JHK 2006

Die Rolle Lazar Brankovs im ungarischen Schauprozess gegen László Rajk 1949

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 320-328 | Aufbau Verlag

Autor/in: George Hermann Hodos

Der Schauprozess gegen den ungarischen Innenminister und Staatssicherheitschef László Rajk vom 16. bis 24. September 1949 in Budapest gab den Auftakt zu einer Reihe von Schauprozessen, die Stalin dazu dienen sollten, seinen seit 1948 durch den Abfall Tito-Jugoslawiens angegriffenen Macht- und Einflussbereich in den jungen volksdemokratischen Staaten Osteuropas zu sichern und auszuweiten. Der Schauprozess gegen Rajk und sieben weitere Hauptangeklagte wurde von den sowjetischen Sicherheitsorganen nach dem Muster der Moskauer Schauprozesse der 30er Jahre inszeniert. Sie wurden unter Folter gezwungen, sich zum Vorwurf des Sturzes der volksdemokratischen Ordnung, des Hochverrats und der Anstiftung zum Mord zu bekennen und wiederholten dieses Bekenntnis im Schauprozess. Rajk, Tibor Szönyi und András Szalai erhielten die Todesstrafe, Lazar Brankov und Pál Justus lebenslänglich Zuchthaus, Milan Ognjenović neun Jahre Zuchthaus. (Letzterer gehörte der serbischen Minderheit in Ungarn an.) Das Verfahren gegen die zwei anderen Angeklagten wurde abgespalten.

Der dritte Hauptangeklagte in diesem Prozess war der Jugoslawe Lazar Brankov, Resident des jugoslawischen Geheimdienstes und in der Folge des TitoStalin-Bruchs Geschäftsträger der jugoslawischen Botschaft. Er spielte in dem Lügennetz eine wichtige Rolle, denn er stellte aus Sicht der Konstrukteure des Schauprozesses die Verbindung zu den abgefallenen Titoisten her. Er wurde noch vor Rajk am 19. Mai 1949 in Moskau festgesetzt, wohin er unter einem Vorwand gelockt worden war. Sein Moskauer Geständnisprotokoll lieferte das Drehbuch des Schauprozesses. Es war das Knochengerüst, dem Rajk und seine Genossen in dem Budapester Modellverfahren Fleisch und Blut spendeten. Der Prozess sollte die Stalinisierung Ungarns sichern, Schritt für Schritt wurde es im ganzen mittel- und osteuropäischen Satellitenreich als Vorbild angewendet. In diesem Zusammenhang betrachtet, war Brankovs Moskauer Geständnisprotokoll ein Schlüsseldokument für alle Schauprozesse der Nachkriegszeit.[1] Der sowjetische Geheimdienst überstellte Brankov schon wenige Wochen nach seiner Verhaftung nach Budapest, wo sich die Vorbereitung zum Rajk-Prozess allerdings in einem heillosen Durcheinander befand, da die erfolterten »Geständnisse« in keinem Zusammenhang standen und sich häufig widersprachen.

Das Schicksal Brankovs böte Stoff für einen Spionageroman à la Le Carré, tatsächlich ist es beispielhaft für die brutale Wirklichkeit, die der Stalinismus schuf. Lazar Brankov wurde 1912 im Städtchen Stari Bečej in der heutigen serbischen autonomen Provinz Vojvodina geboren. Schon als Gymnasiast schloss er sich einem marxistischen Studentenzirkel an. Er absolvierte ein Jurastudium an der Universität in Novi Sad (Vojvodina) mit ihren serbischen, kroatischen, ungarischen und deutschen (donauschwäbischen) Einwohnern. 1931 trat Brankov der Kommunistischen Partei Jugoslawiens bei und stieg bereits nach wenigen Jahren zum Leiter des regionalen Parteikomitees auf. Als die deutsche Wehrmacht im April 1941 Jugoslawien überrannte, schloss sich Brankov einer Partisaneneinheit in Titos Volksbefreiungsarmee an, in der er die Funktion des Polit-Kommissars ausübte. Nach der Befreiung der Vojvodina wurde Brankov zum Leiter der Militärkommandatur ernannt. 

Der Krieg war noch nicht zu Ende, als im Januar 1945 im von der Roten Armee befreiten Teil Ungarns die Alliierte Kontrollkommission (AKK) mit Marschall Kliment Vorošilov an der Spitze errichtet wurde. Im April, nach der Befreiung des ganzen Landes, traten zu den Missionen der Sowjets, der Amerikaner und Briten zwei weitere, von der Tschechoslowakei und Jugoslawien entsandte hinzu. Auf Vorschlag des jugoslawischen Innenministers Aleksandar Ranković nahm auch Brankov daran teil. Allen diesen fünf Militärmission waren Offiziere der Nachrichtendienste zugeteilt. Der Leiter der Abteilung zum Schutz des Volkes (Odeljenje za zaštitu naroda, OZNA, ab Frühjahr 1946 Amt für Staatssicherheit bzw. Uprava Državne Bezbednosti, UDB) stand Major Javorski vor. Zunächst war Brankov Stellvertreter Javorskis, nach dessen Versetzung 1947 dann Leiter der UDB in Ungarn. Zugleich war er Legationsrat der jugoslawischen Botschaft und permanenter Delegierter des ZK der KPJ beim ZK der MDP (Magyar Dolgozók Pártja, Partei der Ungarischen Werktätigen). Er stand fast täglich in Kontakt mit dem ungarischen Parteichef Mátyas Rákosi, Innenminister László Rajk und anderen Mitgliedern des Politbüros, die ihm Zugang zu den Koalitionsparteien und den Ministerien verschafften. Auf Vorschlag Brankovs beschlossen Rákosi, Rajk und der ungarische Wirtschafts- und Sicherheitsbeauftragte Ernő Gerő 1947 eine enge Zusammenarbeit mit der Staatssicherheitsabteilung der Ungarischen Staatspolizei (Magyar Államrendörség Államvédelmi Osztálya, ÁVO; ab September 1948 Behörde für Staatssicherheit Államvédelmi Hatóság, ÁVH). Über den Beschluss informierte Innenminister Rajk den ÁVO-Leiter Gábor Péter – der ÁVO war zu diesem Zeitpunkt dem Innenministerium unterstellt – mit der Bemerkung, dass man vor den Jugoslawen nichts geheim halten wolle. Von da an informierte Péter Brankov alle zwei Monate über die innerpolitische Lage in Ungarn, die Spannungen zwischen der MDP und der Opposition wie auch über die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes selbst. Rajk behielt sich allerdings die Kontrolle der Berichte vor. »Schließlich sind wir nicht die Agenten Jugoslawiens«[2], sagte er zu Péter. Im Fall, dass besondere Fragen auftauchen sollten, brauchte Brankov nur die private, geheime Telefonnummer Rákosis anzurufen, und der ungarische Parteichef half ihm, die Informationen zu bekommen.

Diese ungewöhnlich freundliche Zusammenarbeit mit einem fremden Spionagedienst nahm mit dem berühmten Briefwechsel zwischen Stalin und Tito vom März bis Mai 1948 eine plötzliche Wendung. Nach dem Bannfluch des Kominform am 28. Juni 1948 wurde der jugoslawische Botschafter Karlo Mrazović zurückgerufen und Brankov zum Geschäftsträger ernannt. Unter den Mitgliedern der Botschaft und der jugoslawischen Organisationen, wie z. B. der JugoslawischUngarischen Gesellschaft und des Demokratischen Bundes der Jugoslawen in Ungarn, herrschte große Verwirrung. Die Mehrheit hielt Tito die Treue; viele fürchteten, als »Titoisten« verhaftet zu werden und flüchteten nach Jugoslawien. Brankov half einigen, falsche Papiere zu bekommen. 

Im August, kurz nach seinem Wechsel vom Amt des Innenministers in das des Außenministers, stattete Brankov dem neuen Minister einen offiziellen Besuch ab. Brankov fragte Rajk nach seiner Meinung zu dem Konflikt. Rajk antwortete darauf, Jugoslawien müsse nachgeben, auch wenn es in manchen Fragen Recht hätte. Im September 1948 fuhr Brankov nach Belgrad und berichtete dem Chef des UDB, Innenminister Ranković, über die Situation in Ungarn. Brankov gab an, dass seine Parteikontakte fast gänzlich eingefroren seien und man deshalb einen neuen Mann nach Budapest schicken sollte. Ranković war jedoch anderer Meinung. Brankov sollte solang wie möglich in Budapest bleiben, da er mit seinen langjährigen engen Kontakten in die ungarischen Führung für die Sache Jugoslawiens sehr nützlich sein könne. Ranković schlug vor, dass Brankov um Asyl in Ungarn bitten sollte, damit könne er unter den jugoslawischen Emigranten nützliche Arbeit leisten. »Wir haben volles Vertrauen in Dich«[3], versicherte der Innenminister.

Nach Budapest zurückgekehrt ging Brankov kurze Zeit später in die Parteizentrale der MDP. Er gab seinen Entschluss bekannt, mit der Belgrader Regierung zu brechen. Er war gewillt, eine Erklärung abzugeben, wonach er Titos Politik verurteile und zugleich Ungarn um Asyl ersuche. Am 26. November 1948 gab das Zentralorgan der MDP Szabad Nép (Freies Volk) Brankovs Frontwechsel bekannt. Zu den Motiven seines Übertritt wurde Brankov im Juni 1955, während des Revisionsverfahrens im Rajk-Prozess, von einem ungarischen Vernehmungsoffizier befragt. Brankov antwortete dazu:

»Ich bin nach Ungarn emigriert, weil ich sonst nicht [mehr] aus Jugoslawien herausgekommen wäre. Meine Emigration erfolgte auf Weisung von Ranković, er gab mir den Befehl zu emigrieren, und auch, weiterhin mit dem UDB zusammenzuarbeiten. Ein weiterer Grund war die Sorge um meine in Jugoslawien verbliebene Familie, wenn ich die Weisung nicht befolgt hätte. Ich war mit dem Titoismus nicht einverstanden, und so bin ich trotz der Befolgung der Weisung in erster Linie aus Überzeugung emigriert, in der Annahme, zu einem späteren Zeitpunkt meiner Familie zur Flucht verhelfen zu können. Später wäre es möglich gewesen, endgültig die Umstände meiner Emigration zu klären. Bis dahin habe ich die Verbindung mit der UDB aufrecht gehalten und von Zeit zu Zeit, vielleicht zwei, drei Mal ihre Delegierten heimlich getroffen. Ich wollte in der Emigration zunächst nicht zu tief in die Tito feindliche Arbeit verwickelt werden.«[4]

Die Antwort ist nicht überzeugend. Der ganzen Wahrheit scheint Brankov auszuweichen. Möglicherweise waren es die langen Jahre seiner Haft von 1949 bis 1956, die er in totaler Isolierung von der Außenwelt und unter Abgeschnittenheit von den Ereignissen verbrachte, die Brankov damals verwirrt und vorsichtig machten. Immerhin war er als Doppelagent tätig gewesen.

Jedenfalls hatte der erwähnte »vorsichtige« Anti-Titoismus Brankov eine ganz andere Form. Im Dezember 1948 wurde Brankov zu einer Sitzung in die Parteizentrale eingeladen, um einen Vorschlag Rákosis für die politische Linie der antititoistischen Sendungen von Radio Budapest zu diskutieren. Nach Rákosis Vorschlag nach sollte der Kampf des jugoslawischen Volkes gegen die faschistische Okkupation in den Radiosendungen herunter gespielt werden. Brankov widersprach dem und sagte, solche Inhalte würden die Gefühle von Millionen Menschen verletzen und die Position Titos stärken, anstatt sie zu untergraben. Brankovs Argument wurde von der Mehrheit der Teilnehmer angenommen. 

Als Rákosi von der Ablehnung seines Vorschlags erfuhr, wurde er wütend und wollte Brankov unter dem Vorwurf des Titoismus verhaften lassen. Nur die Intervention des Sowjetbotschafters G. M. Puschkin rettete Brankov von der Festnahme. Moskau hatte andere Pläne mit Brankov. Der Kominform-Beschluss endete bekanntlich mit der Aufforderung an die »gesunden Elemente« in der KP Jugoslawiens, Tito zu stürzen und sich wieder dem Sowjetlager anzuschließen. Gerade bereitete sich Stalin auf die Möglichkeit vor, dass Tito und die jugoslawischen Kommunisten standfest blieben und dachte daran, in Bukarest eine Art von »Gegenregierung« zu errichten. Zu diesem Zweck suchte sich Lavrentij Berija geeignete Personen aus. Zunächst fiel seine Wahl auf den früheren Militärattaché an der jugoslawischen Botschaft in Paris, General Pero Popivoda, und auf den einstigen jugoslawischen Botschafter in Bukarest Radon Golubović. Auch Lazar Brankov war auf Berijas Liste.

Im Februar 1949 flog Brankov nach Prag und von dort aus nach Bukarest. Reise und Aufenthalt wurden von dem sowjetischen Geheimdienst MVD arrangiert und finanziert. In beiden Städten kam er mit Popivoda und Golubović zusammen. Sie hielten Ausschau unter den jugoslawischen Flüchtlingen nach nützlichen Kadern für die geplante Exil-Organisation. Anschließend kehrte Brankov nach Budapest zurück und erstattete Bericht über seine Reise.

Zwei Monate später erhielt er eine Nachricht von Popivoda, worin er zu einer Besprechung mit Vjačeslav Molotov nach Moskau eingeladen wurde. Aber innerhalb dieser zwei Monate hatte sich die Lage in Moskau geändert. Berija hatte auf Stalins Weisung die Konturen eines öffentlichen Schauprozesses in Ungarn mit Rajk als Hauptangeklagten ausgearbeitet. Tito und die jugoslawische Führung sollten als Handlanger der anglo-amerikanischen Imperialisten »entlarvt« werden. In der neuen Situation wurde Brankovs bisherige Rolle als Sowjetagent in ihr Gegenteil gewendet. Er war der ideale Kandidat Berijas: Als UDB-Resident in Ungarn sollte er die Anwerbung Rajks durch den jugoslawischen Geheimdienst bezeugen. Brankov war für Berija leicht nach Moskau zu locken und konnte dort auf seine neue Rolle vorbereitet werden. Popivodas Einladung folgend, flog Brankov am 19. Mai 1949 nach Moskau, d. h. elf Tage vor der Verhaftung Rajks in Budapest. Am Flugplatz holten ihn jedoch nicht wie erwartet seine Exilkollegen ab, sondern ein unbekannter junger Mann in Zivil. Er führte ihn in ein Hotel und sagte, er solle geduldig warten, seine Freunde seien auf Reisen und würden bald zurück sein. Einen Monat blieb Brankov in diesem Hotel. Am 21. Juni wurde er dann verhaftet und ins Lubljanka-Gefängnis eingeliefert. 

Vierzig Jahre später, 1989, kam Brankov zu Besuch nach Budapest, das erste Mal nach seiner Freilassung. Er erzählte im Radio und Fernsehen, wie er auf Kosten des MVD vier Wochen lang in Moskau herumgewandert, ins Theater und ins Kino gegangen sei, Ballettvorführungen besuchte, ohne dass sich jemand um ihn gekümmert hätte. Von der Verhaftung Rajks habe er nur aus der Pravda erfahren. 

Die Zeit nach seiner Verhaftung erinnerte Brankov in den späten Interviews nur sehr lückenhaft. Er erzählte von den unmenschlichen Bedingungen, den Drohungen, den verlogenen Versprechungen, den ununterbrochenen nächtlichen Verhören, der schrankartig winzigen Zelle, in der man sich nicht setzen oder niederlegen konnte und tagelang auf den Beinen bleiben musste. Sobald man sich nieder zu kauern versuchte, kamen die Gefängniswächter. Doch in Bezug auf seine »Geständnisse« versagte sein Gedächtnis. Er habe, so Brankov, trotz aller seelischen und physischen Folterungen alle Beschuldigungen zurückgewiesen und bis zum Schluss nichts unterschrieben.

In Wirklichkeit musste Brankov freilich alle Vorwürfe gestehen und in seinem Abschlussprotokoll jede Seite unterschreiben: seine Tätigkeit als Hauptresident der UDB im Untergrund gegen die Sowjetunion und Ungarn, die Anwerbung der jugoslawischen Parteiführer durch die imperialistischen Nachrichtendienste, die titoistische Verschwörung in der Nachkriegszeit zur Wiederherstellung des Kapitalismus in den volksdemokratischen Ländern Zentral-Europas.

Besonders eingehend beschrieb Brankov in Moskau das unter der Führung Rajks geschaffene Verschwörernetz in Ungarn, viele seiner früheren

Parteikontakte erschienen darin als Mitglieder der Spionageorganisation zum Sturze der »demokratischen« Ordnung. Dieser Kreis wurde dann von Rákosi wesentlich erweitert, nicht zuletzt mit Hilfe von Brankovs Jugendfreund Živko Boarov. Boarov war sein UDB-Kollege und jugoslawischer Presseattaché in Budapest. Er half als nützlicher Denunziant, den amtierenden Innenminister János Kádár und dessen »Spionagegruppe«, ja schließlich auch den Geheimdienstchef Gábor Péter ins Verschwörernetz um Rajk einzubinden, bis auch er im Dezember 1953 zu lebenslänglicher Gefängnisstrafe verurteilt wurde (entlassen 1956 nach Jugoslawien). Während Brankovs Verhör in Moskau rief Rákosi öfters Stalin an und drang auf baldige Auslieferung Brankovs nach Ungarn. Er flog sogar nach Moskau, um die Liste der »Sündenböcke« zu »ergänzen«, damit in Budapest der Schauprozess rechtzeitig beginnen konnte. 

Im Revisionsverfahren des Rajk-Prozesses machte Brankov im Januar 1955 folgende Aussagen, die hier in Ausschnitten dokumentiert sind: 

»VERNEHMER: Ich habe hier ihr am 8. Juli 1949 in Moskau unterschriebenes, zusammenfassendes Abschlussprotokoll mit ihrem Geständnis in der Hand.

BRANKOV: Ich machte Geständnisse über das Verhältnis zwischen Rajk und Ranković. In meinen Aussagen ging ich von realen Begebenheiten aus und fügte Unwahrheiten hinzu […] So haben sich die beiden Innenminister 1947 bei der Rückkehr der jugoslawischen Regierungsdelegation aus Budapest tatsächlich getroffen und mit einander gesprochen. Ich fügte jedoch hinzu, dass es im Gespräch um eine Verschwörung gegen die ungarische Partei und Volksdemokratie ging […] Sie schimpften auch auf Rákosi und kamen überein, mit geeinten Kräften seinen Einfluss zu schwächen und Rajk in den Vordergrund zu stellen […] Nicht wahrheitsgemäß behauptete ich, dass Ranković im Oktober 1948, also nach der Resolution des Kominform, in Anwesenheit von [Milovan] Ðilas zu mir gesagt hätte, er sei mit Rajk zusammengekommen, und dass er mir den Auftrag gegeben hätte, Rajk mitzuteilen, die Vereinbarung zwischen den beiden bliebe weiterhin bestehen.

VERNEHMER: Was haben sie in Moskau über die Organisation eines bewaffneten Putsches zum Sturz der demokratischen Ordnung ausgesagt?

BRANKOV: Ich habe so viel Verschiedenes darüber in Moskau und in Budapest ausgesagt, dass ich jetzt konkret die Frage nicht beantworten kann.

VERNEHMER: Sie haben in ihrem Moskauer Geständnis […] das folgende ausgesagt: ›Ich war es, der die Zusammenarbeit zwischen Tito, Ranković und Rajk zur Verschwörung gegen die ungarische Volksrepublik organisiert hat.‹

BRANKOV: Ja, das habe ich ausgesagt, doch das entspricht nicht der Wahrheit.

VERNEHMER: Weshalb gaben sie unwahre Geständnisse nach ihrer Moskauer Verhaftung ab?

BRANKOV: Ich habe falsche Geständnisse gegen Rajk gemacht, weil ich damals schon wusste, dass er als ein imperialistischer Spion verhaftet worden ist. Ich brachte das in Zusammenhang mit Tito und Ranković, die somit ebenfalls als Agenten der Imperialisten diffamiert werden sollten, und das konnte man politisch gegen die Titoisten ausnützen. Auch dachte ich, dass ich damit meine eigene Lage mildern könne.«[5]

Mitte Juli 1949 wurde Brankov mit einem Sonderzug des MVD nach Ungarn überstellt. In einem anderen Wagen des Zuges befand sich General Michail I. Belkin, Hauptresident des sowjetischen Sicherheitsministeriums MGB und der sowjetischen Militärabwehr für Zentraleuropa mit Sitz in Baden bei Wien. Er brachte das Geständnisprotokoll Brankovs mit nach Ungarn. Etwa zur gleichen Zeit als Brankov nach Moskau gelockt worden war, nahm Belkin am Parteikongress der Tschechoslowakischen KP in Prag teil. Dort nahm er Mihály Farkas, den Delegierten des ungarischen Politbüros, zur Seite und teilte ihm mit, er komme soeben aus Moskau mit dem Auftrag, den ungarischen Genossen mitzuteilen, die Sowjetorgane hätten Beweise, dass Rajk zu einem imperialistischen Spionagering in Ungarn gehöre. Das gab Rákosi den Weg zur Verhaftung Rajks frei.

Nach Ankunft an der ungarischen Grenze, musste Brankov in den Sonderzug der ÁVH umsteigen. Dort wartete schon ÁVH-Chef Gábor Péter auf ihn, der ihn in eine Villa des Staatssicherheitsdienstes am Schwabenberg (Svábhegy) in Budapest brachte. Nach wenigen Tagen in der Kellerzelle wurde er in ein elegantes Zimmer geführt, wo Belkin allein auf ihn wartete. Brankov kannte ihn noch aus der Zeit der Alliierten Kontrollkommission. Belkin appellierte an seine Vernunft, Brankov solle keine Schwierigkeiten machen, hier in Ungarn würde man ihn aufhängen, doch er wolle versuchen, ihm zu helfen und ein neues Protokoll aufsetzen. Brankov begann zu weinen, aus Erleichterung, endlich freigelassen zu werden. Sie saßen zusammen am Tisch, gutes Essen wurde gebracht, Obst und Espresso. Belkin schrieb, und von Zeit zu Zeit stellte er Fragen über Tatsachen und genaue Daten. Abends wurde Brankov nicht in die Kellerzelle zurückgeführt, sondern in einen schönen Raum mit Badezimmer. Nach etwa einer Woche brachte man ihm Belkins neues Geständnisprotokoll. Brankov fand dies noch viel ärger als das Moskauer und verweigerte die Unterschrift.

Damit waren die Gefängnisbegünstigungen zu Ende. Sein neuer Vernehmer, Ernő Szücs, der stellvertretende Leiter der ÁVH, sagte ihm, er habe die Chance

eines milden Urteils verspielt. (Rákosi fürchtete Szücs wegen seiner hervorragenden Kontakte zum sowjetischen Geheimdienst und ließ ihn am 21. November 1950 als »imperialistischen Agenten« totschlagen.) Brankov beschloss, seine einzige Alternative sei die Flucht. Scheinbar gab er nach, bat Szücs um die Möglichkeit, sein Geständnis selber zu formulieren und begann, eine etwas schwächere Version des Belkinschen zu verfassen. Der nebelige Regenabend des 21. Juli schien für den geplanten Ausbruch günstig. Brankov bat seine beiden Bewacher von der ÁVH, das Fenster seiner Zelle zu schließen, und als diese sich umdrehten, riss Brankov die Tür auf und rannte los. Auf der Terrasse wurde er schließlich von der alarmierten Wachmannschaft auf den Boden gezerrt und zusammengeschlagen. Daraufhin gab Brankov auf. Den letzten Stoß gab ihm Belkin, der wieder seine freundlichste Maske aufsetzte und meinte, er müsse diesen Dienst am Weltkommunismus leisten. Dem Gesetz entsprechend könne er ja als ausländischer Staatsbürger nicht zum Tode verurteilt werden, und wie immer das Urteil ausfiele, in zweiter Instanz würde es gemildert werden.

Am 17. September 1949, dem zweiten Tag des Rajk Prozesses, kam die Reihe der Befragung an Brankov. Neben der schon in Moskau konzipierten »Entlarvung« der Rajk-Ranković-Verschwörung bekam er hier eine zusätzliche Rolle: Er war der erste, der eine, sich auf Rankovićs angebliche Mitteilung stützende, titoistische Verschwörung in allen Volksdemokratien öffentlich zu »beweisen« hatte. Ungarn wurde damit zum Ausgangspunkt einer ganzen Kette von Schauprozessen im gesamten sowjetischen Satellitenreich. In Brankovs Aussage hieß es:

»Ranković erwähnte mir gegenüber, dass auch in Rumänien ein solcher Plan bestanden hätte, welcher jedoch dort nicht vollständig umgesetzt wurde. Allein, der Tito treue Justizminister Lucretiu Pătrăscanu wurde noch rechtzeitig entfernt und von der Partei isoliert. Doch die Arbeit müsse [auch] dort fortgesetzt werden. […] In Polen hatte Gomułka große Hoffnungen geweckt, und Ranković beklagte sich, dass dort jetzt alles von vorne beginnen müsse. […] Auch in Bulgarien gab es einen solchen Plan. Ich erinnere mich nicht, ob Ranković eine konkrete Person erwähnt hatte, nur, dass man sich bemühte, die Aufgabe durchzuführen. [Anm. des Autors: Der Schauprozess gegen Trajčo Kostov in Bulgarien begann erst im Dezember 1949] […] In Albanien machten wir einen ernsten Versuch, die sozialistische Regierung zu stürzen, doch er misslang. […] Über die Tschechoslowakei sagte mir Ranković, dort arbeite man viel besser als in Ungarn. Als Beispiel erwähnte er den Generalresidenten der UDB in Prag, der in der Tschechei und besonders in der Slowakei, wo er sich auf Nationalisten und Hlinka-Gardisten stützt, gute Verbindungen aufgebaut hatte. Ich traf Drndić 1947 in Belgrad. Er riet mir, ich solle in Ungarn die Verbindung mit den nach dem Krieg aus der Westemigration heimgekehrten Trotzkisten und ähnlichen Elementen

aufnehmen, so wie er es auch in Prag mit gutem Erfolg täte.«[6] Brankovs diesbezügliche Aussagen über bisher geheim gehaltene Vorbereitungen der Inszenierung eines »imperialistischen Spionagerings« sollten Druck auf die stalinistischen Regierungen in Bukarest, Sofia, Warschau und Prag ausüben, nach ungarischem Muster endlich ihre eigenen Schauprozesse zu organisieren.

Die Hilfe des treuen Kommunisten Brankov wurde jedoch nicht belohnt, er wurde in beiden Instanzen zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt. Nach sieben Jahren Haft, die er in einer Einzelzelle verbrachte, wurde er nach dem XX. Parteitag als letzter Überlebender der Rajk-Prozesskette am 6. September 1956 freigelassen. Nach Ausbruch der ungarischen Oktober-Revolution flüchtete er im November nach Österreich und bat um Asyl in Frankreich. In Paris heiratete er eine ungarische Kommunistin, erhielt die französische Staatsbürgerschaft und trat der KP Frankreichs bei. Er lebt bis heute hoch betagt in Paris.

1963 untersuchte eine Kommission Brankovs Fall und beschloss, keine Wiederaufnahme des Prozessverfahrens anzuregen. Anlässlich seines Besuchs in Budapest 1989 bekam Brankov lediglich ein ungewöhnliches Dokument ausgehändigt: »Auf eigener Bitte bescheinigt die Oberste Staatsanwaltschaft, dass Lazar Brankov nach dem Gesetz der ungarischen Volksrepublik nicht als vorbestraft zu betrachten ist.«[7] Es gab daher keinen Grund zur Rehabilitierung – als hätte es den Prozess, das Urteil und die sieben Jahre im Kerker nicht gegeben.

 

 


[1]  Die Kopie des Protokolls diese Geständnisses, die sich in Ungarn befand, ist auf Beschluss des ZK der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) 1962 vernichtet worden.

[2]  Belügyminisztérium Vizsgálati Főosztálya. Feljegyzés Péter Gábor ügyében [Untersuchungsabteilung des Innenministeriums, Aufzeichnung in der Sache Gabor Péter] vom 3. Oktober 1956, sz. 102/1510.

[3]  Interview mit Lazar Brankov im ungarischen Radio Kossuthvom 29. Mai 1989.

[4]  Belügyminisztérium Vizsgálati Főosztálya. Brankov Lazar kihallgatási jegyzőkönyve. [Untersuchungsabteilung des Innenministeriums, Protokoll des Verhörs Lazar Brankov] vom 29. November 1955, 101–473/2155 sz.

[5]  Ebenda.

[6]  Siehe László Rajk und Komplicen [sic] vor dem Volksgericht, Berlin (Ost) 1949.

[7]  Iratok az igazságszolgáltatás történetéhez [Dokumente zur Geschichte der Justiz], Budapest 1996, Bd. 5, S. 854. 

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