JHK 2010

Editorial

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite VII-IX | Aufbau Verlag

Das Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2010 rückt die Geschichte der kommunistischen Bewegung in Westeuropa nach 1945 in den Fokus. Nachdem es mit dem Ausbruch des Kalten Krieges zur Teilung Deutschlands, Europas und schließlich der Welt kam, wurden die kommunistischen Parteien Westeuropas nicht zu Unrecht als Satelliten Moskaus betrachtet. Tatsächlich folgten diese bis in die Siebzigerjahre hinein jeder Wendung der sowjetischen Politik. Sie rechtfertigten die Niederschlagung des Ungarnaufstandes 1956 ebenso wie die sowjetischen Panzer, die den Prager Frühling 1968 niederwalzten. Kollidierten nationale Besonderheiten und Interessen mit den politischen Zielen des Kremls, hatten die Interessen der Führungsmacht lange Zeit stets Vorrang.

Das Jahrbuch 2010 wirft Schlaglichter auf Westdeutschland, wo die KPD zu einem Zeitpunkt verboten wurde, als sie ihren anfänglichen Rückhalt in der Bevölkerung bereits weitgehend verspielt hatte. Es widmet sich dem Griechenland der Nachkriegszeit, in dem die Kommunisten in einem blutigen Bürgerkrieg zerrieben wurden. Besondere Aufmerksamkeit genießt Italien, neben Frankreich das Land mit der größten KP außerhalb des sowjetischen Machtbereichs. Schließlich reicht der Blick auch nach Schweden und in die Niederlande. Dort konnten der Eurokommunismus bzw. der Maoismus besondere Wirkungsmacht entfalten.

Ein einführender Beitrag hinterfragt auf Grundlage sowjetischer Quellen Stalins Westeuropapolitik und die Rolle, die er den kommunistischen Parteien dabei zuordnete. In diesem Kontext gilt die Aufmerksamkeit des Jahrbuchs auch den politischen Streiks in Westeuropa, die vor allem von den kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens 1947 ausgelöst wurden. Sie waren Ausdruck kommunistischer Macht und Ohnmacht zugleich, wie der Autor zeigt. Weitere Artikel widmen sich dem Verhältnis der KPI sowie insbesondere ihres langjährigen Vorsitzenden Togliatti zur katholischen Kirche sowie der Finanzierung seiner Partei durch die Sowjetunion. Die Haltungen der Bundesrepublik wie auch der DDR zur möglichen Regierungsbeteiligung der kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens in den Siebzigerjahren sind ebenso Thema wie die westdeutschen Bündnispartner der SED-Deutschlandpolitik.

Die thematische Bandbreite des Jahrbuchs 2010 reicht weit über sein Schwerpunkt­thema hinaus. So wird eine bislang unbekannte Generalabrechnung Willi Münzenbergs mit dem Kominternapparat aus dem Jahre 1933 neben dem Versuch präsentiert, eine Logik hinter den Säuberungen der Kominternführung in den Dreißigerjahren herauszuarbeiten. In der Rubrik Dokumentation finden sich eine Weisung der Komintern an ihre Mitgliedsparteien zur Interpretation des Molotov-Ribbentrop-Pakts sowie der Aufruf »Das Jahr 1989 feiern, heißt auch, sich an 1939 zu erinnern!«. Mit dieser Erklärung haben namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens 2009 an den Abschluss des Paktes vor siebzig Jahren und dessen Bedeutung für den Zweiten Weltkrieg erinnert.

Weitere Beiträge widmen sich u. a. dem Alltag sowjetischer Besatzungssoldaten in Österreich, den Tendenzen der KPD-Forschung seit Öffnung der Archive vor zwanzig Jahren sowie der spanischen Geschichtsschreibung zum Bürgerkrieg seit Francos Tod. Zwei Sammelrezensionen stellen Publikationen zur Gründung der Komintern sowie zum Wechselverhältnis zwischen kommunistischer Politik und kommunistischen Kadern vor. Letztere ist vom Begründer des Jahrbuchs, Hermann Weber, verfasst, der hier als einziger Autor namentlich genannt werden soll. Die Herausgeber freuen sich, dass ihr Spiritus Rector und dessen Frau trotz erheblicher gesundheitlicher Probleme im Jahre 2009 die Lebensfreude und Schaffenskraft nicht verloren haben. Ihnen sei Gesundheit von Herzen gewünscht!

Der Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit im heutigen Russland wird in der Rubrik Forum diskutiert. Dort findet sich auch eine philosophische Annäherung an das »Stalin-Phänomen«.

Schließlich sei auf eine detailreiche Ausarbeitung zu den Unterwanderungsversuchen verwiesen, die die ostdeutsche Staatssicherheit in den USA betrieb. Dem Autor gelingt es auf der Basis einer äußerst diffizilen Quellenlage, dieses bisher annähernd unbekannte Kapitel der DDR-Geschichte soweit wie zum jetzigen Zeitpunkt möglich anschaulich zu rekonstruieren. Die Herausgeber hoffen, dass dieser Beitrag nicht zuletzt amerikanische Wissenschaftler und Journalisten dazu anregt, den Hinweisen in den eigenen Archiven nachzugehen und dieser Geschichte des Kalten Krieges mehr Konturen zu verleihen.

Die Herausgeber danken den 22 Autorinnen und Autoren für ihre Mitarbeit. Dank gilt auch den internationalen Beiräten des Jahrbuchs, die dessen Erarbeitung engagiert begleitet und befördert haben. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat die materiellen Voraussetzungen für sein Erscheinen geschaffen. Sowohl die Projektförderung der Hermann-Weber-Stiftung (Mannheim) sowie der Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung (Berlin) als auch die freundliche Unterstützung des Bundessprachenamtes haben die umfänglichen Übersetzungsarbeiten ermöglicht, die mit der Ausgabe 2010 verbunden waren. Allen Institutionen sei hiermit herzlich und ausdrücklich gedankt! Bei der Vorbereitung der aktuellen Ausgabe des Jahrbuchs kam es zu einem Wechsel in der Redaktion. Seit November 2009 betreut Birte Meyer die Jahresschrift, nachdem die Herausgeber Karin Jaeger verabschieden mussten, die sich seitdem anderen Aufgaben widmet. Beide Redakteurinnen haben das aufwendige Lektorat des Jahrbuchs versiert und mit großem Einsatz besorgt; sie wurden dabei von Maria Matschuk, der Lektorin des Aufbau Verlags, unterstützt. Thomas Klemm kümmerte sich akribisch um den Satz des Jahrbuchs. Ihnen allen gilt großer Dank! Der Wechsel in der Redaktion brachte es mit sich, dass die Herausgeber aus Gründen der Arbeitsökonomie im Jahrbuch 2010 auf Illustrationen verzichtet haben.

Die Herausgeber hoffen, dass das Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2010 wieder viele aufmerksame Leser findet. Im Mittelpunkt der Ausgabe 2011 wird die Geschichte des Antikommunismus seit 1917 stehen. Der Band 2012 wird dem Wechselverhältnis von Utopie und Gewalt im Kommunismus gewidmet sein. Die Herausgeber und die Redaktion freuen sich auf interessante Beitragsangebote.

Berlin, 22. Februar 2010 Die Herausgeber 

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