JHK 2009

Das Bild Mao Zedongs in zwei neuen Veröffentlichungen des russischen Sinologen A. V. Pancov

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 77-88 | Aufbau Verlag

Autor/in: Alexandr Jurkevič

Den Stil einer populärwissenschaftlichen Publikation mit der Einhaltung wissenschaftlicher Standards zu vereinen ist eine beinahe unmögliche Aufgabe. Oftmals wird der wissenschaftliche Anspruch der »lebendigen Erzählweise« geopfert. Dass ein Kompromiss zwischen Wissenschaft und Zugänglichkeit im biografischen Genre doch möglich ist, zeigen die Arbeiten des bekannten russischen Sinologen Alexandr V. Pancov, der in den USA lehrt. Er hat kürzlich zwei neue Veröffentlichungen über Mao Zedong (1893–1976) vorgelegt: eine von ihm selbst verfasste Biografie sowie eine kommentierte Neuausgabe von Edgar Snows »Autobiografie« Maos aus den Dreißigerjahren.1

A. V. Pancovs Biografie von Mao Zedong zeichnet sich durch eine ausführliche Dokumentation aus. Allein das Primärquellenverzeichnis enthält mehr als 400 Einträge (unter anderem Dokumente und Materialien aus chinesischen und russischen Archiven, Publikationen, Briefen, Reden und Interviews von Mao selbst sowie Memoiren) – von dem umfangreichen Literaturverzeichnis erst gar nicht zu sprechen. Dennoch fügt sich das Buch vom Erzählstil her gut in die Reihe »Жизнь замечательных людей« (Das Leben bedeutender Personen), in der es erschienen ist. Inhaltlich dominieren zwei Bereiche: Mao und die KPCh – sein Verhältnis zu Kampfgefährten und Widersachern in der Partei – sowie Mao und die Moskauer Parteiführer und deren Emissäre. Zwei weiteren Aspekten, die eng miteinander verbunden sind – Maos Familie sowie seine Frauen – wird weniger Aufmerksamkeit gewidmet. Sie sind jedoch wichtig, um die Entwicklung seiner Persönlichkeit zu verstehen. Der Autor zeigt, wie ein eigensinniger, liberal-anarchistisch eingestellter Patriot, der fähig war, Freundschaften zu führen, zu lieben und seine Lehrer zu verehren, unter dem Einfluss seiner Erziehung und seiner Lebensumstände zu einem professionellen Revolutionär wurde, der bereit war, für seine abstrakten Ideale über Leichen zu gehen. So wurde Mao zu einem politischen Führer, in dessen Charakter sich auf bizarre Art die Neigung zum Selbstbetrug mit Einfühlsamkeit und der Fähigkeit, Situationen richtig einzuschätzen, vereinte, die Leidenschaft für Intrigen mit dem Bedürfnis, von allen vergöttert zu werden, und paranoide Ängste mit kühler Berechnung.

Die Biografie beginnt mit einem belletristisch wirkenden Prolog, der jedoch fast wie eine kanonische Einführung in ein akademisches Werk aufgebaut ist. Der Autor berichtet über die grundlegenden Probleme, die russischen Historikern Kopfzerbrechen bereiten (»War Mao Zedong Feind oder Freund? Zögling Stalins oder leidenschaftlicher chinesischer Nationalist? Oder vielleicht beides? Gab er sich als Freund aus, wenn es für ihn günstig war, um beim geringsten Anlass alles und jeden zu verraten?« S. 7). Des Weiteren geht er auf die Interpretation des Phänomens Mao außerhalb Chinas ein: auf den im November 1934 in der UdSSR veröffentlichten Essay von G. B. Erenburg (Pancovs Großvater) – die Publikation, mit der die Verherrlichung Maos in der sowjetischen Presse begann; auf die populäre Konzeption der »Selbstständigkeit Mao Zedongs« in den Beziehungen zu Stalin und auf die Meinung westlicher Historiker und Politologen über China in den Vierziger- und Fünfzigerjahren. Es werden Quellen vorgestellt, die es ermöglichen, Episoden aus dem Leben des KPCh-Führers aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten: die »Dokumente über Mao, seine Feinde und Freunde« aus dem ehemaligen Zentralen Parteiarchiv des ZK der KPdSU (heute das Russische Staatsarchiv für Sozial- und Politikgeschichte, RGASPI) sowie in den letzten Jahren veröffentlichte Materialien aus den Beständen des ZK der KPCh in Peking.

Der Haupttext des Buchs ist in acht Teile gegliedert, die jeweils eine Lebensphase Mao Zedongs behandeln. Im ersten Teil, der den Titel »Der wohltätige Osten« trägt (wie der Name Zedong übersetzt werden kann), erzählt der Autor von dessen Kindheit und Jugend. Er beginnt mit der Familiengeschichte, die ihren Ursprung im 14. Jahrhundert im Bezirk Xiangtan in der Provinz Hunan hat. Das Leben von Maos Familie wird im Kontext der sozialökonomischen und kulturellen Situation im China dieser Zeit dargestellt. Es folgen umfangreiche Beschreibungen historischer Ereignisse – das Eindringen der großen Staaten nach China, die Tätigkeit der Ideologen der »Selbstaufwertung«, der Reformatoren und der revolutionären Nationalisten unter der Führung von Sun Yat-sen, die antimandschurische Xinhai-Revolution im Jahr 1911, die Schwierigkeiten der ersten Jahre der chinesischen Republik. Der Leser bekommt so einen Eindruck davon, unter welchen Einflüssen sich die Weltanschauung Mao Zedongs entwickelte. Detailliert wird seine Ausbildung beschrieben – von der privaten Grundschule im Heimatdorf Shaoshan bis zum pädagogischen College in Changsha. Dort fand er Freunde, die seine ersten Kampfgefährten werden sollten – sein Studienkollege Cai Hesen, sein Lehrer Siu Deli und andere – und wurde von Professor Yang Changji unterstützt, einem Befürworter der Reformen. Dessen Tochter Yang Kaihui heiratete Mao 1920 (seine erste Ehe mit dem Bauernmädchen Luo Yixiu, das 1910 gestorben war, leugnete er immer). Ab 1915 wurde sein organisatorisches Geschick zum ersten Mal deutlich: Er organisierte patriotische Jugendkreise und Studentenverbände in Changsha. Schon damals nahm er sich historische Persönlichkeiten zum Vorbild, die es aus eigener Kraft zu etwas gebracht hatten. Dazu gehörte Liu Ban, der 206 v. Chr. die Han-Dynastie begründet hatte, aber auch die Legisten, die »gute Gesetze« eingeführt hatten, um »den Wohlstand des Volkes« zu gewährleisten, selbst wenn diese repressiv durchgesetzt wurden. Aus Übersetzungen westlicher Literatur – Mao bewies von Jugend an weder ein Talent für Sprachen noch für Naturwissenschaft oder Mathematik –, die ihm von seinen »progressiven« Lehrern empfohlen wurden, prägten sich dem künftigen Staatsführer vor allem die Idee der Notwendigkeit großer Veränderungen und ein ethischer Relativismus ein (»nicht immer ist ein Mord etwas Schlechtes«, S. 63).

Der zweite Teil der Biografie trägt den für russische Leser vielsagenden Titel »Was tun?« (so heißt ein in Russland bekannter Roman des revolutionären Demokraten N. Černyševskij aus dem 19. Jahrhundert). Es geht darin um jene Phase im Leben Maos, in der er zum Marxismus fand. 1918 erhielt er einen Posten als Bibliothekar an der Universität in Peking. Auf Empfehlung des Bibliotheksdirektors Li Dazhao, eines der künftigen Führer der KPCh, begann Mao, Versammlungen von Gruppen zu besuchen, die Vorläufer marxistischer Kreise waren. Den größten Eindruck auf den jungen Mao machte jedoch der Dekan des geisteswissenschaftlichen College, Chen Duixiu – der spätere Generalsekretär der KPCh. Dieser stand dem Marxismus und vor allem dem Bolschewismus zu diesem Zeitpunkt skeptisch gegenüber. Er sympathisierte mit anarchistischen Positionen, was sich auch auf Maos Positionen auswirkte. Die Idee, an der von den Anarchisten organisierten Kampagne für »Arbeit und Lehre in Frankreich« teilnehmen, verwarf Mao jedoch bald wieder. A. V. Pancov führt dies vor allem auf sein mangelndes Talent für Sprachen zurück.

Weil er unter den Pekinger Revolutionären keinen Platz fand, kehrte Mao nach Changsha zurück, wo er als Geschichtslehrer in einer Schule arbeitete. Er wurde Direktor einer Grundschule, gründete den Provinzverband für Schüler und vertiefte sich in Propaganda­arbeit und Journalismus. Die pathetische Kernaussage seiner Publikationen bestand damals in der ungenauen Idee einer »Vereinigung der unterdrückten Schichten der Gesellschaft« – dazu zählte er Bauern, Arbeiter, Studenten, Frauen, Grundschullehrer und Rikschafahrer. Erst im November 1920 gelangte er zu der Überzeugung, dass die einzig wahre Lehre, die dazu in der Lage sei, »nicht nur dem Einzelnen, sondern auch anderen Menschen zu nützen«, der »internationale Kommunismus« sei. Er begann, radikale marxistische Zellen in Changsha aufzubauen. Im Juli 1921 nahm er am I. Parteitag der KPCh in Shanghai teil.

Der dritte Teil mit dem Titel »Nationalismus oder Sozialismus« behandelt die Tätigkeiten Mao Zedongs während der Vorbereitung und Herausbildung der sogenannten antiimperialistischen Einheitsfront der KPCh und der von Sun Yat-sen gegründeten Partei Guomindang. Viel Raum nehmen hier die Beschreibung der Aktivitäten der Emissäre und der Komintern-Führung ein, welche die Linie ihres zweiten Kongresses durchsetzen wollten. Deren zentralen Punkt formuliert A. V. Pancov wenig wissenschaftlich, aber treffend: »Die Bolschewiki […], die die Nationalrevolutionäre aus dem Osten in ihrem Kampf gegen den Imperialismus und die feudale Reaktion unterstützen, werden alles tun, was in ihrer Macht steht, um den kommunistischen Organisationen in diesen Ländern dabei zu helfen, den Nationalisten den Hals umzudrehen« (S. 152). Die chinesischen Kommunisten hatten zunächst keineswegs vor, »die Bourgeoisie zu unterstützen«. Auf dem II. und III. Parteitag der KPCh wurden die widerspenstigen Genossen jedoch nach und nach von der Komintern in die Ecke gedrängt.

Mao war zu diesem Zeitpunkt damit beschäftigt, die Partei- und Gewerkschaftsarbeit in Hunan in Gang zu bringen, wobei er erneut sein Organisationstalent unter Beweis stellte. Auf dem III. Parteitag der KPCh (1923 in Guangzhou) trat er dem zentralen Exekutivkomitee und dessen Zentralbüro bei. Bald darauf wurde vor allem durch die Bemühungen Maos eine Guomindang-Organisation in Hunan gegründet. Im Januar 1924 war er Delegierter des I. Parteitages der Guomindang, auf dem der Beitritt von Kommunisten auf individueller Basis zugelassen wurde. Außerdem wurde er als Kandidat für das Zentrale Exekutivkomitee der Partei aufgestellt. Die Arbeit in der Guomindang, die von ständigen Differenzen zwischen den Kommunisten und den »rechtgläubigen« Anhängern begleitet war, endete mit seinem Nervenzusammenbruch: Mao legte sein Amt nieder und reiste Ende 1924 mit seiner Familie – er hatte bereits zwei Söhne – in seine Heimat. Er nahm nicht einmal am IV. Parteitag der KPCh (1925 in Shanghai) teil und kam nicht in den neuen Ausschuss des Exekutivkomitees. Dafür gründete er in seinem Heimatort Xiangtan gemeinsam mit einigen Genossen mehr als 20 Bauernverbände!

Im Jahr 1925 formierte sich in der Politik der Guomindang die stalinistische Linie, die auf einen Übergang von der Politik der Einheitsfront zum Aufbau eines »revolutionären Blocks« zweier Kräfte abzielte: einerseits der kommunistischen Partei, andererseits der Partei der »revolutionären Kleinbürger«. Beide sollten im Rahmen einer Partei »in der Art der Guomindang« vereint werden (S. 212). Dabei ging Stalin, der die Spezifik der Guomindang als Block verschiedener, grundsätzlich autonomer Gruppierungen nicht verstand, von seiner Erfahrung im parteibürokratischen Kampf in der streng zentralisierten Allunionspartei der Bolschewiki aus. Als Resultat mussten die Kommunisten eine Verschärfung des Konflikts mit den Guomindang-Leuten akzeptieren, die aus ihrer eigenen Partei verdrängt worden waren, oder sich den Guomindang-Führern unterordnen. Die verwirrenden Direktiven aus Moskau führten zur Desorientierung der chinesischen Kommunisten und Anpassung an die Moskauer Strategien.

Die politische Demonstration Chiang Kai-sheks, der im März 1926 die Kommunisten beschuldigte, einen Umsturz zu planen, zwang Moskau und die KPCh, Zugeständnisse zu machen. Vor allem mussten die Kommunisten (mit Ausnahme jener, die heimlich mit den Guomindang-Treuen zusammenarbeiteten) ihre leitenden Posten in der Armee und auch innerhalb der Guomindang räumen. Auch Mao Zedong gab seine Stelle in der Propaganda­abteilung des Exekutivkomitees auf und konzentrierte sich von nun an auf die Probleme der Bauern. Er schrieb eine Reihe von Texten, in denen er marxistische Muster auf chinesische Verhältnisse anzuwenden versuchte und offensichtlich den Grad der kapitalistischen Entwicklung Chinas überschätzte. Dabei betonte Mao nachdrücklich das revolutionäre Potenzial des Lumpenproletariats, das »auf die Seite der Bauernverbände« gebracht werden müsse (S. 223) sowie den reaktionären Charakter der Großgrundbesitzer. Die Bauernfrage wurde für ihn zur Schlüsselfrage in China. Ihre Lösung sah er in der beschleunigten Gründung einer Bauernbewegung.

Der vierte Teil – »Das Gewehr und die Macht« – berichtet von den Ereignissen in den Jahren 1926 bis 1930. Im Juli 1926 begann die Armee der Guomindang den Norden-Feldzug, um China zu einen. Während der Kampagne kam es zum Zerwürfnis zwischen der Regierung in Wuhan, zu der auch die Kommunisten gehörten, und dem Block Chiang Kai-sheks, der seine Machtorgane in Nangchan und ab Frühling 1927 in Nanjing aufgebaut hatte. Die Radikalisierung der Bauernbewegung, wie Mao sie plante, widersprach anfangs den Direktiven Moskaus zur Milderung der Widersprüche innerhalb der Guomindang. Im Februar 1927 wurde jedoch sein berühmter »Untersuchungsbericht über die Bauernbewegung in der Provinz Hunan«, ein »Verteidigungsmanifest für die Agrarrevolution der entrechteten Massen« (S. 247), von der Parteiführung angenommen und in der linksgerichteten Guomindang-Presse veröffentlicht – und in Moskau positiv bewertet. Das Exekutivkomitee der Komintern hatte nämlich Ende 1926 beschlossen, dass die Frage der Agrarrevolution »im Programm der nationalen Befreiungsbewegung an sichtbarer Stelle« platziert werden müsse (S. 250). Moskau ordnete nun »die Umwandlung der Bauernkomitees in tatsächliche Machtorgane mit bewaffnetem Selbstschutz« an (S. 251).

Die Aktivität der Kommunisten und die Willkürakte der Bauernverbände riefen in der Armee der Guomindang Unmut hervor, da ein Großteil des Offizierskorps Ländereien besaß. Im April 1927 begannen Chiang Kai-shek und seine Anhänger mit Repressionen gegen die Kommunisten. Im Juli forderten auch die politischen Führer in Wuhan den Ausschluss der Kommunisten aus der Guomindang, diese nahmen daraufhin den bewaffneten Kampf gegen die Guomindang auf. Im August wurde Mao als Kandidat für das provisorische Politbüro des ZK der KPCh aufgestellt und als Sondervertreter des ZK für die Organisation des »Herbsternte-Aufstands« nach Hunan geschickt. Dort begann er mit der Konfiszierung von Eigentum – nicht nur der Großgrundbesitzer, sondern auch der Großbauern. Den Erfolg des Aufstands machte er von der Unterstützung durch mindestens ein oder zwei Regimenter abhängig. Bei einer Versammlung des Parteikomitees von Hunan sprach Mao erstmals die berühmten Worte: »Wir müssen von dem Prinzip ausgehen, dass die politische Macht aus den Gewehrläufen kommt.« (S. 278) Das provisorische Politbüro und die Vertreter der Komintern teilten jedoch seine Meinung zur Verbindung von Militär und Massenbewegung nicht.

Der Aufstand am 9. September wurde niedergeschlagen. Die Aufständischen mussten den von der Zentrale ausgehenden Plan zur Einnahme Changshas aufgeben. Mao schaffte mit den verbliebenen Männern den mühsamen Marsch in das Hochgebirgsgebiet Jinggangshan, wo Revolutionsbehörden gegründet wurden. Er nahm Kontakt zu den Anführern lokaler Banditengruppen auf, überließ ihnen Waffen und versicherte sich so ihrer Unterstützung. Gemeinsam rüsteten sie ihre Truppen auf Kosten der örtlichen Bevölkerung aus, deren Besitz beschlagnahmt wurde. Hier arbeitet der Autor die charakteristischen Merkmale des bewaffneten Kampfs der chinesischen Kommunisten Ende der Zwanziger-, Anfang der Dreißigerjahre heraus: Zum einen betont er die bauernfeindliche Einstellung der Roten Armee sowie den Aspekt, dass diese überwiegend aus Angehörigen des Lumpenproletariats bestand. Alle, die etwas besaßen, wurden Opfer des Terrors. Zum anderen habe die ethnische Gruppe der Hakka, einer unterdrückten Minderheit aus dem Norden, die mit den örtlichen Clans verfeindet war, in diesem Kampf eine große Rolle gespielt. Im »Land der Hakka«, in den südlichen Gebirgsregionen, wurden die Kommunisten mit offenen Armen empfangen und fanden neue Mitglieder. Angehörige der Hakka waren auch in der KPCh-Führung vertreten: unter anderem Zhu De und Deng Xiaoping. Maos dritte Frau He Zhizhen, die er 1928 geheiratet hatte, war eine Hakka. Yang Kaihui, die mit den drei Söhnen in Changsha blieb, wurde 1930 von der Guomindang erschossen, weil sie sich nicht von ihrem Mann lossagen wollte.

Die abenteuerliche Politik der Aufständischen und der weiße Terror zwangen die Kommunisten, sich in schwer zugängliche Gebiete zurückzuziehen. Moskau und die KPCh-Führung in Shanghai fanden Unterstützung bei den politischen Führern von Hunan. Mao wurde für seine Weigerung, Changsha zu stürmen, kritisiert und wegen »militärischem Opportunismus« aus den Parteiorganen ausgeschlossen. Durch seine Allianz mit den Truppen Zhu Des im April 1928 erklomm er jedoch die nächste Stufe auf der Karriereleiter. Er wurde zum Sekretär des Sonderkomitees für das Grenzgebiet Hunan-Jiangxi und zum Sekretär des Frontkomitees ernannt. Die Politik der »schwarzen Neuverteilung« und der Terror gegenüber der Bevölkerung führten zur Verwüstung der Gegend. Die Reste der Truppen von Mao und Zhu De marschierten im Januar 1929 weiter ins Grenzgebiet Jiangxi-Fujian.

Auf dem VI. Parteitag der KPCh, der im Februar 1928 in der Nähe von Moskau stattfand, wurde Mao in das ZK gewählt. Die Beschlüsse des Parteitags desavouierten seine Enteignungspolitik gegenüber den Bauern. Laut Richtlinien der Komintern handelte es sich bei der damaligen Etappe der chinesischen Revolution um eine »bürgerlich-demokratische« Phase. Die kommunistischen Truppen hielten an Enteignungen und Terror fest. Auf diese Zeit gehen die taktischen Richtlinien Mao Zedongs zurück, die später zum Kanon für maoistische Aufständische auf verschiedenen Kontinenten wurden: »Der Feind greift an – wir ziehen uns zurück; der Feind bleibt stehen – wir bewegen uns; der Feind ist erschöpft – wir schlagen zu; der Feind zieht sich zurück – wir verfolgen ihn« usw. (S. 315).

Der Kampf gegen die »Rechten«, der in der UdSSR 1929 begann, fand auch in den Direktiven der Komintern an die KPCh Ausdruck, der man vorschrieb, den Kampf gegen das Kulakentum zu verstärken. Das trug dazu bei, dass die bauernfeindliche Komponente in der Politik der chinesischen Kommunisten weiter gestärkt wurde. Die neuen Direktiven der Komintern beschuldigten die »Rechten«, die Symptome des »revolutionären Aufschwungs« auf der ganzen Welt nicht wahrzunehmen. Das Exekutivkomitee der Komintern versicherte, dass es in China einen Aufschwung der revolutionären Bewegung gebe, und rief dazu auf, »die Massen auf die Schaffung einer Diktatur der Arbeiterklasse und der Bauern in Form von Sowjets vorzubereiten« (S. 327). Die finanzielle Hilfe aus Moskau (der Autor nennt konkrete Zahlen) förderte nicht gerade das Streben der chinesischen Kommunisten nach eigenständiger Politik. Die Parteiführung ging jedoch zu weit, als sie ihren Fokus auf einen Sieg »zuerst in einer oder mehreren Provinzen« und dann auf die Einnahme der großen Städte richtete. Misserfolge waren das Resultat. Diese überzeugten Mao von der Notwendigkeit, neue Stützpunkte in verschiedenen Teilen des Landes zu errichten.

Der fünfte Teil des Werks, »Geburt eines Führers«, umfasst die Zeit von Oktober 1930, als Maos Truppen die Kontrolle über das Gebiet im südwestlichen Jiangxi erlangten, bis Anfang 1937. Besondere Aufmerksamkeit kommt dem Einfluss der Politik Moskaus auf den Kurs der KPCh zu. Der Autor zeigt auf, wie Moskau gegen die KPCh-Führung kämpfte, die unter der Kontrolle Li Lisans stand. Dieser stellte – konträr zur Vorgabe Stalins, dass der Sozialismus zuerst in einem Land aufgebaut werden solle – die chinesische Revolution als Zündschnur der »großen Weltrevolution« dar und setzte statt auf Treue zu Moskau auf die Hingabe an die chinesische Revolution. Stalins Emissär Pavel Mif und einige ehemalige Studenten der Kommunistischen Universität Chinas, die in die führenden Parteiorgane eingeschleust worden waren (darunter Wang Ming und Bo Gu), spielten eine wichtige Rolle – nicht nur für das Schicksal Li Lisans, der nach Moskau geschickt und dort von der (O)GPU beobachtet wurde, sondern auch für das die weitere Karriere Mao Zedongs. Zu dieser Zeit begann Moskau, Maos Aufstieg zu fördern. Er kandidierte für das Politbüro, wurde erster Politkommissar der Armee der ersten Front, Vorsitzender des Zentralen Revolutionären Militärrats, Vorsitzender des Zentralen Exekutivkomitees sowie Chef des Volkskomitees des Zentralen Exekutivkomitees der Chinesischen Republik, die 1931 ausgerufen worden war. In ihr sollten alle »sowjetischen« Gebiete des Landes vereint werden. Mao bekam jedoch Schwierigkeiten mit den »Moskautreuen« innerhalb der KPCh-Führung. Man beschuldigte ihn, bei der Agrarreform eine »Kulakenlinie« zu verfolgen, »engstirnigen Empirismus«, »äußerst rechten Opportunismus« und »Partisanentum« zu fördern. Er verlor seine führenden Posten in der Partei und der Armee. Den einflussreichen Kräften in Moskau kam sein Scheitern jedoch ungelegen. In der UdSSR begann man, seine Werke zu publizieren. Auch der oben erwähnte Essay über ihn erschien. All das verhinderte, dass Maos Feinde seinen Einfluss in der Partei tatsächlich mindern konnten.

Die militärischen Misserfolge der chinesischen Roten Armee zwangen deren Führung, den zentralen sowjetischen Bezirk an der Grenze zwischen den beiden Provinzen Jiangxi und Fujian zu evakuieren. Im Oktober 1934 begann der berühmte große Marsch der Roten Armee, der ein Jahr später in Shaanxi endete. Währenddessen wurden die Fraktion Mao Zedongs gestärkt. Auf der Politbürositzung in Zunyi (Provinz Guizhou) am 15. Januar 1935 wurde er in das ständige Komitee des Politbüros gewählt und zum Offizier des ersten Politkommissars der Armee. Im Laufe der nächsten Monate übernahm er die alleinige Führung der Partei und der wichtigsten Militärkräfte der KPCh. Und wieder, hebt A. V.  Pancov hervor, stimmte Maos Kurs erstaunlicherweise mit der Moskauer Linie überein: Den Vormarsch gen Norden begründete Mao nun auch mit antijapanischer Rhetorik. Die Komintern begann ihrerseits, die Kommunisten auf den Aufbau einer antifaschistischen (im Westen) und antijapanischen (im Osten) Front auszurichten. Mao nahm Kontakt mit den Kommandeuren der chinesischen Truppen auf, die von den Japanern aus der Mandschurei und Nordchina abgedrängt worden waren. Chiang Kai-shek flog im Dezember 1936 nach Xi’an, um den ehemaligen mandschurischen Herrscher, Marschall Zhang Xueliang, dazu zu bringen, ein Bündnis mit den Kommunisten abzulehnen – und wurde verhaftet. Erst die Intervention Moskaus, das an einer »geeinten Front« gegen Japan interessiert war, zwang Zhang, Chiang Kai-shek wieder zu befreien – sehr zur Enttäuschung der KPCh-Führer. Mao, der damals zwar noch nicht Generalsekretär der KPCh war, in der Partei aber grenzenlose Macht genoss, musste sich unterordnen. In Yangquan (nördliches Shaanxi), wo die KPCh-Führung bis 1947 ihren Sitz hatte, lernte er die aus Shanghai stammende Schauspielerin Jiang Qing kennen, die seine letzte Ehefrau wurde.

Der sechste Teil – » (Uni)form und Resultat« – erzählt von den Tätigkeiten Mao Zedongs zwischen 1937 und 1953, als seine politisch-ideologischen Richtlinien für den Aufbau eines neuen China entstanden. Der Titel spielt auf Äußerungen Stalins 1943 vor jugoslawischen Kommunisten an: »Wozu braucht ihr die Roten Sterne auf den Mützen? Nicht die Form ist wichtig, sondern die Resultate …« (1, S. 477). Zu dieser Zeit entwickelte der Moskauer Führer die Konzeption der »Volksdemokratie«, mit der er den Westen davon zu überzeugen versuchte, dass sich die kommunistischen Parteien von dem unmittelbaren Kampf für den Sozialismus losgesagt hätten. Diesem Ansatz folgte, so A. V. Pancov, auch Mao Zedong, der den »Marxismus mit der chinesischen Realität vereinen« wollte. Seine Bemühungen fanden Ausdruck in der Theorie der »neuen Demokratie«. Darin entwarf er das zukünftige China als ein Land mit einer »vereinten Diktatur mehrerer revolutionärer Klassen«, mit einem Mehrparteiensystem und einer Koalitionsregierung; ein Land, in dem es sowohl staatliches als auch kooperatives sowie privates Eigentum geben sollte.

Obwohl Wang Ming Mao in Moskau diskreditieren wollte, setzte man dort auf den zukünftigen »großen Steuermann« und seine Anhänger. Mehr noch: Für Wang Ming »sah das Schicksal vor, dass er zum Anführer einer ›Opposition‹ wurde, die der neue ›große Führer‹ der KPCh niederschlagen musste« (S. 480). Nach dem Vorbild Stalins begann Mao mit der Revision der Parteigeschichte, die sich 1942 zu einer totalen »Säuberung« der Partei (zhengfeng) entwickelte. Auf dem VII. Parteitag der KPCh (1945) flossen die »Mao-Zedong-Ideen« in die neuen Statuten der Partei ein und bildeten nun deren ideologische Basis.

Nach dem Zweiten Weltkrieg flammte der Konflikt zwischen den ehemaligen Verbündeten in der anitjapanischen Koalition – der Guomindang, die zwei Drittel des Landes kontrollierte, und der KPCh – erneut auf. Die UdSSR, die mit der Regierung Chiang Kai-sheks einen günstigen Vertrag über Freundschaft und Verbundenheit geschlossen hatte, konnte keinen Bürgerkrieg gebrauchen. Trotzdem blieben die Verhandlungen zwischen Guomindang und KPCh erfolglos. Den Bürgerkrieg gewann die KPCh mit ihren Losungen von der »Neuen Demokratie«. Es ist bemerkenswert, dass die Partei Maos in der sowjetischen Presse bis zum Jahr 1952 nicht als kommunistisch, sondern als »demokratisch« und »progressiv« bezeichnet wurde. A. V. Pancov geht davon aus, dass Stalin nicht nur hoffte, den Westen »hereinzulegen«, indem er zeigte, dass sich die KPCh von der Allunionspartei der Bolschewiken distanziert hatte. Er wollte auch »Maos Ambitionen durch ›demokratische‹ Aufgaben einschränken«, um die Entstehung eines neuen Zentrums kommunistischer Herrschaft zu verhindern (S. 507). Der Biograf erwähnt außerdem das nach dem »Jugoslawienschock«, dem Bruch mit J. Broz Tito 1948, wachsende Misstrauen Stalins gegenüber Mao Zedong. Mao, der nach außen hin dessen Anweisungen zu »demokratischen« Veränderungen gehorsam folgte, nahm gleichzeitig Kurs auf einen sozialistischen Aufbau nach sowjetischem Vorbild.

Im Titel des siebten Teils, »Von der Stalinisierung zur Maoisierung«, drückt sich A. V. Pancovs Auffassung von jener Tendenz in der Politik der KPCh und der Position Maos aus, die in den Fünfzigerjahren überhandnahm. Hatte Stalin die materielle und technische Hilfe für China eingeschränkt, so wurde sie von der Regierung Chruschtschow erweitert, um Mao in Abhängigkeit zu halten. Die Fünfzigerjahre standen im Zeichen des Kampfs gegen die »Gemäßigten« in der KPCh-Führung. Diese wollten Maos abenteuerlichen Wirtschaftsprojekte und den Personenkult um ihn eindämmen sowie die KPCh vom Einfluss Moskaus befreien. Mao hielt Chruschtschow für einen schwachen Partner. Ab 1956 zog er immer offener die wirtschaftlichen und politischen Richtlinien der KPdSU (vor allem die Stalinismuskritik, die Ideen von der »friedlichen Koexistenz« und vom »friedlichen Übergang zum Sozialismus«) in Zweifel. Die Zitate Mao Zedongs über die Möglichkeit eines weltweiten Atomkriegs wertet A. V. Pancov nicht als strategischen Kommentar, sondern als direkten Angriff auf jene, die ihn zuvor erniedrigt hatten – als eine Demonstration seiner Unabhängigkeit und Größe. Zum wichtigsten Bestandteil seines Programms des »chinesischen Sozialismus« wurde die Durchführung des »Großen Sprungs nach vorne«. Die »Stalinisierung« der Volksrepublik China wich laut A. V. Pancov der »Maoisierung« des Landes, obwohl der »Maoismus auf politischer und ideologischer Ebene nicht mehr als eine chinesische Form des Stalinismus war […] ein chinesischer Nationalkommunismus« (S. 607). Der Versuch des Verteidigungsministers Peng Dehuai, Mao von seiner Idee des Großen Sprungs nach vorne abzubringen, endete in Repressionen gegen die »rechten Opportunisten«. Die Anerkennung seines Standpunkts wurde für Mao wichtiger als die realen Folgen seiner Politik.

Der letzte Teil des Buchs trägt den aussagekräftigen Titel »Der letzte Imperator«. Er beginnt mit der Beschreibung des fehlgeschlagenen Großen Sprungs nach vorne – der Hungersnot im Land, die Millionen Menschen das Leben kostete. Es ist bemerkenswert, dass Mao selbst im Zuge der »Regulierungspolitik« 1960 vorschlug, auf dem Dorf »Brigaden« zur volkswirtschaftlichen Grundrechnungseinheit zu machen, und nicht die zu dieser Zeit eingeführten Kommunen. Außerdem forderte er, dass die Verstaatlichung von Privateigentum beendet werden müsse. Nach Auffassung von A. V. Pancov legte er Wert darauf, dass jede Reformidee von ihm angeregt wurde, auch wenn sie noch so sehr von den volkswirtschaftlichen Normen vor dem Großen Sprung abwich. Ab 1962 begann Mao mit einer großen Propagandakampagne gegen den »sowjetischen Revisionismus«. Mit fast paranoidem Eifer verfolgte er jene, die er als Gegner betrachtete – Liu Shaoqi, Deng Xiaoping und andere. »Die Welt der furchtbaren Illusionen, in der er lebte, veranlasste ihn zu vollkommen realen Taten«. (S. 663) Ausführlich werden die Schwierigkeiten der von Mao 1966 begonnenen »Großen Proletarischen Kulturrevolution«, der Konflikt mit der UdSSR, die Verbindungen zu den Vereinigten Staaten, Details seiner Beziehungen zu Weggefährten und Feinden, darunter auch zu Lin Biao, seinem offiziellen Nachfolger, erörtert. Der »Verrat« Lin Biaos, der 1971 mit seiner Familie auf dem Weg in die UdSSR bei einem Flugzeugunglück über der Mongolei ums Leben kam, verwandelt sich bei A. V. Pancov in eine furchtbare Farce, die von geschickten Politikern aus dem Umfeld Maos angezettelt worden sein soll. Die Familienangehörigen des kranken und dadurch praktisch handlungsunfähigen Lin Biao hätten sich bedrängt gefühlt, seien in Panik geraten und hätten in einem nicht aufgetankten Flugzeug die Flucht ergriffen.

Nachdem er für die Volksrepublik China 1971 einen Platz in der UNO errungen und eine Annäherung an die USA erkämpft hatte, war der schwer kranke chinesische Führer in seinen letzten Lebensjahren damit beschäftigt, die Balance der Kräfte im Politbüro zu wahren und zu verhindern, dass eine der beiden gegnerischen Seiten überhandnahm. Er brachte den in Ungnade gefallenen Deng Xiaoping zurück auf die politische Bühne und stärkte dadurch die Positionen der »Gemäßigten« und der »alten Kader«. Anfang 1976 entfernte er Deng wieder von seinen führenden Posten und setzte Hua Guofeng ein, dem er den Auftrag gab, die Kulturrevolution weiterzuführen. Bevor Mao, der »große Diktator, Revolutionär und Tyrann« (S. 735) in der Nacht vom 8. auf den 9. September 1976 im 83. Lebensjahr verstarb, erfuhr er vom Tod seiner alten Weggefährten Zhou Enlai und Zhu De.

Von der politischen Position und Weltanschauung des Autors zeugen Ansichten über die Utopie des Kommunismus, über die Herrschsucht des »Diktators« und seine Gleichgültigkeit gegenüber den Leiden des Volkes. Dennoch zeichnet A. V. Pancov ein differenziertes Porträt von Mao. Er beschreibt unter anderem, wie Mao sich mehrfach verliebte und gefühlvolle Gedichte schrieb. Mao verlor seine Nächsten – seine Frau Yan Kaihui, beide Brüder und seine Halbschwester starben im Bürgerkrieg gegen die Guomindang; sein ältester Sohn Anying starb im Koreakrieg, der jüngste, Anlun, an einer Krankheit. Der mittlere Sohn, Anqing, litt an einer psychischen Erkrankung, seine zweite Frau, He Zizhen, verlor drei Kinder im Babyalter und dadurch den Verstand. Das Buch belegt, dass Mao den Schmerz dieser Verluste sehr wohl zu empfinden vermochte – unter anderem erlitt er mehrmals Nervenzusammenbrüche. Er war es jedoch gewohnt, im Epizentrum des Sturms zu leben, der für ihn zu einem Selbstzweck wurde.

Das zweite Buch, die »Autobiografie« Maos von Edgar Snow, ist in einem anderen Verlag erschienen, wirkt jedoch wie ein Anhang zu Pancovs Biografie. Es ist einerseits eine Selbstdarstellung Maos, andererseits merkt man aber auch, dass hier ein Zeitgenosse dessen Charme erlegen ist. Die »Autobiografie« wurde 1936 von dem linksliberalen amerikanischen Journalisten Edgar Snow nach Erzählungen Mao Zedongs verfasst und erstmals 1937 in vier Ausgaben der New Yorker Zeitschrift Asia veröffentlicht. Gleichzeitig erschien sie in Snows Buch Roter Stern über China. Sie wurde bald populär und mehrmals in englischer Sprache sowie chinesischer Übersetzung neu aufgelegt. Lange Zeit galt sie als beliebtes Propagandamaterial der westlichen Linken. In russischer Sprache erschien die »Autobiografie« 1937 in einer stark gekürzten und adaptierten Version, 1938 ebenfalls gekürzt und stark korrigiert sowie 1939. A. V. Pancov hat sie nun erstmals vollständig in russischer Sprache veröffentlicht. Er hat Fehler, die in allen Ausgaben, auch in den ausländischen, enthalten waren, korrigiert, hat sie mit Ergänzungen und Kommentaren versehen und ihr damit wissenschaftliche Relevanz verliehen.

Die Besonderheit dieses Materials liegt in der Aufzeichnungsart. Mao sprach in seinem heimatlichen Dialekt. U Lianpin, damals stellvertretender Leiter der Propaganda­abteilung des ZK der KPCh, übersetzte seine Schilderungen ins Englische. Snow notierte, nicht immer korrekt, die undeutlich ausgesprochenen Personennamen in der damals üblichen Wade-Giles-Transliteration. »Letztendlich«, schreibt A. V. Pancov, »haben sich wie bei dem Spiel ›Stille Post‹ viele Namen von Menschen und Orten in der Niederschrift Snows in etwas vollkommen Unverständliches verwandelt« (S. 16). Nach dem Interview sollen Snows Aufzeichnungen ins Chinesische rückübersetzt worden sein. Mao habe dann das Manu­skript »ein wenig korrigiert«, doch Snow habe den Korrekturen kaum Beachtung geschenkt, wenn er sie überhaupt gelesen hat. In vielen zeitgenössischen chinesischen Übersetzungen des Texts geben die Schriftzeichen zu den englischen Interpretationen der Eigennamen nur den Wortklang wieder. Als besonders hilfreich betrachtet A. V. Pancov das von U Lianpin editierte und in Peking 1979 im Verlag Renmin chubanshe veröffentlichte Interview. Doch auch darin fand er Ungenauigkeiten, die er nach neuer Recherche bereinigte.

Gegenüber Snow (den Mao fälschlicherweise für einen CIA-Mitarbeiter hielt) trat der kommunistische Heerführer als bäuerlicher Mann mit »einer Prise Intelligenz« auf: einfache und raue Umgangsformen (an einem heißen Abend konnte es passieren, dass er heftig fluchte, sich auszog und das Interview nackt weiterführte), schlüpfrige Witze, betonte Heiterkeit und »Naivität« vermischten sich mit »schärfstem Verstand und enzy­klopädischer Bildung« (S. 7). Mao schlug dem Amerikaner vor, selbst aus seinem Leben zu erzählen, weil er es satt habe, die Fragebögen abzuarbeiten, die ihm immer wieder vorgelegt wurden. Mao Zedong wählte seine Worte sehr sorgfältig – laut Snow war dies »fast schon ein vorbereiteter selbstkritischer Bericht, eine Art Beichte einer ganzen Generation von Revolutionären« (S. 9).

Der »Bericht«, der für die »Fremden« vorgesehen war, konnte weder glaubwürdig noch ehrlich sein. Mao ließ keine Gelegenheit aus, seine Feinde anzuschwärzen. Er war unbescheiden, versteckte seine Verdienste nicht und schrieb sich selbst führende Posten in der Vergangenheit zu, die er nicht innegehabt hatte. Seine Lebhaftigkeit drückte sich nicht nur in Scherzen aus, sondern auch in kleinen »Versprechern« (Abweichungen) bei Fakten seiner persönlichen Biografie. So sagte er zum Beispiel, seine Mutter sei 1918 gestorben, und er habe »danach den Wunsch verloren heimzukehren« (S. 42). Tatsächlich starb sie nach langer Krankheit im Oktober 1919, und der liebende Sohn, der sich mehr für Politik interessierte, hatte es nicht eilig, an ihrem Grab zu stehen. Wahrscheinlich, so A. V. Pancov, verdeutlicht diese Lüge auch, dass Mao unter Schuldgefühlen litt. Der Herausgeber findet in den Schilderungen Maos weitere Ungenauigkeiten über Daten oder über den Verlauf von Ereignissen, die daran beteiligten Personen usw. Diese führt er auf Vergesslichkeit zurück und auch auf die Selbstsicherheit Maos, der nicht an seinem Gedächtnis zweifelte und eine Aversion gegen »Details« pflegte.

Der Text der »Autobiografie« stellt den ersten Teil des Sammelbandes dar. Im zweiten Teil finden sich in chronologischer Reihenfolge andere Erinnerungen Maos, die mit den in der »Autobiografie« erwähnten Ereignissen seiner Kindheit und seines revolutionären Weges in Verbindung stehen – Auszüge aus Reden, Gesprächen und Ähnlichem. Auch hier führt der Herausgeber einige von Mao zugelassene Fehler an. Der dritte Teil besteht aus ausgewählten Gedichten Mao Zedongs, von denen viele autobiografische Elemente enthalten. Auch sie sind von A. V. Pancov kommentiert, vor allem, was ihre historischen, biografischen und geografischen Bezüge betrifft. Im Anhang finden sich drei Dokumente aus den Fonds des RGASPI. Das erste ist die »Kurze Biografie des Genossen Mao Zedong«, die 1938 von seiner dritten Frau He Zizhen in chinesischer Sprache verfasst wurde. Beim zweiten Dokument handelt es sich um einen »Fragebogen« für Mitarbeiter der Komintern, der für Mao Zedong im Jahr 1939 von seinem Bruder Mao Zemin ausgefüllt wurde. Das dritte ist ein Auszug aus einer maschinenschriftlichen Meldung des Generalmajors Andrej Javkovlevič Orlov an das ZK der Allunionspartei der Bolschewiki vom 10. Dezember 1949, in der eine Charakterisierung Maos vorgenommen wird. Orlov, der 1942–1945 und 1946–1949 behandelnder Arzt Maos und anderer ranghoher KPCh-Funktionäre war, charakterisiert ihn hinsichtlich seiner Politik sehr positiv und berichtet unter anderem über seine Angewohnheiten und über sein Verhältnis zu seinen Verwandten.

Beide Bücher sind vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet sehr genau, nur im kulturhistorischen Kommentar finden sich kleine Ungenauigkeiten. Als wahrer Gelehrter schließt A. V. Pancov auch mit diesem großen Forschungswerk sein Thema nicht ab: Der von ihm zusammengestellte Sammelband soll Kollegen dazu anregen weiterzuforschen.

Aus dem Russischen von Julija Schellander


1 А. Панцов: Мао Цзэдун [Mao Zedong]. Москва: Молодая гвардия 2007. 867 [13] S.; illustriert (Жизнь замечательных людей [Das Leben bedeutender Personen], Bd. 1051) sowie Мао Цзэдун: Автобиография. Стихи [Mao Zedong: Autobiografie. Verse]. Сост., пред, ком., пер. А.В. Панцова, Москва: Издательский дом »Рубежи XXI века« 2008. 224 S., illustriert (Reihe »Автобиография«).

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