Die Sekretariate der SED-Bezirksleitungen, an deren Spitze der jeweilige 1. Sekretär stand, waren die wichtigsten und einflussreichsten politischen Gremien in jedem Bezirk.[1] Die Grundaufgabe der Bezirksleitung bestand darin, »auf ihrem Territorium die Beschlüsse des Zentralkomitees durchzuführen. Das war ihr Daseinszweck. Sie war das Zwischenglied zu den Kreisen. Daran wurde die Bezirksleitung auch gemessen.«[2] Dabei war die Grundlage für die Beurteilung ihrer Arbeit die Erfüllung des Plans. »Der Plan wurde zentral beschlossen und der Bezirksleitung mitgeteilt, und wie er durchgeführt wurde, danach wurde man beurteilt.«[3] In allen Jahren von 1952 bis 1989 hatten sich die Bezirkssekretäre in ihrer Arbeit nach den Beschlüssen der Berliner Parteiführung zu richten, sich ihnen unterzuordnen, sie durchzuführen. Der »demokratische Zentralismus« als leninistisches Organisations- und Leitungsprinzip der SED wurde von ihnen als »unerläßliche Bedingung für die richtige Leitung der sozialistischen Gesellschaft, für die volle Entfaltung ihrer Vorzüge und Triebkräfte«[4] akzeptiert und praktiziert. Bereits das vom III. Parteitag der SED im Juli 1950 beschlossene Parteistatut legte fest, »daß alle Beschlüsse der höheren Parteiorgane für jede untere Organisation verbindlich sind und straffe Parteidisziplin zu üben ist und sich die Minderheit der Mehrheit unterordnet.«[5] Dieser Passus findet sich auch nahezu unverändert im 1976 beschlossenen Statut der SED wieder, das bis 1989 gültig war.[6] Im Jahre 1968 hatte der »demokratische Zentralismus« Verfassungsrang erhalten, als er in Artikel 47 als »das tragende Prinzip des Staatsaufbaus« definiert wurde.[7] Damit waren Partei und Staat strikt hierarchisch geordnet.
Dieses System des »demokratischen Zentralismus« wurde von den Bezirkssekretären tief verinnerlicht, es war ihnen »völlig klar, daß die Einhaltung von Beschlüssen und die straffe Disziplin die Grundlage der Arbeit«[8] gewesen sind. Bei der Umsetzung der in Berlin entwickelten Politik in den Bezirken galten, wie ein früherer Bezirkssekretär berichtet, »immer die zentralen Beschlüsse«, Spielräume bezogen sich »auf die Durchführung zentraler Beschlüsse.«[9]
Die Bezirkssekretäre als höchste Parteifunktionäre vor Ort waren in ihrer politischen Arbeit direkt mit den Forderungen der Menschen konfrontiert. Die Bevölkerung zeigte sich in materieller Hinsicht häufig unzufrieden – sei es wegen Versorgungsmängeln, sei es wegen Wohnungsfragen.[10] Die Volkswirtschaft der DDR wurde jedoch zentral geplant und zum größten Teil auch zentral geleitet. Die Bezirke besaßen hier keinerlei gesetzgebende Befugnisse und konnten auch über Investitionen »nur in ganz beschränktem Maße« entscheiden.[11] Um hier dennoch eingreifen und Verbesserungen erzielen zu können, um als Politiker in den Bezirken vor der Bevölkerung bestehen zu können, mussten Wege gefunden werden, das Mögliche für den eigenen Bezirk herauszuholen und Verbesserungen zu erreichen. Dabei hat es ein »regionales Verständnis« in den Bezirksleitungen durchaus gegeben, »denn es ging auch darum, daß man der eigenen Bevölkerung zeigte, was man leisten kann. Es gab ja einen Vergleich zwischen den Bezirken.«[12] Vor allem das Engagement des 1. Sekretärs für den Bezirk war gefragt, und »in welchem Maße die Politik im Bezirk seine Handschrift trug, das hing natürlich sehr vom Profil des jeweiligen 1. Sekretärs ab.«[13] Zu denen, die sich stark für ihren Bezirk einsetzten, gehörte auch der langjährige 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Magdeburg, Alois Pisnik (1911 bis 2004).[14] Dieses Engagement führte im Februar 1979 zu seiner Absetzung. Die damaligen Geschehnisse, ein Paradebeispiel für den »demokratischen Zentralismus« in der DDR, sollen nachfolgend dargestellt und analysiert werden.
Pisniks Kritik an der zentralen Planung
Zu den Pflichten des 1. Sekretärs einer SED-Bezirksleitung gehörte es, in Monatsberichten an den Generalsekretär diesen regelmäßig über die aktuelle politische und wirtschaftliche Lage im Bezirk zu informieren.[15] Dabei folgten die Monatsberichte einem einheitlichen Schema. In einem ersten Teil wurde über die politische Lage berichtet, die sich regelmäßig als weiter gefestigt und vom Vertrauen in die Parteiführung gekennzeichnet darstellte. In einem zweiten Teil ging es um die ökonomische Situation im Bezirk, um Fragen der Planerfüllung etc. Hier war es möglich, über konkrete Probleme und Sorgen im Bezirk Mitteilung zu machen. Inwieweit diese Möglichkeit genutzt wurde, hing dabei von der Person des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung ab. Die Monatsberichte wurden von Erich Honecker persönlich ausgewertet, der Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung direkt an Günter Mittag weiterleitete. Dies wussten die Berichterstatter, und es war ebenfalls klar, dass ein Zuviel an kritischer Sichtweise negative Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Der »Überbringer schlechter Nachrichten« musste, wie sich Carl-Heinz Janson, früherer Leiter der Abteilung Sozialistische Wirtschaftsführung des ZK der SED unter Günter Mittag, erinnert, »ein spürbares Echo einkalkulieren. So konnte er etwa schnell als Panikmacher abgestempelt werden.«[16]
Wer auf Schwierigkeiten aufmerksam machen wollte, musste »in den Monatsberichten, die an den Generalsekretär gingen, mit Verbesserungsvorschlägen aufwarten. Honecker hat diese zur Kenntnis genommen und die Berichte, mit einer Randbemerkung versehen, an Mittag weitergeleitet. Der bekam dann den Auftrag, nachzuhaken.«[17] Dabei versuchte Mittag, »nach außen jede Kritik abzuschirmen. Wenn Kritik zu üben war, dann übte er sie. […] Mitunter war es ihm unangenehm, daß in den Monatsberichten der Bezirksleitungen ohne seine Kenntnis kritisch auf Schwierigkeiten hingewiesen wurde. Er schlug dann überraschend zurück, indem er eine Information zur Planlage aus der Tasche zog, die augenscheinlich nur in dem jeweiligen Bezirk behoben zu werden brauchte. So wurde der jeweilige Generaldirektor oder Provinzfürst nach Strich und Faden abgebürstet und konnte froh sein, wenn er nur einen schlechteren Platz im Kontrollheft bekam.«[18]
Die Ablösung des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung Magdeburg, Alois Pisnik, illustriert die geschilderte Ambivalenz des Berichtswesens deutlich. Er war einer derjenigen Funktionäre, die es sich nicht nehmen ließen, in ihren Monatsberichten wiederholt auf Mängel in Versorgungsfragen hinzuweisen. Am 17. April 1978 teilte er seinem Generalsekretär mit, »daß die Diskussionen über Handels- und Versorgungsfragen in den letzten Wochen weiter zugenommen haben.«[19] Am 4. August 1978 führte Pisnik mit Blick auf die Untererfüllung des Planes etwa im Traktorenwerk Schönebeck aus: »Nicht zufrieden sind wir aber mit den Ergebnissen aus der Zusammenarbeit mit dem Ministerium Allgemeiner Maschinen-, Landmaschinen- und Fahrzeugbau.«[20] Dieser Satz zeugt vom Selbstbewusstsein des 1. Sekretärs, lässt er die mangelhafte Planerfüllung doch nicht allein seinem Bezirk ankreiden, sondern gibt auch dem Ministerium, an dessen Spitze mit Günther Kleiber immerhin ein Kandidat des Politbüros stand, eine Mitschuld. In diesem Monatsbericht heißt es weiter: »Kritiken gibt es wieder zu weiteren Erhöhungen des Arbeitskräfteplanes, obwohl bereits zum Plan 1978 eine Untererfüllung vorhanden ist und die Deckungsquellen nicht nachgewiesen werden.«[21] Im Monatsbericht vom 29. September 1978 wurde Pisnik im Hinblick auf die unzureichende zentrale Planung noch deutlicher und beklagte, »daß die übergebenen Kennziffern für den Arbeitskräfteplan in vielen Betrieben nicht mit den territorialen Gegebenheiten übereinstimmen und die bisherigen Ergebnisse und Vorstellungen zur Einsparung von Arbeitsplätzen und zur Freisetzung von Arbeitskräften nicht ausreichen.«[22] Er informierte Honecker weiter davon, diese Fragen direkt mit den zuständigen Ministern und Abteilungsleitern erörtern zu wollen.[23]
Solche eigenmächtigen Unternehmungen waren in der Parteiführung nicht gern gesehen. Besonders Günter Mittag muss bei der Lektüre dieses Monatsberichtes die geplanten Gespräche Pisniks als Brüskierung seiner eigenen Person empfunden haben. Das Fass zum Überlaufen brachten dann die »Politischen Berichterstattungen« vom 30. Oktober und 29. November 1978, in denen Probleme der Versorgung und der Baukapazität detailliert geschildert wurden. Am 30. Oktober 1978 machte Pisnik darauf aufmerksam, »daß durch die oft stark erhöhten Anforderungen für das Jahr 1979, insbesondere für die Hauptstadt Berlin, für Maßnahmen der Landesverteidigung, für die Stärkung der materiell-technischen Basis der Industrie, sich verschiedene Komplikationen ergeben, die sich u. a. insbesondere bei Reparatur- und Werterhaltungsmaßnahmen auswirken, und zwar als weiterer Rückgang im Bereich der Baureparaturen und der Werterhaltung der örtlichen Räte.«[24]
Insbesondere die Problematik ausbleibender Werterhaltungen an der baulichen Substanz im Bezirk weiß Pisnik mit deutlichen Zahlen zu untermauern. »Der 1978 bereits geringe Einsatz von Bauhauptleistungen mit 15 % an den Reparaturen verringert sich 1979 auf 13,4 %. […] Dabei ist darauf hinzuweisen, daß bereits 1978 und in den Vorjahren in den materiellen Bereichen für die Baureparaturen und Werterhaltungen im Prinzip nur Splitterkapazitäten zum Einsatz kamen.«[25] Die mangelhaften Investitionen in diesem Bereich wirkten sich dabei direkt auf Produktionsleistungen in den Betrieben des Bezirks aus, führten also auch in anderen Bereichen zu Produktionsrückständen und zur Untererfüllung der Planauflagen. »Ich glaube, lieber Erich, daß ich Dir auch eine solche Tatsache nicht verschweigen darf, daß sich im Bezirk von Jahr zu Jahr das Problem der Ersatzinvestitionen verschärft. Auf Grund von angedrohten Sperrungen der Staatlichen Bauaufsicht bzw. der Technischen Überwachung können wichtige Produktionsanlagen nicht voll genutzt werden.«[26] Diese Angaben werden unter anderem am Beispiel des Chemiewerks Salzwedel bekräftigt. Hier hatte sich »der bautechnische Zustand der Superphosphat-Reifehalle so verschlechtert, daß sie bereits zu einem Viertel gesperrt werden mußte. […] Eine generelle Sperrung der Halle ist angedroht, wenn nicht bis Ende 1979 mit der Sanierung begonnen wird. Alle Bemühungen scheitern jedoch jetzt an der Lieferung von 450 t Stahlkonstruktion durch das Metalleichtbaukombinat«.[27]
Es liegt auf der Hand, dass der Adressat Honecker und nach ihm Mittag diese drastischen Beispiele ungern zur Kenntnis genommen haben werden. Nur einen Monat später wurden beide erneut mit großen, zahlengesättigten Problemen konfrontiert. Im Monatsbericht vom 29. November 1978 wies der 1. Sekretär der SEDBezirksleitung wiederum auf drängende Probleme des Handels und der Versorgung sowie der Werterhaltung hin. Hierzu gebe es in der Bevölkerung »die größten Diskussionen und sie haben in den letzten Monaten noch zugenommen.«[28] Besonders wird beklagt, dass bei einer Reihe von Konsumgütern der Anteil von Waren der unteren und mittleren Preisgruppen immer geringer wird, sich das Warenangebot insgesamt also verteuert. Zu konstatieren sind »verstärkt unkontinuierliche und rückläufige Versorgungstendenzen«, häufig ist die »Sortimentsbreite und -menge schlechter als 1977.«[29] In Bezug auf den Zuwachs des Warenumsatzes 1977/78 nehme Magdeburg von allen Bezirken der DDR den letzten Platz ein. Dort, wo Konsumgüter reichlich vorhanden seien, würde nicht danach gefragt. Mit den Worten von Pisnik werden »oftmals Waren produziert […], die die Bevölkerung gar nicht haben will; auf der anderen Seite werden aber verlangte Waren in unzureichender Menge oder überhaupt nicht produziert. Marktanforderungen und Pläne für die Warenproduktion müßten doch eine Einheit sein. So ist aber die Praxis nicht.«[30] Die Ursachen für diese Entwicklung sieht er zum Teil in der »ungenügende(n) Arbeit der verantwortlichen Handels- und staatlichen Organe« und darin, »daß die Genossen in den staatlichen und Handelsorganen eine ungenügende Kampfposition zur konsequenten Durchführung der Beschlüsse der Partei zu handelspolitischen Fragen haben.«[31] Alois Pisnik bringt aber auch Faktoren zur Sprache, die nicht im Einflussbereich der Bezirksleitung liegen, so die Erhöhung des Durchschnittspreisniveaus wichtiger Warensortimente, die in der Bevölkerung für Unmut sorgt. Auch die Lage in punkto Werterhaltung ist sehr virulent. »In letzter Zeit häufen sich Informationen von Sekretariaten der Kreisleitungen und Räten der Kreise sowie Hinweise und Kritiken aus der Bevölkerung, daß eine Reihe dringend anstehender Werterhaltungsaufgaben nicht bzw. nicht wie vorgesehen gelöst werden können.«[32] Dies kann der 1. Sekretär mit eindrücklichen Zahlen belegen. »Der Druck der Bevölkerung zur Realisierung dringender Reparaturarbeiten wird stärker. Vom 1. 1. 1977 bis 30. 6. 1978 haben sich über 6 700 Bürger wegen Werterhaltungsproblemen an die örtlichen Räte gewandt.«[33] Auch diese Probleme sind nicht nur dem Bezirk anzulasten, sondern, wie Pisnik unterstreicht, auch durch die Erhöhung des Einsatzes von Bauleistungen für den Sonderbedarf, etwa für die Hauptstadt Berlin, hervorgerufen.[34] Die Folgen für den Bezirk Magdeburg werden sein, »daß die Bauzustandsstruktur insgesamt nicht wesentlich verbessert wird, im Gegenteil. In den Zentren der Arbeiterklasse wird sie sich weiter verschlechtern.«[35] Dies war ein deutlicher Fingerzeig an Honecker auf Akzeptanzprobleme der SED-Politik gerade unter der Arbeiterschaft, die die SED zu repräsentieren vorgab. Im Ausblick sei weiter damit zu rechnen, dass 1979 nur noch 83,1 Prozent des Niveaus der Werterhaltungsmaßnahmen von 1978 zu erreichen seien, so dass »in einer Reihe von Bereichen« bauliche Reparaturen »überhaupt nicht mehr vorgenommen werden« können, zumal der Stand der technischen Ausrüstungen im Bauwesen oft »nicht einmal die einfache Reproduktion« sichere.[36] Eine Zusammenfassung dieses Monatsberichtes mit einem kommentarlosen Extrakt der wichtigsten angesprochenen Probleme wurde am 4. Dezember 1978 – das war so üblich – allen Mitgliedern und Kandidaten des Politbüros zugeleitet.[37]
Das Vorgehen des Zentralkomitees gegen Pisnik und sein »Rücktritt«
Die Reaktion aus der Berliner Zentrale ließ nicht lange auf sich warten. Sie wurde sicherlich befördert durch die Sitzung der Bezirksleitung Magdeburg vom 18. Dezember 1978, auf der Alois Pisnik ein später von der Bezirksleitung einstimmig bestätigtes Schlusswort hielt und auch auf seinen Monatsbericht an Honecker einging. »Ich habe auch angeführt, daß es Artikel gibt, die produziert werden, die kein Mensch kauft, wofür aber wertvolles Material verwendet wird.« Andere Artikel dagegen seien schlichtweg »wegspezialisiert worden«. Der »Bevölkerung Unzufriedenheit und Kritik der Bevölkerung ist stärker geworden. […] Ich habe eine Reihe konkreter Fakten aufgeführt.«[38]
Interessant sind die Entgegnungen Honeckers, die ebenfalls überliefert sind. Was Alois Pisnik mitteilte, »das stimmt nicht ganz«, er warf ihm vor, »du kritisierst und ihr habt selber schuld mit der Konsumgüterproduktion.« Es gebe laut Honecker immer noch schlechtere Beispiele, so hätte die DDR im sozialistischen Lager den höchsten Versorgungsstand, der Sowjetunion hingegen gehe es viel schlechter. Schließlich habe die DDR »auch Exportverpflichtungen«, und bei allem wirke sich die »Krisenentwicklung in den kapitalistischen Ländern« direkt auf die sozialistischen Länder aus. »Wir können nur das verbrauchen was wir produzieren.«[39] Honecker gab den Schwarzen Peter also an den Bezirk Magdeburg zurück und argumentierte mit externen Faktoren, die der Wirtschaftspolitik der SED nicht anzulasten seien.
So einfach ließ sich Pisnik allerdings nicht überrumpeln. Nachdem er konzediert hatte, Honecker habe »eine ganze Reihe von echten Argumenten« vorgebracht, insistierte er: Wir »brauchen für eine exakte Produktionsarbeit auch eine exakte Übersicht über die Marktanforderungen. Was dazu gemacht wird ist auch ungenügend, zu oberflächlich. […] Ich bin deswegen nicht der Meinung, daß alles an uns liegt und zentrale Organe überhaupt keine Verantwortung haben und dort nichts geändert werden kann oder braucht«.[40] Pisnik brachte sich in seinem Schlusswort selbst in Rage, als er sagte, »wie lange reden wir schon über die Arbeit mit den Menschen, bis zum Kotzen, möchte ich sagen, aber sehen wir uns an, wie gearbeitet wird.« Er nannte erneut konkrete Beispiele einer mangelhaften Versorgung und forderte das »Aufhören mit dem allgemeinen Reden und allgemeinen Sitzungen und Beratungen, wo nichts konkretes herauskommt. Damit muß man endlich Schluß machen. Das beste Reden nützt nichts, wenn am Ende nicht konkret die Aufgaben herauskommen.«[41]
Dieses selbstbewusste und offene Schlusswort veranlasste die Parteiführung, Maßnahmen zur Disziplinierung ihres Magdeburger 1. Bezirkssekretärs zu ergreifen. Es begann in der Sitzung des Sekretariats der Bezirksleitung am 21. Dezember 1978, also nur drei Tage nach der Bezirksleitungssitzung. Alois Pisnik nahm in Anwesenheit von Fritz Müller, Leiter der Abteilung Kader des ZK und von Erich Honecker persönlich nach Magdeburg beordert, Stellung zur Kritik an seinem Monatsbericht und seinem Schlusswort auf der Sitzung und »erkannte die an ihm geübte Kritik durch den Generalsekretär, Genossen Honecker, vorbehaltlos an.« Er akzeptierte auch, dass sein »Schlußwort keine richtige Orientierung gab«.[42] Auf die Solidarität seiner Sekretariatskollegen konnte Pisnik nicht hoffen, die Parteidisziplin war stärker. Sie kritisierten ihren 1. Sekretär, weil sie »den Inhalt des Briefes an den Genossen Honecker nicht kennen und nach Kenntnis dieses Briefes bzw. einiger Passagen zu Fragen des Handels und der Versorgung distanzieren sie sich von diesem Schreiben und akzeptieren auch das Schlußwort des Genossen Pisnik auf der Bezirksleitungssitzung nicht.« Es folgte eine Ergebenheitsadresse an die Parteiführung mit der Versicherung, »die vom Sekretariat in der Beratung durchaus richtig gestellten Aufgaben in Durchführung der Beschlüsse der 9. Tagung des ZK vorbehaltlos« zu erfüllen.[43] Damit war die Autorität des ZK wieder hergestellt.
Das neue Jahr 1979 brachte für den Magdeburger 1. Bezirkssekretär gleich am 3. Januar eine Aussprache mit Vertretern des ZK und die Information, dass das
Politbüro am 19. Dezember 1978 die Entsendung einer »Arbeitsgruppe für die Klärung einer Reihe grundsätzlicher Fragen in Durchführung der Beschlüsse des IX. Parteitages der SED im Bezirk Magdeburg« beschlossen hatte.[44] Sollte Alois Pisnik gehofft haben, dass sich die Querelen mit dem neuen Jahr legen würden, so sah er sich getäuscht. Die Aussprache führten Carl-Heinz Janson, Leiter der ZK-Abteilung Sozialistische Wirtschaftsführung, und Hermann Pöschel, Leiter der ZK-Abteilung Forschung und technische Entwicklung. Zugegen war ferner mit Heinz Herzig der Sekretär für Wirtschaft der Bezirksleitung Magdeburg. Nachdem die aktuelle Lage im Bezirk besprochen worden war, ging es erneut um das Schreiben an den Generalsekretär. Pisnik räumte zwar ein, »daß er mit seinem Brief an Genossen Erich Honecker über die Versorgungsfragen ›auf die Nase gefallen sei‹«, betonte aber grundsätzlich, dass er den Generalsekretär »über Probleme informieren wolle. Er gehe von den Fortschritten und Erfolgen aus und sei ein Optimist. In Magdeburg sei eine Kampfatmosphäre da. Mit den Ergebnissen der Durchführung der Beschlüsse des IX. Parteitages lägen sie in vielen Positionen mit vorn. Niemand könne sagen, daß nicht gekämpft werde.« Was die von ihm angesprochenen Versorgungsprobleme anbelangte, so »wiederholte er die Argumente seines Schlußwortes und erläuterte auch noch einmal seinen Standpunkt zur Werterhaltung.« [45]
Es war ausgerechnet der Wirtschaftssekretär, der sich in dieser Aussprache von Pisnik abwandte und ganz auf ZK-Linie begab, obwohl er doch die wirtschaftlichen Probleme des Bezirks Magdeburg kennen musste. Heinz Herzig versicherte im Hinblick auf das besagte Schreiben, »daß es dazu keine Abstimmung mit den Genossen gab. Er schätze Genossen Pisnik als 1. Sekretär sehr hoch, aber es sei nicht gut, solche Briefe ohne Konsultation mit dem Wirtschaftssekretär zu schreiben. Er habe um eine Änderung der Arbeitsweise gebeten.«[46] Herzig hatte auch eine Lösung parat, wie anders zu verfahren sei. Im Bezirk auftretende Versorgungsfragen »können nur über den Weg der Erhöhung der eigenen Aktivitäten geklärt werden […]. Man müsse sich auch mit solchen Kreisleitungen wie Wolmirstedt auseinandersetzen, die nur aufschreiben was fehlt und solche Informationen ohne Analyse und politische Wertung an Genossen Pisnik schicken.«[47] Die beiden Abteilungsleiter, die im ZK direkt dem Sekretär Günter Mittag unterstanden, werden diese Ausführungen befriedigt zur Kenntnis genommen haben. Alois Pisnik jedoch »verteidigte seine Position zur Werterhaltung sowie zum Bau von Kulturhäusern und Gaststätten«[48], wurde aber verpflichtet, auf der nächsten Beratung mit den 1. Kreissekretären zu seinem Schlusswort vor der Bezirksleitung Stellung zu nehmen.
Diese Beratung fand am 8. Januar 1979 statt. Die Abteilung Parteiorgane des ZK fertigte hierüber am 10. Januar 1979 eine Information an und konnte bilanzieren, es sei »eine richtige Orientierung gegeben für die Durchführung der Beschlüsse der 9. Tagung des Zentralkomitees im Bezirk Magdeburg«.[49] Pisnik selbst nahm tatsächlich im Sinne der Parteiführung Stellung. Zunächst informierte er die anwesenden Genossen über die bisherigen Auseinandersetzungen im Sekretariat der Bezirksleitung und »über die kritische Wertung seiner Arbeit durch die Mitglieder des Sekretariats im Zusammenhang mit der nicht genügenden Förderung der Kollektivität in der Arbeit des Sekretariats.«[50] Dann vollzog Pisnik eine Kehrtwendung zu seinen bisherigen Äußerungen und erklärte, »daß der Teil des Schlußwortes, der sich mit seinem Brief an den Generalsekretär zu Fragen der Versorgung und mit der Kritik an der in diesem Brief gegebenen Einschätzung durch den Genossen Honecker befaßt, von einer falschen Position ausgeht.« Die falsche Position bestehe darin, dass seine Darstellung »im Grunde auf eine Polemik mit dem Zentralkomitee und seinem Generalsekretär hinausläuft, unsere Erfolge negiert und Pessimismus ausdrückt, wozu es nicht den geringsten Grund gibt. Genosse Pisnik betonte, daß dies nicht seine Absicht war. Er erklärte, daß Probleme nicht überbetont werden dürfen, sondern, daß alle Anstrengungen zu unternehmen sind, um sie im Vorwärtsschreiten zu lösen.«[51]
Die Information der Abteilung Parteiorgane, am 12. Januar 1979 vom Abteilungsleiter Horst Dohlus an Erich Honecker weitergeleitet und tags darauf von diesem den Mitgliedern und Kandidaten des Politbüros zugänglich gemacht, lobte den »konstruktiven und selbstkritischen Gedankenaustausch« und die »neuen Überlegungen und konkreten Maßnahmen, wie durch die Nutzung der Potenzen und Ausschöpfung der Reserven des Bezirkes, der Kreise und Betriebe, die Aufgaben des Volkswirtschaftsplanes erfüllt und überboten werden können.«[52] Insofern konnte Alois Pisnik hoffen, mit seiner Selbstkritik die Parteiführung zufrieden gestellt und beruhigt zu haben. Dem war aber nicht so.
Das SED-Politbüro hatte es sich nicht nehmen lassen, zum im Falle regiona ler Unbotmäßigkeit bewährten Disziplinierungsmittel zu greifen: Die am 19. Dezember beschlossene Arbeitsgruppe wurde in den Bezirk Magdeburg entsandt. Als Leiter fungierte der in diesen Sachen bewährte Günter Mittag. Am
19. Januar 1979 fand in Magdeburg eine Beratung dieser Arbeitsgruppe mit dem Sekretariat der Bezirksleitung statt. Zugegen waren neben Mittag auch Alfred Neumann, Mitglied des Politbüros und 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, und Werner Jarowinsky, Kandidat des Politbüros und ZK-Sekretär für Handel und Versorgung. Mittag sprach hier in bewusstem Gegensatz zu Alois Pisnik von der Pflicht, »bei allen Bürgern noch stärker den Stolz auf die Deutsche Demokratische Republik, auf ihr sozialistisches Vaterland auszuprägen.« Es gebe in der DDR einen hohen Lebensstandard, und man dürfe »niemandem gestatten, an dieser Wahrheit herumzunörgeln.« Mittag wurde noch deutlicher. »Vom Standpunkt des Pessimismus jedoch kann man keine erfolgreiche Parteiarbeit organisieren.« Ein direkter Affront gegen den 1. Bezirkssekretär war der folgende Satz: »Probleme, Genossinnen und Genossen, lassen sich überall finden und in manchen Fällen sogar erfinden. […] Die Lösungsvorschläge sind dagegen dürftig.«[53] Der Ton gegenüber Alois Pisnik hatte sich merklich verschärft.
Überliefert sind auch Auszüge aus den Stellungnahmen der Mitglieder des Sekretariats der Bezirksleitung. Es überrascht nicht, dass alle ihre »volle Übereinstimmung mit der zusammenfassenden Einschätzung der Abteilungen des ZK« gaben und betonten, dass damit »eine große Hilfe für die weitere Arbeit der Bezirksparteiorganisation vom Politbüro gegeben worden ist«.[54] Der 2. Sekretär Walter Kirnich ließ es sich angelegen sein, die anwesenden Genossen der Parteiführung persönlich zu loben, indem er ausführte, dass »das Politbüro, Genosse Erich Honecker persönlich, Genosse Mittag, Genosse Neumann und Genosse Werner Jarowinsky bereits seit Jahren der Entwicklung des Bezirkes Magdeburg eine besonders große Unterstützung gegeben hätten.«[55] Der Wirtschaftssekretär Heinz Herzig fand, es hätte »eine so gründliche und prinzipielle Analyse der Entwicklung und der Arbeit des Bezirkes in der Vergangenheit noch nie gegeben.«[56] Kritisiert wurde von den Sekretären, »daß die Kollektivität des Sekretariats eingeschränkt war« und »nur geringer Kontakt zum 1. Sekretär« bestand. »Der 1. Sekretär hat zwischen sich und die Sekretäre seine Mitarbeiter geschaltet.«[57] Der Vorsitzende der Bezirksparteikontrollkommission, Gerhard Frost, unterstrich die partiell eigenständige Haltung Pisniks, indem er betonte, »daß in den letzten Jahren sich der Subjektivismus breitgemacht hat.« Wörtlich sagte er zu seinem 1. Sekretär: »Deine Ausführungen haben mich nicht überzeugt, daß Du das änderst.«[58] Diese Ausführungen werden in den Akten des Büros Mittag wie folgt charakterisiert: »Es zeigte sich ein großer Unterschied zwischen der prinzipiell selbstkritischen Position der Sekretäre, die die Grundfrage der bedingungslosen Durchführung der Beschlüsse des ZK erkannt haben, und den Äußerungen des Genossen Pisnick [sic!], der sich auf die Abrechnung einzelner Punkte in den Materialien der Arbeitsgruppe konzentrierte. Er gab zwar eine allgemeine Erklärung ab, in der er die Übereinstimmung mit der Einschätzung und den Schlußfolgerungen betonte, und sprach dann über einzelne Fragen. Zum Teil ging das wieder in eine Richtung, die grundsätzliche Feststellung aufzuheben.«[59] Alois Pisnik, der auf dieser Beratung »immer wieder die hohe Kampfkraft der Kommunisten und der Parteiorganisationen« betont hatte, ergriff nach den »massiven kritischen Einschätzungen der Sekretäre« noch einmal das Wort. Nachdem er sein Einverständnis damit bekräftigt und sich als »den eigentlichen Hauptverantwortlichen« bezeichnet hatte, wendete er sich gegen seine Sekretariatskollegen, als er sagte, »daß die Diskussion unserer Genossen noch nie so war, außer der einen Sekretariatssitzung im Dezember. Die Genossen hätten das früher auf den Tisch legen müssen. Das wäre für seine Arbeit günstig gewesen.«[60] Am Ende dieser für ihn unerfreulichen Sitzung musste Pisnik eine ihm drohende Amtsenthebung befürchten. Noch war er jedoch bereit, für seinen Verbleib in der Funktion zu kämpfen. Mit Blick auf die anwesenden Genossen aus Berlin stellte er die Frage, »ausgehend von der Bemerkung des Genossen Frost, ob er die Dinge verändern könne«, und beantwortete sie auch gleich: »Wenn die Genossen des Politbüros der Meinung seien, er schaffe es nicht, dann muß man an der Spitze des Bezirkes verändern. Er möchte jedoch sagen, daß er der Meinung ist, es könnte ihm gelingen, denn das ganze wäre auch eine Erziehung.«[61]
Vorderhand wurde hierüber noch nicht entschieden. Schon bald danach, am 30. Januar 1979, befasste sich auch das Politbüro mit der »Zusammenfassenden Einschätzung« zu »einer Reihe grundsätzlicher Fragen der Durchführung der Beschlüsse des IX. Parteitages im Bezirk Magdeburg«. Zunächst wurde auch vom Politbüro bestätigt, dass der Bezirk Magdeburg »hervorragende Ergebnisse« bei der »Durchführung des Wohnungsbauprogramms« erzielt habe und hier über dem DDR-Durchschnitt liege. Dennoch gebe es noch »bedeutende Reserven«. [62] Offenbar als Reaktion auf die in den Monatsberichten erwähnten, vom Bezirk Magdeburg zu erbringenden Berlin-Aufgaben stellte die Arbeitsgruppe des Politbüros fest: »Es widerspricht auch den Tatsachen, daß der Bezirk in Fragen der Versorgung gegenüber anderen Bezirken benachteiligt sei, wie Genosse Pisnik schon seit längerem behauptet.«[63] Der Bezirksleitung wird vorgeworfen, den konkreten Bedarf an Konsumgütern im Bezirk zugrunde zu legen und sich nicht um den zentral ausgearbeiteten Plan zu scheren. Sie betrachte »Bedarf und Bedarfsdeckung meist losgelöst vom Versorgungsplan und oft auch subjektiv«, also eigenständig, und der vorgegebene »Plan wird ungenügend zur Grundlage der Arbeit«.[64] Das Ausmaß der geschilderten Probleme wird negiert, es handele sich vielmehr um eine »fehlende sachliche gründliche Analyse und Einschätzung und subjektivistisches Herangehen durch unzulässiges Verallgemeinern von Einzelerscheinungen.«[65] Es folgte in der Einschätzung der Arbeitsgruppe der Vorwurf mangelnder Parteidisziplin durch das Sekretariat der Bezirksleitung Magdeburg. Dieses hätte nämlich die Beschlüsse des Politbüros, des ZK und des ZKSekretariats »zum Teil mit außerordentlich niedriger Disziplin behandelt.«[66] Schuld daran trügen weniger die Sekretariatsmitglieder, als vielmehr der 1. Sekretär selbst, wurde doch bisher »die persönliche Verantwortung der Sekretäre der Bezirksleitung dadurch zu wenig gefördert, daß Genosse Pisnik der Kollektivität in der Tätigkeit des Sekretariats zu wenig Beachtung geschenkt hat.«[67] Nochmals wurde darauf verwiesen, dass Pisnik in seinem Schlusswort auf der Tagung der Bezirksleitung »keine richtige Orientierung zur Auswertung der 9. Tagung des Zentralkomitees und zur Entwicklung einer klaren Kampfposition für die Lösung der vor dem Bezirk stehenden Aufgaben« gegeben hat.[68]
Wohin diese Kritik zielte, muss Alois Pisnik als alt gedientem SED-Funktionär klar geworden sein. Wer mit dem unerhörten Vorwurf »außerordentlich niedriger« Parteidisziplin belegt und des Fehlens einer »klaren Kampfposition« bezichtigt wurde, musste mit einer Abberufung aus seiner Funktion rechnen. Dies erkannte auch Alois Pisnik, und so verfasste er am Tage nach der Politbüro-Sitzung, am 31. Januar 1979 und wieder zurück in Magdeburg, einen Brief an Erich Honecker, in dem er sich auf diese Sitzung und auf ein kurz vorher stattgefundenes Gespräch mit seinem Generalsekretär bezog. Nach einleitenden Bemerkungen, die seinen Werdegang resümieren und Loyalität zu seiner Partei und ihrem Generalsekretär bekunden, kommt Pisnik auf den eigentlichen Punkt, wenn er schreibt: »Ich werde natürlich auch weiter meine Person und Kraft für unsere große Sache einsetzen. Ich darf aber darauf verweisen, daß die vergangenen großen Anstrengungen sich doch auch auf meine Gesundheit ausgewirkt haben und ich möchte daher bitten, mich bei der kommenden Bezirksdelegiertenkonferenz nicht mehr als Kandidaten für den 1. Sekretär der Bezirksleitung aufzustellen.«[69] Damit war klar, dass die nächste Bezirksdelegiertenkonferenz das Ende der über 26-jährigen Ära Pisnik in Magdeburg mit sich bringen würde.
Diese Konferenz fand nicht einmal zwei Wochen später, am 10. und 11. Februar 1979, in Magdeburg statt. Das ZK entsandte hierzu eine Delegation, die unter Leitung von Günter Mittag stand. Prominente Mitglieder dieser Delegation waren weiter die Genossen Herbert Häber, Leiter der Westabteilung bzw. der Abteilung Internationale Politik und Wirtschaft, Fritz Müller, Leiter der Abteilung Kader, und Kurt Tiedke, Leiter der Abteilung Propaganda im ZK. Schließlich waren auch sechs Mitglieder der Arbeitsgruppe des ZK aus den Abteilungen Parteiorgane, Maschinenbau und Metallurgie, Landwirtschaft und Sozialistische Wirtschaftsführung zugegen.[70]
Das Hauptreferat hielt wieder Günter Mittag. Zunächst wurde das Plenum davon informiert, dass Alois Pisnik in einem Schreiben an den Generalsekretär darum gebeten hat, »aus gesundheitlichen Gründen« nicht erneut für die Funktion des 1. Sekretärs der Bezirksleitung Magdeburg zu kandidieren. Sodann wurde dem »lieben Alois« der Dank des Politbüros für seine »jahrzehntelange aufopferungsvolle Arbeit als 1. Sekretär« gedankt und alles Gute gewünscht. Mit der Überreichung eines Blumenstraußes endete die Amtszeit Alois Pisniks, die vor über einem Vierteljahrhundert begonnen hatte.[71] Zum neuen 1. Sekretär wurde mit Kurt Tiedke ein Funktionär gewählt, der als langjähriger Leiter der Abteilung Propaganda im ZK zwar über eine große Parteierfahrung, aber über keine Kenntnisse des Bezirks Magdeburg verfügte.[72]
Günter Mittag ließ es sich nicht nehmen, auf der Bezirksdelegiertenkonferenz noch einmal scharfe Kritik an der Bezirksleitung Magdeburg und ihrem ausgeschiedenen 1. Sekretär zu üben und so indirekt auch die Notwendigkeit des Eingreifens der Parteiführung zu bekräftigen. Mittag zählte die Versäumnisse des Bezirks auf: Die Leistungen des Bezirks würden »in nicht genügendem Maße für den Volkswirtschaftsplan entwickelt«, es seien noch »große Reserven vorhanden«, und die »Aufgaben für die Durchführung der zentralen, die ganze Republik und die ganze Volkswirtschaft betreffenden Objekte« würden »unzureichend [ge]löst«.[73] Erneut wurden die in der Magdeburger Parteiführung aufgetretenen »subjektivistischen Einschätzungen« angeprangert, könne im Gegenteil die Aufgabe doch nur »darin bestehen, die Politik der Partei und darin eingeschlossen ihre Wirtschaftspolitik entsprechend den Beschlüssen Punkt für Punkt durchzuführen und nicht eine eigene subjektivistische Auslegung dieser Politik vorzunehmen. Das zu gewährleisten, darin besteht auch die hohe Verantwortung der Bezirksleitung.«[74] Die bisherige Informationspolitik qualifizierte Mittag kurzerhand ab. »Natürlich muß man über heranreifende Fragen informieren, auch über Stimmungen und Meinungen. Das muß jedoch sorgfältig geschehen, unter Abwägung all dessen, was wirklich zentral zu regeln ist, und was die eigene Verantwortung ist. Vor allen Dingen darf das Suchen nach Problemen nicht die Organisierung der Kampfposition in der Parteiarbeit verdrängen. Und diese Gefahr ist entstanden. Das führt zu einer Fehleinschätzung der Lage, das führt dazu, daß die Kräfte der Partei auf die Lösung von Einzelfragen zersplittert werden.«[75]
Die Probleme, die der Bezirk Magdeburg im wirtschaftlichen Bereich hatte, waren demnach entweder hausgemacht oder Produkt eigenen Schwarzmalens und eigener Fehleinschätzungen. Darum musste die Parteiführung handeln, und darum musste der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Magdeburg abgelöst werden. Die Parteiführung, selbst nicht verantwortlich für die Probleme, hatte durch ihr Eingreifen, folgt man der Diktion Mittags, die Kastanien für den Bezirk Magdeburg aus dem Feuer holen müssen.
Die Motive für die Ablösung von Alois Pisnik
Es stellt sich abschließend die Frage, inwieweit die offizielle Diktion die wahren Gründe für die Ablösung Alois Pisniks wiedergibt, oder ob nicht andere Motive hier eine Rolle gespielt haben mögen. Alois Pisnik war zum Zeitpunkt der ergriffenen Maßnahmen nicht krank. Dies bezeugt ein früherer Sekretariatskollege[76], und auch die einschlägigen Akten enthalten keine Hinweise auf eine Krankheit. Den Brief an Honecker mit der Bitte, nicht wieder als 1. Sekretär zu kandidieren, schrieb Pisnik vielmehr aus anderen Gründen. »Er wollte nicht, daß man einen anderen Grund nannte. Es war natürlich auch für ihn günstig zu sagen: ›Ich bin nicht aus Mängeln der Leitungstätigkeit oder aus Widersprüchen in der Einschätzung der Lage gegenüber dem Genossen Mittag von dieser Funktion abgelöst worden, sondern es war auch mein eigener Wunsch.‹«[77]
Alois Pisnik, Jahrgang 1911, war der mit Abstand älteste 1. Sekretär einer SED-Bezirksleitung und am längsten, seit Bildung der Bezirke 1952, in dieser Funktion. Bis auf die Amtskollegen aus Suhl und Erfurt waren alle anderen 1. Sekretäre der Bezirksleitungen mindestens zehn Jahre bis knapp 20 Jahre jünger als er, und nur Alois Bräutigam in Erfurt war auch schon in den 1950er Jahren in dieses Amt gelangt. Alle anderen hatten 1979 eine mehr als zehn Jahre kürzere Amtsdauer.[78] Es könnte daher sein, dass aus Alters- und Verschleißgründen – Pisnik war Anfang 1979 immerhin schon 67 Jahre alt – eine Ablösung erfolgt ist. Zumindest zum Teil hält dies der frühere Kultursekretär für möglich. »Man muß aber auch dazu sagen, daß Alois Pisnik zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr der Jüngste war. Ein altersbedingtes Nachlassen der Konzen-trationsfähigkeit und der richtigen Einordnung der Probleme machten sicherlich auch Mängel in seiner Leitungstätigkeit sichtbar, die den Prozeß der Ablösung begünstigten.«[79] Das kann aber nicht der alleinige Grund gewesen sein, war Erich Honecker als die maßgebliche Instanz in Kaderfragen[80] doch dafür bekannt, »in der Parteiführung Kommunisten alter Prägung zu versammeln.«[81] Ein solcher war Alois Pisnik. Er war nur ein Jahr älter als dieser, entstammte also der gleichen Generation, und hatte sich zudem Verdienste im Kampf gegen den Nationalsozialismus erworben. Außerdem scheute sich Honecker nicht, 1983, nur ein paar Jahre später, den 63jährigen Werner Eberlein als neuen 1. Bezirkssekretär nach Magdeburg zu berufen[82], ein weiterer Beleg dafür, dass Honecker Altersfragen weniger wichtig waren.
Der Schlüssel zum Verständnis für die Entwicklungen im Bezirk Magdeburg Ende 1978/Anfang 1979 liegt offenbar doch in den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, über die Pisnik in seinen Monatsberichten informierte. Einmal gehörte dies zu seinen ihm obliegenden Aufgaben, zum anderen erhoffte er sich mangels bezirklicher Möglichkeiten Hilfe aus Berlin. Die deutliche Herausstellung der Probleme etwa im Bauwesen, der Werterhaltung und der Konsumgüterproduktion zeigt aber auch, wie stark Pisnik als von der Bevölkerung wahrgenommener Repräsentant der Staatspartei im Bezirk unter dem Druck der Basis stand. Die Bevölkerung wandte sich zunehmend häufiger mit Eingaben an die örtlichen Räte, die ihrerseits die Unzulänglichkeiten weitergaben. Pisnik musste als 1. Sekretär von Magdeburg handeln. Es war nicht allein die Tatsache, dass er in seinem Monatsbericht mannigfaltige Probleme benannte – das taten andere 1. Bezirkssekretäre auch –, sondern der Umstand, dass Pisnik zentrale Entscheidungen in Frage stellte, was höheren Orts auf großen Widerwillen stieß.
Auch die im Monatsbericht geschilderten Probleme in der Konsumgüterproduktion entsprachen der Wahrheit. Es war seit einigen Jahren die Taktik der SED, die wachsende Kaufkraft der Bevölkerung abzuschöpfen, indem man »neue Produkte in anderer Verpackung oder mit verändertem Namen, die angeblich eine bessere Qualität hatten und deswegen auch mehr kosteten«, lieferte. Die »billigeren Varianten verschwanden dann nach und nach vom Markt.«[83] Im Laufe des Jahres 1977 war es wegen der Erhöhung der Verkaufspreise bei Baumwollerzeugnissen und Kaffee zu »erheblicher Unruhe und Gerüchten«[84] in der Bevölkerung gekommen. Unter diesem Druck stand auch Alois Pisnik, zumal Eingaben zu Wohnungsfragen seit Mitte der 1970er Jahre »auch mit der Forderung nach Übersiedlung in die Bundesrepublik gekoppelt wurden«.[85] Dabei waren Mittag die in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zunehmenden ökonomischen Probleme durchaus klar. Im März 1977 hatte er gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission Gerhard Schürer in einem Brief an Honecker formuliert: »Erstmals sind wir in akuten Zahlungsschwierigkeiten.«[86] Die sehr unwirsche Reaktion Honeckers veranlasste Mittag offenbar, in Zukunft derart schlechte Nachrichten von diesem fernzuhalten.[87]
Und hier liegt auch der Schlüssel zum Verständnis der Ablösung von Alois Pisnik. Auszüge aus seinen Monatsberichten leitete Honecker an Mittag weiter. Dieser musste sich bei der Darstellung ökonomischer Probleme in seiner Eigenschaft als ZK-Sekretär für Wirtschaft angegriffen fühlen. Er entsandte eine Arbeitsgruppe unter seiner Leitung nach Magdeburg. Diese Arbeitsgruppe, so das Empfinden des Kultursekretärs Winnig, hatte das Ziel nachzuweisen: »Wenn die in Magdeburg meckern, dann sollen sie sich doch erst mal auf ihre eigenen Reserven besinnen.«[88] Nachdem auch seine Sekretäre ihn im Stich gelassen hatten und die mangelnde Kollektivität in der Führung beklagten[89] und Pisnik »taktisch unklug« vorging, indem er zur Kritik der ZK-Arbeitsgruppe »wenig Einsicht gezeigt« hat[90], nachgerade »aufmüpfig«[91] gewesen ist, war der Weg zu seiner Ablösung frei. Zudem war es für Mittag ein Leichtes, die von Pisnik geäußerten Versorgungsschwierigkeiten mit Magdeburger Betrieben selbst zu erklären, die – aus welchen Gründen auch immer – ihre Planauflagen nicht erfüllten.[92]
Auf einen weiteren Aspekt macht Helmuth Winnig, seinerzeit Sekretär für Wissenschaft, Volksbildung und Kultur in Magdeburg, aufmerksam. »Der Rat des Bezirkes war für die bezirksgeleiteten Betriebe und für die kommunalen Bereiche verantwortlich, jedoch nicht für die zentral geleiteten Betriebe. Er hatte aber fortwährend mit ihnen zu tun, weil von dort aus Anforderungen an die bezirksgeleiteten Betriebe bzw. an die kommunale Ebene gerichtet wurden, welche diese zu erbringen hatten. […] Es gab nun für die Lösung dieser Probleme keine Querschnittsleitung staatlicherseits im Bezirk. Die einzige Möglichkeit, hier im Querschnitt Verbindungen herzustellen, war die Bezirksleitung der Partei. Dort lief vieles zusammen, was eigentlich in die Kompetenz der staatlichen Leitung gehörte. Der Genosse Pisnik hatte sich Instrumente geschaffen, sogenannte Arbeitskreise oder Arbeitsgruppen, die diese koordinierende Funktion ersetzen sollten. In diesen Arbeitskreisen waren wiederum die zentral geleiteten Betriebe durch ihre jeweiligen Leiter vertreten, das heißt in der Regel durch die Generaldirektoren, die jedoch eigentlich in einer direkten Leitungslinie von Günter Mittag angeleitet wurden und abhängig waren. So mußte es zwangsläufig Reibungen geben. Es gab nun sicherlich auch einige, die ihren Direktkontakt auf dieser Ebene und auch außerhalb dieser Ebene zum Genossen Pisnik nutzten, um ihre Probleme an den Mann zu bringen. Wer nun diese Probleme aufnahm und sie nach oben weitergab, der erntete nicht immer Sympathie. […] Das hat offenbar bewirkt, daß zwischen Alois Pisnik und dem Bereich des Genossen Mittag ein gewisses Spannungsfeld entstand.«[93]
Nach dem, was über die Persönlichkeit Mittags bekannt ist[94], ist es durchaus denkbar, dass sich Mittag durch die Bildung dieser Arbeitsgruppen übergangen, vielleicht auch hintergangen, und in seiner Kompetenz nicht gebührend gewürdigt sah. Dies mochte ihm einen weiteren Grund liefern, den Magdeburger Konkurrenten ins Visier zu nehmen. Gerade in Bezug auf Kritik in ökonomischen Fragen war die Parteiführung im Zusammenhang mit der krisenhaften Entwicklung ab Ende der 1970er Jahre zunehmend dünnhäutiger geworden. Am Beispiel Pisniks ist den SED-Funktionären verdeutlicht worden, wie mit auch eigenständigen Genossen umgegangen werden konnte. Es ist möglich, dass der Fall Alois Pisnik auch ein Exempel darstellen sollte. Es war daher das »Betreiben Günter Mittags«[95], das die Ablösung Pisniks bewirkte.
Alois Pisnik hatte in seinen Monatsberichten eine Warnung der Abteilung Parteiorgane aus dem Jahre 1961 beherzigt: »Schönfärberei fügt jedoch der Partei großen Schaden zu. […] Die Information, die Mängel umgeht, Fehler verheimlicht und vertuscht, die Wirklichkeit beschönigt, führt dazu, die Lage falsch einzuschätzen und unrichtige Beschlüsse zu fassen.«[96] Honecker dankte dies jedoch nicht, den Schaden hatte Pisnik. Ganz ließ der Generalsekretär ihn jedoch nicht fallen. Um den Schein eines planmäßigen Funktionswechsels zu wahren, vielleicht auch, um das kritische Potential Pisniks einzudämmen, wurde er auf der 11. Tagung der Volkskammer am 3. Juli 1980 zum Mitglied des Staatsrates berufen. Wie sich die Ausübung dieser Funktion allerdings mit dem angeblich angegriffenen Gesundheitszustand des vormaligen 1. Bezirkssekretärs vertragen sollte, wurde nicht erklärt. Alois Pisnik jedenfalls blieb in seinem Bezirk Magdeburg wohnhaft und füllte seine Funktion als Mitglied des Staatsrates bis zu den ersten freien Volkskammerwahlen im März 1990 aus.
[1] Der Text stellt ein überarbeitetes Kapitel aus der Habilitationsschrift zum Thema »Die Sekretäre der SED-Bezirksleitungen 1952 bis 1989« dar, die der Verfasser im September 2005 der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock eingereicht hat.
[2] Protokoll des Gesprächs mit Ulrich Schlaak (Belzig), 2. Sekretär der SED-Bezirksleitung Potsdam 1976 bis 1989, vom 5. März 2003, S. 4. Dieses und die im Weiteren zitierten Gesprächsprotokolle befinden sich sämtlich im Privatarchiv des Verfassers. Ein Interview mit Alois Pisnik zur Thematik dieses Artikels erbrachte keine weiterführenden Erkenntnisse.
[3] Ebenda.
[4] Kleines Politisches Wörterbuch. Neuausgabe 1988, Berlin (Ost) 1989, S. 179. Siehe auch Dohlus, Horst: Der demokratische Zentralismus – Grundprinzip der Führungstätigkeit der SED bei der Verwirklichung der Beschlüsse des Zentralkomitees, Berlin (Ost) 1965 u. Schüßler, Gerhard u. a.: Der demokratische Zentralismus. Theorie und Praxis, Berlin (Ost) 1981.
[5] Statut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in: Protokoll der Verhandlungen des III. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 20. bis 24. Juli 1950 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin, Berlin (Ost) 1951, Bd. 2, S. 307–321, hier S. 313.
[6] Siehe Statut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in: Protokoll der Verhandlungen des IX. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im Palast der Republik in Berlin, 18. bis 22. Mai 1976, Berlin (Ost) 1976, Bd. 2, S. 267–298, hier S. 279.
[7] Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968, Berlin (Ost) 1968, S. 46.
[8] Protokoll des Gesprächs mit Hans Modrow (Berlin), 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden 1973 bis 1989, vom 6. September 2002, S. 7. Siehe auch Protokoll des Gesprächs mit Günter Schabowski (Berlin), 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin 1985 bis 1989, vom 24. Juli 2003, S. 5 u. Protokoll des Gesprächs mit Johannes Chemnitzer (Lichtenberg), 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Neubrandenburg 1963 bis 1989, vom 7./8. Mai 2003, S. 24.
[9] Protokoll des Gesprächs mit Helmut Müller (Berlin), 2. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin 1971 bis 1989, vom 21. Februar 2003, S. 16.
[10] Hierzu hat Beatrix Bouvier eine Fülle von Eingaben aus der Bevölkerung ausgewertet. Bouvier, Beatrix: Die DDR – ein Sozialstaat? Sozialpolitik in der Ära Honecker, Bonn 2002.
[11] Protokoll des Gesprächs mit Erich Postler (Berlin), 2. Sekretär der SED-Bezirksleitung Schwerin 1981 bis 1989, vom 12. März 2003, S. 8.
[12] So Roland Wötzel in: Protokoll der 26. Sitzung. »Die Machthierarchie der SED«, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Materialien der Enquete-Kommission »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland« (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages), Baden-Baden/Frankfurt a. M. 1995, Bd. 2/1, S. 609.
[13] Protokoll des Gesprächs mit Postler (Anm. 11), S. 9.
[14] Ein Schreiben des Bezirksvorstandes Magdeburg des Verbandes Bildender Künstler der DDR an Alois Pisnik vom 8. Juni 1979 illustriert dies. Darin heißt es: »›Dann müssen wir eben ’mal wieder zu Alois Pisnik gehen.‹ Ein Ausspruch von Vertrauen und Tragweite. In den Anfangsjahren unseres Bezirkes und somit auch in den Anfangsjahren unseres Bezirksverbandes ein oft und oft geäußertes Wort«, in: Privatarchiv Pisnik (Rostock).
[15] Im SED-Statut von 1954 wurde die Berichtspflicht festgelegt. Siehe Statut der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in: Protokoll der Verhandlungen des IV. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 30. März bis 6. April 1954 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin, Berlin (Ost) 1954, Band 2, S. 1115–1141, hier S. 1132. Das ZK-Sekretariat legt später eine 14-tägige Berichtspflicht fest. Siehe Protokoll Nr. 11/58 der Sitzung des Sekretariats des Zentralkomitees vom 10. April 1958, in: Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (im Folgenden: SAPMO-BArch), DY 30/J IV 2/3A/ 604. Später wurde es üblich, »in der Regel einmal im Monat« einen »persönlichen Rapportbrief an den Generalsekretär« zu schreiben. Krenz, Egon: Wenn Mauern fallen. Die friedliche Revolution: Vorgeschichte, Ablauf, Auswirkungen, Wien 1990, S. 26.
[16] Janson, Carl-Heinz: Totengräber der DDR. Wie Günter Mittag den SED-Staat ruinierte, Düsseldorf/Wien/New York 1991, S. 196.
[17] Koehne, Ludwig/Sieren, Frank (Hrsg.): Günter Schabowski: Das Politbüro. Ende eines Mythos. Eine Befragung, Reinbek 1991, S. 40.
[18] Ebenda.
[19] SAPMO-BArch, DY 30/2270, Bl. 15.
[20] Ebenda, Bl. 30.
[21] SAPMO-BArch, DY 30/2270, Bl. 33.
[22] Ebenda, Bl. 45.
[23] Ebenda.
[24] SAPMO-BArch, DY 30/2270, Bl. 58.
[25] Ebenda.
[26] Ebenda, Bl. 59.
[27] Ebenda, Bl. 60.
[28] »Politische Berichterstattung« an den »Genossen Erich Honecker, Generalsekretär des ZK der SED« vom 29. November 1978, in: SAPMO-BArch, DY 30/2624, Bl. 186.
[29] Ebenda.
[30] Ebenda, Bl. 187.
[31] Ebenda, Bl. 186 f.
[32] Ebenda, Bl. 189.
[33] Ebenda, Bl. 190.
[34] Pisnik wies wiederholt auf die Belastungen seines Bezirks hin, die durch so genannten Sonderbedarf und das Berlin-Programm entstanden waren. Unter »Sonderbedarf I« fielen hier die »Organe der Verteidigung und Sicherheit« (der Bezirk Magdeburg besaß die längste Grenze zur Bundesrepublik unter allen Bezirken), unter »Sonderbedarf II« der »Bedarf der Sowjetarmee und dann der Parteien, der Sondervorhaben sowie der Bedarf der Massenorganisationen wie FDGB, FDJ und andere.« Siehe die Ausführungen von Gerhard Schürer in: Wir waren die Rechner, immer verpönt. Gespräch mit Dr. Gerhard Schürer und Siegfried Wenzel, Berlin 25. 2. 1993 und 21. 5. 1993, in: Pirker, Theo u. a.: Der Plan als Befehl und Fiktion. Wirtschaftsführung in der DDR. Gespräche und Analysen, Opladen 1995, S. 67–120, hier S. 108.
[35] »Politische Berichterstattung« an den »Genossen Erich Honecker, Generalsekretär des ZK der SED« vom 29. November 1978, in: SAPMO-BArch, DY 30/2624, Bl. 190.
[36] Ebenda, Bl. 192.
[37] Siehe SAPMO-BArch, DY 30/2270, Bl. 66–72.
[38] SAPMO-BArch, DY 30/IV B 2/5/1159.
[39] Ebenda.
[40] Ebenda.
[41] Ebenda.
[42] SAPMO-BArch, DY 30/IV B 2/5/1197.
[43] Ebenda.
[44] SAPMO-BArch, DY 30/2624, Bl. 139 u. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/1757.
[45] SAPMO-BArch, DY 30/2624, Bl. 140 f.
[46] Ebenda, Bl. 141.
[47] Ebenda.
[48] Ebenda. In seinem Brief an den Generalsekretär vom 29. November 1978 hatte Pisnik unter anderem ausgeführt, dass allein im Kreis Wernigerode für insgesamt 46 Gaststätten Auflagen der Bauaufsicht und der Hygiene bestünden, die nicht zu realisieren seien. 16 Gaststätten müssten demnach in den Jahren 1979 und 1980 geschlossen werden. Siehe SAPMO-BArch, DY 30/2624, Bl. 192.
[49] SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/50/17.
[50] Ebenda.
[51] Ebenda.
[52] Ebenda.
[53] SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/1763, Bl. 68, 74 u. 82.
[54] SAPMO-BArch, DY 30/2624, Bl. 102.
[55] Ebenda.
[56] Ebenda.
[57] Ebenda, Bl. 103.
[58] Ebenda.
[59] Ebenda, Bl. 104.
[60] Ebenda.
[61] Ebenda, Bl. 105.
[62] SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/1763, Bl. 10 u. 14. .
[63] Ebenda, Bl. 26
[64] Ebenda, Bl. 27.
[65] Ebenda, Bl. 28.
[66] Ebenda, Bl. 32.
[67] Ebenda, Bl. 37.
[68] Ebenda, Bl. 39.
[69] Brief an Erich Honecker vom 31. Januar 1979, in: Privatarchiv Pisnik (Rostock).
[70] Siehe SAPMO-BArch, DY 30/2624, Bl. 100 f.
[71] SAPMO-BArch, DY 30/2624, Bl. 233.
[72] Kurt Tiedke übte seine neue Funktion nur gut vier Jahre aus. Mitte 1983 wurde er Direktor der Parteihochschule »Karl Marx«, und Werner Eberlein, Stellvertretender Leiter der Abteilung Parteiorgane im ZK und zunächst ebenso wenig mit den Magdeburger Verhältnissen vertraut, folgte ihm im Amt. Er war bis 1989 1. Sekretär des Bezirks Magdeburg.
[73] SAPMO-BArch, DY 30/2624, Bl. 254.
[74] Ebenda, Bl. 275 f.
[75] Ebenda, Bl. 276.
[76] Siehe Protokoll des Gesprächs mit Helmuth Winnig (Magdeburg), Sekretär für Wissenschaft, Volksbildung und Kultur der SED-Bezirksleitung Magdeburg 1967 bis 1989, vom 9. Juli 2003, S. 8.
[77] Ebenda.
[78] Die 1979 jüngsten 1. Bezirkssekretäre waren Günther Jahn und Siegfried Lorenz, beide 1930 geboren. Alois Bräutigam, seit 1958 1. Sekretär in Erfurt, ist Jahrgang 1916, Hans Albrecht (Suhl) Jahrgang 1919. Die 1. Sekretäre mit der nach Pisnik und Bräutigam längsten Amtsdauer waren Johannes Chemnitzer in Neubrandenburg und Herbert Ziegenhahn in Gera. Beide hatten 1963 die Funktion übernommen. Alle Angaben aus: Herbst, Andreas/Stephan, Gerd-Rüdiger/Winkler, Jürgen (Hrsg.): Die SED. Geschichte, Organisation, Politik. Ein Handbuch, Berlin 1997.
[79] Protokoll des Gesprächs mit Winnig (Anm. 76), S. 8.
[80] Siehe hierzu Schabowski, Günter: Der Absturz, Reinbek 1992, S. 114 f.
[81] Interview von Brigitte Zimmermann und Hans-Dieter Schütt mit Werner Eberlein vom 17. Dezember 1991, in: Schütt, Hans-Dieter/Zimmermann, Brigitte (Hrsg.): ohnMacht. DDRFunktionäre sagen aus, Berlin 1992, S. 44–65, hier S. 46.
[82] Siehe Eberlein, Werner: Geboren am 9. November. Erinnerungen, Berlin 2000, S. 410–414.
[83] Wolle, Stefan: Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971–1989, Bonn 1998, S. 197.
[84] Ebenda. Siehe auch ebenda, S. 198–201.
[85] Bouvier: Die DDR (Anm. 10), S. 197.
[86] Zitiert bei Hertle, Hans-Hermann: Die Diskussion der ökonomischen Krisen in der Führungsspitze der SED, in: Pirker: Der Plan (Anm. 34), S. 309–345, hier S. 314.
[87] Erich Honecker reagierte so: »Wir können doch nicht von heute auf morgen die ganze Politik ändern. Was vorgeschlagen wird, bedeutet tiefe Einschnitte in die Politik. Wir müßten vor’s ZK gehen und sagen: Wir haben das nicht vorausgesehen oder wir haben Euch belogen.« Ebenda, S. 315. Allein Schürer schlug im Mai 1978 erneut Alarm und sagte für das Jahresende eine Schuldenhöhe von 21,3 Milliarden Valutamark voraus. Ebenda, S. 317.
[88] Protokoll des Gesprächs mit Winnig (Anm. 76), S. 8.
[89] Diese Kritik hielt Helmuth Winnig im Gespräch nach wie vor aufrecht: »Im Unterschied zu Alois Pisnik lief es bei Werner Eberlein so ab, daß er, wenn er einen Brief schreiben sollte, vorher gefragt hat: ›Der Termin ist fällig. Wie schätzt ihr die Lage ein? Was soll ich schreiben?‹ Und wir wußten dann Bescheid. Der Genosse Pisnik hat das im Alleingang gemacht. Worüber er da wirklich berichtete, das wußten wir nicht. Das ist natürlich kritikwürdig.« Ebenda, S. 8.
[90] Ebenda, S. 9.
[91] So die Einschätzung des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung Dresden, Hans Modrow. Protokoll des Gesprächs mit Modrow (Anm. 8), S. 19.
[92] Hierzu Helmuth Winnig: »Es war doch ein Leichtes – wenn man das Beispiel Strickwaren nimmt – zu sagen: ›Und was macht euer Strickwarenbetrieb Ilsenburg? Erfüllen sie den Plan oder übererfüllen sie ihn?‹ Viele dieser Betriebe waren ja im Bezirk Magdeburg selbst angesiedelt. Damit war das natürlich ein Bumerang, der auf den Bezirk zurückgehen konnte.« Protokoll des Gesprächs mit Winnig (Anm. 76), S. 9.
[93] Ebenda, S. 7 f.
[94] Siehe etwa die Erinnerungen seines Abteilungsleiters Janson: Totengräber der DDR (Anm. 16).
[95] So Richard Wilhelm, von 1960 bis 1990 LDPD-Volkskammerabgeordneter und seit 1962 Mitglied des Bezirksausschusses Magdeburg der Nationalen Front. Wilhelm, Richard: »Soviel Lichter müssen uns noch aufgehen«, in: Hoffmann, Gertraude/Höpcke, Klaus (Hrsg.): »Das Sicherste ist die Veränderung«. Hans-Joachim Hoffmann: Kulturminister der DDR und häufig verdächtigter Demokrat, Berlin 2003, S. 71–75, hier S. 74. Auch der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Neubrandenburg, Johannes Chemnitzer, führt Pisniks Ablösung »ganz eindeutig auf [das] Betreiben von Mittag« zurück. Protokoll des Gesprächs mit Chemnitzer (Anm. 8), S. 18.
[96] Information über den Erfahrungsaustausch der Abteilung Parteiorgane beim ZK über die Durchführung der Richtlinien des ZK zu den Aufgaben der Parteiinformation am 9. Juni 1961, in: SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A/752, Bl. 17.