1993, im selben Jahr, in dem sich der Nestor der historischen Kommunismus- und DDR-Forschung in Deutschland, der Mannheimer Zeithistoriker und Politikwissenschaftler Professor Dr. Dr. h. c. Hermann Weber, emeritieren ließ, erschien die erste Ausgabe des von ihm an der Universität Mannheim begründeten Jahrbuchs für Historische Kommunismusforschung (JHK). Unter seiner Ägide wurde das Jahrbuch rasch zu dem wichtigsten deutschsprachigen Forum einer international und interdisziplinär ausgerichteten Forschung über die Geschichte der kommunistischen Bewegungen, Parteien und Regime im 20. Jahrhundert. Diese Forschungslandschaft hatte durch die Öffnung der Archive in Russland und den anderen ostmitteleuropäischen Staaten, für die sich Hermann Weber dezidiert und erfolgreich eingesetzt hatte, starken Auftrieb und wichtige Impulse erhalten.
Seit 1993 sind im Jahrbuch auf nunmehr gut 6500 Druckseiten rund 500 Abhandlungen, Miszellen, biographische Skizzen, Quellendokumentationen, Forschungsberichte und Rezensionen erschienen. Sie berührten nicht nur die großen, sondern ebenso oftmals übersehene, »kleine« Ereignisse der Kommunismusgeschichte. Immer wieder wurden neben prominenten auch unbekanntere Akteure und Funktionäre in den Blick genommen; die Studien beschränkten sich dabei keineswegs auf Deutschland und die Sowjetunion.
Wer die Jahrbücher zur Hand nimmt, betritt eine Forschungslandschaft, die sich seit der ersten Ausgabe gleichermaßen im Hinblick auf Zeiten und Räume weitet. Die Beiträge spannen einen Bogen von den Anfängen der kommunistischen Bewegung, die im Völkergemetzel des Ersten Weltkriegs ihren Ausgang nahm, bis zum Ende des »kurzen« 20. Jahrhunderts, als überwiegend friedlich verlaufende Revolutionen die im Namen des »realen Sozialismus« herrschenden Diktaturen überwanden. Zugleich öffnen die Artikel die Augen für die höchst unterschiedlichen Ausformungen, die diese Bewegung in jenen gut sieben Jahrzehnten kennzeichneten. Die Jahrbücher erschließen die Geschichte des Kommunismus in ihrer ganzen Ambivalenz. Aus unterschiedlichsten Perspektiven versuchen viele Beiträge zu beleuchten, wie der Kommunismus Legitimation totalitärer Regime in der Sowjetunion, in ihren »Satellitenstaaten« oder auch auf dem asiatischen Kontinent sein konnte, deren Opfer viele Millionen zählen. Andere Texte zeigen, dass die kommunistische Bewegung andernorts und bisweilen gleichzeitig emanzipatorische politische Ziele verfolgen konnte, die Intellektuelle und Arbeiter gleichermaßen in ihren Bann zogen und im Kampf gegen soziale und politische Ungerechtigkeit einten.
Auf welche Weise dieser emanzipatorische Impetus schließlich fast immer und überall von Ideologien und »Ismen« im Namen eines Stalin, Mao oder von deren Epigonen zersetzt, überformt und ausgeschaltet wurde, durchzieht als zentrale Fragestellung die Jahrbücher wie ein roter Faden. Immer wieder aufs Neue beleuchtet das Jahrbuch, wie aus einer emanzipatorischen Idee und aus leidenschaftlichen Revolutionären, die die Arbeiterklasse von Ausbeutung befreien wollten, Stalinisten, Bürokraten, Menschenschinder und auch -mörder wurden und wie dieselben kommunistischen Funktionäre, die vor dem »Klassenfeind« Heldenmut bewiesen, sich wenig später bedingungslos einer Parteilinie unterwarfen. Und immer wieder lenkt das Jahrbuch die Aufmerksamkeit auf die innerkommunistische Opposition und den Widerstand gegen den Stalinismus, der von diesem mit unerbittlicher Härte bekämpft und liquidiert wurde.
All dies sind Fragen, die Hermann Weber als Begründer des Jahrbuchs, der mittlerweile auf ein halbes Jahrhundert eigene Kommunismusforschung zurückblickt, nicht loslassen. Hermann Webers gesamtes publizistisches und wissenschaftliches Wirken war und ist »darauf gerichtet, der Quasi-Annexion der Geschichte der modernen sozialen Bewegungen durch die Stalinisten und Poststalinisten zu widersprechen, die ›Säuberung‹ der Vergangenheit aufzudecken und auf diese Weise einen grundlegenden, niemals aufzuhebenden Widerspruch des kommunistischen Etatismus ins öffentliche Bewusstsein zu heben«, wie es Peter Brandt unlängst so treffend formulierte.
Hermann Weber hat mit der Veröffentlichung des Jahrbuchs 2007 sein Ausscheiden aus dessen Herausgeberkreis erklärt. In den Jahren zuvor hatte er die Zukunft seines Jahrbuches gesichert, indem er die materielle Verantwortung in die Hände der Bundesstiftung Aufarbeitung legte und jüngere Kollegen für die Herausgeberschaft gewinnen konnte. Die Herausgeber des Jahrbuchs wie auch die Bundesstiftung Aufarbeitung kamen rasch überein, das JHK 2008 seinem Begründer zu widmen, der im August des Erscheinungsjahres seinen 80. Geburtstag feiern wird.
Für das Jahrbuch 2008 haben 35 namhafte Historikerinnen und Historiker aus dem In- und Ausland Beiträge verfasst, die auf vielfältige Weise die verschiedenen »Lebensthemen« Hermann Webers aufgreifen und fortschreiben. Allein sieben Artikel widmen sich der Geschichte der Komintern und der kommunistischen Bewegung in der Vorkriegszeit. Die sowjetische Hegemonialpolitik in der Nachkriegszeit, die Transformation der SED zur stalinistischen Staatspartei sowie Fragen der DDR-Geschichte werden in acht Studien thematisiert. Zu beiden Themenkomplexen hat Hermann Weber seit den fünfziger Jahren bahnbrechende Abhandlungen vorgelegt, die bis heute Bestand haben. Seine Weiterentwicklung der »Stalinisierungsthese« der kommunistischen Bewegung seit Ende der zwanziger Jahre zu einem grundlegenden Konzept der Analyse bestimmt die historische Kommunismusforschung bis in die Gegenwart, wie der dritte Themenblock des Jahrbuchs deutlich macht. Hier finden sich sechs Beiträge, die sich direkt und indirekt mit Webers Erklärungsansätzen auseinandersetzen und diese fortschreiben. Dass die Auseinandersetzung mit der Kommunismusgeschichte stets eine politische Dimension in sich trug – und weiter trägt –, zeigen sowohl der Artikel, der Hermann Webers Rolle in der bundesdeutschen DDR-Forschung gewidmet ist, als auch jener, der die aktuelle geschichtsrevisionistische Offensive ehemaliger MfS-Kader beschreibt.
Die in der Rubrik Forum publizierten zeithistorischen Essays resümieren die Geschichte des deutschen Kommunismus und dessen Wechselverhältnis zur Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis in die Gegenwart. Auch im Jahrbuch 2008 nimmt der biographische Zugang zur Geschichte mit acht (kollektiv-)biographischen Studien wieder breiten Raum ein. Nicht von ungefähr behandeln vier der Beiträge politische Lebenswege, die in der kommunistischen Bewegung ihren Ausgang nahmen und in der Sozialdemokratie ihren Abschluss fanden, ist doch der Begründer des Jahrbuchs eben diesen Weg gegangen. Vier biographische Skizzen sind den Opfern der kommunistischen Säuberungen gewidmet, denen Hermann Weber schon immer große Aufmerksamkeit schenkte.
Der von Mitherausgeber Bernhard H. Bayerlein herausgegebene Internationale Newsletter der Kommunismusforschung informiert wie gewohnt über Neuerscheinungen, Konferenzen und aktuelle Forschungsvorhaben. Eine ausführlichere Fassung des Newsletters findet sich zudem als Online-Zeitschrift im Internet.
Die Herausgeber danken den Autorinnen und Autoren des Jahrbuches 2008 für ihre instruktiven Beiträge. Dank gilt auch den internationalen Beiräten des Jahrbuches, die seine Erarbeitung engagiert befördert haben. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat auch 2007 / 2008 die finanziellen Voraussetzungen für das Jahrbuch geschaffen, das wiederum mit Mitteln der Hermann-Weber-Stiftung (Mannheim) sowie der Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung (Berlin) finanziell unterstützt wurde. Allen Institutionen sei hiermit herzlich und ausdrücklich gedankt! Unser Dank geht auch an Heiko Hänsel, der das Jahrbuch bis einschließlich der Ausgabe 2007 als Redakteur fachkundig betreute und sich nun neuen beruflichen Aufgaben zugewandt hat.
Das Lektorat des JHK 2008 wurde von Karin Jaeger exzellent besorgt, die dabei von der Lektorin des Aufbau-Verlags, Maria Matschuk, mit weit mehr Engagement begleitet wurde, als dies im heutigen Verlagsgewerbe sonst üblich ist. Den Satz des Jahrbuchs übernahm Thomas Klemm in Leipzig. Ihnen allen sei hier ausdrücklich gedankt.
Vor allem möchten die Herausgeber jedoch Hermann Weber ihren großen Respekt und Dank bekunden – er gilt einem halben Jahrhundert engagierten Forschens und Lehrens auf den Gebieten Kommunismus- und DDR-Forschung! Hermann Weber hat dieses Feld wie kein anderer geprägt, ein außergewöhnliches wissenschaftliches Oeuvre und mit dem Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung ein Forum geschaffen, das auch in Zukunft garantiert, dass die Forschungen seines Gründers weiterwirken und noch lange aufgegriffen werden. Die Herausgeber sind sich der Aufgabe bewusst, die eingeschlagenen Pfade zu ergänzen und weiterzuentwickeln. Die Herausgeber, Beiräte, Autorinnen und Autoren des Jahrbuchs wie auch die Unterzeichner der Tabula Gratulatoria am Ende dieses Bandes sind dem Wissenschaftler und dem Menschen Hermann Weber auf unterschiedlichste Weise verbunden. Sie alle wünschen ihm eine glückliche Vollendung seines 80. Lebensjahres und ihm und seiner Frau Gerda alles erdenklich Gute, anhaltende Gesundheit und Schaffensfreude!
Berlin, den 20. Dezember 2007 Die Herausgeber