JHK 2011

Erscheinungsformen des »Antikommunismus«. Zur Problematik eines vieldeutigen Begriffs

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 1-14 | Aufbau Verlag

Autor/in: Bernd Faulenbach

 

I. »Antikommunismus« als Streitfrage

Darüber, was man unter »Antikommunismus« versteht, gehen die Meinungen in den politisch-wissenschaftlichen Diskussionen bis heute erheblich auseinander. Ist »Antikommunismus« für die einen eine zutiefst berechtigte Haltung, die 1989/1990 in Deutschland und Europa einen großen Sieg über den »Kommunismus« errungen hat, so ist der Begriff »Antikommunismus« für die anderen – keineswegs nur für Parteigänger des Kommunismus – vielfach negativ konnotiert. Sie sehen »Antikommunismus« – wie Thomas Mann1 – als »Grundtorheit« des 20. Jahrhunderts. Folglich handelt es sich bei der Beurteilung des »Antikommunismus« offensichtlich nicht nur um ein Wertungsproblem, vielmehr wird der Begriff »Antikommunismus« auch sehr unterschiedlich gefasst.

Geht man vom Wort aus, ist »Antikommunismus« eine Position, Haltung oder Ideologie, die gegen den »Kommunismus« gerichtet ist, d. h. der Begriff ist davon abhängig, was unter »Kommunismus« verstanden wird. »Kommunismus« meint dabei in der Regel die kommunistische Weltbewegung, die ihr Zentrum lange Zeit – von der Russischen Revolution 1917 bis zum Ende der Sowjetunion 1991 – in Moskau hatte. Seit dem Schisma 1959/1960 erhielt diese mit dem chinesischen Kommunismus in Peking allerdings Konkurrenz. Abgesehen davon, ordneten sich nicht alle kommunistischen Bewegungen – etwa der jugoslawische Kommunismus seit 1948 – Moskau dauerhaft unter.

In diesem Kontext würde sich »Antikommunismus« konkret gegen den sowjetischen Kommunismus richten, gegen seine Ideologie des Marxismus-Leninismus, gegen den Kommunismus als Bewegung und gegen den Kommunismus als Herrschaftssystem. Allerdings ist fraglich, ob der Begriff »Antikommunismus« allein durch die Abgrenzung zum »Kommunismus« erklärt werden kann, da wie jeder »-ismus« auch dieser einen umfassenden Anspruch erkennen lässt.

»Antikommunismus« lässt sich in Abgrenzung zum »Kommunismus« auch nur insofern definieren, als der »Kommunismus« doch sehr unterschiedliche Erscheinungsformen aufweist – man denke nur an so unterschiedliche Repräsentanten wie Vladimir Il’ič Lenin, Josef Stalin, Josip Broz Tito und Fidel Castro, Pol Pot, Erich Honecker oder Ernesto Berlinguer, die sich alle als Kommunisten verstanden, sich aber auch richtungspolitische Auseinandersetzungen lieferten und dementsprechend unterschiedliche Kommunismusbilder vermittelten.2 Es stellt sich insofern die Frage, ob der Kommunismus insgesamt durch Terror und Verbrechen zu charakterisieren ist, wie die Autoren des Schwarzbuchs des Kommunismus meinen,3 und ob dies auch den »Antikommunismus« konstituiert oder ob man manche kommunistische Bewegungen davon abgrenzen kann, was im Hinblick auf die Definition des »Antikommunismus« ebenfalls Folgen hätte.

Von vielleicht noch gravierenderem Einfluss auf die Definition des Begriffs »Antikommunismus«, ist die Tatsache, dass dieser in erheblichem Maße durch den Standort seiner Verfechter geprägt ist. So hat Joachim Gauck jüngst die Meinung vertreten, der Antikommunismus »von außen«, d. h. im Westen, sei etwas anderes gewesen als die kommunismuskritische Haltung der Menschen, die unter kommunistischen Regimen lebten.4 Wie es scheint, differiert »Antikommunismus« zudem in Bezug auf die unterschiedlichen politischen Lager erheblich. Es kann zwischen Varianten eines konservativen, sozialdemokratischen und liberalen »Antikommunismus« unterschieden werden. »Antikommunismus« hat sich zudem in der Zwischenkriegszeit mit faschistischen Bewegungen verbunden und bildete eine Komponente ihrer Ideologie.

Unterschiede des »Antikommunismus« resultieren auch aus der Verbindung mit verschiedenen gesellschaftlichen Interessen. Nicht selten ist etwa seine Verschmelzung mit bestimmten Besitzinteressen, was den Tatbestand spiegelt, dass die Eigentumsfrage in der kommunistischen Ideologie eine besondere Rolle spielt. »Antikommunismus« kann sich aber auch vorrangig auf die kommunistischen Formen des Kampfes oder im Hinblick auf kommunistische Regime auf die terroristische oder totalitäre Herrschaftsausübung beziehen. Diese Variante steht im Vordergrund des »Antistalinismus«, den man als eine Unterform des »Antikommunismus« bezeichnen kann. Deshalb wird der Begriff von vielen bevorzugt, weil sie ihm im Gegensatz zum »Antikommunismus« keine Konnotationen zuschreiben.

»Antikommunismus« wird von seinen Kritikern vielfach als eine Haltung gesehen, die vorurteilsbehaftet und deshalb irrational ist. Demnach konstituiert sich diese durch ein Feindbild, das die Realität verwischt und hinter dem sich allerlei Vorbehalte gegen eine gesellschaftsverändernde Politik verbergen. Intellektuelle Anspruchslosigkeit und Emotionen werden dabei mit »Antikommunismus« in Verbindung gebracht, was dem Begriff nicht selten eine antiintellektuelle Komponente verleiht. Dies steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der Tatsache, dass »Antikommunismus« selbst teilweise ideologische Züge besitzt bzw. sich mit anspruchsvollen politisch-weltanschaulichen Positionen wie dem politischen Katholizismus der Fünfzigerjahre verbinden konnte.

Offensichtlich wird – so ist bereits deutlich – unter »Antikommunismus« derart Unterschiedliches verstanden, dass es sinnvoll erscheint, die als »Antikommunismus« charakterisierten Phänomene in ihren jeweiligen historischen Kontexten näher zu betrachten. Unübersehbar ist, dass der »Antikommunismus« als Gegensatz zum »Kommunismus« definiert wird und diesen dadurch in der Regel als ein bedeutendes Phänomen hervorhebt. Es stellt sich sogar die Frage, ob der »Antikommunismus« durch die Fixierung auf den »Kommunismus« diesem in der Negation nicht so weit dialektisch verbunden ist, dass er gewisse Affinitäten zu ihm aufweist bzw. sich in den Formen des Kampfes von ihm beeinflussen lässt.

Vertreter des »Kommunismus« haben ihrerseits den »Antikommunismus« zu allen Zeiten heftig attackiert, wobei die Neigung, den »Antikommunismus« pauschal zu diffamieren oder zu denunzieren, unübersehbar ist.5 Einiges spricht andererseits dafür, dass der »Antikommunismus« in manchen Konstellationen zur Stabilisierung kommunistischer Gruppen beigetragen hat.6

II. Antikommunismus, Antibolschewismus und Antimarxismus in 
der Zwischenkriegszeit

Sieht man in der Russischen Revolution 1917 die – durch die bolschewistische Bewegung herbeigeführte – Geburtsstunde des Kommunismus als System, so wird man die Entstehung des »Antikommunismus« im gleichen zeitlichen Kontext verorten.7 Im russischen Bürgerkrieg waren die Gegner der Bolschewisten unzweifelhaft Antibolschewisten, die diesen Bolschewismus bekämpften, der als Erscheinungsform des »Kommunismus« gesehen wurde. Einerseits setzte die russische Oktoberrevolution in Teilen der europäischen Arbeiterbewegung Fantasie frei,8 stand die Sowjetunion doch bald stellvertretend für das »Vaterland der Werktätigen«, andererseits aber galt sie nicht nur für das Bürgertum als Schreckbild. Auch für die Sozialdemokratie in Deutschland (und in anderen Ländern) symbolisierte sie ein negatives Leitbild, was durch die weitere Entwicklung in der Sowjetunion offensichtlich bestätigt wurde.9 Schon gleich nach dem Ersten Weltkrieg bildeten sich – meist gegen den »Bolschewismus« gerichtete – antikommunistische Haltungen heraus, die jedoch sehr unterschiedlich waren und sich lediglich in ihrer Ablehnung der bolschewistischen Revolution glichen.

Die deutsche Sozialdemokratie sah den Gegensatz zur kommunistischen Bewegung vorrangig in der Demokratie-Diktatur-Frage, nicht in der Friedensfrage, die von den Vertretern der kommunistischen Seite manchmal akzentuiert wird. Die Sozialdemokraten wollten 1918/1919 Demokratie realisieren und verwarfen den Diktatur-Gedanken durch Einberufung der verfassunggebenden Nationalversammlung, die in Weimar zusammentrat. Die SPD hielt an der Rechtsförmigkeit des eigenen Vorgehens fest und in ihrer Politik wurde – wie Richard Löwenthal formuliert hat10 – ein »Anti-Chaos-Reflex« sichtbar, der auch von vielen Arbeitern geteilt wurde. Es war weniger ein prinzipieller Unterschied in der Frage der Überwindung des Kapitalismus, bei der freilich die Mehrheits-Sozialdemokratie nach 1918 zögerlich agierte, als vielmehr die Demokratie-Frage, die künftig die beiden Flügel der Arbeiterbewegung scharf trennte. Die Grundsätze der Kommunistischen Internationale waren nicht nur inkompatibel mit den Grundsätzen der Sozialdemokratie. Seit Mitte der Zwanzigerjahre avancierte die Sozialdemokratie sogar zum Hauptfeind Stalins und der Komintern. Dies förderte den »Antikommunismus« der Sozialdemokratie,11 der zudem von konkreten Erfahrungen in Georgien, Russland und Deutschland beeinflusst wurde.12

Der »Antikommunismus« der bürgerlichen Parteien war anderer Art. Eine wichtige Rolle spielte hier die kommunistische Weltanschauung mit ihrer Ablehnung der Religion, die in einem militanten Atheismus zum Ausdruck gebracht und nur vom Streben nach einer gänzlich anderen Gesellschaftsordnung auf der Basis einer neuen Eigentumsordnung übertroffen wurde. Auch eine Amalgamierung dieses »Antikommunismus« mit dem Antisemitismus ist teilweise erkennbar. Einzig die Ablehnung des kommunistischen Putschismus verband die bürgerlichen Parteien mit den Sozialdemokraten.

Der bürgerliche »Antikommunismus« war verwandt mit dem Antimarxismus, der den Klassenkampfgedanken scharf ablehnte und sich politisch nicht nur gegen die Kommunisten, sondern auch gegen die Sozialdemokraten wandte. Der »Antimarxismus« richtete sich tendenziell gegen die gesamte Linke, der auch Sozialdemokratie und Gewerkschaften zugeordnet wurden. Das Beispiel Spanischer Bürgerkrieg lässt zudem erkennen, dass der Gegensatz zwischen linkem und rechtem Lager sich zu einer mit großer Erbitterung geführten gewaltsamen Auseinandersetzung zuspitzen konnte, in die freilich Spezifika der spanischen weltanschaulichen sowie klassenpolitischen Gegensätze und Formen des Konfliktes eingingen.

Auch die NSDAP in Deutschland und die faschistischen Bewegungen in Europa wiesen durchweg eine starke antibolschewistische bzw. eine antikommunistische Komponente auf.13 Im Gegensatz zu den bürgerlichen Parteien war diese durch noch militantere Züge gekennzeichnet und machte – zumal in der Ausdehnung zu einem konsequenten Antimarxismus – die NSDAP und die faschistischen Bewegungen für das Bürgertum interessant. Charakteristisch für die meisten autoritären Regime im übrigen Europa, die in der Zwischenkriegszeit nach wenigen Jahren in Ostmitteleuropa wie auf der iberischen Halbinsel an die Stelle von Demokratien traten, war ein mehr oder weniger ausgeprägter, von den konservativen gesellschaftlichen Eliten gestützter »Antikommunismus«, der im Einzelnen noch zu erforschen und in einer vergleichenden Perspektive zu bewerten ist.

Dass der »Antikommunismus« in bestimmten Konstellationen nicht bedeutete, dass die Zusammenarbeit zwischen faschistischen und kommunistischen Systemen ausgeschlossen war, zeigte besonders eindrucksvoll der Hitler-Stalin-Pakt mit dem geheimen Zusatzabkommen im August 1939 und die dann folgende Zusammenarbeit zwischen NS-Deutschland und der stalinistischen Sowjetunion. Nach dem Angriff von NS-Deutschland auf die Sowjetunion 1941 gab es umgekehrt im Westen keine Bedenken, Hitler-Deutschland zusammen mit Stalin zu bekämpfen. Der große Terror Stalins fand keine Beachtung – der »Antikommunismus« spielte in diesem Fall verglichen mit der Bedrohung durch NS-Deutschland eine untergeordnete Rolle.

»Antikommunismus« war auch nicht das Hauptmotiv des deutschen Vernichtungs- und Eroberungskrieges im Osten; dieser Krieg war für Hitler vor allem ein Rassenkrieg, wenn auch während des Krieges zunehmend die bolschewistische Gefahr beschworen wurde. »Antikommunismus« war einerseits ideologisch mit dem Rassismus verwoben, andererseits ein Propagandamittel der NS-Politik zur Stärkung des Durchhaltewillens in der deutschen Bevölkerung.

Während Nationalsozialismus und Faschismus im Zweiten Weltkrieg untergingen, behauptete sich die Sowjetunion, die zu den Siegern des Zweiten Weltkrieges gehörte. Dies bescherte ihr einen deutlichen Prestigegewinn.14 Die Ausdehnung der kommunistischen Herrschaft auf ganz Osteuropa als Folge der Eroberung dieses Raumes durch die Rote Armee, vor allem die Installierung der als »Volksdemokratien« deklarierten kommunistischen Systeme, durchweg unter Einsatz von Mitteln des Zwangs und des Terrors, führte freilich sehr bald dazu, dass der Kommunismus als neue Bedrohung des Westens aufgefasst wurde, die durch den Sieg Maos in China und dann insbesondere durch den Koreakrieg weiter anwuchs.

III. Erscheinungsformen des »Antikommunismus« im Zeichen des Kalten Krieges

Der »Antikommunismus« bekam im Zeitalter des Systemkonfliktes während des Kalten Krieges eine neue Qualität, die einerseits Folge des scheinbar unaufhaltsamen Siegeszuges des Kommunismus war, andererseits aber dadurch geprägt war, dass die USA den »Antikommunismus« zu ihrer Sache und der der westlichen Welt machten.

Der Kommunismus erschien jetzt vielen, nicht zuletzt in Westdeutschland, als Weltbewegung, deren Herrschaftsbereich immer weiter wuchs. Dabei entstand ein neues Bild der Bedrohung durch die Kommunisten. Sie »galten als eine Mischung aus Unter- und Übermenschen, fähig zu den schlimmsten Verbrechen wie zu den größten Leistungen, überlegene Techniker der Macht und Machteroberung, glänzend geschult in ihrer Ideologie und gänzlich fanatisiert durch sie, hingegeben allein der Weltrevolution. Lenins Ideal der Kerntruppe von Berufsrevolutionären wurde auf die Millionenmitgliedschaft der kommunistischen Parteien übertragen.«15 Für viele im Westen ging es in der Auseinandersetzung um die weltweite Entscheidung zwischen Christentum, Abendland, Freiheit und Demokratie auf der einen Seite und Gottlosigkeit, Menschenverachtung, asiatischer Despotie und totalitärer Diktatur auf der anderen Seite.16 Ein Propagandaapparat wurde geschaffen, der nicht nur die eigene Bevölkerung, sondern auch die der osteuropäischen Länder erreichen wollte und zur Befreiung dieser Länder beitragen sollte.17

Dabei konnte der »Antikommunismus« mancherorts an den »Antikommunismus« der Zwischenkriegszeit und des Krieges anknüpfen. Es wurden sowohl – wie in Deutschland – tradierte Ideologeme und spezifische Erfahrungen des Krieges mit der Sowjetunion herangezogen, als auch das entsprechend »vorgebildete« Personal genutzt.18 (Dies war, nebenbei bemerkt, für die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit allerdings nicht unbedingt förderlich.) Zugleich aber entstand ein neuer militanter »Antikommunismus«, der nach dem Ende der Koalition der Alliierten angesichts der Etablierung kommunistischer Systeme in ganz Osteuropa in den USA seinen Durchbruch erlebte. Mit ihm gelang es, den »Antikommunismus« in West- und Mitteleuropa zusätzlich zu stimulieren und abzustützen. Auch hier ist angesichts der politisch-kulturellen Unterschiede mit manchen nationalen Spezifika des »Antikommunismus« zu rechnen.

Die amerikanische Führung entwickelte in dieser Zeit nicht nur die Strategien des Containment und später des Roll-Back, sondern auch – amerikanische Missions- bzw. Kreuzzugs-ideen aufgreifend – eine Liberation Policy, die insbesondere während der Fünfzigerjahre den Anspruch erhob, den Einflussbereich des Kommunismus einzudämmen, zurückzudrängen und – falls möglich – die vom Kommunismus beherrschten Länder zu befreien. Diese Politik, die der Osten ernster nahm als der Westen, übte einen gewissen Einfluss auf die amerikanische Politik in der Eisenhower-Ära aus und bestand vorrangig im Aufbau und in der Unterhaltung eines Propagandaapparates, vor allem von Rundfunksendern, die die kommunistischen Länder, teilweise aber auch Westeuropa als Adressaten hatten. Neben ökonomischem Druck spielte selbstverständlich auch Spionage eine gewisse Rolle. Doch eine Politik zur Befreiung im engeren Sinne hat es in der Praxis allenfalls in Ansätzen gegeben.19

Eine besondere Rolle spielte der »Antikommunismus« im geteilten Deutschland, in dem der östliche Teil zum kommunistischen, von der Sowjetunion beherrschten Teil, der westliche zu der von den USA geführten freien Welt gehörte. So entstand ein »deutscher Sonderkonflikt« (Richard Löwenthal) im Rahmen des Ost-West-Gegensatzes.20 Der »Antikommunismus« verband sich in Westdeutschland – und auch in Teilen Westeuropas – mit der Abendlandideologie, die in besonderer Weise von der katholischen Kirche und ihrem Umfeld mitgetragen wurde. Die von Konrad Adenauer geführten Regierungen verfochten einen konsequenten »Antikommunismus«, der auf Immunisierung der eigenen Bevölkerung und auf Destabilisierung des kommunistischen Regimes in der DDR zielte. Dabei wurde der »Antikommunismus« erheblich durch die Entwicklungen in der SBZ/DDR und in den osteuropäischen Ländern gefördert, die durch Repression und Terror und durch elementare ökonomische Probleme gleichermaßen charakterisiert erschienen. Die Tatsache, dass Millionen Menschen Ostdeutschland und Ostmitteleuropa verließen und in den Westen flohen oder übersiedelten, die unübersehbare, brutale Verfolgung politischer Gegner im kommunistischen Herrschaftsbereich, die Aufstände am 17. Juni 1953 in der DDR und 1956 in Ungarn und andere Ereignisse wie der Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961, konnten nur als Bestätigung »antikommunistischer« Haltungen wirken.

Konrad Adenauer handhabte den »Antikommunismus«, insbesondere in Wahlkämpfen, freilich in einer Weise, dass er ihn nicht nur gegen die Kommunisten, sondern auch gegen die Sozialdemokraten einsetzte, die sich aus seiner Sicht nicht mit Konsequenz und Härte gegen Moskau und die Kommunisten wenden würden, wobei er unterstellte, dass Kommunisten und Sozialdemokraten verwandt seien.21 Adenauer erzielte damit 1953, 1957 und 1961 beachtliche Wahlerfolge.22

Gleichzeitig waren diese Niederlagen für die Sozialdemokratie umso bitterer, als an dezidiertem sozialdemokratischem »Antikommunismus« kein Zweifel bestehen konnte.23 Der Gegensatz zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten aus der Weimarer Republik war in Exil und Widerstand gegen Hitler nur sehr bedingt überwunden worden. Ferner scheiterten Versuche eines Neubeginns nach Kriegsende nicht zuletzt an der Haltung der KPD. Die 1945/1946 von sowjetischer Seite unter maßgeblicher Beteiligung deutscher Kommunisten mit Mitteln des Zwanges und der Täuschung durchgeführte Vereinigung von SPD und KPD vertiefte den Gegensatz erheblich und führte zusammen mit der Verfolgung von Tausenden von Sozialdemokraten in der SBZ und in der DDR zu nachhaltiger Verbitterung bei den Sozialdemokraten.24 Kurt Schumacher vermochte in der KPD nur eine Agentur der sowjetischen Politik zu erkennen. Wahrscheinlich waren die Gegensätze zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in den Vierziger- und Fünfzigerjahren in Westdeutschland tiefer denn je. Im Kern war es die Frage von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die die tiefe Kluft ausmachte. Die SPD unterhielt seit den Vierzigerjahren ein Ostbüro, das u. a. ein Netz von Informanten in der SBZ/DDR aufbaute und gegen das SED-Regime arbeitete.25 Nicht zuletzt trat Herbert Wehner, der frühere Kommunist, in der deutschen Öffentlichkeit seit der frühen Nachkriegszeit bis weit in die Sechzigerjahre hinein entschieden für antikommunistische Positionen ein. Die Sozialdemokraten teilten den antikommunistischen Konsens in der Bundesrepublik.

»Antikommunismus« ließ sich durchaus auch mit positiven Zielen verbinden, wie der – keineswegs auf die Bundesrepublik beschränkte, sondern auf Westeuropa ausgerichtete – »Kongress für kulturelle Freiheit« zeigte.26 Der von amerikanischer Seite finanzierte, von Irving Brown und Arthur Koestler organisierte »Kongress für kulturelle Freiheit«, für den in der Bundesrepublik die Zeitschrift Der Monat, in Großbritannien der Encounter, in Frankreich die in Paris erscheinende Preuves Leitorgane waren, fand erstmals 1950 in Berlin statt. An ihm nahmen so bedeutende, schon vor dem Krieg bekannte Persönlichkeiten wie John Dewey, Bertrand Russell, Benedetto Croce und Karl Jaspers teil. Er verknüpfte die Vermittlung westlicher Werte mit einem moralischen Antitotalitarismus und einem dezidierten »Antikommunismus«. Dieser Kongress, in dessen Kontext es zur Herausbildung nationaler Sektionen in verschiedenen Ländern kam, trug in Westdeutschland und Westeuropa dazu bei, sozialdemokratische, linksliberale und unabhängige linke Politiker und Intellektuelle auf dezidiert westliche Positionen zu verpflichten.

In der Tat handelte es sich bei den Teilnehmern des Kongresses aus amerikanischer Sicht um eine strategische Gruppe, so dass es sinnvoll war, sich um sie zu bemühen. Allerdings waren diese Leute in der Regel selbst längst auf dem Weg zu eigenständigen Positionen einer demokratischen Linken, die bewusst für den Westen optierte. Kontakt zum »Kongress für kulturelle Freiheit« hatten aus der SPD z. B. Carlo Schmid, Ernst Reuter und Willy Brandt, ebenso Theodor Heuss und Hildegard Hamm-Brücher von der FDP. Eine wichtige Rolle in dieser Bewegung spielten frühere Kommunisten, in kommunistischer Terminologie »Renegaten«, wie Margarete Buber-Neumann, Arthur Koestler und Manès Sperber, die es als ihre Aufgabe betrachteten, über den »Kommunismus« aufzuklären.27 Zweifellos war der »Kongress für kulturelle Freiheit« eine Bewegung, die einen Antikommunismus/Antistalinismus vertrat, der eine ideell fundierte Auseinandersetzung mit dem »Kommunismus« förderte. Sie unterschied sich deutlich von dem, was vielfach gleichzeitig als »Antikommunismus« vertreten wurde, der – wie gesagt – nicht selten auf Vorurteilen und Ressentiments aufzubauen schien, wie z. B. der McChartyismus in den USA28 oder auch manche Strömungen des Antikommunismus in Westdeutschland und Westeuropa. In einigen Ländern, wie in Frankreich und Italien, stand der »Antikommunismus« bei Intellektuellen, die nicht selten mit dem Kommunismus sympathisierten, allerdings im Verdacht, nicht frei von Sympathien für faschistische Ideen zu sein.29

Die Entwicklung war während der Fünfzigerjahre in verschiedenen Ländern ähnlich, doch nicht gleich. Im Westen waren die kommunistischen Parteien mehr oder weniger isoliert. Dennoch kann man für Westdeutschland von einem antikommunistischen Konsens sprechen, der hier stärker ausgeprägt war als in anderen westeuropäischen Ländern, in denen kommunistische Parteien nicht – wie seit 1956 in Westdeutschland der KPD, die schon vorher zur Splittergruppe geschrumpft war – verboten wurden. Auch war hier das Verhältnis zwischen demokratischen Sozialisten und Kommunisten teilweise weniger feindlich als in Deutschland.

Von erheblicher Bedeutung für den »Antikommunismus« als internationales Phänomen war der XX. Parteitag der KPdSU 1956. Hier wurden einerseits die Verbrechen Stalins und des Stalinismus offen angesprochen, womit der »Antikommunismus« Bestätigung fand, andererseits aber Entstalinisierungsprozesse in Gang gesetzt, über deren Wirksamkeit, Stocken oder Scheitern in der westlichen Welt vielfach diskutiert wurde, was neue Voraussetzungen für den »Antikommunismus« schuf. Der Kommunismus schien sich zu verändern und zu differenzieren, was eine flexiblere Politik der nicht-kommunistischen Akteure im Westen nahelegte. Zwar war die Entwicklung im kommunistischen Herrschaftsbereich in der Folgezeit keineswegs durch kontinuierliche Reformprozesse gekennzeichnet: 1968 wurde der Prager Frühling, der reformkommunistische Ziele verfocht, durch den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten gewaltsam beendet. Der Gedanke von der Reformierbarkeit der kommunistischen Systeme war jedoch in der Welt. Er widersprach dem traditionellen »Antikommunismus«, der seinerseits allerdings durch die Niederschlagung von Reformbewegungen und Aufständen und nie überwundene polizeistaatliche Strukturen in den Ländern des »realen Sozialismus« immer wieder stimuliert wurde.

IV. Kritik des »Antikommunismus« und Herausbildung eines 
»Anti-Antikommunismus«

So dominant der »Antikommunismus« in manchen westlichen Gesellschaften wie der Bundesrepublik während der Fünfzigerjahre auch war: Er fand selbst in diesen Jahren einigen Widerspruch, wie hier am Beispiel Westdeutschlands angedeutet werden mag. Der schon eingangs erwähnte und auch in Westdeutschland geschätzte Thomas Mann sah im »Antikommunismus« eine »Torheit«, die dazu geführt habe, dass der Nationalsozialismus unterschätzt worden sei. Sein ganzes Bemühen war darauf gerichtet, »den Nationalsozialismus abzuwehren, ihn zu geißeln und schließlich seinen Wiederaufbau für alle Zeiten unmöglich zu machen«.30 Dabei verkannte Mann die Verhältnisse in der Sowjetunion. Bei seiner Haltung spielte außer der Fixierung auf die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus sicherlich auch die Ablehnung der Kommunistenpsychose unter McCarthy in den USA zwischen 1950 und 1954 eine Rolle, die insbesondere Intellektuelle traf und die liberale Demokratie durch einen militanten Antiliberalismus gefährdete.31

Kritik am »Antikommunismus« bzw. an bestimmten Formen des »Antikommunismus« gab es in Westdeutschland bei manchen Intellektuellen und Schriftstellern, auch bei links-protestantischen Politikern wie Gustav Heinemann und Diether Posser, die 1957 zur SPD stießen. Zwar ließen sie keinen Zweifel daran, dass sie für die freiheitliche Rechtsordnung des Westens eintraten, doch hielten sie bestimmte Formen der Auseinandersetzung mit den Kommunisten (etwa Urteile in den Kommunistenprozessen) für rechtsstaatlich bedenklich; auch sahen sie die Ideologie des »Antikommunismus« als wesentliches Hindernis, um Fortschritte in der deutschen Frage zu erzielen.32 Zudem belastete aus ihrer Sicht der »Antikommunismus« die innenpolitische Auseinandersetzung. Noch in seiner Fernsehrede nach dem Attentat auf Rudi Dutschke und den dadurch ausgelösten Osterunruhen 1968 interpretierte der damalige Justizminister und spätere Bundespräsident Heinemann das Geschehen als Folge des verhängnisvollen »Antikommunismus«, der das Klima geprägt habe, aus dem das Attentat erwachsen sei.33

Mit dem Wandel des politischen Klimas, das durch Veränderungstendenzen in der kommunistischen Welt, durch die lateinamerikanischen Erfahrungen mit Diktatur und Revolution sowie durch den Vietnamkrieg beeinflusst war, fand die Kritik am »Antikommunismus« in wachsenden Teilen der westdeutschen Öffentlichkeit seit den Sechzigerjahren verstärkte Resonanz. Im akademischen Bereich wurde »Antikommunismus« in manchen Milieus, zumal nach den Jahren der Studentenbewegung, geradezu als ein Schimpfwort benutzt. Der Vorwurf, »antikommunistischem Denken« verhaftet zu sein, meinte seit den ausgehenden Sechzigerjahren, in ideologischen Positionen stecken geblieben zu sein, die längst überwunden waren. Vorherrschend wurde hier ein »Anti-Antikommunismus«, der selbst teilweise wieder undifferenziert argumentierte und dogmatische Züge annahm. Auch intellektuell anspruchsvolle Kommunismuskritik wurde in diesen Milieus als bloßer »Antikommunismus« oder als Ideologie abgetan.34

Allerdings behauptete sich in der Bundesrepublik daneben nach wie vor ein »Antikommunismus«, der gesamtgesellschaftlich nur noch bedingt konsensfähig war und an Verbindlichkeit einbüßte. Der »Antikommunismus« schrumpfte in den Siebzigerjahren teilweise zur Ideologie all derjenigen, die die Positionen der Ära Adenauer in der Deutschland- und Außenpolitik verteidigten, die Neue Ostpolitik aber prinzipiell ablehnten, da sie in ihr eine Unterwerfung unter den Willen der Sowjetunion zu sehen glaubten und linke Tendenzen in der Gesellschaft bekämpften, denen aus dieser Sicht die Regierung der sozial-liberalen Koalition nicht nur nicht hinreichend entgegentrat, sondern sie sogar förderte. Mit der Wahlparole »Freiheit statt/oder Sozialismus« versuchte die CDU/CSU bei den Bundestagswahlen 1976 und 1980 den traditionellen »Antikommunismus« zu mobilisieren, was immer noch in Teilen der Gesellschaft gelang, obgleich die Sozialdemokraten nach wie vor einen klaren Trennungsstrich zwischen sich und den kommunistischen Gruppen in der Bundesrepublik zogen und die Propagierung von Bündnissen mit kommunistischen Gruppen intern Parteiordnungsverfahren und Parteiausschlüsse zur Konsequenz hatte.

Auch der ideologische Gegensatz zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten wurde in den Siebziger- und Achtzigerjahren in der Bundesrepublik (wohl auch in den meisten anderen westlichen Ländern) keineswegs überwunden. Begrenzt wurde der traditionelle sozialdemokratische »Antikommunismus« jedoch durch die Hoffnung auf Reformgruppen in den realsozialistischen Ländern.35 Diese kamen dann tatsächlich in verschiedenen Ländern, insbesondere in Ungarn, teilweise auch in Polen, vor allem aber mit Gorbaˇcëv in der Sowjetunion während der Achtzigerjahre zum Zuge. Sicherlich hat der differenziertere Umgang mit den kommunistischen Systemen, allen voran die pragmatische Entspannungspolitik, mehr zur Erosion der kommunistischen Systeme beigetragen als der traditionelle »Antikommunismus«. Andererseits haben manche Sozialdemokraten, unter dem Eindruck der Erfolge und der Gefährdung der Entspannungspolitik die Dissidenten und Oppositionsbewegungen im Osten in ihrer historischen Rolle zeitweilig unterschätzt.

Insgesamt betrachtet schwächte sich der »Antikommunismus« seit den Sechzigerjahren in der westlichen Welt ab. In der Zeit des Vietnamkrieges erwies sich bei jungen Leuten in vielen Ländern die Empörung über die Formen des Krieges, den viele – unter Idealisierung Nordvietnams und des Vietcong – als Befreiungskrieg begreifen wollten, als wesentlich stärker als der »Antikommunismus«, der diesen Krieg als Kampf zwischen Kommunismus und freier Welt betrachtete. Zunehmend wurde in der Publizistik vom »Ende des ideologischen Zeitalters« gesprochen.36

Allerdings verliefen die Entwicklungen in den einzelnen westlichen Ländern unterschiedlich. In Frankreich führte etwa die Rezeption von Solschenizyns Archipel Gulag in den Siebziger- und Achtzigerjahren zu einer neuen, manchen schien es damals »verspäteten« Kommunismuskritik. Und auch in den USA können wir für die ausgehenden Siebzigerjahre in Jimmy Carters Menschenrechtskampagne eine »antikommunistische« Stoßrichtung erkennen. Für die Achtzigerjahre unter Ronald Reagan ist sogar eine gewisse Renaissance der Rhetorik der Befreiung gegenüber der kommunistischen Welt festzustellen. Generell verlor gleichwohl der Gegensatz der Ideologien an Gewicht, wozu auch die erkennbare Stagnation der kommunistischen Systeme beitrug, was freilich keineswegs überall zum Nachlassen politischer krimineller Energie führte, wie das Beispiel des kommunistischen Pol Pot-Regimes und seiner ungeheuerlichen Verbrechen in Kambodscha zeigte.

Bemerkenswert ist, dass der »Antikommunismus« nach dem Ende der kommunistischen Systeme in Osteuropa einen gewissen Aufschwung erlebte. Unübersehbar hatte der Kommunismus in einer Sackgasse geendet. Die nun einsetzenden Aufarbeitungsprozesse der kommunistischen Systeme machten Repression und Verbrechen dieser Systeme verstärkt bewusst und bestätigten damit den »Antikommunismus«.

V. »Antikommunismus« und die Kritik des Kommunismus

Resümierend ist festzustellen: »Antikommunismus« bedarf einer ebenso sorgfältigen wie differenzierenden historiografischen Thematisierung wie der »Kommunismus«, dessen »Vielfalt« und »Uneindeutigkeit« in seiner »historisch und kulturell gebundenen Verschiedenheit zu beschreiben« ist.37 »Antikommunismus« ist offensichtlich der Oberbegriff für höchst verschiedene Phänomene: »Antikommunismus« im engeren Sinne ist zum einen eine Haltung, die eine wenig reflektierte Ablehnung von Kommunismus mit der Vertretung konservativer, teilweise auch rückwärtsgewandter Interessen verbunden hat. Zum anderen ist es aber eine Ideologie, die mit anderen weltanschaulichen Elementen und spezifischen politischen Zielen verschmolzen war. Vieles spricht jedoch dafür, von diesen Varianten des »Antikommunismus« eine sich mit dem Kommunismus auseinandersetzende Kritik zu unterscheiden, die an rationalen Maßstäben orientiert ist und auf der Basis demokratischer Prinzipien kommunistische Ideologie und Praxis begründeter Kritik unterworfen und deshalb den »Kommunismus« abgelehnt hat. Dieser »Antikommunismus« ist deutlich von dem vorher charakterisierten »Antikommunismus« zu unterscheiden. Vielleicht sollte man ihn als »Kommunismuskritik« bezeichnen.

Das Begriffspaar »Kommunismus – Antikommunismus« legt eine manichäische Sicht nahe. Tatsächlich haben im 20. Jahrhundert viele Kommunisten eine derartige Sicht geteilt, jedenfalls solange die kommunistischen Parteien glaubten, mit der Geschichte im Bunde zu stehen. Auf militante »Antikommunisten« hat diese Haltung zeitweilig abgefärbt. Gleichwohl spricht viel dafür, diesen schlichten Manichäismus zugunsten einer differenzierten historiografischen Beschäftigung mit dem »Zeitalter der Extreme«38 aufzugeben. Dies nicht nur, um Selbstzuschreibungen von »Kommunisten« und »Antikommunisten« zu berücksichtigen, sondern auch, um die sehr unterschiedlichen Motive der Kommunisten wie der Gegner der Kommunisten und des Kommunismus zu bestimmen und nicht zuletzt, um die konkreten politisch-gesellschaftlich-kulturellen Kontexte auszuleuchten.

Grundsätzlich sollte im heutigen öffentlichen Diskurs in Deutschland und andernorts die Denunziation jeder kritischen Auseinandersetzung mit kommunistischen Phänomenen als bloßer »Antikommunismus«39 ebenso ein Ende haben wie die pauschale Apologetik alles dessen, was unter dem Sammelbegriff »Antikommunismus« zusammengefasst wird und sich 1989 im Osten durchgesetzt haben soll. Zugespitzt formuliert: 1989 überwand nicht der »Antikommunismus«, sondern die Bürgerbewegung in verschiedenen Ländern Osteuropas, nicht zuletzt in der DDR, die kommunistischen Systeme, die offenkundig nicht mehr zukunftsfähig waren, sodass auch ihre späte Reform misslang.40 Auch der traditionelle »Antikommunismus« sollte sich damit überlebt haben, nicht aber begründete Kommunismuskritik. Angesichts großer Unkenntnis über den historischen Kommunismus und verstärkter Apologetik kommunistischer Ideen in jüngster Zeit ist eine Kritik sogar dringend geboten.


1 Siehe Kurt Sontheimer: Thomas Mann und die Deutschen, Frankfurt a. M. 1965, S. 131.

2 Siehe Jörg Baberowski: Was war Stalinismus? Anmerkungen zur Historisierung des Kommunismus, in: Deutschland Archiv 41 (2008), S. 1047–1056.

3 Siehe Stéphane Courtois/Nicolas Werth u. a.: Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen, Terror, München/Zürich 1998. Jörg Baberowski (Der rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus, München 2003, S. 8) hat das Vorwort des Schwarzbuches kritisiert: Der stalinistische Terror sei eine kommunistische Tat, doch nicht jede Form kommunistischer Herrschaft sei terroristisch gewesen. Zur Debatte über das Schwarzbuch siehe Horst Möller (Hg.): Der rote Holocaust und die Deutschen. 
Die Debatte über das »Schwarzbuch des Kommunismus«, München/Zürich 1999. Inzwischen erschienen: Stéphane Courtois u. a.: Das Schwarzbuch des Kommunismus 2. Das schwere Erbe der Ideologie, München/Zürich 2004. Siehe auch Gerd Koenen: Utopie der Säuberung. Was war der Kommunismus?, Berlin 1998.

4 So Joachim Gauck in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit, Nr. 26 vom 24. Juni 2010, S. 2.

5 Siehe Kurt Marko: »Antikommunismus«, in: Claus Dieter Kernig (Hg.): Marxismus im Systemvergleich. Politik, Bd. 1., Frankfurt a. M./New York 1973, S. 49–58.

6 So die These von Eric Hobsbawm im Hinblick auf die Kommunisten in Großbritannien. Siehe dazu 
Eric Hobsbawm: Gefährliche Zeiten, München/Wien 2003, S. 223 ff.

7 Allerdings kam es schon zu Zeiten der Entstehung des Kommunistischen Manifestes und in der 
kommunistischen Bewegungsphase zur Ablehnung des Kommunismus.

8 Siehe Uli Schöler: »Despotischer Sozialismus« oder »Staatssklaverei«? Die theoretische Verarbeitung der sowjetrussischen Entwicklung in der Sozialdemokratie Deutschlands und Österreichs (1917 bis 1929), Münster 1990.

9 Siehe Jürgen Zarusky: Die deutschen Sozialdemokraten und das sowjetische Modell. Ideologische Auseinandersetzungen und außenpolitische Konzeptionen 1917–1933, München 1992.

10 Siehe Richard Löwenthal: Bonn und Weimar: Zwei deutsche Demokratien, in: Heinrich August Winkler (Hg.): Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945–1953, Göttingen 1979, S. 9–25, hier S. 10 ff.

11 Siehe Bernd Faulenbach: Zur Rolle von Totalitarismus- und Sozialfaschismus-»Theorien« im Verhältnis von Sozialdemokraten und Kommunisten in der Weimarer Republik, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung (im Folgenden: JHK), Berlin 2004. Überarbeitet abgedruckt in: 
Mike Schmeitzner (Hg.): Totalitarismuskritik von links. Deutsche Diskurse im 20. Jahrhundert, Göttingen 2007, S. 119–131.

12 Siehe Jürgen Zarusky: Die deutschen Sozialdemokraten und das sowjetische Modell (Anm. 9), S. 126 ff.; ders.: Demokratie und Diktatur: Karl Kautskys Bolschewismuskritik und der Totalitarismus, in: Mike Schmeitzner (Hg.): Totalitarismuskritik von links (Anm. 11), S. 49–68.

13 Siehe Ernst Nolte: Die faschistischen Bewegungen. Die Krise des liberalen Systems und die Entwicklung der Faschismen, München 1966; Arnd Bauerkämper: Der Faschismus in Europa 1918–1945, Stuttgart 2006.

14 Siehe François Furet: Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert, München/Zürich 1995, S. 457 ff.

15 Peter Bender: Das Ende des ideologischen Zeitalters. Die Europäisierung Europas, Berlin 1981, S. 75 f.

16 Siehe z. B. Ludwig Dehio: Deutsche Politik an der Wegegabel, in: ders.: Deutschland und die Weltpolitik im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1955, S. 127–137.

17 Siehe Stefan Creuzberger: Kampf für die Einheit. Das gesamtdeutsche Ministerium und die politische Kultur des Kalten Krieges 1949–1969, Düsseldorf 2008, S. 155 ff.

18 Siehe Bernd Stöver: Der Kalte Krieg, München 2003; ders.: Die Befreiung vom Kommunismus. Amerikanische Liberation Policy im Kalten Krieg 1947–1990, Köln u. a. 2002.

19 Siehe dazu ebd.

20 Siehe Richard Löwenthal: Vom Kalten Krieg zur Ostpolitik, in: ders./Hans-Peter Schwarz (Hg.): 
Die zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik – eine Bilanz, Stuttgart 1974, S. 604–699.

21 Siehe Konrad Repgen: Finis Germaniae. Untergang Deutschlands durch einen SPD-Wahlsieg 1957?, in: Dieter Blumenwitz u. a. (Hg.): Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers, Bd. II, Stuttgart 1976, S. 294–315.

22 Berühmt ist das CDU-Wahlplakat »Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau«. Siehe dazu Edgar Wolfrum: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 2006, S. 67.

23 Zum sozialdemokratischen Antikommunismus siehe Gesine Schwan: Antikommunismus und Antiamerikanismus in Deutschland. Kontinuität und Wandel nach 1945, Baden-Baden 1999, S. 35–41.

24 Siehe Beatrix Bouvier: Ausgeschaltet! Sozialdemokraten in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR 1945–53, Bonn 1996; Bernd Faulenbach/Heinrich Potthoff (Hg.): Sozialdemokraten und Kommunisten nach Nationalsozialismus und Krieg. Zur historischen Einordnung der Zwangsvereinigung, Essen 1998.

25 Siehe Wolfgang Buschfort: Das Ostbüro der SPD. Von der Gründung bis zur Berlin-Krise, München 1991; ders.: Parteien im Kalten Krieg. Die Ostbüros von SPD, CDU und FDP, Berlin 2000.

26 Siehe dazu Michael Hochgeschwender: Freiheit in der Offensive? Der Kongress für kulturelle Freiheit und die Deutschen, München 1998. Siehe ebenso den Beitrag von Daniela Muraca in diesem Band.

27 Siehe Michael Rohrwasser: Der Stalinismus und die Renegaten. Die Literatur der Exkommunisten, Stuttgart 1991.

28 Die Distanz der amerikanischen Teilnehmer des Kongresses in Berlin hebt François Furet hervor. Siehe ders.: Das Ende der Illusion (Anm. 14), S. 540.

29 Siehe ebd.

30 Kurt Sontheimer: Thomas Mann (Anm. 1).

31 Siehe Peter Bender: Das Ende des ideologischen Zeitalters (Anm. 15), S. 75 ff.; François Furet: Das Ende der Illusion (Anm. 14), S. 534 ff.

32 Siehe Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen, 
2. Aufl. München 1991; ders.: Gab es »politische Strafverfolgung« in der Bundesrepublik Deutschland in den 50er- und 60er-Jahren und wie wurde diese Problematik von der SED instrumentalisiert?, in: Materialien der Enquetekommission »Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit«. Hg. vom Deutschen Bundestag, Bd. VIII, 3, S. 2205–2251.

33 Die Rede ist abgedruckt in Gustav W. Heinemann: Es gibt schwierige Vaterländer ... Aufsätze und Reden 1919–1969, München 1988, S. 334–336. Heinemann warf die Frage auf, »was wir selber in der Vergangenheit dazu beigetragen haben könnten, daß Antikommunismus sich bis zum Mordanschlag steigerte ...«.

34 Siehe Heinrich August Winkler: Deutsche Geschichte vom »Dritten Reich« bis zur Wiedervereinigung 
(= Der lange Weg nach Westen, Bd. 2), München 2000, S. 417.

35 Ein besonderes Verhältnis entwickelten die deutschen Sozialdemokraten seit den Siebzigerjahren zu den Exkommunisten Italiens, über die man Reformbestrebungen in der kommunistischen Welt zu fördern hoffte.

36 Peter Bender: Das Ende des ideologischen Zeitalters (Anm. 15). Inwieweit durch diese Veränderungen neue Wahrnehmungsmuster der kommunistischen Systeme im Westen entstanden, ist eine noch nicht beantwortete Frage. Siehe dazu Peter Steinbach: Verspielte hermeneutische Möglichkeiten. Zum Erscheinen des Schwarzbuchs des Kommunismus 2, in: JHK, Berlin 2005, S.316–323, hier S.322 f.

37 Jörg Baberowski: Was war Stalinismus? (Anm. 2), S. 1046.

38 Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München/Wien 1995.

39 In Teilen der Linkspartei und der Öffentlichkeit ist die Tendenz unübersehbar, sich mit diesem Argument einer (selbst-)kritischen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus zu entziehen.

40 Es kann hier nicht erörtert werden, inwieweit der Reformkommunismus eine bewusste oder eine unbewusste systemüberwindende Komponente enthielt.

Inhalt – JHK 2011

Copyright:

Eventuell enthaltenes Bildmaterial kann aus urheberrechtlichen Gründen in der Online-Ausgabe des JHK nicht angezeigt werden. Ob dieser Beitrag Bilder enthält, entnehmen Sie bitte dem PDF-Dokument.