Studien zur Geschichte des Antikommunismus im 20. Jahrhundert bilden einen Schwerpunkt des Jahrbuchs für Historische Kommunismusforschung 2011. Die kommunistische Weltanschauung, ihre Interpreten und die in ihrem Namen errichteten Regime stießen von Anbeginn auf die vehemente Ablehnung der bürgerlichen Gesellschaft wie auch der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Das Bürgertum sah in der atheistischen, antinationalen, die bestehende politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung negierenden kommunistischen Politik und Ideologie eine existenzielle Gefahr. Aber auch Sozialisten und Sozialdemokraten erlebten den Vormarsch der Kommunisten im Gefolge des Ersten Weltkriegs und der russischen Oktoberrevolution als eine Bedrohung. Sie fürchteten um ihre Hegemonie in der Arbeiterschaft.
In Reaktion auf den Kommunismus bildete sich der Antikommunismus heraus. Dieser hat Zeit seiner Existenz nie ein homogenes Erscheinungsbild geboten und variierte je nach politischem und weltanschaulichem Selbstverständnis seiner Vertreter. Die Skala reichte von den Sozialdemokraten über die bürgerlichen Demokraten bis zu den politischen Extremisten aus Nationalsozialisten und Faschisten. Ihnen gemeinsam war die Ablehnung kommunistischer Politik, eine spezifische antikommunistische Ideologie resultierte daraus jedoch nicht. Daher stehen vor allem die historischen Pfade und Organisationsformen des Antikommunismus im Zentrum des vorliegenden Jahrbuchs. Seine Herausgeber und die Mitglieder des Beirats freuen sich, dass so viele namhafte Autorinnen und Autoren ihrer Einladung gefolgt sind, sich mit den Ausprägungen des Antikommunismus auseinanderzusetzen. Die Vieldeutigkeit des Begriffs »Antikommunismus«, die Bernd Faulenbach im Einführungsbeitrag herausarbeitet, spiegelt sich in den nachfolgenden Texten wider. Ihrem Inhalt entsprechend zeitlich geordnet, legen die meisten ihren Schwerpunkt auf die Zeit nach 1945. Den Antikommunismus in Polen in den Dreißigerjahren thematisiert Zaur Gasimov. Moritz Florin kommt in seinem Beitrag zu dem Ergebnis, dass der Antikommunismus bei der nationalsozialistischen Kriegsmobilisierung eine geringere Rolle als bislang vermutet spielte. Eine literaturhistorische Perspektive nimmt Georg Wurzer ein, der am Beispiel der Bestsellerautoren Edwin Erich Dwinger und Heinz G. Konsalik die Darstellungen von Antikommunismus und Russenfeindschaft in Romanen vor und nach 1945 vergleicht. Transnationale Strukturen in der Zeit des Kalten Kriegs stellen Daniela Muraca und Johannes Großmann in den Mittelpunkt ihrer Beiträge, die sich mit dem Kongress für kulturelle Freiheit sowie dem Internationalen Comité zur Verteidigung der Christlichen Kultur beschäftigen. Weitere Texte greifen Entwicklungen in Deutschland, Polen, Griechenland, Großbritannien, Jugoslawien und China auf. Mit Blick auf den 50. Jahrestag des Mauerbaus im Jahr 2011 sei hier besonders auf den Beitrag von Stefan Berger und Norman LaPorte hingewiesen, in dem die Autoren den Polittourismus britischer Labour-Abgeordneter in die DDR nach dem Mauerbau beschreiben. Mario Keßler schließlich trägt mit einer biografischen Skizze zu Ruth Fischer zum Jahrbuch bei, die nach 1945 in den USA als »Kronzeugin« gegen die »kommunistische Verschwörung« zwischen Antistalinismus und Antikommunismus changierte.
Die Beiträge bestätigen einerseits, dass sich der Antikommunismus vielfach nicht nur gegen totalitäre Kommunisten, sondern auch gegen den demokratischen Sozialismus richtete. Andererseits machen die Studien deutlich, dass Thomas Manns Diktum, der Antikommunismus sei »die Grundtorheit unserer Epoche« gewesen, schwerlich zuzustimmen ist. Es blendet aus, dass sich der Kommunismus im »kurzen 20. Jahrhundert«, dem »Zeitalter der Extreme«, alsbald zu einer totalitären, antiemanzipatorischen und antidemokratischen Bewegung entwickelt hatte. Die Bandbreite der Ablehnung dieses Kommunismus reichte dabei stets von militantem, antidemokratischem Antikommunismus bis hin zur demokratisch motivierten, nicht selten auch linken Kommunismuskritik. Als der Nationalsozialismus 1945 niedergerungen, die Welt nach dem Zerfall der Anti-Hitler-Koalition zweigeteilt war und sich wenig später im Kalten Krieg befand, avancierte der Antikommunismus in der westlichen, demokratischen Hemisphäre zeitweilig, wie z. B. in der Bundesrepublik Deutschland, zur Staatsräson. Die Sowjetunion und ihre Satrapen boten in den Jahren nach dem Kriegsende immer wieder mehr als gute Gründe, den Kommunismus abzulehnen und zu bekämpfen. Doch nachdem der Antikommunismus im Westen phasenweise übersteigerte Züge angenommen hatte und sich zunehmend auch gegen die demokratische Linke richtete, kam es im Zeitalter der Entspannungspolitik seit den Sechzigerjahren zu einer folgeschweren Gegenbewegung, die bis in die Gegenwart nachwirkt: Insbesondere in Westdeutschland entwickelte sich im Gefolge der Studentenbewegung und mit dem Aufkommen der neuen Linken ein »Anti-Antikommunismus«, der Kritik am Kommunismus zunehmend als politisch unkorrekt stigmatisierte.
Die Beiträge des Jahrbuchs für Historische Kommunismusforschung 2011 zeigen somit zum einen das Forschungspotenzial, das in einer Annäherung an die Kommunismusgeschichte über die Geschichte der Kommunismusgegner liegt. Zum anderen unterstreichen sie, dass es den Antikommunismus zu keiner Zeit gegeben hat, sondern dass die Gegnerschaft zum Kommunismus stets von nationalen Erfahrungen und gesellschaftlichen bzw. ökonomischen Entwicklungsprozessen geprägt war.
Ein zweiter Schwerpunkt des Jahrbuchs widmet sich den ostmitteleuropäischen Erinnerungskulturen. Die Historiker und Publizisten György Dalos, Włodzimierz Borodziej, Hope M. Harrison, der FAZ-Korrespondent in Prag, Karl-Peter Schwarz, und sechs weitere namhafte Autorinnen und Autoren sind mit Essays zu aktuellen erinnerungspolitischen Debatten in Russland, im Baltikum sowie in Polen, Tschechien, Ungarn und Deutschland vertreten. Darüber hinaus finden sich in bewährter Weise Forschungs- und Archivberichte, Sammelrezensionen und der von Dr. Bernhard Bayerlein betreute International Newsletter of Communist Studies.
Die Herausgeber danken den Autorinnen und Autoren für ihre Mitarbeit und den internationalen Beiräten des Jahrbuchs für deren Expertise. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ermöglicht die redaktionelle Betreuung des Jahrbuchs, die auch 2010/2011 versiert von Birte Meyer übernommen wurde. Dank der Projektförderung durch die Mannheimer Hermann-Weber-Stiftung, die Berliner Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung sowie mit der Unterstützung des Bundessprachenamts konnten umfängliche Übersetzungsarbeiten erfolgen. Allen diesen Unterstützern sei hier mit Nachdruck gedankt! Dieser Dank gilt darüber hinaus Teresa Tammer, die die Bildrecherche unternahm, und geht ebenso an Maria Matschuk vom Aufbau Verlag.
Die Herausgeber hoffen, dass das Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2011 wieder viele aufmerksame Leser findet. Im Mittelpunkt der Ausgabe 2012 wird das Wechselverhältnis von Utopie und Gewalt im Kommunismus stehen. Der Band 2013 beleuchtet die »langen Linien« in der Geschichte des Kommunismus. Er soll auf das europäische Jahr der Zeitgeschichte 2014 vorbereiten, in dem sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal, der Überfall des Deutschen Reichs auf Polen zum 75. Mal und die friedlichen Revolutionen des Jahres 1989 zum 25. Mal jähren werden. Die Herausgeber und die Redaktion freuen sich auf interessante Beitragsangebote.
Berlin im Februar 2011 Die Herausgeber
Editorial