JHK 2008

Vergessene Kommunisten. Die »Weddinger Opposition« der KPD

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 58-67 | Aufbau Verlag

Autor/in: Marcel Bois

Die Anfang 1919 gegründete Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) vollzog bis zum Ende der Weimarer Republik einen fundamentalen Wandel. Sie entwickelte sich von einer demokratischen und diskussionsfreudigen Organisation zu einer vollständig entdemokratisierten, vom Apparat bürokratisch beherrschten Partei. Politische Konflikte wurden nicht mehr politisch, sondern organisatorisch »gelöst«. Oppositionelle erfuhren Repressionen, wurden mit Redeverboten belegt oder vom Zentralkomitee (ZK) kurzerhand aus der Partei ausgeschlossen. Damit einher ging eine ideologische Erstarrung. Wurden in der Frühphase politische Positionen immer wieder aufs Neue geprüft und debattiert, so verwandelten sie sich nun in Dogmen: Die Sowjetunion wurde »zum heiligen Land stilisiert, Marx, Engels, Lenin […] wie Religionsstifter verehrt«.1

Sehr treffend hat Hermann Weber diese Entwicklung bereits in den Sechzigerjahren als »Stalinisierung« bezeichnet und sie auch in den folgenden Jahrzehnten ausführlich analysiert.2 Es handelte sich hierbei um keinen widerspruchslosen Prozess. Vielmehr entwickelten sich zwischen 1924 und 1929 etwa ein Dutzend Gruppen und Fraktionen in der Partei, von denen die meisten gegen die Entdemokratisierung und für eine Rückkehr zur »alten KPD« kämpften.

Während der Großteil dieser innerparteilichen Strömungen mittlerweile relativ gut erforscht ist,3 wurde eine Gruppe bisher in der Historiographie des deutschen Kommunismus nahezu ignoriert: die nach dem Berliner Bezirk benannte »Weddinger Opposition«. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass die Gruppe zeitweise eine der stärksten innerparteilichen Fraktionen darstellte.

Forschungsstand

Bestenfalls werden die Weddinger in Abhandlungen zur KPD-Geschichte am Rande erwähnt. In Webers Standardwerk über die Stalinisierung der KPD oder Rüdiger Zimmermanns Arbeit über den Leninbund etwa finden sich lediglich einzelne verstreute Hinweise.4 Hans Schafranek liefert in seiner Kurt-Landau-Biographie eine skizzenhafte Darstellung der Spätphase der Fraktion.5 Kurze Abrisse über die Gruppen der Weddinger Opposition in der Pfalz und in Westsachsen sind zudem in den KPD-Regionalstudien von Klaus J. Becker und Norman LaPorte zu finden.6 So gilt heute weiterhin, was Schafranek bereits vor 20 Jahren konstatierte: »Nach wie vor stellt die durchgängige und systematische Erforschung der Weddinger Opposition […] ein Desiderat der zeitgeschichtlichen Forschung über linksoppositionelle Strömungen in Deutschland dar.«7

Weshalb die Forschung gerade die Weddinger vernachlässigt hat, darüber kann nur spekuliert werden. Möglicherweise hängt es damit zusammen, dass die Gruppe – im Gegensatz etwa zu den Trotzkisten oder der KPO – keine über das Ende der Weimarer Republik hinausreichende politische Traditionslinie begründet hat.8 Zudem haben sich ihre Mitglieder auch nicht – wie etwa die Oppositionellen Karl Korsch oder August Thalheimer – durch theoretische Schriften einen Namen gemacht. Eine weitere Ursache ist möglicherweise in der ehemals schlechten Quellenlage zu suchen. Diese hat sich jedoch mit Öffnung der DDR-Archive deutlich verbessert, sodass heute eine umfassende Aufarbeitung der Geschichte der Weddinger Opposition möglich ist. Eine solche kann an dieser Stelle aus Platzgründen selbstverständlich nicht geleistet werden.9 Vielmehr soll hier ein kurzer, thesenhafter Überblick über die teils sehr verworrene Geschichte der Gruppe gegeben werden, um einer Fachleserschaft die »vergessenen Kommunisten« der Weddinger Opposition bekannt zu machen.

Hochburgen Pfalz und Wedding

Die Weddinger Opposition entstand 1924 als Teil des ultralinken Flügels der KPD, zu dem sich auch führende Mitglieder der Partei wie Karl Korsch, Ernst Schwarz und Iwan Katz zählten. Anfang 1926 konstituierte sie sich als eigenständige Fraktion innerhalb der Partei.10 Ihre Hochburgen hatte sie im Bezirk Pfalz und dem Berliner Verwaltungsbezirk Wedding. Hier stellte sie jeweils über einen längeren Zeitraum die lokale Parteiführung. Aber auch aus Niedersachsen, aus Bielefeld sowie aus anderen Berliner Bezirken ist eine starke Anhängerschaft der Opposition überliefert – ebenso aus Westsachsen. Di

e dortige Gruppe um Arthur Vogt und ein Teil der Berliner um den aus Bielefeld stammenden Wilhelm Kötter trennten sich jedoch bereits im September 1926 von den Weddingern und agierten in der Folge eigenständig.11

Die bekanntesten Vertreter der Weddinger Opposition waren die Pfälzer Max Frenzel und Hans Weber. Frenzel war Hauptorganisator der Weddinger in der Pfalz und verantwortlicher Redakteur des Fraktionsorgans Der Pionier. Webers Rolle war es hingegen, die Opposition zusammenzuhalten. Als Mitglied des ZK lebte er einige Zeit in Berlin und stellte von dort die Verbindung zu seinem Pfälzer Heimatbezirk her. Aufgrund seiner exponierten Stellung wurden die Weddinger häufig auch als »Weber-Gruppe« bezeichnet.

Laut Hermann Weber verfügte die Weddinger Opposition zeitweilig über »erheblichen Anhang in der KPD«.12 Genaue Mitgliederzahlen sind allerdings nur schwer rekonstruierbar. So ist lediglich bekannt, dass die Fraktion 1926 bei den verschiedenen Verwaltungsbezirksversammlungen in Berlin elf Prozent der Delegierten stellte.13 Hierbei muss jedoch bedacht werden, dass Berlin eine ihrer Hochburgen war und dieser Anteil mit Sicherheit nicht auf die Reichsebene übertragen werden kann. Für diese ist vielmehr aus dem Jahr 1927 die nicht gesicherte Zahl von 3000 Anhängern überliefert.14

Auffällig ist, dass die Weddinger innerhalb der ultralinken Opposition eine gewisse Sonderrolle einnahmen. Während jene sich hauptsächlich aus Intellektuellen in Führungspositionen der KPD – wie Werner Scholem, Iwan Katz oder Karl Korsch – rekrutierte, verfügten die Weddinger über eine starke Verankerung in der Arbeiterschaft. Deutlich wurde dies etwa im Ludwigshafener BASF-Streik 1924, als ihre pfälzischen Aktivisten einen lokalen Konkurrenzverband zu den Freien Gewerkschaften aufbauten, der über 10000 Mitglieder zählte.15 Hinzu kamen bei der Herausbildung ihrer Hochburgen lokale Besonderheiten. Folgt man etwa LaPorte, so war der Einfluss der Weddinger in Westsachsen dadurch bedingt, dass es im Bezirk traditionell eine sehr starke SPD gab, die aber jegliche Zusammenarbeit mit den Kommunisten ablehnte. Den »ultralinken«, SPD-feindlichen Weddingern spielte diese Tatsache natürlich in die Hände.16

Gegner der Stalinisierung

Wie eingangs beschrieben, verstanden sich die Mitglieder der Weddinger Opposition als Gegner der innerparteilichen Stalinisierung. In den Diskussionen um die Entdemokratisierung der KPD verwiesen sie immer wieder auf die Entwicklungen in der Sowjetunion und verfolgten intensiv die Fraktionsauseinandersetzungen in der dortigen KP. Diese hatten im Frühjahr 1926 mit dem Zusammenschluss von Grigori Sinowjew, Leo Kamenew, Leo Trotzki und vielen anderen »alten Bolschewiki« zur »Vereinigten Opposition« gegen die Stalin-Führung einen Höhepunkt erreicht. Die Vereinigte Opposition kritisierte den Bürokratismus in Staat und Partei, forderte eine Stärkung der Arbeiterdemokratie und eine die soziale Lage der Bevölkerung verbessernde Industrialisierung. Zudem stellte sie sich gegen Stalins These, es sei möglich, den Sozialismus in einem einzigen – zudem wirtschaftlich rückständigen – Land aufzubauen.17

Die Weddinger Opposition solidarisierte sich mit der Opposition in der Sowjetunion und forderte ihre eigene Parteiführung auf, die Diskussion zur »russischen Frage« zuzulassen.18 Sie verlangte die »Herstellung der vollen Parteidemokratie durch die Wahrung der Diskussionsfreiheit in Wort und Schrift sowie die Wiederaufnahme aller ausgeschlossenen Genossen.«19 Im September 1926 ging sie gemeinsam mit anderen linken Fraktionen mit einer breit angelegten »Erklärung zur russischen Frage« an die Parteiöffentlichkeit.20 Sie konstatierten: »Das Zentralkomitee der KPD hat bis jetzt geglaubt, die Lage in der KPD und in der Komintern mit organisatorischen Mitteln meistern zu können. Aber die Gegensätze sind so zugespitzt wie noch nie. Der Opposition steht die Parteipresse überhaupt nicht mehr zur Verfügung.« Unter der Losung »Zurück zu Lenin, zum wirklich echten, unverfälschten Leninismus« forderten sie eine offene Diskussion innerhalb der Partei.21 Die Deklaration wurde von knapp 700 Parteifunktionären unterzeichnet und machte deutlich, dass die Opposition zu diesem Zeitpunkt einen nicht unerheblichen Teil der Parteibasis repräsentierte. Unter den Unterstützern befanden sich nicht nur mehrere Reichs- und Landtagsabgeordnete, sondern mit Hans Weber und Hugo Urbahns sogar zwei Mitglieder des Zentralkomitees der Partei.

Auch wenn für die KPD-Führung die als »Brief der 700« bekannt gewordene Erklärung nicht mehr als eine »antibolschewistische Schmähschrift« und einen »verbrecherischen Spaltungsversuch«22 darstellte, so ging sie doch auf die dort aufgestellte Forderung ein und ließ zumindest kurzfristig die innerparteiliche Diskussion über die russische Frage zu.23 Zugleich verstärkte sie aber die Repressionen gegen die Oppositionellen. Innerhalb weniger Monate wurden viele prominente Linke wie Hugo Urbahns, Anton Grylewicz und Werner Scholem aus der KPD ausgeschlossen. Insgesamt mussten bis März 1927 knapp 1300 Funktionäre die Partei verlassen.24

»Das Gesicht der Partei zugewandt«

Die Ausschlusswelle zwang die linksoppositionellen Kommunisten dazu, sich verbindlicher zu organisieren. Schon Ende 1926 hatte eine Reichskonferenz der linken Opposition eine Reichsleitung gewählt und die Herausgabe eines vierzehntägigen Mitteilungsblattes beschlossen. Im Gegensatz zur zunehmend entdemokratisierten Partei wurde die Opposition zu dieser Zeit »eine der Hochburgen der politischen Diskussion«.25 Zur ersten öffentlichen Veranstaltung, welche die innerparteiliche Opposition im Mai 1927 organisierte, erschienen 2000 Personen.26 Im März 1928 entschlossen sich die Linken schließlich, eine eigenständige Organisation zu gründen: den »Leninbund«. Tatsächlich wies diese neue Formation »von allen linken Oppositionsgruppen die meisten prominenten Namen« auf.27 Auch die Weddinger hatten sich im Vorfeld an den Diskussionen um die Neugründung beteiligt. Letztendlich blieben sie der Vereinigung jedoch fern, weil sie fürchteten, dass die Gründung den Versuch darstellen könnte, eine zweite kommunistische Partei aufzubauen. Als die Mitglieder des Leninbundes sich dafür entschieden, bei den kommenden Reichstagswahlen mit eigenen Listen – also gegen die KPD – anzutreten, fühlten sich die Weddinger in ihrer Einschätzung bestätigt. Sie hingegen ließen »ihr Gesicht […] voll und ganz der Partei zugewendet, in der sie aller Degeneration zum Trotz nach wie vor die 
›revolutionären proletarischen Kerntruppen‹ vereinigt sah[en]«28.

So agierten sie zwar weiterhin als Fraktion innerhalb der KPD, doch ging nach der Ausschaltung der anderen linken Oppositionsgruppen auch ihr Einfluss deutlich zurück. Zum Jahreswechsel 1927/28 gelang es dem ZK schließlich, die Opposition aus den lokalen Leitungen in Berlin-Wedding und der Pfalz auszuschließen. Im Januar 1928 entließ die Parteiführung den Oppositionellen Fritz Baumgärtner als politischen Leiter und Sekretär des Bezirks Pfalz wegen »parteifeindlicher Handlungen« und nahm so die letzte Festung der Weddinger ein.29 Einmal aus den lokalen Führungen gedrängt, zeigte die Weddinger Opposition deutliche Auflösungserscheinungen. Ein Teil ihrer Anhänger – darunter ihre beiden ZK-Mitglieder – schwenkte auf die Linie der Parteiführung ein. Ein anderer Teil verabschiedete sich frustriert in die politische Passivität. Nur ein kleiner letzter Teil agierte weiter als Weddinger Opposition. Laut Becker verfügte die Pfälzer Gruppe 1928 nur noch über knapp 160 Mitglieder.30 Mit der gleichzeitigen Rückkehr Hans Webers nach Speyer verschlechterte sich zudem ihr Kontakt zur Berliner Gruppe.

Festung in der Partei

Dennoch ist es bemerkenswert, dass sich die Fraktion so lange in der Partei halten konnte. Noch zur Zeit des Essener Parteitages im März 1927, als bereits nahezu die gesamte linke Opposition aus der KPD ausgeschlossen war, saßen die Weddinger weiterhin fest im Sattel. Der Parteitag hatte zwar mehrheitlich eine Resolution verabschiedet, in der betont wurde, dass der »Hauptfeind in der jetzigen Phase der Parteientwicklung […] die kleinbürgerlich-liquidatorische Abweichung unter ›linker‹ Maske [ist], die in den verschiedenen ultralinken Gruppen von Katz bis Weber […] ihre politische und organisatorische Verkörperung findet«.31 Dennoch wurden mit Adolf Betz und Max Gerbig zwei Vertreter der Weddinger ins ZK gewählt. Zwar hatte sich die Parteiführung schon zuvor darum bemüht, den Einfluss der Weddinger innerhalb der Partei zurückzudrängen. Beispielsweise beabsichtigte sie im Frühjahr 1926, ihre innerparteilichen Gegner durch einen taktischen Schachzug zu schwächen: Sie löste den von den Weddingern dominierten Bezirk Pfalz auf und überführte diesen in den Bezirk Baden. Unter dem Druck der Parteibasis und beeinflusst durch die Tatsache, dass auch in Baden zunehmend eine starke Opposition auftrat, machte das ZK den Zusammenschluss jedoch bald wieder rückgängig.32 Selbst als Baumgärtner im Januar 1928 als Bezirksleiter abgesetzt worden war, stand die Majorität der Pfälzer Mitgliedschaft hinter den Oppositionellen. So solidarisierten sich mehrere Unterbezirkskonferenzen, Ortsgruppen- und auch Betriebszellenversammlungen mit Baumgärtner.33 Als die Ausgeschlossenen wenige Monate später zur Bezirkstagswahl als »Alte Kommunistische Partei« antraten, konnten sie mehr als doppelt so viele Kandidaten wie die KPD auf ihrer Liste vereinen.34 Ähnliches gilt offenbar für Berlin. So war noch im April 1928 – fünf Monate nachdem dort Weber und Riese aus der Unterbezirksleitung ausgeschieden waren – im Lagebericht des Polizeipräsidiums zu lesen: »Die Darstellung der ›Roten Fahne‹, als ob die Weddinger Opposition zerschlagen sei, ist also falsch.«35

Dass sich die Weddinger vergleichsweise lange in der Partei halten konnten, hatte verschiedene Gründe. Die bereits erwähnte Verankerung in der lokalen Arbeiterschaft ist hierbei sicher nicht zu unterschätzen. Folgt man Schafranek, dann gab es in gewisser Hinsicht eine Wechselwirkung zwischen dieser Verankerung und der Standhaftigkeit in den innerparteilichen Auseinandersetzungen: »Die ungemein zähe und verbissene Verteidigung ihrer pfälzischen Hochburg gegen die wiederholten Versuche des stalinistischen Parteiapparats, eine mit überwältigender Mehrheit gewählte Bezirksleitung durch kommissarische Eingriffe und andere Formen bürokratischer Repression in die Knie zu zwingen, mobilisierte ein erhebliches Widerstandspotential und dürfte auch nicht ohne Eindruck auf etliche ›unentschiedene‹ Parteimitglieder geblieben sein.«36 Zudem hat Weber darauf hingewiesen, dass die Weddinger in den innerparteilichen Auseinandersetzungen »äußerst vorsichtig [operierten], um der ZK-Führung keine Handhabe für Repressalien zu bieten«37. Gleichzeitig habe diese Taktik aber auch zur Schwächung der Opposition beigetragen.

Annäherung an den Trotzkismus

In den wenigen Jahren ihrer Existenz vollzog die Weddinger Opposition einen deutlichen politischen Wandel. Zunächst fühlte sich die Gruppe dem »ultralinken« Flügel der KPD zugehörig. Zu dieser Zeit vertraten die Weddinger radikale und nicht selten realitätsferne Positionen. So gingen ihre Mitglieder 1927 davon aus, dass sich die Weimarer Gesellschaft in einer »objektiv revolutionären Situation« befände.38 Eine Zusammenarbeit der Partei mit der SPD lehnten sie fundamental ab. Hans Weber sprach sich etwa im Vorfeld der Reichspräsidentenwahl 1925 deutlich gegen einen gemeinsamen Arbeiterkandidaten von SPD und KPD aus.39 Den gemeinsamen Volksentscheid von Kommunisten und Sozialdemokraten zur Fürstenenteignung kritisierten die Weddinger als »parlamentarisch«. Der KPD-Führung warfen sie vor, die Radikalisierung der Arbeiterklasse zu unterschätzen und die Massen der SPD zu überlassen. Zudem drängten sie zeitweise darauf, dass Kommunisten eigenständige Gewerkschaften aufbauen müssten.40 Diese politische Orientierung muss letztendlich als ein Grund für das Scheitern der Weddinger in den innerparteilichen Auseinandersetzungen angesehen werden. So distanzierten sie sich gerade in den Jahren 1925/26 von vielen Parteimitgliedern, die zwar ebenfalls die innerparteiliche Entdemokratisierung kritisierten, aber den Einheitsfront-Kurs der Parteiführung durchaus unterstützten.

Ab 1926 begannen die Weddinger, sich von ihren ultralinken Positionen sukzessive zu entfernen – vor allem als die KPD ihrerseits ab 1928/29 auf einen von Moskau vorgegebenen ultralinken Kurs einschwenkte. Während Stalin und die KPD-Führung die Sozialdemokratie nun zum »Hauptfeind« erklärten und deren Mitglieder als »Sozialfaschisten« diffamierten, folgten die Weddinger den Einschätzungen Leo Trotzkis. Dieser vertrat den zur offiziellen Kominternlinie gegensätzlichen Standpunkt, die KPD müsse um jeden Preis eine »Einheitsfront« mit der SPD anstreben, um die faschistische Machtübernahme zu verhindern.41 In der KPD war der ehemals führende Bolschewik im Zuge der Stalinisierung zur »Unperson« geworden. Auch die Weddinger hatten ihn lange Zeit verschmäht: »Erst als die Trotzkisten mit den Leningradern [um Sinowjew] einen Block bildeten, hörte Trockij auf, für die deutschen Linken ein Schreckgespenst zu sein.«42 Als später die Vereinigte Opposition in der Sowjetunion zerbrach, näherten sich die Weddinger Trotzki weiter an.43 Die Gruppe ließ sich über Kuriere Materialien der russischen Opposition zukommen, übersetzte diese und verbreitete sie vor Ort. Weber fungierte als deutscher Herausgeber einer Trotzki-Broschüre über die Komintern, und die Pfälzer Gruppe verteilte einen Brief Trotzkis an russische Arbeiter als Flugblatt in einer Auflage von 10 000 Stück.44

Auch andere deutsche linksoppositionelle Kommunisten standen in den Jahren 1928/29 mit Trotzki in Kontakt – so etwa der linke Flügel des Leninbundes um Anton Grylewicz. Hintergrund hierfür war, dass sich der sowjetische Exilant zu dieser Zeit verstärkt darum bemühte, eine Opposition zur Stalin-Fraktion auf internationaler Ebene aufzubauen. Um die Kräfte in Deutschland zusammenzuziehen, sandte er 1929 den Österreicher Kurt Landau nach Berlin.45 Diesem gelang es, die untereinander zerstrittenen Oppositionsgruppen zu einigen, und so gründeten schließlich im März 1930 die verbliebenen Weddinger gemeinsam mit den Grylewicz-Leuten die »Vereinigte Linke Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten)« (VLO). Ebenfalls an der Gründung dieser ersten trotzkistischen Organisation in Deutschland beteiligt waren die kleine Gruppe »Bolschewistische Einheit« sowie die ehemalige Vogt-Gruppe der Weddinger Opposition.46

Verglichen mit dem intellektuellen Einfluss, den Trotzki in den nächsten Jahren aus-üben sollte, blieb die neu gegründete Organisation erfolglos. Von wenigen lokalen Ausnahmen abgesehen, gelang es ihr zu keinem Zeitpunkt, auf die weitere Entwicklung der KPD einzuwirken. Die Gründung der VLO bedeutete zudem das organisatorische Ende der Weddinger Opposition – jener Fraktion, der dies in der Vergangenheit zumindest zeitweilig gelungen war.47


1 Koch-Baumgarten, Sigrid: Einleitung, in: Flechtheim, Ossip K.: Die KPD in der Weimarer Republik, Hamburg 1986, S. 9–54, hier S. 39.

2 So u. a. in Weber, Hermann: Die Wandlung des deutschen Kommunismus. Die Stalinisierung der KPD in der Weimarer Republik, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1969 (im Folgenden ist ausschließlich Bd. 1 zitiert). Auch heute hält er an der Wandlungsthese fest: ders.: Die Stalinisierung der KPD – Alte und neue Einschätzungen, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2007, S. 221244. Fundamental in Frage gestellt wird die Stalinisierungstheorie hingegen von Mallmann, Klaus-Michael: Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung, Dortmund 1996, S. 54–83. Siehe zu dieser Kontroverse auch: Wirsching, Andreas: »Stalinisierung« oder entideo-logisierte »Nischengesellschaft«? Alte Einsichten und neue Thesen zum Charakter der KPD in der Weimarer Republik, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 45 (1997), S. 449–466; LaPorte, Norman: ›Stalinization‹ and its Limits in the Saxon KPD, 1925–28, in: European History Quarterly 31 (2001), S. 549–590; Bois, Marcel / Wilde, Florian: »Modell für den künftigen Umgang mit innerparteilicher Demokratie«? Der Heidelberger Parteitag der KPD 1919, in: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung 6 (2007), H. 2, S. 33–46.

3 Hier seien nur einige Studien exemplarisch genannt: Zimmermann, Rüdiger: Der Leninbund. Linke Kommunisten in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1978; Alles, Wolfgang: Zur Politik und Geschichte der deutschen Trotzkisten ab 1930, Frankfurt a. M. 1987; Schüle, Annegret: »Für die Arbeitereinheitsfront zur Abwehr des Faschismus«. Trotzkismus in Deutschland bis 1933, Köln 1989; Langels, Otto: Die ultralinke Opposition der KPD in der Weimarer Republik. Zur Geschichte und Theorie der KPD-Opposition (Linke KPD), der Entschiedenen Linken, der Gruppe »Kommunistische Politik« und des Deutschen Industrie-Verbandes in den Jahren 1924 bis 1928, Frankfurt a. M. 1984; Bergmann, Theodor: »Gegen den Strom«. Die Geschichte der Kommunistischen-Partei-Opposition, Hamburg 1987; Tjaden, Karl Hermann: Struktur und Funktion der »KPD-Opposition« (KPO). Eine organisationssoziologische Untersuchung zur »Rechts«-Opposition im Kommunismus zur Zeit der Weimarer Republik, Meisenheim am Glan 1964.

4 Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus (Anm. 2), S. 84, 144, 149–52, 156–58, 162–66, 170–171, 173, 177, 180–182, 184; Zimmermann: Der Leninbund (Anm. 3), S. 6265, 83–85, 97 – 102, 125, 175, 177. In Weber, Hermann (Hrsg.): Der deutsche Kommunismus. Dokumente, Köln und Berlin 1963, S. 278–80 ist ein Auszug der »Plattform der Weddinger Opposition« von 1926 abgedruckt.

5 Schafranek, Hans: Das kurze Leben des Kurt Landau. Ein österreichischer Kommunist als Opfer der 
stalinistischen Geheimpolizei, Wien 1988, S. 19
2199.

6 Becker, Klaus J.: Die KPD in Rheinland-Pfalz 1946–1956, Mainz 2001, S. 20–56; LaPorte, Norman: The German Communist Party in Saxony, 1924–1933. Factionalism, Fratricide and Political Failure, Bern 2003.

7 Schafranek: Das kurze Leben des Kurt Landau (Anm. 5), S. 192.

8 So wurde die noch heute existierende »Gruppe Arbeiterpolitik« 1947 von ehemaligen Mitgliedern der Kommunistischen Partei-Opposition (KPO) gegründet. Ebenso entstanden in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Kleingruppen, die sich auf Trotzki beriefen.

9 Diese Forschungslücke versuche ich derzeit mit meiner Dissertationsschrift (»Gegen Hitler und Stalin. Linksoppositionelle Kommunisten in der Weimarer Republik«) zu schließen.

10 Zum konstituierenden Treffen 1926 siehe: Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (im Folgenden: SAPMO-BArch), RY 1, I 2/3/64, Bl. 445. Zum Ursprung der Gruppe: Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus (Anm. 2), S. 84, Anm. 150.

11 Hierzu: LaPorte: The German Communist Party in Saxony (Anm. 6), S. 153; Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus (Anm. 2), S. 165.

12 Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus (Anm. 2), S. 156.

13 Ebenda, S. 157.

14 Bundesarchiv (im Folgenden: BArch) Berlin, R 1507/1064, Bl. 101. Schafranek hält die Zahl – ohne dies zu begründen – für übertrieben; vgl. ders.: Das kurze Leben des Kurt Landau (Anm. 5), S. 311, Anm. 211.

15 Becker: Die KPD in Rheinland-Pfalz (Anm. 6), S. 31. Zum BASF-Streik 1924 siehe auch Weber, Hans: Einige Erinnerungen aus meinem politischen Leben und Wirken, in: Stadtarchiv Ludwigshafen (im Folgenden: StaLu), Mappe 153: Gedächtnisprotokolle.

16 LaPorte: ›Stalinization‹ and its Limits (Anm. 2), S. 551.

17 Broué, Pierre: Zur Geschichte der Linken Opposition (1923–1928), in: Trotzki, Leo: Schriften, Bd. 3.1: Linke Opposition und IV. Internationale (1923–1926), hrsg. von Helmut Dahmer u. a., Hamburg 1997, S. 9–22.

18 Siehe z. B.: Material zur Delegiertenkonferenz des 3. Verwaltungsbezirks (Wedding) am 18. November 1927, in: Trotsky-Archive, Hougthon Library, Harvard University, Cambridge, Ma. (im Folgenden: TA Harvard), bMS Russ 13, T-1055.

19 Diskussionsartikel der Weddinger Opposition, in: Der Pionier. Mitteilungsblatt, hrsg. von der Bezirksleitung der KPD, Bezirk Pfalz, November 1927, S. 1–5, hier S. 5.

20 BArch Berlin, R 1507/1063g, Bl. 103 f., 106–139. Broué: Zur Geschichte der Linken Opposition (Anm. 17), S. 17, meint, Initiator der Erklärung sei Werner Scholem gewesen. Siehe auch: Die Weddinger Opposition zur Erklärung Kötters, in: BArch Berlin, R 1507/1063f, Bl. 278. Hiernach haben die Weddinger den »Brief der 700« veranlasst. Zuvor hatten die beiden Gruppen folgende Broschüre herausgebracht: Einiges Material zur russischen Frage. Memorandum der Weddinger Opposition und der »Urbahns-Gruppe«, o. O., o. J. [1926], in: BArch Berlin, R 1507/1063g, Bl. 242.

21 BArch Berlin, R 1507/1063g, Bl. 106, 117.

22 Rote Fahne, 17. September 1926.

23 Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus (Anm. 2), S. 163.

24 Fischer, Ruth: Stalin und der deutsche Kommunismus, Bd. 2, Berlin 1991, S. 267. Siehe auch Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus (Anm. 2), S. 178 f.

25 Broué, Pierre: Die deutsche Linke und die russische Opposition 1926–1928, in: Schüle: Trotzkismus in Deutschland bis 1933 (Anm. 3), S. 7–34, hier S. 17.

26 Rundschreiben Urbahns-Gruppe, 22. Mai 1927, in: SAPMO-BArch, RY 1, I 3/1-2/64, Bl. 99–101.

27 Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus (Anm. 2), S. 184.

28 Schafranek: Das kurze Leben des Kurt Landau (Anm. 5), S. 194.

29 Brief des ZK an die BL der Pfalz, [12. Januar 1928], in: SAPMO-BArch, RY 1, I 3/25/9, Bl. 170 f.

30 Becker: Die KPD in Rheinland-Pfalz (Anm. 6), S. 42.

31 Die Ergebnisse der Parteidiskussion und die innerparteilichen Aufgaben. Resolution des Essener Parteitags der KPD, 2.–7. März 1927, in: Reuter, Elke / Hedeler, Wladislaw / Helas, Horst / Kinner, Klaus (Hrsg.): Luxemburg oder Stalin. Schaltjahr 1928 – Die KPD am Scheideweg. Eine kommentierte Dokumentation, Berlin 2003, S. 15–20, hier S. 17.

32 Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus (Anm. 2), S. 165.

33 SAPMO-BArch, RY 1, I 3/25/10, Bl. 3–5, 7, 8, 39, 54, 79, 92–94, 105, 106.

34 Bekanntmachung über die Wahlvorschläge für die Bezirkstagswahl, Ludwigshafen am Rhein, 11. Mai 1928, in: StaLu, Pl 1928/5.

35 Auszug aus dem Lagebericht des Polizeipräsidiums, Abt. IA, Berlin vom April 1928, in: Staatsarchiv 
Bremen, 4,65-511, Bl. 41–42, hier Bl. 42.

36 Schafranek: Das kurze Leben des Kurt Landau (Anm. 5), S. 193.

37 Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus (Anm. 2), S. 150.

38 Weber, Hans u. a.: Die Neuorientierung der Komintern. Das Ergebnis der VII. Erweiterten Exekutive, in: Die Internationale 10 (1. Februar 1927), H. 2/3, S. 83–86, hier S. 85.

39 Becker: Die KPD in Rheinland-Pfalz (Anm. 6), S. 34.

40 Zu den Positionen der Gruppe: Plattform der Weddinger Opposition. Eine Kritik der Kommunistischen Internationale, in: BArch Berlin, R 1507/1063g, Bl. 235a/236a; Resolution der Weddinger Opposition zum Bezirksparteitag Berlin-Brandenburg [1927], in: SAPMO-BArch, RY 1, I/1-2/32, Bl. 316–322.

41 Siehe hierzu Trotzki, Leo: Schriften über Deutschland, hrsg. von Helmut Dahmer, Frankfurt a. M. 1971.

42 Zimmermann: Der Leninbund (Anm. 3), S. 62.

43 Siehe auch: Brief Hans Weber an Leo Trotzki, 1. April 1929, in: TA Harvard, bMS Russ 13.1, 5839.

44 Trotzki, Leo: Die Internationale Revolution und die Kommunistische Internationale, hrsg. und mit einem Vorwort versehen von Hans Weber, Berlin 1929; Brief Hans Weber an Leo Trotzki, 21. April 1929, in: TA Harvard, bMS Russ 13.1, 5840.

45 Schafranek: Das kurze Leben des Kurt Landau (Anm. 5), S. 167.

46 Engelhardt, Falk: Entwicklung und Politik der trotzkistischen Linksopposition in Leipzig ab 1924, überarbeitete Magisterarbeit, Chemnitz 2006, S. 37.

47 Während der NS-Zeit taucht die Weddinger Opposition in Berlin noch einmal auf, als ihre ehemaligen Mitglieder als Widerstandsgruppe »Funke« firmieren; Sandvoß, Hans-Reiner: Die »andere« Reichshauptstadt. Widerstand aus der Arbeiterbewegung in Berlin von 1933 bis 1945, Berlin 2007, S. 186.

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