JHK 2006

Wer war »Ralf Forster«? Der Leiter der DKP-Militärorganisation im Spiegel der Erinnerung und der MfS-Akten

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 297-310 | Aufbau Verlag

Autor/in: Hermann Weber

Erst sehr spät, im Jahr 2004, wurde eine gefährliche, illegale und absurde Aktivität der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) zur Unterminierung der alten Bundesrepublik aufgedeckt, die von der SED-Führung initiiert und finanziert wurde: die so genannte Militärorganisation (MO). Seit 1969/70 bildete die politische Sekte DKP auf dem Territorium der DDR spezielle »militärische Kader« aus. Damit sollten verlässliche Personen bereitstehen, die im Krisenfall Sabotage betrieben und bei einem kriegerischen Ost-West-Konflikt die Streitkräfte des Warschauer Paktes als eine Art bewaffnete Partisanengruppe im Westen unterstützten. Es handelte sich im Sinne der Tradition der deutschen Kommunisten um eine spezielle Militärorganisation der Partei. Dieses aufwändige Unternehmen haben MfS und NVA gemeinsam und völlig geheim geleitet; die »Kader«, die militärisch und politisch geschult wurden, hatte die DKP zu rekrutieren. Natürlich waren nur die Spitzenfunktionäre von SED und DKP über die Vorgänge eingeweiht.

Die streng konspirative Tätigkeit lief fast 20 Jahre lang, von 1970 bis 1989, unter der Tarnbezeichnung »Gruppe Forster«. Nach dem Zusammenbruch der DDR gab es Hinweise auf diese Kampfgruppe, aber ein Ermittlungsverfahren gegen führende Personen wurde 1993 eingestellt. Insgesamt blieben die Aktivitäten der Gruppe und der Person ihres verantwortlichen Leiters »Ralf Forster« weitgehend im Dunkeln.[1] Erst im Mai 2004 dokumentierte die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, auf einer Pressekonferenz die Existenz der »Gruppe Forster«.[2]

Im Folgenden steht weniger die »Gruppe Forster« selbst im Mittelpunkt, als vielmehr die Person des Namensgebers. Aufgrund meiner Erinnerungen als Zeitzeuge und der Einsicht in die Hinterlassenschaft im MfS-Archiv konnte ich dessen Biographie rekonstruieren, allerdings nur schrittweise. Daher sind hier die Etappen der Erkenntnisgewinnung dokumentiert.

Persönliche Begegnung mit Harry Schmitt in der 50er Jahren

Wer sich hinter dem Namensgeber der ominösen »Gruppe Ralf Forster« verbarg, war auch mir zunächst unklar. Schließlich entdeckte ich in den erhaltenen Akten des MfS die Identität Ralf Forsters. Es war kein anderer als Harry Schmitt, ein mir längst bekannter KPD-Funktionär. Auf dessen »Fall« stieß ich bei den Recherchen für die Fortsetzung meines Buches Damals, als ich Wunderlich hieß.[3] Meine Frau Gerda Weber und ich waren dazu intensiv mit den 50er und 60er Jahren befasst. In dem Fortsetzungsband mit dem Titel Ein Leben mit dem »Prinzip Links«. Vom Kalten Krieg bis zur Diktatur-Aufarbeitung, der im Herbst 2006 im Ch. Links

Verlag erscheinen wird, ist die Zeit nach 1949 skizziert. Erneut waren persönliche Erinnerungen des Zeitzeugen mit der Analyse des reflektierenden Historikers zu verbinden, also Aktenstudium angesagt.

Zu Rate zog ich dafür auch Notizen vom September 1953, die ich mir im Gefängnis gemacht hatte: Damals, im Jahr 1953, saßen wir nämlich wegen unserer Tätigkeit für die KPD, die Freie Deutsche Jugend (FDJ) und den Demokratischen Frauenbund Deutschland (DFD) in Untersuchungshaft, meine Frau Gerda in Heidelberg und ich in Essen. Allein eingesperrt in einer Zelle, entstand die Idee, eine Arbeit über »die Funktionäre« im Kommunismus zu versuchen. Meine Überlegung ging dahin, kommunistische Funktionäre, ihre Sozialisation, ihr Wirken mit gebrochenem Rückgrat und ihre unbedingte Einsatzbereitschaft für »die Partei«, zugleich deren sklavische Unterordnung unter die jeweilige Führung zu analysieren und dabei eigene Erlebnisse mit vielen solcher Kader festzuhalten. Ich betrachtete es als historisch wichtig, hinter das Phänomen zu kommen, warum und wie diese Kommunisten als stalinistische »Apparatschiks« »funktionierten«.

Zahlreiche führende Altkommunisten, die ich bis 1953 kennen gelernt hatte, ignorierten die Schrecken des Stalinismus. Das bestätigte den Ausspruch unserer Freundin Rosa Meyer-Leviné: »Keiner ist so blind wie der, der nicht sehen will.« Mir schien das aber bedeutend genug, um sich gründlich mit »dem kommunistischen Funktionär« zu beschäftigen. Mehrfach hatte ich erlebt, wie der – lautstark Thälmann kopierende – KPD-Vorsitzende Max Reimann und andere Mitglieder des Parteivorstandes eingeschworen auf Stalin und die Sowjetunion agierten. Gleiches galt zunächst für seine Stellvertreter Kurt Müller und Fritz Sperling, oder Willi Prinz, bis sie dann persönlich in die Mühlen der fürchterlichen »Säuberungen« gerieten. Als Funktionärstyp wirkten sie allerdings ebenso faszinierend wie etwa die Schwaben Hermann Nuding oder Robert Leibbrand. Und wieder völlig anders meine Erfahrungen mit Willy Boepple und Jakob Ritter in Mannheim. Erst recht interessant war das Verhalten der SED-Führer, denen ich begegnete, seien es Walter Ulbricht, Erich Honecker, Anton Ackermann oder Wilhelm Pieck.[4]

Längst bin ich durch Untersuchungen über die KPD der Weimarer Republik zu neuen Einsichten gelangt, registriere den Unterschied zwischen den frühen Kommunisten und denjenigen, die während der Stalinisierung in der Partei blieben, weiter mitmachten.[5] Inzwischen ist nachgewiesen, dass von den 1 400 deutschen kommunistischen Spitzenkadern der Jahre 1918 bis 1945 fast jeder Dritte gewaltsam ums Leben kam. Davon fielen 222 Kommunisten dem Terror Hitlers zum Opfer, aber auch 178 dem Stalins. Das zeigt die ganze Dramatik und Tragödie der deutschen kommunistischen Bewegung, die ich damals, 1953, erst ansatzweise begriffen hatte.

Im Oktober 1953 aus dem Gefängnis entlassen, merkte ich rasch, dass mein Plan seinerzeit nicht zu verwirklichen war, behielt das Thema aber stets »im Auge«. Bei der jetzigen Arbeit an Ein Leben mit dem »Prinzip Links« stieß ich neben anderen Personen auch auf Harry Schmitt. Er war mir in den 50er Jahren als Mitarbeiter im KPD-Vorstand begegnet, ein unermüdlicher, hartgesottener, fanatischer und letztlich wohl auch gewissenloser Apparatschik. Bereits damals stellte er den Prototyp des »Kaders« dar, der im Parteiapparat skrupellos wirkte, einige Schlagzeilen machte, aber insgesamt kaum auffiel, weil er hinter den Kulissen die Fäden zog.

Das erste Mal traf ich Harry Schmitt 1950 beim KPD-Parteivorstand in der Frankfurter Gutleutstraße. Dort war er in der Kaderabteilung für die »Reinheit« der Partei verantwortlich, hatte also »Abweichler« und »Feinde« ausfindig zu machen, sie wachsam zu beobachten, zu entlarven und »auszumerzen«. Der damals 31-jährige asketische Mann entsprach mit seinem Charakter seiner Funktion: Er war misstrauisch und völlig humorlos. Außerdem organisierte er Schulungen, die von der Agit-Prop-Abteilung gestaltet wurden. Zu dem Zweck war ein »Sozialistisches Forum« eingerichtet worden, das seit Herbst 1948 »marxistisch-leninistisches Gedankengut« verbreiten sollte. Im »Semester« von März bis Mai musste ich am 29. März 1950 zum Thema »Die Gründung der DDR – ein Wendepunkt in der Geschichte Europas« referieren. Über Inhalte hatte Schmitt nicht mit mir geredet, sondern über eventuelle Störungen der Veranstaltung – die freilich ausblieben. Als »Titoisten« und »Trotzkisten« im April 1951 in der Bundesrepublik die Unabhängige Arbeiterpartei (UAP) gründeten, betätigte sich Schmitt als übereifriger Agentensucher; seine Beschimpfungen der »Trotzkisten« übertrafen sogar die offizielle stalinistische Version. 

Im Pressedienst stammte der maßgebliche Artikel gegen Parteifeinde aus Schmitts Feder, was dessen neue Bedeutung als »Obersäuberer« der KPD unterstrich. Der Sozialistische Informationsdienst der KPD veröffentlichte Schmitts Referat auf einer »Konferenz der verantwortlichen Genossen der Abteilung Kaderpolitik und der Org.-Sekr. der Landesvorstände am 11./12. 1. 1950« über die »parteifeindliche Bewegung«.[6] Darin behauptete er, die »heutigen Parteifeinde« würden »im Auftrage der kriegstreiberischen Imperialisten ihre Agentendienste in unserer Partei und den Massenorganisationen durchführen«. Nun galt jeder »Parteifeind« als »Agent«. Um die Warnung zu bekräftigen, berief er sich auf Stalin und auf die Vernichtung des »Verrätergeschmeißes«, das »im Auftrage der Gestapo diese Terrorakte in der Sowjetunion durchführte. Sie selbst gestanden es während der Prozesse«. Die ganze Heuchelei dieser verlogenen Bemerkungen Schmitts wurde mir freilich erst viel später klar, nämlich nach Bekanntwerden seiner eigenen Haft in Moskau genau zur Zeit dieser »Prozesse«.

1950 war Schmitt für mich ein unbeschriebenes Blatt, deshalb wollte ich herausfinden, woher er eigentlich kam. Genaue Einzelheiten über ihn und seinen Vater Heinrich Schmitt wusste ich 1950 zwar noch nicht, aber immerhin schon wesentliche Daten. Damals überlegte ich: Ist Harry etwa ein so fanatischer Stalinist und »Säuberer«, weil er sich vom »Makel« des Vaters zu »befreien« versucht? Denn zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass Heinrich Schmitt bereits in der Weimarer Republik ein bekannter kommunistischer Funktionär war.[7] Dieser übersiedelte nach dem Ersten Weltkrieg nach Halle (wo Harry am 17. September 1919 geboren wurde), war als Kommunist Betriebsratsvorsitzender in den LeunaWerken und 1928 Reichstagsabgeordneter. Nachdem er 1929 als »Versöhnler« abgesetzt wurde, ging er einige Zeit in die Sowjetunion, saß aber dann in Deutschland von 1935 bis 1945 als kommunistischer Widerstandskämpfer gegen Hitler im Zuchthaus. Heinrich Schmitt kam 1945 für die KPD als Staatsminister in die bayerische Landesregierung, trat im Juli 1946 zurück und verließ im Oktober 1947 die KPD. Er blieb als Geschäftsmann weiterhin in München, wo er am

13. August 1951 starb. Ob Harry Schmitt zur Beerdigung seines »abtrünnigen« Vaters Heinrich nach München gefahren ist?

Öfter sah ich ihn erst wieder, als die FDJ- und auch die KPD-Führung nach Düsseldorf umgezogen waren. Gerda und ich wohnten seit Sommer 1950 mit Harry Schmitt im selben Haus in der Kiefernstraße 2. Ab und zu begegneten wir uns, aber mehr als ein »Guten Tag« wurde kaum gewechselt.

Harry Schmitt hatte inzwischen Edith Gebauer geheiratet, die ich schon aus Frankfurt am Main kannte, wo sie im Zentralbüro der FDJ als eine tüchtige Stenotypistin arbeitete. Die damals junge (Jahrgang 1930), immer freundliche und einsatzwillige FDJlerin, allseits wegen ihrer netten Art beliebt, kam aus Bayern (allerdings war sie als Kind in Lodz aufgewachsen).

Im Frühjahr 1951 hatte uns Edith überraschend in unserer Wohnung aufgesucht und sich weinend über Harry beklagt. Wir nahmen an, er hatte sie geschlagen. Wir waren empört, dass ein hoher, fanatischer kommunistischer Funktionär seine eigene Frau so rabiat behandelte und fragten uns: Wie geht der wohl bei entsprechender Gelegenheit mit fremden Menschen um? Wir sahen das Ehepaar nur noch selten. Er begegnete mir schroffer, vielleicht hatte sie ihm berichtet, dass sie uns ihr Herz ausgeschüttet hatte. Bald verschwand die Familie Schmitt dann aus unserem Gesichtsfeld.

Harry Schmitts Werdegang: Opfer stalinistischer Säuberungen und  pensionierter Altkommunist in Berlin-Pankow

Auf den Namen Harry Schmitt stieß ich erst wieder, als ich in den 80er Jahren über das Schicksal deutscher Kommunisten in der Sowjetunion Stalins forschte. Zunächst war mir freilich nicht bewusst, um wen es sich bei »Harry Schmidt«, einem in den »Säuberungen« Verfolgten, handelte, deshalb hieß es in der 2. Auflage der Weißen Flecken vom Januar 1990 nur lapidar und keineswegs korrekt: »Schmidt, Harry. KPD-Funktionär, er wurde in der Liste Wilhelm Piecks an Dimitroff vom April 1938 als verhaftet aufgeführt, ist seither verschollen.«[8] Als ich später anhand von Akten genaueres erfuhr, konnte ich kaum fassen, dass dieser »Schmidt« der mir als übereifriger Stalinist bekannte Funktionär Schmitt war und er tatsächlich zu den in der Säuberung Verhafteten gehörte. Er war mit seinem Vater Heinrich und seiner Mutter Anna 1933 in die Sowjetunion gekommen, besuchte in Moskau die Karl Liebknecht-Schule, wurde 1934 Mitglied des Komsomol, ab 1936 sowjetischer Staatsbürger und Schlosser in einem Forschungsinstitut. Am 17. Februar 1938 wurde Harry Schmitt vom NKWD festgenommen. (Etwa als Sohn eines »Versöhnlers«? Dieser saß damals aber im Nazi-Zuchthaus.) In der Lubjanka als 18-jähriger Häftling misshandelt, wurde Schmitt wie andere junge deutsche Emigranten beschuldigt, in einer illegalen »Hitlerjugend« in Moskau aktiv zu sein, die »Stalins Ermordung« plante. Eine noch verrücktere Anschuldigung als die übrigen, die in den 30er Jahren gegen die vom NKWD verhafteten deutschen Kommunisten erhoben wurden. Schmitt wurde am 10. Oktober 1938 zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt, aber bereits 1940 aus dem Moskauer Butyrka-Gefängnis entlassen. Schließlich meldete er sich dann 1942, trotz (oder wegen) dieser Erfahrungen freiwillig zur sowjetischen Armee.

Vom »Rotarmisten« ist Harry Schmitt nach Fallschirm-Einsätzen, Tätigkeit bei den Partisanen und Dienst in der Geheimpolizei zum »Gardeoffizier« aufgestiegen. Warum 1940 seine vorzeitige Freilassung erfolgte und wie er als ehemals verurteilter »Volksfeind« später solche Karriere machte, wusste er zu verbergen. Mit Sowjettruppen kam Schmitt nach Deutschland und wurde im Sommer 1945 der westdeutschen KPD überstellt; er war zunächst Kreissekretär in Würzburg, dann wie sein Vater in München. Schließlich arbeitete er ab 1949 als Funktionär im Apparat des Parteivorstands. 1950 herrschte über Schmitts Biographie strengstes Stillschweigen.

Während meiner Nachforschungen in den 80er Jahren interessierte mich besonders, wieso ein Funktionär mit diesem Lebenslauf ein stalinistischer »Schnüffler« wurde, der nun seinerseits »Parteifeinde« aufspüren wollte und sollte. Für mich blieb es ein unlösbares Rätsel, ich wusste ja auch nicht, ob er noch lebte, und wenn ja, wo. 

Im Dezember 1998 fand ich im DKP-Blatt UZ (Unsere Zeit) einen Leserbrief von »Harry Schmitt, 13156 Berlin«. Der Tenor deutete ganz auf den »Altkommunisten« Schmitt: Er beschwerte sich, die DKP habe den 100. Geburtstag von Max Reimann zu wenig gewürdigt und beendete seine »Leserzuschrift« mit den Worten: »Die alten Kommunisten mit ihrer immer treu zur Partei und unserer Idee gestanden habenden Vergangenheit gehören auch in der Gegenwart zur DKP – und, nicht als Überheblichkeit zu verstehen, gehört die DKP auch uns noch lebenden ›Altkommunisten‹ die wir sie konstituiert haben.« 

Das klang nach dem Apparatschik, dem ich 1950 begegnet war. Aber was hatte er während dieser Jahrzehnte getan? Im September 1999 las ich in der UZ zum 80. Geburtstag »Harry Schmitts« zwei Anzeigen, eine vom DKPBezirksvorstand Berlin und eine von »Edith für alle unsere Schmitts«. Voller Lob über den »Offizier der Roten Armee« und »leitenden Funktionär der KPD in West-Deutschland«. Also war es der mir bekannte Harry Schmitt. Dann stand im November 1999 in der UZ eine Todesanzeige, Harry Schmitt war am 27. Oktober 1999 in Berlin gestorben. Er wurde nun über alles geehrt als »echter Bolschewik«, als »unerschrockener, standhafter Kommunist im Geiste von Ernst Thälmann«. Der Parteivorstand der DKP versprach, »in seinem Sinne für eine sozialistische Alternative weiter« zu kämpfen. Und seine »DKP-Gruppe Berlin-Nordost« bescheinigte ihm, »bis zuletzt« ein »erfahrener Erzieher« für die nachfolgende Generation gewesen zu sein.

Außer solchen Floskeln kein Wort über Schmitts wahre Tätigkeit. Später entdeckte ich im Berliner DKP-Organ Rotfuchs einen Nachruf »zum Tod eines Kommunisten«. Harry Schmitt sei in den 60er Jahren »Sekretär des Politbüros der KPD« und dann »leitender Mitarbeiter des PV«, des Parteivorstandes der DKP, also »das Beispiel eines proletarischen Internationalisten« gewesen. Seinem »letzten Willen entsprechend« wurde die Urne beim Begräbnis in die »Sowjetfahne mit Hammer, Sichel und Stern gehüllt«. Wichtiger als die Schilderung dieses gespenstischen Zeremoniells noch im Jahr 1999, acht Jahre nach dem Ende der Sowjetunion, war der interessante Hinweis, dass es gegen Schmitt »ein Verfahren wegen unterstellter Agententätigkeit der DKP und SED zu Sabotagezwecken« in der Bundesrepublik gegeben habe. Doch: »Der Vorgang mußte eingestellt werden«. Aber über die »Gruppe Forster« wurde nichts mitgeteilt.

Die Frankfurter Rundschau veröffentlichte (wie vorher im Mai Die Welt und die Frankfurter Allgemeine Zeitung; siehe Anm. 2) 2004 nach den Enthüllungen von Marianne Birthler einen Artikel von Karl-Heinz Baum, dem ehemaligen Korrespondenten in der DDR.[9] Auch in seinem Bericht über die illegale Zersetzungsgruppe der DKP »Ralf Forster« erwähnte er den Namen Harry Schmitt. Und als ich dankenswerter Weise von der Birthler-Behörde die relevanten StasiUnterlagen bekam, war ich sicher: Ralf Forster – das ist Harry Schmitt. 

Harry Schmitt als Leiter der Gruppe »Ralf Forster«

Mit den heute zugänglichen Archivalien[10] sind Harry Schmitts Wege zu rekonstruieren und »Forsters« Aktivitäten zu belegen. Er zog 1953 samt Familie in die DDR, zunächst kurz nach Brandenburg (Havel), wo auch seine Mutter Anna nach ihrer Rückkehr aus der Sowjetunion angesiedelt wurde. Danach lebte er bis zu seinem Tod in Ost-Berlin, und hier allerdings mit einer Doppelidentität. In der DDR war er Mitglied der SED und ihrer Massenorganisationen sowie als Abteilungsleiter für Koordinationsfragen im Büro des Ministerrates der DDR beschäftigt (dort ab 1. September 1987 formelle Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nun »Rentner«). Dahinter verbarg sich in Wahrheit aber eine jahrelange konspirative Tätigkeit für die illegale KPD und danach für die DKP. 

Ab den 70er Jahren war Schmitt zudem »positiv erfaßt für MfS Berlin, BdL II (Büro der Leitung), Oberst Harnisch«. Seit der Gründung und Legalisierung der DKP besaß er als »Staatsangehöriger BRD« (offensichtlich in Frankfurt am Main gemeldet) eine »Dauer-Einreise-Avisierung« [sic!] für die DDR über den Bahnhof Friedrichstraße mit einer »Dauereinlaßkarte des ZK der SED«.

Während Harry Schmitt mit der Familie offiziell in Ost-Berlin gemeldet war und dort auch wohnte (zwei Söhne und ein Schwiegersohn wurden hauptamtliche Mitarbeiter des MfS), gehörte er tatsächlich zur Spitzenführung der seit 1956 verbotenen westdeutschen KPD. Er war Kandidat des ZK der illegalen Partei und verantwortlich für Kaderfragen. Sogar auf der Teilnehmerliste der konspirativen Tagung des 54köpfigen ZK im März 1966 ist er namentlich registriert (wie Jupp Angenfort, Manfred Kapluck, Herbert Mies, Albert Buchmann, Max Reimann, Fritz Rische, Fritz Salm, Karl Schabrod oder Gustav Müller)[11], zunächst trug er noch den Parteinamen »Lutz«. Doch schon 1967 erhielt das MfS vom rumänischen Sicherheitsdienst eine »Warnliste« der belgischen Polizei, auf der wieder der Name Harry Schmitt stand. Diese Liste wurde der Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) der illegalen KPD übergeben als »sogenannte Rote

Liste« westlicher Geheimdienste mit ca. 400 bis 500 Personen.[12]

Ab Gründung der DKP 1968 leitete Schmitt die Geheimarbeit der »neuen« legalen Partei, zwecks Tarnung blieb sein Wohnsitz jedoch Ost-Berlin. Da er bereits für die illegale KPD so genannte »Sicherheitsgruppen« organisiert hatte (einige Unterlagen darüber wurden 1966 vom MfS vernichtet), erledigte er nun ähnliche Arbeiten für die DKP. Zugleich saß er in der ZPKK der illegalen KPD, die ab Januar 1970 konspirativ auch für die DKP zuständig wurde. Was bedeutete, nur deren oberste Parteichefs Kurt Bachmann und Herbert Mies durften »mündliche Auskünfte erhalten«. Schmitts Hauptaufgabe war die Schaffung und Leitung einer Militärorganisation. In einem Bericht des MfS heißt es darüber eindeutig: Mit Gründung der DKP [1968] wurde Harry Schmitt von der »Parteiführung« der SED (!) beauftragt, eine »Gruppe Ralf Forster« zu bilden.[13] 

Seit 1969 musste das MfS, das Büro der Leitung (BdL II), die »Absicherung und Gewährleistung der speziellen Tätigkeit der neu gebildeten konspirativen Gruppe ›Ralf Forster‹« übernehmen. Darüber hieß es in diesem Schreiben wörtlich: »Die Parteiführung beauftragte den Gen. Harry Schmitt mit dem Aufbau und die [sic!] Leitung der Gruppe Ralf Forster. Sie stellte ihm die Aufgabe, bei der weiteren Entwicklung der Gruppe die Verbindung zum Ministerium für Staatssicherheit aufzunehmen. Dementsprechend erfolgten seinerseits mehrere Absprachen mit dem Gen. Minister für Staatssicherheit – und es fanden auch Abstimmungen mit dem Gen. Minister für Nationale Verteidigung statt. Das Aufgabengebiet der Gruppe Ralf Forster bildete sich erst 1969/70 heraus und diente der Absicherung illegaler Gruppen innerhalb der DKP, die sich u. a. auch mit militärischen Aufgaben beschäftigten. Nach Kenntnis des BdL (II) haben von der Existenz dieser Gruppe ›Ralf Forster‹ nur wenige Gen. des Politbüros der SED und des Präsidiums der DKP Kenntnis!« Der entscheidende Satz im MfS-Bericht lautete: »Die spezifische Aufgabe der Gruppe Ralf Forster besteht darin, Genossen der DKP auszuwählen, die verlässlich sind und die durch eine spezielle Schulung und Ausbildung für militärische Aufgaben in der BRD vorbereitet werden […].«

Die formale Leitung der »Gruppe Forster« hatte ein »Militär-Rat« der DKP, der ebenfalls in Ost-Berlin residierte. Aus den Unterlagen des MfS geht indes hervor, dass die tatsächliche Führung (einschließlich der finanziellen Versorgung) in den Händen von Ralf Forster, also Harry Schmitt lag, der die direkte Verbindung zum MfS-Chef Erich Mielke innehatte. Der »Militär-Rat« der DKP wurde ebenfalls vom MfS »betreut«. Im Schreiben der MfS-Führung heißt es dazu: 

»Der von der DKP gebildete Militär-Rat führt seine Tagungen in der Hauptstadt der DDR, Berlin, durch. Genutzt werden dafür Objekte der Abt. Verkehr der SED. Das Arbeitssubjekt der Gruppe R. F. wird allerdings nur von den dort tätigen hauptamtlichen Kadern genutzt, es finden keine Tagungen darin statt. Ab 1969 bis etwa Mai 1972 erfolgte die Lösung der erforderlichen Absicherungsaufgaben und Hilfeleistungen bei bestimmten Fragen gegenüber den Genossen von der DKP nur durch den Leiter des BdL (II) Gen. Oberst Harnisch selbst. Er koordinierte alle entsprechenden zu lösenden Aufgaben direkt mit dem Leiter der Gruppe Gen. Harry Schmitt. Alle genannten bzw. bekannt werdenden Kader der DKP die im Zusammenhang mit der Arbeit der Gruppe R. F. standen, wurden nach der Überprüfung in einem bereits bestehenden Sondervorgang beim Leiter des BdL (II) erfaßt. Im Ergebnis der Überprüfungen nach dem Gesichtspunkt ›Wer ist Wer‹, wurden entsprechende Hinweise zu Personen gegeben, bestimmte Materialien ausgetauscht und Sicherheitsprobleme beraten.«[14]

Das ist deutlich genug. Zunächst fanden die militärischen Ausbildungen in Ungarn sowie der ČSSR statt. Als sich nach Abschluss des Moskauer Vertrags 1970 auch deren Beziehungen zur Bundesrepublik besserten, wollten Prag und Budapest die »Ausbildung« der »Gruppe Forster« einstellen, daher musste die DDR nun die Verantwortung für westdeutsche Zersetzungsgruppen übernehmen. Forster persönlich, also Harry Schmitt, behielt indes weiterhin »besonders Kontakte« nach der »VR Ungarn, der ČSSR sowie nach Österreich und Dänemark«.

Aus konspirativen Gründen trug Harry Schmitt in Karteikarten und anderen Papieren des MfS zwar das Pseudonym Ralf Forster, doch weil darin sowohl der Geburtsort Halle und Geburtsdatum 17. 9. 1919 festgehalten waren – wie seinerzeit bei mir als »Wunderlich« – ist die wirkliche Identität Forster-Schmitt leicht nachzuweisen. Aus der Stasi-Hinterlassenschaft ist außerdem zu belegen, dass Harry Schmitt alias Ralf Forster den Militärapparat »Gruppe Forster« mit zuverlässigen Funktionären wie ein ungekrönter König beherrschte. Die direkte militärische Ausbildung in der DDR erfolgte durch die Nationale Volksarmee. Abgeschirmt wurde die Gruppe vom Ministerium für Staatssicherheit, und das war zuständig bis hin zur Finanzierung von »Forsters Männern«, die in einem geheimen »Objekt« für Sabotage und in anderen Fächern geschult wurden. Schon 1976 waren vom MfS für die »Gruppe Forster […] 285 Kader […] absicherungsmäßig erfaßt«, wovon 28 Funktionäre bereits bis dahin vier »Lehrgänge« besucht hatten.

Für deren Ausbildung im »Objekt Springsee« wurden im Juli 1974 die »in der NATO/BuWe üblichen Handfeuerwaffen« angefordert, sowie Handschellen, Knebelketten und Schlagringe. Später wurde sogar mit zahlreichen Chemikalien experimentiert. Handschriftlich ist auf der Akte vermerkt: »Der Minister [also Mielke] hat bereits Zusage gegeben«. Pro Jahr sollten »45 Personen« geschult und für jede Waffe »3 000–4 000 Schuß« bereitgestellt werden. Zur »Betreuung« durch das MfS gehörte auch die »Beschaffung« von »Arbeitsobjekten«, also geheimen Ausbildungsorten. Aus den MfS-Unterlagen geht hervor, welche Ressourcen »Forster« und seiner Gruppe zur Verfügung standen. Beispielsweise hieß es dazu: 

»Das bis Januar 1975 von der Gruppe R. F. genutzte Arbeitsobjekt (Eigentum des ZK der SED) in Berlin-Lichtenberg, lief unter der Abdeckungsbezeichnung ›Projektnormierung‹. Aufgrund von Feststellungen der Gruppe R. F. im Dezember 1974, daß ihr Arbeitsobjekt dekonspiriert – dem Bundesverfassungsschutz und dem englischen Geheimdienst – bekannt ist, wurde dieses Objekt im Austausch mit dem Objekt der Abt. Feriendienst des MfS in Berlin – Grünau, Regattastraße 141, an das MfS ›BdL‹ übergeben. Seit Februar 1975 wird nun dieses Objekt unter der Abdeckungsbezeichnung ›Zentralmechanisierung der Vereinigung Wirtschaftsbetriebe des Ministerrates der DDR‹ als neues konspiratives Arbeitsobjekt durch die Gruppe Ralf Forster genutzt. Die politisch-operative Absicherung des Objekts erfolgt durch das BdL (II) und die innere Objektabsicherung sowie die materiell-technische Versorgung erfolgt durch die AG II der HA PS, wobei eine enge Zusammenarbeit zwischen diesen 2 DE mit dem Ziel der ständigen allseitigen Objektabsicherung erfolgt. Es wurde auch zeitweilig ein Sonderobjekt von der HA VI von den Gen. der Gruppe R. F. in Berlin-Köpenick genutzt. Durch die NVA wurde für die Gruppe R. F. ein Ausbildungsgebiet mit einer besonderen Ausbildungsbasis – unter der Bezeichnung Objekt A – im Raum Storkow zur Verfügung gestellt. Diese Ausbildungsbasis wird allerdings nur jeweils in der Zeit der stattfindenden militärischen Ausbildungen – also 2–3-mal jährlich – von der Gruppe R. F. genutzt. In den Zwischenzeiten wird dann das Objekt von der NVA genutzt bzw. gewartet. Nach vielen Kader- und organisatorischen Vorbereitungen durch die Gruppe R. F., bei denen dem BdL (II) alle Kaderüberprüfung sowie auch materiell-technische und die operative Absicherung dieser Sonder-Ausbildungsbasis zufielen, wurde der 1. Lehrgang mit 6 Kadern aus der BRD vom 1. 9. 74 bis 20. 11. 74 mit Erfolg durchgeführt.«[15] Aus dem Stasi-Kauderwelsch geht die Rolle der »Gruppe Forster« ebenso hervor wie der Aufwand, der für sie in der DDR getrieben wurde.

Es ist bemerkenswert, wie viele DKP-Mitglieder schon in der Anfangsphase in die geheime militärische Ausbildung einbezogen wurden. Über deren Praktiken notierte das MfS: »Mit dem Stand vom 2. 6. 76 sind für die Gruppe Ralf Forster insgesamt 285 Kader der DKP sowie Gen. der SED, absicherungsmäßig erfaßt. Davon 224 BRD-Personen, 3 WB [West-Berlin]-Personen und 58 DDR-Personen. In insgesamt 11 Sondervorgängen des BdL (II) sind davon 243 Personen erfaßt. In 13 Sondervorgängen des BdL (II) in den Bezirksverwaltungen des MfS sind da von 42 Personen erfaßt. Von den 285 erfaßten Personen sind u. a.: 28 Teilnehmer von 4 Lehrgängen bei der Gruppe R. F.; 16 ausgeschiedene Kader der Gruppe R. F.; 2 Kuriere (in Westberlin wohnhaft); 136 für die Gruppe R. F. zur Auswahl für Lehrgangsteilnehmer überprüfte Kader der DKP – darüber wurden 136 Auskunftsberichte gefertigt, die der Gruppe R. F. zur Auswertung übergeben wurden. […] In 54 Monaten wurden also insgesamt 1 312 Schleusungen von 82 Mitarbeitern der Gruppe Ralf Forster (ein- bis mehrmalige Schleusungen der einzelnen Mitarbeiter) durchgeführt. Davon erfolgten 1 167 Schleusungen mit 43 Personen über die GÜST [Grenzübergangsstelle] Berlin – Bhf. Friedrichstraße und 145 Schleusungen mit 36 Personen über die GÜST ZF Berlin-Schönefeld […]. Die Mitarbeiter der Gruppe Ralf Forster wurden entsprechend den gestellten Anforderungen von uns mit operativen Dienstdokumenten und Ausweisen versorgt.«[16]

 Fast bedauernd wurden vom MfS allerdings auch eigene Schwierigkeiten registriert: »Hierbei ergibt sich aber, daß die in der BRD wohnhaften und tätigen Kader der DKP, die überwiegend durch die Gruppe R. F. für die speziellen militärischen Aufgaben verpflichtet wurden, keinerlei operativen Kontrollen durch uns in der BRD unterliegen; Mängel in der Zusammenarbeit bestehen auch dahingehend, daß zur Kaderauswahl der Kursanten für die speziellen militärischen Lehrgänge auf Anforderungen der Gruppe R. F. von uns konkrete Auskunftsberichte – unter Kontrolle des Sekretariats des Gen. Minister – übergeben werden. Diese Ergebnisse werden zur Einschätzung der zur Auswahl stehenden Kader von der Gruppe R. F. genutzt, jedoch erhalten wir keinen Rücklauf betreffs der weiteren Feststellungsergebnisse zu diesen Personen sowie den weiteren getroffenen Entscheidungen betreffs ihres weiteren künftigen Einsatzes bzw. den Gründen der Ablehnung. […] Aufgrund des Charakters dieser Gruppe, der speziellen Ausbildung dieses Apparates für besondere Aktionen in der BRD, können die Absicherungsaufgaben auf unserer Linie nicht allseitig gelöst werden; Dementsprechend wurden vom Leiter des BdL (II) bereits entsprechende Vorschläge dem

Gen. Minister bzw. dem Gen. Generalleutnant zugeleitet«.[17]

Diese geheimen militärischen Machenschaften Ost-Berlins gegen die Bundesrepublik kosteten die DDR über die Jahre hinweg Unsummen. Bei der Abteilung Finanzen des MfS gab es für die Gruppe Forster ab 1973 einen eigenen Haushaltsplan, den Mielke zwar bestätigen musste, über den aber Schmitt-Forster verfügte. Belegt ist: Auf seine Anforderungen hin wurden beispielsweise im November 1975 310 000 DM (West) und 75 000 Mark (Ost) sowie 69 000 ungarische Forint und 15 000 Kronen der ČSSR abgerufen, oder im März 1983 250 000 DM (West), aufgeschlüsselt in 1 000- und 500-Mark-Scheine, ausgezahlt. Das Geld wurde stets per Unterschrift »R. Forster« abgerufen. Für den Haushaltsplan der »Gruppe Forster« waren z. B. 1974 2,3 Millionen, für 1976 2,2 Millionen eingesetzt. In den fünf Jahren von 1981 bis 1985 erhielt »Forster« für die Aktivitäten, nachweislich knapp 15 Millionen, darunter 10,8 Millionen DM (West). Hier als Beispiel ein Dokument über die Modalitäten der Finanzierung:

»Mit Schreiben vom 24. April 1984 bittet der Gen. ›Ralf Forster‹, ihm aus seinem ›Konto Forster‹ – Haushaltsplan 1984 – im Laufe der nächsten Tage folgende Beträge zur Verfügung zu stellen: in Mark 150 000,00 (Einhundertfünfzigtausend – in 100- und 20-Mark-Scheinen); in DM 150 000,00 (Einhundertfünfzigtausend – in 500- und 100-Mark-Scheinen). Ich bitte um Auszahlung. Blank Oberstleutnant«.

Das Konto »Ralf Forster« wurde übrigens per MfS-Order erst am 28. November 1989 aufgelöst. Dazu bemerkte der bislang zuständige Generalleutnant des MfS Kratsch lakonisch, das 1973 eingerichtete »Konto Forster« werde »mit sofortiger Wirkung nicht mehr benötigt«.[18]

1983 berichtete das MfS stolz, welche guten »Arbeitsmöglichkeiten« die »Organe« für Ralf Forster und seine »Gruppe« geschaffen hatten: »Der konspirativ tätigen Gruppe ›Ralf Forster‹ steht somit – unter unserer Kontrolle – ein inoffizielles Netz zur Verfügung, das für sie in bisher noch nie vorhandener Stärke und Qualität alle operativen Variationsmöglichkeiten der Nutzung zuläßt.«[19]

Seine angebliche Anstellung bei der Regierung der DDR diente mit diesem »Doppelleben« lediglich als bloße »Tarnung« durch das MfS. Denn ab September 1971 wurde »seitens des BdL«, also des Büros der Leitung des MfS »in Verbindung mit der HA XX«, beim Ministerrat »eine Institution abgedeckt [sic!] unter der Bezeichnung: DDR, Büro des Ministerrates, Koordinierungsstelle«. Für dieses ScheinArbeitsverhältnis sind sämtliche Sozialversicherungsbeiträge, die Bezüge usw. des Leiters und der führenden Funktionäre der »Gruppe Forster« abgeführt worden.

Harry Schmitt wusste seine zwielichtige Rolle hinter einem typischen »JanusGesicht« zu verbergen. Formal blieb er neben seinem offiziellen DDR-Scheinarbeitsverhältnis im DDR-Ministerrat sowie der Tarnung als SED-Funktionär (er war mit Klarnamen Harry Schmitt auch Mitglied des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft sowie weiterer Massenorganisationen) immer ein Mitglied in der KPD- bzw. DKP-Führung. Als solches gehörte Harry Schmitt z. B. der »Gästegruppe der DKP zur Teilnahme am X. Parteitag der SED« im April 1981 an.[20] Vor allem war er aber 20 Jahre lang der strikt konspirativ tätige »Ralf Forster«.

Dieser Mischmasch wurde in der »Legende« über sein Leben durch vielsagende Allgemeinplätze verschleiert. Harry Schmitts Bewertung hatte das MfS für die Unterlagen eines Sohnes beispielsweise so zusammengefasst:

»Der Gen. Sch. ist unmittelbar nach der Zerschlagung des deutschen Faschismus in verschiedenen Bereichen unserer Partei und des Staats erfolgreich tätig gewesen. Seine umsichtige Arbeit, seine Prinzipientreue und seine Qualitäten auf speziellen Gebieten gestatteten es, daß Gen. Sch. mit sehr wichtigen Aufgaben betreut wurde. Partei und Regierung würdigten seine Leistungen mit hohen staatlichen und gesellschaftlichen Auszeichnungen. Negative Fakten sind uns nicht bekannt.«[21]

Ein Hinweis lautete: »Spezialeinheiten der Roten Armee 1941–1945«, und an anderer Stelle war notiert:

»Harry Schmitt erlernte den Beruf eines Mechanikers/Technikers, leistete jedoch den überwiegenden Teil erfolgreiche Partei und Staatsapparatsarbeit. Alle von Partei und Regierung übertragenen Aufgaben löste der Genosse Schmitt mit besten Ergebnissen […] Unsere Partei und Regierung würdigten die Leistungen des Genossen Harry Schmitt mit hohen staatlichen und gesellschaftlichen Auszeichnungen. Im Wohn- und Freizeitbereich ist Genosse Schmitt, falls es seine fachlichen

Aufgaben gestatten, stets bereit, sich an zentralen Einsätzen usw. zu beteiligen.«

Das alles diente jahrelang der Vertuschung seiner führenden (illegalen) Funktion in der KPD bzw. DKP, vor allem aber der absoluten Geheimhaltung, dass Schmitt unter dem Decknamen »Forster« eine für die SED wichtige illegale Militärorganisation in der DDR gegen die Bundesrepublik leitete.

Trotz aller Machtfülle blieb er freilich immer in die stalinistischen Strukturen des DDR-Systems eingebunden. Während er einerseits (etwa am 11. Dezember 1972 in einer »Geheimen Verschlußsache«) das MfS um die »Observation« eines westdeutschen Bürgers in Ost-Berlin gebeten hatte, wurden andererseits im Überwachungsstaat DDR sogar IM-Berichte über ihn abgeliefert. Das war z. B. 1982 der Fall, als sich Schmitt mit dem Außenhandelsminister der DDR, Kurt Gregor, traf. Ja, selbst die Einstellung einer Putzfrau musste wegen seiner doppelten Identität vom MfS organisiert werden. Kurios, dass es anlässlich der »Republikflucht« einer DDRBürgerin zu Aufregungen kam, weil diese bereits vorher herumerzählt hatte, dass ihr Nachbar, der SED-Funktionär Schmitt »häufig nach Westdeutschland« fahre. Einiges spricht übrigens dafür, dass Schmitt sich auch als sowjetischer Agent betätigte.

Fast zwei Jahrzehnte hatte Schmitt (faktisch nur mit direkter Anweisung Mielkes) neben seiner DKP-Kaderarbeit eine der geheimsten Unternehmungen der DDR geleitet. Deren Ziel war es, die Bundesrepublik zu zersetzen und dort im Krisen- oder gar Kriegsfall »militärisch« einzugreifen. Erst mit dem Zusammenbruch des SED-Regimes endeten die teuren und gefährlichen konspirativunkontrollierten Planspiele und Schmitts Verschwörungs-Geheimapparat gegen die Bundesrepublik.

Mit der abenteuerlichen Politik der KPD- bzw. DKP-Spitze in der »Militärfrage« korrespondierte die nicht weniger abenteuerliche Karriere ihres langjährigen führenden Funktionärs Harry Schmitt. Das war zwar nicht unbedingt charakteristisch, aber doch symptomatisch für die Laufbahn eines kommunistischen Parteikaders und entsprach damit durchaus der Typologie eines ergebenen stalinistischen Apparatschiks. Vor allem aber: Schmitt-Forsters gefährliche, geheimnisvolle und kostspielige Mission, sein Leben mit einer doppelten Identität und nicht zuletzt seine skrupellosen Machenschaften »für die Sache« sind drastisch genug, um sie als Nachweis stalinistischer Praktiken nachträglich öffentlich zu machen.

 

 


[1]  Nach Fertigstellung dieses Artikels erschien erstmals eine kursorische Zusammenfassung der Tätigkeit der »Gruppe Forster«. Da auf den Leiter lediglich am Rande eingegangen wird, ist auf diesen wichtigen Aufsatz nur hinzuweisen. Baron, Udo: »Gruppe Ralf Forster«. Die geheime Militärorganisation von DKP und SED in der Bundesrepublik, in: Deutschland Archiv 38 (2005), H. 6, S. 1009–1016. 

[2]  Siehe zur damaligen Berichterstattung Heinen, Guido: »Sie werden lernen, den Gegner lautlos zu beseitigen«. Wie die DDR westdeutsche DKP-Kader für den Terrorkampf in der Bundesrepublik ausbildete, in: Die Welt vom 19. Mai 2004; Die DDR bildete einen militärischen Arm der DKP aus. Stasi-Unterlagen über die »Gruppe Forster« rekonstruiert, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. Mai 2004. Erstmals berichtete Der Spiegel in einer längeren Story über die Militärorganisation der DKP Anfang 1990, allerdings ohne diese als »Gruppe Forster« zu benennen. Schüsse am Scharmützelsee, in: Der Spiegel Nr. 1 vom 1. Januar 1990, S. 65–70.

[3] Weber, Hermann in Zusammenarbeit mit Gerda Weber: Damals, als ich Wunderlich hieß. Vom Parteihochschüler zum kritischen Sozialisten. Die SED-Parteihochschule »Karl Marx« bis 1949, Berlin 2002.

[4]  Siehe dazu die Beschreibungen in Weber: Damals, als ich Wunderlich hieß (Anm. 3).

[5]  Siehe die Einleitung zum Typus des Funktionärs in Weber, Hermann/Herbst, Andreas: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918–1945, Berlin 2004, S. 17–32.

[6]  Sozialistischer Informationsdienst vom 10. Februar 1950, Beilage, S. II ff.

[7]  Siehe zu seiner Person Weber/Herbst: Deutsche Kommunisten (Anm. 5), S. 680 f.

[8]  Weber, Hermann: Weiße Flecken in der Geschichte. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1990, S. 92.

[9]  Baum, Karl-Heinz: Knallkörper Pirat, 50 Stück, in: Frankfurter Rundschau vom 2. Juni 2004.

[10]  Siehe u. a. Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (im Folgenden: BStU) Zentralarchiv, MfS HA II/19, Nr. 2565, 13801, 23568, 31292, 28479, 28491, 1493, 3034 u. 14303 und BStU Zentralarchiv, MfS Abt. Finanzen, 384. Für die Unterstützung danke ich der Leiterin der Behörde, Marianne Birthler und ihren Mitarbeitern, insbesondere Herrn Roberto Welzel.

[11]  BStU Zentralarchiv, MfS, HA II, Nr. 31292.

[12]  BStU Zentralarchiv, MfS, HA II/19, Nr. 13801.

[13] BStU Zentralarchiv, MfS, HA II, Nr. 28479.

[14]  BStU Zentralarchiv, MfS, HA II, Nr. 28479.

[15]  BStU Zentralarchiv, MfS, HA II, Nr. 28479.

[16]  BStU Zentralarchiv, MfS, HA II, Nr. 28479.

[17]  BStU Zentralarchiv, MfS, HA II, Nr. 28479.

[18]  BStU Zentralarchiv, MfS, Abt. Finanzen, 384.

[19] BStU Zentralarchiv, MfS, HA II, Nr. 2879.

[20]  BStU Zentralarchiv, MfS, HA II/19, Nr. 14203.

[21] BStU Zentralarchiv, MfS, KS 16882/90.

Inhalt – JHK 2006

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