JHK 2005

»Dem Karl Liebknecht haben wir’s geschworen, der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand« - Der Wandel des 15. Januar als politischer Gedenktag von KPD und SED (1920 bis 1989)

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 171-188 | Aufbau Verlag

Autor/in: Barbara Könczöl

»Auf, auf, zum Kampf, zum Kampf! Zum Kampf sind wir geboren. / Auf, auf zum Kampf, zum Kampf! Zum Kampf sind wir bereit. / Dem Karl Liebknecht haben wir’s geschworen, / Der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand.«[1] Das KarlLiebknecht-Lied, dessen erste Strophe hier zitiert ist und dessen Autor heute nicht mehr zu ermitteln ist, gehörte zum Liederrepertoire jener Gedenkkundgebungen, die seit 1920 anlässlich der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht um den 15. Januar stattfanden.[2] Der Gedenktag nahm einen wichtigen Platz im Feiertagskalender der KPD und später der SED ein und hatte eine mythischsakrale Struktur. Für beide Parteien besaß er eine zentrale identitätsstiftende Funktion, die eng mit einem politischen Totenkult[3] verknüpft war. In der Inszenierung des Gedenktages und der Konstituierung des Mythos lässt sich ein qualitativer Funktionswandel von der KPD hin zur SED feststellen – aus einer mobilisierenden wurde eine vornehmlich herrschaftsfundierende Bestimmung.

Politische Gedenktage sind wichtige Medien, mit deren Hilfe sich politische Gemeinschaften ihres Selbstverständnisses und ihrer Identität immer wieder neu vergewissern. Sie sind »Bezugspunkte kollektiver Vergewisserung und Legitimationsbeschaffung für die unterschiedlichsten Standpunkte«[4]. An solchen Feier- und Festtagen werden politische Mythen – also solche Ereignisse, die eine politische Gemeinschaft einen und symbolisieren[5] – beschworen, um so die Akzeptanz für politische Inhalte herzustellen.[6] Diese Gedenktage dienen mithin politischen Gruppen dazu, ihr Programm historisch zu legitimieren und massenwirksam zu inszenieren. Ein besonderes Merkmal solcher Feiertage ist ihr ritualisierter Charakter, ihre regelmäßige Wiederkehr und ihr formalisierter Ablauf.[7] Die Rituale sollen die durch den Mythos evozierte Interpretation der Vergangenheit und damit auch ein bestimmtes Weltverständnis durch stete Wiederholung bekräftigen.[8] Sinnressourcen können so erneuert werden. Die Gegenwart wird aus dem Vergangenen erklärt und mit einem zukünftigen

Gestaltungsanspruch verbunden. Der Rekurs auf die Vergangenheit kann dabei nicht nur die eigenen Herrschaftsansprüche fundieren, sondern auch kontrapräsentische, d. h. herrschaftsdementierend, und revolutionär wirken. Nämlich dann, wenn die gegenwärtigen Zustände gegenüber einer wie auch immer gearteten Vergangenheit als defizitär empfunden werden.[9] Gedenkakte können also einerseits mobilisierend und andererseits herrschaftsfundierend wirken. Diese Rituale sind eine entscheidende Praxis, um kollektive Selbstbilder zu begründen. Sie verbinden den Einzelnen mit der Gruppe und ziehen zugleich Grenzen. Selbst willkürliche Grenzen erscheinen so als natürliche. Sie schaffen somit eine soziale Realität, die ohne sie nicht existiert hätte.[10]

Der 15. Januar war Ausgangspunkt für die revolutionäre Linke, sich eine eigene Tradition zu erfinden.[11] Während allerdings bei den Kommunisten in der Weimarer Republik die Abgrenzung von den Sozialdemokraten die zentrale Rolle spielte, bedeutete die Berufung auf das revolutionäre Erbe für die SED vor allem die Abgrenzung von der Bundesrepublik. Nach 1945 stellte die Identitätsstiftung den doppelten Versuch dar, die Identität der Partei zu formen und den Mangel an nationalstaatlicher Eigenständigkeit der DDR auszugleichen.[12]

 

Die Sakralisierung der Märtyrer und die Etablierung einer revolutionären Tradition durch die KPD

Durch die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts verlor die junge KPD ihre wichtigsten intellektuellen Köpfe. Dieser Verlust bedeutete zwar eine nachhaltige Krise, doch gleichzeitig interpretierte die Partei die Niederlage heilsgeschichtlich um. Die KPD erhielt ihre Feuertaufe und es entstand das Narrativ des Ursprungsmythos der aus dem Feuer der Revolution geborenen Partei. Der gewaltsame Tod Luxemburgs und Liebknechts stellte nach dieser Interpretation ein »Opfer« an die Gemeinschaft dar. Mit der sinnstiftenden Deutung des Todes etablierte die KPD einen politischen Totenkult, der während der Weimarer Republik im Mittelpunkt der »weihevollen Selbstinszenierung« der Bewegung stand.[13] Bei diesem Gedenken handelte es sich um ein zentrales Element der Selbstkonstitution der nur wenige Wochen vor dem Mord gegründeten Partei. Mit der Sakralisierung der beiden Märtyrer begründetet die KPD eine eigene, sich von der SPD abgrenzende Tradition, die sich im Ursprungsmythos, im Gedenkritual und an Orten wie dem Revolutionsdenkmal von Ludwig Mies van der Rohe ausdrückte.[14]

Gerade weil die KPD die Weimarer Republik als »Diktatur der Bourgeoisie« ablehnte, galt ihr nicht die parlamentarische Auseinandersetzung als wichtigstes politisches Artikulationsmittel, sondern die unmittelbare kollektive Aktion der Massen.[15] Sie setzte daher den offiziellen Weimarer Feiertagen mit Hilfe ihres eigenen Feiertagskalenders eine »kommunistische Befreiungsvision« entgegen.[16] Im Zentrum stand die Beschwörung des Telos – der Revolution. Die KPD evozierte mit Hilfe der Feiertage nicht nur eine »revolutionäre Zeit«, sondern vergewisserte sich ihres Selbstverständnisses. Der Feiertagskalender brachte die eigene ambivalente Identitätskonstruktion zum Ausdruck. Diese oszillierte zwischen dem alten sozialdemokratischen Erbe (1. Mai) und der Suche nach einem eigenen Selbstverständnis, das zwischen den Polen einer eigenen revolutionären Tradition (15. Januar) und der Stalinisierung der Partei (7. November) aufgespannt war.[17] Mit Hilfe der »Oktoberfeiern« und durch das Januargedenken polarisierten die Kommunisten das linke Lager. Sie schrieben auf diese Weise die Spaltung der Arbeiterbewegung und die Revolutionsmisere fest.[18] Durch den 15. Januar erhielt die Partei ihre eigene »Dolchstoßlegende« – der Revolution steckte »der Stahl der Meuchelmörder [der SPD] im Rücken«[19]. Der Mord wurde zum Symbol des ersehnten Epochenumbruchs. Indem die Partei Luxemburgs und Liebknechts Märtyrertod als »das Blutzeugnis des Kommunismus«[20] deutete, verwies sie auf den Beginn der besseren Zukunft.

Besonders ab 1924/25 in einer Zeit der relativen Stabilität der Weimarer Republik, als die KPD sich in einer Phase zwischen zwei revolutionären Wellen wähnte, dienten die öffentlichen Kundgebungen zum 15. Januar der Inszenierung eines jährlichen, wenn auch eher symbolischen Aufflammens der revolutionären Ausnahmesituation. Hier wurde die Revolution in einer nicht revolutionären Zeit geprobt. Zum Ritual gehörten nämlich – wenn auch nicht offiziell – die in der Roten Fahne regelmäßig beschriebenen Auseinandersetzungen zwischen den staatlichen Ordnungskräften und Demonstranten. Ab Mitte der 20er Jahre setzte sich bei der KPD die »Faszination der Formation«[21] durch. Der Rote Frontkämpferbund (RFB) trat in den Demonstrationszügen verstärkt in Erscheinung und gab ihnen einen deutlich militarisierten Anstrich. Während Anfang der 20er Jahre vor allem das revolutionäre Heilsversprechen im Vordergrund der Aufrufe und der Berichterstattung über den Gedenktag stand, dominierte in der Endphase der Weimarer Republik der Ruf nach Rache.[22] Neben der Demonstration bildete die Kundgebung vor dem Revolutionsdenkmal das zweite wichtige Element des Januargedenkens. Im Mittelpunkt der Feier stand ein Totenkult der gefallenen Märtyrer der Revolution. Er sollte die Anhängerschaft darauf einstimmen, sich selber als Revolutionäre, als »Tote auf Urlaub«,[23] zu begreifen und den Kampf weiter zu führen.

1926 weihte die Parteiführung an den Gräbern von Luxemburg und Liebknecht auf dem Friedhof in Berlin-Friedrichsfelde das Revolutionsdenkmal von Ludwig Mies van der Rohe ein.[24] Dass es sich hierbei nicht nur um ein Grabmonument, sondern um einen »Altar« der Revolution handeln sollte, hatte Wilhelm Pieck bereits bei der Entwurfspräsentation auf dem 10. Parteitag der KPD 1925 deutlich gemacht: »Es [das Denkmal] soll nur ein Symbol sein und uns anspornen, das erhebendste und gewaltigste Denkmal unseren gefallenen Kameraden dadurch zu setzen, daß wir, dem Beispiel unserer russischen Brüder folgend, die deutsche Sowjetrepublik schaffen.«[25] Das aus übereinander liegenden, ineinander verschobenen Kuben bestehende Denkmal sollte die Kraft des revolutionären Kampfes versinnbildlichen und gleichzeitig an jene Mauern erinnern, an denen die revolutionären Vorbilder (die Pariser Kommune 1871, die russischen Revolutionäre 1917 und die deutschen Revolutionäre von 1919) erchossen bzw. bestattet worden waren. Allerdings blieb es aufgrund seiner abtrakten Form innerhalb der KPD umstritten. Daran konnte auch die eindeutige Symbolik des an der Vorderseite angebrachten zwei Meter hohen Sterns mit Hammer und Sichel nichts ändern.[26] 

Die »Wandlung des deutschen Kommunismus« machte auch vor den 15. Januar nicht halt.[27] Beim Gedenken erfolgte eine Synthese aus sowjetischen und deutschen Traditionselementen. Besonders die Rolle Luxemburgs stand nun zur Disposition. 1919 galt sie in der KPD noch als der »größte Geist des wissenschaftlichen Sozialismus seit Marx und Engels«.[28] Doch schon bald wurden Rosa Luxemburg, die Theoretikerin, und Rosa Luxemburg, die Märtyrerin, nicht mehr als legitimitäts- und integrationsstiftende Einheit gesehen. Vielmehr trennte die KPD Person und Werk voneinander.[29] Luxemburgs eigenständiges theoretisches Erbe stand der Bolschewisierung der Partei im Weg. Während ihr Werk als solches eine Abwertung erfuhr, verehrte man die Person noch weiterhin als Märtyrerin.[30] Nach seinem Tod am 21. Januar 1924 stieg Lenin in das Pantheon der großen Toten auf. 1925 erweiterte die Partei das Gedenken zur »LLL-Woche« – zur »Lenin-Liebknecht-Luxemburg-Woche«. Dabei fand eine Hierarchisierung der Märtyrer statt. Zwar blieb Luxemburg »die große Theoretikerin, die kluge Frau, die uns half die Worte Karl Marx besser kennen zu lernen und zu begreifen«, und Liebknecht war noch immer der »Feuergeist«, sprich der große Agitator, doch war »Wladimir Iljitsch Lenin Theoretiker und Feuergeist zugleich.«[31] Lenin vereinigte also die Qualitäten der beiden deutschen Arbeiterführer in sich und übertraf diese noch. Der Leninismus galt auch innerhalb der KPD als die maßgebliche Lehre. Nicht nur auf theoretischer Ebene traten Luxemburg und Liebknecht zurück, sondern die KPD propagierte einen Leninkult, der vor allem in den LLL-Wochen zusehends an Bedeutung gewann.

Insgesamt suchte die Partei also den Ambivalenzen der Stalinisierung zu begegnen, indem sie Luxemburg systematisch abwertete. Die Märtyrerin büßte auch gegenüber Liebknecht an Bedeutung ein. Aber der narrative Kern ließ sich nicht soweit verändern, dass Luxemburg und damit die Traditionen der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung völlig eliminiert werden konnten, ohne den Ursprungsmythos selbst und damit die integrative und mobilisierende Funktion des Gedenktages zu zerstören.[32] Mithin blieb der 15. Januar bis zum Ende der Weimarer Republik einer der zentralen Feiertage der deutschen Kommunisten. Die letzte offizielle Januarkundgebung fand am 15. Januar 1933 statt. Nachdem die KPD verboten worden war, zerstörten die Nationalsozialisten das Denkmal 1935 vollständig. Nach Ablauf der Liegefrist wurden die Gräber 1941 neu belegt. Der Ort und das damit verbundene kommunistische Totengedenken sollten ausgelöscht werden.[33] 

Über Gedenkveranstaltungen für Luxemburg und Liebknecht zwischen 1933 und 1945 ist so gut wie nichts bekannt. Voßke zitiert ein Flugblatt der illegalen Parteiorganisation der KPD von Berlin-Köpenick vom Januar 1934, dessen Überschrift lautete »Im Geiste Lenins, Karl Liebknechts u. Rosa Luxemburgs werden wir weiter kämpfen!«. Außerdem berichtet er davon, dass die Führung der KPD im April 1936 beschloss, »die Weltöffentlichkeit über die faschistische Grabschändung zu informieren.«[34]Allerdings haben sich bisher keine Hinweise auf entsprechende Aktivitäten gefunden. Johannes R. Becher und Erich Weinert verfassten jedoch 1936 Gedichte, die den Abriss der Stätte thematisierten.

 

Die Wiederaufnahme des Januarrituals in der SBZ und der DDR

Nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft beging die KPD 1946 in der SBZ erstmals wieder den Januargedenktag. Der 15. Januar erhielt nun im Unterschied zu dem der Weimarer KPD eine substantiell neue Funktion.[35] Er sollte nicht nur integrieren und die deutschen Kommunisten zum Kampf mobilisieren, sondern das neue System stabilisieren.[36] Zusammen mit dem 8. Mai und dem 7. Oktober bildete er eine, wie Monika Gibas es nennt, »gründungsmythische Dreieinigkeit«.[37] In dieser »narrativen Triologie«[38] wurden die Erinnerungen an den Kampf der revolutionären Linken, an den antifaschistischen Kampf und an die Befreiung vom Nationalsozialismus durch die Rote Armee verknüpft mit dem Lohn all dieser Entbehrungen, dem ersten sozialistischen Staat auf deutschen Boden. Das Januargedenken war ebenso wie die anderen Feiertage der DDR Teil eines »sozialistischen Inszenierungsstils«, in dem die sowjetische Formensprache mit Feiertagselementen der deutschen revolutionären Arbeiterbewegung gepaart war.[39]

Die KPD machte sich schon 1945 daran, nicht nur die politischen Schaltstellen zu besetzen, sondern auch eine symbolische Deutungshoheit zu erlangen. Bereits vor Kriegsende hatte sich die Moskauer Exilleitung im Rahmen ihrer Strategiediskussion intensiv mit den Fragen der Traditionsvermittlung auseinandergesetzt. Ein zentraler Punkt der Argumentation, mit deren Hilfe die Deutschen nach dem Alliierten-Sieg zu einer antifaschistischen Politik bekehrt werden sollten, war neben der Aufklärung über das Wesen des Faschismus auch die Überwindung der »Grundfehler von 1918«.[40] Damit war die Überwindung der Spaltung der Arbeiterklasse gemeint. Die Berufung auf Luxemburgs und Liebknechts Erbe, die in der Weimarer Republik noch als zentrales Abgrenzungsmoment gegenüber der SPD und zur Betonung einer eigenständigen Tradition der revolutionären deutschen Linken gedient hatte, wurde nun als die Umsetzung der Lehre von der geeinten Arbeiterklasse propagiert. 

Im Januar 1946 fand die erste Januarkundgebung seit 1933 statt. Über den zerstörten Gräbern reichten sich Sozialdemokraten und Kommunisten die Hand. Diese Geste der Versöhnung erhielt so den Charakter eines heiligen und verbindichen Schwures. Dies machte auch Wilhelm Piecks Rede deutlich: »Über diese Grabstätte hinweg reichen wir uns als Symbol für unser ganzes Volk die Hand zu dem heiligen Gelöbnis, durch unsere Kampfgemeinschaft und durch eine einheitliche Arbeiterpartei die feste Garantie für den Sieg unserer gerechten Sache zu schaffen.«[41]

Obwohl die KPD das Erbe der beiden Märtyrer vor dem Krieg eifersüchtig für sich beansprucht hatte, hatte dieses Andenken bereits in der Weimarer Republik zur Erinnerungskultur linker Sozialdemokraten und linksorientierter parteiloser Intellektueller gehört.[42] Das Interpretationsangebot, die Pflicht gegenüber den Toten, den Militarismus durch eine geeinte Arbeiterklasse zu bekämpfen und damit den Faschismus »auszurotten«, konnte daher durchaus bei Teilen der SPD auf fruchtbaren Boden fallen.

Auch wenn die KPD in den Vereinigungskampagnen eine Parität zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten suggerierte, zeigte sich in der hier inszenierten Einigkeit bereits ihr eigener Führungsanspruch. Dies machten die Gesten und Symbole dieser ersten Kundgebung deutlich. Man hatte zwar darauf verzichtet, am Nachbau des Monuments den Sowjetstern – das Symbol einer stalinisierten Weimarer KPD – zu befestigen und stattdessen den Spruch des 1848er Revolutionärs Ferdinand Freiligrath »Ich war – ich bin – ich werde sein« angebracht.[43] Doch dies waren auch die letzten gedruckten Worte Luxemburgs, die diese allerdings auf die sozialistische Revolution bezogen hatte.[44] Das Zitat enthielt also implizit den revolutionären Gestaltungswillen. Trotz des fehlenden Sterns, hatte man aber von den Symbolen der Weimarer KPD nicht gänzlich abgesehen. Rechts von dem Redner Pieck flatterte die RFB-Fahne, links neben ihm standen Fahnen mit Hammer und Sichel.[45] Während das revolutionäre Erbe 1946 nur implizit in der Inszenierung enthalten war und nicht explizit betont wurde, stellte Wilhelm Pieck 1947 im Neuen Deutschland klar, worin die SED die Vermächtniserfüllung sah – im Sieg des Sozialismus: »Ihr Andenken [Liebknechts u. Luxemburgs] können wir nicht besser ehren als in der Befolgung ihrer Lehren und der Fortsetzung ihres Kampfes. Der Sozialismus kann nur siegen durch eine geeinte Arbeiterklasse – das ist die große Lehre der Jahre 1918/19.«[46]

Diese Rede enthielt bereits den Anspruch, mit Hilfe der Institutionalisierung der Gedenkfeiern bestimmte Teile der »kommunikativen Erinnerung« der Kommunisten und somit die »richtigen« Lehren aus der Geschichte in »kulturelle Erinnerung« zu transformieren.[47] Pieck schrieb weiter: »Die Welt […] wird uns anerkennen, wenn wir den Kampf Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs zu Ende führen, wenn wir den demokratischen friedlichen Weg beschreiten, wenn wir eine Generation erziehen, die sich stolz zu unseren revolutionären Vorkämpfern Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg bekennt.«[48] Das JanuarRitual sollte das Gedenken an das revolutionäre Erbe bei den nachfolgenden Generationen wach halten und den daraus abgeleiteten legitimatorischen

Anspruch der politischen Führung jährlich erneuern.[49]

 

Die Gedenkstätte der Sozialisten: Totenkult und Herschaftsrepräsentation

Mit Gedenktag und Denkmalprovisorium konnte sich die KPD/SED nur temporär in den öffentlichen Raum einschreiben, um auf diese Weise das kulturelle Gedächtnis zu formen. Der Gedächtnisort sollte aber nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine räumliche Fixierung erhalten. Bereits 1945 engagierte sich daher die KPD, vor allem Wilhelm Pieck, für den Wiederaufbau des zerstörten Revolutionsdenkmals. Am 17. Dezember 1945 gab der Berliner Magistrat dem Antrag statt, wieder ein Denkmal in Berlin-Friedrichsfelde errichten zu lassen.[50] Pieck sprach sich gegen eine Rekonstruktion des alten Monuments aus und setzte sich für den Bau einer erweiterten Gedenkstätte ein, welche die Erinnerung und Traditionen beider deutscher Arbeiterparteien vereinte.[51]

Der Berliner Magistrat schrieb 1947 einen Wettbewerb zur Gestaltung einer Gedenkstätte aus. Das Preisgericht trat am 30. Januar 1948 zusammen. Innerhalb des Gremiums kam es zum Streit über die Aufgabe eines solchen Ortes. In dieser Diskussion zeigten sich zwei sehr unterschiedliche Konzepte öffentlicher Erinnerung, wie sie sich später auch in den Erinnerungskulturen von Ost- und Westdeutschland manifestierten.[52] Sollten Orte des stillen und somit eher individuellen privaten Andenkens oder eine zentrale Stätte kollektiven öffentlichen Gedenkens entstehen? Pieck verfocht selbstverständlich letztere Position.[53]  Er konnte sich aber zunächst nicht durchsetzen; der vom Preisgericht gekürte Entwurf stellte einen Kompromiss zwischen den beiden oben genannten Positionen dar.[54] Doch Aufgrund der Berlin-Krise verzögerte sich dessen Umsetzung. Im Februar 1949 wandte sich Pieck in einem Schreiben an den (Ost)Berliner Oberbürgermeister Friedrich Ebert und forderte einen erneuten Beschluss, da der Entwurf der Wettbewerbsgewinner, »nicht der Möglichkeit, größere Gedenkkundgebungen der Berliner Arbeiterschaft an der Gedenkstätte abzuhalten«, entspräche.[55] Die Planung wurde Piecks Wünschen folgend revidiert. Der neue Entwurf opferte nun endgültig die historische Authentizität der politischen Funktionalität. Er sah vor, die Gedenkstätte von ihrem alten Ort an einen besser zugänglichen Platz in der Nähe des Friedhofeingangs zu verlegen, um sie so »massentauglich« zu machen.[56] Die »Gedenkstätte der Sozialisten«, wie die Anlage nun hieß, wurde am 14. Januar 1951 eingeweiht. Die Eröffnungsrede hielt erwartungsgemäß ihr Spiritus Rector Pieck. Er erklärte sie zur »historischen Weihestätte der Berliner und der deutschen Arbeiterbewegung«.[57] 

Mit dem neuen Mahnmal schuf sich die SED eine zentrale Gedenk- und Kultstätte. Das Monument bestand aus einem von einer vier Meter hohen Klinkermauer umgebenen Rondell mit einem Innendurchmesser von 45 Metern. Die kreisförmige Umfassungsmauer besaß eine etwa 25 Meter breite Öffnung. Dies war der Eingang zum Inneren der Gedenkstätte. Im Zentrum errichtete man einen vier Meter hohen Porphyrblock. Statt des in die Zukunft weisenden, mobilisierenden »Ich war – ich bin – ich werde sein«, stand auf diesem Stein nun der retrospektiv orientierte Spruch »Die Toten mahnen uns«. Im Unterschied zur alten Grabstätte, in der Luxemburg und Liebknecht als »primi inter pares« mit den Januarkämpfern bestattet gewesen waren, hierarchisierte die neue Stätte die Toten. Um den Porphyrblock waren die Gedenksteine bzw. Gräber von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Ernst Thälmann, Rudolf Breitscheid, John Schehr, Franz Mehring, Wilhelm Sült und Franz Künstler gruppiert. Diese Martyrer kündeten, davon, dass »der Golgathaweg des deutschen Proletariats« eine »ewige Mahnung sein [sollte], dass eine gespaltene Arbeiterklasse zur Niederlage und nur eine einige Arbeiterklasse zum Siege führt«.[58] Da sie durch ihr Opfer den Weg zum Telos der Revolution und die Errichtung der neuen sozialistischen Gesellschaft in der DDR bereiteten, ist es in dieser Logik nur konsequent, dass diejenigen, welche die Vermächtniserfüllung bewerkstelligten, neben den Wegbereitern beerdigt wurden. Man bestattete hier daher auch Pieck, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht. Die Gedenkstätte der Sozialisten versinnbildlichte somit eine Traditionslinie der »Führer der deutschen Arbeiterklasse«, in die sich die Parteispitze der SED einreihte. Diese Linie reichte nicht nur bis zu den Toten der Novemberrevolution, sondern schloss auch die alten Kaiserreichsozialisten ein, deren 23 noch vorhandenen Gräbersteine man an der Ringmauer eingefügt hatte. Den Spanienkämpfern und deutschen Antifaschisten gedachte man ebenfalls mit 20 Namenstafeln auf der rechten Seite des Mauerrings. Ähnlich wie in der Kremlmauer bezog die Stätte außerdem Urnenplätze für bedeutende Parteimitglieder in die Umfassungsmauer mit ein, sowie auch jene, die sich um den »Aufbau des Sozialismus« verdient gemacht hatten. Eine weitere Grabstätte für verdiente Funktionäre wurde auf dem Friedhofsgelände hinter dem eigentlichen Ort angelegt.

Märtyrer der Partei wurden in der Gedenkstätte also ebenso geehrt wie sozialistische »Alltagshelden«[59]. Dies war nicht mehr als nur eine Kultstätte der Märtyrer, sondern eine Kultstätte der Partei ansich. Allerdings fand so auch eine Veralltäglichung der Heldenverehrung statt. Denn die »(Alltags-)Helden neuen Typs« brauchten in der Gedenkstätte zunehmend mehr Platz, so dass die SEDFührung 1969 schließlich die Namensplatten der »echten« Märtyrer, also jener, die in der Weimarer Republik ermordet, in Spanien oder im »antifaschistischen Kampf« in Deutschland gefallen waren, auf einer großen Bronzetafel zusammenfassen ließ, um so Raum für neue Urnenplätze zu schaffen.[60] 

Die Gedenkstätte stellte den Versuch dar, eine »architektonische Verbindung zwischen zwei letztendlich unvereinbaren Zielen herzustellen […], nämlich zugleich innerer Geschlossenheit und öffentlicher Ausstrahlung.«[61] Allerdings dominierte das Prinzip der Geschlossenheit. Die breite Öffnung in der Umfassungsmauer diente zwar als Eingang, doch vor diesem Tor befand sich eine Tribüne, auf der während der Gedenkfeierlichkeiten die Mitglieder des Politbüros und der Bezirksleitungen standen, so dass der Innenraum für die vorbeiziehenden Werktätigen verdeckt blieb. Insofern bildete die Tribüne eine Schwelle, zwischen der »Weihestätte« und dem äußeren profanen Raum, in dem sich der Demonstrationszug bewegte. Ähnlich der Tribüne des Lenin-Mausoleums in Moskau verband auch diese die toten Führer der Revolution mit ihren Nachfolgern.[62] Die SED-Führung stellte sich folglich als das Bindeglied zwischen der außen vorbeiziehenden Masse und den Märtyrern dar. Hier wurden Herrschaft und Macht für jedermann deutlich visualisiert. Die Tribüne schrieb eine Hierarchisierung des sozialen Raumes fest.[63] Von ihr aus präsentierte sich die Parteiführung als legitime Erbin Liebknechts, Luxemburgs und der anderen Märtyrer.

 

Zwischen »Herrschaftslegitimierung« und »Herrschaftsdementierung«  [ftnref]64[/ftnref]

Mit Hilfe der Gedenkstätte der Sozialisten suchte die SED also eine Tradition der besten Kräfte der deutschen Arbeiterbewegung festzuschreiben, die sie selbst definiert hatte. In den 50ern und frühen 60ern galt noch, »in unserer Deutschen Demokratischen Republik bauen wir den Sozialismus auf, die neue Gesellschaftsordnung, für die Karl und Rosa stritten und schließlich ihr leben gaben.«[65] Dagegen definierte sich die SED ab Ende der 60er Jahre nicht mehr nur als Erbin, sondern als erfolgreiche Vollenderin des Weges. So titelte das »Neue Deutschland« 1969: »Schwur von 1919 eingelöst und Vermächtnis erfüllt«.[66] Das Ritual der jährlichen Kampfdemonstrationen bekräftigte diesen Anspruch. Während es in seiner äußeren Form in den ersten Jahren noch variierte, blieb der zentrale Kern spätestens seit 1951 unverändert.[67] Gegenüber anderen Großereignissen stach die Demonstration heraus, denn bei ihr marschierte die Parteielite aktiv mit. Das inszenierte Bad in der Menge sollte einen Konsens zwischen Führung und Volk suggerieren. Hier wurde jedoch eine Einheit simuliert, die eigentlich erst durch das Ritual hergestellt werden sollte.[68] Allerdings blieb die Parteispitze während des Marsches herausgehoben. Sie führte den Demonstrationszug an, zunächst marschierte sie noch vor den Trauerkränzen. Unter Honecker folgten der Parteispitze die »führenden Persönlichkeiten der DDR«[69] nach. Dieser Aufbau ähnelte einem Begräbniszug, bei dem die nächsten »Angehörigen« hinter den Särgen – hier selbstverständlich nur den Kränzen – herziehen. Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass der Zug »den gleichen Weg« zurücklegte, »den Zehntausende revolutionäre Arbeiter […] am 25. Januar 1919 nahmen, als sie Karl Liebknecht das letzte Geleit gaben«[70]. Das unentwegte Einspielen und Absingen von revolutionären Arbeiterkampfliedern suggerierte gleichzeitig den Charakter einer Kampfdemonstration. Auf diese Weise knüpfte die SED an die Tradition der KPD an. Der Zug stellte somit eine Mischung aus einer Demonstration und einer Beerdigung dar. Er trug gleichzeitig auch Elemente einer Prozession zu Ehren der Märtyrer in sich, deren Bilder, wie Ikonen, mitgeführt wurden. 

Sobald die Partei- und Staatsführung, die Gedenkstätte erreicht hatte, verstummten die Arbeiterlieder. Es folgte ein klassischer staatlicher Gedenkakt: »Der Trauermarsch ›Unsterbliche Opfer‹ klingt auf. […] Offiziersabordnungen der Nationalen Volksarmee tragen die Kränze der Partei- und Staatsführung zum Mahnmal. Unter Trommelwirbel werden die Kränze niedergelegt. Eine Minute verharren die Genossen im stillen Gedenken vor der Ruhestätte der großen Toten.«[71] Nachdem sie das Rondell einmal umrundet hatte, bestieg die Parteiführung die Tribüne. Es folgten die Ansprache und der Vorbeimarsch der Berliner Werktätigen. Die Januar-Kundgebung stellte somit eine immer wieder neu zelebrierte Inthronisierung der Parteiführung dar. Deren Mitglieder verwandelten sich von trauernden »Angehörigen« in die inthronisierten Erben von Liebknecht und Luxemburg. Mithin diente die Gedenkfeier der Affirmation des Herrschaftsanspruchs der SED. 

Gleichzeitig barg das Gedenken aber durch Rosa Luxemburgs theoretisches Erbe auch ein subversives Potential. Die SED sah sich mit dem Paradox konfrontiert, dass sie sich auf einen Mythos stützte, dessen Protagonistin Ideen vertrat, die der Auffassung der SED über die Rolle der Partei diametral entgegenstanden. Um diese Ambivalenz aufzulösen, trennte die SED – wie bereits vor ihr die KPD – Person und Werk. Sie sakralisierte Luxemburg als Person und verehrte diese als Märtyrerin, aber ihre angeblichen theoretischen Irrtümer blieben als »Luxemburgismus« verdammungswürdig.[72] Diese Trennung zwischen Werk und Person fand ihren Ausdruck in einer vom damaligen SED-Chefideologen, Fred Oelßner, verfassten »kritischen biographischen Skizze«, worin er dem »kämpferischen Leben« das »fehlerhafte System« gegenüberstellte.[73] Doch Wilhelm Pieck bewerkstelligte bei der Differenzierung zwischen Luxemburg und Luxemburgismus die Quadratur des Kreises: In seinem Vorwort zu einer Ausgabe von ausgewählten Schriften behauptete er Luxemburg habe »in ihrem letzten Lebensabschnitt« einen Lernprozess durchlaufen, durch den sie sich kurz vor ihrem Tod selbst in eine Kämpferin gegen den Luxemburgismus (sic!) verwandelt habe.[74] »Heute« nutzten, laut Pieck, »Brandleristen, Trotzkisten, Titoisten und Sozialimperialisten […] die Fehler und Irrtümer Rosa Luxemburgs für den hinterhältigen Kampf« gegen die SED.[75] Der Kampf gegen den »Luxemburgismus« flaute erst ab, nachdem sich das 28. Plenum des ZK der SED 1956 für die Revision des Stalinistischen Geschichtsbildes ausgesprochen hatte.

Ulbricht stellte sogar die Publikation von Rosa Luxemburgs Schriften in Aussicht (bis dato waren lediglich ausgewählte Werke publiziert worden). Doch schon 1960 erklärte die ideologische Kommission, dass selbst eine Neuauflage der »ausgewählten Reden und Schriften« nicht zweckmäßig sei. Kurt Hager empfahl stattdessen, die freiwerdenden Kräfte zur Beschleunigung einer LiebknechtAusgabe einzusetzen.[76] Während Luxemburg auf diese Weise in ihrer Bedeutung zurückgesetzt wurde, kürte die SED – beziehungsweise Ulbricht – Liebknecht zum nationalen Helden.[77] Erst als Ende der 60er Jahre im Westen das Interesse an Luxemburg wiedererwachte, sah die SED ihr Interpretationsmonopol in Gefahr.[78] Sie versuchte daraufhin, die problematischen Seiten Luxemburgs als Fehlinterpretationen des Klassengegners darzustellen. Gleichzeitig wurde es nun möglich und notwendig, endlich mit einer Ausgabe der gesammelten Werke zu beginnen und eine neue Biographie Luxemburgs zu veröffentlichen. Doch trotz dieser zweifelsohne differenzierteren wissenschaftlichen Darstellungen wurden die Märtyrerbilder von »Karl und Rosa« weiterhin sakralisiert und stereotypisiert.

 

Inszenierte Öffentlichkeit: Routinisierung und Erstarren

Mit einem derart neutralisierten und geglätteten Bild der beiden Märtyrer sollten diese für die Legitimation der Herrschaft nutzbar gemacht werden. Letztendlich trug dies aber zum Erstarren des Gedenkens bei. In der Ära Erich Honeckers rückte die revolutionäre Idee mitsamt der Utopie bekanntlich in den Hintergrund. Die Erinnerungspolitik und ihre Mythen verloren an Dynamik. Ein pseudodynamisches Element gab es lediglich in der Berichterstattung des Neuen Deutschland über die Januar-Demonstration. Von Jahr zu Jahr zählte es mehr Teilnehmer. Doch in dieser stetig wachsenden Zahl zeigt sich die zunehmende Formalisierung ebenso wie in der jährlich formelhaft beschworenen Einheit zwischen Führung und Volk und der Abgrenzung von den »Verrätern« in Westdeutschland, deren Politik als die Fortsetzung der »Mordhetze« gegen Luxemburg und Liebknecht stilisiert wurde. Desgleichen nahm die Routinisierung des Ablaufs immer weiter zu. Die Gedenkdemonstration wurde bis aufs kleinste geplant, nichts sollte dem Zufall überlassen werden. Die Demonstrationsstrecke musste schon Tage vorher mehrfach abgefahren werden und der »freiwillige« Schmuck an den Häusern wurde ebenso kontrolliert, wie auch sichergestellt wurde, welches die Straße säumende Kollektiv, wann welche Hochrufe auf die Parteiführung auszurufen hatte.[79] Jegliche Spontaneität wurde somit ausgeschlossen. Auch in der Gedenktagsrethorik findet sich diese Formalisierung. Seit Mitte der 80er Jahre wiederholten sich in der Berichten des Neuen Deutschland ganze Textpassagen.[80] Gleichzeitig ging der geschichtliche Bezug immer weiter verloren. So lautete z. B. die Titelzeile im Neuen Deutschland 1986 »Das Werk von Karl und Rosa lebt in unseren Taten zum XI. Parteitag der SED.«[81] Während die offizielle Veranstaltung erstarrte, verselbständigte sich ein nicht-offizielles Gedenken.

1988 kam es zum Ikonoklasmus. Oppositionelle (u. a. Freya Klier und Stephan Krawczyk) versuchten sich mit eigenen Transparenten, auf denen unter anderem das Luxemburg-Zitat von der Freiheit der Andersdenkenden stand, der offiziellen Kampfdemonstration anzuschließen. Die SED reagierte auf diesen Angriff auf die alt eingeübte Weise: zum einen mit dem Versuch, das Monopol über den theoretischen Diskurs wiederzuerlangen, zum anderen mit einer verstärkten Sakralisierung der Person. Das Neue Deutschland verurteilte die Aktion als »Gotteslästerung« und wies gleichzeitig daraufhin, dass Rosa Luxemburg die Veröffentlichung der Schrift abgelehnt habe, »weil die deutsche Revolution vom November 1918 ihr beigebracht hat, was die russischen Bolschewiki schon vorher wussten.«[82] Jedoch scheiterte dieser Versuch das Deutungsmonopol wiederzuerlangen. Zwar erreichte die Partei durch Verhaftungen und erzwungene Ausreisen, dass die Januardemonstration 1989 ungestört stattfinden konnte. Doch in Leipzig demonstrierte am selben Tag eine »Initiative zur demokratischen Erneuerung unserer Gesellschaft«.

Die SED erreichte also gerade dadurch, dass sie den 15. Januar auf die Fundierung ihrer Herrschaft auszurichten versuchte, dass sich der Mythos der Erben Liebknechts und Luxemburg sukzessiv von seinem ursprünglich revolutionärmobilisierenden Impetus entfernte, erstarrte und schließlich zerbrach.

Nach der Wiedervereinigung verschwand der Gedenktag nicht wie die übrigen Feiertage der DDR, sondern erlebte in den 90er Jahren eine Renaissance. An den Gräbern von »Karl und Rosa« findet man wieder jeden Januar Kränze. Die PDSFührung legt diese im Übrigen separat, vor dem allgemeinen Demonstrationsbeginn, ab. Die Demonstration selbst ist in ihrer heutigen Ausrichtung heterogen. Die Gruppierungen, die an ihr teilnehmen, sind ebenso vielfältig, wie die Interpretationen, die Rosa Luxemburg in ihrer Rezeptionsgeschichte erfahren hat. Auf der Veranstaltung begegnen jene, die schon vor 30 Jahren teilnahmen, Jugendlichen, für die Luxemburg und Liebknecht nur vage Namen sind. Die PDS trifft auf Falken und Jusos. Daneben marschieren Gruppen, die außer Bildern von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, auch noch solche von Marx, Engels, Lenin und Stalin vor sich hertragen. Statt eines Deutungsmonopols herrscht nun eine Deutungspluralität. Es wird nicht nur Luxemburg und Liebknecht gedacht, sondern auch protestiert; sei es nun gegen den Krieg im Irak oder gegen Sozialabbau. Oft hat der aktuelle Protest aber nur sehr entfernt Bezug zu »Karl und Rosa«. Zwar dient die Gedenkveranstaltung heute nicht mehr einer verkrusteten Herrschaftslegitimation, aber sie ist auch nicht wirklich revolutionär-mobilisierend – von einem Telos ganz zu schweigen. Die Bindungskraft des Januarrituals nimmt ab, und die Teilnehmerzahlen sinken. An der Gedenkstätte selbst überwiegt die Zahl derer, die bereits graues Haar haben. Scheinbar ist diese Form des Gedenkens teilweise noch in der kulturellen Erinnerung der in DDR sozialisierten Generation verankert, aber nicht mehr in der nachfolgenden. Aus der einst »machtvollen Kampfdemonstration der Berliner Werktätigen« scheint eine der vielen Berliner »Demos« zu werden.

 


[1]  Karl-Liebknecht-Lied, in: Wiegel, Karl: Unvergessen. Gedichte über Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, Berlin (Ost) 1961, S. 44.

[2]  Rosa Luxemburg (5. März 1871 bis 15. Januar 1919) und Karl Liebknecht (13. August 1871 bis 15. Januar 1919) versuchten nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, die wenigen kompromisslosen Kriegsgegner in der SPD zu sammeln und zu organisieren, zunächst in der Gruppe Internationale und dann im Spartakusbund. Während der Novemberrevolution 1918 formulierten sie die Ziele der revolutionären deutschen Linken. Luxemburgs und Liebknechts Ziel war die Weiterführung der Revolution zu einer sozialistischen Umwälzung. Aus diesem Grund lehnten sie die Entscheidung der Regierung der Volksbeauftragten unter Friedrich Ebert (SPD) ab, die Revolution zu einzugrenzen. Sie gehörten zu den Mitbegründern der Ende Dezember 1918 ins Leben gerufenen KPD. Nachdem der so genannte Spartakusaufstand am 12. Januar 1919 gescheitert war, wurden beide am 15. Januar in Berlin durch regierungstreue FreikorpsSoldaten verhaftet und ermordet. Zu weiteren biographischen Angaben siehe Weber, Hermann/Herbst, Andreas: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918–1945, Berlin 2004, S. S. 458–460 u. 471–475. 

 In der Weimarer Republik fand die Gedenkfeier meistens an einen Sonntag »in der Nähe« des 15. Januars statt. Allerdings handelte es sich dabei nicht unbedingt um den zweiten Sonntag im Januar, sondern manchmal auch um den dritten. In manchen Jahren finden sich auch Berichte von Feiern unter der Woche. Nach der DDR-Gründung fand die Demonstration in der Regel am zweiten Sonntag im Januar statt, aber es gibt auch Ausnahmen. 1969 fand sie z.B. am 19. Januar statt, also am dritten Sonntag.

[3]  Zum politischen Totenkult siehe Koselleck, Reinhart/Jeismann, Michael (Hrsg.): Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne, München 1994; Rader, Olaf B.: Grab und Herrschaft: Politischer Totenkult von Alexander dem Großen bis Lenin, München 2003.

[4]  Lehnert, Detlev/Mergerle, Klaus (Hrsg.): Politische Identität und Nationale Gedenktage. Zur politischen Kultur in der Weimarer Republik, Opladen 1989, S. 12.

[5]  Politische Mythen sind Teil des Phänomens, das Emilio Gentile Sakralisierung der Politik nennt. Gentile, Emilio: The Sacralisation of Politics. Definitions, Interpretations and Reflections on the Question of Secular Religion and Totalitarianism, in: Totalitarian Movements and Political Religions 1 (2000), H. 1, S. 18–55. Zur Theorie des politischen Mythos einführend Bizeul, Yves: Theorien der politischen Mythen und Rituale, in: ders. (Hrsg.), Politische Mythen und Rituale in Deutschland, Frankreich und Polen. Berlin 2000, S. 15–37 und Dörner, Andreas: Politischer Mythos und symbolische Politik. Sinnstiftung durch symbolische Formen am Beispiel des Hermannmythos. Opladen 1995.

[6]  Voigt, Rüdiger: Mythen, Rituale und Symbole in der Politik, in: Ders. (Hrsg.): Politik der Symbole. Symbole der Politik, Opladen 1989, S. 9–37, S. 11.

[7]  Schiller, Dietmar: Politische Gedenktage in Deutschland, Zum Verhältnis von öffentlicher Erinnerung und politischer Kultur, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 43 (1993), H. 25, S. 32– 39, hier S. 32.

[8] Jan-Holger Kirsch spricht hier von einer Tradierungsfunktion. Kirsch, Jan-Holger: »Sichtbarer Beweis der bewältigten Vergangenheit?« Deutsche Gedenktage als strategische Erzählung vom Nationalsozialismus, in: Zentrum für Niederlande-Studien: Jahrbuch 2001, S. 81–104, hier S. 84.

[9] Assmann, Jan: Frühe Formen politischer Mythomotorik. Fundierende, kontrapräsentische und revolutionäre Mythen, in: Ders./Harth, Dietrich (Hrsg.): Revolution und Mythos, Frankfurt a. M. 1992, S. 39–61.

[10]  Douglas, Mary: Reinheit und Gefährdung, Berlin 1986.

[11]  Hobsbawm, Eric/Ranger, Terence (Hrsg.): The Invention of Tradition, Cambridge 1984.

[12]  Zu den verschiedenen Nationskonzepten der SED siehe McKay, Joanna: The Official Concept of the Nation in the Former GDR. Theory pragmatism and search for legitimacy, Aldershot 1998.

[13]  Mallmann, Klaus-Michael: Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung, Darmstadt 1996, S. 225.

[14]  Eine solche Sakralisierung war nichts Neues. Die Arbeiterbewegung hatte schon im 19. Jahrhundert eigene sakrale Formen, Rituale und Glaubensinhalte entwickelt, um in einer »entzauberten Welt« (Max Weber) Sinn zu stiften und ein eigenes Selbstverständnis auszuformen. Unfried, Berthold: Riten, Mythen und Symbole – Die Arbeiterbewegung zwischen »Zivilreli- gion« und Volkskultur, in: Ders./Schindler, Christine (Hrsg.): Riten, Mythen und Symbole – die Arbeiterbewegung zwischen »Zivilreligion« und Volkskultur, Leipzig 1999, S. 7–16.

 

[15] Gailus, Manfred: »Seid bereit zum Roten Oktober in Deutschland!« Die Kommunisten, in: Lehnert/Mergerle: Politische Identität (Anm. 4), S. 61–88, hier S. 62.

[16] Ebenda, S.66. In der Regel dienten vor allem Nationalfeiertage der Schaffung und des Aus-drucks einer gemeinsamen sozialen und politischen Identität. Der Versuch der politisch Verantwortlichen der Weimarer Republik, die verschiedenen gesellschaftlichen Strömungen durch die Etablierung eines Nationalfeiertages zu einen, scheiterte. Besonders die radikalen Gruppen des linken und rechten Spektrums entwickelten ihren eigenen Feiertagskalender mit eigene Ritualen und Symbolen. Siehe Behrenbeck, Sabine: Der Kult um die toten Helden, Greifswald 1996, S. 282 f.

[17] Zur Stalinisierung der KPD siehe Weber, Hermann: Die Wandlung des deutschen Kommu-nismus. Die Stalinisierung der KPD in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. 1969. Zur Geschichte der KPD siehe zudem Flechtheim, Ossip K.: KPD in der Weimarer Republik, Hamburg 1986; Winkler, Heinrich August: Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, 3 Bde., Bonn 1985–90; Mallmann: Kommunisten (Anm. 13). 

[18] Mallmann: Kommunisten (Anm. 13), S. 225.

[19] Die Rote Fahne vom 15. Januar 1922.

[20] Die Rote Fahne vom 15. Januar 1921.

[21]  Peukert, Detlef J. K.: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne. Frankfurt a. M. 1997, S. 165.

[22]  Siehe dazu auch Mallmann: Kommunisten (Anm. 13), S. 226.

[23]  Der Ausdruck stammt von Eugen Léviné. Zitiert nach Mallmann: Kommunisten (Anm. 13). 

[24]  Fuhrmeister weißt daraufhin, dass das Denkmal nicht nur Luxemburg und Liebknecht kommemorierte, sondern ein Denkmal der Revolutionsopfer war. Fuhrmeister, Christian: Beton, Klinker, Granit. Material, Macht, Politik. Eine Materialikonographie, Berlin 2001, S. 122.

[25]  SAPMO BArch RY 1 11/1/19, zitiert nach Fuhrmeister: Beton (Anm. 24), S. 132.

[26]  Zur Ikonographie des Denkmals siehe Fuhrmeister: Beton (Anm. 24), S. 143–146. Zur zeitgenössischen Rezeption siehe ebenda, S. 183–185 sowie Baacke, Rolf-Peter/Nungesser, Michael: Ich war, ich bin ich werde sein!, in: Wem gehört die Welt? Kunst und Gesellschaft in der Weimarer Republik. Katalog, Berlin 1977, S. 280–298.

[27]  Weber: Die Wandlung (Anm. 17), S. 3.

[28]  KPD (Spartakusbund): Der Meuchelmord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg (Tatsachenmaterial), o. O., o. J. [Frühjahr 1919].

[29]  Zur ersten großen Zäsur in der Rezeption Luxemburgs kam es bei den Debatten um die Herausgabe ihrer Schrift über die russische Revolution, die Paul Levi nach seinem Ausschluss aus der KPD 1922 publizierte. In seiner Polemik gegen Levi hatte bereits Lenin konstatiert, Rosa Luxemburg habe in der Organisationsfrage der Partei, in der Bauernfrage und in der nationalen Frage schwere Fehler begangen. Siehe Nettl, Peter: Rosa Luxemburg (Lizenzausgabe für Büchergilde Guttenberg), Frankfurt a. M./Wien/Zürich 1968, S. 753. 1931 sprach Stalin das endgültige Verdammungsurteil, indem er die Ideen Luxemburgs als »halbmenschewistischen Mischmasch« diffamierte. Siehe Stalin, Josef: Über einige Fragen der Geschichte des Bolschewismus. Brief an die Redaktion der Proletarskaja Rewoljuzija, in: Ders., Werke. Bd. 13, Berlin (Ost) 1955, S. 76–91, hier S. 83.

[30]  Der Umgang mit ihrem theoretischen Werk darf jedoch nicht als eine durchgehende Abwertung verstanden werden, vielmehr machte er ähnliche Umwege wie die Entwicklung der KPD während der 20er Jahre.

[31]  Die Kommunistin Nr. 1 vom Januar 1925.

[32]  Streckenweise versuchte man die Verehrung auf ein Minimum zurückzuschrauben. Am 19. Januar 1932 brachte es Die Rote Fahne fertig, von der LLL-Kundgebung zu sprechen, aber nur zwei »Ls« – Lenin und Liebknecht – zu erwähnen. Dennoch konnte sich die KPD auch zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig vom Erbe Luxemburgs lossagen. Als die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) Anspruch darauf erhob, sah sich die KPD-Führung genötigt klarzustellen, dass Luxemburg trotz ihrer Fehler zur revolutionären Tradition der Partei gehöre. Das Problem des Luxemburgismus wurde dabei wieder getrennt von Rosa Luxemburg selbst. Siehe Nettl: Rosa Luxemburg (Anm. 29), S. 784.

[33]  Siehe Fuhrmeister: Beton (Anm. 24), S. 188. Bis zur Abtragung des Denkmals legten vor allem Einzelpersonen an Jahrestagen Blumen an den Gräbern nieder, nicht nur am 15. Januar, sondern auch an den Geburtstagen von Luxemburg und Liebknecht und am 1. Mai. Voßke, Heinz: Geschichte der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde, Berlin (Ost) 1982, S. 50 f. Die Gestapo, die die Stätte observieren ließ, nahm immer wieder Personen fest. Siehe dazu Fuhrmeister: Beton (Anm. 24), S. 186.

[34]  Voßke: Geschichte der Gedenkstätte (Anm. 33), S. 55 f.

[35]  Zum sozialistischen Feierjahr allgemein siehe Gibas, Monika: »Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt«. Politische Feier- und Gedenktage der DDR, in: Behrenbeck, Sabine/Nützenadel, Alexander: Inszenierungen des Nationalstaats. Politische Feiern in Italien und Deutschland seit 1860/71, Köln 2000, S. 191–220; Rytlewski, Ralf/Sauer, Birgit/Treziak, Ulrike: Politische und soziale Rituale in der DDR, in: Berg-Schlosser, Dirk/Schissler, Jakob (Hrsg.): Politische Kultur in Deutschland. Bilanz und Perspektiven der Forschung (= Politische Vierteljahresschrift Sonderheft, Bd. 18), Opladen 1987, S. 247–257; Sauer, Birgit: Mythen einer real-sozialistischen Gesellschaft. Ein Beitrag zur Analyse politischer Deutungsmuster in Fest- und Feiertagen der DDR, Berlin 1992; Behrenbeck, Sabine: Rituale des Zwiespalts. Politische Feiertage in Ost- und West, in: Bender, Peter u. a. (Hrsg.): Zeichen und Mythen in Ost und West, Rostock 1999, S. 45–70.

 

[36] Ralf Rytlewski und Detlef Kraa deuten die politischen Rituale der DDR als Mittel der Entplu-ralisierung. Rytlewski, Ralf/Kraa, Detlev: Politische Rituale in der UdSSR und der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 33 (1987), H. 3, S. 33–48, S. 47.

[37] Gibas: Auferstanden (Anm. 35), S. 200. Diese Verbindung wird auch an einem Ritual am 6. Oktober deutlich. Am Vorabend des Nationalfeiertages wurden am Treptower Ehrenmal, an der Gedenkstätte der Sozialisten und an der Neuen Wache Kränze niedergelegt.

[38] Ebenda.

[39] Ebenda, S. 193; Danyel, Jürgen: Politische Rituale als Sowjetimporte, in: Jarausch, Konrad/ Siegrist, Hannes: Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945–1970, Frankfurt a. M./New York 1997, S. 67–86.

[40] Meuschel, Sigrid: Legitimation und Parteiherrschaft. Zum Paradox von Stabilität und Revolu-tion in der DDR 1945–1989, Frankfurt a. M. 1992, S. 64 f.

[41]  Deutsche Volkszeitung vom 15. Januar 1946.

[42]  Will, Willfried van der/Burns Rob: Arbeiterkulturbewegung in der Weimarer Republik. Eine historisch-theoretische Analyse der kulturellen Bestrebungen der sozialdemokratisch Organisierten Arbeiterschaft, Frankfurt a. M. 1982, S. 146.

[43]  Die Anknüpfung an die Traditionen von 1848 entsprach der politischen Leitlinie, die die KPD bereits in ihrem ersten Aufruf nach Kriegsende vom 11. Juni 1945 verkündet hatte.

Siehe dazu Kleßmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945– 1955, 5. erweiterte Aufl. Bonn 1991, S. 136. Der Aufruf ist abgedruckt in ebenda, S. 411–414.

Siehe dazu auch Meuschel: Legitimation (Anm. 40), S. 64 f.

[44]  Luxemburg, Rosa: Ordnung herrscht in Berlin, in: Die Rote Fahne vom 14. Januar 1919. Bezeichnenderweise überlagerten Liebknechts letzte gedruckte Worte dieses Zitat im Laufe der DDR-Geschichte immer stärker: »Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird – leben wird unser Programm; es wird die Welt der erlösten Menschen beherrschen. Trotz alledem!« (Die Rote Fahne vom 15. Januar 1919). Darin wird der Wandel im Gedenken deutlich und zwar vom zunächst noch existierenden Telos der Revolution zum Anspruch, dass dieses sich in der DDR erfüllt hätte. Liebknechts »Trotz alledem« stammt vermutlich auch aus einem Gedicht Freiligraths. Siehe Freiligrath, Ferdinand: Trotz alledem, in: Kaiser, Bruno (Hrsg.): Die Achtundvierziger. Ein Lesebuch für unsere Zeit, Weimar 1952, S. 72.

[45]  Foto der Kundgebung von 1946, in: SAPMO BArch 12–C–9.10.

[46]  Neues Deutschland vom 15. Januar 1947.

[47]  Zu kommunikativer und kultureller Erinnerung siehe Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999; Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen München 1997.

[48]  Neues Deutschland vom 15. Januar 1947.

[49]  Lane, Christel: The Rites of Rulers. Ritual in Industrial Society – The Soviet Case, Cambridge 1981, S. 43.

[50]  Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin. Bd. 2, Teil 1, Berlin 1995, S. 731.

[51]  Siehe das Schreiben von Wilhelm Pieck an Dr. Arthur Werner vom 21. November 1946, SAPMO BArch NY 4036/611, Bl. 27.  

[52]  Während im Westen zunächst auf große, massenwirksame Inszenierungen verzichtet wurde, nutzte die SED von Anfang an solche Veranstaltungen, um die Menschen für ihre Ziele zu mobilisieren. Siehe Behrenbeck: Rituale (Anm. 35) und Münkler, Herfried: Das kollektive Gedächtnis der DDR, in: Vorsteher, Dieter (Hrsg.): Parteiauftrag: Ein neues Deutschland. Bilder, Rituale und Symbole der frühen DDR, Berlin 1997, S. 458–468.

[53]  SAPMO BArch NY 4036/611, Bl. 50. Die andre Position vertrat der vom Westen designierte Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter (SPD).

[54]  SAPMO BArch NY 4036/611, Bl. 51 f. Zur Beschreibung des Entwurfs siehe Erhalten, Zerstören, Verändern? Denkmäler der DDR in Ost-Berlin. Begleitheft zur Ausstellung des Aktiven Museums Faschismus und Widerstand in Berlin e. V., Berlin 1999.

[55]  SAPMO BArch NY 4036/611, Bl. 57 f.

[56]  Sabrow, Martin: Kollektive Erinnerung und kollektiviertes Gedächtnis. Die LiebknechtLuxemburg-Demonstration in der Gedenkkultur der DDR, in: Escudier, Alexander/Sauzay, Brigitte/Thadden, Rudolf von (Hrsg.): Gedenken im Zwiespalt. Konfliktlinien europäischen Erinnerns, Göttingen 2001, S. 117–138, S. 130. 

[57]  Pieck, Wilhelm: Ihr Vermächtnis: Für den Frieden kämpfen. Rede zur Einweihung des Ehrenmals der sozialistischen Kämpfer in Berlin Friedrichsfelde, 14. Januar 1951, in: Ders: Reden und Aufsätze, Bd. 3: Auswahl aus den Jahren 1950–1953, Berlin (Ost) 1954, S. 28–36, hier S. 28.

 

[58] Ebenda, S. 33

 

[59] Satjukow, Silke/Gries, Rainer: Zur Konstruktion des »sozialistischen Helden«. Geschichte und Bedeutung, in: Dies. (Hrsg.): Sozialistische Helden. Eine Kulturgeschichte von Propagandafiguren in Osteuropa und der DDR, Berlin 2002, S. 15–34, hier S. 17.

 

[60]  Sekretariat des ZK vom 16. April 1969, in: SAPMO BArch DY/30/J IV 2/3/1518. Seit 1981 wurden die Urnen »hervorragender Funktionäre« auch an der Klinkermauer, die sich an der rechten Seite des Weges vom Haupteingang zum Rondell der Gedenkstätte erstreckt, beigesetzt. Nicht nur in der Peripherie mussten die Märtyrer dem Kader Platz machen. Wilhelm Sült wurde vom Politbüro aus dem Zentrum verbannt, um für Walter Ulbrichts Grab Raum zu schaffen.

[61]  Sabrow: Kollektive Erinnerung (Anm. 56), S. 131.

[62]  Gibas, Monika/Gries, Rainer: »Vorschlag für den Ersten Mai: die Führung zieht am Volk vorbei!«, Überlegungen zur Geschichte der Tribüne in der DDR, in: Deutschland Archiv 28 (1995), H. 5, S. 481–494, hier S. 483.

[63]  Saldern, Adelheid von: Öffentlichkeiten in Diktaturen. Zu den Herrschaftspraktiken im Deutschland des 20. Jahrhunderts, in: Heydemann, Günther/Oberreuter, Heinrich (Hrsg.): Diktaturen in Deutschland – Vergleichsaspekte. Strukturen, Institutionen und Verhaltensweisen, Bonn 2003, S. 442–475, hier S. 448.

[ftntext]Begriffe nach Sabrow: Kollektive Erinnerung (Anm. 56), S.124.[/ftntext]

[65]  Rede von Herbert Warnke, Januarkundgebung 1965, in: Neues Deutschland vom 18. Januar 1965.

[66]  Neues Deutschland vom 20. Januar 1969.

[67]  Die hier zitierten Beispiele der Analyse stammen aus dem Bericht des Neuen Deutschlands vom 20. Januar 1969. Man hätte aber genauso gut ein anderes Jahr wählen können.

[68]  Siehe auch Sauer, Birgit: Politische Leiblichkeit und die Visualisierung von Macht. Der 40. Jahrestag der DDR, in: Arnold, Sabine/Fuhrmeister, Christian/Schiller, Dietmar (Hrsg.): Politische Inszenierung im 20. Jahrhundert, Wien u. a. 1998, S. 125–145. 

[69]  Zur Marschformation siehe z. B. den Plan von 1981. LArch Berlin C Rep 902 Nr. 4931.

 

[70]   Neues Deutschland vom 20. Januar 1969.

[71]  Ebenda.

[72]  Martin Sabrow macht verschiedenen Phasen der Neutralisierung des ambivalenten Erbes Luxemburgs aus. Die »Neutralisierung durch Kritik«, also die offene Bekämpfung ihrer Fehler, war die bestimmende Strategie in der frühen DDR. Diese wurde abgelöst von der »einer negierenden Projektion«, sprich die Deklaration der »falschen« Aussagen als Produkt westlicher Fehlinterpretation. Schließlich suchte man, die Fehler durch einen pädagogischen Reifungsprozess zu erklären. Sabrow: Kollektive Erinnerung (Anm. 56), S.124–126. Dabei handelt es sich um eine Schwerpunktsetzung, da sich alle drei Strategien z. B. bereits in der Oelßners Rede zu Luxemburgs 80. Geburtstag finden (SAPMO NY 4215/41). Zur Instrumentalisierung von Rosa Luxemburg siehe auch Weber, Hermann: Rosa Luxemburg zwischen Ost und West: Instrumentalisierung im Kalten Krieg bis 1990, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegung 2003, H. 29, S. 7–18.

[73]  Oelßner, Fred: Rosa Luxemburg. Eine kritische biographische Skizze. Berlin (Ost) 1951. 

[74]  Pieck, Wilhelm: Vorwort, in: Luxemburg, Rosa: Ausgewählte Reden und Schriften. Bd. 1, Berlin (Ost) 1951, S. 15. 

 

[75]   Ebenda, S. 16. 

[76]  SAPMO BA DY 30 IV 2/9.07/123, Bl. 13.

[77]  Ulbricht, Walter: Die Novemberrevolution und der nationale Kampf gegen den deutschen Imperialismus, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 1 (1959), S. 8–25. Siehe dazu Lokatis, Siegfried: Der rote Faden. Kommunistische Parteigeschichte und Zensur unter Walter Ulbricht, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 116 f.

[78]  1966 gab Ossip Flechtheim eine dreibändige Ausgabe ihrer politischen Schriften heraus. 1967 erschien die deutsche Ausgabe der Maßstäbe setzende Biographie von Peter Nettl. Nettl: Rosa Luxemburg (Anm. 29). Siehe zu dieser Frage Weber: Rosa Luxemburg (Anm. 72), S. 10.

[79]  Siehe z. B. Ablaufplan für Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1981 LArch (Berlin) C Rep. 902 Nr. 4931.

[80]  Sabrow: Kollektive Erinnerung (Anm. 56), S. 133.

[81]  Zitiert in ebenda, S. 133.

[82]  Neues Deutschland vom 28. Januar 1988.

Inhalt – JHK 2005

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