Am 9. Dezember 1882 erblickte Maximilian Kosler als Sohn eines Schneidermeisters in Dresden das Licht der Welt. Nach dem Besuch der Katholischen Bürgerschule und des Katholischen Progymnasiums in Dresden wählte er einen für Arbeiter- und Handwerkersöhne damals naheliegenden Weg des Aufstiegs: 1903 absolvierte er das Katholische Lehrerseminar in Bautzen, um sodann als Volksschullehrer in den Dresdner Schuldienst zu treten. In den folgenden drei Dekaden unterrichtete er – lediglich unfreiwillig unterbrochen durch seine Weltkriegsteilnahme 1914–18 – an der 31. Dresdner Volksschule. Kosler war vielseitig interessiert und stets bemüht, sein Wissen zu erweitern. So war er 1909 als Gasthörer an der Sorbonne und der Alliance Française in Paris eingeschrieben sowie einige Semester an der Technischen Hochschule seiner Heimatstadt. 1918 / 19 zählte er zu den Mitbegründern der DDP (Deutschen Demokratischen Partei) in Dresden, deren örtlichem Parteivorstand er bald angehörte. 1926 wechselte er zur SPD. Max Kosler entwickelte ein breites gesellschaftliches Engagement: Er gehörte unter anderem der Liga für Menschenrechte und der Deutschen Friedensgesellschaft an, zudem war er Mitbegründer und erster technischer Gauführer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold Ostsachsen. Zuvörderst aber ist es sein leidenschaftliches Eintreten gegen den Antisemitismus, das dazu anhält, diesen außergewöhnlichen Pädagogen vor dem Vergessen zu bewahren.
Koslers Kampf gegen den Antisemitismus in der Weimarer Republik
Während der Weimarer Republik stieß Kosler zu jenen Männern christlichen Glaubens – nicht selten führende Persönlichkeiten im politischen und kommunalen Leben ihrer Zeit, in Wissenschaft, Kunst und Literatur, Handel und Industrie –, die sich seit 1890 im »Verein zur Abwehr des Antisemitismus« zusammengeschlossen hatten. Als Mitglied des Reichsausschusses, Mitherausgeber der Vereinszeitschrift Mitteilungen (seit 1925 Abwehrblätter) und Gründungsvorsitzender des Dresdner Ortsvereins setzte sich Kosler dafür ein, antisemitische Lügen wissenschaftlich fundiert zu widerlegen. Neben dem Versuch, antisemitische Demagogen zu demaskieren, ging es ihm auch darum, Kenntnisse über das Wesen des Judentums, seine Geschichte und Religion sowie über die enge Verbundenheit der deutschen Juden mit Deutschland und seiner Kultur zu verbreiten. Auf der Hauptversammlung des Abwehrvereins im Jahr 1921 forderte Kosler die Verbandsmitglieder dazu auf, dafür Sorge zu tragen, »dass Ihre politischen Parteien zu einem klaren Bekenntnis gegen den Antisemitismus kommen und dieses Bekenntnis in der Öffentlichkeit bekannt geben«1. Kosler ging mit gutem Beispiel voran, konnte er doch im selben Jahr seinen Ortsverband nicht nur über einen Anstieg der Mitgliederzahl informieren, sondern auch berichten, dass der Bremer Parteitag der Demokraten eine von ihm angeregte »Resolution gegen den ›Rassen‹- und Klassenkampf« angenommen habe, »die die kommende Gesetzgebung zum Schutze der Republik auch zu einem guten Teil in den Dienst unserer Bestrebungen zu stellen geeignet ist und namentlich mit der Hakenkreuzelei in den Schulen aufräumen wird«.2
Seit Anfang der 1920er-Jahre hatte sich Kosler als sächsische Führungspersönlichkeit des Abwehrvereins vor allem dem Kampf gegen das Vordringen antisemitischer und / oder nationalsozialistischer Propaganda im Bildungswesen – von der Volksschule bis zu den Hochschulen – verschrieben.3 So forderte er vom sächsischen Kultusministerium wiederholt gesetzliche Regelungen, die eine gleichberechtigte Aufnahme jüdischer Schüler an Privatschulen erreichen und die Werbung mit Nazisymbolen in den Bildungseinrichtungen verbieten sollten.4 Es bereitete Kosler zunehmend Sorgen, dass die Weimarer Verfassung zwar die Gleichberechtigung der Juden proklamierte, die Republik jedoch Hetze und Terror gegen sie duldete. 1922 erschien in den Mitteilungen des Abwehrvereins eine Werbeanzeige für eine von Kosler verfasste Broschüre mit dem Titel »Deutschlands Jugend rette Deutschlands Zukunft!«. Der Autor komme darin, so heißt es in der Anzeige, »einem tiefgefühlten Bedürfnisse entgegen, denn gerade die Jugend, die zu einem nicht unbeträchtlichen Teile von gewissenlosen Leuten durch das Gift des Antisemitismus verseucht worden ist, bedarf dringend der Aufklärung, um sie auf den rechten Weg zurückzuführen. In keineswegs trockenem Lehrton werden hier die hauptsächlichsten antisemitischen Lügen und Verdrehungen in objektiver Form dargetan. Diese Sachkenntnis und eine zu Herzen gehende Sprache zeichnet das Werkchen aus.«5
Vergeblich stemmten sich die Mitglieder des Abwehrvereins in den letzten Jahren der Weimarer Demokratie in ihren Schriften sowie öffentlichen Veranstaltungen gegen die nazistische Propaganda mit ihrem unverhohlenen Antisemitismus. Max Kosler warb auf zahlreichen Kundgebungen in Sachsen sowie in Hamburg, Stettin, Halle / Saale, Mainz und Wiesbaden als Redner für ein harmonisches deutsch-jüdisches Zusammenleben. Er erinnerte sich 1947, dass er in der Zeit kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten »im erhöhten Maße durch die SA belästigt und verfolgt« wurde und deshalb für Veranstaltungen des Vereins häufig »erhöhten Polizeischutz zugebilligt bekommen musste«.6 Die letzte Jahreshauptversammlung des Abwehrvereins fand – nicht zuletzt durch Koslers Bemühungen – am 23. Juni 1932 im Dresdner Belvedere statt. Sie wurde von antisemitischen Zwischenrufen aus einer Gruppe gestört, die ihre Zugehörigkeit zur NSDAP lautstark deutlich machte.7
Ausgrenzung in der Nazidiktatur
Es wird kaum überraschen, dass der Abwehrverein nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten umgehend verboten wurde. Führende Persönlichkeiten des Vereins, darunter Max Kosler und das Mitglied des Reichsausschusses Walter Goetz, der als Leipziger Universitätsprofessor auf der Dresdner Versammlung eines der Hauptreferate zum Thema »Antisemitismus im neuen Deutschen Reich« gehalten hatte, wurden noch vor dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933 aus »politischen Gründen« aus dem öffentlichen Dienst entfernt.8 Max Kosler war, wie er selbst schrieb, »der erste Lehrer, der sofort nach der Machtergreifung aus dem Amt gejagt wurde und dann in Haft kam«:9 Ab März 1933 war er für sechs Monate im Dresdner »Hilfs-KZ« Mathildenstraße inhaftiert. Später übernahm er die Wirtschaftsberater-Praxis seines jüdischen Freundes Dr. Hans Henry Pohly, die Kosler elf Jahre führen sollte. Nachdem Pohly anfangs noch als Angestellter bei Kosler fungiert hatte, emigrierte er angesichts des anhaltenden Naziterrors in die USA. Wegen seiner fortwährenden Unterstützung verfolgter jüdischer Bürger wurde Kosler 1939 erneut in Gestapohaft genommen. Im Rückblick auf die Naziära schrieb er 1947: »Ich half den Juden, die die Absicht hatten, ins Ausland zu entweichen, zu ihrem Fortkommen und versteckte Teile ihres Vermögens. Für die Familie Schänker erzwang ich die Herausgabe des Geldes, das ihnen 1938 abgenommen wurde. Die Rechtsanwälte Herzfeld und Conradi sowie die Familien Jacobi, Apt, Pohly, Elb und Joachimsthal habe ich mit meinem Abwehrkampf unterstützen können. Kein Wunder, wenn die Nazi-Verbrecher der Gestapo Müller, Schmidt, Köhler, Weser und Clemens mich besonders aufs Korn genommen hatten. Im Jahre 1939 wurde ich beschuldigt, in Verbindung mit den ins Ausland entwichenen Juden zu stehen und in meinem Büro wurde auch meine diesbezügliche Korrespondenz bei der Haussuchung durch die Gestapo beschlagnahmt. An diesem Tag wurde ich auch wieder verhaftet und im Polizeipräsidium durch den Verbrecher Weser in unverantwortlicher Weise beschimpft und misshandelt.«10
Übernahme bildungspolitischer Verantwortung nach Kriegsende
Im Mai 1945 wurde Max Kosler zum Schulrat für Dresden-Stadt-Ost berufen. Im Juni gehörte er zu den Gründern der Dresdner SPD und wurde einen Monat später zu einem der stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Seine berufliche Aufgabe war es, die Wiederaufnahme des Schulbetriebes in seiner schwer zerstörten Vaterstadt zu organisieren. Darüber hinaus hatte er an der Entnazifizierung der Lehrerschaft mitzuwirken; schließlich war der größte Teil der Pädagogen Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gewesen. Zwar hatte es keine Zwangsmitgliedschaft gegeben, aber der Druck auf die Lehrerschaft war so groß gewesen, dass man sich ihm nur in Nebenfächern entziehen konnte oder wenn man schwerwiegende Benachteiligungen in Kauf nahm.11 Die Entnazifizierungsverfahren erhitzten die Gemüter der sächsischen Pädagogen, denn die Frage nach dem Umgang mit der Vergangenheit und der Beurteilung der Rolle des Lehrkörpers in der Zeit des Nationalsozialismus betraf die meisten persönlich. Kosler forderte diesbezüglich eine differenzierte Bewertung. Anders sein Vorgesetzter, Ministerialdirektor Schneller, der eine besonders radikale Säuberung des Lehrkörpers beförderte.12
Die von der Verwaltung ausgelösten Entlassungswellen gingen nach Koslers Ansicht weit über die Festlegungen sowohl des Potsdamer Abkommens als auch der damals für Sachsen zuständigen sowjetischen Bildungsoffiziere sowie die der Lehrergewerkschaft hinaus.13 Als es Max Kosler auf der Bezirksschulrätekonferenz am 11. / 12. September 1945 in Dresden wagte, sensiblere Überprüfungsmechanismen zur Nazivergangenheit der Lehrerschaft anzumahnen, sah er sich mit Vorwürfen konfrontiert, sich den Anordnungen der SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) widersetzt und die Besatzungsmacht beleidigt zu haben. Fortan galt er für die Apparatschiks um Schneller als Feind bzw. Reaktionär.14 Welche Folgen das für Kosler hatte, sei beispielhaft an einem Konflikt mit dem Dresdner Ortsausschuss »Opfer des Faschismus« (OdF) illustriert: »Am 4. Februar 1947 wurde mir eröffnet, ich hätte mich für den Pg. [Parteigenossen] Dr. Nobe eingesetzt. Ein solcher Einsatz für einen ehemaligen Pg. sei für ein OdF unerhört, meine Streichung von der Liste der OdF sei deshalb eine Selbstverständlichkeit. Ich konnte Herrn Hilse [Leiter der OdF-Stelle Bautzner Str.] nicht davon überzeugen, dass mein Einsatz für Herrn Nobe im Zuge der allgemeinen Beurteilung der sog. nominellen Mitläufer der NSDAP durchaus verständlich sei, weshalb ich versuchte, persönlich von der Kommission gehört zu werden. – Zum Fall selbst: Nobe [vormals Reichsbahnabteilungspräsident] ist mir von Jugend auf bekannt. Es war mir bekannt, dass ihm im Jahre 1938 durch die Reichsleitung der NSDAP amtlich eröffnet worden war, er wäre von Beförderungen ausgeschlossen, weil er sich nur scheinbar der NSDAP angeschlossen hätte, im übrigen nicht als Nationalsozialist anerkannt wäre. Diese negative Beurteilung des Herrn Nobe konnte mich durchaus ermutigen, ihm die Erlangung seiner Altersrente durch meine Fürsprache zu ermöglichen. Wie mir bekannt ist, ist ihm diese Altersrente auch auf Beschluss der Antifa zugebilligt worden, ohne dass meine Fürsprache berücksichtigt wurde. [...] Ich glaube nicht, dass aus dieser Sache eine Berechtigung abgeleitet werden könnte, mich aus der Liste zu streichen; denn in meiner amtlichen Eigenschaft als Kreisschulrat sind durch meine Hände zahlreiche Befürwortungen für ehemalige Pg.s gegangen, die von namhaften politischen Persönlichkeiten – die ebenso bei Ihnen registriert sind – ausgestellt worden sind.«15
Auch nach dem Krieg kämpfte Kosler weiter gegen antisemitische Tendenzen. So entgegnete er auf der Schulratskonferenz vom 3. bis 5. Februar 1948 in Dresden-Wachwitz Schneller, der ein Grundsatzreferat zum Thema »Die politische Bildung der Lehrerschaft« hielt, in der öffentlichen Diskussion: »Wer glaubt, dass sich der Antisemitismus in der Lehrerschaft kaum bemerkbar macht, irrt sich. [...] Gerade dem Lehrer müsste klar gemacht werden, dass er gegen diese Einstellung kämpfen muss. Ein großer Teil der Neulehrer ist durch die nazistische Erziehung gegangen und mit Schlagwörtern gefüttert worden. Es ist klar, dass da etwas hängen bleibt. Einer unserer Punkte muss die systematische Bekämpfung des Antisemitismus sein.«16
Kompromisslos ehrlich setzte sich Kosler als Schulrat stets für fachliche und pädagogische Kompetenz ein; ideologische Propaganda, zumal in parteipolitischer Verengung, ließ er niemals als Ersatz gelten. Mit seiner Abneigung gegen Beamtenborniertheit, fachliche Inkompetenz und Machtarroganz zog er nicht selten den Zorn von Funktionären auf sich. Unter anderem war es für die Apparatschiks nicht tolerierbar, dass Kosler die durch die SED gelenkte sogenannte Prämienverteilung öffentlich zu kritisieren wagte. In einem Bericht vom 30. Januar 1948 wurde er wie folgt zitiert: »Die sog. Prämienverteilung ist eine durchaus amtliche Angelegenheit, nicht die Angelegenheit irgendeiner Partei. Die Beurteilung, wer die Prämien zu erhalten hat, muss man schon den dazu berufenen staatlichen Angestellten, in diesem Falle den Kreisschulräten überlassen. Diese sind für ihre Maßnahmen lediglich der Landesregierung bzw. ihrem Minister und indirekt der SMA [Sowjetischen Militäradministration] Rechenschaft schuldig. Ich darf annehmen, dass es sich schon überall herumgesprochen hat, dass wir in einem demokratischen Staat leben, der entsprechend den in unserem eigenen Verfassungsentwurf niedergelegten Grundsätzen regiert werden sollte. [...] Ich erkläre deshalb schon heute, dass ich in Zukunft keinerlei Anfragen dieser Art, die sich in meine Amtsführung hineinmischen, beantworten werde, wenn ich erkenne, dass nur persönliche und keine sachlichen Interessen vorliegen. Die Art Genossen, die nur derartige Sorgen über Geben und Nehmen haben, sollen sich nicht hinter der Parteizugehörigkeit verstecken, sondern lieber ihre Kraft dazu verwenden, unsere großen politischen Aufgaben und Ziele dem Erfolg zuzuführen. Ich jedenfalls lehne ein für allemal Methoden ab, die lebhaft an gewisse nazistische Schnüffelgewohnheiten aus der glücklicherweise überwundenen Hitlerzeit erinnern.«17
Mit diktatorischen Mitteln erneut ausgegrenzt und vollkommen isoliert
Längst war Kosler nicht nur ins Visier der Stalinisten geraten. Es ist ein Bericht der Dresdner Informationsabteilung der SMA vom 5. Juli 1948 überliefert, in dem ihm neben antisowjetischer Propaganda vorgeworfen wurde, dass er sich gegen Vorschriften der Partei wehre, gegen die neuen Lehrer stelle und für die Wiedereinstellung faschistischer Altlehrer plädiere.18 Nach fortwährenden Konflikten mit der Parteikontrollkommission der SED eröffnete diese im Januar 1948 ein spektakuläres Parteiausschlussverfahren gegen Kosler. Am 14. Juli 1948 wurde er schließlich genötigt, sein Pensionsgesuch einzureichen, in dem er unter anderem feststellte, »dass er einem Drucke weiche, weil man ihm in verleumderischer Weise unterstelle, er habe bei verschiedenen Anlässen eine russenfeindliche Haltung bewiesen«19.
Seit März 1948 waren geheimdienstliche Prüfverfahren gegen Kosler initiiert worden. So erstellte der Sachbearbeiter Stiller vom Dresdner Kriminalamt folgende »Charakteristik« über ihn: »Von der SED ist der Ausschluss gegen Kosler ausgesprochen worden, aber noch nicht bestätigt. Und zwar wurde der Ausschluss beantragt wegen parteischädigendem Verhalten (Verbindung mit dem Westen, Schumacher). Der Ausschluss ist noch nicht bestätigt, weil sich einflussreiche Leute, die diesen Leuten nahe stehen und selbst Mitglieder der Partei sind, für ihn einsetzen (Dölitzsch).«20 Am 17. März 1948 wurde folgender Bericht über einen »Hausbesuch« bei Kosler verfasst: »Nach genauer Überprüfung in seiner Wohnung und der etwa halbstündigen Unterhaltung habe ich den Eindruck gewonnen, dass K. als Aristokrat anzusprechen ist. In seinem Bücherschrank befinden sich mehrere Bände marxistischer Literatur: z. B. Marx, Engels, Stalin usw. Er liest die Sächsische Zeitung. Eine Feststellung durch leises Abtasten, ob er den Tagesspiegel liest, konnte nicht erörtert werden. K. gibt Dienstag und Freitag in der Woche Sprechstunden. In der Unterhaltung auf politischem Gebiet mit ihm selbst – zumal ich die heutigen Verhältnisse ihm gegenüber kritisierte – war er verschwiegen und ging nicht darauf ein. Er zeigte Zurückhaltung. Irgendwelche Bilder oder Fotos in der Wohnung, die einen Anhaltspunkt geben konnten, waren nicht festzustellen.«21 Schließlich wurde am 14. Oktober 1948 »ein Verfahren nach Befehl 201 eingeleitet, da Kosler in dringendem Verdacht der Verbreitung von tendenziösen Gerüchten, die den Frieden des deutschen Volkes gefährden, steht«. Bereits am folgenden Tag wurde dem Dresdner Kriminalamt der Befehl erteilt, Koslers »abgehende und eingehende Post vertraulich zu überprüfen«. Am 18. November wurde gar angeordnet, Kosler ständig zu überwachen. Eine öffentliche Hetzkampagne gegen ihn sowie weitere aus der Partei entfernte Pädagogen präsentierte die Sächsische Zeitung in ihrer Ausgabe vom 23. November 1948.22
Doch zunächst sollten sich Koslers parteiinterne Gegner trotz des Kesseltreibens gegen ihn mit dem Parteiverfahren nicht durchsetzen können. Er hatte Fürsprecher nicht nur in der Dresdner SED-Spitze, sondern auch in der sächsischen Landesregierung. Zu seinen engsten Weggefährten und zugleich früheren Leidensgenossen während der Nazihaft zählten Arno Haufe, Symbolfigur für die Bewahrung sozialdemokratischer Traditionen in Sachsen in Krisenzeiten, der sächsische Ministerpräsident Rudolf Friedrichs, Erwin Hartsch, von 1946 bis 1948 sächsischer Volksbildungsminister, und nicht zuletzt Koslers unmittelbarer Vorgesetzter, der Stadtschulrat Clemens Dölitzsch. Der anfängliche Widerstand gegen die Kampagne gegen Kosler wurde dann aber im Rahmen der zunehmenden Stalinisierung der SED im Jahre 1948 zerschlagen. Begünstigt wurde dies dadurch, dass einige der Persönlichkeiten, die Kosler anfangs noch schützen konnten, isoliert worden oder verstorben waren: Haufe wurde im Sommer 1948 zu 25 Jahren Zwangsarbeit im sowjetischen Gulag verurteilt, Friedrichs, der sich noch gegenüber dem Ortsausschuss der OdF für Kosler eingesetzt hatte, verstarb überraschend im Juni 1947, und Hartsch erlag im August 1948 einem Krebsleiden. Dölitzsch hatte über die freiwillige Pensionierung seines Freundes »sein tiefstes Bedauern ausgedrückt«.23
Im Bericht über den nun möglich gewordenen Parteiausschluss Koslers wurde zwar bestätigt, dass er als »langjähriger Genosse zweifellos auf fachlich schulischem Gebiet eine gute Arbeit geleistet habe, aber als verantwortlicher Funktionär durch seine dauernde die Partei diskriminierende Haltung und Stellungnahmen das Ansehen der Partei erheblich geschädigt hat und politisch einen Standpunkt vertritt, der mit den Grundsätzen und Zielen nicht im Einklang steht«.24 In Berichten der Dresdner Informationsabteilung der SMA vom 26. August, 9. September sowie 2. Oktober 1948 wurde konstatiert, dass es nach dem Ausschluss Koslers an der Parteibasis versäumt worden sei, die Richtigkeit dieser Maßnahme zu erläutern. So seien viele SED-Mitglieder aus der Partei ausgetreten.25
Doch mit der beruflichen und politischen Isolierung Koslers gab sich das Heer der Bürokraten nicht zufrieden; er sollte alsbald auch noch seiner Freiheit beraubt werden. Am 29. Dezember 1948 wurde er festgenommen, nachdem er am 15. November 1948 ausgerechnet wegen seines lebenslangen Engagements für die Versöhnung zwischen den Juden und den Deutschen angezeigt worden war: »Herr Kosler hat es [als ehemaliger Rechtsbeistand] verstanden, das beschlagnahmte Vermögen von Verfolgten und ihrer Lebensmöglichkeit in Deutschland beraubter Juden zu verwalten und zu seinen Gunsten unter Ausübung von Erpressung mit diesen Vermögenswerten gearbeitet und spekuliert, indem er [1938] das Vermögen des geflüchteten jüdischen Unternehmers David Gleicher für seine Spekulationen genutzt und nicht das Geld für die in Dresden gelassene Freundin und deren Sohn Siegfried Schönbach verwendet hat«, hieß es in der Anklageschrift. Der Angeklagte wurde mit Haftbefehl vom 31. Dezember 1948 in Untersuchungshaft genommen, weil »Verdunkelungs- und Fluchtgefahr« bestehe. Bereits am 13. Januar 1949 mussten Koslers Häscher nach der Anhörung einhellig entlastender Zeugenaussagen konstatieren: »Die Belastungen gegen Kosler, welche auf Grund der Aussagen der Zeugin Köhler, geb. Schönbach, gegeben waren, werden von der Zeugin widerrufen. Die Glaubwürdigkeit dieser Zeugin ist als fragwürdig zu bezeichnen. Auf Grund vorliegender Ermittlungen dürfte eine weitere Inhaftierung von Kosler nicht aufrecht zu erhalten sein.« Daraufhin wurde am 17. Januar 1949 folgende Aktennotiz gefertigt: »Auf Anordnung der LKPA [Landes-kriminalpolizeiabteilung] Sachsen, Dezernat K 5, ist der Vorgang Kosler einzustellen, da dem Beschuldigten eine Nutznießerschaft an dem Vermögen des Kaufmanns David Gleicher vorläufig nicht nachzuweisen ist. Kosler bleibt weiterhin in Haft, er ist der SMA zu überstellen.« Schließlich wurde Kosler »auf Veranlassung der SMA am 26. Januar 1949 der SMA-Dienststelle Dresden, Bautzner Straße 116, zugeführt«.26 Er wurde sodann nach Artikel 58, Absatz 10 (Teil 2), des Strafgesetzbuches der Russischen Sozialistischen Förderativen Sowjetrepublik vom 22. November 1926 wegen »antisowjetischer Tätigkeit« zu 25 Jahren Freiheitsentzug im Arbeits- und Besserungslager (mit Einziehung des Vermögens) verurteilt.
Für Max Kosler öffneten sich die Bautzner Zuchthaustore im Rahmen einer Amnestie nach fünf Jahren: Am 16. Januar 1954 wurde er entlassen, zumal er wegen seines schlechten Gesundheitszustandes arbeitsunfähig war.27 Er folgte seiner Ehefrau Maria (1886 –1965) in den Westen. Sie war nach seiner Inhaftierung wiederholt vom NKWD vorgeladen und verhört worden und hatte sich schließlich 1949 in Westberlin in Sicherheit gebracht.28 Das Ehepaar zog nach Waldkraiburg in Bayern. Dort verstarb Max Kosler am 14. Juni 1966. Seine Rehabilitation durch die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Förderation steht noch aus.
1 Stenografischer Bericht in den Mitteilungen 31 (1921), H. 21 / 22, S. 125–131 und S. 133–136, hier S. 135 f.
2 Mitteilungen 32 (1922), H. 1, S. 7.
3 Im wirtschaftlich und kulturell besonders entwickelten Sachsen mit einem vergleichsweise geringen Anteil jüdischer Bevölkerung entstand ein außergewöhnlich aggressiver Antisemitismus. Siehe dazu ausführlich: Ephraim Carlebach Stiftung & Sächsische Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Antisemitismus in Sachsen im 19. und 20. Jahrhundert, Dresden 2004.
4 Siehe Koslers ministerielle Korrespondenz, in: Stadtarchiv Dresden, Schulamt, 2.3.20: Antisemitismus in der Schule, Nr. 42.
5 Mitteilungen 32 (1922), H. 19, S. 106. Eine neuerliche Titelanzeige findet sich ebenda, H. 22 / 23 vom 30. November 1922, S. 120.
6 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, BT & RB DD, VdN-Akten, Nr. 4049, Bl. 6 / 7.
7 Siehe: Die antisemitische Gefahr. Bericht über die Dresdner Tagung des Abwehrvereins, in: Abwehrblätter 42 (1932), H. 7, S. 145–147.
8 Siehe Weigand, Wolf Volker: Walter Wilhelm Goetz. Eine biografische Studie über den Historiker, Politiker und Publizisten, Boppard am Rhein 1992, S. 312 f.
9 VdN-Akte (Anm. 7).
10 VdN-Akte (Anm. 7). Siehe zum Gestapokommissar Weser, den Viktor Klemperer in seinen Tagebüchern als »Spucker« bezeichnete und ihn neben dem »Schläger« Clemens zu den in Dresdner Judenhäusern besonders gefürchteten »Hauptbestien« zählte: Klemperer, Viktor: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1942–1945, Bd. 2, hrsg. von Walter Nowojski, Berlin 1995, S. 293 f.
11 Siehe Petzold, Joachim: Die Entnazifizierung der sächsischen Lehrerschaft 1945, in: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Historische DDR-Forschung. Aufsätze und Studien, Berlin 1993, S. 87–103, hier S. 88.
12 Wilhelm Schneller (1894–1973), bis 1933 KPD-Stadtverordneter in Leipzig, gehörte zu jenen Radikalisten in der KPD bzw. in der SED, die schon 1945 mit dafür gesorgt hatten, dass selbst nur durch ihre nominelle Mitgliedschaft in NS-Organisationen belastete Pädagogen, darunter viele ehemalige Sozialdemokraten, aus den Schulen vertrieben wurden. Schneller selbst hatte sich nicht am Widerstand gegen das Naziregime beteiligt, brüstete sich aber gerne mit dem Märtyrertod seines Bruders Ernst (*1890), der im Oktober 1944 im KZ Sachsenhausen umgebracht worden war.
13 Siehe dazu ausführlich Mebus, Sylvia: Zur Entwicklung der Lehrerausbildung in der SBZ / DDR 1945 bis 1959 am Beispiel Dresdens, Frankfurt am Main 1999, insbes. S. 69.
14 Siehe Petzold: Die Entnazifizierung (Anm. 11), S. 95.
15 VdN-Akte (Anm. 7), Bl. 6 / 7.
16 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 11401: LRS & MfV, Nr. 518. Wie stark der Antisemitismus sogar in der Parteiführung verhaftet war, lässt die durch sie veranlasste Überprüfung der VVN-Mitglieder seit Juli 1949 erkennen, denn die zahlenmäßig größte Gruppe der Aberkennungen waren die rassisch verfolgten Juden. Siehe Groehler, Olaf: Integration und Ausgrenzung von NS-Opfern. Zur Anerkennungs- und Entschädigungsdebatte in der SBZ 1945 bis 1949, in: Kocka: Historische DDR-Forschung (Anm. 11), S. 105–127.
17 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, ZA 3247 / 54, Objekt 12.
18 Siehe den Bericht an Kusminov vom 5. Juli 1948, in: Staatsarchiv der Russischen Förderation Moskau [im Folgenden: GARF], SMAD-Bestand, f. 7212, o. 1, d. 227.
19 Zit. aus dem Protokoll der Schulleitersitzung vom 16. Juli 1948, in: Stadtarchiv Dresden, Bestand 4.1.13 (Dezernat Volksbildung), Nr. 22, Bl. 65 RS.
20 Siehe Anm. 17.
21 Ebenda.
22 Siehe zu den Angaben des vorstehenden Abschnitts ebenda, ZD 270/56, Nr. 12.
23 Siehe Anm.19. Auch Dölitzsch reichte im Mai 1950 sein Pensionsgesuch ein.
24 Siehe Anm. 17.
25 Siehe GARF, SMAD-Bestand, Bericht an Abramow vom 26. August 1948, f. 7212, o. 1, d. 244; Bericht an Tjulpanov vom 9. September 1948, f. 7212, o. 1, d. 244; Bericht an Kusminov vom 2. Oktober 1948, f. 7212, o. 1, d. 229.
26 Siehe zu den Angaben des vorstehenden Abschnitts Anm. 17.
27 Anm. 25, Bl. 31 und 32.
28 Archiv der sozialen Demokratie, SPD-Ostbüro aus 505: Flüchtlingsakte Maria & Max Kosler.