Die Sowjetunion war ein Land des Wundersamen. In der Vorstellung der orthodoxen Bevölkerung war der ländliche Raum durchzogen von sakralen Orten, die als potenziell wundertätige Heiligtümer aufgesucht wurden. Dazu zählten nicht nur die alten Klosteranlagen, sondern auch besondere Quellen, charakteristische Steine oder Bäume, die meist jenseits der Dörfer und damit außerhalb des bewohnten und akkulturierten Raumes lagen. Solche Heiligtümer waren Orte der Kommunikation mit dem Göttlichen – auch und gerade unter der Herrschaft der Bolschewiki, als sie einen Ersatz für die vielen geschlossenen Kirchen darstellen konnten. Wallfahrten zu solchen Heiligtümern unterlagen aber Konjunkturen und waren abhängig von den Amplituden der staatlichen antireligiösen Politik. Während in den Dreißigerjahren aufgrund von Terror und Kirchenverfolgung selbst die zuvor zentralen Wallfahrtsorte verwaist waren,1 lebten alte Pilgertraditionen nach der religionspolitischen Wende im Herbst 1943 wieder auf. Dies galt besonders für die nicht oder nur kurzzeitig besetzten Gebiete der RSFSR, wo es weiterhin kaum geöffnete Kirchen gab, während in der Ukraine und Belarus unter deutscher Besatzung einige Kirchen und Klöster wieder ihre Tore öffneten, die auch nach der Rückeroberung durch die Rote Armee nicht sofort wieder geschlossen wurden. Aufgrund dieser ungleichen Verteilung blieben Wallfahrten zu verehrten Quellen oder Seen ein Phänomen, das in der RSFSR bis zum Ende der Fünfzigerjahre besonders verbreitet war.2
Die Untersuchung von Wallfahrten in der späten Kriegs- und Nachkriegszeit hat daher verschiedene Dimensionen und bewegt sich im Spannungsfeld von Volksfrömmigkeit, dem Alltagsleben seiner Bevölkerung und der Kirchenpolitik des sowjetischen Staates. Auf dem Feld der Kirchenpolitik hatte Stalin mitten im Krieg, im September 1943, die Annäherung mit den wenigen noch amtierenden Metropoliten gesucht, nachdem diese sich trotz der katastrophalen Erfahrungen mit dem Stalin’schen Terror vom ersten Kriegstag an als loyal erwiesen hatten. Die Staats- und Parteiführung erhoffte sich, ihre Reputation bei den Alliierten verbessern und zugleich die Russisch-Orthodoxe Kirche als Akteur für die Gestaltung der europäischen Nachkriegsordnung instrumentalisieren zu können.3 Dies war ohne eine Wiederherstellung der kirchlichen Institutionen und eines kirchlichen Gemeindelebens nicht zu erreichen. Ein im Oktober 1943 eigens geschaffener »Rat für die Angelegenheiten der Russisch-Orthodoxen Kirche« hatte – unter der Leitung des langjährigen NKWD-Majors Georgij G. Karpov – die Aufgabe, die Wiederöffnung von einzelnen Kirchen zu koordinieren und zu kontrollieren.
Die Kirchenführung ließ sich auf dieses »Konkordat« mit der Staatsführung ein, das ihr die Wiederherstellung der in den Terrorjahren erodierten kirchlichen Institutionen erlaubte. Nur so erschien es dem Episkopat möglich, für die Einhaltung kanonischer Normen in ihrem Kirchenvolk zu sorgen. Denn die kirchenlosen Jahre hatten zu dem verbreiteten Phänomen geführt, dass selbsternannte Geistliche (die sogenannten samočiniki) die Sakramente spendeten. Zwar war die Rückbindung des Kirchenvolkes an die Institution Kirche bzw. die theologische Fundierung der Frömmigkeitspraktiken der religiösen Laien ein Jahrhunderte altes Thema, aber das Sakramentenmonopol der Kirche war weitgehend akzeptiert worden.4 Wallfahrten bewegten sich in genau diesem Spannungsfeld, da sie einerseits für die gläubige orthodoxe Bevölkerung traditioneller Bestandteil ihres religiösen Lebens waren, andererseits von der Staatsführung und dem ihr ergebenen Episkopat nicht als konstitutive religiöse Praxis anerkannt wurden. Doch obwohl Wallfahrten und Prozessionen beeindruckende öffentliche Manifestationen religiösen Lebens waren, ging der Staats- und Parteiapparat für die Dauer von über einem Jahrzehnt nicht repressiv gegen sie vor. Die ersten großen Wallfahrten können auf das Jahr 1944 datiert werden, als angesichts der kirchenpolitischen Wende im Herbst 1943 orthodoxe Christen die traditionellen Pilgerfahrten wieder aufnahmen.5 Sie entwickelten sich zu Massenwallfahrten, die in den Fünfzigerjahren bis zu 20 000 Menschen anziehen konnten. Es erscheint paradox, dass solche religiös motivierten Massenumzüge in den letzten Jahren von Stalins Herrschaft zwar genau beobachtet, aber nicht gewaltsam verhindert wurden. Erst Nikita Chruščëv drängte mit seiner Modernisierungskampagne auf dem Land – und mit seiner Vision einer erreichbaren kommunistischen Gesellschaft – auf die physische Eliminierung von Orten, an denen als vormodern und »abergläubisch« wahrgenommene Praktiken kulminierten. Zugleich vollzog er damit auch auf dem Feld der Religionspolitik die Abkehr von der alten stalinistischen Politik.6
In diesem Artikel soll beleuchtet werden, warum die Staats- und Parteiführung trotz verschiedener Gegenmaßnahmen die Wallfahrten über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt tolerierte. Dazu wird geschildert, wie die Wallfahrten in dem Jahrzehnt ihrer Blüte zwischen Kriegsende und der antireligiösen Kampagne von 1958/59 abliefen. Wie unterschieden sie sich von den vorrevolutionären Prozessionen? Wer nahm an ihnen teil und mit welcher Motivation? Welche Rolle spielten die Geistlichen der Orthodoxen Kirche, zu welcher Haltung wurden sie gegenüber den Wallfahrten gedrängt, und wie reagierten die Pilger darauf? Und wie wurde die Kampagne zur Eliminierung der Wallfahrten nach 1958 umgesetzt? Diese Fragen sollen am Beispiel der Prozessionen zum geschlossenen Kloster »Wurzel-Einsiedelei« (Korennaja pustyn’) untersucht werden, einer alljährlich stattfindenden großen Wallfahrt im Gebiet Kursk im Zentralen Schwarzerdegebiet Russlands.
Der Fluchtpunkt des Sakralen
Die Pilgerprozessionen zur »Wurzel-Einsiedelei« knüpften einerseits an vorrevolutionäre Wallfahrtstraditionen an, andererseits veränderte sich unter den Bedingungen des Spätstalinismus zwangsläufig ihr Charakter. Während vor 1917 große Klosterkomplexe, meist ausgestattet mit den Reliquien eines Heiligen, große Pilgermassen anzogen, existierten nach dem II. Weltkrieg auf dem gesamten Gebiet der RSFSR nur zwei geöffnete Klöster, nämlich das 1946 als Aushängeschild der vorgeblichen sowjetischen Religionsfreiheit wieder geöffnete Sergij-Dreifaltigkeits-Kloster nahe Moskau und das Höhlenkloster bei Pskov. Auf regionaler Ebene erhielten daher Orte, die mit dem wundersamen Erscheinen von Ikonen (javlenie ikony) oder Heiligenvisionen verbunden waren, besondere Bedeutung als Wallfahrtsorte.7 Denn im Verständnis orthodoxer Frömmigkeitspraktiken war das Heilige nicht auf den Kirchenraum begrenzt, sondern lag die Kraft des Göttlichen gerade darin begründet, dass sie überall auftreten und Wunder wirken konnte.8 Das Errichten von Kreuzen sowie der Bau von Kapellen, Kirchen und Klöstern markierte das Anerkennen der göttlichen Heilsgeschichte, die sich an eben jenen Orten offenbart hatte. Entsprechend bezogen sich die meisten großen Pilgerzüge der Nachkriegszeit auf geschlossene Klosteranlagen sowie ihnen nahe gelegene und als heilig verehrte Quellen, deren Reputation wiederum auf das Auffinden einer wundertätigen Ikone bzw. Heiligenvisionen zurückging – so auch im Fall des geschlossenen Einödklosters bei Kursk. Der massive Druck des atheistischen Staates wirkte auf diese Frömmigkeitspraktiken zurück: Die geschlossenen Klosteranlagen wurden gewissermaßen auf den Kern ihrer Heilsbotschaft reduziert, nämlich geografische Orte und materielle Zeugen der Begegnung mit dem Göttlichen zu sein. Daher ist es konsequent, dass auch dort, wo es keine regulären Gottesdienste mehr in geweihten und ausgeschmückten Kapellen, Kirchen und Kathedralen gab, die Pilger dennoch zu den geschlossenen Klosteranlagen zogen und an diesen Orten beteten.
Die Geschichte der »Wurzel-Einsiedelei« bei Kursk umfasst all diese Aspekte. Der Legende nach war in den Wurzeln eines Baumes (daher der Name) in der Zeit der Tatareneinfälle am Ende des 13. Jahrhunderts wundersam die Ikone der »Muttergottes vom Zeichen« (Znamenie) erschienen. Ihr zu Ehren wurde zunächst eine Kapelle errichtet und später, im 16. Jahrhundert, das als »Wurzel-Einsiedelei« bezeichnete Einödkloster. Bereits Anfang des 17. Jahrhunderts etablierte sich die Tradition, die Ikone den größten Teil des Jahres in der Kathedrale von Kursk auszustellen und nur noch in den Sommermonaten in die Wurzel-Einsiedelei zu bringen. Seitdem wurde die Ikone an festgesetzten Tagen in einer feierlichen Prozession im Frühjahr aus Kursk in das Kloster und im September wieder zurück in die Stadt getragen. Die Prozessionen wurden auch fortgesetzt, nachdem die Ikone »vom Zeichen« 1920 zusammen mit vor den Bolschewiki flüchtenden Geistlichen aus Russland zunächst nach Serbien, später nach Deutschland und schließlich Amerika gebracht wurde.9 Für die Dreißigerjahre und bis zur deutschen Besatzung im Spätherbst 1941, als die Gebäude der Klosteranlage als Sanatorium dienten, sind keine Wallfahrten mehr dokumentiert. Da die Anlage unter der deutschen Besatzung von der Wehrmacht genutzt wurde, sind Wallfahrten auch in diesem Zeitraum unwahrscheinlich. Bald nach dem Abzug der deutschen Truppen zog im Frühsommer 1944 erstmals wieder ein Prozessionszug mit circa 2000 Menschen aus Kursk zum früheren Kloster. Seitdem stiegen die Teilnehmerzahlen von Jahr zu Jahr: 1948 sollen es 14 000 Pilger gewesen sein, 1955 und 1956 sogar 20 000. Statt der wundertätigen Ikone der »Muttergottes vom Zeichen« führten die Pilger nun jedoch eigene kleine Ikonen mit sich. Aber viel wichtiger noch: Die Klosteranlage war für den Wallfahrtszug nicht zugänglich, denn in den Gebäuden des ehemaligen Männerklosters war inzwischen eine Schule für die Mechanisierung der Landwirtschaft untergebracht.10 Stattdessen zogen die Pilger nun zu den 150 Metern von dem ehemaligen Klosterkomplex entfernten Quellen, an denen sie selbst Andachten abhielten und sich in dem als wunderkräftig verehrten Wasser wuschen. Gegenüber den traditionellen Wallfahrten der vorrevolutionären Zeit wiesen die Prozessionszüge der Vierziger- und Fünfzigerjahre also viele Unterschiede auf. Wie sehr aber waren die Wallfahrten noch an die Institution Kirche gebunden, und wie verhielt sich die Geistlichkeit der Kursker Eparchie zu den Wallfahrten? Entscheidend für diese Frage waren die Vorgaben von Staat und Partei gegenüber den Geistlichen der Russisch-Orthodoxen Kirche, sich an den Wallfahrten nicht mehr zu beteiligen.
Wallfahrt ohne Priester – staatliche Steuerungsversuche unter Stalin
Die Wallfahrten zur »Wurzel-Einsiedelei« gehörten zu den größten auf dem Gebiet der RSFSR, waren aber nicht die einzigen. Auch in der Stadt Urjupinsk im damaligen Gebiet Stalingrad (heute Volgograd) kamen alljährlich am 21. Juni zum Fest des Erscheinens der Ikone der Gottesmutter einige Tausend Pilger zusammen, ebenso im Gebiet Uljanovsk am Festtag des Heiligen Nikolaj am 22. Mai an einem als Ort einer Vision verehrten Berg nahe dem Dorf Surskoe.11 Aber erst seit dem Ende der Vierzigerjahre erhielt die Staats- und Parteiführung regelmäßig Meldungen über solche als »illegal« bezeichneten Wallfahrten.12 Zuvor gerieten Wallfahrten nur selten in den Blickwinkel der regionalen Bevollmächtigten des Rats für Kirchenangelegenheiten, weil diese sich zunächst auf die Erfassung der sichtbaren Kirchenstrukturen konzentrierten.
Dennoch gab es bis 1953 keine zentralen Moskauer Initiativen zur Beendigung von Wallfahrten. Am besten dokumentiert ist in dieser Periode der Druck, den der Rat für Kirchenangelegenheiten auf die Kleriker ausübte, um deren Teilnahme an Prozessionen zu verhindern. So musste der Synod im August 1948 beschließen, seinen Geistlichen die Teilnahme an Prozessionen sowie Andachten im öffentlichen Raum zu untersagen, denn dies sei eine »offenkundige Verletzung des Prinzips der Trennung von Staat und Kirche«.13 Seit 1948 waren damit die Bischöfe in ihren Eparchien dafür verantwortlich, dass keine bei den staatlichen Stellen registrierten Priester an Wallfahrten teilnahmen. Im Kontext der allgemeinen Verschärfung des politischen und kulturellen Klimas in der Sowjetunion unter dem Parteifunktionär Andrej Ždanov stand auch die Arbeit des Rats für Angelegenheiten der Russisch-Orthodoxen Kirche und seiner Leitung unter Beschuss.14 Öffentlich ausgetragen wurde dies durch einen Artikel im Parteiorgan Pravda im Februar 1949. Unter dem Titel »Das Taufbecken von Saratov« wurde die von Geistlichen vorgenommene traditionelle Wasserweihe am Fest der Taufe des Herrn alljährlich am 19. Januar angeprangert. In der Volga-Stadt Saratov hatten 1949 einige Hundert Menschen in Eislöchern ein Bad in dem als besonders heilkräftig geltenden Flusswasser genommen; mehrere Tausend Menschen sollen diesen »obskuren«, »pornografischen« Praktiken zugesehen haben.15 Auf diesen inszenierten Skandal musste die Kirchenleitung mit der Strafversetzung des Bischofs von Saratov reagieren. So wurde auch dem letzten Priester vor Augen geführt, dass eine Teilnahme an Kirchenfesten oder Wallfahrten im öffentlichen Raum nicht mehr opportun war.16 Die Kanzlei des Patriarchats versandte nun entsprechende Zirkularbriefe an die einzelnen Eparchien; von dort wurden die Auflagen über die Superintendenten weitergeschickt.17
Wer als Priester dennoch an Prozessionen teilnahm, riskierte, seine staatliche Registrierung zu verlieren; das zu verhindern, war angesichts des eklatanten Priestermangels dringendes Gebot der Eparchie-Leitungen. Aus Sicht des Staates erwies sich dieses Teilnahmeverbot daher als ein effektives Mittel, um zumindest die Rückbindung der Wallfahrten an die Kirche zu schwächen, wenn schon die Prozessionszüge als solche nicht zu verhindern waren.18 In allen Berichten hatten die staatlichen Bevollmächtigten mitzuteilen, ob »registrierte Geistliche« an illegalen Prozessionen »unter freiem Himmel« teilnahmen und in solchen Fällen die angedrohte Rücknahme der Registrierung konsequent umzusetzen. Noch im Jahr 1953 betraf dies in der Eparchie Kursk einen Priester namens Suslikov.19 Mit diesem der Kirche gegenüber wirksamen Instrument in der Hand lehnte der Rat für Kirchenangelegenheiten in Moskau andere Maßnahmen zur Verhinderung der Kursker Wallfahrt ab: Als das Exekutivkomitee des Gebiets Kursk im Vorfeld der Prozession im Juni 1951 vorschlug, die Quellen zuzuschütten oder eine Quarantäne über das Gebiet zu verhängen, sprach sich der Moskauer Rat dagegen aus. Stattdessen verwiesen die Moskauer Kollegen ein weiteres Mal auf den Beschluss des Synod vom August 1948 und darauf, dass der Bischof von Kursk das Teilnahmeverbot bereits an die Priester seiner Eparchie weitergegeben habe.20 Die Priester, aber auch der Bischof standen vor einem unlösbaren Dilemma: Einerseits waren die Wallfahrten zur »Wurzel-Einsiedelei« ein integraler Bestandteil des kirchlichen Lebens der Eparchie, andererseits setzten sie mit ihrer Teilnahme die sonstige kirchliche Versorgung des Kirchenvolks aufs Spiel. Es sagt allerdings einiges über die Haltung des seit 1951 in Kursk amtierenden Bischofs Innokentij (Zel’nickij) aus, dass er sich über diese Frage ausgerechnet mit dem Bevollmächtigten des Moskauer Rats für Kirchenangelegenheiten im Gebiet Kursk vertrauensvoll aussprach. Dieser meldete den Inhalt des Gesprächs im Januar 1954 an den Moskauer Rat weiter: Der Bischof habe sich beklagt, »dass er im Zusammenhang mit diesen Prozessionen zur Wurzel[-Einsiedelei] in eine sehr unbequeme und heuchlerische Lage gebracht worden sei – er kann an diesen Tagen keine Gottesdienste halten und muss sich verbergen.«21 Zudem sei der Bischof mit den Bitten seiner Kirchgänger konfrontiert, ihre Ikonen bereits im Vorfeld der Prozession in der Kathedrale aufzunehmen und diese am Wallfahrtstag dem Prozessionszug feierlich zu übergeben. Direkt am Vorabend der Sommerprozession 1953 kamen Kirchgänger mit Brot und Salz zu ihm, um sich vor der Wallfahrt segnen zu lassen. Der Bischof weigerte sich jedoch, so meldete es der Bevollmächtigte nach Moskau, diese zu empfangen.22 In den darauffolgenden Jahren löste der Bischof das Problem auf einfache Weise: Er fuhr in den Tagen um die zahlenmäßig besonders starke Frühjahrsprozession ins Patriarchat nach Moskau.23
Neben diesen direkten Eingriffen in die kirchliche Autonomie lassen sich auch Einschüchterungsversuche gegenüber Laien vermuten, die sich auf den Weg zur Wallfahrt machten. Immer wieder gingen im Moskauer Rat für Kirchenangelegenheiten Meldungen aus den verschiedenen Gebieten der RSFSR ein, dass Vorsitzende von Kolchosen oder Dorfsowjets versucht hätten, Gläubige in ihrem Machtbereich am Kirchenbesuch oder an der Sammlung von Unterschriften unter Petitionen zugunsten von Kirchenöffnungen zu hindern. Vielfältig war auch ihr Vorgehen gegen lokal verehrte heilige Quellen. In einem Fall versuchte der Vorsitzende eines Landkreis-Exekutivkomitees, den Kirchenrat der Dorfkirche zu verpflichten, selbst eine Wache an der dem Dorf nächstgelegenen Quelle aufzustellen, um Wallfahrten zu verhindern. Solche Einschüchterungsversuche bezeichnete selbst Karpov in seiner Meldung an das ZK als »unsinnig«.24 Als »grobes Vorgehen« charakterisierte auch einer seiner Mitarbeiter einen anderen Vorfall mit einem Dorfsowjet-Vorsitzenden, der an einem lokalen Wallfahrtsort im Gebiet Voronež vor den Augen der versammelten Pilger in die dort verehrte Quelle urinierte.25
Warum Staats- und Parteiorgane in den späten Jahren von Stalins Herrschaft keine direkten Maßnahmen gegen die Pilger ergriffen, ist nicht eindeutig zu sagen. Eine gewisse Rolle spielte sicherlich die Vorsicht gegenüber dem Ausland, denn mit Rücksicht auf die außenpolitischen Erwartungen, die die sowjetische Führung in die Kirchenleitung setzte, sollten Nachrichten über Maßnahmen gegen Christen tunlichst vermieden werden. Dies mag angesichts des beginnenden Kalten Krieges und der rapide abnehmenden Bereitschaft der sowjetischen Führung, auf das Ansehen bei den früheren Verbündeten zu achten, verblüffen. Auf dem Feld der Religionspolitik jedoch war dies anders, denn Stalin und sein Umfeld wussten die Kirchenleitung erfolgreich für ihre geostrategischen Interessen zu instrumentalisieren. Dies galt für die Steuerung der Entwicklung in den osteuropäischen Satellitenstaaten ebenso wie für die ökumenische Bewegung und den Kampf gegen den Vatikan.26 Aus demselben Grund außenpolitischer Rücksichtnahme waren sogar schriftliche Anweisungen des staatlichen Rats für Kirchenangelegenheiten gegenüber den Klerikern verboten: So sollte verhindert werden, dass Beweise für die permanenten Restriktionen und Einmischungen in innerkirchliche Belange ins Ausland gelangten.27 Ein anderer Grund für die erstaunliche Toleranz gegenüber diesen Massenumzügen ist aber sicherlich auch darin zu suchen, dass Funktionäre von Staat und Partei die Wallfahrten trotz ihrer hohen Teilnehmerzahl nicht als gefährlich einschätzten: Solange sich »fast ausschließlich Frauen mittleren und gesetzteren Alters«28 den Prozessionszügen anschlossen und keine jüngeren Männer oder Vertreter der »dörflichen Intelligenz« beteiligt waren, mochten die Funktionäre die öffentliche Ordnung und die Loyalität der Träger des Systems als nicht gefährdet ansehen. Stattdessen schätzten Stalin und sein Umfeld angesichts der bitteren Armut auf dem Land die Situation in den Dörfern möglicherweise als so instabil ein, dass sie auch deshalb von Maßnahmen gegen die religiöse Bevölkerung absahen und den Wallfahrten sogar eine gewisse Ventilfunktion zubilligten.29
Motivation der Pilger und ihre Erwartungen an die Kleriker
Für die Pilger waren die Wallfahrten aus verschiedenen Gründen reizvoll: Angesichts der katastrophalen Armut nach dem Krieg und der Ernüchterung über die ausgebliebene Liberalisierung des Systems und die erhoffte Abschaffung der verhassten Kolchosen30 boten Wallfahrten eine Fluchtmöglichkeit aus dem gleichförmigen Alltag, mit der zugleich dem Beharren auf der eigenen Würde Ausdruck verliehen werden konnte. Die aufwendige Gestaltung der selbst arrangierten Gottesdienste stand in klarem Kontrast zur alltäglichen Plackerei der Frauen und der nur vereinzelt aus dem Krieg zurückgekehrten Männer auf den Kolchosfeldern. Die wenigen dörflichen Angebote wie Lesehütten und Dorfklubs standen oft leer und waren verwahrlost.31 Auch aus diesem Grund waren die großen Wallfahrten für die Pilger eine eindrucksvolle Manifestation gegen das Regime, das ihnen so wenig zu bieten hatte. Denn die Prozessionszüge bedeuteten auch eine Rückeroberung des öffentlichen Raums durch die ins Abseits gedrängte Religion – angesichts der Terrorerfahrungen der Dreißigerjahre ein zuvor undenkbares Erlebnis. Dennoch sollten die Wallfahrten nicht zu antisowjetischen Demonstrationen stilisiert werden, denn in erster Linie nahmen die Pilger an ihnen teil, weil sie dort spirituelle Erfahrungen suchten und machen konnten. Deshalb verliefen die Konfliktlinien nicht nur entlang des Gegensatzes der Vertreter von Staat und Partei sowie den Pilgern, sondern bewegten sich in einem Dreiecksverhältnis mit der Amtskirche als weiterem Akteur.
Wie stark die Rückbindung der Wallfahrten an die Kirche trotz der staatlichen Eingriffe war und wo ihre Grenzen verliefen, zeigt eine Analyse des Wallfahrtsgeschehens: Viele Pilger trafen sich bereits in den frühen Morgenstunden in den beiden geöffneten Kirchen der Stadt Kursk und nahmen dort an den Gottesdiensten teil. Im Sommer 1956, einem Jahr mit Rekordbeteiligung, sollen es 10 000 Pilger gewesen sein, die sich direkt nach diesen Gottesdiensten auf den 30 Kilometer langen Pilgerweg begaben – allerdings machten sie nur die Hälfte der für die Sommerwallfahrt 1956 nach Moskau gemeldeten 20 000 Teilnehmer aus, sodass die übrigen wohl erst auf dem Pilgerweg dazustießen.32 Unterwegs, schon in den Nachmittagsstunden, hielten die Pilger dann an der einzigen am Weg geöffneten Kirche der Heiligen Ioakim und Anna im Dorf Dolgoe an. Hier konnten, anders als in der Stadt, die privat mitgebrachten Ikonen in der Kirche nahe dem Altar aufgestellt und verehrt werden. Da allerdings nicht alle Pilger in der kleinen Dorfkirche Platz fanden, zogen die meisten weiter zu den als heilig verehrten Quellen am Fluss und setzten hier ihre Andachten fort. Damit gewährleisteten die Morgengottesdienste in Kursk, bei denen sich ein großer Teil der Pilger versammelte, und die geöffnete Kirche im Dorf Dolgoe nahe der Klosteranlage zwar eine gewisse Rückbindung an die Kirche. Die Mehrheit der Pilger jedoch kam offenbar nur zu den Andachten am Wasser zusammen, wo sie keinem Geistlichen begegneten.
Viele Gemeindeglieder in der Eparchie Kursk drängten aber auf die Teilnahme ihres Bischofs oder doch wenigstens darauf, dass er die ohne Priester durchgeführten Wallfahrten akzeptierte. Ein halbes Jahr nach der Sommer-Prozession des Jahres 1953 erhielt der Bischof einen Brief von einer orthodoxen Christin aus der Stadt, die ihn mit der Enttäuschung der Pilger über sein Lavieren konfrontierte. Der ausführliche Brief ermöglicht einen seltenen Einblick in die Sichtweise der sonst oft stimmenlosen orthodoxen Laien. Im Zentrum steht die Frage nach dem Verhältnis der Geistlichkeit gegenüber der Prozession zu den Quellen nahe der »Wurzel-Einsiedelei«. Nun, fünf Jahre nach dem staatlichen Teilnahme-Verbot für die Kleriker an Prozessionen, hält es die Verfasserin offenbar für geboten, dem Bischof zu erklären, wie sie und ihre Glaubensgefährtinnen die Wallfahrt erleben und welche Bedeutung die Prozession für sie hat: »Teurer Bischof Innokentij! Jedes Jahr begleitet eine große Zahl von Betenden jedes Alters und jedes Standes [sic: soslovie] das Bildnis der Himmlischen Herrscherin in die Wurzel-Einsiedelei. Was ist das für ein ehrenhafter Weg! Mehr als tausend Menschen singen hier auf dem Weg die Lobpreislieder. Und mehr als ein Mensch singt die auswendig gelernten, berührenden Worte des Akathistos. […] Man fühlt dann keine Müdigkeit, Menschen im fortgeschrittenen Alter, die auf dem Weg stürzen, erheben sich wieder und laufen weiter. Es gibt keine Worte, um die Gefühle auszudrücken, die einem in diesem Moment die Seele erfüllen. Irgendein ungewöhnlicher Wirbel erhebt uns und trägt uns vorwärts, dorthin, zur Heiligen Quelle, zur steinernen Halde des zerstörten Altars. Hier beginnt der Gottesdienst, unser eigener, einfacher, laienhafter, der vielleicht nicht richtig ist und grob, aber dafür klar und aufrichtig. Er dauert die ganze Nacht, und wenn Wind oder Regen nicht stören, brennen Kerzen, der Akathistos wird mit einem solch tiefen Gefühl und Hingebung gesungen, dass man seine Seele für immer hier lassen möchte.«33
Die Feier eines Gottesdienstes und die Lesung des Akathistos durch Nicht-Kleriker berühren dabei einen kritischen Punkt, denn einerseits durften diese Marien-Hymnen zwar durchaus von Laien privat gesungen werden, andererseits standen sie als quasi-liturgische Texte unter der Aufsicht des Heiligen Synod und durften nicht eigenmächtig verfasst oder verändert werden.34 Aber es geht nicht nur um die Schönheit und Würde der von den Laien selbst gestalteten Gottesdienste an der Quelle nahe dem geschlossenen Kloster, sondern um das Verhalten der Geistlichen generell. Mit starken Worten bilanziert die Schreiberin: »Verehrte Eminenz! Es ist eine für einen Christen unwürdige Bangigkeit [bojazn’] – man muss sie vernichten.« Zugleich ist sie sich der Risiken bewusst, die die Priester und Laien im Dienst der Kirche gegenwärtig eingehen: »Gegenwärtig haben sie [die Geistlichen und kirchlichen Laien-Aktivisten] keinen leichten Dienst – möge Gott sie schützen. Es gibt niemanden, der nicht verstehen würde, was sie riskieren.« Daher fordert die Schreiberin den Bischof auch nicht explizit auf, an der Prozession teilzunehmen, aber sich zumindest positiv gegenüber diesen eigenständig organisierten Wallfahrten zu positionieren und diese nicht zu verurteilen: »Eminenz, es wäre schmerzhaft zu fühlen, dass Sie persönlich nicht einmal mit dem Herzen bei uns sind! Wir, die wir die Kathedrale als Gemeindemitglieder anderer Kirchen besuchen, lieben Sie als Hirten, mehr noch als einen einfachen Menschen, schätzen Ihre Aufmerksamkeit, würdigen jedes Ihrer Worte, erfüllen alle Ihre Anweisungen, und mit der ganzen Seele bemühen wir uns, klar und gehorsam zu sein, wie Sie dieses aufrichtig von uns wünschen. Aber … bezüglich der Prozession bitten wir, Eminenz, sich wegen unseres Ungehorsams nicht über uns zu erzürnen, da wir uns selbst überlassen sind. […] Der Herr segne Sie, werte Eminenz, um das Dargelegte richtig zu verstehen. Verurteilen Sie nicht Anastasija Zavozgrjaeva. Kursk.«35
»… dieses schädliche Relikt für immer liquidiert« – Die Kampagnen zur Beendigung der Wallfahrten unter Nikita Chruščëv
Erst nach Stalins Tod versuchte die Staats- und Parteiführung, von zentraler Stelle gegen die einfachen Teilnehmer von Wallfahrten vorzugehen. Bereits Ende April 1953 sandte Karpov ein Memorandum an Nikita Chruščëv, der zu diesem Zeitpunkt ZK-Sekretär ohne festen Aufgabenbereich war, und schlug die Schaffung einer eigenen Kommission zur Beseitigung der verehrten Quellen und der Wallfahrten vor.36 In den darauffolgenden Wochen meldeten die Parteisekretäre derjenigen Gebiete, in denen Wallfahrten bekannt waren, nach Moskau, welche Gegenmaßnahmen sie bereits ergriffen hatten. Allerdings vermitteln die übersandten Auflistungen der gehaltenen antireligiösen bzw. »naturwissenschaftlich-atheistischen« Vorträge und anderer Bemühungen der regionalen Propaganda-Abteilungen eher den Eindruck, dass damit den Anweisungen der Moskauer Zentrale Genüge getan werden sollte. Die vom Kursker Gebietsparteisekretär angekündigte Übergabe des Grundstücks, auf dem sich die von den Pilgern verehrten Quellen befanden, an eine »elektromechanische Fabrik«, die den Zugang der Pilger beenden sollte, ist jedenfalls nicht umgesetzt worden.37 Wenig später, Ende Juni 1953, notierten die Sekretäre der Propaganda-Abteilung des ZK in ihrer Zusammenfassung der Meldungen für Nikita Chruščëv, dass man es »bei den von den regionalen Parteiorganisationen ergriffenen Maßnahmen bewenden lassen« könne und sie die von Karpov vorgeschlagene Kommission »nicht für notwendig« hielten.38
Im Sommer des Folgejahres erfolgte ein neuer Vorstoß: In seinem im Juli 1954 gefassten Beschluss »Über grobe Fehler in der wissenschaftlich-atheistischen Propaganda und Maßnahmen zu ihrer Verbesserung« benannte das ZK der KPdSU explizit auch die Wallfahrten in Kursk und folgerte: »Das Feiern von religiösen Feiertagen, das meist von vieltägigen Saufgelagen […] begleitet wird, bringt große Verluste für die Volkswirtschaft mit sich, sie lenkt Tausende Menschen von der Arbeit ab und untergräbt die Arbeitsdisziplin.«39 Wenige Monate später, im November 1954, ruderte das ZK allerdings bereits wieder zurück und bekannte, dass »ein beleidigendes Vorgehen gegen die Kirche, die Geistlichen und die gläubigen Bürger mit der von Partei und Staat bei der wissenschaftlich-atheistischen Propaganda vertretenen Linie unvereinbar ist und der Verfassung der UdSSR zuwiderläuft, die den Sowjetbürgern Gewissensfreiheit gewährt.«40 Dieses unklare Agieren wird mit einem Blick auf die gegensätzlichen Kräfte hinter den Kulissen des ZK verständlich, denn innerhalb der Parteiführung kämpften in der Religionsfrage zwei verschiedene Fraktionen um die Oberhand: Während Nikita Chruščëv auf antireligiöse Maßnahmen drängte, verstanden Malenkov, Vorošilov und Molotov das Moskauer Patriarchat als quasi staatliche und folglich gemäß der Interessen des Landes lenkbare Institution und knüpften damit an das Kirchenverständnis des späten Stalin an.41 Nach den beiden kurzen Kampagnen vom Sommer 1953 und 1954, die bereits mit Kirchenschließungen einhergingen, brach für die Russisch-Orthodoxe Kirche wieder eine relativ ruhige Zeit an. Es ist deshalb kein Zufall, dass in dieser Phase bis 1957 auch die zahlenmäßig größten Wallfahrten festzustellen sind.
Der Umschwung erfolgte nach dem ZK-Plenum im Juni 1957 und geht auf ein Bündel von Faktoren zurück: Eine zentrale Rolle spielten Kaderwechsel innerhalb der Parteiführung, hinzu kamen außenpolitische Neukonfigurationen und wirtschaftliche Überlegungen.42 Im Rahmen der nun einsetzenden antireligiösen Kampagne sollten Wallfahrten nicht mehr über den Umweg der Kirchenleitung unterbunden werden, sondern die Pilger selbst gerieten ins Visier der Funktionäre. Im November 1958 beschloss das ZK schließlich direkte »Maßnahmen zur Beendigung der Wallfahrt zu sogenannten ›heiligen Quellen‹«. Die Partei- und Exekutivkomitees der Regionen und Sowjetrepubliken wurden nun ultimativ aufgefordert, die ganze Palette von Propaganda, Verwarnungen und Drohungen, z. B. verbunden mit Gerichtsprozessen, auszuschöpfen. Die lokale Bevölkerung wurde in inszenierten Abstimmungen gezwungen, dem Zuschütten nahe gelegener Quellen zuzustimmen oder das entsprechende Territorium für die Einrichtung von Pionierferienlagern o. Ä. zur Verfügung zu stellen. Die Parteikomitees aller Regionen hatten dem ZK der KPdSU bis zum 1. Juni 1959 über die ergriffenen Maßnahmen zur Umsetzung dieses Beschlusses zu berichten.43 In den letzten Maitagen 1959 erreichte das ZK eine Flut von Meldungen über die erfolgreiche »Liquidierung« der Quellen in den jeweiligen Regionen. Zwar merkten die Leiter der Propaganda-Abteilung des ZK in ihrem Abschlussbericht an, dass vereinzelt Maßnahmen ergriffen worden seien, die »die Gefühle der Gläubigen« beleidigt hätten. So sei im Gebiet Tambov auf dem Gelände nahe einer Quelle ein Sommerauslauf für Schweine geplant worden. Insgesamt sei die Kampagne aber erfolgreich verlaufen.44 Der Kursker Parteisekretär berichtete über die bewährte Methode, Druck auf die Eparchie auszuüben. So war den Klerikern »geraten« worden, an den Tagen der Wallfahrt keine Gottesdienste im Umfeld der Prozessionsroute abzuhalten. Außerdem sollten die Priester das entsprechende Sendschreiben des Patriarchen Aleksij verlesen sowie den Beschluss des Landkreis-Exekutivkomitees bekannt machen, dass der Zugang zur »Wurzel-Einsiedelei« untersagt sei. »Nach unseren Beobachtungen«, so der Kursker Parteisekretär, »wurden diese Maßnahmen umgesetzt.«45 Entscheidend dafür, dass die Prozession 1959 erstmals seit 15 Jahren nicht zustande kam, war aber wohl die personalintensive Agitation auf den Eisenbahn- und Busstationen der Stadt und die damit verbundende Drohkulisse. Der Sekretär konnte stolz vermelden: »Infolge der durchgeführten Arbeit wurde die Wallfahrt im Gebiet Kursk zur sogenannten ›heiligen Quelle‹ unterbunden. Am 2., 3. und 4. Juli war kein einziger Mensch unmittelbar an der ehemaligen Quelle.«46 Die optimistische Einschätzung, dass »auf diese Weise dieses schädliche Relikt für immer liquidiert« worden sei, hatte allerdings nur bedingt Bestand. Zwar standen das Gelände der »Wurzel-Einsiedelei« und der Pilgerweg aus Kursk auch in den Folgejahren unter besonderer Beobachtung, und die Koordination von Maßnahmen zur Verhinderung der Wallfahrt blieb eine der zentralen Aufgaben des regionalen Bevollmächtigten des Rats für Kirchenangelegenheiten.47 Aber dem Bevollmächtigten kamen Stimmen aus dem Städtchen Svoboda zu Ohren, »dass es hier bald keine Bezirksverwaltung mehr geben wird, und dann werden wir wieder an die Quelle gehen, die Umzäunung wieder herstellen und die Quellen freilegen«.48
Nur dort, wo das massive Aufgebot von Parteiaktivisten, Komsomol und Staatsbediensteten den Zugang zu den Quellen verhinderte und Pilger in »persönlichen Gesprächen« von der Wallfahrt abgehalten wurden, fanden tatsächlich keine Wallfahrten statt. An anderen Orten, die weniger im Fokus der Behörden standen und daher weniger stark kontrolliert wurden, zogen auch noch im Jahr 1960 kleinere Pilgerzüge entlang ihrer traditionellen Routen zu den von ihnen verehrten heiligen Quellen und Flüssen.49
Die Masse der Pilger, die in den Wallfahrten eine Möglichkeit sahen, ihre Religiosität leben zu können, konnte durch die Präsenz von Agitatoren und Milizionären nicht überzeugt, sondern nur abgeschreckt werden. Auch wenn Kirchen geschlossen und Wallfahrten verhindert wurden und die sichtbare Präsenz religiösen Lebens damit zurückging, konnten die Chruščëv’schen Kampagnen das grundlegende ideologische Ziel, nämlich die Unvereinbarkeit von Sowjetsozialismus und Religion zu beweisen, letztlich nicht erreichen.50 Die ländliche Sowjetunion blieb ein Raum, in dem sowjetische Kolchosbürger an ihren traditionellen Glaubenspraktiken und Weltsichten festhielten und wo Wunder und das plötzliche Aufscheinen göttlichen Heils für möglich gehalten und gefeiert wurden.
Fazit
Wallfahrten zu lokalen Heiligtümern erlebten nach der institutionellen Wiederauferstehung der Russisch-Orthodoxen Kirche im Herbst 1943 eine Renaissance. Als traditionelle Form orthodoxer Glaubenspraxis konnten sie die immer noch schwache Versorgung des ländlichen Raums mit Kirchen kompensieren. Wallfahrten und Prozessionen schufen Räume der Begegnung mit dem Heiligen. Dafür war es unwichtig, ob sie sich auf Orte bezogen, an denen zuvor bereits Kloster, Kirchen oder Kapellen existiert hatten oder die Pilger Orte wie besonders verehrte Quellen, Flüsse oder Bäume aufsuchten, die mit bestimmten Heilserfahrungen wie Visionen oder dem Auffinden von Ikonen verbunden waren, aber (noch) nicht die offizielle Anerkennung der Kirchenhierarchie erfahren hatten. Die Prozessionen zur »Wurzel-Einsiedelei« bei Kursk, die hier im Zentrum stehen, sind als Mischform zu betrachten, da die Pilger nun anstelle der geschlossenen und nicht mehr zugänglichen Klosteranlage die nahe gelegenen verehrten Quellen aufsuchten. Dennoch konnte diese Wallfahrt in den Jahren zwischen 1944 und 1958 bis zu 20 000 Pilger anziehen. Diese Prozessionen gehörten damit zahlenmäßig zu den größten auf dem Gebiet der RSFSR.
Der Partei- und Staatsapparat beobachtete diese Massenversammlungen, ging aber in den Jahren bis zu Stalins Tod aus Rücksicht gegenüber den an die Russisch-Orthodoxe Kirche geknüpften geostrategischen Interessen nicht massiv dagegen vor. Stattdessen versuchten die Moskauer Funktionäre, die Anziehungskraft der Wallfahrten dadurch zu schwächen, dass sie den Priestern die Teilnahme untersagten. Die Wallfahrten zur »Wurzel-Einsiedelei« lockten aber gerade deshalb so viele Pilger an, weil sich die Autorität der Prozession aus den vorrevolutionären Wallfahrtspraktiken speiste. Andererseits war dieser sakrale Ort aktuell kein Kloster und der staatliche Zugriff vermittels der Kirche hier gering.
Die Vertreter der institutionellen Kirche waren bei den sommerlichen Massenprozessionen zur »Wurzel-Einsiedelei« nur am Rande präsent. Zwar trafen sich die Pilger bei den Morgengottesdiensten in der Stadt Kursk und zogen von dort gemeinschaftlich los. Am Zielort der Wallfahrt begegneten die Teilnehmer aber keinem Geistlichen mehr. Dennoch nahmen wohl die meisten Pilger in dem Bewusstsein an der Wallfahrt teil, den orthodoxen Glaubens- und Handlungskanon zu erfüllen und drängten auf die Teilnahme des Bischofs und anderer Geistlicher. Auch wenn der Staat mit seinen Vorgaben und Reglementierungen des christlichen Lebens versuchte, darauf einzuwirken, was Bestandteil orthodoxen Glaubenslebens sein dürfte, scheiterte er an der Renitenz der orthodoxen Laien. Der Hebel, den die Staats- und Parteifunktionäre ansetzten, um den Handlungsspielraum der Kleriker zu begrenzen, war zu kurz, um auch die christlichen Laien zu erreichen.
Für die Pilger wiederum waren die Wallfahrten eine der wenigen Ausbruchsmöglichkeiten aus einem von Armut und schwerer Arbeit geprägten Alltag. Darin lag auch der subversive Gehalt dieser nicht staatlich initiierten und sanktionierten Massenumzüge. Gerade weil die Sinnstiftungsangebote des Staates für große Teile der ländlichen und religiösen Bevölkerung nicht attraktiv (bzw. gar nicht vorhanden) waren, musste es den Staat überfordern, die überlieferten Praktiken orthodoxer Volksfrömmigkeit fortwährend zu kontrollieren und einzuhegen. Diese Erfahrung mussten auch andere Regime machen.51
Die Führungsspitze von Staat und Partei fand in dem langen Jahrzehnt der Blütezeit der Wallfahrten zu keiner einheitlichen Position. Sie schwankte zwischen Initiativen zur Unterbindung der Prozessionen einerseits und der Akzeptanz der Ventilfunktion, die die religiösen Umzüge für einen als marginal eingeschätzten Teil der Bevölkerung boten. Die widerstreitenden Kräfte hinter den Kulissen der Macht schufen einen Freiraum, den das Kirchenvolk zu nutzen wusste. Ihr Eigensinn gegen die willfährige Haltung des orthodoxen Klerus war Voraussetzung für die erstaunlichen Manifestationen religiösen Lebens, die die Massenwallfahrten der Nachkriegszeit waren.
1 Eine Ausnahme bilden die eindrücklichen Erinnerungen von Vera J. Vasilevskaja, einer Moskauer Ärztin, die Mitte der Dreißigerjahre in einer Untergrundgemeinde in Zagorsk bei Moskau getauft wurde und in dieser Zeit als Urlaubsreisen deklarierte Wallfahrten zu längst geschlossenen Klosterkomplexen, u. a. in
die Optina Pustyn’ sowie 1940 nach Sarov und Diveevo unternahm. Siehe Vera J. Vasilevskaja (Hg.): Katakomby XX veka. Vospominanija [Katakomben des 20. Jahrhunderts. Erinnerungen], Moskau 2001, S. 28–30 sowie 74–91.
2 Siehe Schreiben von Georgij G. Karpov, Vorsitzender des Rats für Angelegenheiten der Russisch-Ortho-
doxen Kirche (im Folgenden: ROK), an Nikita Chruščëv, 29. April 1954, in: Rossijskij gosudarstvennyj archiv novejšej istorii/Russisches Staatsarchiv für Neuere Geschichte (im Folgenden: RGANI), f. 5,
op. 16, d. 642, ll. 80-84.
3 Siehe Steven M. Miner: Stalin’s holy war. Religion, Nationalism, and Alliance Politics, 1941–1945, Chapel Hill 2003, besonders Teil II u. III sowie Tatiana A. Chumachenko: Church and State in Soviet Russia, 1941–1961. Russian Orthodoxy from World War II to the Krushchev years, Amonk 2002, S. 15–86.
4 Siehe Gregory L. Freeze: Institutionalizing Piety. The Church and Popular Religion, in: Jane Burbank/David L. Ransel (Hg.): Imperial Russia. New histories for the empire, Bloomington 1998, S. 210–249.
5 Siehe z. B. die Meldung von Georgij G. Karpov über illegales Kirchenleben an das ZK VKP(b), Malenkov; 25. April 1949, in: Rossijskij gosudarstvennyj archiv social’no-političeskoj istorii/Russisches Staatsarchiv für sozialpolitische Geschichte (im Folgenden: RGASPI), f. 17, op. 132, d. 109, ll. 69-77, hier Bl. 72. Publiziert in: Aleksej Beglov: V poiskach »bezgrešnych katakomb«. Cerkovnoe podpol’e v SSSR. [Auf der Suche nach den »sündenlosen Katakomben«. Der kirchliche Untergrund in der Sowjet-
union], Moskau 2008, S. 292.
6 Siehe Andrew B. Stone: »Overcoming Peasant’s Backwardness«. The Krushchev Antireligious Campaign and the Rural Soviet Union, in: The Russian Review 67 (2008), H. 2, S. 296–320, hier S. 297.
7 So im Fall der Wallfahrt am Festtag des Heiligen Nikolaj alljährlich am 22. Mai zum Berg Nikolina Gora im Gebiet Ul’janov oder in Erinnerung an das wundersame Auffinden der Ikone der Gottesmutter in der Stadt Urjupinsk im Gebiet Stalingrad jeweils am 21. Juni. Siehe Georgij G. Karpov an Nikita Chruščëv, 29. April 1954, in: RGANI, f. 5, op. 16, d. 642, ll. 80-84.
8 Siehe Freeze: Institutionalizing Piety (Anm. 4), S. 227.
9 mit dem Moskauer Patriarchat im Jahr 2007 konnte auch die Ikone »vom Zeichen« im Herbst 2009 besuchsweise wieder nach Russland kommen, ist aber weiter im Besitz der immer noch administrativ eigenständigen orthodoxen Auslandskirche. Siehe www.korennaya.ru/ikona/doc00010.html, ges. am 15. August 2011.
10 Siehe den Bericht des Oberinspektors des Rats, A. M. Paškin, an den Vorsitzenden, Georgij G. Karpov, über den Ablauf der Wallfahrten im letzten Jahrzehnt; 7. Oktober 1958, in: Gosudarstvennyj archiv Rossijskoij Federacii/Staatsarchiv der Russischen Föderation (im Folgenden: GARF), f. 6991, op. 2,
d. 229, ll. 1-5, hier Bl. 1. Siehe auch die kurze Passage zur Wallfahrt von Kursk bei Aleksej Beglov:
V poiskach »bezgrešnych katakomb« (Anm. 5), S. 180 f. Allerdings überspannt Beglov mit seinem Fokus auf das »illegale Kirchenleben« den Bogen, wenn er die Wallfahrten zur Wurzel-Einsiedelei als »die auffälligste illegale Wallfahrt in Zentralrussland« charakterisiert: Für die Pilger war es eine traditionelle religiöse Praktik und hatte zumindest in ihrem Selbstverständnis nichts mit Illegalität zu tun.
11 Siehe Zapiska Soveta po delam RPC [Meldung des Rats für Angelegenheiten der ROK], 24. September 1958, in: »Dobit’sja zakrytija tak nazyvaemych ›svjatych mest‹«. Cerkov’ pod kontrolem [»Die Schließung der sogenannten ›heiligen Orte‹ erzwingen.« Kirche unter Kontrolle], in: Istočnik. Vestnik Archiva Prezidenta RF, H. 4 (1997), S. 120–129.
12 Siehe Meldung von Georgij G. Karpov über illegales Kirchenleben an das ZK VKP(b), Malenkov;
25. April 1949, in: RGASPI, f. 17, op. 132, d. 109, ll. 69-77. Publiziert in: Beglov: V poiskach »bezgrešnych katakomb« (Anm. 5), S. 292. Eine der frühesten Meldungen über eine Wallfahrt an die oberste Führung ging 1947 bezeichnenderweise nicht aus dem Rat für Kirchenangelegenheiten ein, sondern erfolgte durch den Innenminister direkt an Stalin, Berija und Ždanov. Siehe Meldung über Massenaufläufe im Gebiet L’vov nach »Gerüchten« über eine Vision der Gottesmutter, 30. August 1947, in: GARF, f. R-9401, op. 2, d. 170, ll. 344-345. Über die Meldungen, die aus dem Geheimdienstapparat eingingen, sind keine Aussagen möglich.
13 Siehe das Protokoll der Synod-Sitzung vom 25. August 1948, in: GARF, f. 6991, op. 2, d. 66a, ll. 44-47, hier Bl. 44f.
14 Siehe Chumachenko: Church and State in Soviet Russia (Anm. 3), S. 87–103.
15 N. Rjabov: Saratovskaja kupel’, in: Pravda. Organ Central’nogo Komiteta i MK VKP(b), 19. Februar 1949, S. 3.
16 Siehe Chumachenko: Church and State in Soviet Russia (Anm. 3), S. 96–98 sowie auch die publizierten Dokumente in Elena Ju. Zubkova (Hg.): Sovetskaja žizn’. 1945–1953 [Sowjetleben. 1945–1953], Moskau 2003, S. 664–668.
17 Siehe Schreiben von Patriarch Aleksij an die Diözesan-Bischöfe, 24. Dezember 1949; Abschrift zur Kenntnis von Georgij G. Karpov, in: GARF, f. 6991, op. 2, d. 73, l. 35. Zitiert nach Natal’ja A. Krivova/Jurij G. Orlov (Hg.): Pis’ma patriarcha Aleksija I v Sovet po delam Russkoj pravoslavnoj cerkvi pri Sovete narodnych komissarov – Sovete ministrov SSSR. 1945–1970 gg. [Briefe des Patriarchen Aleksij I. an den Rat für Angelegenheiten der Russisch-Orthodoxen Kirche beim Rat der Volkskommissare – Ministerrat der UdSSR. 1945–1970], Moskau 2009, Bd. 1, 1945–1953, S. 502 sowie z. B. das Telegramm des Bischofs Ioasaf (Žurmanov) von Tambov und Mičurinsk an Geistliche im Landkreis Sosnovskij mit einem kategorischen Teilnahmeverbot für Andachten an Quellen, 17. Mai 1951. Abschrift zur Kenntnis des Bevollmächtigten, in: Gosudarstvennyj archiv Tambovskoj oblasti/Staatliches Gebietsarchiv von Tambov (im Folgenden: GATO) f. R-5220, op. 1, d. 109, Bl. 253.
18 Siehe die Meldung von Georgij G. Karpov an die Propaganda-Abteilung des ZK vom 8. September 1950 über die von ihm eingeleiteten Maßnahmen zur Eingrenzung der Aktivität der Kirchen, hier ein weiteres Mal mit dem Hinweis auf die von der Kirchenleitung erteilten Verbote hinsichtlich der Teilnahme von Priestern an Prozessionszügen, in: RGASPI, f. 17, op. 132, d. 285, ll. 160-169, hier Bl. 168.
19 Siehe den Bericht des Bevollmächtigten für das Gebiet Kursk für das 2. Halbjahr 1953 an Georgij G. Karpov; 9. Januar 1954, in: GARF, f. 6991, op. 1, d. 1141, ll. 2-14, hier Bl. 7.
20 Siehe das Schreiben von Georgij G. Karpov an die Propaganda-Abteilung des ZK VKP(b), Michail
A. Suslov, in: RGASPI, f. 17, op. 132, d. 497, ll. 141-143.
21 Bericht des Bevollmächtigten für das Gebiet Kursk, Volodin, an den stellvertretenden Vorsitzenden des Moskauer Rats für Kirchenangelegenheiten, Belyšev, über das Gespräch mit Bischof Innokentij am
12. Januar 1954, 25. Januar 1954, in: GARF, f. 6991, op. 1, d. 1141, ll. 34-36, hier Bl. 34.
22 Ebd., Bl. 35.
23 Siehe den Bericht von Georgij G. Karpov an das Büro des ZK der KPdSU der RSFSR und den Ministerrat der RSFSR über Wallfahrten zur »Wurzel-Einsiedelei« vom 20. Juli 1956, in: GARF, f. 6991, op. 1,
d. 1332, ll. 131-132 sowie den Bericht des Bevollmächtigten vom 17. Juni 1958 an den stellvertretenden Vorsitzenden des Rats für Kirchenangelegenheiten, Pavel G. Čerednjak, über die Wallfahrt zur Wurzel-Einsiedelei am 13. Juni 1958, in: GARF, f. 6991, op. 2, d. 229, ll. 6-10, hier Bl. 10.
24 Meldung von Georgij G. Karpov an die Propaganda-Abteilung des ZK, Michail A. Suslov; 27. September 1952, in: RGASPI, f. 17, op. 132, d. 569, ll. 234-238, hier S. 234.
25 Siehe den Bericht von Georgij T. Utkin, , o. D. [Ende 1949], in: RGASPI, f. 17, op. 132, d. 111,
ll. 200-210, hier Bl. 206.
26 Tat’jana Volokitina/Galina P. Muraško/Al’bina F. Noskova: Moskva i Vostočnaja Evropa. Vlast’ i cerkov’ v period obščestvennych transformacij 40 – 50-ch godov XX veka. [Moskau und Osteuropa. Staat und Kirche in der Phase der gesellschaftlichen Transformationen der Vierziger- und Fünfzigerjahre des
20. Jahrhunderts], Moskau 2008, S. 82–159.
27 Siehe Chumachenko: Church and State in Soviet Russia (Anm. 3), S. 30 f.
28 Siehe z. B. den Bericht von Georgij G. Karpov an das Büro des ZK der KPdSU und den Ministerrat der RSFSR vom 20. Juli 1956, in: GARF, f. 6991, op. 1, d. 1332, ll. 131-132.
29 Siehe die verschiedenen Meldungen an die Parteiführung über die katastrophale Situation auf dem Land, publiziert in: Zubkova (Hg.): Sovetskaja žizn’ (Anm. 16), besonders S. 213–266.
30 Siehe Elena Zubkova: Russia after the War. Hopes, Illusions, and Disappointments, 1945–1957. Armonk/New York 1998, besonders S. 59–67.
31 Siehe z. B. den Bericht aus dem Gebiet Gor’ki; 10. Oktober 1952, in: GARF, f. 6991, op. 1, d. 892,
ll. 33-43, hier Bl. 40.
32 Siehe den Bericht von Georgij G. Karpov an das Büro des ZK der KPdSU und den Ministerrat der RSFSR vom 20. Juli 1956, in: GARF, f. 6991, op. 1, d. 1332, ll. 131-132.
33 Abschrift des Briefs von Anastasija Zavozgrjaeva an Bischof Innokentij (Zel’nickij) von Kursk, o. D. [Anfang 1954]; Anhang des Schreibens des Bevollmächtigten Volodin an den stellvertretenden Vorsitzenden des Rats, Belyšev, vom 25. Januar 1954, in: GARF, f. 6991, op. 1, d. 1141, ll. 38-44.
34 Siehe für die Zeit bis 1917 die Untersuchung von Vera Shevzov: Between »Popular« and »Official«: Akafisty Hymns and Marian Icons in Late Imperial Russia, in: John-Paul Himka (Hg.): Letters From Heaven. Popular religion in Russia and Ukraine, Toronto 2006, S. 251–277, hier S. 253–255. Auch in den Sitzungsprotokollen des Heiligen Synod für die Jahre nach 1943 finden sich immer wieder Beschlüsse über die Bestätigung oder Ablehnung von neu verfassten Akafisty für Gottesdienste in bestimmten Eparchien, siehe z. B. Protokoll vom 3. Juni 1948, in: GARF, f. 6991, op. 2, d. 66a, l. 38 sowie vom
23. Juli 1953, in: GARF, f. 6991, op. 2, d. 99a, ll. 53 f.
35 Abschrift des Briefs von Anastasija Zavozgrjaeva an Bischof Innokentij (Zel’nickij) von Kursk,
o. D. [Anfang 1954] (Anm. 33).
36 Siehe Karpov an Chruščëv, 29. April 1954, in: RGANI, f. 5, op. 16, d. 642, ll. 80-84. Der russische Kirchenhistoriker Michail Škarovskij geht kurz auf diese Initiative von Karpov ein, allerdings mit fehlerhaften Quellenangaben, siehe Michail Škarovskij: Russkaja Pravoslavnaja Cerkov’ pri Staline i Chruščeve. Gosudarstvenno-cerkovnye otnošenija v SSSR v 1939–1964 godach. [Die Russisch-Orthodoxe Kirche unter Stalin und Chruščëv. Die Staat-Kirche-Beziehungen in der UdSSR 1939–1964], 3. Aufl. Moskau 2005, S. 348.
37 Siehe Meldung des Parteisekretärs des Gebiets Kursk an den Leiter der ZK-Abteilung für Wissenschaft und Kultur, Aleksej M. Rumjancev; 2. Juni 1953, in: RGANI, f. 5, op. 16, d. 642, ll. 93-95.
38 Aleksej M. Rumjancev u. a. an N. Chruščëv, 27. Juni 1953, in: RGANI, f. 5, op. 16, d. 642, ll. 111-112.
39 Aus: F. Garkavenko (Hg.): O religii i cerkvi. Sbornik dokumentov. [Über Religion und Kirche. Dokumentenband], Moskau 1965, S. 71–77, hier S. 72. Eine gekürzte deutsche Fassung des ZK-Beschlusses (ohne dieses Zitat) ist publiziert in: Peter Hauptmann/Gerd Stricker (Hg.): Die Orthodoxe Kirche in Rußland. Dokumente ihrer Geschichte (860–1980), Göttingen 1988, S. 802 f.
40 »Über Fehler in der wissenschaftlich-atheistischen Propaganda unter der Bevölkerung. Beschluss des ZK der KPdSU (10. November 1954)«, nach ebd., S. 804 f.
41 Siehe Škarovskij: Russkaja Pravoslavnaja Cerkov’ pri Staline (Anm. 36), S. 348. Zur Herausbildung von Stalins Position, das Moskauer Patriarchat für seine Außenpolitik zu instrumentalisieren, siehe Miner: Stalin’s holy war (Anm. 3), S. 51–92.
42 Siehe Škarovskij: Russkaja Pravoslavnaja Cerkov’ pri Staline (Anm. 36), S. 352–362 sowie Stone: »Overcoming Peasant’s Backwardness« (Anm. 6), S. 301.
43 Siehe Vypiska iz protokola No. 193 zasedanija Prezidiuma CK KPSS ot 28 nojabrja 1958 goda [Auszug aus dem Protokoll Nr. 193 der Sitzung des Präsidiums des ZK der KPdSU vom 28. November 1958],
in: »Dobit’sja zakrytija tak nazyvaemych ›svjatych mest‹« (Anm. 11), S. 127 f.
44 Siehe die Zusammenstellung der Leiter der Propaganda-Abteilung des ZK, Leonid F. Il’ičëv und V. Moskovskij, 16. Juli 1959, in: RGANI, f. 5, op. 33, d. 125, ll. 132-136, hier Bl. 135. Die Meldungen der einzelnen Parteikomitees sind in der gleichen Akte einsehbar.
45 Bericht des Sekretärs des Gebietskomitees der KPdSU für das Gebiet Kursk, I. B. Dudkin, über die Umsetzung des ZK-Beschlusses vom 28. November 1958 (Maßnahmen zur Beendigung der Wallfahrten), 8. Juli 1959, in: RGANI, f. 5, op. 33, d. 125, ll. 123-128, hier Bl. 123 und 127 f.
46 Ebd.
47 Siehe Maßnahmenplan des Bevollmächtigten des Gebiets Kursk für das 1. Halbjahr 1961, in: GARF, f. 6991, op. 1, d. 1866, ll. 1-6, hier Bl. 2; Jahresbericht für 1961, in: GARF, f. 6991, op. 1,
d. 1967, ll. 1-33, S. 24 sowie Jahresbericht für 1962, in: GARF, f. 6991, op. 1, d. 2066, ll. 1-34, S. 19. Leider sind die Unterlagen des Rats für Kirchenangelegenheiten für die Jahre ab 1964 noch nicht zur Einsicht freigegeben, sodass keine Aussagen darüber möglich sind, ob die Wallfahrten nach dem Ende von Chruščëvs Amtszeit wieder auflebten.
48 Siehe Jahresbericht für 1962; 19. Februar 1963, in: GARF, f. 6991, op. 1, d. 2066, ll. 1-34, S. 19.
49 Siehe Meldung des stellvertretenden Vorsitzenden des Rats, Pavel G. Čerednjak, an die Propaganda-Abteilung des ZK; 13. August 1960, in: GARF, f. 6991, op. 1, d. 1747, ll. 146-156, hier Bl. 154. So sei im Juni 1960 eine Gruppe von 600 Pilgern aus der Stadt Kirov 70 Kilometer zum Fluss Velikaja gezogen, ohne dass sich ihnen jemand in den Weg gestellt habe; während im Gebiet Tula sogar um die 3000 Menschen eine Quelle im Dorf Tjurten’ aufsuchten.
50 Siehe Stone: »Overcoming Peasant’s Backwardness« (Anm. 6), S. 311–320.
51 Siehe Anna Maria Zumholz: Volksfrömmigkeit und totalitäres NS-Regime. Marienerscheinungen in Heede/Emsland 1937 und 1940, in: Bernhard Schneider (Hg.): Maria und Lourdes. Wunder und Marienerscheinungen in theologischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive, Münster 2008, S. 198–223 sowie Steve Smith: Local Cadres Confront the Supernatural. The Politics of Holy Water (Shenshui) in the PRC, 1949–1966, in: The China Quarterly 188 (2006), S. 999–1022.