Am Tag, an dem in Berlin die Gründungsveranstaltung des Kongresses für kulturelle Freiheit (Congress for Cultural Freedom, CCF) stattfand, schrieb die Presseagentur United Press über deren Ziele: »Das fünftägige Treffen wird die vermeintlichen Freiheiten des sowjetisch beherrschten Ostblocks kritisch hinterfragen und versuchen, die in der Sowjetunion stattfindenden und von ihr finanzierten ›Friedens‹-Demonstrationen als rein politische Manöver zu entlarven.«1
Wenige Tage nach dem Ende der Konferenz notierte dann Melvin Lasky mit offensichtlicher Befriedigung: »Dieser Kongress zerstörte endlich das Propagandamonopol, das die von den Sowjets kontrollierten ›Friedenspartisanen‹ und ähnliche Frontorganisationen im kulturellen Bereich innehatten (das Schostakowitsch-Picasso-Ehrenburg-Treffen in Breslau, New York, Paris).«2 Um eine Vorstellung davon zu vermitteln, inwieweit diese neue Organisation als Katalysator für die Mobilisierung der internationalen Intellektuellen dienen könnte, verwies Lasky auf die Doppelstrategie der Komintern: Zum einen nannte er das propagandistische »Sonnensystem«, das seit den Zwanzigerjahren von Willi Münzenberg koordiniert wurde. Zum anderen erinnerte er an die diversen Kampagnen, die auf die Umdeutung des Friedensbegriffs im prosowjetischen Sinne zielten, wie die Gründung der Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit im Jahr 1927, der Internationale Kongress gegen den Krieg 1932 in Amsterdam, der Weltkongress der Schriftsteller zur Verteidigung der Kultur, der im Juni 1935 in Paris stattfand, und schließlich die Nachkriegsinitiativen, wie zum Beispiel der Erste Deutsche Schriftstellerkongress (Oktober 1947), der Weltkongress der Intellektuellen zur Verteidigung des Friedens in Wrocław (September 1948) und die Friedenskonferenzen in New York (März 1949), Paris und Prag (April 1949), Mexiko Stadt (September 1949) und Stockholm (März 1950).
Es ist kein Zufall, dass Lasky die Propagandamaschinerie der Komintern als Vergleich für den neu geschaffenen CCF heranzog. Der CCF bildete, betrachtet man seinen Entstehungsprozess, eine Art Sammelbecken für all jene, die diesseits oder jenseits des Atlantiks grundlegende Erfahrungen mit dem »kulturellen Antistalinismus« gemacht hatten – Erfahrungen, die nun unter neuen Vorzeichen zusammenflossen. In Amerika waren dies in erster Linie die Aktivitäten der New York Intellectuals,3 die, obgleich mit einer bedeutsamen Verspätung von zehn Jahren in Bewegung gesetzt, mit ähnlichen Initiativen wie den genannten aufwarteten. Die Gründung des CCF im Jahr 1939, die Schaffung der Europe-America Groups im Jahr 1948 und die Gegenoffensive, die von den Americans for Intellectual Freedom während der Friedenskonferenz im Waldorf Astoria in New York im März 1949 organisiert wurde – all diese Initiativen gehörten zu den vielen Versuchen, intellektuelle Aktivisten für die Verteidigung der Freiheit der Kultur zu gewinnen. Dort konnte man bereits einigen Akteuren begegnen, die später beim CCF eine wichtige Rolle spielen sollten: Sidney Hook und James Burnham, Sol Levitas und Arthur Schlesinger jr., Dwight Macdonald und Mary McCarthy, Irving Kristol, Lionel und Diana Trilling, sie alle stammten aus dem Umfeld des New Leader bzw. des Partisan Review.4 In Europa trafen die Aktivitäten der New York Intellectuals auf andere bedeutende Experimente antikommunistischer Kulturkonfrontation militanter Prägung. Als treibende Kraft kann hier allen voran Melvin Lasky gelten, der als freier Journalist in Deutschland tätig war und im Jahr 1948 – unterstützt vom Office of Military Government for Germany (OMGUS) – mit Der Monat ein Zeitschriftenprojekt realisieren konnte, das sich an die deutsche Sozialdemokratie und nicht-kommunistische Linke richtete. Die Zeitschrift war vor allem darauf ausgerichtet, gemeinsame soziale und kulturelle Gepflogenheiten der »freien Welt« zu festigen, mit mehr oder weniger offensichtlichen antikommunistischen Zielen. In Frankreich bauten David Rousset und andere aus dem Umfeld von Franc-Tireur mit dem Journée internationale de la résistance à la dictature et à la guerre [Internationaler Tag des Widerstands gegen die Diktatur und den Krieg] (April 1949) eine wichtige Brücke zwischen den beiden atlantischen Ufern des linken kulturellen Antistalinismus.
Diese Initiativen, die zunächst lose nebeneinanderher existiert und eher selbstreferentielle Züge gezeigt hatten, jedenfalls nicht in der Lage gewesen waren, die Bildung einer internationalen antistalinistischen Kulturfront einzuleiten, fanden im CCF plötzlich eine einende Identität sowie Zusammenhalt. Gemeinsam entwickelten sie sich zur größten Organisation der antitotalitären Intellektuellen im Kalten Krieg. Die Ursache dieses generellen Kurswechsels ist darin zu sehen, dass der CCF ein Auffangbecken für all jene war, die die Auseinandersetzung mit der propagandistischen Ebene auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs erlebt hatten und somit differenzierte und komplexe Beiträge liefern konnten: Arthur Koestler und Manès Sperber, einst Schlüsselfiguren in dem von Willi Münzenberg geführten Propagandaapparat des Kominform; Theodor Plievier, Franz Borkenau, Richard Löwenthal und Ignazio Silone, der zu einer zentralen Figur der Organisation werden sollte. Oftmals konnten gerade diese ehemalig kommunistischen Intellektuellen die antitotalitären Initiativen – die sich bis zu diesem Zeitpunkt ebenso entschlossen wie episodisch gezeigt hatten – darin unterstützen, ihre Botschaften zu optimieren und die eigene Außenwirkung damit zu verbessern.
Es ist also kein Zufall, dass Lasky in der Bilanz des Berliner Kongresses seinen Vergleich mit dem Kulturpropaganda-Apparat der Komintern mit dem Hinweis schließt, der CCF sei grundsätzlich »strukturell ähnlich, politisch entgegengesetzt (d. h. antitotalitaristisch)«5: Ein ambitioniertes Projekt, dessen Erfolg in besonderem Maße im Zusammentreffen der Mittel und Ziele der beiden Seelen dieser »Geistesschlacht« begründet läge.
Koestler und Sperber: Das Vermächtnis des Münzenberg-Konzerns
Die Zeitschrift Der Monat existierte bereits seit einer Weile und entwickelte sich gut, als Melvin Lasky und Sidney Hook im Jahr 1949 ein Treffen mit zwei berühmten exkommunistischen Intellektuellen, Ruth Fischer und Franz Borkenau, in Frankfurt anberaumten. Bei dieser Gelegenheit wurde ausdrücklich über den Plan gesprochen, in Berlin – dem symbolischen Zentrum des Kalten Kriegs – eine internationale Konferenz für die nicht-kommunistische Linke zu organisieren. Die Anwesenheit von Franz Borkenau und Ruth Fischer, die in ihren Aufzeichnungen über das Treffen die Rolle der Exkommunisten bei der geplanten Gegenoffensive nachdrücklich hervorhob, ist schon ein Hinweis darauf, wie wichtig die Rolle der exkommunistischen Intellektuellen bei der Gründung des CCF war.
Während der siebzehn Jahre seiner Existenz – von 1950 bis 1967 – zählte »die wichtigste Waffe der USA im kulturellen Kalten Krieg«6 viele der größten Intellektuellen Europas und Amerikas zu ihren Mitgliedern. Schriftsteller, Historiker, Philosophen, Soziologen, Künstler und Wissenschaftler beteiligten sich. Beim Gründungsakt konnte sich der CCF rühmen, so herausragende Philosophen wie Benedetto Croce, John Dewey, Karl Jaspers, Jacques Maritain und Bertrand Russell als Ehrenpräsidenten gewonnen zu haben. Nachdem der CCF sich anfänglich für eine direkte Konfrontation mit der internationalen kommunistischen Bewegung aussprach und seine eigene Ausrichtung als progressiv beschrieb, wandelte er sich schließlich bewusst zu einem kulturellen Netzwerk mit scharfem politischen Profil und einer eindeutig nicht neutralen Haltung gegenüber dem Kalten Krieg. Außerdem bemühte sich die Organisation darum, vornehmlich über kulturelle Kanäle zu agieren, zum Beispiel über das Sponsoring wichtiger Veranstaltungen oder die Einrichtung eines nahezu weltweiten Netzes von nationalen Komitees und Zeitschriften. Zwischen 1951 und 1956 gesellten sich zu Der Monat Magazine aus ganz Europa: die französischsprachige Zeitschrift Preuves, die von dem Schweizer Schriftsteller und Publikationsleiter des CCF François Bondy herausgegeben wurde, der englischsprachige Encounter, der der Leitung von Stephen Spender und Irving Kristol, später Melvin Lasky, unterstand, das spanische Magazin Cuadernos unter der Leitung von Julián Gorkin und die italienische Zeitschrift Tempo presente von Ignazio Silone und Nicola Chiaromonte. Die Verbreitung der Organisation über den ganzen Globus ermöglichte außerdem Veröffentlichungen, die sich an indische, arabische, japanische, australische und afrikanische Leser richteten.
Dieser grobe Überblick weist bereits auf alle Grundelemente hin, die in ihrem Zusammenwirken den fast zwanzig Jahre anhaltenden Erfolg des kulturpropagandistischen Experiments CCF bestimmten: unter anderem die Einbeziehung herausragender Persönlichkeiten mit untadeliger Reputation, vorzugsweise ohne politische Zugehörigkeit und aus jeweils unterschiedlichen Bereichen der Kultur oder die Gründung diverser Initiativen, die sich kleinerer lokaler Komitees bedienten und sich mit den verschiedensten Themen befassten (diese waren dazu vorgesehen, überparteiliche Solidarität hervorzurufen und somit zu tatsächlichen Katalysatoren der Bewegung der Intelligenz zu werden). Auch mediale Mittel wurden eingesetzt: von der Publikation von Zeitschriften und Broschüren zur Bereitstellung von Informationen – je nach Anlass in hohen Auflagen oder auch nur für eine klar umgrenzte Lesergruppe – bis hin zur Erkenntnis, dass die Massenmedien, insbesondere das Radio und das Kino, eine immer wichtigere Rolle spielen würden.
All diese Charakteristika entsprachen auf überraschende Weise jenen, die zwanzig Jahre zuvor den Erfolg der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) begründet hatten. Im Jahr 1921 von Münzenberg geschaffen, war sie die erste organisierte Aktion zur Mobilisierung herausragender Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler der verschiedensten Richtungen zugunsten eines humanitären Programms, das zumindest formell als apolitisch galt. Offiziell unterstützt von angesehenen Persönlichkeiten wie Albert Einstein, George Bernard Shaw, Henri Barbusse und Anatole France, erreichte die IAH äußerst erfolgreich ihre beiden Hauptziele, nämlich einerseits Geldmittel zur Linderung der russischen Hungersnot zu beschaffen sowie andererseits hinsichtlich der sowjetischen »causa« Gleichgesinnte zu versammeln, indem man sich geschickt des einen bediente, um das andere attraktiv zu machen. Die Organisation funktionierte über ein enges Netz nationaler und lokaler Hilfsorganisationen, deren Ziel die Mitgliedergewinnung war – für die Initiative wurden Mitwirkende jeden Alters, verschiedenster sozialer Herkunft und mit den unterschiedlichsten Berufen gesucht. Alle möglichen Kommunikationsmittel wurden äußerst wirkungsvoll eingesetzt: Neben der Verbreitung russischer Bücher und Filme, der Streuung von Propagandafilmen, -fotografien und -postkarten gab die IAH direkt oder indirekt Tageszeitungen und Monatszeitschriften von großer agitatorischer Bedeutung mit hohen Auflagen heraus (Berlin am Morgen, Die Welt am Abend, Film und Volk, Der Eulenspiegel). Aus dem Mitteilungsblatt der Organisation – Sowjetrussland im Bild – ging die Arbeiter Illustrierte Zeitung hervor, die wichtigste mit vielen Fotografien und Fotomontagen illustrierte Zeitschrift für Arbeiter in den Dreißigerjahren. Ebenfalls über die IAH gründete Münzenberg einen Verlag, der nicht an die Komintern gebunden war, den Neuen Deutschen Verlag. Im Rahmen des von Münzenberg aufgebauten Propagandaapparates gesellten sich nach und nach weitere Massenorganisationen zur IAH, als deren bedeutendste die Liga gegen den Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit gilt.7 David Cesarani, Arthur Koestlers Biograf, schreibt: »Koestler übernahm von Münzenberg eine Affinität zur Propaganda in all ihren Formen. Er lernte die öffentliche Meinung einzuschätzen und politische Appelle an das Gefühl ebenso wie an den Verstand zu richten. Münzenberg lehrte ihn, wie man eine Kampagne organisiert und prominente Persönlichkeiten dafür gewinnt. Wichtiger noch, er half ihm zu sehen, wo die Grenzen der konventionellen kommunistischen Propaganda lagen, und zu begreifen, warum der Faschismus einen so starken Einfluss auf die Fantasie des Volkes haben konnte. Als Koestler Antikommunist wurde, wandte er all die Tricks, die er von Willi gelernt hatte, gegen seine ehemaligen Arbeitgeber an.«8
Einige Monate nachdem Koestler im Herbst 1933 zum Münzenberg-Konzern gestoßen war, wurde er gebeten, sich um die Veröffentlichungen des neu gegründeten Institut pour l’étude du fascisme (Institut für Faschismusstudien, INFA) zu kümmern, eine Einrichtung, die sich vor allem mit den Forschungen zu den Ursprüngen des Faschismus und der Produktion von Beiträgen zur aktuellen antifaschistischen Kampagne beschäftigen sollte. Chefideologe des Instituts wurde Manès Sperber, der gerade nach Paris gezogen war. Eine seiner ersten Aufgaben bestand darin, in London Kontakt mit einigen kommunistischen Intellektuellen bzw. Sympathisanten aufzunehmen, um Mitarbeiter für die Veröffentlichungen des Instituts zu finden. Überdies war Sperber bei der INFA für die Planung einer internationalen antifaschistischen Ausstellung verantwortlich, die mit Unterstützung der Gewerkschaften und der Liga für Menschenrechte in Paris stattfinden sollte.9
Betrachtet man die Rollen eingehender, die Koestler und Sperber bei der INFA und ganz allgemein als »Männer Münzenbergs« innehatten, wird eine gewisse Komplementarität zwischen den beiden Männern deutlich: Koestler war fast ausschließlich mit Aufgaben befasst, die mit dem geschriebenen Wort und mit den Medien zu tun hatten, insbesondere mit dem Schreiben von Texten und der Koordination verlegerischer Unternehmungen. Sperbers Aktivitäten waren meist darauf ausgerichtet, Sitzungen und öffentliche Veranstaltungen zu organisieren und Kontakte zu pflegen. Die in diesen einander ergänzenden Bereichen – der publizistischen Arbeit und der Planung öffentlicher Veranstaltungen – gewonnene Erfahrung und die Fähigkeit Münzenbergs, Menschen einschätzen und für die richtigen Aufgaben einteilen zu können, sind wesentliche Elemente des Münzenberg-Konzerns, die sich im CCF wiederfinden sollten.
Darüber hinaus entfalteten andere Aspekte eine gewisse Signalwirkung für Sperbers spätere Tätigkeit. Als ordentliches Mitglied des Netzwerkes war er als Koordinator des von der Komintern gegründeten und verwalteten Komitees der internationalen antifaschistischen Jugend tätig. In dieser Funktion verwaltete er unter anderem die »estampille Münzenberg«, wie er es selbst nannte, d. h. die schließlich systematisch vom CCF übernommene Praxis, jeder öffentlichen und privaten Verlautbarung eine komplette Liste all jener berühmten Intellektuellen voranzustellen, die die Organisation unterstützten und deren Wirken förderten.10 Außerdem war er für die Durchführung von Kongressen und Ausstellungen verantwortlich, deren Konzeption in vielen Fällen bereits die Leitlinien des späteren CCF für die Planung von Veranstaltungen vorwegzunehmen schien.
Bei Koestler wurde deutlich, dass er sich dem Aufbau eines Propagandasystems mit großer Sorgfalt widmete, indem er die Aktionen immer speziell auf den jeweiligen Anlass und seine Adressaten zuschnitt. Dies reichte vom Versuch einer satirischen Wochenzeitschrift, Die Saar-Ente, die als Agitationsinstrument für die Kampagne zur Volksabstimmung im Saarland im Januar 1935 geplant war, über die Niederschrift eines Romans mit Antikriegsthematik11 bis hin zu seiner Tätigkeit als Kriegsberichterstatter in Spanien – Koestler war von Münzenberg in die von den Nationalisten kontrollierten Gebiete geschickt worden.12 Als er von seiner zweiten Spanienreise zurückkehrte, forderte Münzenberg ihn auf, einen Bericht über die Ursachen des Spanischen Bürgerkriegs zu verfassen und dabei alles vor Ort gesammelte Material zu verwenden, um die Verantwortung der faschistischen Staaten und die von den nationalistischen Truppen vollbrachten Grausamkeiten anzuprangern. In seinen Erinnerungen schreibt Koestler, dass er wiederholt gedrängt worden sei, den Text so weit wie möglich zuzuspitzen und nicht an Details zu sparen, die die internationale Öffentlichkeit aufheizen könnten, auch wenn diese nicht immer glaubwürdig gewesen seien.13
Alle Erfahrungen, die Koestler in den vielen Jahren, in denen er in Kontakt mit Münzenberg stand, hatte sammeln können, prägten offenbar entscheidend das erste, von Koestler selbst unmittelbar nach dem Krieg initiierte Projekt einer internationalen Bewegung antistalinistischer Intellektueller zur Verteidigung der Gedankenfreiheit. Er plante, die von
George Orwell im Herbst 1945 projektierte Liga für Menschenrechte wiederzubeleben. Das Manifest wurde an etwa hundert prominente Persönlichkeiten weltweit geschickt und benannte als einzige Möglichkeit, die destabilisierenden Spannungen zwischen den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs zu entschärfen, die »psychologische Entwaffnung«, d. h. die Beseitigung jeglicher Behinderung des freien Gedankenaustauschs. Es wurde vorgeschlagen, das Manifest den Vereinten Nationen als Vorbedingung für politische, wirtschaftliche oder finanzielle Zugeständnisse vorzulegen. Sperber war einer der ersten Intellektuellen, die in das Projekt eingebunden wurden, zusammen mit Michael Polanyi, André Malraux und anfangs auch Bertrand Russell.
Obgleich diese Initiative letztlich erfolglos war und im Laufe eines Jahres gänzlich versandete, kann das von Koestler und Orwell erarbeitete Dokument doch als eine der wichtigsten Grundlagen für die Gründung des CCF angesehen werden. Lasky selbst hatte Orwell ausdrücklich als Hauptinspiration für die 1950 gegründete Organisation benannt.14
Die exkommunistischen Intellektuellen bei der Konferenz in Berlin
Der Kongress für kulturelle Freiheit wurde am 26. Juni 1950 im amerikanischen Sektor von Berlin eröffnet. Unter den Mitgliedern des Organisationskomitees war auch der Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter, der als Sozialdemokrat und kommunistischer Dissident bekannt war. In seiner Auftaktrede führte er Delegierten und Teilnehmern die schwierige Situation Berlins nach einem traumatischen Blockadejahr vor Augen und endete mit einer Gedenkminute für all jene, die im Kampf für die Freiheit gefallen waren.15 Diese Rede war beispielhaft für die allgemeine Stimmung in der Versammlung, denn die aktuellen Meldungen über die Invasion nordkoreanischer Truppen in Südkorea hatten eine tiefe Betroffenheit ausgelöst.
Die grundlegenden Leitlinien, entlang derer sich die Aktivitäten des CCF entwickeln würden, lassen sich schon deutlich an der Zusammensetzung der unterschiedlichen Gruppen von Intellektuellen, die an der Berliner Konferenz teilnahmen, ablesen. Die Zahl der Vertreter des europäischen nicht-kommunistischen Widerstands und derjenigen, die mit dem Movimento Federalista Europeo [Föderalistische Vereinigung für die Europäische Integration] in Verbindung standen, war beeindruckend hoch. Dies kann als starkes Signal dafür gewertet werden, dass die Kongressorganisatoren die politische und kulturelle Neugründung Nachkriegseuropas auf Grundlage dessen vorantreiben wollten, was sie für die einzigen europäisch »unabhängigen« und nicht an die internationale kommunistische Bewegung gebundenen Denkströmungen hielten. Auf der anderen Seite zeigt die große Zahl von Exkommunisten – unter diesen Arthur Koestler und Richard Löwenthal auf britischer Seite, Fritz Borkenau und Theodor Plievier als deutsche Vertreter und Ignazio Silone und Altiero Spinelli als italienische Delegierte16 –, von Emigranten aus den Ostblock-Staaten und zahlreichen »Andersdenkenden« der intellektuellen Linken den unmittelbaren Erfolg der jungen Organisation. Diese hatte es sich zum Ziel gesetzt, einen politisch-kulturellen Raum zu schaffen, in dem die »nicht linientreuen« Linken, die die Verbannung in ein intellektuelles Niemandsland einte, Identität und Zugehörigkeit finden konnten.
In diesem Sinne kann auch die Vehemenz interpretiert werden, mit der der CCF die Exkommunisten ermutigte, Berichte und Zeugnisse zur anschließenden Weiterverbreitung zu verfassen. Von den sechs Autoren, die eingewilligt hatten, an der Anthologie von Berichten über den Kommunismus, Ein Gott, der keiner war, mitzuwirken – Arthur Koestler, Ignazio Silone, Richard Wright, André Gide, Louis Fischer, Stephen Spender – waren vier an der Gründung und an der politisch-kulturellen Aktivität des CCF beteiligt. Koestler und Silone, die an der Gründungsveranstaltung teilnahmen, wurden bald zu Symbolfiguren des CCF; Spender wurde Mitglied des Exekutivkomitees und war seit 1953 Chefredakteur der Zeitschrift Encounter; Fischer wurde der erste Generalsekretär des CCF und nahm bis zur Auflösung der Organisation an den wichtigsten Treffen teil.17
In seiner abschließenden Bewertung der Berliner Kongressveranstaltung schrieb Lasky später, dass man im CCF eine grundlegende Auseinandersetzung zwischen zwei Tendenzen ausmachen könne: »Die einen (Vertreter: Koestler und Burnham) betonten vor allem das Streben des sowjetischen Imperialismus nach der Weltherrschaft und die dringende Notwendigkeit von Widerstandsprogrammen. Die zweite Strömung (Vertreter: die meisten Franzosen, Italiener, Briten und Deutschen außerhalb Berlins) konzentrierte sich auf die Stärkung der Idee der westeuropäischen Einheit, auf soziale und wirtschaftliche Reformen (um die Unzufriedenheit in den kommunistischen Hochburgen zu eliminieren) und eine weniger polemische Haltung gegenüber Moskau.«18 Der zweite Trend, der die Verteidigung der kulturellen Freiheit eher über die Schaffung eines transnationalen Dialogs als über den Rekurs auf eine direkte Konfrontation vorsah, wurde in Berlin von Hugh Trevor-Roper und vor allem von Ignazio Silone vertreten.
Der Gegensatz zwischen Silone und Koestler wurde zur fast schon paradigmatisch zu nennenden historiografischen Referenz für zwei verschiedene Oppositionsformen gegen den Kommunismus. Die erste war argumentativ und im Ton gemessen, die zweite hingegen durch einen kämpferischen, unerbittlichen und leidenschaftlichen Antikommunismus charakterisiert. Die wesentlichen Züge dieses Gegensatzes – der die weitere Entwicklung des CCF entscheidend beeinflussen würde – zeichneten sich bereits bei der Eröffnungssitzung auf der Berliner Konferenz ab. Koestler verurteilte in seiner Rede ganz offen die zurückhaltende Distanz jener Intellektuellen, die eine neutrale Position forderten (»neither-nor-attitude«). Sie zeigten damit, dass sie nicht erkannten, wie sehr die Dramatik der internationalen Lage, die durch die Aggressivität der totalitären Regime bedroht sei, eine deutliche Entscheidung für eine Seite erforderlich mache, ohne Anzeichen von Unklarheit oder Unentschlossenheit. Am Schluss seiner Rede beschimpfte er die »clever imbecilles« verächtlich, dass sie sich darauf versteiften, den Neutralismus zu predigen, während ein der Beulenpest vergleichbares Phänomen um sich griffe.19 Völlig anders klang hingegen der Beitrag Silones. Er sah im Kongress von Berlin eine überzeugende Antwort auf die dringende Notwendigkeit eines internationalen Dialogs, der von Künstlern und Schriftstellern geführt werden müsse, mit dem doppelten Ziel, die jeweiligen Unterschiede herauszustellen und den Geist gegenseitiger Solidarität, der die Jahre des Widerstands beseelt habe, wieder zum Leben zu erwecken.
Der Gegensatz zwischen den beiden Strömungen war in der vierten und letzten Arbeitsgruppe, die dem Thema »Frieden und Freiheit« gewidmet war, schließlich unübersehbar. Zu Beginn der Sitzung erreichte die Teilnehmer die Nachricht, dass die USA und die Vereinten Nationen ein Truppenkontingent zur Verteidigung Südkoreas entsandt hatten. Dann folgte die berühmte Rede Burnhams, »The Rhetoric of Peace«, in der er im Rekurs auf die Atombombe behauptete, dass es einen moralischen Unterschied gäbe, je nachdem, welcher der beiden Blöcke sie benutze.20
Im nachfolgenden Beitrag mit dem Titel »The false Dilemma« intervenierte Koestler mit der These, dass die traditionellen Gegensätze Linke-Rechte und Sozialismus-Kapitalismus plötzlich haltlos seien. In gewisser Hinsicht dem Schlüsselthema der späteren Debatte über »das Ende der Ideologie« vorgreifend, unterstrich Koestler den grundlegenden Bedeutungsverlust des Begriffs »Linke«, der für eine nicht existierende Kontinuität zwischen der liberalen und sozialdemokratischen Linken und der extremen totalitären Linken herhalten müsse. In gleicher Weise lehnte er eine starre Verwendung des Begriffs »Sozialismus« ab, der aus dem neunzehnten Jahrhundert stamme und dessen Problem darin bestünde, dass er die wirkliche Tragweite der historischen Veränderungen verschleiere. Nach Koestlers Auffassung war der eigentliche Konflikt des zwanzigsten Jahrhunderts nicht mehr derjenige zwischen Kapitalismus auf der einen und Sozialismus auf der anderen Seite, sondern der zwischen totalitärer Tyrannei und relativer Freiheit.21 Als Antwort auf diesen neuen provokanten Ansatz konstatierte Altiero Spinelli besorgt die Gefahr einer antikommunistischen Intoleranz, die Exkommunisten wie Koestler entwickelt hätten. Gleichzeitig erinnerte er die Zuhörerschaft ganz offen daran, dass auch er dem Kreis der Exkommunisten angehöre, und führte seine Haltung Koestler gegenüber als Beweis für die Tatsache an, dass es im Umfeld des CCF keine spezielle Gruppe und kein einhelliges Verhalten unter den Exkommunisten gäbe; im Gegenteil, gerade diese Meinungsvielfalt sei es, die den Diskussionen Lebendigkeit verliehe und als Inspiration diene. Fast als Untermauerung dieser These kann die Erwiderung Franz Borkenaus auf Spinelli gelten, der erklärte, er sei stolz darauf, ein kommunistischer Dissident zu sein, und der mit Vehemenz die These vertrat, die Intellektuellen, die die totalitäre Utopie unmittelbar erfahren hätten, besäßen das Vermögen und die Pflicht, ihren Beitrag zur Schaffung einer auf neoliberale Werte gegründeten Demokratie zu leisten. Unter Applaus aber auch heftigen Protesten berief sich Borkenau auf die Ankündigung, dass westliche Militärkontingente mit Ziel Korea bereitstünden, und begrüßte die Entscheidung des Westens, sich endlich auf dem Schlachtfeld mit dem Kommunismus zu messen.22
Die Reaktionen der internationalen Presse zeigten, dass diese offenbar für die Unnachgiebigkeit, die ein Großteil der Exkommunisten in Berlin an den Tag gelegt hatte, kein Verständnis aufbrachte. Vorhersehbar und in gewisser Weise erwartet worden waren die Reaktionen der kommunistischen beziehungsweise kommunismusfreundlichen Presse. Aus Ostdeutschland bezeichnete Gerhart Eisler die Teilnehmer des CCF als »literarische Affen« und »amerikanische Spione«. In Frankreich gab L’Observateur der Konferenz in Berlin den Spitznamen »KKK« (Koestlers Kultur Kongress) mit offensichtlicher Bezugnahme auf den Ku-Klux-Klan.23 Weniger vorhersehbar und viel bedeutsamer fielen die negativen Reaktionen der linksliberalen Presse aus, vor allem in Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Im Manchester Guardian war ein Artikel mit heftigen Anschuldigungen von Hugh Trevor-Roper erschienen, der den Berliner Kongress als politische Veranstaltung ohne jegliche Intellektualität qualifizierte, als ein »umgekehrtes Wrocław«, das wie »eine Allianz zwischen [...] den Exkommunisten unter den Delegierten [...] und den deutschen Nationalisten unter den Zuhörern« organisiert und durchgeführt worden sei.24 Sein letztinstanzliches Urteil über die exkommunistischen Intellektuellen fiel so aus: »Ich sehe mich in meiner Ansicht bestärkt, dass eine befriedigendere Lösung von denjenigen kommen wird, die jenen obskurantistischen doktrinären Unsinn, dessen Bodensatz nie ganz aus dem System ausgeschieden werden kann, nie geschluckt haben und somit auch nicht erbrechen mussten.«25
Peter de Mendelssohn nahm im New Statesman die von Trevor-Roper über Koestler und Burnham gefällten Urteile auf und beschuldigte diese obendrein, mit ihren extremen dialektischen Vereinfachungen jeglicher Diskussion den Boden entzogen zu haben, mit dem Ziel, die westlichen Intellektuellen in eine schlichte »Kampfgruppe« umzufunktionieren.26 Die Haltung Peter de Mendelssohns gegenüber den Exkommunisten wird in einem Brief illustriert, mit dem er auf die Einwände Laskys zu der im New Statesman erschienenen Kritik antwortete: »Die Tatsache, dass sowohl Plisnier wie Borkenau nur einmal und nur je fünf Minuten sprachen, ist irrelevant. Der Eindruck, den sie hinterließen, wäre kein anderer gewesen, hätten sie fünf Stunden lang gesprochen (oder besser gebrüllt). Dieses wütende Gebrüll klingt mir immer noch in den Ohren. Ihre These lautete, dass die Führung des antikommunistischen Kreuzzugs naturgemäß den reformierten Exkommunisten gebühre. Ich wende mich gegen diesen Anspruch und das Argument, mit dem er untermauert wird. Ich glaube nicht, dass man ein Kommunist gewesen sein muss, um das Ausmaß der Bedrohung der westlichen Zivilisation durch den Kommunismus vollständig zu ermessen. Wenn ich mit den Exkommunisten im Streit liege, dann in diesem Punkt. Es gibt keinen anderen. […] Bezeichnenderweise schlossen sich Silone und andere ›geläuterte Gefolgsleute des Gottes, der keiner war‹, diesem Anspruch nicht an.«27
Nicht »anti«, sondern »pro«: Von Koestler zu Silone
»Ne koestlerisons pas« [Lasst uns nicht koestlerieren], hatte die französische Zeitschrift Esprit in ihrem Kommentar zu der Berliner Versammlung gefordert.28 Die Verlagerung der ideologischen Achse des CCF von einer aktiven und kämpferischen antikommunistischen Haltung zu Positionen, die sich mehr an einer kritischen, jedoch dem politisch-kulturellen Dialog gegenüber offenen Konfrontation orientierten, zog in der Tat eine stetige und rasche Marginalisierung der Rolle Koestlers nach sich, und das trotz der großen Bedeutung, die der »Mann Münzenbergs« in den Monaten unmittelbar nach der Berliner Konferenz im strategischen und organisatorischen Bereich des CCF innegehabt hatte.
In den ersten, von organisatorischen Tätigkeiten geprägten Monaten war der aktivistische Ansatz Koestlers bei den führenden Köpfen des CCF offenbar grundsätzlich auf Begeisterung gestoßen. Einige Aufzeichnungen nach einer Begegnung zwischen Irving Brown, Lasky und Koestler im Juli 1950 in der Pariser Wohnung Koestlers – ein erster Keim eines Exekutivkomitees – lassen den Schluss zu, dass die drei eine Einigung darüber erzielten, die Aktivitäten stärker in Richtung direkter politischer Aktionen zu verschieben: »Wir waren uns einig, dass Korea die Perspektive des Kongressvorhabens verändert hat. Das Tempo muss erhöht und der Schwerpunkt von ausschließlich an die Intelligenz gerichteten Vorhaben auf unmittelbare politische Aktionen verlagert werden.«29
In diesem Zusammenhang wurde auch ein Projekt Koestlers diskutiert: Er wollte über die Schaffung eines Netzes von Vereinigungen und Komitees eine Bewegung »von unten« zur Demokratieerziehung in Gang setzen. Dieses Netzwerk sollte in enger Verbindung mit dem CCF arbeiten und sich durch Engmaschigkeit auszeichnen. Auf diese Weise würde der CCF den eigenen Theorien eine breite und solide Basis verschaffen und außerdem Alternativen zu den von der kommunistischen Bewegung organisierten soziokulturellen Aktivitäten entwickeln können.
In der Struktur der geplanten Organisation wurden – aus dem Kontext gerissen und unter anderen Vorzeichen, aber dennoch ganz offensichtlich wiederverwertet – einige Schlüsselelemente des Propagandasystems des Kominform sichtbar: Ein »Deminform«,30 das sich an möglichst viele, möglichst unterschiedliche Arten von Empfängern richtete (Arbeiter, Gewerkschafter, Studenten, Jugendgruppen im Allgemeinen), gegliedert in lokale Komitees, die sich durch organisatorische Flexibilität auszeichneten, wobei die zu vermittelnden Inhalte zentral bestimmt wurden. Letztere wurden explizit so gewählt, dass sie hinsichtlich der formal apolitischen Haltung der Organisation Konsens erzielten. »Durch die Betonung der Kultur«, so ist im erwähnten Memorandum des primären Exekutivkomitees zu lesen, »hofft man, Parteiquerelen auf lokaler Ebene zu umgehen.«31
Wie schon beim Berliner Manifest an die freien Menschen waren es Koestler und Sperber, die sich um die Niederschrift der Broschüre mit dem Titel Que veulent les Amis de la Liberté? [Was wollen die Freunde der Freiheit?] kümmerten, in der die Ziele und das Programm des Netzwerks präsentiert wurden.32 Viele der dort genannten Aktionen tragen ganz offensichtlich den Stempel der militanten Unnachgiebigkeit, die für die Kreuzzugsmentalität Koestlers charakteristisch war. In der Einleitung der Broschüre reiht er das stalinistische Russland in eine historische Kontinuität ein, die vom militaristischen Preußen über das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland bis zum imperialen Japan reicht, also Nationen, die die Begierde einte, »die Welt im Namen einer Ideologie oder einer Mystik zu erobern«. Weiter proklamiert Koestler die Notwendigkeit eines »Programms geistiger Hygiene«, um die westliche Gesellschaft von der hypnotischen Macht der Scheinideologie zu erlösen, die der stalinistische Kommunismus darstelle. Dies genau sollte die Aufgabe des CCF und der Amis de la liberté [Freunde der Freiheit] werden: »Wenn wir hier versagen, dann machen wir uns eines neuen ›Verrats der Intellektuellen‹ schuldig und tragen dafür die Verantwortung vor der Geschichte.«33
Die Broschüre wurde unzählige Male von den Autoren überarbeitet, immer im Versuch, den Fragen und Problemen, auf die die Bewegung mit der Zeit stoßen würde, vorzugreifen.34 Trotz allem wurde Koestlers Auffassung, dass eine direkte Konfrontation mit der kommunistisch-sowjetischen Welt die einzig wirksame Aktionsform der Organisation sei, verworfen. Koestler selbst merkte das und versuchte, sich im August 1951 erstmals aus dem Exekutivkomitee zurückziehen, indem er gesundheitliche Probleme anführte.35
Es verging noch ein Jahr mit Höhen und Tiefen, mit Anfällen fiebriger Aktivität, heftigen Protesten und Phasen völliger Untätigkeit, bevor Koestler endgültig aus den Entscheidungsgremien des CCF schied. Dies geschah schließlich im Zusammenhang mit den Planungen für einen neuen internationalen Kongress, der im Jahr 1952 in Paris stattfinden sollte. Die Entscheidung, daraus ein großes Kunst- und Musikfestival zu machen, eine Gesamtschau der Kunstproduktion Europas und der USA, stieß bei Koestler auf heftige Ablehnung. »Was als politische Kraft gegründet wurde, hat sich in eine verweichlichte Kunstbewegung verwandelt«,36 ließ er im Juli 1951 verlauten und erklärte nur dreizehn Monate nach der Gründungskonferenz in Berlin gegenüber Nicolas Nabokov, Generalsekretär des CCF sowie planender Kopf und Organisator des Pariser Festivals, seinen endgültigen Rücktritt.37 Diese Situation führte zu einer ganzen Reihe von Kontroversen zwischen dem europäischen Sekretariat und dem nationalen Komitee der USA, dem American Committee for Cultural Freedom (ACCF), das den militanten Ansatz der »Linie Koestler-Burnham« unterstützte und der Weigerung der europäischen Büros, eine ausdrücklich antikommunistische Haltung einzunehmen, mit massiver Kritik begegnete.38
Im Verlauf des folgenden Jahrzehnts wurde Koestler zwar nach wie vor über die Aktivitäten des Kongresses informiert, doch seine machtvolle Rolle als Schlüsselfigur der ideellen Ausrichtung des CCF hatte er definitiv eingebüßt. Der Kampf darum, dem CCF eine neue Identität zu verleihen und offen antikommunistisch, d. h. politisch aktiv zu sein, war verloren. Das Wissen, dass er nichts weiter als ein Hindernis auf dem Weg zu einem neuen Kurs des CCF gewesen war, und dass sein Versuch, diese Wende zu verhindern, gescheitert war, wird deutlich, als Koestler Sperber über seinen geplanten Rücktritt informiert: »Ich habe mich nicht aus dieser Bewegung zurückgezogen. Ich wurde auf freundliche und effektive Weise dazu gebracht, mich zurückzuziehen.«39
Die Referenzfiguren für die neue Leitlinie des CCF wurden Denis de Rougemont, der rasch zum Präsidenten des Exekutivkomitees ernannt wurde, außerdem Raymond Aron, dessen Rolle im CCF mit der Publikation von L’opium des intellectuels [Das Opium der Intellektuellen]40 und der Aufnahme der Debatte über das Ende der Ideologie sehr gestärkt wurde. Doch vor allem Ignazio Silone entwickelte sich zur wichtigen Leitfigur. Der Wechsel von der »Koestler-Linie« zur »Silone-Linie« hatte sich bereits nach der Sitzung des internationalen Komitees im November 1950 in Brüssel abgezeichnet. In seinem Schlussbeitrag auf der dortigen Plenumsveranstaltung rief Silone Intellektuelle und Künstler zum Engagement in der »Frage der Freiheit« auf, die (»heute wie immer«) als grundlegend für die Verteidigung der Rechte der Menschen und der Gesellschaft gegen die Willkür des Staates zu sehen sei. Silone lud dazu ein, sich von der moralischen Pflicht zu befreien, das eigene Engagement unter überkommene politisch-soziale Banner zu stellen: »Das Problem der Wahrheit ist auch, dass man die Verteidigung geistiger Werte nicht an die überkommenen sozialen Formen binden darf.«41 Er bezog sich dabei ausdrücklich auf die sowjetischen Zwangsarbeitslager und die Schauprozesse gegen den katholischen Klerus in Prag – die damals noch in vollem Gange waren – und bezeichnete das Jahrhundert des Totalitarismus als Zeitalter der Spaltung der Seele, dessen Folgen nicht weniger gefährlich für das Überleben der Menschheit seien als die aktuelle Entdeckung der Atomspaltung. Er schloss: »Ihr wisst alle, welch großer Schritt für die Freiheit in Europa das Habeas Corpus war. [...] Angesichts der Bedrohung, der wir uns gegenübersehen, muss unsere Parole die universellste, die einfachste und zugleich die radikalste sein, das Bekenntnis zum heiligen und unveräußerlichen Wesen der menschlichen Seele, Habeas Animam: Jedwedes Lebewesen, welches auch immer, hat das Recht auf seine Seele.«42
Habeas Animam: Dieser Ausdruck, so schreibt Pierre Grémion, »trifft den Nagel auf den Kopf und heiligt seinen Autor«.43 Von diesem Moment an erschien die Formulierung regelmäßig in den Propagandabroschüren und Präsentationsprospekten des CCF. Eine neue Devise für eine neue Identität, die sich die Organisation in Europa schließlich selbst gegeben hatte.
Unter den im CCF aktiven Intellektuellen ist Silone sicherlich derjenige, bei dem der Anspruch, die ideologische Ambiguität des Kommunismus und den diktatorischen Charakter seiner historischen Umsetzung aufzuzeigen, unauflöslich mit einer wesentlich umfassenderen und komplexeren politisch-kulturellen Aktivität zusammenhängt, die eindeutig antitotalitär, sozialistisch und der Verteidigung der Gedankenfreiheit und der Autonomie des Gewissens gewidmet war. Dies bezeugt – nimmt man nur die mit dem CCF zusammenhängenden Aktivitäten Silones in den Blick – auch der große Aktionsradius, den die italienische Vereinigung für die Freiheit der Kultur abdeckte und deren ideologische Seele und organisatorische Stütze Silone war. Silone führte die italienische Tochter des CCF in eine Richtung, die sie verpflichtete, an mehreren Fronten tätig zu werden. Diese reichten von der Verurteilung der Exzesse des Stalinismus über den Kampf gegen die Zensur und gegen die Methoden sozialer Kontrolle im Namen von Religion und Moral bis hin zum Einsatz für die Beachtung der Verfassung und die definitive Abschaffung der faschistischen Gesetze. In der ersten Ausgabe von Tempo presente schloss Silone seinen Leitartikel in Anlehnung an das Zitat Rosa Luxemburgs: »Jede Freiheit ist solidarisch. Freiheit ist immer nur die Freiheit der Andersdenkenden.«44 Auf Rosa Luxemburg bezog sich Silone auch im März 1956 anlässlich eines Kulturaustauschs zwischen osteuropäischen und westeuropäischen Schriftstellern, der von der Società europea di cultura [Europäische Kulturgesellschaft] organisiert worden war, um die eigene kritische Position gegenüber dem »totalitären Kommunismus aus dem Blickwinkel der freien Arbeiterbewegung«45 zu bekräftigen. Bei dieser Gelegenheit ermahnte er die Intellektuellen, die eigene Unabhängigkeit als ihren kostbarsten Besitz zu verteidigen: »Der Schriftsteller gehört der Gesellschaft, nicht dem Staat.«46
Das Engagement Silones im Zusammenhang mit dem kulturellen Kalten Krieg drückte sich vor allem auf zwei Arten aus: Auf der einen Seite sah er sich aufgrund seiner persönlichen Erfahrung in einer historischen Verantwortung, die aus seiner tiefen Kenntnis der kommunistischen Bewegung, ihrer Ideologie und ihrer Verkörperung und Entartung rührte; auf der anderen Seite suchte er nach einer gemeinsamen Ebene für einen Dialog mit den Intellektuellen jenseits des Eisernen Vorhangs. Sein Engagement zeigte sich auch in seiner beharrlichen Teilnahme an Initiativen, die von Institutionen wie der Europäischen Kulturgesellschaft und dem Pen-Club wie auch dem CCF selbst organisiert wurden. Auch wenn es mehr als deutlich war, auf welche Seite Silone sich an der Front des kulturellen Kalten Kriegs geschlagen hatte, muss man ihm attestieren, dass er an seiner eigenen Unabhängigkeit festhielt – einer Unabhängigkeit, die ihn davor bewahrte, zum passiven Instrument in einer bipolaren Auseinandersetzung zu werden. Seine Weigerung, Initiativen zu unterstützen, die ausdrücklich und ausschließlich antikommunistisch waren, hatte Silone im Übrigen bereits in der Organisationsphase der CCF-Gründungskonferenz klar zum Ausdruck gebracht, als er nämlich den ersten, ihm von Lasky vorgelegten Einladungsentwurf zum Berliner Treffen zurückwies: »Ich finde den Text dieses Aufrufs unmöglich. Es handelt sich dabei um ein Traktat zu Zwecken der politischen Agitation und nicht um eine Einladung an Intellektuelle und Wissenschaftler. Ein Kongress, der auf dieser Grundlage einberufen wird, ist praktisch sinnlos.« Silone argumentierte, dass die Forderung nach der Universalität von Wissenschaften, Künsten und freiem Gedankenaustausch zwischen den Menschen wesentlich geeigneter sei, um hinter dem Eisernen Vorhang Erfolge verzeichnen zu können, als irgendwelche summarischen Urteile über die politischen Kräfte auf dem Feld: »Ihr Aufruf läuft Gefahr, der westlichen Kultur die Sprache Fadeevs und Ehrenburgs zu verleihen […] Wenn Sie glauben, dass die Aufregung in Berlin so groß ist, dass man schreien muss, um sich Gehör zu verschaffen, vermute ich, dass eine Reihe der Geladenen, darunter ich selbst, eine unnütze Reise unternehmen werden.«47
Die Beharrlichkeit, mit der Silone für den CCF einforderte, er solle »nicht anti, sondern pro« sein, lässt sich deutlich aus den Schriften in den Archiven des Kongresses herauslesen. In einem Bericht über die Aktivitäten in Italien, den er im November 1953 dem Exekutivkomitee vorlegte, erklärt er unmissverständlich: »Die Wirksamkeit unseres Kampfes gegen den Kommunismus beruht auf der Tatsache, dass er demokratisch ist und dass wir – mit einigem Erfolg übrigens – versucht haben, dem Kommunismus die Initiative abzunehmen sowie das Monopol – das er vorher besaß – darauf, eine gute Sache zu verfechten. […] Ich sage, dass die Wirksamkeit dieses Vorgehens auf der Tatsache beruht, dass wir Demokraten sind und bleiben, selbst wenn der Kommunismus nicht existieren würde. Unser Kampf für die Freiheit der Kunst und die Freiheit der Kultur entspricht unseren Grundsätzen, unabhängig von der Existenz oder Nichtexistenz des Kommunismus.«48
Vom kulturellen Kalten Krieg zur Ideologie der Antiideologie
Mit der Konferenz von Bandung, der Entstehung der Bewegung der blockfreien Staaten, der Gipfelkonferenz in Genf, den ersten Anzeichen der Entspannung der internationalen Beziehungen in der poststalinistischen Ära und der Debatte über das »Ende der Ideologien«49 änderte sich Ende der Fünfziger-, Anfang der Sechzigerjahre die globale Lage, und der Blick auf die internationale Politik erfuhr einen Paradigmenwechsel. In dieser Situation sah sich der CCF vor die Notwendigkeit gestellt, seine Existenzberechtigung und seine Rolle als Kritiker der Beschneidung der kulturellen Freiheit zu hinterfragen, die die Organisation während der entscheidenden Jahre des Kalten Kriegs gepflegt hatte.
Die Tatsache, dass die großen ideologischen Gegensätze, die das erste Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg so tiefgreifend bestimmt hatten, sich jetzt nicht mehr dazu eigneten, die Komplexität der neuen Epoche zu beschreiben, schien nun auch die Sinnhaftigkeit des politischen Engagements der Intellektuellen unwiderruflich infrage gestellt zu haben. In einem Klima radikaler Veränderungen – mit dem vor allem durch das Wirken von Michael Polany, Edward Shils und Daniel Bell, den neuen Referenzfiguren der Organisation, auch eine grundlegende Umstellung der Aktivitäten des CCF einherging – musste sich auch die Rolle der ehemaligen Kommunisten ändern: Gerade diese wurden in vielen Fällen zu idealen Vermittlern bei einer nahezu krampfhaften Suche nach einem gemeinsamen Aktionsfeld in einer sich plötzlich öffnenden und die Blockfreien aufnehmenden Realität. Obgleich Koestler nicht mehr Mitglied der Führungsriege des CCF war, fungierte er bei mehreren Gelegenheiten als Vermittler zwischen der Organisation und den aus den osteuropäischen Ländern emigrierten Intellektuellen, vor allem für jene, die nach 1956 aus Ungarn geflohen waren. Im Herbst 1958 kontaktierte der CCF auf Koestlers Vermittlung hin zum Beispiel den Dichter György Faludy und den Schriftsteller und Publizisten Paul Ignotus, der in London eine Zeitschrift für die politischen Emigranten aus Ungarn plante.50 Koestler war außerdem mit der Koordination des Fund for Intellectual Freedom (FIF) befasst, den er parallel zum CCF gegründet hatte. Dieser sollte emigrierten Schriftstellern eine finanzielle Unterstützung bieten.51
Nach Auffassung Silones musste der Niedergang des ideologischen Konflikts, der sich zwischen den beiden Polen des kulturellen Kalten Kriegs festgefahren hatte, zu einem parteiübergreifenden Dialog zwischen Intellektuellen führen, zu einer Auseinandersetzung, die frei von Vorurteilen und politischen Restriktionen sein müsse. Auch bei der internationalen Konferenz The Future of Freedom – auf der die Debatte über das Ende der Ideologien ihren Anfang nahm –, die vom CCF im September 1955 in Mailand unterstützt worden war, befasste sich Silone in seinem Schlussbeitrag fast ausschließlich mit der Notwendigkeit, die kulturellen Grenzen zwischen den Blöcken einzureißen: »Manche befürchten, der Westen werde infolge des Tauwetters überschwemmt werden und untergehen. Das sind meines Erachtens unberechtigte und lächerliche Ängste. [...] Es liegt in der Natur der freien Kultur, offen und in jedem Moment zur Konfrontation mit ihren Gegnern bereit zu sein. […] Wir müssen uns dazu bekennen, Befürworter der Freizügigkeit von Menschen und Ideen zu sein.«52
In den frühen Sechzigerjahren schaltete sich Silone in die schwierige Debatte des CCF über die kaum lösbar erscheinende Identitätskrise ein, übte harsche Kritik an dem Begriff vom »Ende« der Ideologien und warnte die Anwesenden davor, eine »Ideologie der Antiideologie«53 zu schaffen.
In den Grundzügen war die Haltung Sperbers ähnlich, der im Rahmen einer Sitzung des Exekutivkomitees im Januar 1958 ausdrücklich die Frage aufwarf, ob man den Aktionsradius des CCF angesichts der neuen Verantwortung, die sich nach den tiefgreifenden Veränderungen auf der internationalen Bühne ergeben habe, nicht erweitern solle: »Das Herz und die Ohren so vieler Menschen, die uns verschlossen waren, sind nun geöffnet oder halb geöffnet.« Wenn man die möglichen Folgen, die eine solche Veränderung notwendigerweise für die Perspektiven des CCF mit sich bringe, unberücksichtigt lasse, bedeute dies »sowohl unsere Aufgaben als auch die Möglichkeiten ihrer Erfüllung völlig misszuverstehen«.54 Es müsse also die oberste Pflicht der Organisation sein, im Zuge der Auflösung der strengen Bipolarität, die die entscheidenden Phasen des kulturellen Kalten Kriegs charakterisiert habe, jede Gelegenheit zu ergreifen und jedes Mittel zu nutzen, um eine größtmögliche Verbreitung der eigenen Botschaft zu gewährleisten.55 Sperber betonte vor allem die unabdingbare Notwendigkeit, zuallererst die Kommunikationsmodalitäten des CCF anzupassen, denn, wenn dieser seine Legitimierung nicht völlig verlieren wolle, dürfe er sich nicht als Hüter von Werten erweisen, die sich auf einen bereits inexistenten ideologischen Gegensatz bezögen, sondern müsse sich als Verfechter einer glänzenden und mit allen teilbaren Zukunft präsentieren: »Sprechen wir zu ihnen nicht wie zu Feinden […], sprechen wir nicht als Verteidiger der Vergangenheit, die wir nicht sind, sprechen wir als Förderer einer Zukunft, die sie in Gedanken anstrebten, als sie von den finstersten Mächten der Vergangenheit ergriffen wurden.«56
Exkommunisten und Engagés: Vom Sinn eines Engagements
Bei einer Sitzung des Exekutivkomitees im Februar 1960 stellte Silone fest, dass man unmöglich weiterhin den Begriff des »Engagements« der Intellektuellen verwenden könne, wobei er besonders auf die Absurdität abhob, die den Versuchen anhafte, dieses Konzept einfach so in die neuen nationalen Realitäten zu »exportieren«, in die der CCF seine Wurzeln ausstrecke: »Das einzig mögliche Engagement ist eines, das einer persönlichen Berufung entspringt. Wenn du dich engagieren willst, kann man dir das nicht verbieten, aber man kann nicht der gesamten intellektuellen Klasse eines ganzen Landes, die bei ihrem Volk sein will, die lebendig sein will, die zum Fortschritt des Volkes beitragen will, den Befehl geben, sich zu engagieren und aktiv zu werden. Auf diese Art von Problemen werden wir, so fürchte ich, stoßen, wenn wir mit den Intellektuellen der neuen Länder Kontakt aufnehmen.«57
In Uscita di sicurezza [Notausgang] erzählt Silone, dass er sich eines Tages mit folgendem Satz an Togliatti gewandt habe: »Der letzte Kampf wird der zwischen Kommunisten und Exkommunisten sein.«58 Man muss zweifelsfrei anerkennen, dass die am kulturellen Kalten Krieg aktiv teilnehmenden intellektuellen Exkommunisten in dessen Dynamik eine starke Rolle spielten, wobei sie allerdings die Kritik ignorierten, sie würden allzu sehr über den Dingen schweben und sich nur auf einen Beobachtungsposten beschränken. Dies hatte Isaac Deutscher in seinem unmittelbaren Kommentar zu der Publikation von Ein Gott, der keiner war »als einzig würdevolle Haltung, die ein exkommunistischer Intellektueller einnehmen kann« bezeichnet.59 Anders als bei anderen im Rahmen des CCF und des kulturellen Kalten Kriegs aktiven Gruppen beeindruckt auf jeden Fall die Tendenz dieser Menschen, sich nicht als eine »Kategorie« zu betrachten und nicht als ein »Lager« zu agieren, welches sich über gemeinsame Werte, Methoden und Ziele definiert. Wie weit das Engagement bei jedem einzelnen der ehemaligen Kommunisten ging und inwieweit der Einzelne von seiner eigentlichen Richtung abwich, war immer eine individuelle Entscheidung. Diese Charakteristik stellte Deutscher ebenfalls ausdrücklich heraus und unterstrich dabei ganz besonders die jeweiligen Unterschiede in der Art und Weise der Abkehr vom Kommunismus und der Wahl des Zeitpunkts: »Die ›Legion‹ der Exkommunisten marschierte nicht in geschlossener Formation, sie ist in alle Richtungen verstreut, und ihre Mitglieder ähneln sich sehr, auch wenn sie sich voneinander unterscheiden. Sie haben gemeinsame Eigenschaften und individuelle Merkmale. Alle haben ein Heer und ein Schlachtfeld verlassen – einige aus Gewissensgründen, andere als Deserteure, andere sogar als Plünderer.«60
In der fast zwanzigjährigen Geschichte des CCF war die einzige Gelegenheit, bei der eine bestimmte Anzahl herausragender exkommunistischer Intellektueller eine Gruppenidentität forderte, gerade die Gründungskonferenz in Berlin. Wie gezeigt wurde, hatten bei dieser Gelegenheit Koestler, Plisnier und Borkenau eindrücklich darauf beharrt, dass die Exkommunisten im Bereich der sich gerade konstituierenden »antitotalitären Allianz« ganz zu Recht die Hauptrolle spielten, da sie die einzigen seien, die eine unmittelbare Erfahrung mit dem Stalinismus gemacht hätten.61
»Wir sind die Einzigen auf eurer Seite, die wirklich wissen, wie die Dinge stehen«, so die Aussage Koestlers laut Richard Crossman in der Einleitung zu Ein Gott, der keiner war.62 In dieses mehrstimmige Werk wurden die verschiedenen Autoren eben gerade deswegen eingebunden, weil sie Exkommunisten waren, »die allein in der Lage sein würden, die Wahrheit über sich selbst zu sagen«.63 Das Dokument zeigt mit großer Deutlichkeit, wie jeder reagiert und schriftlich die eigene Annäherung an die Politik und an die Kultur auf grobe und individuelle Weise definiert hatte. Außerdem macht es auf die Unterschiede in den jeweiligen Haltungen aufmerksam, die jedoch durch die gemeinsame Erfahrung der »verratenen Hoffnung«64 und durch das Bewusstsein von der Notwendigkeit, gegen die totalitären Abwege des Kommunismus aktiv Position zu beziehen, gemildert wurden.
Aus dem Italienischen übersetzt von Birgitta Höpken
1 The New York Times vom 26. Juni 1950, zitiert in Christopher Lasch: The Agony of the American Left. New York 1969, S. 63. Zum CCF in deutscher Sprache siehe die Untersuchungen von Michael Hochgeschwender: Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für Kulturelle Freiheit und die Deutschen, München 1998; siehe auch von Ulrike Ackermann: Sündenfall der Intellektuellen, Stuttgart 2000. Ulrike Ackermann war außerdem mit der Durchführung der Konferenz »Freiheit in die Offensive. 50 Jahre Kongress für die kulturelle Freiheit« betraut, die im Juni 2000 an der Freien Universität Berlin stattgefunden hat.
2 Melvin Lasky: The Congress for Cultural Freedom. Part I: Proceedings, in: Special Collections Research Center, Regenstein Library, University of Chicago, Congress for Cultural Freedom/International Association for Cultural Freedom (im Folgenden: CCF/IACF), S. III, B. 1, F. 1. Über Melvin Lasky und seine Rolle innerhalb des CCF siehe Giles Scott-Smith: A Radical Democratic Political Offensive: Melvin J. Lasky, Der Monat, and the Congress for Cultural Freedom, in: Journal of Contemporary History 35 (April 2000), H. 2, S. 263–280.
3 Über die New York Intellectuals siehe insbesondere Alexander Bloom: Prodigal Sons: The New York Intellectuals and Their World, New York 1986; Terry A. Cooney: The Rise of the New York Intellectuals. Partisan Review and Its Circle, Madison 1986; Alan M. Wald: The New York Intellectuals. The Rise and Decline of the Antistalinist Left from the 1930s to the 1980s, Chapel Hill 1987.
4 Siehe Stephen A. Longstaff: The New York Intellectuals and the Cultural Cold War: 1945–1950, in:
New Politics 2 (Winter 1989), H. 2, S. 156–170.
5 Lasky: The Congress for Cultural Freedom (Anm. 2), Part II: Evaluations.
6 Hugh Wilford: The CIA, the British Left and the Cold War: Calling the Tune?, London 2003, S. 101.
7 Über Willi Münzenberg siehe Willi Münzenberg: Un homme contre [Ein Mann dagegen], in: Actes du Colloque International [Internationales Kolloquium], Aix-en-Provence, 26. bis 29. März 1992, Marseille 1993; Stephen Koch: Double lives: Stalin, Willi Münzenberg and the Seduction of the Intellectuals, London 1995.
8 David Cesarani: Arthur Koestler: The Homeless Mind, London 1998, S. 104.
9 Siehe Manès Sperber: Au delà de l’oubli [Jenseits des Vergessens], Paris 1979, S. 46–54 u. 61.
10 Siehe ebd., S. 98.
11 Siehe dazu Arthur Koestler: La scrittura invisibile. Autobiografia, 1932–1940 [engl. Original:
The Invisible Writing], Bologna 1991, S. 118.
12 Es handelt sich dabei um drei Reisen, festgehalten von Koestler in: A Spanish Testament, London 1937.
13 Siehe Koestler: La scrittura invisibile (Anm. 11), S. 391 f.
14 Siehe Giles Scott-Smith: The Politics of Apolitical Culture. The Congress for Cultural Freedom, the CIA and Post-War American Hegemony, New York 2002, S. 93.
15 Siehe Frances Stonor Saunders: La guerra fredda culturale. La CIA e il mondo delle lettere e delle arti
[im Original: The Cultural Cold War: The CIA and the World of Arts and Letters], Rom 2004, S. 72.
16 Sperber, der nicht an der Gründungsveranstaltung teilnahm, kümmerte sich dennoch um die Redaktion des Abschlussdokuments und wurde auch bald Mitglied des Exekutivkomitees, in dem er bis zum Ende eine tragende Rolle spielte.
17 André Gide nahm nicht an der Berliner Konferenz teil, übermittelte jedoch ein Unterstützungsschreiben; Richard Wright hatte bereits auf der Gegenkonferenz im Vorjahr in Paris seiner Missbilligung über Initiativen, die er für allzu deutlich antikommunistisch hielt, Ausdruck verliehen. Siehe Peter Coleman: The Liberal Conspiracy: The Congress for Cultural Freedom and the Struggle for the Mind of Postwar Europe, New York 1989, S. 7 u. 22.
18 Lasky: The Congress for Cultural Freedom. Part I: Proceedings (Anm. 2).
19 Arthur Koestler: Two Methods of Action, in: ders.: The Trail of the Dinosaur and Other Essays, New York 1956, S. 183 f.
20 In seiner Rede unterschied Burnham zwischen »bösen« Bomben – jenen aus russischer Herstellung, die allein der Zerstörung der westlichen Zivilisation dienten – und »guten« Bomben – den amerikanischen Nuklearsprengköpfen –, die er als einzige und effektive Verteidigung der europäischen Freiheit in den seit dem Krieg vergangenen fünf Jahren bezeichnete. Siehe Pierre Grémion: Intelligence de l’anticommunisme: Le Congrès pour la Liberté de la Culture à Paris (1950–1975) [Antikommunistische Intellektuelle:
Der Kongress für kulturelle Freiheit (1950–1975)], Paris 1995, S. 37; und Coleman: The Liberal Conspiracy (Anm. 17), S. 31.
21 Arthur Koestler: An Outgrown Dilemma, in: ders.: The Trail of the Dinosaur (Anm. 19), S. 186–195. Nach der Konferenz veröffentlichte Henry Stuart Hughes in der Zeitschrift Measure einen Artikel mit dem Titel The End of Political Ideology, in dem er auf polemische Weise die Koestler-Burnham-Linie von Berlin angriff und darlegte, wie die militante Konfrontation gegen den Kommunismus dazu geführt habe, dass sich die ideologisch-politischen Gegensätze zwischen den liberalen, sozialdemokratischen und konservativen Intellektuellen im Namen der Verteidigung der freien Welt nivelliert hätten. Zitiert in: Giles Scott-Smith: The Congress for Cultural Freedom, the End of Ideology and the 1955 Milan Conference: ›Defining the Parameters of Discourse‹, in: Journal of Contemporary History 37 (2002),
H. 3, S. 440.
22 Founding Conference, Berlin 1950: Proceedings and Reports, in: CCF/IACF, S. III, B. 1, F. 1; siehe auch Coleman: The Liberal Conspiracy (Anm. 17), S. 30; Grémion: Intelligence de l’anticommunisme
(Anm. 17), S. 39.
23 Siehe Cesarani: Arthur Koestler: The Homeless Mind (Anm. 8), S. 363.
24 Hugh Trevor-Roper in: Manchester Guardian Weekly vom 20. Juli1950, zitiert in: Coleman:
The Liberal Conspiracy (Anm. 17), S. 35 f.; siehe auch Lasch: The Agony of the American Left
(Anm. 1), S. 67.
25 Hugh Trevor-Roper, zitiert in: Cesarani: Arthur Koestler: The Homeless Mind (Anm. 8), S. 364.
26 Peter de Mendelssohn im New Statesman, ebd.
27 Mendelssohn, unleserlicher Adressat, 22. August 1950, in: CCF/IACF, S. II, B. 45, F. 7.
28 Zitiert in: Coleman: The Liberal Conspiracy (Anm. 17), S. 33.
29 Fontaine le Port, 18. Juli 1950, in: CCF/IACF, S. II, B. 2, F. 8.
30 Ebd. Zur Verwendung des Begriffs siehe auch Saunders: La guerra fredda culturale (Anm. 15), S. 55 ff.
31 Fontaine le Port, 18. Juli 1950 (Anm. 29).
32 Der dort formulierte betont militante Ansatz wurde in der praktischen Umsetzung jedoch fast völlig von der Organisation außer Acht gelassen. Die Ausrichtung der Aktionen der Freunde der Freiheit wurde bevorzugt im Sinne soziokultureller Veranstaltungen/Konzepte für die Basis gesehen, es wurden Clubs gegründet, die mit Bibliotheken und Lesesälen ausgestattet waren, und Seminare, Themenabende und literarische Zirkel gefördert.
33 Que veulent les Amis de la Liberté? [Was wollen die Freunde der Freiheit?], Paris, o.D. (wahrscheinlich 1950), S. 3 f.
34 Siehe Cesarani: Arthur Koestler: The Homeless Mind (Anm. 8), S. 366.
35 Siehe Koestler an Bondy, 18. August 1950, in: CCF/IACF, S. II, B. 197, F. 11.
36 Cesarani: Arthur Koestler: The Homeless Mind (Anm. 8), S. 382.
37 Siehe Koestler an Nabokov, 30. Juli 1951, in: CCF/IACF, S. II, B. 197, F. 11.
38 Zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Zweig des CCF bestand eine tiefe Uneinigkeit, ob der Kongress eine politische Handlungskraft besäße oder nicht: eine Uneinigkeit, die auf lange Sicht eine Reihe von tiefen inneren Spaltungen hervorrufen würde, vom Streit über den Fall Rosenberg, die Auflösung und schließliche Wiedereinrichtung des amerikanischen Komitees, über die tumultuösen Ereignisse um den Rücktritt Bertrand Russells bis hin zu dem aufsehenerregenden Abgang des Vorsitzenden des ACCF James T. Farrell. Siehe Coleman: The Liberal Conspiracy (Anm. 17), S. 160 f.
39 Koestler an Sperber, 25. April 1951, zitiert in: Cesarani: Arthur Koestler: The Homeless Mind (Anm. 8), S. 383.
40 Raymond Aron: L’opium des intellectuels [Das Opium der Intellektuellen], Paris 1955.
41 Allocution de M. Ignazio Silone [Ansprache von Ignazio Silone], o.D., in: CCF/IACF, S. II, B. 2, F. 8. Die Rede wurde auch in der Ausgabe des Franc-Tireur vom 4. Dezember 1950 abgedruckt.
42 Ignazio Silone: Habeas Animam! (Discorso tenuto alla manifestazione di chiusura della conferenza di Bruxelles del Movimento per la libertà della cultura, 3 novembre 1950) [Rede beim Schlussplenum der Konferenz der Bewegung für kulturelle Freiheit in Brüssel am 3. November 1950], in: La Fiera letteraria [Die Literaturmesse] vom 22. April 1951, S. 1, jetzt auch in: Bruno Falcetto (Hg.): Ignazio Silone, Romanzi e saggi [Romane und Essays], Bd. II, Mailand 1999, S. 1025.
43 Grémion: Intelligence de l’anticommunisme (Anm. 17), S. 95.
44 Ignazio Silone: Agenda, in: Tempo Presente, April 1956, S. 7.
45 Ignazio Silone: Scrittori, Società, Stato [Schriftsteller, Gesellschaft, Staat], in: Volontà [Wille], September 1956, S. 97–102, jetzt in: Alessandro Bresolin (Hg.): Le cose per cui mi batto [Die Dinge, für die ich mich schlage], Santa Maria Capua Vetere 2004, S. 33.
46 Ebd., S. 37.
47 Dieses und das vorige Zitat: Silone an Lasky, 31. März 1950, in: Archivio Silone, Fondazione di Studi Storici Filippo Turati di Firenze, Corrispondenza generale/Silone-Archiv, Stiftung für historische Studien Filippo Turati in Florenz, allgemeine Korrespondenz], Band 1950.
48 Italie. Rapport de M. Ignazio Silone, riunione del Comitato esecutivo, Parigi, 7 novembre 1953 [Italien. Bericht von Ignazio Silone, Sitzung des Exekutivkomitees, Paris, 7. November 1953], in: CCF/IACF, S. II, B. 3, F. 4.
49 Zur Diskussion über das »Ende der Ideologien« siehe Scott-Smith: The Congress for Cultural Freedom (Anm. 21); Job L. Dittberner: The End of Ideology and American Social Thought: 1930–1960,
Ann Arbor 1979; Chaim Isaac Waxman (Hg.): The End of Ideology Debate, New York 1968.
50 Siehe Briefwechsel zwischen Koestler und Michael Josselson in: CCF/IACF, S. II, B. 197, F. 12.
51 Gegründet von Koestler zusammen mit Graham Greene, John Dos Passos, James Farrell und Aldous Huxley, sollte der FIF ursprünglich mit einem Teil der Honorare aus der Verwertung der Werke der mitwirkenden Autoren finanziert werden. Bis 1959 oblag die Leitung vornehmlich Koestler, danach wurde der FIF vom CCF übernommen, der Sperber als Leiter einsetzte.
52 Intervento di Silone: L’avvenire della libertà, Milano, Assemblea generale, 18 settembre 1955 [Beitrag von Silone: Die Zukunft der Freiheit, Mailand, Generalversammlung, 18. September 1955], in: CCF/IACF, S. III, B. 7, F. 5.
53 Intervento di Silone, riunione del Comitato esecutivo, 10–11 marzo 1962 [Beitrag von Silone, Sitzung des Exekutivkomitees, 10.–11. März 1962], in: CCF/IACF, S. II, B. 4, F. 4.
54 Intervento di Sperber, 19 gennaio 1958 [Beitrag von Sperber, 19. Januar 1958], in: CCF/IACF, S. II,
B. 5, F. 1.
55 Hier schlug Sperber die Nutzung des Rundfunks vor, um den lebhaften Debatten zu den verschiedenen Aspekten des intellektuellen Lebens im Rahmen der Entwicklung der internationalen und jeweils landesspezifischen politischen Lage eine möglichst große Verbreitung zu sichern. Siehe ebd.
56 Ebd.
57 Intervento di Silone, riunione del Comitato esecutivo, 11 febbraio 1960 [Beitrag von Silone, Sitzung des Exekutivkomitees, 11. Februar 1960], in: CCF/IACF, S. II, B. 4, F. 4.
58 Ignazio Silone: Uscita di sicurezza [Notausgang], Milano 2001, S. 113; und ders. u. a.: Il dio che è fallito. Testimonianze sul comunismo, Mailand 1992, S. 145 [dt. Ausgabe: Ein Gott, der keiner war. Arthur Koestler, André Gide, Ignazio Silone, Louis Fischer, Richard Wright, Stephen Spender schildern ihren Weg zum Kommunismus und ihre Abkehr, Konstanz/Zürich/Wien 1952].
59 Isaac Deutscher: Profilo dell’ex comunista, in: Armando Saitta: Storia e miti del ‘900. Antologia di critica storica [Geschichte und Mythen des 20. Jahrhunderts, Historisch-kritische Anthologie], Bari 1960, S. 684. Die englische Originalfassung von Deutschers Essay – The Ex-Communist’s Conscience, in: ders.: Heretics and Renegades, London 1955, S. 9–22 – wurde ursprünglich als Rezension von Ein Gott, der keiner war, in The Reporter vom April 1950, veröffentlicht.
60 Ebd., S. 673.
61 Bei dieser Gelegenheit bezogen sich auch die Kritiker des im Entstehen begriffenen CCF häufig auf die Exkommunisten als Kategorie, wenn sie auch zugleich die Notwendigkeit verspürten, nicht in übertriebene Verallgemeinerungen zu verfallen, und durchaus einen Unterschied im Verhalten einiger der herausragenden Persönlichkeiten unter den kommunistischen Dissidenten konstatierten, allen voran Silone.
62 Arthur Koestler, zitiert in: Silone u. a.: Il dio che è fallito (Anm. 58), S. 23 (Vorwort von Crossman).
63 Ebd.
64 Ebd., S. 675.