände und die Motive gibt es nicht, aber in so gut wie allen Fällen Hinweise auf wirtschaftliche Gründe. Nur ein VM gelangte bis auf die Ebene eines Bezirksvorstandes der Partei, die anderen hatten nur eine kurze Partei-Dienstzeit oder blieben langfristig einfache Mitglieder. Die »Langlebigkeit« von zwei der fünf als V-Leute tätiger Kommunisten gibt einen Hinweis auf ihren vorsichtigen Einsatz und das Bemühen, sie nicht leichtfertig zu »verbrennen«. Die »Karriere« des von 1926 bis 1937 als VM tätig gewesenen Josef Huppertz liefert auch Hinweise auf den unterschiedlichen Umgang mit V-Leuten durch die politische Polizei und später durch SD und Gestapo.
Die in der Zeit der Weimarer Republik von der politischen Polizei in Dienst genommenen V-Leute waren selbstverständlich grundsätzlich freiwillig tätig – schon, weil es im Rechtsstaat keine Möglichkeiten einer Zwangsrekrutierung gab. Ob irgendwelche Druckmittel im weiteren Sinne eingesetzt wurden, lässt sich nicht mehr feststellen. Indienstnahmen von V-Leuten kommunistischer Herkunft, die sich freiwillig NS-Nachrichtendiensten zur Verfügung stellten, gab es auch im zeitlichen Umfeld der NS-Machtübernahme, im Winter 1932/33. Es findet sich eine recht bunte Mischung von Leuten, die rechtzeitig zu den stärkeren Bataillonen wechseln wollten, Halbprofis, die sich mit Schmuggel und Nachrichtenhandel ein Zubrot verdienten, charakterlich ungefestigten Kriminellen.[30] Von den Letzten ist noch gesondert zu sprechen. Zwei Funktionäre der mittleren Ebene fallen auf:
Ein sehr junger Bezirksfunktionär der Roten Hilfe, erst 1930 Mitglied geworden, bis Ende 1932 OrgLeiter in Frankfurt a. M., wird anscheinend nach internen Streitigkeiten von der Landesleitung nach Düsseldorf versetzt, um dort ab März 1933 eine illegale Rote Hilfe-Organisation aufzubauen. Seinen Umzug nach Wuppertal verbindet er mit seiner Meldung bei der politischen Polizei in Düsseldorf, aus Angst vor den Folgen illegaler Arbeit, wie er sagt. Synchron tritt er seinen Dienst als illegaler OrgLeiter und als V-Mann an. Bereits nach einem halben Jahr ist er verbrannt, weil die Verhaftung eines kommunistischen Reichstagsabgeordneten allzu offenkundig auf seine Information zurückging. Bis dahin hat er aber auch schon mehrere Unterbezirksleitungen preisgegeben.[31]
Alfred Sitter, Funktionär des AM-Apparates in Essen, gibt im Frühjahr 1933 der SA einen vertraulichen Hinweis auf eine illegal für die KPD tätige Druckerei. Der Funktionär entwickelte sich trotz des Verdachts, der bald in der illegalen Partei gegen ihn aufkam, zu einem der ergiebigsten V-Leute der Staatspolizei (Stapo) Essen, der noch bis zum Anfang der Vierzigerjahre vertrauliche Informationen lieferte. Seine Geschichte gibt ein markantes Beispiel für den freiwilligen Übergang eines Funktionärs der mittleren Ebene des AM-Apparates auf die Seite der Nationalsozialisten.
Die Aktenrecherche in Düsseldorf führte noch auf die Spuren sechs weiterer Angehöriger des AM-Apparates, die V-Leute wurden. Während ein »Waffenmeister« im Düsseldorfer Bereich, wohl schon im Frühjahr 1933 freiwillig zunächst für den Nachrichtendienst der SA arbeitete,[32] wurden andere, unter ihnen der Bezirksleiter Niederrhein des Apparates, erst nach Schutz- oder Strafhaft – in einigen Fällen mehrfacher, bisweilen jahrelanger – und zum Teil nach »verschärften« Vernehmungen, also Folter, in die Dienste der Gestapo genommen.[33] Franz Grybowski, der Höchstrangige von ihnen aus der Reichsführung des AM-Apparates, hatte zwar gleich nach seiner Festnahme Anfang 1935 bei der Gestapo Düsseldorf umfassende Aussagen gemacht, die die »fast restlose Zerstörung der politischen und technischen Organisation« im Bergischen Land zur Folge hatten. VM für das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa) in Berlin wurde er erst nach seiner Verurteilung zu lebenslanger Zuchthausstrafe. Die wurde dann auf 3 Jahre herabgesetzt.[34] Aber auch ganz untergeordnete Mitarbeiter des Apparates konnten im Dienst der Gestapo der illegalen Partei schweren Schaden zufügen. Grete Rattai, Bürokraft und Kurierin, wurde nach Verbüßung einer Zuchthausstrafe von der Stapo Essen »geworben«. Wie sich ihre Indienstnahme entwickelte, verdient nähere Betrachtung.[35]
Die beträchtliche Zahl von V-Leuten, die dem AM-Apparat entstammten, musste für die illegale KPD besonders schmerzlich sein. Der Apparat, der die Partei vor Ausforschung und Bespitzelung schützen sollte, trug durch Schwächen seiner Mitarbeiter, durch mangelhafte Konspiration, durch seine Struktur, die die Partei in typische nachrichtendienstliche Verwicklungen führte, zum Erfolg des nationalsozialistischen Vernichtungskampfes gegen die KPD bei. Das mag die von Walter Ulbricht 1936/37 im Verlauf innerparteilicher Machtkämpfe durchgesetzte Auflösung des AM-Apparates begünstigt haben. Aber die Auflösung kam viel zu spät, um den Vernichtungskampf der Gestapo noch stoppen zu können. Und sie zielte ja nicht auf eine grundlegende strukturelle Veränderung der Partei im Sinne eines Verzichts auf geheime illegale Apparate. Vielmehr diente sie der Anpassung an die sowjetischen Methoden der Parteisäuberung, mit der die KPD dazu beitrug, die Reihen ihrer Emigranten zu dezimieren und das Misstrauen untereinander zu potenzieren.[36]
Die Gruppe der identifizierten V-Leute mit krimineller Vorgeschichte (außerhalb der typisch »politischen« Tatbestände, meist im Bereich der Vermögens- und Gewaltdelikte, auch solcher zum Nachteil der Partei, vor allem Unterschlagung von Beiträgen) umfasst mehr als zehn, darunter einen, der schon für die politische Polizei der Republik als VM gearbeitet hatte.[37] Dass Menschen, die mit der bürgerlichen Rechtsordnung in Konflikt geraten, in einer proletarischen Partei und ihren Nebenorganisationen eher überdurchschnittlich häufig zu finden sind, überrascht nicht. Auch nicht, dass sie, sei es aus charakterlichen Gründen, sei es wegen ihrer häufigen Polizeikontakte, besonders anfällig dafür sind, sich als VLeute in Dienst nehmen zu lassen. In der Partei oder den Nebenorganisationen hatten sie höchstens Funktionen auf örtlicher Ebene. Illegale Parteiarbeit haben die meisten nicht geleistet. Ihre »Dienstzeit« als VM war meist kurz, weil ihre Informationsmöglichkeiten wegen des kleinen Kreises der ihnen bekannten (illegal arbeitenden) Kommunisten rasch erschöpft waren. Etliche erschienen früher oder später in den Gestapo-Listen unzuverlässiger V-Leute.
Bei einzelnen von diesen V-Leuten wird in den Akten ausdrücklich auf ihre die Freiwilligkeit der Tätigkeit hingewiesen.[38] Die im zeitlichen Zusammenhang mit der Entlassung aus Straf- oder Schutzhaft Rekrutierten wird man in der Regel selbst dann, wenn sie »sich zur Verfügung stellen«, kaum als Freiwillige ansehen dürfen.[39] Das gilt so gut wie ausnahmslos für alle etwa seit der zweiten Hälfte des Jahres 1933 in Dienst genommenen V-Leute.
Unfreiwillige VM dürften in aller Regel auch die gewesen sein, die ihrer Indienstnahme zwar zustimmten, von denen aber nach dem Aktenbefund mit Sicherheit oder mindestens mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht – zum Beispiel angesichts baldiger Emigration –, dass sie der Gestapo allenfalls unter unmittelbarem Druck Berichte geliefert haben.[40]
Allerdings finden sich auch Fälle, in denen sich aus der ursprünglichen Unfreiwilligkeit im Laufe der Zeit ein hohes Maß an Dienstbereitschaft und Zuverlässigkeit im Sinne der Gestapo entwickelte. So wie bei einem von der Stapo Essen »geworbenen« Mitglied des Bezirksvorstandes Ruhr: Der »VM 49«, Einzelhandelskaufmann in sehr beengten Verhältnissen, nach langer Schutz- und Polizeihaft im Frühjahr 1934 in Dienst genommen, arbeitete mindestens bis zum Sommer 1943 als VM. Er konnte im Herbst 1941 eingesetzt werden, als die Stapoleitstelle Berlin in Essen einen VM anforderte, der mit Arbeitsmethoden und Organisation der KPD Essen vertraut, »redegewandt und intelligent sein muss und ein gutes Auftreten besitzt«. Er gab 1943 der Gestapo Empfehlungen, wann sie mit der Festnahme von Genossen warten möge, damit er »den Anschluß nicht verlöre«, und wann zugreifen. Essener Kommunisten lasteten ihm nach dem Kriege den Tod mehrerer Genossen an, während er darauf bestand, der Gestapo nur zum Schein mit illegal arbeitenden Genossen abgestimmte Informationen gegeben zu haben.[41]
Josef Huppertz – vom VM-Profi zum Folterknecht
Der 1903 in Düsseldorf geborene Huppertz machte eine Lehre bei Rheinmetall, hatte aber dann nur kurzfristige Beschäftigungen, von häufiger Arbeitslosigkeit unterbrochen. Seit 1932 betrieb er für einige Zeit gemeinsam mit seinem Schwiegervater ein Anstreichergeschäft. Nach einigen Jahren bei der sozialistischen Jugend trat Huppertz 1926 dem KJVD und bald darauf der KPD bei. Er wurde rasch OrgLeiter, später PolLeiter einer Ortsgruppe. 1929 übernahm er auch Aufgaben im Roten Frontkämpferbund (RFB) und wurde dort – wohl für den Bereich der Stadt Düsseldorf – technischer Leiter. Nach dem RFB-Verbot im Mai
1929 wurden ihm leitende Aufgaben beim Kampfbund gegen den Faschismus übertragen. Einige Zeit war er Vorsitzender des KPD-gelenkten Erwerbslosenausschusses in Düsseldorf. Auf Grund seiner Ämter nahm er an den Sitzungen der KPD-Bezirksleitung Niederrhein teil.
Seit dem Jahr seines Parteieintritts war Huppertz gegen feste Bezahlung für die politische Polizei tätig. Über die Umstände seiner Indienstnahme ließ sich nichts feststellen. Die ersten, in der Wiedergabe durch seinen VM-Führer, den späteren Gestapobeamten Brosig, erhalten gebliebenen Berichte stammen aus seiner Tätigkeit bei der illegalen Weiterführung des verbotenen RFB im Herbst 1929.[42]
Wohl im März 1930 wurde Huppertz wegen »Meinungsverschiedenheiten über seine Geschäftsführung«[43] und wegen »politischer Fragen«[44] aus der Partei ausgeschlossen. Im Dezember, nach einem Wechsel des Bezirks-PolLeiters, »wurde ihm eröffnet, daß der politische Überwachungsdienst der kommunistischen Partei […] nichts Belastendes gegen ihn habe feststellen können und daher einer weiteren aktiven Mitarbeit nichts im Wege stehe«. Er konnte bis 1934, seit Anfang 1933 schein-illegal, in der Partei weiterarbeiten. Mitte Februar 1933 löste Huppertz mit einem Bericht über einen angeblich von Kommunisten geplanten Gift- und Sprengstoffanschlag auf eine Einrichtung der SA in Düsseldorf ein im März 1934 vor dem Reichsgericht verhandeltes Strafverfahren aus. Huppertz musste – da er unvorsichtigerweise im Vorverfahren aktenkundig vernommen worden war – als Zeuge auftreten und wurde den Prozessbeteiligten als V-Mann bekannt.[45]
An Huppertz »Laufbahn« in der NS-Zeit ist die intensive Verquickung von Zuständigkeiten zwischen staatlichen und NS-Partei-Einrichtungen abzulesen: Bald nach der Machtübernahme unterstellte sich der Leiter des Düsseldorfer SD die dortige politische Polizei, verlangte für seine Mitarbeiter deren Unterstützung. Er übernahm auch die Führung der V-Leute.[46] Er konzentrierte alle Arbeit auf sich und nahm jeden Erfolg als eigene Leistung in Anspruch. Huppertz stellte er eine andere Verwendung in Aussicht, »wenn Du bei der Kommune aufgeplatzt bist«.[47] In der Tat entwickelte sich Huppertz bald selbst zum Führer von Zuträgern, deren Berichte er entgegennahm und verarbeitete, und zum »Hilfsbeamten« der Gestapo, für die er – »in der KPD-Abwehr geschult« – Vernehmungen führte.[48] Schließlich arbeitete er mit der Gestapo so zusammen, »daß sich seine Tätigkeit kaum noch von der festangestellter Polizeibeamter unterscheiden [ließ]. Man sah ihn bei der Abholung ehemaliger Mitglieder der KPD und ihrer Funktionäre, bei ihrer Einlieferung in das Gefängnis, wo er wie ein Beamter der politischen Polizei ein- und ausging, besonders häufig aber im Polizeipräsidium, wo er sich an Vernehmungen der politischen Häftlinge beteiligte. Bei diesen Vernehmungen versuchte er gleich anderen anwesenden Polizeibeamten den Häftlingen Geständnisse und gewünschte Aussagen zu erpressen. Hierbei wandte er Beschimpfungen, Drohungen und vor allem Mißhandlungen zum Teil schwerster Art an.«[49]
1937 wurde Huppertz, »um ihm die Rückkehr ins bürgerliche Leben zu ermöglichen«, auf Befürwortung des SD im Hydrierwerk Buer-Scholven in Gelsenkirchen als (zunächst stellvertretender) Werkschutzleiter beschäftigt; zugleich wurde er NSDAP-Anwärter. Von dort setzte ihn der SD in Münster noch einmal als VM gegen eine gemischte kommunistisch-bürgerliche Widerstandsgruppe in Recklinghausen ein. Intrigen beim Werkschutz und ein heftiger Konflikt zwischen SD und Gestapo bei der Aufdeckung der Recklinghäuser Gruppe führten zur Abschiebung von Huppertz zur Organisation Todt. Dort blieb er bis zum Kriegsende.[50] Huppertz wurde am 1. April 1949 vom Schwurgericht Düsseldorf wegen Meineids und Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit 8 Jahren Zuchthaus bestraft.[51]
Alfred Sitter – Apparatmann zwischen Gestapo und NKWD
Der 1902 in Essen geborene und dort aufgewachsene Alfred Sitter arbeitete nach der Schule bei Krupp. Mit 19 Jahren kam er zum KJVD, mit 21 zur KPD. 1927 wurde er Nachrichtenmann beim AM-Apparat und gelangte in die Führung des (illegalen) RFB im Ruhrbezirk.[52] Zur »zivilen« Abdeckung seiner Arbeit wurde er als Fahrer für die KPD-Zeitung Ruhr-Echo beschäftigt. Die höchste Funktion erreichte Sitter erst in der Zeit der Illegalität: Anfang 1934 wurde er zum zweiten Mann des Nachrichtendienstes an der Ruhr bestellt, eine der wichtigsten regionalen Aufgaben bei der Absicherung der Partei gegen Ausforschung und Zerstörung ihrer illegalen Strukturen.[53]
Sitters erste nachweisbare geheime Information über die Arbeit der illegalen KPD für die Nationalsozialisten, gerichtet an einen Essener SA-Sturm, stammt aus den ersten Maitagen 1933.[54] Nichts spricht dafür, dass Sitter zu dieser Information (oder zu irgend einer später gelieferten) genötigt worden wäre; alles spricht für Freiwilligkeit und für das Motiv, rechtzeitig bei den Stärkeren zu sein. Der Tipp an die SA kann nach den Umständen noch eine Gelegenheitsinformation gewesen sein.[55] Aber allenfalls wenig später muss Sitters regelmäßige VMTätigkeit für die Essener Gestapo begonnen haben. Zwar gibt es Aktenbelege dafür erst aus späterer Zeit.[56] Aber bereits im Frühsommer 1934 brachte auf Beschluss in der KPD-Bezirksleitung die illegale Funktionärszeitung Pionier eine Warnung vor dem »Spitzel« Sitter.[57] Der bemühte sich intensiv und dank seinem großen Rückhalt in seiner politischen Heimat im Essener Westen längere Zeit mit Erfolg, den Verdacht zu zerstreuen.[58] Im Spätsommer 1934 wurde er für einige Wochen in Schutzhaft genommen und erschien bei seiner Freilassung mit einem Kopfverband. Der schon damals unter illegalen Genossen umgehende Verdacht, die Schutzhaft sei als »vertrauenbildende Maßnahme« mit der Gestapo arrangiert worden, liegt angesichts der für Sitter folgenlosen Haft nahe.[59] Er blieb, wenn auch ohne Aufgabe in der illegalen Partei, noch mindestens bis zu seinem Parteiausschluss 1937[60] im Kontakt mit illegalen Genossen in Essen. Für die Gestapo arbeitete Sitter so erfolgreich, dass die Essener Stapostelle für seine besonderen Leistungen in Düsseldorf eine Extrazahlung von 500 RM beantragte.[61]
Zwar nahm das Geheime Staatspolizeiamt Sitter, nachdem 1935 auch in der illegalen Zeitschrift Oktober vor ihm gewarnt worden war, Anfang 1936 in eine Zusammenstellung über unzuverlässige V-Leute auf.[62] Tatsächlich war der »VM Anton« – so Sitters Deckname bei der Stapo Essen – weiter so intensiv tätig, dass die Sammlung seiner Berichte an die Gestapo im Sommer 1938 bereits erheblich über 100 Blätter umfasste.[63] Mindestens bis Ende 1939 hatte VM Anton solche Kontakte zu illegalen Genossen, dass er Meldungen liefern konnte.[64]
Dann kam als Abschlussbelohnung die Übernahme in den Polizeidienst. Sitter war zunächst in Holland (von dort lieferte er der Stapo Essen noch Auskünfte zu zurückliegenden Vorgängen), später zur Partisanenbekämpfung in der Region Lublin eingesetzt.[65] In den Akten des Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof findet sich die »Abschlußbeurteilung« vom Mai 1941 für einen »absolut zuverlässigen und vertrauenswürdigen Agenten, der seit Jahren für die Geheime Staatspolizei tätig ist und bisher überaus wichtige Nachrichten über die illegale Tätigkeit der KPD im In- und Auslande geliefert hat, die sich in allen Fällen restlos bewahrheitet haben«.[66]
Sitter geriet im Januar 1945 in sowjetische Gefangenschaft, ging nach seiner Entlassung nach Berlin (Ost) und arbeitete einige Zeit für die Vorgängereinrichtung des Ministeriums für Staatssicherheit. Dank Hinweisen aus Essen[67] wurde er im Dezember 1949 festgenommen, nach Moskau geschafft und im Juni 1950 als Gestapo-Agent zu 25 Jahren Lager wegen Verstoßes gegen das Kontrollratsgesetz Nr. 10 (Verbrechen gegen die Menschlichkeit) verurteilt. Nach seiner Entlassung im Oktober 1955 kam er nach Essen zurück.[68] Seit März 1956 arbeitete Sitter bis zu seiner Pensionierung als Polizeibeamter in Essen.[69] Das zuständige Bezirksmilitärgericht der Russischen Föderation lehnte 2003 seine Rehabilitierung ab.[70]
Grete Rattai – von der Putzfrau zur Teilhaberin an der Gestapo-Allmacht
Grete Finkenstein, 1904 als eines von fünf Kindern einer Essener Arbeiterfamilie geboren, musste nach dem Schulabschluss sogleich Geld verdienen. Sie wurde Putzhilfe bei der kasernierten Polizei. 1928 heiratete sie den leitenden Funktionär des AM-Apparates im Ruhrbezirk, Karl Rattai. Die Ehe blieb kinderlos. Politisch folgte Grete Rattai – als einziges Kind übrigens – dem Beispiel ihres Vaters. Sie wurde Frauenfunktionärin in der KPD, 1931 Mitglied im Bezirksvorstand Abteilung Frauen. Bei der Polizei erhielt sie 1929 trotz Mitgliedschaft im Betriebsrat die Kündigung; sie hatte sich laut über einen Polizeibeamten empört, der einen jungen Kommunisten bei einer Demonstration mit dem Gummiknüppel geschlagen hatte.
Spätestens seit Herbst 1932 wurde Grete Rattai für Büroarbeiten des AMApparates (Registrierung der Parteiausschlüsse von Funktionären und Anlegen von Karteikarten über Spitzel) und als Kurierin für das ZK der Partei eingesetzt. Für die Zersetzungsspezialisten des Apparates hielt sie die Kontakte zur Essener Polizei.
Ihr Mann wurde unterdessen zweimal zu Lehrgängen zur Militärpolitischen Schule nach Moskau beordert. Vom zweiten Lehrgang kehrte er Ende Juni 1933 zurück. Da hatte seine so gut wie mittellose Frau schon die Wohnung aufgeben müssen und war unangemeldet bei einer Freundin untergekrochen. Aber sie arbeitete weiter illegal für den Apparat. Karl Rattai stoppte diese Tätigkeit aus Sorge um seine der Polizei bekannte Frau, nahm die Partei für die ausgebliebene Unterstützung in Anspruch. Nach Hamburg, wohin ihn die Partei beordert hatte, zog sie nach. Während er dort bereits Mitte September entdeckt und festgenommen wurde, konnte Grete Rattai sich noch bis Januar 1934 durchschlagen; sie hatte nicht bei ihrem Mann gewohnt. Karl Rattai erhielt wegen Vorbereitung zum Hochverrat 4 ½ Jahre Zuchthaus, Grete Rattai wurde im November 1934 zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt. Dabei blieb ihre Essener Tätigkeit weitgehend unaufgedeckt.
Bis zum Ende der Strafverbüßung in Lübeck blieb Grete Rattai den Regeln der Partei treu: Nur zugeben, was die Gestapo offenkundig bereits beweisen kann. Mitte April 1937 wurde sie nach dem Ende der Strafhaft als Schutzhäftling nach Essen geschafft. Dort wollte die Gestapo mit ihrer Hilfe KPD-Verbindungen zur Polizei aufklären. Zwischen Juli und August, so zeigen die Vernehmungsprotokolle, gab Grete Rattai ihre Aussage-Zurückhaltung auf. Im Oktober kam sie für einen Monat in Untersuchungshaft, als ihre Verwicklung in die Zersetzungsarbeit immer klarer wurde. Wenige Tage nach dem Ende der U-Haft ist der erste »vertrauliche Bericht« von Grete Rattai über Mithäftlinge in den Akten vermerkt.[71]
Im Januar 1938 entstand Bewegung um Grete Rattai. Fast täglich gab es ihretwegen Anordnungen und Rückfragen zwischen Berlin (Gestapa), Düsseldorf (Gestapostelle) und der untersuchenden Stapo Essen. Eine bereits für Ende Januar verfügte Haftentlassung wurde tatsächlich erst am 6. Februar vollzogen, dann auf persönliche Anweisung von SS-Oberführer Best. Die Stapo hielt fest, Grete Rattai habe »sich in letzter Zeit vollkommen umgestellt«. Nach glaubhaften Äußerungen habe sie in der Haft eingesehen, dass sie auf einem falschen Weg gewesen sei. Ihre jetzige Überzeugung habe sie auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie nun rückhaltlos Angaben mache und dadurch zur Aufklärung noch schwebender Ermittlungen wesentlich beitrage. Handschriftlich ist der Vermerk ergänzt. »Ihre Zuverlässigkeit ist bereits in mehreren Fällen erprobt worden.«[72] Kurz darauf wurde das Ermittlungsverfahren gegen sie eingestellt.[73]
Es gibt keinen Hinweis auf physische Einwirkungen auf Grete Rattai oder auf Drohungen damit. Für alle anderen Einwirkungen gab es während der rund vier Jahre Untersuchungs-, Straf- und Schutzhaft zahllose Möglichkeiten. Die Anzeichen dafür, dass sie ausgeschöpft wurden, sind reichlich.
Schon im August 1938 meldete die Stapo Düsseldorf an das Gestapa Berlin, die V-Person habe sich seit über einem halben Jahr als außerordentlich geschickt und zuverlässig erwiesen.[74] Noch heute lassen sich für die folgende Zeit um die 30 Berichte von Grete Rattai nachweisen.[75] Obwohl sie im Juni 1938 im Verfahren gegen einen Hamburger Lehrer als Zeugin verwendet wurde und leicht als Vertrauensperson zu identifizieren war,[76] hat es in der illegalen Partei nie einen Warnhinweis gegeben, nie tauchte ihr Name in einer »Schwarzen Liste« auf. Sie gab Auskunft über Emigranten und Teilnehmer an Moskauer Lehrgängen.[77] Sie suchte im Auftrag der Gestapo Bekannte in Düsseldorf und Duisburg auf. Sie zog ihren eigenen Vater in eine Ermittlung hinein. Als ihr Mann im April 1938 aus dem Zuchthaus entlassen wurde, regte – offenbar unterstützt von ihr – ihr Führungsbeamter in Hamburg an, dass er vorläufig ins KZ überführt werde, damit ihre Arbeit nicht gefährdet werde. Zwar bekam »VM Stein« nach ihrer Haftentlassung keinen Parteiauftrag mehr. Aber sie kannte zahllose Illegale. Sie genoss Vertrauen bei ihnen (»von allen freudig begrüßt« heißt es in einem Bericht nach einem Besuch bei Duisburger Bekannten im November 1938), erhielt familiäre Einladungen und wurde in privaten Problemen als Ratgeberin zugezogen.
Bald hatte sich VM Stein so mit ihrer Aufgabe identifiziert, dass sie über ihren jeweiligen Auftrag hinaus durch illegale Genossen vermittelte neue Bekanntschaften sogleich in ihre Erkundungen einbezog. Wie sehr sie im Sinne der Gestapo mitdachte, klingt auch noch bei den Formulierungen der Gestapobeamten durch, die ihre Berichte zu den Akten brachten: »[…] hält es für zweckmäßig, staatspolizeilicherseits die Festnahme der Beteiligten so zeitig wie möglich durchzuführen, damit die Warnung an die evtl. verbundenen Mittäter unterbunden wird. […] um einer Eingabe des Gerichts [gemeint offenbar: an das Gericht; W. M.] zuvorzukommen, damit durch diesen Umstand keine Abschwächung der strafbaren Handlungen der Frau […] mit Hilfe ihres Rechtsanwalts herbeigeführt wird.«[78]
Die stille Teilhabe an der Macht der Gestapo muss auf die Frau, die früher nur dienende Funktionen hatte wahrnehmen dürfen, einen Reiz ausgeübt haben, der alle vorherigen Bindungen völlig überdeckte. Sie getraute sich später sogar, einen durchaus nicht banalen politischen Stimmungsbericht über die Lage in der illegalen Partei nach dem Hitler/Stalin-Pakt für das Gestapa in Berlin zu liefern. Auch wenn man die Formulierungen ihrem VM-Führer zurechnet, bleibt der Bericht gedanklich für die ehemalige Reinmachfrau und Karteikarten-Schreiberin bemerkenswert.[79]
Im Sommer 1939 beantragte Karl Rattai vom KZ Sachsenhausen aus die Scheidung. Ihre baldige erneute Heirat im Jahre 1940 deutet darauf hin, dass persönliche Gründe für das Scheidungsbegehren maßgebend waren, nicht etwa politischer Verdacht gegen sie. Karl Rattai wurde im November 1939 mit Rücksicht auf den Tod seines Vaters und aufgrund einer schweren Magenerkrankung aus dem KZ entlassen. Die Arbeit von Grete Rattai für die Gestapo blieb unbeeinträchtigt.[80]
1940 waren die Kenntnisse und Beziehungen von »VM Stein« offenbar ausgeschöpft. Ihr letzter aufgefundener Bericht stammt vom Februar. Die Stapo in Essen setzte sich im Sommer 1940 nachdrücklich für ihre Beschäftigung als Hilfsschaffnerin bei der Reichsbahn ein und bescheinigte ihr, sie habe »wirkliche Beweise dafür geliefert, dass sie rückhaltlos hinter dem nationalsozialistischen Staat steht«.[81] Am 18. Mai 1942 verunglückte Grete Rattai in Essen tödlich. Sie wurde von dem Anhänger eines LKW erfasst, der sich von der Zugmaschine gelöst hatte.[82] Aus einem Vermerk in ihrer Akte bei der Stapoleitstelle Düsseldorf ergibt sich, dass sie bis zuletzt als VM geführt wurde.[83]
Resümee
Auseinandersetzung mit »Spitzeln« erfuhr die KPD nicht erst in der NS-Zeit. Mit dem Machtantritt Hitlers 1933 trat jedoch an die Stelle ihrer vorherigen aktiven und passiven nachrichtendienstlichen Erfahrungen die Konfrontation mit dem alle staatliche Macht einsetzenden nationalsozialistischen Vernichtungswillen. Die bisher wissenschaftlich kaum untersuchte Indienstnahme von Personen kommunistischer Herkunft durch NS-Nachrichtendienste ist durch Aktenverluste und das Fehlen zeitgenössischer Berichte nur mühevoll aufzuhellen. Es hat eine erhebliche Zahl von Personen kommunistischer Herkunft gegeben, die für NSNachrichtendienste gearbeitet haben, darunter nicht wenige Kriminelle und Mitarbeiter des AM-Apparates der Partei. Auch zunächst unfreiwillig Diensttuende haben später bisweilen bewusst die Arbeit der Gestapo unterstützt. V-Leute kommunistischer Herkunft haben nicht nur der illegalen KPD großen Schaden zugefügt; einzelne haben selbst Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, gefoltert oder Morde unterstützt.
[1] Vgl. Vorlage Hauptabteilung IX Leiter vom 30. Dezember 1987 an »Genossen Minister« und Anlage, in: Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Archiv der Zentralstelle MfS (im Folgenden BStU MfS), HA IX/11 SV 1/81, Bd. 2, Bl. 218–220.
[2] Die Bezeichnung AM-Apparat wird bis 1937 durchgehend verwendet, unabhängig von den unterschiedlichen Bezeichnungen für die Struktur in der Leitung der KPD.
[3] BStU MfS, HA IX Nr. 18 002, Stiebert, Dieter/Rudolph, Rainer: Der konspirative, antimilitaristische Kampf des ehemaligen AM-Apparates der KPD. Beispiel und Vorbild des tschekistischen Kampfes im Dienst der Arbeiterklasse (Diplomarbeit der Juristischen Hochschule des MfS), Potsdam 1976, S. 23, 27 f. u. 141.
[4] Ebenda, S. 142.
[5] Weber, Hermann: Die Wandlung des deutschen Kommunismus, Frankfurt a. M. 1969, Bd. 1,
S. 322
[6] Vgl. Kaufmann, Bernd u. a.: Der Nachrichtendienst der KPD 1919–1937, Berlin 1993.
[7] Müller-Enbergs, Helmut: Aufstieg und Fall des Wilhelm Zaisser, in: Horch und Guck 12 (2003), H. 42, S. 5–7.
[8] Tscheka ist der Name der 1917 unter Felix Dsershinski gegründeten politischen Polizei der Sowjetunion, die später mehrfach umgewandelt und umbenannt (GPU, NKWD, MGB, KGB) wurde. In dem Prozess vor dem Reichsgericht im Frühjahr 1925 waren KPD-Funktionäre wegen der – nach heutigen Begriffen – »Bildung einer terroristischen Vereinigung« angeklagt.
[9] Kaufmann: Der Nachrichtendienst der KPD (Anm. 6), S. 123.
[10] Zitiert nach Brandt, Arthur: Der Tscheka-Prozess. Denkschrift der Verteidigung, Hamburg 1979 (Nachdruck der Ausgabe von 1925), S. 113 f.
[11] 1930 »entlarvte« die Partei nach eigener Darstellung 70 Spitzel von Polizei und NSOrganisationen. Rededisposition eines Apparat-Referenten, in: Bundesarchiv Berlin (im Folgenden: BArch), R 1501, Bd. 1, Bl. 403–405.
[12] Bericht in der Gewerkschaftszeitung Der Deutsche Nr. 76 vom 31. März 1931. Umfangreiche weitere Angaben zum Fall Leutner finden sich in der Gestapoakte Peter Ochel, in: Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (im Folgenden: HStA Düsseldorf), RW 58 3885.
[13] Einbezogen wurden einzelne VM im Dienst des Geheimen Staatspolizeiamts (Gestapa) mit Bezügen zur Rhein-Ruhr-Region, z. B. auch der in Brüssel lebende Reinhold Huber, der wegen seiner Kenntnisse über Funktionäre aus dem Rhein-Ruhr-Raum wiederholt zu Auskünften nach Düsseldorf bestellt wurde, und Franz Grybowski, der mit seiner eingehenden und für den Zugriff der Gestapo sehr ergiebigen Darstellung des AM-Apparates nach seiner Verhaftung in Düsseldorf dort einen VM-»Vorlauf« hatte.
[14] Der nicht nachvollziehbaren Unterscheidung des MfS zwischen V-Leuten und Spitzeln in den Registrierbüchern der Z-Akten des Bundesarchivs Berlin wird nicht gefolgt.
[15] Charakteristisch für das rasche »Verbrennen« der Fall G. Sch. HStA Düsseldorf, RW 58 3885 (Akte Peter Ochel). Für den Einmal-VM der Fall J. I., HStA Düsseldorf, RW 58 46820. Zugunsten eines höchstmöglichen Persönlichkeitsschutzes werden vorerst nur die vollen Namen bereits durch Literatur oder Gerichtsurteile öffentlich bekannter V-Leute genannt. Bei allen anderen sind, wie in den Fällen G. SCh. und J. I. nur die Initialen angegeben.
[16] Fall F. D., HStA Düsseldorf, RW 58 2226. D. nahm in verdeckter Begleitung der Gestapo einen vor seiner Festnahme verabredeten Treff wahr, damit sein Treffpartner überführt und festgenommen werden konnte.
[17] Seit der Errichtung des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen ist das HStA Düsseldorf mit Wirkung vom 1. Januar 2004 eine Einrichtung des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen.
[18] Zum erheblichen Teil verarbeitet in Kaufmann: Der Nachrichtendienst der KPD (Anm. 6).
[19] Goguel, Rudi: Es war ein langer Weg. Roman unserer Zeit, Düsseldorf 1947.
[20] Haberland, Ernst: Der Pelerinenmann, Berlin (DDR) 1981.
[21] Peukert, Detlev: Die KPD im Widerstand. Verfolgung und Untergrundarbeit an Rhein und Ruhr 1933–1945, Wuppertal 1980; Bajohr, Frank: Verdrängte Jahre. Gladbeck unter’m Hakenkreuz, 2. Aufl. Essen 1990; Billstein, Aurel: Der eine fällt, die andern rücken. Nach Dokumente des Widerstands und der Verfolgung in Krefeld 1933–1945, Frankfurt a. M. 1973; Bludau, Kuno: Gestapo – geheim! Widerstand und Verfolgung in Duisburg 1933–1945, Bonn-Bad Godesberg 1973; Klotzbach, Kurt: Gegen den Nationalsozialismus. Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1930–1945, Hannover 1969; Schüngeler, Heribert: Widerstand und Verfolgung in Mönchengladbach und Rheydt, Mönchengladbach 1985; Steinberg, HansJosef: Widerstand und Verfolgung in Essen 1933–1945, 2. Aufl. Bonn/Bad Godesberg 1973.
[22] Schüngeler gab die Auskunft, dass er sogar wegen der Nennung von Opfern geheimer Informationen durch VM Schwierigkeiten bekommen habe. Schüngeler: Widerstand und Verfolgung (Anm. 21).
[23] Eine tabellarische Übersicht soll in einem späteren Stadium der Untersuchung erarbeitet werden.
[24] HStA Düsseldorf, RW 58 14336, Bl. 41.
[25] Auf eine Anfrage beim britischen Deputy Inspector General – Public Safety in NRW wurde dem NRW-Innenminister Menzel diese Bearbeitung, wenn auch ohne Angaben über den Zweck, im März 1948 bestätigt. Die Akten wurden damals nicht einmal an den für die Entnazifizierung zuständigen Public Safety Special Branch der Engländer herausgegeben. Diese Auskunft verdanke ich Stefan Noethen (Münster).
[26] HStA Düsseldorf, RW 58 19865, Bl. 65.
[27] »Aus dem im Besitze der Engländer befindlichen Katalog geht hervor, daß Gather von den Engländern als Spitzenklasse in der Abwehr gegen Kommunisten bezeichnet wird.« BArch, ZR 939 A. 11 (ohne Blattangabe).
[28] Der Verfasser hat bei zahlreichen für eine Auskunft in Frage kommenden Personen und Stellen in Deutschland, England und den USA erfolglos nachgefragt.
[29] Die Gestapoakten im Bestand des HStA Düsseldorf, die Auskunft über V-Leute geben, enthalten kaum Material aus der Zeit vor 1933. Eine Ausnahme macht die Akte des VM G. P, die Material ab 1925 enthält HStA Düsseldorf, RW 58 12668. Bei den vier weiteren VM aus der Zeit der Weimarer Republik stammen die Informationen über ihre frühere Tätigkeit aus Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren gegen die Betroffenen in der NS-Zeit oder nach 1945. E. K. (VM seit Parteieintritt 1924), HStA Düsseldorf, RW 58 34674, E. L (VM seit Anfang der Dreißigerjahre), HStA Düsseldorf, RW 58 7134, 14730, 19389; K. O. (VM seit Anfang der Dreißigerjahre), HStA Düsseldorf, RW 58 29175) sowie der weiter unten dargestellte Josef Huppertz.
[30] Zum Beispiel Th. B., HStA Düsseldorf, RW 58 4020; E. H., HStA Düsseldorf, RW 58 27822 (Akte Ketelsen); A. H., HStA Düsseldorf, RW 58 24480; Liste Juli 1934, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv Berlin (im Folgenden: SAPMO-BA), RY 1/I 2/705/12; Spitzel-Liste Mai 1935, BArch, ZC 19840.
[31] G. Sch., HStA Düsseldorf, RW 58 3885 (Akte Peter Ochel); BArch, ZB II 1083; SAPMOBA, RY 1/I 2/3/105.
[32] W. H (»hat sich seit der nationalen Erhebung umgestellt«) arbeitete später auch für den SDOberabschnitt West und für die Gestapo (»in hervorragender Weise bei der Vernichtung staatsfeindlicher kommunistischer Elemente betätigt«). HStA Düsseldorf, RW 58 26498.
[33] K. H., im Zersetzungs-Ressort des Apparates tätig, wurde schon im Februar 1933 Opfer eines als VM tätigen Genossen. Er wurde nach Kriegsbeginn in der Emigration noch einmal verhaftet und nach Strafverbüßung in Dienst genommen. HStA Düsseldorf, RW 58 9294; SAPMO-BA, RY 1/I 2/3/363, Bl. 148–153. K. B., AM-BezLtr Ndrhein, u. a., HStA Düsseldorf, RW 58 60226 u. RW 58 15973, Bl. 29–31 (handschrftl. VM-Berichte) MfS-Karteikarte; R. M., u. a., BArch, ZC 11217, Bl. 25–27; SAPMO-BA, RY 1/I 2/3/104, Bl. 13 u. 173–175.
[34] BStU MfS, HA IX/11 SV 1/81, Bd. 254, Bl. 109–111; BArch, R 58 3777, Bl. 193 f.
[35] Peukert: Die KPD im Widerstand (Anm. 21), S. 283 berichtet bereits recht eingehend über die Tätigkeit der V-Frau »G. R.«.
[36] Zum »Ende des Apparats« siehe im Einzelnen die Darstellung bei Kaufmann: Der Nachrichtendienst der KPD (Anm. 6), S. 433–435.
[37] Zum Beispiel F. C., HStA Düsseldorf, RW 36–12, Bl. 56 f. u. 63; E. H., HStA Düsseldorf, RW 58 27822; K. J., HStA Düsseldorf, RW 58 20116, 46690, Bl. 8 f.; E. L., HStA Düsseldorf, RW 58 7134, 19389, Bl. 10; W. O., HStA Düsseldorf, RW 58 49788; W. R., HStA Düsseldorf, RW 58 1997, 34331a, 17713; E. L., HStA Düsseldorf, RW 58 7134, 14730, 19389.
[38] Zum Beispiel bei W. R., HStA Düsseldorf, RW 58 1997, 7095 u. 17713.
[39] Zum Beispiel K. J., HStA Düsseldorf, RW 58 20116 u. 46690; W. O., HStA Düsseldorf, RW 58 49788; G. S., HStA Düsseldorf, RW 58 21104; BArch, ZC 19840; BArch, ZB 7112/G Zus.stellung 1 über unzuverl. V-Leute; F. W., HStA Düsseldorf, RW 58 52078; BArch, ZC 16321, Bl. 7–9.
[40] So z. B. M. K., HStA Düsseldorf, RW 58 6802 und Chr. G. die Schwester des VM Josef Huppertz, SAPMO-BA, RY 1/I 2/3/104, Bl. 65–67; wohl auch K. D., Bruder des langjährigen DDR-Innenministers Friedrich Dickel, BArch, ZC 8196 (zu dem Ergebnis kam wohl auch das MfS nach einer sich über viele Jahre hinziehenden Untersuchung des Falles, die zu einem Abbruch seiner DDR-Karriere führte. BStU MfS, HA XX Nr. 4121; BStU MfS, HA XX/ARG-VSH (Ablage XX/3/A6A/1139); BStU MfS, HA IX/11 AK 1190/80).
[41] H. Sch., HStA Düsseldorf, RW 58 3735 (Akte Reinhold Mewes); HStA Düsseldorf, RW 58 23953 (Akte C. Scariot); BArch, ZC 11961, Retent zur P. A. 14476, Bl. 1 f.; BArch, ZC 14107, Bd. 2 (Unter anderem mit handschrftl. VM-Bericht von »VM 49«). Aus der Zusammenstellung dieses Vorgangs ergibt sich, dass nach der – nachvollziehbaren – Einschätzung des MfS der VM 49 der Stapo Essen identisch war mit dem gleich bezeichneten »VM 49« der Stapo Münster, der dorthin Berichte über die Arbeit der SPD in der französischen Emigration lieferte. Stadtarchiv Stadt Essen/Wiedergutmachungsamt, 50–8 Sch 281. Auf bloße Scheinzusammenarbeit mit der Gestapo beriefen sich nach dem Krieg viele ehemalige VM, allerdings selten überzeugend. Vgl. etwa die Berichte von Karl Plesse u. a., BArch, ZC 17382, Bd. III und den Fall Erich Mörchel bei Klotzbach: Gegen den Nationalsozialismus (Anm. 21), S. 214, Anm. 461 u. S. 279.
[42] HStA Düsseldorf, RW 58 4321, Bl. 37–39.
[43] Der spätere VM K. G. schrieb dazu aus der Schutzhaft im März 1933 an die Stapo Düsseldorf, er habe als Kassenrevisor des RFB festgestellt, dass Huppertz 1 700 RM unterschlagen habe. HStA Düsseldorf, RW 58 66864, Bl. 10.
[44] Der Nachkriegsbericht des VM Willi Schmitz gegenüber einem britischen Nachrichtendienstler gibt Anlass zu der Annahme, dass es dabei um einen Spitzelverdacht gegen Huppertz ging.
HStA Düsseldorf, RW 58 58696, handschriftliche Einlage am Ende.
[45] Von ihrer Seite wurde offenbar für weitere Öffentlichkeit gesorgt. In einem Instrukteursbericht heißt es dazu: »Die öffentliche Anprangerung führte zu folgendem Ergebnis: Nach seiner Rückkehr wurde H. von 3 Arbeitern in seiner Wohnung aufgesucht, aus dem Bett geholt und verprügelt. Er liegt jetzt im Krankenhaus.«, SAPMO-BA RY 1/I 2/3/105, Bl. 16–18. Wenige Wochen später veranlasste Huppertz mit einem manipulierten Bericht über ein von Düsseldorfer Kommunisten angezetteltes Mordkomplott ein weiteres Verfahren.
[46] Göring hatte bereits im April 1933 der SS politisch-polizeiliche Aufgaben zugewiesen und damit deren Eindringen in die unteren Ränge der Gestapo gefördert. Plum, Günter: Staatspolizei und innere Verwaltung 1934–1936, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 13 (1965), S. 191–196.
[47] Vorlage von Huppertz an den SD vom 30. Oktober 1934, HStA Düsseldorf, RW 58 7573, Bl. 243–245.
[48] Vgl. z. B. HStA Düsseldorf, RW 58 7573, Bl. 173–175, 193 u. 255–257. Huppertz’ Beteiligung an brutalen Vernehmungen in Wuppertal ist mehrfach belegt. HStA Düsseldorf, Außenstellte, GerRep 240 Nr. 85 (LG Wuppertal VU 32/49 – VII); vgl. auch Stracke, Stephan: Mit rabenschwarzer Zuversicht. Kommunistische Jugendliche in Wuppertal 1916–1919, Bocholt 1998, S. 88. Huppertz Funktion dürfte SD-typisch gewesen sein. Siehe dazu Weisz, Franz: Die Nachrichtendienste von Gestapo, SD und Wehrmacht (unveröffentlichtes Manuskript), Wien 2002, S. 10 f. Huppertz Hauptaufgabe als »Beobachter« war danach die Schaffung bzw. die Übernahme eines Informantennetzes. Bei dieser Tätigkeit führte Huppertz den wohl selbst gewählten Decknamen »Stibi«. Den ehemaligen Redakteur der Freiheit Georg Stibi, der nach einer Verurteilung noch vor der NS-Zeit in die SU emigrierte, dürfte Huppertz gekannt haben. HStA Düsseldorf, RW 58 7573, Bl. 260 f.
[49] Schwurgericht Düsseldorf, Bundesarchiv Koblenz, Z 38 218. Vgl. auch die Ermittlungsakten HStA Düsseldorf (Kalkum), GerRep 372 Nr. 62–66 und das Verfahren gegen Huppertz’ »Kollegen« Nosbüsch, Bundesarchiv Koblenz, Z 38/450.
[50] BArch, ZB 7044 A.8, Bl. 1–62. Die dort berichtete Bergwerksexplosion, nach Huppertz Bericht vorweg angekündigt, forderte eine Reihe von Opfern. In der Geschichte des Ruhrbergbaus gilt sie jedoch nicht als Sabotageakt, sondern als Unglück. Ein Strafverfahren gegen den angeblichen Täter gab es nicht. Er wurde ohne Verfahren ins KZ gebracht. HStA Düsseldorf, BR 2182 2 W 281 B (Wiedergutmachungsakte Wieck)
[51] Siehe Anm. 49.
[52] BArch, ZC 12065, Bd IV, Bl. 47
[53] SAPMO-BA, RY 1/I 2/3/104, Bl. 20, Meldung vom Dezember 1934. Karl Plesse, der Sitter im Hinblick auf seine eigene Rückberufung durch die Parteileitung bestellte, wurde einige Zeit später in Sachsen selbst VM.
[54] BArch, ZC 19469 (Akte nur aus Kopien des MfS HA IX/11 Archiv bestehend).
[55] Für die von Sitter 1946 in seinem Moskauer Rehabilitationsverfahren behauptete Festnahme durch die SA im Sommer 1933, also nach dieser Meldung, gibt es sonst überhaupt keinen Anhaltspunkt. Beschluss des 3. Bezirksmilitärgerichts der Russischen Föderation Nr. 551/562 n vom 26. August 2003, dass der Verurteilte nicht der Rehabilitierung unterliege, mitgeteilt von der Deutschen Botschaft Moskau, Schreiben RK 544–25.233 vom 12. November 2003 (Archiv des Verfassers).
[56] Die Verhaftungen des »Obertechnikers« Domning und des Mitglieds der BL Anton Gebler Anfang 1934 gingen offensichtlich auf einen VM-Bericht zurück. HStA Düsseldorf, RW 58 2226, Bl. 8R.
[57] SAPMO-BA, RY 1 I/2/3/363, Bl. 68–72.
[58] SAPMO-BA, RY 1/I 2/3/104, Bl. 3 u. 20. Sitters Freund Oskar Fichter, später zum Tode verurteilt und hingerichtet, geriet durch seine Unterstützung für Sitter selbst unter Spitzelverdacht. Vgl. SAPMO-BA, RY 1/I 2/3/104, Bl. 21. Haberland, eines der Opfer von Sitters Informationen an die Gestapo, bestätigt in seinen Erinnerungen, Sitter habe bei allen als zuverlässig und der Partei treu ergeben gegolten. Haberland: Der Pelerinenmann (Anm. 20), S. 72.
[59] Bericht Stapo Düsseldorf an Gestapa vom 18. August 1934, BArch, R 58 3766, Bl. 46 f., Bericht Szinda, HStA Düsseldorf, RW 58 52054, Bl. 3–5.
[60] Bericht G. Haas, SAPMO-BA, RY 1 I 2/3/363, Bl. 104.
[61] HStA Düsseldorf, RW 58 19656, Bl. 154. In dem Bericht der Stapostelle Essen an Stapo Düsseldorf steht zwar nur »VM, der im AM-Apparat wirkte«. Aber mindestens aus der Darstellung der Sache Haberland durch den Gestapobeamten Vaupel in dem Prozess gegen ihn in Essen 1949 (HStA Düsseldorf, Gerichte Rep 169 Nr. 157, Bl. 205f) und dank der Darstellung durch den Betroffenen Haberland bleibt kein vernünftiger Zweifel, dass VM Anton der Begünstigte war. Haberland: Der Pelerinenmann (Anm. 20), S. 64–66.
[62] Personalbogen, HStA Düsseldorf, RW 58 52054, Bl. 2. Das war im Falle von KPDSpitzelwarnungen das übliche, ohne Abstimmung mit der den VM führenden Stelle angewendete Verfahren. Zur Erfassung unzuverlässiger VM vgl. Erlaß des Gestapa vom 31. März 1934 (Nachrichtenblatt Gestapa Nr. 9/I), BArch, ZC 19840, Bl. 2; Erlaß der Gestapa vom 14. Februar 1935, BArch, ZC 19840, Bl. 3.; Erlaß der Gestapa vom 3. Januar 1939, BArch, ZB 7112, Bd. 4, Bl. 1–3; Erlaß der Gestapa vom 15. Oktober 1940, BArch, ZB 7112, Bd. 3,
Bl. 1.
[63] HStA Düsseldorf, RW 58 71901, Bl. 102 u. RW 58 12302, Bl. 16.
[64] HStA Düsseldorf, RW 58 1982, Bl. 35 u. 52526, Bl. 112. Sein letzter Essener Bericht von Ende November 1939 betrifft den Ehemann der V-Frau Grete Rattai. HStA Düsseldorf, RW 58 52526, Bl. 112.
[65] BArch, ZM 1545 A. 4, Bl. 16. Bei einer Vernehmung im Oktober 1964 durch die Staatsanwaltschaft Dortmund wusste Sitter von Erschießungen durch Einsatzgruppen nichts auszusagen. Bundesarchiv Ludwigsburg, 8 AR-Z 5/1963, Bl. 763 f. Zu einer Vernehmung wegen Sitters Tätigkeit für die Stapo Essen kam es nie.
[66] BArch, ZC 12065, Bd. IV, Bl. 31. »Restlos bewahrheitet« ist allerdings übertrieben. Anders als Sitter schlussfolgernd in seinen Aussagen vom 21. Dezember 1940 (BArch, ZC 12065, Bd. II, Bl. 195.) und vom 27. August 1941 (BArch, ZC 12065, Bd. III, Bl. 242) behauptete, hat z. B. der AM-Leiter Ruhr Edwin Kolossa (Arnold Klein) zwar die Polizistenmörder Kloß und Staudinger, in Sicherheit bringen lassen, aber wohl kaum den Polizistenmord veranlasst. Dafür spricht angesichts der Umstände nichts. Vgl. dazu die Biographie von Arnold Klein bei Mensing, Wilhelm: Von der Ruhr in den GULag. Opfer des Stalinschen Massenterrors aus dem Ruhrgebiet, Essen 2001, S. 138–140.
[67] SAPMO-BA, RY 1/ I 2/3/117, Bl. 149; BArch, ZC 12065, Bd. IV (am Ende eingefügtes Blatt). Die aus VVN-Kreisen stammenden Hinweise waren mit der Anregung verbunden, den sich vermeintlich in sowjetischer Gefangenschaft befindenden Sitter bei seiner Rückkehr abzufangen und ein Verfahren gegen ihn einzuleiten; im Westen werde ihm nichts geschehen.
[68] Datenbank Hannah-Arendt-Institut, Dresden, Aktennummer 461.198424, Quelle WL 98.
[69] Seine Personalakte existiert nach Auskunft der Landesverwaltung nicht mehr.
[70] Beschluss des 3. Bezirksmilitärgerichts der Russischen Föderation Nr. 551/562 n vom 26. August 2003, dass der Verurteilte nicht der Rehabilitierung unterliege, mitgeteilt von der Deutschen Botschaft Moskau RK 544-25.233 vom 12. November 2003 (Archiv des Verfassers). Der Beschluss enthält eine Reihe tatsächlicher Angaben zu Sitters Tätigkeit. Einsicht in die sowjetischen Akten wurde nicht gewährt.
[71] HStA Düsseldorf, RW 58 23029, Bl. 144 (Akte Lodenkämper).
[72] HStA Düsseldorf, RW 58 1983 u. 2330. An anderer Stelle heißt es, G. R. leiste nach ihrer vollkommenen Umstellung in politischer Hinsicht wertvolle Dienste als Vertrauensperson und dürfe daher im Staatsinteresse in dem Strafverfahren L. nicht in Erscheinung treten. BArch, ZC 14504, Bl. 221,
[73] BArch, ZC 17472, Bl. 46.
[74] HStA Düsseldorf, RW 58 1982, Bl. 6
[75] Abgeliefert unter ihren Decknamen »VM Stein« für die Stapo Essen und »Di 6« für die Leitstelle Düsseldorf. Siehe u. a. HStA Düsseldorf, RW 58 39516, Bl. 8; BArch, ZC 17187, Bl. 2 f.
u. 23–25; HStA Düsseldorf, R 58 3186, Bl. 19f; HStA Düsseldorf, RW 58 6067, Bl. 10; HStA Düsseldorf, RW 58 15204, Bl. 35, 38 f., 48, 63, 64, 79.
[76] BArch, ZC 17187, insbesondere die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg Js 156/38 gegen Fritz Kiehne.
[77] Die Kenntnisse darüber kann sie nur von ihrem Ehemann gehabt haben, der offenkundig die Konspirationsregeln massiv verletzt hat.
[78] HStA Düsseldorf, RW 58 45051, Bl. 21–23.
[79] BArch, R 58 3186, Bl. 19 f.
[80] Die Stapoleitstelle Düsseldorf machte mit Zustimmung des Gestapa trotz des Hinweises des VM Anton, der so unversehens aus dem KZ entlassene Karl Rattai begegne unter Illegalen großem Misstrauen, den Versuch, auch ihn als VM zu gewinnen. Er machte zwar sehr umfangreiche Aussagen über den AM-Apparat. Aber er wurde nicht VM. HStA Düsseldorf, RW 58 1982 u. RW 58 52526. Ob auch eine aktenkundige Intervention der V-Person Di 6 bei ihrem VM-Führer Ditges in Düsseldorf vor dessen »Gesprächen« mit dem VM-Kandidaten dazu beitrug, wird sich wohl nicht mehr klären lassen; vgl. HStA Düsseldorf, RW 58 1982, Bl. 41. Zwar versuchte Karl Plesse, der in Moskau mit K. R. zusammengewesen war und später in Sachsen als VM für die Gestapo gearbeitet hatte (»nur zum Schein«), ihn nach dem Krieg herauszupauken (»Im August 1939 kam ich in das Gestapogefängnis Berlin als Kalfak tor. Ich kam dorthin durch Vermittlung von K. R., Essen, der mich von Moskau her kannte. Wir bezogen dort die Linie, die Gestapo über unsere politische Umstellung zu täuschen, und durch geschickte Ausnutzung dieser Dinge erreichten wir im April 1940 [Datum ist falsch, W. M.] unsere Entlassung.«) BArch, ZC 17382, Bd. III Bl. 26). Aber das MfS sah K. R. als VM an, BArch, ZC 12065, Bd. I, eingeheftete Vorblätter von 1958.
[81] BArch, ZC 17472, Bl. 46.
[82] Meldung in der Nationalzeitung (Essen) vom 20. Mai 1942 und Todesanzeige in der Pfingst-ausgabe 1942 der Nationalzeitung.
[83] HStA Düsseldorf, RW 58 1983, im Aktendeckel.