»Antikommunismus« gehört sicherlich zu den umstrittensten Begriffen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei bezieht sich die Auseinandersetzung sowohl darauf, was unter Antikommunismus zu verstehen ist, als auch auf die Bewertung des jeweils so Bezeichneten. Der Ausdruck »Antikommunismus« umfasst sehr unterschiedliche Phänomene, die lediglich das »Anti« gemeinsam zu haben scheinen: Sie richten sich gegen den Kommunismus, wobei dieser meist als Sowjetkommunismus gefasst worden ist. Doch diese Ablehnung kann pauschal oder differenziert, emotional oder rational begründet sein und sich mit sehr unterschiedlichen Positionen verbinden. Formen des Antikommunismus, die spezifische eigene Interessen verfolgen, können sogar selbst den Charakter einer Ideologie annehmen.
In den 70er- und 80er-Jahren wurden Phänomene, die man unter dem Begriff »Antikommunismus« fasst, in den öffentlichen Diskursen in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen westlichen Ländern zunehmend negativ konnotiert. Die durch das Ende des Sowjetkommunismus entstandene veränderte weltpolitische Konstellation macht nicht nur eine neue Auseinandersetzung mit dem Kommunismus und seinen verschiedenen Varianten nötig – sie ist inzwischen vielfältig im Gange –, sondern auch eine neuerliche Beschäftigung mit den verschiedenen Ausprägungen des Antikommunismus. Dazu einige skizzenhafte Überlegungen, die das Forschungsproblem umreißen sollen.
I
Der Antitotalitarismus der frühen Nachkriegszeit, der im Grundgesetz der Bundesrepublik seinen Niederschlag fand, war gleichermaßen gegen den Nationalsozialismus wie gegen den Kommunismus gerichtet. Die unmittelbare Gefährdung schien allerdings bald vorrangig vom Kommunismus Stalins auszugehen, deshalb war der Antitotalitarismus vor allem ein Antikommunismus. Manche Beobachter schreiben ihm geradezu den Charakter einer »staatsreligiösen Weltanschauung« zu,1 was indes noch einmal genauer auszuleuchten wäre. Gleichzeitig wurde in der SBZ / DDR der Antifaschismus neben bzw. verbunden mit dem Marxismus-Leninismus zur Ideologie ausgebaut.
So könnte man sagen, dass Antifaschismus und Antikommunismus in der Nachkriegszeit in mancher Hinsicht als Gegenbegriffe zu betrachten sind. Während sich der Antifaschismus gegen den Faschismus und sein Erbe wandte, richtete sich der Antikommunismus gegen die kommunistischen Bewegungen und Systeme.2 Beide Haltungen waren auf komplizierte Weise miteinander verschränkt: Dem Antifaschismus wurde oft eine Nähe zu kommunistischen Bewegungen, dem Antikommunismus eine zu rechten Bewegungen unterstellt. Im Westen wurde der Antifaschismus linker Provenienz zunehmend an den Rand gedrängt und ein gegen Faschismus und Kommunismus gerichteter Antitotalitarismus proklamiert. Im Osten aber waren Personen und Gruppen, die sich gegen den Kommunismus wandten, brutaler Verfolgung ausgesetzt.
Die schwierige Wechselbeziehung bedarf einer näheren Ausleuchtung in der wissenschaftlichen Diskussion. Eine mögliche Hypothese könnte sein, dass der Antikommunismus in den Nachkriegsjahren im Westen eine dem Antifaschismus im Osten in mancher Hinsicht vergleichbare Funktion hatte.
II
Antikommunismus war in den 50er-Jahren und darüber hinaus in den politischen Führungsgruppen und in der öffentlichen Meinung der westlichen Länder die vorherrschende Haltung, sie wurde stark gefördert durch die Expansion des sowjetischen Herrschaftsbereichs und durch die stalinistische Politik der Sowjetunion und der kommunistischen Parteien, deren terroristische Komponente in der Nachkriegszeit unübersehbar war. Der Antikommunismus nahm dabei nationale Einfärbungen an, wie etwa die Kampagne des amerikanischen Senators McCarthy zeigt, die »unamerikanische« Umtriebe verfolgte.
Die antikommunistische Haltung der Nachkriegszeit war außen- und sicherheitspolitisch gegen die Sowjetunion und das kommunistische Lager, innenpolitisch aber gegen die kommunistischen Parteien und mit ihnen – vermeintlich oder realiter – sympathisierende Gruppen gerichtet. »Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau« – dieses CDU-Wahlplakat richtete sich 1953 keineswegs nur gegen die Kommunisten, vielmehr auch gegen die Sozialdemokraten. Diese sollten in die Nähe der Kommunisten gerückt werden, obwohl die SPD zu diesem Zeitpunkt nur noch bedingt eine marxistische Partei war, an ihrer antikommunistischen Haltung kein Zweifel sein konnte und sie im kommunistischen Herrschaftsbereich verfolgt wurde.
Teilweise war Antikommunismus während der 50er-Jahre eine Einstellung, die sich gegen jede gesellschaftsverändernde Politik wendete.3 Zugleich war er in Deutschland nicht selten amalgamiert mit einer Haltung, in der die antibolschewistische Politik des Nationalsozialismus ebenso weiterwirkte wie eine spezifische Verarbeitung von Kriegserfahrungen im Osten oder von Erfahrungen der Menschen in SBZ und DDR. Der gemeinsame »Antikommunismus« verband so entschiedene Demokraten und frühere NS-Anhänger, die sich der Demokratie anpassten.
Der »bürgerliche« Antikommunismus der Nachkriegszeit ist bisher nur unzureichend erforscht und dargestellt worden.
III
Der sozialdemokratische Antikommunismus hatte seine Wurzeln in der Weimarer Zeit, als die KPD sich mit der parlamentarischen Republik nicht abfinden wollte und die Sozialdemokraten als Sozialfaschisten attackierte.4 Nach dem Zweiten Weltkrieg sah Kurt Schumacher, die dominierende Persönlichkeit der SPD in der damaligen Zeit, in der KPD lediglich eine Hilfstruppe sowjetischer Außenpolitik.5 Zudem waren Sozialdemokraten, die ihre Identität in SBZ und DDR zu wahren suchten, der Verfolgung durch die Besatzungsmacht und die SED-Organe ausgesetzt. »Sozialdemokratismus« wurde hier kriminalisiert – eine Erfahrung, die die Sozialdemokraten in ihrer antikommunistischen Haltung bestätigten.6
Es war nicht vorrangig die Eigentumsfrage, sondern der Gegensatz von Demokratie und Diktatur sowie die Bindung der Kommunisten an die Sowjetunion (gerade auch in der Stalinzeit), die die Sozialdemokraten von den Kommunisten trennte und den Antikommunismus der SPD nährte. Dieser unterschied sich von dem bürgerlichen insofern, als er eine gesellschaftsverändernde Politik nicht ausschloss.
Als einer der besonders entschiedenen Gegner der Kommunisten trat in der Nachkriegszeit Herbert Wehner auf, der selbst Kommunist gewesen war und sich in einem schmerzhaften Prozess von seinen früheren Überzeugungen gelöst hatte. Er berief sich in seiner Ablehnung des Kommunismus auf diese Erfahrung: »Glaubt einem Gebrannten.« Auf einer Bildungsveranstaltung im Oktober 1946 erklärte er: »Derjenige, der nur die deutschen Erfahrungen hat, hat vom Totalitarismus nur 49 % erfahren. Wenn er 100 % erfahren will, muß er die 51 % des russischen Totalitarismus kennenlernen.«7 Ungeachtet seiner in den 50er- und 60er-Jahren dezidiert antikommunistischen Positionen wurde Wehner wegen seiner Vergangenheit häufig massiv, teilweise kampagnenartig, attackiert. Dabei wurde ihm vielfach unterstellt, dass er im Kern Kommunist geblieben sei.
Der Antikommunismus der SPD hinderte bürgerliche Kräfte nicht, die Sozialdemokratie in die Nähe der Kommunisten zu rücken.
IV
In der Nachkriegszeit gab es mancherlei antikommunistische Organisationen in Westdeutschland und Westberlin. Eine besondere Rolle spielte der »Kongreß für kulturelle Freiheit«, der von US-amerikanischer Seite gefördert wurde. Mit der in Deutschland erscheinenden Zeitschrift »Der Monat« bot er linken, jedoch sowjetkritischen Intellektuellen ein Forum. In ihm spielten – neben sozialdemokratischen Politikern wie Carlo Schmid und Willy Brandt – Intellektuelle eine Rolle, die Kommunisten gewesen waren, doch ihre Erfahrungen mit dem Stalinismus gemacht hatten und – als »Renegaten«8 – zu seinen Feinden geworden waren. Zu den prominenten Repräsentanten dieser Gruppe gehörten Arthur Koestler und Margarete Buber-Neumann, die Autorin des Buches »Gefangene bei Stalin und Hitler«, die unermüdlich über Jahrzehnte über den Kommunismus aufzuklären suchte und schließlich selbst die neue Ostpolitik Willy Brandts heftig bekämpfte.9
Durch Michael Hochgeschwenders Arbeit Freiheit in der Offensive? ist der Kongreß für kulturelle Freiheit gut aufgearbeitet.10
V
Kritik am »Antikommunismus« gab es die ganze Nachkriegszeit über. Naturgemäß attackierten die Kommunisten ihre Gegner und hatten einen gewissen Erfolg damit, Antikommunismus mit Reaktion, Klassenherrschaft, Kaltem Krieg usw. zu identifizieren. Zweifellos versuchten Parteigänger der Kommunisten, Kritik an der sowjetischen und allgemein an kommunistischer Politik durch den Antikommunismus-Vorwurf zu diskreditieren. Tatsächlich bot der Antikommunismus durchaus Ansatzpunkte für Kritik, etwa wenn er mit ausgesprochen rechten Positionen verknüpft war, die nicht alle innerhalb des demokratischen Verfassungsbogens lagen.
Nicht nur Kommunisten und ihre Sympathisanten, sondern auch Linksliberale und unabhängige Köpfe im Umfeld der Sozialdemokratie kritisierten seit den 50er-Jahren den Antikommunismus. Aus der Sicht Gustav Heinemanns und seiner Anhänger in der GVP lief während der 50er-Jahre der Antikommunismus Gefahr, durch Übereifer in der Ausgrenzung von Kommunisten und auch in der Praxis, mit der das KPD-Verbot durchgesetzt wurde, elementare demokratische Rechte zu verletzen.11 Vertretern des Antikommunismus wurde, verstärkt seit den 60er-Jahren, eine Diffamierung linken Denkens, pauschale Verurteilung des Kommunismus und Verkennung des ursprünglich humanen Kerns des Kommunismus vorgeworfen.
Es wäre interessant, diese im Laufe der 60er-Jahre wachsende Kritik am Antikommunismus einmal im Zusammenhang darzustellen.
VI
Eine neue Konstellation entstand in Deutschland, als im Kontext der Anpassung an europäische Trends 1968 die Wiedergründung der kommunistischen Partei ermöglicht wurde, die sich als DKP formal auf den Boden des Grundgesetzes stellte.
Die neue Ostpolitik, die gegen den Widerstand der CDU / CSU und von größeren Teilen der Öffentlichkeit, nicht zuletzt der Springer-Presse, durchgesetzt wurde, zielte ein verändertes Verhältnis zu den kommunistischen Ländern Osteuropas an. Mit ihnen wurden Verträge im beiderseitigen Interesse abgeschlossen, was westlicherseits die Nebenabsicht einschloss, Reformen der kommunistischen Systeme zu fördern.12 Die entschieden antikommunistischen Kräfte – u. a. wesentliche Teile der CDU / CSU, die Vertriebenenorganisationen und die konservative Presse – haben diese Politik als Unterwerfung unter die kommunistische Politik attackiert und die sozial-liberale Koalition, insbesondere aber Willy Brandt, Herbert Wehner und Egon Bahr erbittert bekämpft. Antikommunistische Positionen bildeten den emotionalen Hintergrund für eine Opposition, die es 1972 ihrem Vorsitzenden Rainer Barzel schwer machte, mit der Regierung die aus seiner Sicht nötigen Kompromisse über die Ostverträge zu schließen.
Antikommunismus wurde somit in den frühen 70er-Jahren erneut eine bedeutsame Komponente der politischen Auseinandersetzung, die insbesondere auf die Sozialdemokratie zielte. Die Parole »Freiheit statt Sozialismus« in den Bundestagswahlkämpfen versuchte den Antikommunismus zu instrumentalisieren, um Wähler zu Gunsten der CDU / CSU zu mobilisieren.
Die Auseinandersetzung um die Ostverträge ist alles in allem gut aufgearbeitet, die antikommunistische Strömung bedürfte jedoch einer genaueren Ausleuchtung. Die Position der sozialdemokratischen Führung wurde in dieser Zeit insofern schwierig, als sie sich nicht nur mit Kritik von rechts, sondern auch von links auseinandersetzen musste.
VII
Innerhalb der Sozialdemokratie kam es in den frühen 70er-Jahren zu teils heftigen Auseinandersetzungen. Unter anderem zur Absicherung der neuen Ostpolitik setzte die Parteiführung 1971 einen Beschluss durch, mit dem sich die SPD klar von kommunistischen Positionen, von Teilen der radikalen Studentenbewegung und den sich nun herausbildenden K-Gruppen abgrenzte. Darin wurde erneut der Gegensatz in der Demokratiefrage herausgearbeitet; die kommunistischen Parteien galten weiterhin als Repräsentanten bzw. Verfechter totalitärer Diktatur.13
Teile der Jusos und der Linken liefen geradezu Sturm gegen diesen Abgrenzungsbeschluss. Der Antikommunismus hatte aus ihrer Sicht jede konsequent sozialistische Politik in der Bundesrepublik unmöglich gemacht. Jetzt galt nicht nur die Zurückdrängung des Antikommunismus als progressiv, sondern manche sahen sogar im Bündnis mit kommunistischen Gruppen eine Voraussetzung sozialistischer Politik – eine Position, die auf heftigen Widerspruch der großen Mehrheit der Partei stieß und Parteiausschlussverfahren zur Konsequenz hatte.
Auf der anderen Seite gab es aber auch innerparteiliche Kritik namentlich von Mitarbeitern und Anhängern des früheren Ostbüros und der Vertriebenenorganisationen. Diese unübersichtlichen Auseinandersetzungen sind nur teilweise aufgearbeitet.14
VIII
Die westliche DDR-Forschung machte seit den 60er-Jahren wesentliche Fortschritte; die politisch-gesellschaftliche Realität im SED-Staat wurde nun wesentlich präziser analysiert. Dies lockerte das bisherige DDR-Bild auf und förderte eine kritische Beurteilung des Antikommunismus. Insbesondere im akademischen Bereich wurde »Antikommunismus« so seit den 60er-Jahren ein Begriff, der eine überholte oder ideologische Haltung kennzeichnete. Sicherlich bejahte man dabei in der Regel nicht die kommunistische Herrschaftspraxis, wollte jedoch die real-sozialistischen Systeme differenziert betrachten, was sich teilweise mit dem politischen Ziel verband, durch den Aufbau von Beziehungen im Kontext der Entspannungspolitik sogar zu deren Veränderung beizutragen.
Die Kritik am Antikommunismus nahm im Laufe der Zeit ihrerseits gelegentlich dogmatische Züge an. Sie zeigte hier und da die Tendenz, die Schattenseiten der kommunistischen Systeme in den Hintergrund zu stellen, sie mitunter sogar auszublenden. Es ist eine Aufgabe künftiger Forschung, den Weg von der Zurückdrängung antikommunistischer Positionen bzw. ihrer Auflockerung durch eine differenziertere Sicht zu einer selbst wieder klischeehaften Kritik am Antikommunismus seit den 60er-Jahren nachzuzeichnen.
Allerdings gab es neben dem Anti-Antikommunismus eben doch auch Versuche, Formen einer geregelten Auseinandersetzung mit den Kommunisten zu finden. Das 1987 vorgelegte sogenannte Streitpapier von SPD und SED (Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit) ist dafür das herausragende Beispiel. Es ging aus der Sicht von Antikommunisten in der Anerkennung der Gleichrangigkeit kommunistischer Positionen und Friedensfähigkeit entschieden zu weit.15
Es spricht vieles für die These, dass der Abbau der scharfen Ost-West-Konfrontation, eben auch die Zurückdrängung des Antikommunismus, die Erosion der kommunistischen Systeme, die zu ihrer Legitimation ein Feindbild brauchten, stark gefördert hat. Demnach wäre es gerade nicht der militante Antikommunismus, der den Kommunismus in Osteuropa überwunden hat, sondern die Entspannungspolitik mit ihrer partiellen Zusammenarbeit über die Systemgrenzen hinweg.
IX
In bestimmten Bereichen gewannen seit den 70er-Jahren DKP-orientierte, häufig die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) vertretende Kräfte beachtlichen Einfluss. Dies gilt insbesondere für die Gewerkschaften und ihr kulturelles Umfeld, wobei manche Einzelgewerkschaft stärker, manche schwächer betroffen war.
Dieser Trend wurde nicht nur auf der Rechten, sondern auch innerhalb der undogmatischen Linken nachdrücklich kritisiert. So publizierte 1980 Ossip Karl Flechtheim u. a. als Taschenbuch unter dem Titel Der Marsch der DKP durch die Institutionen. Sowjetkommunistische Einflußstrategien und Ideologien eine scharfe Auseinandersetzung mit dieser Richtung.16
Unübersehbar gab es nicht nur einen rechten, sondern auch einen linken Antikommunismus, der sich gegen den Kommunismus Moskauer Prägung wandte. Eine monographische Studie dieser Richtung steht noch aus.
***
Die Umwälzung 1989 / 90 und das Ende der kommunistischen Systeme, auch die Beschäftigung mit den von ihnen verübten Verbrechen und der Rolle der Staatssicherheitssysteme, haben nicht nur die Schattenseiten der Geschichte des Kommunismus in den Blick gerückt, sondern auch den Antikommunismus erneut stimuliert. Überpointiert kann man von einem Antikommunismus nach dem Ende des Kommunismus, von einem postmortalen Antikommunismus sprechen. Allerdings lässt sich fragen, ob das totalitäre Denken tatsächlich endgültig an sein Ende gekommen ist. Jedenfalls hat sich ein antitotalitärer Konsens herausgebildet, in den Konsequenzen aus der Geschichte des Kommunismus eingegangen sind.17
Heftig war nach 1990 die Kritik am Anti-Antikommunismus seit den 60er-Jahren, der pauschalisierend als Verharmlosung und Schönfärberei gewertet wurde.18 Die relative Berechtigung der Kritik an bestimmten Erscheinungsformen des Antikommunismus der Nachkriegszeit wurde dabei nicht gesehen, die Kritik am Anti-Antikommunismus wurde teilweise ihrerseits extrem zugespitzt und ungerechtfertigt auf große Teile der DDR-Forschung ausgedehnt.
Inzwischen sollte die wissenschaftliche Diskussion in der Lage sein, Kommunismus, Antikommunismus und auch Anti-Antikommunismus zu historisieren. Der Philosoph Paul Ricœur hat formuliert: »Urteil und Strafe sind Sache des Richters; der Kampf gegen das Vergessen und für eine wahrhafte Erinnerung ist Sache des Bürgers; dem Historiker bleibt es vorbehalten, zu verstehen, ohne zu verurteilen und ohne zu entschuldigen.«19 Bezogen auf den Kommunismus, den Antikommunismus und den Anti-Antikommunismus, so ist deutlich geworden, haben die Historiker noch viel Arbeit vor sich. Es ist genauer zu bestimmen, was »Antikommunismus« jeweils war bzw. ist, wie der situative Kontext aussah und welche Interessen mit dem Antikommunismus verbunden waren, inwieweit Antikommunismus also primär Auseinandersetzung mit kommunistischer Politik oder aber Ideologie war. Am Ende der Diskussion könnte eine Typologie des Antikommunismus stehen.
1 Formulierung bei Jürgen Leinemann: Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker, München 2006, S. 115.
2 Siehe Furet, François: Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert, München / Zürich 1995, S. 273 ff.
3 Siehe dazu: Vilmar, Fritz: Antikommunismus. In: Meyer, Thomas u. a. (Hrsg.): Lexikon des Sozialismus, Köln 1986, S. 30.
4 Siehe Faulenbach, Bernd: Zur Rolle von Totalitarismus- und Sozialfaschismus-Theorien im Verhältnis von Sozialdemokraten und Kommunisten in der Weimarer Republik, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2004, S. 98–110.
5 Siehe dazu: Schumacher, Kurt: Reden – Schriften – Korrespondenzen 1945–1952. Hrsg. von Willy Albrecht. Berlin / Bonn 1985; Merseburger, Peter: Der schwierige Deutsche. Kurt Schumacher. Eine Biographie, Stuttgart 1995, insbes. S. 240 ff.
6 Siehe dazu Bouvier, Beatrix: Ausgeschaltet! Sozialdemokraten in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR 1945–1953, Bonn 1996.
7 Wehner, Herbert: Selbstbestimmung und Selbstkritik. Erfahrungen und Gedanken eines Deutschen. Hrsg. von August Hermann Leugers-Scherzberg, Köln 1994, S. 252. Siehe auch Faulenbach, Bernd: Der Umgang mit Emigrationserfahrungen in der bundesdeutschen Öffentlichkeit – die Beispiele Margarete Buber-Neumann und Herbert Wehner, in: Kolloquium der Gemeinsamen Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen, Berlin 2006. Demnächst in den Berichten der deutsch-russischen Historikerkommission.
8 Siehe Rohrwasser, Michael: Der Stalinismus und die Renegaten. Die Literatur der Exkommunisten,
Stuttgart 1991.
9 Siehe Buber-Neumann, Margarete: Als Gefangene bei Stalin und Hitler. Eine Welt im Dunkel, 2. Aufl., Berlin 1997; dies.: Plädoyer für Freiheit und Menschlichkeit, Berlin 1999. Dazu Wissmann, Anja: Erinnerung und Neuanfang. In: apropos Margarete Buber-Neumann, Frankfurt a. M. 2001, S. 92–98.
10 Hochgeschwender, Michael: Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen, München 1998.
11 Posser, Dieter: Anwalt im Kalten Krieg. Deutsche Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968, Bonn 2000; Weber, Hermann und Gerda: Leben nach dem »Prinzip Links«. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Berlin 2006, S. 140 ff.
12 Siehe dazu Niedhart, Gottfried: Revisionistische Elemente und die Initiierung friedlichen Wandels in der neuen Ostpolitik 1969–1974, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 233–266.
13 Zum Verhältnis von Sozialdemokratie und Kommunismus. Entschließung des Parteirates am 26. 2. 1971. Abgedruckt in: SPD-Jahrbuch 1970–1972, Bonn o. J., S. 557–564.
14 Siehe dazu Gebauer, Annekatrin: Der Richtungsstreit in der SPD. Seeheimer Kreis und Neue Linke im innerparteilichen Machtkampf. Wiesbaden 2005; Koenen, Gerd: Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967–1977, Köln 2001.
15 Der Titel des Papieres lautete: Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit. Siehe dazu Miller, Susanne: Die Gespräche der Grundwertekommission der SPD mit der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und das »gemeinsame Papier«, in: Rudolph, Karsten / Wickert, Christl (Hrsg.): Geschichte als Möglichkeit. Über die Chancen von Demokratie. Festschrift Helga Grebing. Essen 1995, S. 354–368; Giebeler, Karl / Geisel, Alfred (Hrsg.): Das SPD-SED-Dialogpapier. Ist mit der Ideologie auch der Streit erledigt? Bad Boll 2003.
16 Flechtheim, Ossip K. / Rudzio, Wolfgang / Vilmar, Fritz / Wilke, Manfred: Der Marsch der DKP durch die Institutionen. Sowjetmarxistische Einflußstrategien und Ideologien, Frankfurt a. M. 1980.
17 Zum Begriff des »antitotalitären Konsenses« siehe Jürgen Habermas: Die Bedeutung der Aufarbeitung der beiden Diktaturen für die demokratische Kultur in Deutschland, in: Materialien der Enquete-Kommission »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur«, Baden-Baden 1995, S. 686–694.
18 Siehe Hacker, Jens: Deutsche Irrtümer. Schönfärber und Helfershelfer der SED-Diktatur im Westen, Berlin, Frankfurt a. M. 1992.
19 Ricœur, Paul: L’écriture de l’histoire et la représentation du passé. In: Annales. Histoire, Sciences Sociales 55 (2000), H. 4, S. 731–747, hier S. 744. Zitiert nach François, Etienne: Meistererzählungen und Dammbrüche. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg zwischen Nationalisierung und Universalisierung, in: Flacke, Monika (Hrsg.): Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. I. Mainz 2004, S. 13–28, hier S. 25.