JHK 2013

Der dritte Weg: Eine Zeitschrift, die eine antistalinistische Theorie und Politik in der SED verbreiten wollte (1959–1964)

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 315-346 | Aufbau Verlag

Autor/in: Hermann Weber

Der Begriff eines »dritten Weges« ist in der Politik und Wissenschaft bekannt. Mit dem Terminus werden jedoch unterschiedliche Vorstellungen verbunden.1 Gemeint sind damit in diesem Beitrag nicht jene Richtungen wie die vom »deutschen Sonderweg«, auch weniger sozialistische Ideen, die die Vision eines »dritten Weges zwischen Bolschewismus und Reformismus« vertraten, wie z. B. der linke Austromarxismus.2 Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen vielmehr innerkommunistische Strömungen. Die These, dass nicht nur der Kapitalismus, sondern auch das System der Sowjetunion zu befehden sei, haben ab 1920 Linkskommunisten in Westeuropa und Deutschland vertreten.3 Im Stalinismus sind dann zahlreiche kommunistische »Abweichungen« für das Ziel eines »dritten Weges« (mehr oder weniger prägnant) eingetreten.4 Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen mit der Ausbreitung stalinistischer Diktaturen die Überlegungen zu einem »dritten Weg« stärker zur Geltung, was auf die DDR ebenfalls zutraf.5

Mit einem solchen Modell setzte die innerkommunistische Opposition auf eine Gesellschaft jenseits von Stalinismus und Kapitalismus. Schon 1948 war durch die Loslösung der KP Jugoslawiens von Stalin eine besondere Richtung, der »Titoismus«, entstanden, die allerdings wegen ständiger Verfolgungen im Ostblock nicht an Einfluss gewinnen konnte.6

Im Westen, auch in der Bundesrepublik, bildeten sich unter dem Slogan »Weder Ost noch West« Gruppierungen heraus, die Dritte-Weg-Konzeptionen verkündeten.7 Diese Losung verbreitete 1957/58 die sozialdemokratische Jugendorganisation »Die Falken«.8

Die ersten Enthüllungen Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 über Stalins Verbrechen führten nicht nur zu einer ideologischen Krise, sondern auch zu neuer innerkommunistischer Opposition. Der bisherige offizielle Lügenkult der KPen für Stalin wurde mit der Aufdeckung der schlimmen Seiten des stalinistischen Regimes teilweise enthüllt und veranlasste auch Kommunisten zu kritischem Nachdenken. In Ungarn und Polen erhielt diese Opposition Bedeutung, selbst in der DDR stießen die Ideen eines »dritten Weges« auf Resonanz. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ermittelte 1956/57 gegen ein großes Umfeld von Anhängern dieser Opposition.9 Die Mitglieder der sogenannten Harich-Gruppe wurden verhaftet und im Jahr 1957 zu hohen Strafen verurteilt.10

Vor diesem Hintergrund sind die Anstrengungen für die Entstehung der Zeitschrift Der dritte Weg zu sehen. Sie erschien ab 1959 fünf Jahre lang in Köln und sollte in das Funktionärskorps der SED hineinwirken. Im Folgenden wird über die Zeitschrift berichtet und neben Quellenbelegen auch meine persönliche Erfahrung als beteiligter Zeitzeuge einbezogen. Mir als letztem noch lebenden Mitarbeiter (Wolfgang Leonhard war anfänglich wegen England-Aufenthalten nur am Rande beteiligt), scheinen eigene Erinnerungen und Privatdokumente wichtig.11

Vorläufer der Zeitschrift

Chruschtschows Rede vor Delegierten auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956, in der erstmals offiziell Kritik an Stalin geübt wurde, blieb im Ostblock zunächst geheim. Von westlichen Medien aber schon bald veröffentlicht, schlug sie wie eine Bombe ein. Seine Enthüllungen über Stalins Repressionen fanden bei Kommunisten und ebenso bei Ex-Kommunisten große Aufmerksamkeit.

Das galt besonders für eine Reihe führender SED-Funktionäre, die in die Bundesrepublik geflüchtet waren und weiterhin Kontakt zueinander hatten. Sie waren Anhänger des »dritten Weges«, wohnten in Köln oder im Ort Kasbach am Rhein, wo etliche bei Jo Scholmer (d. i. Joseph Schölmerich) Unterstützung gefunden hatten. Dieser war 1954 aus dem stalinistischen Gulag Workuta, in dem er inhaftiert gewesen war, zurückgekehrt 12 und wurde durch seinen Bericht über die Stalin’schen Verbrechen bekannt.13

Schon bald gab es Verbindung mit Wolfgang Leonhard, der mit seinem 1955 erschienenen Buch Die Revolution entlässt ihre Kinder berühmt geworden war, und Heinz Lippmann, dem 1953 aus Ost-Berlin geflüchteten Stellvertreter Honeckers, in Köln.14 Lippmann und Schölmerich überlegten 1956/57, wie die Konzeption des »dritten Weges« in der DDR oder in der kleinen westdeutschen KPD verbreitet werden könne. Nachdem der Text der Chruschtschow-Rede bekannt wurde, berieten Lippmann und Ilse Spittmann (Redakteurin des SBZ-Archivs, später Chefredakteurin des Deutschland Archivs), Hans Spittmann, der wenige Jahre vorher in der Führung UAPD aktiv war,15 mit Leonhard, Scholmer und mir, wie im Sinne eines »dritten Weges« in die westdeutsche KPD sowie die SED hineingewirkt werden könne. Doch die Finanzierung schien mehr als schwer – wir waren alle »arm wie Kirchenmäuse«.

In Mannheim stand ich in freundschaftlicher Verbindung zu Willy Boepple, einem führenden Trotzkisten, der unsere Pläne wohlwollend befürwortete und organisatorisch unterstützte. Inzwischen war ich auch mit Stefan Thomas bekannt, dem Leiter des Ostbüros der SPD in Bonn. Nach einigen Diskussionen war Thomas bereit, aus von uns gelieferten Matrizen hektographierte Exemplare einer »Zeitschrift« herzustellen; außerdem half er uns finanziell.16 Unterstützung erhielten wir auch von Edu Wald aus dem DGB-Vorstand.17 Auf diese Weise gelang es uns, Ilse und Hans Spittmann, Heinz Lippmann und mir (wegen sehr großem Zeitmangel beteiligte sich Wolfgang Leonhard nur mit finanziellen Mitteln und Jo Scholmer durch Ratschläge), erstmals unter dem Datum »Ende Mai 1956« ein hektographiertes Blättchen mit dem Titel Der neue Kurs, Frankfurt/M. Nr. 1, anzufertigen. Es wurde an etliche Funktionäre von KPD und SED verschickt – mit der Anrede »Werte Genossin, werter Genosse«. Dass wir gar nicht mehr »der Partei« angehörten, wurde – natürlich – aus taktischen Gründen verschwiegen.

In der Einführung hieß es, die »Haltung unserer eigenen Partei, der KPD« zum XX. Parteitag sei »unter aller Kritik«. Darüber hinaus wurde festgestellt, der »Parteivorstand will mit allgemeinen Redensarten die gerade für unsere Partei so notwendigen Konsequenzen aus dem XX. Parteitag verhindern!«. Pressestimmen englischer, polnischer und chinesischer Kommunisten wurden als Gegenbeispiele abgedruckt. Das wichtigste wiedergegebene Dokument war das sogenannte Testament Lenins gegen Stalin vom Dezember 1922, dessen Existenz die KPD/SED noch immer leugnete.

Zwar wurden mehrere hundert Exemplare des Neuen Kurses verbreitet, aber es gab kein Echo.18 Es war utopisch, was ich in einem Brief an Stefan Thomas mit »besten Dank für das Abziehen des Materials, das hoffentlich ein bisschen einschlägt«, schrieb und im Mai 1956 noch erwartet hatte. Ursprünglich wollten wir in der Nr. 2 ein kritisches Interview des KPI-Chefs Togliatti bringen. Aber kurz vor Fertigstellung veröffentlichte das KPD-Organ Freies Volk doch noch einen Abdruck dieses Togliatti-Interviews, worüber mich Ilse Spittmann am 25. Juni informierte. Natürlich nahmen wir das nun für deutsche Kommunisten zugängliche Interview heraus. Außerdem müsste, wie Ilse Spittmann mir schrieb, ein »Satz aus Deinem Kommentar gestrichen werden«. Der sollte schnell ersetzt werden, denn die Matrizen mussten am 27. Juni abgeliefert werden. Die technische Herstellung war für uns also komplizierter als die politische Linie.19

Unter dem Datum »Ende Juni 1956« konnte dann die Nr. 2 von Der Neue Kurs erscheinen. Wiederum wurde betont, dass wir »wichtige Materialien für die Diskussion in unserer Partei, die von der Parteileitung verheimlicht werden, zugänglich« machen wollten. Aber den Hauptteil dieser Nr. 2 bildete die Geheimrede Chruschtschows, dazu hieß es, sie »liegt dieser Nummer bei«. Es war der deutsche Text der Rede, der in der Stuttgarter Zeitung vom 16. Juni veröffentlicht worden war.

Genügend Exemplare davon hatte mir der bekannte Sozialist Fritz Lamm,20 lange Betriebsratsvorsitzender bei der Stuttgarter Zeitung, verbilligt geschickt, so dass sie mit der nur zweiseitigen Nr. 2 versandt werden konnten. In einem Kommentar verwiesen wir darauf, dass in der Rede »nichts von der verhängnisvollen Rolle Stalins auf die Politik der anderen Kommunistischen Parteien (und besonders der deutschen) zu lesen ist. Hier fängt unsere Aufgabe an. Wir müssen die Politik Stalins in Deutschland und die Politik der deutschen Stalins schonungslos aufdecken und Konsequenzen ziehen.« Doch auch hierauf gab es keine Reaktionen.

Schwieriger wurde es mit der geplanten Nr. 3 des Neuen Kurses. Am 26. Juni schrieb ich Ilse Spittmann: »Nr. 2 kam noch vor meiner Abreise und ist inzwischen plus Rede verschickt […] Habt Ihr Euch auch mal über Nr. 3 unterhalten? Es ist wirklich blöde, dass man so weit auseinanderwohnt.« Als Beilage hatten wir einen Artikel von Leo Bauer vorgesehen.

Leo Bauer war als Chefredakteur des Deutschlandsenders der DDR 1950 dort verhaftet worden, um als Altkommunist und Westemigrant für einen geplanten stalinistischen Schauprozess »präpariert« zu werden. Von den Sowjets zum Tode verurteilt, später »begnadigt«, hat er nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion über die stalinistischen Verfolgungen und ihre Hintergründe berichtet.21 Die Fertigstellung der Nr. 3 zog sich bis August hin. Am 8. August schrieb ich an Ilse Spittmann: »Was ist mit NK? Kannst Du Deinen Artikel nach den jüngsten [Max] Reimann-Erklärungen vervollständigen? Wenn allerdings diesen Monat [August] das Verbot [der KPD] käme, wäre es m. E. sowieso aus. Was denkst Du?«

Tatsächlich wurde die KPD eine Woche später, am 17. August, vom Bundesverfassungsgericht verboten. Diese fatale Entscheidung machte es der stalinistischen Parteispitze leicht, jede Diskussion über Stalin abzuwürgen.22 Der Übergang in die Illegalität schien auch kritischen Funktionären wichtiger als freie Diskussionen. Der Neue Kurs war ein Misserfolg. Nach dem Aufstand in Ungarn wollte uns Stefan Thomas im November 1956 überreden, noch »2–3 Nummern so schnell wie möglich« fertigzustellen. Doch wir hatten inzwischen andere Ideen. Ob die eigentlich fertige Nr. 3 überhaupt noch »produziert« oder gar verteilt wurde, lässt sich nicht mehr feststellen, so merkwürdig das klingen mag.23

Schon im Spätherbst 1956 arbeiteten Jo Scholmer, Heinz Lippmann und ich intensiv an einem Buch 100 Fragen an die SED, um den Gegensatz von Marxismus und sozialistischer Tradition zur stalinistischen Diktatur in der DDR darzustellen. Bereits Ende 1956 wurde der Vertrag mit der Deutschen Verlags-Anstalt unterschrieben. Doch erst 1958 erschien, nach mancherlei Schwierigkeiten,24 das Buch: Hermann Weber, Lothar Pertinax, Schein und Wirklichkeit in der DDR. 65 Fragen an die SED, DVA Stuttgart.25

Da das Ostbüro der SPD eine Sonderausgabe von 3000 Exemplaren, davon 2000 in der DDR illegal, verbreitete, war die Absicht, die Ideen des »dritten Weges« in die SED zu streuen, vorangebracht.

Entstehung und erste Ausgaben der Zeitschrift

Nach dem Erfolg des Buches plante Jo Scholmer (ihm war es ja gelungen, »Schein und Wirklichkeit« bei einem eher konservativen Verlag unterzubringen) eine Taschenbuchreihe, doch das Projekt musste aufgegeben werden. Es blieb Lippmanns Vorstellung, mit einer kleinen Zeitschrift unsere Ideen in die DDR zu schmuggeln. Stefan Thomas vom Ostbüro der SPD, der den Neuen Kurs ebenso wie Schein und Wirklichkeit unterstützt hatte, lehnte Anfang 1959 jede Hilfe dafür ab. Die Absicht, die SED-Politik nicht nur mit Argumenten von Marx, sondern auch von Lenin anzugreifen, widersprach seiner sozialdemokratischen Strategie, die er mit vielen Materialien in der DDR verbreitete. Bei Schein und Wirklichkeit hatte er unsere Meinung noch toleriert, aber für eine Zeitschrift wollte er »keinen Pfennig« zuschießen.

Nach dieser Abfuhr wollte Jo Scholmer mit Gewerkschaftern verhandeln, auch Lippmann war auf Geldsuche. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben und war deshalb völlig überrascht, als mir beide im März 1959 mitteilten, Gewerkschafter würden ein achtseitiges kleines Monatsblättchen finanzieren, die relativ geringen Kosten deren Hans-Böckler-Stiftung tragen. Erstaunlich, aber Lippmann ließ durchblicken, dass Edu Wald dafür gewonnen wurde. Dieser sagte mir jedoch später, er habe die Idee einer Zeitschrift unterstützt, mit der Finanzierung aber nichts zu tun. Lippmann betonte, für die Finanzierung und den Versand sei er zusammen mit Jo Scholmer zuständig. Wir wurden uns einig, dass die Beiträge zunächst vor allem von uns dreien zu schreiben waren, die Vorbereitung der Zeitschrift sollte Lippmann in Köln mithilfe von Scholmer übernehmen.

Am 3. April 1959 wandte sich Jo Scholmer an mich: »Ich muss Dich noch bitten, für die Zeitschrift einen Artikel zum 40. Jahrestag der KPD-Gründung zu schreiben […] Die Nummer muss am 8.4. fertig sein.« Ich antwortete ihm am 5. April, der Artikel zur Wandlung des deutschen Kommunismus komme mit der Post. Da es in Köln Verzögerungen gab, schickte ich Heinz Lippmann dann am 10. April »in der Anlage zwei Artikel« für eine Spalte »Theoretische Probleme«. Er sollte auswählen, ob er »Die Rolle der Partei« oder »Der verschwiegene Marxsche Humanismus« abdrucken wollte (letzterer kam dann erst in der nächsten Ausgabe). Nun musste es schnell gehen.

Tatsächlich kam die Nr. 1 im Mai 1959 als eine achtseitige DIN-A4-Dünndruckausgabe heraus: Der dritte Weg. Zeitschrift für modernen Sozialismus. Verantwortlich zeichnete »Bernhard Bergen«, Koblenz – das war Heinz Lippmann. Gedruckt wurde bei Oster und Steffens in Köln. Die Druckerei lag ganz in der Nähe von Lippmanns Wohnung, mit dem Chef hatte er in seiner Stammkneipe viele politische Gespräche geführt. Von Anfang an war klar, dass Heinz Lippmann die Zeitschrift (nicht zu Unrecht) als »sein Werk« ansah.

Zunächst wurden alle Artikel nur unter Pseudonymen veröffentlicht. In der ersten Nummer erschienen sechs Beiträge, außerdem zwei Berichte (zum 1. Mai und ein Nachdruck aus einer Belgrader Zeitung). Die Rubrik »Die Euch regieren« über Paul Verner war von Hans Lesser (Lippmann). Danach gab es einen Beitrag zur Wandlung des Kommunismus: »Von Liebknecht zu Ulbricht«, sowie »Die Rolle der Partei« (»Theoretische Diskussion«). Beide waren unter den Pseudonymen Karl Stein bzw. Walter Hansen von mir. Es folgten: »Der polnische Weg zum Sozialismus« (Hans Hoffmann) sowie »Der Fall Loest« (Peter Altenberg), letzterer (und vermutlich auch »Hoffmann«) war von Jo Scholmer.

Der entscheidende einleitende Artikel lautete »Zwischen Stalinismus und Kapitalismus«. Dafür zeichnete Harald Ludwig, also Heinz Lippmann. In der Diskussion dieser grundsätzlichen Darlegung hatten sowohl Jo Scholmer als auch ich Veränderungen durchgesetzt. Mein Vorschlag, die Überschrift in »Gegen Stalinismus und Kapitalismus« zu ändern, wurde von beiden verworfen, ihr Argument: Der dritte Weg würde dann zu sehr auf »Weder Ost noch West« reduziert. Damals war diese Losung ja verbreitet. Ich bestand aber darauf, den Satz einzufügen: »In einem wiedervereinigten Deutschland darf es weder zu einer kapitalistischen Restauration noch zu einem Sieg des stalinistischen Parteiapparates kommen«. So stand es dann auch im Artikel. Das zeigt – worauf noch zurückzukommen ist –, dass einige Behauptungen über die Festlegung der »Linie« der Zeitschrift falsch sind.26

Die erste Nummer des Dritten Weges war also von nur drei Personen konzipiert und geschrieben. Im Juni 1959 sollte die zweite Ausgabe erscheinen, doch es gab finanzielle Probleme. Ich war zeitlich nicht in der Lage Hilfe zu leisten, denn ich war inzwischen Chefredakteur der Falken-Zeitschrift und begann schrittweise in die Wissenschaft einzusteigen; bereitete mein Projekt zur KPD-Geschichte vor.27 So lag die Organisationsarbeit allein bei Lippmann und Scholmer in Köln.

Doch vor allem Lippmann war überlastet. Er kam mit seinem Manuskript über Strategie und Taktik des Stalinismus nur sehr langsam voran. Weil ich bei der Bundeszentrale für politische Bildung für diese Arbeit die Verantwortung übernommen hatte, drängte ich ihn seit Januar und vor allem im April und Mai 1959, seiner Verpflichtung endlich nachzukommen. Die Fertigstellung der zweiten Ausgabe verzögerte sich.

Erst im Juli 1959 kam dann Der dritte Weg als Doppelnummer 2/3 Juni/Juli heraus, erweitert auf zwölf Seiten. Zwei Artikel waren von Lippmann, einer von Scholmer, ein weiterer sowie eine Buchbesprechung von mir; die anderen Beiträge waren meist ungezeichnet oder Nachdrucke. Krach entstand wegen des Beitrags »Die Revolution gegen die Bürokratie« aus dem Buch Die verratene Revolution. Lippmann hatte dessen Autor nicht genannt: Leo Trotzki. Ich schimpfte, ob er etwa von jemandem Aufträge bekomme. Das wies er wütend zurück: Er habe nur die SED-Leser nicht mit Trotzkis Namen provozieren wollen. Tendenz und Themen unterschieden dieses Heft (ebenso wie Nr. 4 im August) generell nicht von der ersten Nummer, auch die Autoren waren dieselben. Eine Erweiterung des Mitarbeiterkreises war nun dringend nötig.

Die Weltfestspiele der kommunistischen Jugend in Wien im August 1959 boten uns eine Möglichkeit, mit FDJ-Führern ins Gespräch zu kommen. Wolfgang Leonhard, Leo Bauer, Lippmann und Scholmer waren in verschiedenen Funktionen in Wien, ich offiziell als Chefredakteur der jungen gemeinschaft, der Falken-Zeitschrift.28 In Wien hatten Lippmann und Scholmer unter Anhängern des »dritten Weges« auch nach Mitarbeitern gesucht, fanden aber kaum neue Autoren. Die Artikel der September-Ausgabe waren fast ausschließlich den Weltfestspielen gewidmet und in der Hauptsache von Lippmann und Scholmer verfasst.

Im September 1959 wurde Der dritte Weg auch öffentlich als Zeitschrift bekannt, weil Der Spiegel über das (nun immer zwölfseitige) Blättchen berichtete. Das Magazin schrieb über »ideologische Opposition« in der DDR »unter Hochschülern, jüngeren Dozenten und Literaten« und Ulbrichts Kampf gegen den »dritten Weg«.29 Der Spiegel glaubte, »ausgerechnet einer Zeitschrift solcher Ideal-Kommunisten, einem obskuren, seit Mai dieses Jahres in Koblenz erscheinenden Blättchen, widerfuhr die Ehre, für die größte ideologische Abwehrkampagne in der Geschichte der SED den Titel liefern zu dürfen. ›Der dritte Weg, Zeitschrift für modernen Sozialismus‹ wird von Republikflüchtigen gemacht, die zwar Überläufer sind, aber keine Konvertiten. Sie wollen ›regelmäßig Beiträge zu Fragen der Theorie, zur Parteigeschichte und zur aktuellen politischen Problematik‹ veröffentlichen. Ihr politisches Programm: ›Die wichtigste Voraussetzung ist, die SED von innen heraus zu reformieren. Die Positionen des Marxismus-Leninismus müssen erhalten bleiben, aber sie müssen von ihrer stalinistischen, dogmatischen Entartung befreit werden.‹«30

Das stellte zwar die Dinge auf den Kopf, denn nicht das »obskure« Blättchen hatte der Bewegung seinen Namen gegeben, vielmehr war die Zeitschrift ja nach der Bewegung benannt. Aber es war eine wichtige Werbung für das Blatt, was die steigende Zahl der Leserbriefe zeigte. Ich selbst war stolz, weil Absätze aus meinem Artikel über Wandlungen der KPD (»Von Liebknecht bis Ulbricht«, in Nr. 1) wiedergegeben waren. Noch in der September-Nummer des Dritten Weges wurde Lippmanns (Bernhard Bergen) Leserbrief an den Spiegel abgedruckt, in dem er den Fehler bei der »Namensgebung« Dritter Weg klarstellte. Der Spiegel hatte den Brief jedoch nicht veröffentlicht.

Nachdem alle Beiträge von Mai bis September nur von uns verfasst waren, kamen danach endlich neue Mitarbeiter hinzu. Im Oktoberheft (Nr. 6) schrieb Manfred Hertwig als Erster unter Klarnamen einen Bericht über die Harich-Gruppe, der er angehört hatte, nach der Haft war er geflohen. Jo Scholmer teilte mir am 17. Oktober mit: »In Manfred Hertwig, den ich einige Male gesprochen habe, haben wir einen guten und fähigen Verbündeten gewonnen […] Wenn ich früh genug Bescheid weiß, wann Du kommst, würde ich versuchen, Euch für einen Abend zusammenzubringen.«

Der nächste, der zur Gruppe um den Dritten Weg stieß, war Rudolf Schröder, der im September 1959 aus der DDR geflohen war und anfangs in Kasbach lebte.31 Seit Oktober schrieb er zunächst unter den Pseudonymen Li Te Tschin und Richard Schwarz. Ab Februar 1960 wurde er dann bis zur letzten Ausgabe offiziell im Impressum als Herausgeber aufgeführt. Auch namentlich ungezeichnete Artikel wurden vermehrt abgedruckt. Schon bald kannte ich nicht mehr alle Mitarbeiter, da ich nur an wenigen Redaktionssitzungen teilnehmen konnte.

Ende 1959 gab es einen weiteren Fortschritt. Am 4. Dezember schrieb mir Heinz Lippmann: »Wann kommst Du nach Köln? Wir haben sehr wichtiges zu besprechen, weil hier der letzte Chefredakteur des ›Sonntag‹, Heinz Zöger, eingetroffen ist, der im Harich-Prozess zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.« Das war eine positive Nachricht, denn nun bekamen wir einen wirklichen Fachmann für die Redaktion.

Der dritte Weg im Jahr 1960

In der Nummer 8, der letzten Ausgabe 1959, hatte Lippmann im Artikel »Perspektiven für 1960« einen Ausblick auf die Situation der DDR und der Bundesrepublik gegeben, der sehr allgemein gehalten war. Im Westen war das Blatt durch den Spiegel-Artikel bekannt geworden, nun galt es, neue Autoren zu gewinnen (in den Ausgaben 7 und 8 gab es wieder nur Artikel von Lippmann, Scholmer, Schröder und mir). Gegenüber der DDR sollte auch 1960 die inhaltliche Grundlinie beibehalten werden, was bedeutete, an den Prinzipien des »dritten Weges« festzuhalten.

Darüber diskutierten wir auf einer Redaktionskonferenz am 18. Dezember 1959, die der Kritik an der letzten Nummer und der Vorbereitung der Januar-Ausgabe 1960 diente. Es war eine der wenigen Redaktionssitzungen, an denen ich teilnehmen konnte, weil ich von einer Vortragsreise auf dem Rückweg nach Mannheim in Köln Station machte. Außer mir war die »Kernmannschaft« anwesend, d. h. Heinz Lippmann, Jo Schölmerich, Rudi Schröder und Heinz Zöger sowie als »Berater« Wolfgang Leonhard und Fritz Schenk, der für die Mitarbeit gewonnen werden sollte.32 Die Diskussion war lebhaft, nur in Einzelfragen kontrovers und mir schien, dass hier die Linie des Blattes ohne Einfluss von außen festgelegt wurde.

Neben der Kritik am Kapitalismus stand weiterhin der Kampf gegen den Stalinismus der SED im Mittelpunkt. Auch 1960 sollte der Gegensatz von Stalinismus und Marxismus thematisiert werden. Mit Blick auf die Sowjetunion und die »Volksdemokratien« galt es, die Positionen des »dritten Weges« zu beleuchten. Wie weit diese Konzeption 1960 durchgehalten wurde, ist schwer zu entscheiden.

Schon in der Nummer 1, die im Januar 1960 erschien, schrieb Heinz Zöger unter dem Pseudonym Hans Zander über die ungarische KP und Rudolf Schröder (Reiner van Kerkhoff), über Schulpolitik – der Themenkreis wurde also ausgedehnt. Erstmals wurde von Helmut Fleischer (F. Roth) in drei Fortsetzungen die stalinistische Philosophie ausführlich kritisch dargestellt. Zur Theorie und Praxis des »dritten Weges«, die bisher nur von mir behandelt worden waren, schrieb in der zweiten Ausgabe Ernest Salter. Die wachsende Zahl der Mitarbeiter konnte jedoch nicht über Finanzierungsprobleme hinwegtäuschen. Diese waren laut Lippmann der Grund für die Zusammenlegung von zwei Ausgaben: März/April und November/Dezember 1960 erschienen im jeweils üblichen Umfang von zwölf Seiten nur als Doppelnummern.

Ein Jahr nach Gründung sollte im Mai 1960 die Nummer 5 den Durchbruch bringen. Wir wollten, dass die Autoren aus der Anonymität herausträten und mit ihrem richtigen Namen zeichneten. Tatsächlich war der Leitartikel mit Heinz Zöger, ein Artikel mit Hermann Weber, ein anderer mit Rudolf Schröder unterzeichnet. Doch das war alles, bei den übrigen Beiträgen blieben Tarnnamen. Heinz Lippmann und Jo Schölmerich veröffentlichten ihre Beiträge sogar bis zur letzten Ausgabe der Zeitschrift unter Pseudonymen. Mit richtigem Namen unterschrieben in den folgenden Nummern außer Zöger und mir, nur Rudolf Schröder, Wolfgang Leonhard, Günther Zehm und Fritz Schenk. Auch Carola Stern behielt ihr Pseudonym Angelika Kauffmann bei. Ansonsten war das äußere Erscheinungsbild der Zeitung lebhafter geworden. Immer kürzere Artikel erschienen unter Decknamen, die kaum noch zu enthüllen sind. Aber auch Gedichte und Artikel von Schriftstellern wie Gerhard Zwerenz, Erich Fried u. a., die mit ihrem Namen zeichneten, wurden gedruckt.

Auf Inhalte der Zeitschrift im Jahr 1960 kann hier nicht eingegangen werden, sondern nur auf wenige Probleme. Mit der offiziellen Übernahme der Redaktion durch Heinz Zöger zusammen mit Heinz Lippmann änderte sich die Linie kaum, auch wenn Lippmann eine »Rechtsabweichung« befürchtete.33 Lippmann war froh, als er uns im Frühjahr 1960 einen neuen Mitarbeiter nennen konnte. Endlich ein Ökonom – damit war auch dieser Bereich abgedeckt. Es handelte sich um Walter Barthel, bekannt als Linkssozialist, tatsächlich aber Stasi-Agent. Bereits im Mai erschien ein Artikel von ihm über »Fragen der politischen Ökonomie«. Ab Juni 1960 war er ein eifriger Schreiber, obwohl er sich wegen seiner Mitarbeit an der Zeitschrift gegenüber seinen Auftraggebern von der Stasi, die ihm das befohlen hatten, zunächst noch zierte.34

Vor allem Jo Scholmer war der Auffassung, dass nicht nur neue Mitarbeiter nötig seien, sondern auch ein Zusammenschluss der Anhänger des »dritten Weges«. Nach einem Gedankenaustausch erreichten wir, dass im März 1960 in Kasbach eine Konferenz stattfand. Organisator und Finanzier war »Arbeit und Leben«, die Arbeitsgemeinschaft von DGB und Volkshochschulen. Deren Leiter, mein Freund Hans Boulboullé, wollte die Frage des »Revisionismus« – so bezeichneten die Stalinisten die Richtung des »dritten Weges« – auf der zweitägigen Sitzung diskutieren und aus den Ergebnissen der Debatte eine Broschüre erstellen. Die inhaltliche Ausrichtung blieb uns überlassen, und schon am 17. Februar 1960 berichtete Lippmann dem »lieben Pit« (das war Michael Gromnica, ein Geheimagent der Stasi) über Einzelheiten der geplanten Tagung, etwa über Kurzreferate u. a. von Manfred Hertwig, Walter Barthel und Helmut Fleischer.35

Die Tagung mit rund 15 Teilnehmern fand am Samstag und Sonntag, den 26./27. März in Kasbach statt. Unter Leitung Boulboullés wurde über Referate von Zöger, Scholmer, Hertwig, Schröder, Barthel, Heinz Brandt und mir diskutiert, Lippmann hielt sich im Hintergrund.36 Anwesend waren außerdem Wolfgang Leonhard (nur kurz, da er nach England reiste) und ebenso Carola Stern.37 Zu den weiteren Teilnehmern gehörten Helmut Fleischer, Ötte Krämer (Jugendsekretär im Vorstand der SPD), »Pit« Gromnica, zeitweise Ernest Salter, Fritz Schenk, Peter Jokostra, Peter Kasten sowie zwei weitere Mitarbeiter von »Arbeit und Leben«.

Das Ergebnis der Tagung waren lediglich zwei Broschüren über »Revisionismus«, die »Arbeit und Leben« erst 1961 bzw. 1962 veröffentlichte.38 Die von Jo Scholmer erhoffte Konstituierung einer eigenen Gruppe »Dritter Weg« war nicht gelungen. Es blieb bei der Zeitschrift, die er, Heinz Lippmann und Heinz Zöger maßgeblich gestalteten. Die »Kasbacher Konferenz« fand im Blatt übrigens keine Erwähnung.

Ende 1960 startete Lippmann noch eine Kampagne für den Dritten Weg. Am 26. Oktober schrieb er mir: »Für die November-Nummer unserer Zeitschrift haben wir vor, den Artikel von Max Reimann über den ›Dritten Weg‹ gründlich auszuwerten. Ich bin der Meinung, es ist ein Zeichen für die Wirksamkeit der Zeitschrift, wenn der 1. Sekretär der KPD sich so gründlich mit ihr auseinandersetzt. Außerdem stärkt es das Bewußtsein unserer Freunde in der DDR, wenn sie einen solchen Artikel lesen.« Wir »sollten zu allen wicht[ig]en, von Reimann aufgeworfenen Fragen Stellung nehmen […] Einen Artikel zur sowjetischen Außenpolitik, einen zweiten zur Abrüstung, einen dritten zur Frage, ob es im nationalen Maßstab einen dritten Weg gibt und viertens einen Artikel zu dem Problem ›Gibt es eine ideologische Koexistenz?‹. Die übrigen Artikel schreiben Walter Barthel, Jo und Zöger, wobei genau festgelegt wurde, dass eine rein marxistische Argumentation erfolgen müsse. Für Dich haben wir nun den Artikel über die ideologische Koexistenz vorgesehen.« Ich könne diesen auch nach Köln bringen, »wenn Du am 11. und 12. zur Redaktionsbesprechung hierher kommst. Ich möchte Dich noch einmal bitten, diesen vereinbarten Termin auf jeden Fall einzuhalten. Ich weiß zwar, dass Du viel Arbeit hast, bitte Dich aber unbedingt, zu diesem Zeitpunkt zu kommen, weil hier wichtige Probleme nicht nur in Bezug auf die Zeitschrift […] besprochen werden müssen.«

Im Ideologie-Organ der illegalen KPD Wissen und Tat hatte der Parteiführer Max Reimann erstmals direkt die Zeitschrift angesprochen und dabei behauptet, die »Revisionisten« wären als Antikommunisten aktiv und »bedienen sich solcher Blätter wie ›Der dritte Weg‹«.39 Und er schrieb: »Die Leute von ›Der dritte Weg‹ geben vor, für die Koexistenz zu sein«, aber ihre Thesen seien falsch. Er griff die »Vertreter des dritten Weges« mehrmals an und verwies dabei auf deren Zeitschrift.

Nach dem Spiegel-Artikel von 1959 hatte sich nun auch die illegale KPD mit dem »Blättchen« befasst, was Lippmann zu Recht als Möglichkeit ansah, darauf zu antworten. Da jedoch die November-Nummer wegen finanzieller Probleme durch Zusammenlegung mit der Nr. 12 erst im Dezember herauskam, konnten erst dort wie vorgesehen (neben Auszügen von Reimanns Argumenten) Artikel von Zöger, mir (beide mit Klarnamen gezeichnet) sowie von Scholmer (Peter Altenberg) erscheinen, aber keiner von Barthel. Auch war der Widerhall gering, keineswegs so, wie Lippmann – immer euphorisch – erwartet hatte.

Das katastrophale Jahr 1961

Mit dem Mauerbau im August 1961 sperrte die DDR-Führung ihre eigene Bevölkerung ein, um die immer größer werdende Fluchtwelle zu beenden. Es war eine Bankrotterklärung der Diktatur und durch den Schutz der Sowjetunion zugleich die Möglichkeit für die SED, ihr System zu festigen. Diese Katastrophe – für die DDR-Bevölkerung wie für die innerdeutschen Beziehungen – war auch für den Dritten Weg eine Niederlage. Die Kontakte zwischen Ost und West wurden schwieriger, die bisherigen Wege, die Zeitschrift in die DDR zu befördern, gab es nicht mehr. Die Verteilung des Blattes wurde noch komplizierter. Ein direktes Desaster für die Zeitschrift war indes, dass sich kurz nach dem Mauerbau ihr Mitarbeiter Gromnica nach Ost-Berlin absetzte und dort, nun als Agent des MfS enttarnt, öffentlich »Enthüllungen« über Der dritte Weg und seine Autoren verbreitete.40

Dabei hatte der Jahrgang mit der Januar-Nummer positiv begonnen. Der sehr lange Bericht von Wolfgang Leonhard (wie immer unter seinem Namen) über die »dritte Weg«-Richtungen in Indien (Kerala) war ein Beleg für die internationalen Beziehungen. Ein kritischer Beitrag von Jo Scholmer über den SPD-Parteitag und vor allem ein »Offener Brief an Ulbricht« von Günter Seigewasser, Sohn des Staatssekretärs für Kirchenfragen der DDR, ließen einen erweiterten Blick der Zeitschrift erkennen.41

Die Ausgaben Juli und August konnten wieder nur als Doppelnummer erscheinen. Auch die folgenden Nummern mit Artikeln zum arabischen Nationalismus, zu Kolonialfragen, über Verfolgungen des MfS (ein Eigenbericht von Günther Zehm) und einem Protestartikel von Wolfgang Leonhard gegen die Entführung Heinz Brandts waren wichtige Beiträge.

Erst in der September-Nummer wurde der Mauerbau kommentiert, u. a. im Aufsatz »Bankrott« von Jo Scholmer (Peter Altenberg). Dieses Heft enthielt auch einen Artikel von Wolfgang Leonhard zum neuen sowjetischen Parteiprogramm und von mir: »Geschichte – frei nach Ulbricht«.

Im Dezemberblatt 1961 erschienen dann Beiträge zur DDR-Wirtschaftskrise, zur Haltung Gomulkas und Titos, Bemerkungen zum 14. ZK-Plenum der SED und ein langer Artikel von mir über »Die SED und Fehler des Personenkults«. Auf Seite drei stand ein relativ kurzer Bericht ohne Namensunterschrift: »Les provocateurs d’Ulbricht«. Damit war der Stasi-IM Gromnica gemeint. Zunächst wurde die Rolle von Agenten des MfS in der Bundesrepublik umrissen, die in linken Organisationen spionierten und Ost-Berlin über Interna informierten. Wir hatten zwar im kleinen Kreis vorgesehen, über Gromnica nichts zu schreiben. Aber nachdem am 24. November Neues Deutschland ausführlich einen »Bericht« über Gromnicas »Pressekonferenz« abgedruckt hatte, in dem er direkt die »antikommunistische Zeitschrift ›Der dritte Weg‹« diffamierte, schien eine Klarstellung nötig.

Im ungezeichneten Artikel hieß es nun über Gromnica: »Seine Mission bestand in der Bespitzelung, Provokation und Denunziation linker Gruppen der Arbeiterbewegung in der Bundesrepublik. Gromnica war auf alles angesetzt, was in der Sozialdemokratie eine linke Position einnimmt.« Ihm wurde deshalb vorgeworfen: »Politische Meinungen hatte er überhaupt nicht zu vertreten. Er hatte nur zu horchen, zu berichten und insgeheim zu provozieren.« Dabei habe er die Sozialistische Jugend »Die Falken«, ebenso als Funktionär den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) bespitzelt. In West-Berlin habe er »ganze Packen von Berichtsduplikaten« zurückgelassen, »deren Originale an merkwürdige Honorarzahler in der Bundesrepublik gegangen waren. Inhalt: Charakteristika linker Sozialisten […]« Die Schlussfolgerung: »Honorarfreudiger Doppelagent oder Denunziant im Auftrag des SSD [MfS]?« Festgehalten wurde: »So sehen sie also aus, die Achtgroschenjungen des Genossen Mielke. Sie sollten die Linke zerschlagen, damit die Rechte des Stalinismus und der Bourgeoisie freie Hand hat.« Am Ende des Artikels standen drei Bemerkungen des Dritten Weges: »Unsere Selbstkritik: Auch wir sind ihm zeitweise auf den Leim gegangen und haben ihn zwei Jahre lang als unseren Genossen gesehen.« Dann die zweite These: »Sein Pech: bei uns gibt es nichts auszuhorchen, was nicht ohnehin jeden Monat im ›Dritten Weg‹ nachzulesen ist.« Schließlich: »Unsere Schlußfolgerung: Kompromißloser denn je gegen Stalinismus und kapitalistische Reaktion.«

Diese »Entlarvung« Gromnicas beruhte auf Fakten; dass er freilich »Pech« hatte beim »Aushorchen« ist falsch und näher zu prüfen. Schließlich hatte dieser Agent auf einer Pressekonferenz am 23. November 1961 in Ost-Berlin als angeblicher Überläufer nicht nur gegen die SPD und insbesondere Herbert Wehner gehetzt,42 sondern auch gegen Lippmann. Der »Schlag« wurde für die Zeitschrift noch größer, als er in der Berliner Zeitung in einem »BZ-Exklusivinterview« in drei Teilen43 tatsächliche und falsche »Geheimnisse« ausplauderte. Die Mischung aus Fakten, Lügen und Legenden war für Außenstehende kaum zu falsifizieren oder zu verifizieren, daher geriet das Blatt in ein schiefes Licht. Gromnica beschimpfte Lippmann (er nannte ihn immer nur »Pertinax«) auf übelste Art, unterstellte ihm kriminelle Taten usw. Der dritte Teil dieses »Interviews« erschien sogar mit der Überschrift »Agentur ›Dritter Weg‹«.

Die Gruppe »Der dritte Weg« war nach seiner Version eine »Agentur« des Verfassungsschutzes, die »die Hetzschrift« Der dritte Weg herausgebe. Und er behauptete, »daß Pertinax als Kopf dieser Agentengruppe mit dem Leiter der Abteilung ›Links‹ im Bundesamt für Verfassungsschutz Dr. Günter Nollau in Verbindung steht, allein von ihm oder dessen Mitarbeitern seine Aufträge erhält und dem Verfassungsschutz gegenüber für sein Tun verantwortlich ist. Es läßt sich am Beispiel der von dieser Agentengruppe verfassten Zeitschrift ›Der dritte Weg‹ am besten charakterisieren, daß die Tätigkeit dieser Agenten ausschließlich im Auftrage des Verfassungsschutzes erfolgt. Jede Zeile dieses ›Druckerzeugnisses‹ genehmigt Dr. Nollau persönlich. Er legt ebenso den genauen Anteil der in jeder Ausgabe zu veröffentlichenden Materialien fest, die sich diffamierend mit den sozialistischen Ländern beschäftigen […]«44 Bis zur Rückberufung nach Ost-Berlin hatte Gromnica als IM »Karow« »seine Behörde«, das MfS, über den Dritten Weg weniger mit solchen Propaganda-Phrasen als mit zahlreichen (tatsächlichen oder fiktiven) Fakten versorgt – diese Quelle versiegte im August 1961.45 Doch bis zum Ende des Dritten Weges hatte ein anderer Agent, Walter Barthel (IM Kurt) dem MfS weitere Details übermittelt. Deshalb hier ein Blick auf die Methoden des MfS gegenüber dem Dritten Weg.

Im Visier der Stasi

Soweit feststellbar, war das MfS zunächst über die Hersteller der Zeitschrift ebenso ungenau informiert wie über Hintermänner oder Finanzierung. Welche abwegigen Vorstellungen in Stasi-Kreisen über den Dritten Weg anfänglich existierten, zeigen einige Meldungen. Beispielsweise hieß es nach den Wiener Weltfestspielen im August 1959 (der Abteilung II/4 zum »3. Weg«), der »3. Weg« sei »eine Organisation, die ihren Sitz in Koblenz hat. Der Leiter ist der frühere FDJ-Sekretär Lippmann. Als weitere Mitarbeiter gehören dazu: ›Weber, Scharberg [soll wohl Scholmer sein], Zwerenz und Hertwig.‹« Und dann die absurde Behauptung, die Gruppe sei »der Organisator des Antifestivals in Wien gewesen«, und zwar beauftragt von »bundesdeutschen und NATO-Stellen«. Und 1960 wurde gar durch eine »Quelle« in »Erfahrung gebracht«, die Zeitung solle »vom Amerikaner finanziert werden«.46

Schließlich war das MfS ab Herbst 1959 offenbar vor allem auf die Dossiers von Gromnica, ihrem Agenten »Karow« angewiesen. Dieser »junge Sozialist« war in Berlin auch Mitarbeiter der von mir geleiteten Falken-Zeitung junge gemeinschaft. Wir waren gemeinsam zu den kommunistischen Weltfestspielen in Wien gefahren, wo »Pit« Gromnica durch mich im August 1959 Heinz Lippmann kennenlernte. Es dauerte natürlich eine Weile, bis Pit sich bei Lippmann eingeschlichen hatte und dieser ihm vertraute.

Nach den Wiener Weltfestspielen erhielt das MfS etwas genauere Hinweise durch seine Agenten Gromnica und Peter Heilmann (»Julius Müller« bzw. »Pepperkorn«).47 Schon am 10. August 1959 informierte »Karow« in seinem »Bericht Nr. 3« über seine Begegnung mit Lippmann und Schölmerich in Wien; über die Zeitschrift Der dritte Weg hatte er noch kaum Erkenntnisse: »Wo die Zeitung gedruckt wird, herausgegeben wird, wie sie versandt wird, welche Mitarbeiter sind, ist mir nicht bekannt, ich weiß nur, dass Schölmerich zu den Mitarbeitern gehört. Weitere Mitarbeiter sind mir nicht bekannt, ich nehme nur an, daß auch Hermann Weber zu ihnen gehört.«48

Diese spärliche Aussage konnte das MfS ergänzen, da auch ihr West-Agent »Pepperkorn«, Peter Heilmann, für den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) in Wien war und mit uns Kontakt hatte. Wenige Tage später, am 12. August 1959, informierte Agent Heilmann über das »Gespräch mit Heinz Lippmann und Hermann Weber« in Wien. Auch darin wurde Der dritte Weg genannt, wobei nach Heilmanns Ansicht, die Redaktion allein aus Lippmann bestehe. Aber dass »als Mitarbeiter nur ehemalige Funktionäre aus der DDR mitwirken, so z. B. Weber und Schölmerich.«49 Heilmann hat sonst wenig über den Dritten Weg berichtet. Am 20. November 1959 teilte er mit, dass über die Finanzierung des Blattes keine näheren Angaben vorlägen. Immerhin lieferte Heilmann dem MfS im November 1959 einen Brief des SED-Funktionärs Lothar Schmidt mit Informationen über den Dritten Weg.50

Der Stasi-Agent Gromnica verstand sein »Handwerk« meisterhaft.51 Doch erst zum Jahresende wurden seine Informationen konkreter.52 Bis dahin war es schwierig für die Stasi, das Blatt genauer einzuschätzen. Es zahlte sich in diesem Fall also sogar aus, dass wir nur ein so kleiner Kreis waren.

Im Oktober und November 1959 berichtete »IM Karow« der Stasi vor allem über Berliner Linke, außerdem über die »Falken«. Er versuchte telefonisch an Lippmann heranzukommen, was zunächst nicht glückte.53 Doch im Dezember kam Gromnica nach Köln und konnte ihn von nun an gründlich »abschöpfen«. Er meldete dem MfS Interna, die auch im Operativ-Vorgang »Verkäufer« aufgenommen wurden, der schon seit 1957 über Lippmann bestand und von da an als »Objekt-Vorgang Der dritte Weg« bei HA XX/2 gesammelt wurde, ebenso in anderen Akten. »Karow« teilte dem MfS am 23. Dezember 1959 mit, wer die Pseudonyme der »letzten Nummer« des Dritten Weges waren: »Harald Ludwig = Lippmann, Joseph Lapus = Scholmerich, Reiner von Kerkhoff = Rudi Schröder, Erwin Poser = unbekannt, Alfred Nagel = Hermann Weber, Peter Altenberg = Scholmerich«.54 Diese Fakten und die Beschreibung der Redaktionssitzung vom Dezember 1959 sowie deren Teilnehmer, außerdem Einzelheiten zur Auflage und Finanzierung, die Gromnica inzwischen von Lippmann erfahren hatte, kannte nun auch das MfS.

Durch Gromnica war der erste (zehnseitige) zusammenfassende Überblick der Stasi vom 8. Januar 1960 zur »Hetzschrift« Der dritte Weg möglich geworden.55 Dieser Bericht, »Betr. Hetzschrift ›Der dritte Weg‹, Berlin, 8.1.1960«,56 begann mit einer scheinbar objektiven Beschreibung der Zielsetzung der Zeitschrift, »revisionistische Theorien in die DDR einzuschleusen, um schwankende und wankelmütige Menschen, vor allem Intellektuelle, in Zweifel zur Politik unserer Partei zu bringen«.

Das Blatt wurde dann wie üblich beschimpft: Die »Hetzschrift sei ein Mittel der Kalten Krieger«, die »ideologische Diversion« gegen die DDR zu »betreiben«. Außer solchen Behauptungen wurden die von Gromnica berichteten Fakten gebracht, aber auch Vermutungen. So verberge sich angeblich hinter den Herausgebern der »Hetzschrift das Ostbüro der SPD, insbesondere dessen Leiter Stephan Thomas«. Solche Fehleinschätzungen zeigten, dass das MfS Anfang 1960 noch im Dunkeln tappte. Auch die Rolle des »Renegaten Wolfgang Leonhard« als »geistiger Vater« war übertrieben. Gromnicas Mitteilungen vom Dezember 1959 wurden im »Bericht« fast wörtlich wiederholt: »Diese Hetzschrift ist das Sprachrohr eines Personenkreises, der sich aus Renegaten und Verrätern zusammensetzt. Eben zu diesem Personenkreis gehören solche Verräter wie Heinz Lippmann, ehemals Sekretär im Zentralrat der FDJ, Heinz Zöger, Hermann Weber, Dr. Scholmerich, Schröder, Manfred Hertwig usw., die aus der DDR republikflüchtig geworden sind. Es sind durchweg alles Personen, die in der DDR hohe staatliche und politische Funktionen innehatten und der SED als Mitglied angehörten. Sie haben demzufolge sehr umfassende und gründliche Kenntnisse in der Theorie des Marxismus-Leninismus und der Partei- und Staatspolitik.« Alle von Gromnica aufgeführten Personen werden dann in den »Berichten« der folgenden Zeit im Wesentlichen wiederholt aufgeführt, Fehler zu Personen wurden später berichtigt.57

Was die Finanzierung angeht, hat Gromnica Heinz Lippmanns damalige Version an die Stasi weitergeleitet, daher hieß es auch im Januar-»Bericht« des MfS: »Die Finanzierung dieser Hetzschrift erfolgt über die Hans-Böckler-Gesellschaft – innerhalb des DGB – und den Axel-Springer-Konzern.« Auch die Angaben zur Redaktion im »Bericht« stammen von Gromnica: »Als Redaktionskollegium der Hetzschrift ›Der dritte Weg‹ kann der folgende Personenkreis betrachtet werden: 1. Heinz Lippmann, 2. Dr. Josef Schölmerich, 3. Hermann Weber, 4. Heinz Zöger, 5. Rudi Schröder und Frau, 6. Manfred Hertwig, 7. Inge Bialek. Ein neu hinzukommender Mitarbeiter ist Fritz Schenk.« Danach gab es etliche Hinweise auf diese Personen. Schon kurz nach einer solchen »Einschätzung« erhielt das MfS neuere Informationen von Gromnica. Diese wie die folgenden Berichte machten das eigentliche Interesse des MfS deutlich: Der Stasi ging es weniger um die »revisionistischen« Inhalte als vielmehr um die Personen, die Finanzierung und vor allem darum, welche konspirativen Wege für das Blatt in die DDR existierten und wer dort die Zeitschrift erhielt und nicht ablieferte.

Da Gromnica im Januar 1960 wieder in Köln gewesen war, konnte er darüber aktuelle Informationen geben. Am 27. Januar berichtete er dem MfS von seinem Besuch bei Lippmann und einem ausführlichen Gespräch vom 15. Januar in Köln.58 In seinem sechsseitigen Rapport werden u. a. Fragen zur Finanzierung behandelt.59 Für die Stasi war besonders nützlich, dass Gromnica von Lippmann Hinweise über die Einschleusung des Dritten Weges in die DDR bekam (er selbst sollte offenbar auch dafür eingesetzt werden).

Am 13. Juli 1960 beschloss die Hauptabteilung (HA) V/2 des MfS einen »Objektvorgang« über das »Renegatenzentrum« Der dritte Weg anzulegen, um Material über »dieses Zentrum der pol.-ideologischen Diversion« wegen »Zersetzungstätigkeit gegen die DDR« zu sammeln. Aus Berichten verschiedener Stasi-Agenten und anderen »Quellen«, wurden Akten angelegt. Die Materialablage begann mit dem erwähnten Bericht vom 8. Januar 1960.

Fast zeitgleich mit dem Vorgang »Renegatenzentrum« (2284/60), am 25. Juli 1960, ordnete die gleiche Abteilung einen »Zentral-Operativ-Vorgang Schleicher« wegen »Spionage/Zersetzung« an. Hier ging es darum, diejenigen Personen, die das Blatt nach Ost-Berlin brachten sowie die Methoden der Verbreitung in der DDR zu erfassen (7071/60). Zahlreiche Personen aus West- und Ost-Berlin wurden registriert und überwacht, IMs auf sie angesetzt usw. Welche Folgen dies im Einzelnen hatte, ist den Akten nicht zu entnehmen.60

Am 27. Juli 1960 gab die HA V/2 einen neuen »Bericht Betr. Renegatenzentrum Der dritte Weg« heraus. Zunächst wurde verkürzt zusammengefasst, was im Januar-Dossier stand und einige fehlerhafte Punkte wurden korrigiert.61 Als »Mitglieder dieses Renegatenzentrums« seien »bekannt: Lippmann, Schenk, Scholmerich, Zöger, Hertwig, Weber«. Der Bericht zirkulierte mehrfach (mit kleinen Abweichungen) im MfS.62 Wichtig war der Anhang, in dem nach der Gruppe von »Verteilern« gesucht wurde, ebenso von Beziehern der Zeitschrift. Demnach wurden eine »Gruppe« im RAW Grunewald, also bei der Ost-Berliner Reichsbahn in West-Berlin (Mitglieder der SED bzw. ehemalige Mitglieder) und Funktionäre der Partei (etwa der Philosoph Mathias Klein63) überwacht. Daneben existierte ein »Maßnahmeplan« der HA V/2 usw.

Die folgenden »Berichte« des MfS über Der dritte Weg beruhten vor allem auf Mitteilungen seiner IMs aus dem engeren Kreis um Lippmann, bis August 1961 war dies Gromnica, bis 1964 Barthel. Interessant ist besonders die Einschätzung des MfS vom Juni 1961, noch vor dem Mauerbau. Der Bericht entstand auf Anforderung von Hermann Matern, Ulbrichts »Obersäuberer« in der SED, und hat eine eigenartige Geschichte. Wie bereits geschildert werden konnte, verschwand er nach drei Entwürfen im MfS-Archiv.64 Inzwischen ist diese »Einzel-Information über das Renegatenzentrum ›Der dritte Weg‹« vollständig veröffentlicht worden.65 Nach den üblichen allgemeinen Verdammungen des »Feindzentrums« aus »Renegaten und Verrätern« wurde behauptet, zu den »Auftraggebern und Hintermännern« gehöre das »Bundesamt für Verfassungsschutz«. Eine »bestimmte, allerdings nicht näher aufgeklärte Rolle« spiele das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen. »Zur Finanzierung der Hetzschrift« hieß es, »trage das ›Bundesamt für Verfassungsschutz‹ und bestimmte Kreise des DGB bei«. »Über die Art und Weise der Einflussnahme des SPD-Ostbüros sind keine näheren Einzelheiten bekannt. Zu den Mitgliedern des Zentrums und zugleich Mitarbeitern der Hetzschrift gehören Heinz Zöger, Heinz Lippmann, Rudolf Schröder, Gerhard Zwerenz, Dr. Joseph Schölmerich, Hermann Weber, Fritz Schenk und andere.«66

Bei einer Auflage von 1000 Exemplaren seien »800 Exemplare für den Versand bzw. für die Einschleusung in die DDR vorgesehen. Durch operative Maßnahmen konnten davon im Durchschnitt etwa 300 bis 350 Exemplare je Ausgabe sichergestellt werden.« Dies bedeutete aber, dass über die Hälfte der Auflage ihre Adressaten erreichte und nicht an MfS oder SED-Organe abgeliefert wurde! Die »Information« schloss mit dem Hinweis, welche Angaben »aus Gründen der Sicherheit der Quellen« publizistisch nicht ausgewertet werden durften.67 Ähnliche Berichte wurden bis zur Einstellung von Der dritte Weg 1964 noch einige Male erstellt. Hauptquelle waren nach Gromnicas Rückberufung nach Ost-Berlin ab Ende 1961 vor allem Mitteilungen von Walter Barthel, der sich durch seine Mitarbeit bei der Zeitschrift Einblick über viele Hintergründe verschaffte und eifrig (manchmal auch fehlerhaft) berichtete.68

Die Stasi plante nicht nur mit Agenten in den Personenzirkel des Dritten Weges einzudringen, sondern dort auch gezielt ihre Methode der »Zersetzung« und »Verwirrung« anzuwenden. Im Februar 1961 schlug die Abt. V/2/II (Leutnant Tetschok) vor, mit kopierten Briefköpfen Exemplare des Dritten Weges an die Adresse Schröders in Köln unfrankiert aus West-Berlin zu verschicken, dann werde die Deutsche Bundespost »Schritte gegen das Renegatenzentrum einleiten sowie eine Diskriminierung desselben« erfolgen. Weitere Vorschläge folgten, darunter am 21. Februar die Mitteilung, 30 Briefbögen seien bereits angefertigt und nun sollten an Bonner Abgeordnete von CDU und SPD Briefe mit »diskriminierendem Inhalt« verschickt werden, um diese »zu Schritten gegen das Renegatenzentrum zu veranlassen«. 69

Soweit feststellbar, sind diese und ähnliche Vorschläge zwar nicht realisiert worden, sie zeigen aber die unterschiedlichsten Ansätze zur Bekämpfung der »Renegaten« durch das MfS.

Das Fazit über den Dritten Weg im Visier der Stasi ist eindeutig. Schließlich sammelte das MfS tausende und abertausende Seiten über das Blatt, oft basierend auf Informationen seiner IMs oder anderer »Quellen«. Die Führung versuchte in Abständen, Auskünfte über die Zeitschrift in zusammenfassenden »Berichten« über das »Renegatenzentrum« zu erstellen. Diese dienten der Information ihrer eigenen Abteilungen oder den Führungsstellen von Partei und Staat. Insbesondere waren sie als Anleitung zur Personenüberwachung gedacht oder Versuche, Details über Finanzierung und vor allem Verbreitungswege in der DDR zu ermitteln. Der dritte Weg hatte bei der Stasi für erheblich mehr Aufmerksamkeit gesorgt als bei Zielgruppen, die eigentlich gegen Stalinismus und Kapitalismus mobilisiert werden sollten. Im Abschlussbericht »Schleicher« vom 15. Juli 1971 wurde vor allem die Überwachung von Lesern und Verteilern des Dritten Weges zusammengefasst, außerdem noch die »Mitglieder« des »Renegatenzentrums« (Lippmann, Schenk, Schölmerich, Zöger, Hertwig, Weber, Schröder) aufgeführt. Doch erst am 21. Juli 1977 (drei Jahre nach Heinz Lippmanns Tod) wurde der »Objektvorgang ›Dritter Weg‹ der HA XX/2 im Archiv abgelegt«.70

Finanzierung des Blattes

Die Frage, von wem und wie Der dritte Weg finanziert wurde, stand und steht häufig im Mittelpunkt des Interesses an der fast vergessenen Zeitschrift. Da zwischen 1000 und 1500 Exemplare monatlich erschienen,71 kostete jede Ausgabe mit Druck, Vertrieb und Porto (und ab Oktober 1959 auch Honoraren) einige tausend Mark. Eine genaue Summe erfuhr selbst ich nie. Die spärlichen Spenden, die wir erhielten, reichten auf keinen Fall. Und der Betrag für Honorare wurde bestimmt nicht vom angeblichen Geldgeber, der Hans-Böckler-Stiftung, gezahlt. Mein Misstrauen wuchs, 1959 stellte ich Lippman deshalb zur Rede. Er wich aus und sagte, auch vom Springer Verlag Geld für das Blatt zu erhalten. Es kam zur Grundsatzdiskussion: Wenn Lenin für die Russische Revolution vom deutschen Kaiserreich Geld nahm, könnte auch für den oppositionellen Dritten Weg Finanzhilfe von jedem politischen Gegner angenommen werden. Das war der Standpunkt von Lippmann und Scholmer, den ich strikt ablehnte.72

Die genaue Herkunft der Mittel für den Dritten Weg blieb für die Mitarbeiter weiterhin unklar. Auch 1960 gab es Spekulationen, das Ostbüro der SPD oder die IG Metall würden zumindest für einige Zeitungsnummern oder Artikel einen Zuschuss leisten.73 Dies lässt sich nicht mehr genau feststellen, ebenso wenig, ob vom Springer Verlag tatsächlich Geld floss. Allerdings verdichteten sich Hinweise, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz, zu dem Lippmann seit längerer Zeit Verbindung hatte,74 das Blatt (mit-)finanzierte. Als der Stasi-Agent Michael (Pit) Gromnica dann im August 1961 nach seiner Rückberufung nach Ost-Berlin in die Stasi-Zentrale in Interviews und Zeitungsberichten im November/Dezember 1961 Lügen, Halbwahrheiten und Tatsachen über den Dritten Weg vermischte, schien diese Finanzierungsquelle offensichtlich. Auch wenn sich Lippmann und Scholmer in dieser Frage bedeckt hielten,75 ist zu vermuten, dass Günther Nollau vom Verfassungsschutz zumindest ein Geldgeber war. Umso wichtiger war es, anhand von Dokumenten die Beziehungen zwischen Verfassungsschutz und der Zeitschrift Der dritte Weg offenzulegen. In seinen Memoiren wiederholte Nollau 1978 faktisch die Angaben des MfS-Agenten Gromnica von 1961, den er im Zusammenhang mit der Finanzierung sogar zitierte: »Im Mai 1959 starteten wir unser Blättchen […] um glaubwürdig zu sein, mussten wir auch den Kapitalismus und die Politik der Bundesregierung kritisieren.[!] Das war zwar nicht schwer, denn an der damaligen Ostpolitik gab es zum Beispiel manches zu beanstanden. Aber die Angriffe mussten so dosiert sein, dass sie, falls das Unternehmen einmal platzte, vor der Dienstaufsichtsbehörde zu vertreten waren […] Jede Nummer kostete immerhin einige tausend D-Mark. Die Frage nach dem Geldgeber hatten sich aber andere Leute gestellt […]: die Kollegen vom Ministerium für Staatsicherheit (MfS) der DDR. Sie brauchten einige Jahre […] Im Dezember 1961 hatten sie es geschafft. Wir lasen in der Berliner Zeitung vom 28. Dezember: ›Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat […] unter dem Namen ›Dritter Weg‹ eine Agentur geschaffen, die zugleich die Hetzzeitschrift ›Der dritte Weg‹ herausgibt […]‹. Zu diesen Erkenntnissen war das MfS durch einen Agenten gelangt, den es in die Redaktion ›Dritter Weg‹ […] eingeschleust hatte.«76

Für die These von der »Schaffung« des »Blättchens« durch den Verfassungsschutz fehlen jegliche Belege. Leider sind solche auch im Nachlass von Günther Nollau nicht zu finden.77 Dort gibt es keine Hinweise auf den Dritten Weg. Es müssten aber in den Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Finanzierung der Zeitschrift Unterlagen existieren. Doch auf meine Anfragen erhielt ich am 28. März 2011 den verblüffenden Bescheid: »Eine Nachforschung zu dem von Ihnen angefragten Sachverhalt ›Der dritte Weg‹ ergab, dass keine Altaktenbestände hierzu im BfV bekannt sind. Somit stehen hierzu auch im derzeit laufenden Verfahren der Aktenabgabe des BfV an das Bundesarchiv keine Unterlagen zur Verfügung.«78 In bereits an das Bundesarchiv abgegebenen Akten der Behörde gibt es überhaupt keinen Hinweis auf den Dritten Weg.79

Nach nochmaliger Nachfrage erhielt ich am 8. Juli 2011 die Antwort: »[…] nach Ihrer erneuten Anfrage, die eine sowohl historisch interessante wie grundsätzlich bedeutsame Fragestellung verdeutlicht hat, wurde im Zentralarchiv des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) nochmals eine umfassende Recherche vorgenommen. Das Ergebnis ist in der Sache leider wiederum negativ […] Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist die weitere Recherchemöglichkeit zu einer Einzelakte nach deren Löschung bzw. Vernichtung unzulässig, so dass auch keine Informationen mehr zum Datum der Vernichtung von Akten in der von Ihnen angefragten Thematik zu gewinnen sind.« Nach dieser erstaunlichen und überraschenden Auskunft – demnach müssten Akten wohl vernichtet sein – ist klar, dass die genaue Art der Finanzierung nicht mehr festzustellen ist. Auch im Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen gibt es nach Auskunft dieser Behörde keine Unterlagen zur Zeitschrift Der dritte Weg.

Doch gerade Lippmanns und Scholmers Suche nach weiteren Finanzierungsmöglichkeiten lässt den Schluss zu, dass von mehreren Institutionen Unterstützung kam. Wie erwähnt, ist zeitweise von Gewerkschaftsseite, etwa von der IG Metall, für bestimmte Nummern Geld geflossen. Die Angaben Lippmanns über den DGB oder den Springer Konzern sind bereits thematisiert. Es gibt mehrere Hinweise darauf, dass zwecks Unterstützung versucht wurde, zu Kreisen der Bundeswehr Kontakt aufzunehmen. Bereits 1960 gab es Gespräche.80

Als es 1963 mit der Zeitschrift bergab ging, wollte Lippmann weitere Finanzquellen finden. Aus Stasi-Akten geht hervor, dass verschiedene Beziehungen geknüpft wurden. Der Agent Barthel hat im November 1963 berichtet, Lippmann bemühe sich, Geld von »der Abt. psychologische Kriegsführung [der Bundeswehr]« zu bekommen und habe darüber »mit dem Vorsitzenden des ›Kuratoriums unteilbares Deutschland‹ in Nordrhein-Westfalen, Blessing, gesprochen«.81 Doch wurden auch ganz andere Möglichkeiten getestet. In einem Stasi-Bericht vom 25. März 1964 hieß es, ein Interview mit dem FDP-Pressereferenten Wolfgang Schollwer (in Nr. 4/5 erschienen) sei der Versuch, »bei Minister Mende [FDP, 1963 bis 1966 Minister für gesamtdeutsche Fragen] eine evtl. Weiterfinanzierung« zu erhalten.82 Offensichtlich schlugen auch diese Bemühungen fehl, das Interview erschien erst in der letzten Nummer des Dritten Weges.

1963 gelang es Jo Scholmer, mithilfe des DGB Nordrhein-Westfalen den Neuen Deutschen Verlag (NDV) in Köln zu gründen. Dort erschien Anfang 1964 meine Streitschrift Ulbricht fälscht Geschichte mit einem Vorwort des DGB-Landesvorsitzenden Georg Neemann. Ebenfalls 1964 kam im NDV von Martin Jänicke das Buch Der dritte Weg heraus.83 Scholmers Hoffnungen auf einen Erfolg des Verlags zerschlugen sich rasch. Zwar wurde Ulbricht fälscht Geschichte noch im Dritten Weg besprochen (im November 1963 von Jo Scholmer ohne Namensangabe), ebenso Jänickes Band (in der letzten Nummer vom Mai 1964).84 Doch vom NDV konnte die Zeitschrift nicht herausgegeben werden – schon bald wurde der Verlag geschlossen.

Die vergeblichen Anstrengungen, von allen möglichen Institutionen Geld zu bekommen, zeigen, dass die Behauptungen von »der« Finanzierung durch den Verfassungsschutz so nicht stimmen können. Da aber genaue Unterlagen über die Geldgeber nicht aufzufinden sind, bleibt das Thema Finanzierung des Dritten Weges weiterhin ein »weißer Fleck«.

»Periodikum des Verfassungsschutzes«?

Später wird in den wenigen Darstellungen zu der Der dritte Weg sowohl die Finanzierung als auch der Einfluss des Bundesamtes für Verfassungsschutz und insbesondere des damaligen Chefs der Abteilung »Linksradikalismus«, Günther Nollau, stark übertrieben beschrieben.

Dieser hat in seinen Memoiren von 1978 sowohl die These von der Finanzierung als auch der Anleitung – ganz wie der Agent Gromnica unterstellte – selbst verbreitet. Bei Nollau hieß es: »Ich schrieb zwar keine Artikel, aber alle zwei Wochen hielten wir in einer Kölner Wohnung eine Redaktionssitzung ab, in der ich – als eine Art Chefredakteur – für die richtige Dosierung sorgte.«85 Folgende Behauptung ist in diesem Zusammenhang noch im Internet zu finden: »Der dritte Weg« sei ein »kleines, inoffizielles Periodikum des Bundesamtes für Verfassungsschutz« gewesen, »mit den Personen Günther Nollau und Heinz Lippmann auf[s] [E]ngste verbunden«.86 Diese Unterstellung geisterte sogar 2012 durch die Medien, als Honeckers Letzte Aufzeichnungen mit ausschweifenden Anmerkungen erschienen.87 1992 hatte Erich Honecker u. a. auf Heinz Lippmanns Honecker-Biografie von 1971 verwiesen. Eine Anmerkung befasst sich in diesem Zusammenhang vor allem mit der Zeitschrift Der dritte Weg. Dabei wird im Wesentlichen die Version von Wikipedia (ohne Quellenangabe) übernommen. Die Legende wird wiederholt, Lippmann habe »im Auftrag von Günther Nollau, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz […] mit dem Geld des Verfassungsschutzes ab 1957 [!] die gegen die DDR gerichtete Zeitschrift Der dritte Weg« herausgegeben.88 »Belegt« wird diese Unterstellung mit dem erwähnten Zitat Nollaus.

Die Abhängigkeit des Dritten Weges von Nollau und damit die Vorstellung, das Blatt sei vom Verfassungsschutz gelenkt worden, habe ich mehrfach angezweifelt. Ich konnte stets darauf verweisen, dass weder an Wolfgang Leonhards noch an meinen Artikeln im Dritten Weg je etwas geändert wurde.89

Allerdings ist meine bisherige Meinung, »den Inhalt bestimmten stets Lippmann, Scholmer, Schröder, Zöger usw.« zu revidieren. Aufgrund von mir erst jetzt eingesehener Materialien,90 muss ich erkennen, dass Nollaus Einfluss größer war (zumindest am Anfang), als ich bisher wusste oder vermutete.

Lippmann und Nollau hatten offenbar ein gutes Vertrauensverhältnis (dieser schrieb z. B. an Lippmann schon am 2. März 1957 »Werter Genosse« und mit »sozialistischem Gruß«), zwischen beiden bestand ein »direkter Draht«. Nollau war Beamter des Verfassungsschutzes, aber er war auch Historiker und Wissenschaftler. Bereits 1959 erschien sein anerkanntes Buch Die Internationale mit einer interessanten Einschätzung der Komintern. Fast 1000 Fußnoten belegten den Forschungsstand, auch Dokumente waren abgedruckt. Später war Nollau als Chef des Verfassungsschutzes u. a. mit Herbert Wehner verbunden. Als unabhängiger Kopf hatte er über Lippmann Einfluss auf den Dritten Weg. Wie weit er aber damals im Auftrag und mit Wissen der Spitze des Verfassungsschutzes wirkte oder eher halblegal das Blatt unterstützte, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Dass alle Akten, selbst in Nollaus Nachlass, fehlen oder verschwunden sind, gibt ebenso zu denken wie der Hinweis in seinen Memoiren, falls »das Unternehmen einmal platzte«, habe er die Linie »vor der Dienstaufsichtsbehörde [welcher?] zu vertreten«.

Auch wenn Nollau seine »Funktion« beim Dritten Weg übertrieben hat (in den Redaktionsprotokollen wird er z. B. nicht erwähnt; bei den wenigen Sitzungen, an denen ich teilnahm, war er nie anwesend), hatte er über seinen Vertrauensmann »Ferdi« Einfluss. Ferdinand Schuller, der im Kreis des Dritten Weges als »Vertreter des DGB« vorgestellt wurde, war in Wirklichkeit Angestellter des Bundesamtes für Verfassungsschutz.91 Dazu im Folgenden einige Belege für die Einwirkung Nollaus über »Ferdi« auf die Zeitschrift Der dritte Weg, wobei klar wird, dass diese über die Redakteure Lippmann, Scholmer und Zöger erfolgte.

Am 21. August 1960 schrieb Zöger an Lippmann, er habe die »Artikel von Hermann W.[eber] und den Artikel von der Carola S.[tern] in die Druckerei gegeben«, ebenso »den Artikel von Rudi S.[chröder], der inzwischen eingetroffen ist«. Mit den erwähnten entsprechenden technischen Details zeigt dies den normalen Umgang in einer Redaktion. Von direkten Weisungen usw. ist nichts zu lesen.

Doch am 8. September teilte Lippmann Zöger mit: »Ferdinand ist nicht in der Lage, diese Woche nach Kasbach zu kommen. Er bittet Dich, am Montag gegen 13 Uhr bei mir in der Wohnung zu sein, wir werden uns dann im Laufe des Nachmittags mit ihm treffen.« Es gab also zwischen den beiden Redakteuren und »Ferdinand« Absprachen »hinter den Kulissen«, die als »Weisungen« Nollaus gedeutet werden können. Schließlich informierte Lippmann kurze Zeit später Zöger von der »neuen Finanzplanung unserer Freunde«, nach der pro Nummer 450 D-Mark für Honorare zur Verfügung stünden. Mit der Umschreibung »Freunde« war offensichtlich Nollau gemeint. Am 20. Oktober 1960 hat Lippmann »das Gedächtnisprotokoll unseres Gespräches mit Ferdl« an Zöger geschickt.

Offener hatte Lippmann bereits am 28. Dezember 1959 an Jo Scholmer geschrieben: »In Richtung unserer Zeitschrift habe ich einen Vorstoß gemacht. Ich lege Dir die Ausarbeitung bei, damit Du informiert bist. Ich brauche jedoch den Durchschlag sofort zurück. Günther N.[ollau] ist allerdings verreist und kommt erst um den 6. Jan. zurück. Vorher können wir die Dinge nicht klären.« Noch deutlicher [»Streng geheim.«] wurde Lippmann gegenüber Scholmer am 26. Oktober 1960: »In der Anlage sende ich Dir das Protokoll unserer Redaktionsbesprechung für die Oktober-Nummer. Gleichzeitig möchte ich Dich an Deinen Abschnitt für die SPD-Analyse erinnern. Bei dem Gespräch mit Ferdinand wurde die Disposition vollinhaltlich bestätigt.«

Die wenigen bei mir vorhandenen Materialien von 1961 sind Belege für die Art des Einflusses. Lippmann schrieb am 4. Januar 1961 z. B. an Zöger: »Der Artikel von Walter [Barthel] wurde von ihm nach Rücksprache mit Pit [Gromnica] geschrieben, nachdem dieser sich bei Ferdinand einen Auftrag dazu geholt hatte.« Hier werden nicht nur die Details der Einwirkung von Ferdinand (also Nollau) deutlich, sondern auch die Verquickung der beiden Stasi-Agenten mit dem Verfassungsschutz.

Allerdings gab es zu bestimmten Fragen unterschiedliche Positionen von Scholmer, Lippmann und Zöger. So beschwerte sich Lippmann etwa bei Zöger am 2. Januar 1961 über einen Artikel von Jo über die SPD, der ihm zu positiv war und meinte, je »nach dem Ausgang der Besprechung mit Ferdinand heute Abend werde ich die Artikel in die Setzerei bringen«. Und am 13. Januar war Ferdinands Rolle noch klarer, als Lippmann an Zöger formulierte: »Ich war wie vereinbart bei Ferdinand und habe beide Artikel mit ihm nochmals durchgesprochen«, sie hätten sich »sehr sachlich schnell geeinigt«. Diese Artikel stammten aber von Zöger und Scholmer, den beiden anderen der »Troika«. »Die Änderungen an Jos Artikel sind minimal, wie Du sehen wirst.« Hingegen gab es Einwände zu Zögers Beitrag. Ich »habe mich mit Ferdinand ziemlich schnell darüber geeinigt […]« Alle Markierungen im Artikel »mit Bleistift« seien von Ferdinand. Und weiter hieß es, »ich hoffe, das findet Deine Zustimmung«, Ferdinand sei auch »mit unserem neuen Untertitel ›Diskussionsforum für modernen Sozialismus‹« einverstanden (bis Ende 1960: »Zeitschrift für modernen Sozialismus«).

Solche Briefe zeigen, dass im engsten Kreis über Texte kontrovers diskutiert wurde. Ferdinand musste (im Namen Nollaus) noch debattieren, konnte nicht einfach »Anordnungen« geben. Aus einem Brief Lippmanns an Zöger vom 15. März 1961 geht andererseits die Abhängigkeit hervor: Es heißt darin, Zöger könne »den Artikel von Krippendorf« in der März-Nummer aufnehmen, denn er sei »bereits von Ferdinand genehmigt«.

Die Redaktionssitzungen waren meist durch die Verhandlungen der drei entscheidenden Personen Lippmann, Zöger und Scholmer vorstrukturiert, was nicht immer reibungslos klappte. Beispielsweise hat Lippmann am 19. Oktober 1961 Jo Scholmer zu einer Aussprache über die Zeitschrift eingeladen. Dazu sollten sich »Dr. N.[ollau], Heinz Z.[öger] und Ferdinand« bei Lippmann treffen. Offenbar konnte Jo nicht kommen, denn im Protokoll der folgenden Redaktionssitzung vom 6. November ist notiert: »Zu Beginn der Besprechung wurde Jo Sch. informiert, welche Entscheidungen im Bezug auf die Weiterführung der Zeitschrift bisher getroffen wurden.« Damit war klar, dass die Linie des Blattes verändert wurde – und zwar bei der Besprechung der zwei Redakteure Lippmann und Zöger mit Nollau und Ferdinand Schuller.

Inzwischen war die Mauer in Berlin gebaut, der XXII. Parteitag der KPdSU 1961 hatte die Verdammung Stalins von 1956 verschärft. Der Mitarbeiter Gromnica hatte sich mit seiner Rückberufung durch die Stasi als deren Agent enttarnt. Dessen erste öffentliche »Enthüllungen« zum Dritten Weg brachte Neues Deutschland am 24. November.92 Doch die Besprechungen im Oktober/November in Köln betrafen andere Probleme. Offensichtlich sollte die »neue Linie« eine stärkere Distanzierung zur SPD bringen, denn Scholmer gab laut Protokoll vom 6. November zu bedenken, »dass evtl. kritische Betrachtungen der SPD-Politik in der Zeitschrift nur dann mit seiner Zustimmung vorgenommen werden könnten, wenn vorher mit St. T[homas] und H. W.[ehner] dies abgesprochen würde, sonst müsse er sich, Jo. Sch., von der Zeitschrift distanzieren«. An dieser Redaktionsbesprechung nahmen nur Zöger, Scholmer und Lippmann teil. Diese »Hauptherausgeber« besaßen also die Möglichkeit, ihre Ideen durchzubringen. Somit ist die Abhängigkeit der Zeitschrift von Nollau und seinem Adlatus Schuller durchaus zu relativieren.

Die Diskussionen ebenso wie die Finanzierung waren ohnehin nur diesem engen Zirkel bekannt. Leonhard, Hertwig, Schröder, Stern oder ich, die vom MfS ständig als »Zentrale« angeführt wurden, waren nicht involviert. Die fundierte Kritik am Stalinismus und der SED war wohl allen das Wichtigste; dass der Kapitalismus dabei zu wenig kritisch beleuchtet wurde, spielte keine große Rolle.

Allerdings sahen die Eingeweihten, insbesondere auch Lippmann, die Abhängigkeit selbst kritisch. Seine Suche nach neuen Möglichkeiten zeigt ein Brief Lippmanns an mich vom 
3. Mai 1961. Darin informierte er mich über ein Gespräch mit Hans Wecker über dessen Zeitschrift Neue Sozialistische Hefte. Der ehemalige KPD-Abgeordnete93 hatte mit dem Geld der Wiedergutmachung für seine NS-Verfolgung einen Verlag für eine Zeitschrift gegründet, die sich inhaltlich gegen SED und SPD richtete. 1961 gab Wecker die Neuen Sozialistischen Hefte heraus. Davon lagen zwei Ausgaben vor, fast alle Artikel stammten von Wecker selbst. Dieser hatte im Gespräch mit Lippmann einer völligen Umstellung zugestimmt, Lippmann wollte dafür Autoren wie »Carola Stern, Krippendorff gewinnen«, auch ich sollte einen Artikel schreiben. »Wenn die Nummer vorliegt, werden wir versuchen, mit der IG Metall ins Geschäft zu kommen.« Bemerkenswert sein Satz, wenn sich die Zeitschrift vielleicht dann selbst trage, sie »endlich jenes unabhängige Organ für uns wäre, das wir uns schon so lange wünschen«. Ein Versuch also, sich aus der Abhängigkeit, in die er mit dem Dritten Weg gekommen war, zu lösen. Zwar erschienen in der dritten Ausgabe von Weckers Zeitschrift ein Artikel von Krippendorff und einer von mir,94 ansonsten schrieb Wecker wie vorher alle übrigen Beiträge selbst. Der Plan war missglückt. Auch Heinz Lippmann schränkte seine Aktivitäten für Der dritte Weg 1962 ein. Darüber schrieb er am 8. Dezember 1962 an Rudi Schröder, er habe sich »in den letzten neun Monaten kaum um die Zeitschrift kümmern« können. Und er klagte: »Wir schmoren jetzt so ziemlich im eigenen Saft«, denn »selbst unsere alten bewährten Stammautoren werden kaum noch herangezogen«. Das wollte er ändern.

Der dritte Weg bestand weiter, er vertrat mit verschiedenen Nuancen bis 1964 die Position eines »dritten Weges«, mit scharfer Kritik an der SED, ihrer Politik, ihren Geschichtsfälschungen, mit einer Gegenüberstellung der Ideen von Marx und der SED-Diktatur. Zudem gab es Hinweise auf andere Tendenzen, etwa in Jugoslawien oder in Sozialstaaten wie Schweden. Behandelt wurden Probleme der SPD und linker Gruppen, aber auch Kritik an der Bundesrepublik und dem Kapitalismus wurde geübt. Wie weit die Zeitschrift insbesondere nach 1961 von Nollau (Verfassungsschutz) abhängig war, ist wegen der fehlenden Unterlagen nicht mehr zu rekonstruieren.95 Wie groß der Einfluss auf das Blatt auch gewesen sein mag, an der Grundlinie eines »dritten Weges« gegen Stalinismus und Kapitalismus änderte sich nichts. Insofern ist die Behauptung vom »Periodikum des Verfassungsschutzes« völlig falsch. Es war eine Plattform kritischer Sozialisten, die einen »dritten Weg« vertraten. Selbst wenn Der dritte Weg ohne die Finanzhilfe Nollaus (und des Verfassungsschutzes?) kaum existieren konnte, so waren Nollaus »Verbindungsleute« Lippmann, Scholmer und Zöger bewährte Sozialisten und Antistalinisten und nicht manipulierbar. Erst recht waren die zahlreichen Autoren, die von Abhängigkeiten keine Ahnung hatten, Anhänger des Sozialismus eines »dritten Weges«, andere Einschätzungen bleiben Legende oder Spekulation.

Das Ende des Dritten Weges

Schien es, als werde und könne Der dritte Weg durch die Gründung des Neuen Deutschen Verlages 1963/64 auf eine neue Grundlage gestellt und konsolidiert werden, so zerbrach diese Hoffnung mit dem Scheitern des Verlags.

1963 erschienen zwei Doppelnummern und nur acht normale Ausgaben. Da Heinz Zöger eine Stelle beim WDR angenommen hatte, schied er aus der Redaktion aus (offiziell stand sein Name noch bis Herbst 1963 im Impressum). Auch ich stellte meine Mitarbeit ab März 1963 ein.96 Der MfS-Informant Barthel gewann an Einfluss. Die Zeitschrift konnte sich 1963/64 allerdings noch auf gute Artikel von Wolfgang Leonhard, Manfred Hertwig97 und weiterhin von Jo Scholmer stützen. Die beiden letzen Jahrgänge standen nicht nur im Schatten der »Geldsuche«, sogar Lippmanns Aktivität ließ nach. Und 1964 gab es lediglich noch eine reguläre Nummer und zwei Doppelnummern. Darin wurden neben Aufsätzen zur FDP, der sowjetisch-chinesische Konflikt, die Opposition von Robert Havemann sowie zur westdeutschen KPD behandelt.

Im Mittelpunkt standen weiter die Enthüllungen über die SED. Eine Artikelreihe zeigte die Legende vom »Arbeiterstaat« anhand von Vergleichen im »sozioökonomischen Wettbewerb« in Deutschland: »Die ›Schere‹ zwischen dem sozialwirtschaftlichen Standard der Arbeiter hüben und drüben wird nicht kleiner, sie hat sich vor der Mauer vergrößert und sie vergrößert sich seit der Mauer besonders schnell.«

Der Westen wurde kritisch beschrieben. Bereits im November 1963 war der Mord an Kennedy als »ein Sieg der Reaktionäre« charakterisiert worden. In der letzten Nummer 4/5 vom April/Mai 1964 erschien noch eine Abrechnung mit der »westdeutschen Bourgeoisie« und deren Ausnutzung des Ulbricht-Regimes gegen alle sozialistischen Tendenzen: »Zwischen Stalinisten und Karolingern« von Jo Scholmer (F. Auler). Es hieß, die »westdeutsche Bourgeoisie« fürchte die Entstalinisierung, denn eine »demokratisierte DDR« würde für »breite Schichten […] attraktiv«. Darin sähe die westdeutsche Bourgeoisie die Hauptgefahr. »Aus diesem Grunde fürchten die westdeutschen Zentralen des Kalten Krieges die Demokratisierung der DDR in der weiteren Perspektive mehr als Ulbricht. Aus dem gleichen Grunde ist auch seitens der Bundesregierung bisher keine Politik betrieben worden, die geeignet gewesen wäre, die Anti-Ulbricht-Opposition zu stärken und politisch ins Spiel zu bringen. Vielmehr gehen die Interessen der westdeutschen Reaktionäre mit denen der Ulbricht-Gruppe völlig konform.« Solche scharfen Angriffe entsprachen ebenso den Ideen des »Dritten Weges« wie der erbitterte Kampf gegen Stalinismus und SED-Diktatur.

Kritik am Kapitalismus war auch früher immer wieder veröffentlicht worden. Bereits im November 1959 hatte Scholmer in einer Auseinandersetzung mit der Zeitung Die Welt den Klassencharakter sowohl des Stalinismus wie den des Westens benannt und geschrieben, beide »herrschenden Klassen« seien bestrebt, »den Stalinismus als gesellschaftliches System zu erhalten«. Im März 1960 hatte Schröder festgestellt, die Bourgeoisie ziehe gegenüber dem nationalen Auftrag »ihr Klasseninteresse vor«. Sein Artikel der Abrechnung mit Franco erschien freilich nur »zur Diskussion«. Und im Januar 1962 enthüllte Scholmer dann wieder »Das Zusammenspiel zwischen Stalinismus und Reaktion«.

Doch die Angriffe gegen den Stalinismus prägten den Dritten Weg, Artikel gegen den Kapitalismus gab es eher sporadisch. Das Blatt verstand seine Aufgabe vor allem als antistalinistisches Sprachrohr für die DDR-Opposition. Dass Scholmer nun in der letzten Nummer nochmals die Position der Zeitschrift gegen den Kapitalismus so explizit herausstellte, sollte den politischen Standpunkt deutlich machen. Außerdem haben in der Ausgabe vom April/Mai 1964 auch andere Aufsätze die Bandbreite des Blattes belegt.

Mit Hertwigs Artikel »Ein Beispiel für Deutschland: Demokratischer Sozialismus in Schweden«, einem Beitrag von Erich Fried über die Rolle Prags und Hinweise auf Martin Jänickes Buch Der dritte Weg wurde in der letzten Ausgabe die politische Intention der Zeitschrift deutlich. Vor allem ein Abdruck aus Havemanns Vorlesungen bewies die Ziele des Dritten Weges: Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Diese letzte Nummer (ohne jeden Hinweis auf das Ende des Blattes) wirkte wie ein Abgesang auf die Zeitschrift Der dritte Weg. Vor allem aber war sie ein Signal weiterer Perspektiven für einen Kampf gegen Stalinismus und Kapitalismus.

Die Zeitschrift und ihre Wirkung

Die Bedeutung und insbesondere die Wirkung der Zeitschrift Der dritte Weg sind schwer einzuschätzen. Ihr Echo in der Öffentlichkeit war gering. In der DDR wurde Der dritte Weg (bis auf die »Enthüllungen« des MfS-Agenten Gromnica in Neues Deutschland oder Berliner Zeitung Ende 1961) völlig totgeschwiegen. Auch in der Bundesrepublik blieb das Blatt außer dem Bericht im Spiegel vom September 1959 und dem (schwachen) Widerhall auf die Ergüsse Gromnicas weitgehend unbekannt; von Kommunisten ist die Zeitschrift nur vom KPD-Vorsitzenden Max Reimann einmal öffentlich angegriffen worden.

Selbst die Leserbriefe vermitteln nur Ausschnitte vom möglichen Widerhall der Zeitschrift. Aus dem vorhandenen Bestand dieser Briefe98 geht hervor, dass Post von etwa 85 Personen einging. Eine ganze Reihe von Lesern schrieb mehrmals; es kam zu regelrechten Briefwechseln mit Schröder, Lippmann (Berger) und Zöger. Die meisten Briefschreiber erklärten, dass sie mit dem Dritten Weg grundsätzlich übereinstimmten. Obwohl 80 Prozent der Auflage des Blattes in die DDR gingen, war das Echo aus dem Westen größer. Vom Ausland kamen Briefe aus den USA, England, Finnland und Österreich, darunter auch von ähnlich politisch eingestellten Klein-Organisationen. Außer mit dem Spiegel gab es eine kurze Korrespondenz mit dem RIAS. Im Oktober 1959 teilte ein Redakteur des Spiegel mit, dass »eine Reihe von Spiegel-Lesern aufgrund des Artikels nach ihrer Anschrift« fragten und »wir haben sie ihnen gegeben«. Einige Briefschreiber bezogen sich sogar auf den Spiegel-Artikel und die von dort erhaltene Adresse.

Post kam auch von einer fast unbekannten Gruppe »Freie Sozialisten der DDR, Exilbüro Mainz«, sie sandte 1962 »beste Wünsche«. Die Personen, die aus der Bundesrepublik und vor allem aus West-Berlin schrieben, waren Flüchtlinge aus der DDR, die zum Teil als Stasi-Opfer in DDR-Haft gewesen waren. Aber selbst KP-Anhänger meldeten sich zu Wort. Da gab es Schmähungen, z. B. schrieb K.-H. aus Hamburg, dass er 1961 »keine Zusendung mehr« wolle, da der »dritte Weg« »kein moderner Sozialismus«, sondern »einfach Quark« sei. Ein H. K. aus Marienberg meinte 1959 gar, »Dritter Weg = Dritter Weltkrieg«. Das waren Ausnahmen, die meisten baten um weitere Belieferung.99

Bemerkenswert war die Post aus der DDR und Ost-Berlin. So ging etwa eine Studentin der Humboldt-Universität ausführlich auf politische und philosophische Fragen ein. Aus Ost-Berlin schrieb 1962 K.-G. mehrfach. Er sah im Dritten Weg eine »Bestätigung seiner eigenen Gedanken, über die man hier leider nicht diskutieren darf«. Später hielt er fest, dass er »Komplikationen« befürchte und bat, ihm die Zeitschrift an eine West-Berliner Adresse zu schicken. 1959 schlug eine Leserin aus Berlin-Pankow vor, auch Reportagen zu bringen und wünschte noch »viel Erfolg«. Berichte vom eigenen Schicksal zeigten die Probleme politischer Gegner der SED-Diktatur, die Linke waren. Darüber schrieb E. W., eine ehemalige »Volksrichterin« in der DDR, die 1958 mit ihrem Mann, einem Rechtsanwalt, in den Westen geflohen war.

Am interessantesten war ein Brief vom Juli 1960 von einer »kleinen Gruppe junger Genossen aus Leipzig […] für mehrere Anhänger des 3. Weges«, die »in den Grundfragen mit Euch übereinstimmen«. Sie übten aber auch »Kritik von links«. Fast gleichlautend war ein Schreiben vom August 1960 aus Ost-Berlin von P. Gruber, der die Zeitschrift immer »mit Spannung« erwartete. Er kannte noch »die Zeit der Weimarer Republik und des Naziregimes […] und muß hier Ulbrichts sogenannten Sozialismus tagtäglich erleben. Mit solchen Erfahrungen weiß man, daß wirklich nur ein dritter Weg unser Ausweg sein kann«. Allerdings kritisierte er, dass die Zeitschrift »auf eine sozialdemokratische Position abgleitet«. Diese wenigen Ausschnitte aus dem Aktenordner »Leserbriefe« sollen genügen.

Die Mitteilungen sind aufschlussreich, weil sie die Isolierung von Anhängern des »dritten Weges« nicht nur im Westen, sondern vor allem im Osten zeigen. Damit blieb die Zeitschrift fast ohne Echo, ihre aktuelle Wirkung nur minimal. Das Ziel, viele nachdenkliche kommunistische Funktionäre aufzuklären oder gar für die Idee einer Alternative zum Stalinismus und Kapitalismus zu aktivieren, blieb schon wegen der geringen Anzahl – nur einige hundert – der Zeitschriften-Exemplare, die in die DDR gelangten, Utopie.

Die einzige Institution, die vom Dritten Weg gründlich durcheinander gebracht wurde, war das MfS. Dabei überschätzte die Stasi das »Organ« weniger Personen. Sie war vor allem beunruhigt, weil nur eine Minderheit der Funktionäre, die den Dritten Weg erhielten, ihn »ordnungsgemäß ablieferte«. Eine möglichst genaue Überwachung der Zeitschrift, ihrer Mitarbeiter und vor allem die Verbreitung in der DDR war für das MfS ein wichtiges Ziel, die Unterwanderung und Information durch ihre Agenten bildeten daher einen Schwerpunkt.

Dennoch gelang es, die Ideen eines »dritten Weges« anstelle von Stalinismus und Kapitalismus über fünf Jahre hinweg in kleinen Kreisen zu verbreiten und Diskussionen anzuregen. Insofern waren in jener Zeit die politischen Bemühungen um die Zeitschrift Der dritte Weg von 1959 bis 1964 nicht ganz vergeblich. Einerseits verbreitete sie vom linken Standpunkt aus Vorstellungen gegen Stalinismus in der DDR und andererseits gegen die Restauration in der Bundesrepublik und lieferte Argumente zum Nachdenken. Für die Betrachtung der deutschen Geschichte Anfang der Sechzigerjahre sind die Ideen eines »dritten Weges« zumindest eine bemerkenswerte Position, die Zeitschrift Der dritte Weg eine interessante Quelle.


1 Siehe dazu den Überblick und die Literaturhinweise bei Alexander Gallus/Eckhard Jesse: Was sind Dritte Wege? Eine vergleichende Bestandsaufnahme, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (im Folgenden: APuZ), B 16–17 vom 13. April 2001, S. 6 ff. Siehe auch die übrigen Aufsätze dieser Beilage.

2 Siehe Thomas Meyer u. a. (Hg.): Lexikon des Sozialismus, Köln 1986, S. 137 ff. Vom Verfasser Heinz Timmermann wird allerdings die hier im Mittelpunkt stehende Zeitschrift »Der dritte Weg« nicht genannt.

3 Das galt zunächst vor allem für die Kommunistische Arbeiterpartei (KAP), die 1920 und 1921 noch Masseneinfluss hatte, bevor sie eine politische Sekte wurde. Siehe dazu Hans Manfred Bock: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 bis 1923, Meisenheim am Glan 1969; ders.: Geschichte des »linken Radikalismus« in Deutschland. Ein Versuch, Frankfurt a. M. 1976.

4 Siehe dazu auch Hermann Weber: Neues Interesse an alten Ideen von Häretikern?, in: Ulrich Mählert (Hg.) u. a.: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung (im Folgenden: JHK) 2012, Berlin 2012, S. 357–379.

5 Siehe Hermann Weber: Opposition eines »dritten Weges«, in: Mitteilungen der Gemeinsamen Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen, Bd. 3, München 2008, S. 261 ff. Ob und wie weit die Vorstellungen eines »dritten Weges« in der Friedlichen Revolution in der DDR Bedeutung hatten, ist in der Forschung umstritten. Auffallend ist, dass hier die historische Dimension, der Blick auf die Fünfziger- und Sechzigerjahre, überhaupt nicht einbezogen wird. Siehe z. B. Martin Sabrow: Der vergessene »Dritte Weg« sowie Rainer Land: Eine demokratische DDR?, beide in: APuZ 
(11. März 2010), H. 11, S. 6 ff. bzw. 13 ff.

6 Siehe Hermann Weber: Die SED und der Titoismus. Wolfgang Leonhard zum 90. Geburtstag, in: Deutschland Archiv, 44 (2011), H. 2, S. 246 ff. bzw. in der Onlineausgabe vom 14. April 2011, www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/54018/sed-und-titoismus, ges. am 23. Juli 2012.

7 Hinzuweisen ist auf eine unabhängige linke Gruppe, die von Ende 1949 bis Ende 1954 eine Zeitschrift unter dem Titel »pro und contra. Weder Ost noch West – eine ungeteilte sozialistische Welt« herausgab. Siehe Michael Kubina: Von Utopie, Widerstand und Kaltem Krieg. Das unzeitgemäße Leben des Berliner Rätekommunisten Alfred Weiland (1906–1978), Münster 2001, S. 336 ff.

8 Siehe Verbandskonferenz: Weder Ost noch West! Für eine ungeteilte sozialistische Welt. Schlagzeile der Titelseite in »junge gemeinschaft«, 9 (Juli 1957), H. 7.

9 Siehe dazu die Dokumentation des MfS in: Ilko-Sascha Kowalczuk: Frost nach dem kurzen Tauwetter, in: Hermann Weber u. a. (Hg.): JHK 1997, Berlin 1997, S. 167–215.

10 Die Rolle und Entwicklung der Opposition des »dritten Weges« in der DDR sind bereits 1964 beschrieben worden. Martin Jänicke: Der dritte Weg. Antistalinistische Opposition gegen Ulbricht seit 1953, Köln 1964. Da Jänicke nur über Dritte-Weg-Gruppen in der DDR berichtete, kommt in seinem Buch die westliche Zeitschrift »Der dritte Weg« nicht vor.

11 Zur Zeitschrift »Der dritte Weg« liegt bis heute kaum wissenschaftliche Literatur vor. Die Rolle Heinz Lippmanns in diesem Blatt wird von Michael Herms jedoch genauer untersucht. Siehe Michael Herms: Heinz Lippmann. Porträt eines Nachfolgers. Mit einem Vorwort von Hermann Weber, Berlin 1996. Durch die Auswertung von Akten des MfS bei der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) und der SED bei der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) hat Herms viel Material über das Blatt zusammengetragen (S. 210–267). Auf seine Arbeit sowie mein dortiges Vorwort wird hier zurückgegriffen. Fehlerhafte Darlegungen etwa in Nollaus Erinnerungen oder in der Online-Enzyklopädie Wikipedia (siehe de.wikipedia.org/wiki/Der_dritte_Weg_(Zeitschrift), ges. am 23. Juli 2012) werden an entsprechender Stelle behandelt. Das gilt auch für die Problematik fehlender Quellen, z. B. beim Verfassungsschutz.

12 Siehe Joseph Scholmer: Fall 6, in: Horst Krüger (Hg.): Das Ende einer Utopie, Olten 1963, S. 135 ff. Siehe Ursula Rumin/Joseph Scholmer: Freche Jungs und Böse Buben. Jugendjahre am Rhein, Gründau-Rothenbergen 2010. Siehe auch Hermann und Gerda Weber: Leben nach dem »Prinzip links«. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Berlin 2006, S. 138 ff. Von den meisten hier genannten Personen, finden sich Biografien in Helmut Müller-Enbergs u. a. (Hg.): Wer war wer in der DDR?, 5. erweiterte und aktualisierte Neuausgabe, Berlin 2010.

13 Siehe Joseph Scholmer: Die Toten kehren zurück. Bericht eines Arztes aus Workuta, Köln/Berlin 1954, ab 1963 mehrere Taschenbuchausgaben: Arzt in Workuta. Bericht aus einem sowjetischen Straflager.

14 Siehe Herms: Lippmann (Anm. 11).

15 Siehe Weber: Titoismus (Anm. 6).

16 Er half sofort mit einer Spende, als ich ihm am 18. Juni 1956 schrieb: »… In der Stuttg. Ztg. erschien der Wortlaut der Geheimrede Chruschtschows. Als Nr. 2 des Mat. will ich diese mit nur zwei Seiten abgezogener Beilage verschicken. Das würde sicher einschlagen. Nun kostet aber jede Nr. der Zeitung 30 Pf., d. h. bei mindestens 200 Exempl. 60,-, was unser kleiner Kreis neben dem Porto nicht aufbringen kann. Könntest Du in diesem Sonderfall mit 50,- einspringen?«

17 Siehe Weber: links (Anm. 12), S. 134 f. sowie Hermann Weber/Andreas Herbst: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, 2. überarbeitete und stark erweiterte Auflage, Berlin 2008, S. 985 f.

18 Interessanterweise sind auch im Parteiarchiv der SED bzw. KPD keine Hinweise zu finden. Ich danke Dr. Horn von SAPMO, der Andreas Herbst (der wie immer half) und mir mitteilte, weder in den Sammlungen KPD, SED-Westbüro, Arbeitsbüro noch in der Flugblattsammlung oder den Nachlässen Ulbricht bzw. Büro Verner, Ulbricht usw. seien Hinweise auf »Der Neue Kurs« zu finden. Ebenso fanden sich bei den Akten des MfS keine Unterlagen. Für Recherchen danke ich dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn und Frau Wenzel von der BStU.

19 Das geht alles aus dem Briefwechsel zwischen Ilse Spittmann, Heinz Lippmann und mir zwischen Juni und August 1956 in meinem Archiv hervor. Dort befinden sich auch im Folgenden zitierte Briefe.

20 Siehe Michael Benz: Der unbequeme Streiter Fritz Lamm. Jude, Linkssozialist, Emigrant 1911–1977. Eine politische Biographie, Essen 2007.

21 Siehe Leo Bauer: »Die Partei hat immer recht.«, in: APuZ, B-27/56 vom 9. Juli 1956. Siehe auch ders.: Fall 3, in: Krüger: Das Ende (Anm. 12), S. 71 ff. sowie Müller-Enbergs (Hg.): Wer (Anm. 12), S. 72 f.

22 Siehe Weber: links (Anm. 12), S. 135 f.

23 Ich besitze kein Exemplar, Ilse Spittmann hat vom ganzen Vorgang keine Unterlagen mehr, in Archiven finden sich, wie gesagt, überhaupt keine Hinweise. Selbst im Archiv des Ostbüros der SPD gibt es nur ein Exemplar der ersten Ausgabe (ich danke Herrn Hans Peter Schulz für die Auskunft). Allerdings hatte das Ostbüro mir schon am 8. August 1956 geschrieben, sie hätten kein Exemplar der zweiten Ausgabe mehr. Es ist davon auszugehen, dass die dritte nicht mehr erschienen ist.

24 Siehe Weber: links (Anm. 12), S. 164 ff.

25 Pertinax war das Pseudonym für Heinz Lippmann, Jo Scholmer und Jürgen Rühle. Zur Entstehung und zur Ausgabe siehe die Einzelheiten in Weber: links (Anm. 12), S. 164 ff.

26 Siehe unten, Anm. 85 und 86.

27 Siehe Weber: links (Anm. 12), S. 169 ff., 239 ff.

28 Siehe ebd., S. 194.

29 Siehe Der Dritte Weg, in: Der Spiegel, Nr. 38, vom 16. September 1959, S. 36 ff.

30 Siehe ebd., S. 37.

31 Siehe Hermann Weber: Zum Verhältnis von Politik, Ideologie, Strukturen und Kadern in der kommunistischen Bewegung, in: Ulrich Mählert u. a. (Hg.): JHK 2010, Berlin 2010, S. 339–361, hier S. 357.

32 Siehe auch BStU, Zentralarchiv MfS, 9744/65 Bd. II, S. 000028 sowie ebd., 11718/63 bzw. 1-587/85 (»Karow«), S. 000155.

33 MfS, 10996/66 Bd. 2 (IM Barthel), S. 00002.

34 Ebd. (Anm. 33), S. 00091 (»Meine Mitarbeit/Zusammenarbeit mit der Redaktion ›Der dritte Weg‹«).

35 MfS, A-5885, Bd. IV (»Karow«), S. 000070. Siehe auch MfS, 15/49116/62, Bd. 1, S. 000016; MfS, 10603/60 (»Karow«), MfS Sammelakte (Jo Scholmer) 1235/67, S. 0000112.

36 Siehe Weber: links (Anm. 12), S. 211. Zu Zöger siehe auch Carola Stern: In Netzen der Erinnerung. Lebensgeschichte zweier Menschen, Hamburg 1986, S. 8 ff.; dies.: Doppelleben, Köln 2001, S. 77 ff. Siehe auch Müller-Enbergs (Hg.): Wer (Anm. 12), S. 1480.

37 Carola Stern schreibt in ihren Erinnerungsbänden, die den Kasbacher Kreis nur sehr abwertend erwähnen, sie sei erstmals »Pfingsten« dort gewesen. Das kann nicht stimmen, Pfingsten war Anfang Juni, die Tagung bereits im März. Der nächste Artikel von ihr erschien in »Der dritte Weg«, Nr. 7, Juli 1960 (Angelika Kauffmann), aber ihre Mitarbeit wird in den Erinnerungsbänden nicht genannt.

38 Siehe Arbeit und Leben, Arbeitsgemeinschaft DGB-VHS, Nr. 1/1961: Hermann Weber: Die Bedeutung des Marxismus in der Ost-West-Auseinandersetzung sowie Nr. 1/1962: Heinz Zöger: Revisionismus hinter dem Eisernen Vorhang.

39 Max Reimann: Zwei Wege – Krieg oder Koexistenz, in »Wissen und Tat«, 15 (1960), H. 8.

40 Zu Gromnica siehe Weber: links (Anm. 12), S. 212 ff.

41 Bereits in der Dezember-Nummer 1960 erschien ein Bericht »unseres Korrespondenten E. Krippendorf« aus den USA über die dortigen Wahlen.

42 Die Ausführungen des MfS-Agenten in Neues Deutschland vom 24. November 1961 standen dann unter der Überschrift »Wehner mit Gehlen im Komplott«.

43 Berliner Zeitung vom 21., 24. und 28. Dezember 1961.

44 Siehe ebd. vom 28. Dezember 1961.

45 Doch in der DDR war dann der »Oberleutnant« des MfS weiter als Spitzel tätig, auch darüber gibt es zahlreiche Akten (siehe z. B. MfS, 11718/63 (handschriftlich geändert: A-587/85/Bd. 7)).

46 MfS, Objekt-Vorgang »Verkäufer«, Zentralarchiv 80/75/70, S. 000192 bzw. 000235.

47 Zu Heilmann siehe Weber: links (Anm. 12), S. 220 ff.

48 MfS, Operativ-Vorgang »Verkäufer«, 8075/70, Bd. IV, S. 000176 f.

49 MfS, »Verkäufer«, ebd. S. 000178.

50 Siehe MfS, »Verkäufer«, ebd. S. 000187.

51 Zu seiner Person siehe Weber: links (Anm. 12), S. 215 ff.

52 Siehe MfS, 10603-60 bzw. 1969/57, GM »Heinz Karow«, Bd. IV.

53 Siehe MfS, »Karow«, ebd.

54 MfS, Operativ-Vorgang »Verkäufer« (3. Weg), 9744/65, Bd. 2 sowie 8075/70, Bd. 4, S. 000213 ff.

55 Siehe MfS, Allg. S. 1003/67, Bd. 5, 000135 ff.

56 MfS, Zentralarchiv. Allg. S. 1003/67, Bd. 5.

57 Siehe auch Weber: links (Anm. 12), S. 203 f.

58 Siehe MfS, Arbeitsvorgang A – 1587/85 (11718/03), Bd. IV »Heinz Karow«, S. 000123 ff.

59 Siehe Weber: links (Anm. 12), S. 207 f.

60 Meine Kopie der BStU ist durch die Schwärzung sämtlicher Namen (das gilt selbst für Lippmann oder meine Person!) nicht aussagekräftig.

61 Siehe MfS, Teil-Vorg. 3. 70071/60, Teil-Vorg. 3, Bd. 1, S. 000068 ff. Dass. Teil-Vorg. 4, S. 609022 und 609023 ff.

62 Siehe z. B. MfS, 7071/60, Teil-Vorg. 1, 2381/62, S. 000009 oder MfS, 2381/62 Tl. 2, S. 000005 ff. Im Juli 1960 meldete der MfS-Agent Barthel, Lippmann habe Gromnica (ebenfalls MfS-Agent) den »Versand der Zeitschrift in die DDR übertragen« (MfS, 10996, Bd. 2, S. 000208).

63 Siehe die Hinweise in Hermann Weber: Damals, als ich Wunderlich hieß, Berlin 2002, S. 311 f.

64 Siehe dazu das Kapitel »Erich Mielke verweigert Auskunft an Hermann Matern«, in: Weber: links (Anm. 12), S. 210 ff.

65 Die DDR im Blick der Stasi 1961. Die geheimen Berichte an die SED-Führung. Bearb. von Daniela Münkel. Göttingen 2011 (Dok. vom 21. Juni 1961 auf der beiliegenden CD-ROM).

66 Zu den Personen siehe Weber: links (Anm. 12), S. 204 ff. sowie Müller-Enbergs (Hg.): Wer (Anm. 12). Fritz Schenk (1930–2006), Büroleiter Bruno Leuschners, war 1957 geflüchtet, später beim ZDF aktiv, hat nur wenige Artikel für »Der dritte Weg« verfasst, aber mehrere Bücher, auch Memoiren. In einem anderen MfS-Bericht (MfS, 9744/65, Bd. 1, S. 000038) wurden für eine Redaktionssitzung Mitte Juli 1961 angeführt »Lippmann, Zehm, Zöger, Scholmer, Salter, Barthel, Carola Stern, Leonhard«. In einem Bericht Barthels vom August 1961 werden die gleichen Teilnehmer genannt (MfS 8075/75, S. 0000099). In einem MfS-Bericht vom 22. September 1960 wurden als »Mitarbeiter« der »zersetzenden« Zeitschrift aufgeführt: »Zöger, Schölmerich, Hertwig, Lippmann, Stern, Barthel [also der eigene Agent], Weber und Zwerenz«. Siehe MfS, 1269/57, Bd. V, S. 000062.

67 Die DDR im Blick der Stasi 1961 (Anm. 65).

68 Siehe über ihn auch Hermann Weber: Aus Spitzeln und Spionen wurden »Kundschafter des Friedens«, in: Tilman P. Fichter/Siegward Lönnendonker: Dutschkes Deutschland. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund, die nationale Frage und die DDR-Kritik von links, Essen 2011, S. 276 ff.

69 MfS, »Renegatenzentrum«, 2284/60, II. Teil, S. 000321.

70 MfS, »Operativvorgang Verkäufer«, 8075/70 Bd. 4, S. 000025 (HA XX, Auskunft über Prof. Dr. Weber vom 25. Juni 1978).

71 Später behauptete der Stasi-Agent Barthel (»Kurt«), es seien Ende 1963 in einem »Finanzplan« Lippmanns für 1964 bei einer Auflage von 5000 Exemplaren (!) 10 000 Mark an Kosten errechnet worden. MfS, 10996/66, Bd. 8, S. 000055. Barthel hatte schon Ende 1961 eine »Konzeption« zur »Neuorientierung« der Zeitschrift vorgelegt, in der die bisherige Politik des Blattes kritisiert wurde, das nun stärker »auf der Linie des Titoismus liegen« sollte. Das »Konzept« hatte er zunächst dem MfS vorgelegt. Ob die Stasi das Papier stoppte, weiß ich nicht. Mir als Mitarbeiter wurde es jedenfalls nicht bekannt. Siehe MfS, Archiv 10996/66, Bd. 9 (»Kurt«), S. 000293.

72 Siehe Weber: links (Anm. 12), S. 207 ff.

73 In Nr. 11/12 »Der dritte Weg« vom November/Dezember 1960 erschien ein längerer, sehr positiver Bericht über den Gewerkschaftstag der IG Metall »Auf sozialistischem Weg«. Wenn ich recht erinnere, ließ Lippmann durchblicken, dafür habe es von dort »Unterstützung« gegeben. Leo Bauer war übrigens immer der Meinung, das Ostbüro der SPD würde trotz des Dementis von Thomas Unterstützung leisten.

74 Siehe Herms: Lippmann (Anm. 11), S. 121 f., 210 ff.; Weber: links (Anm. 12), S. 205 ff.

75 Siehe Weber: links (Anm. 12), S. 217.

76 Günther Nollau: Das Amt. 50 Jahre Zeuge der Geschichte, München 1978, S. 227 ff.

77 Es gibt nur einen sehr kleinen Nachlass im Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Töchter Nollaus übergeben nun einen weiteren kleinen Teil an das Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ich danke den Leitern und Mitarbeitern der Archive ebenso für ihre Hilfe wie den beiden Töchtern von Günther Nollau.

78 Bereits im November 1995 erhielt ich die Auskunft, »dass im Bundesamt für Verfassungsschutz lediglich eine komplette Sammlung der Ausgabe des ›Dritten Weges‹ vorliegt«.

79 Ich danke dem Präsidenten des Bundesarchivs und seinen Mitarbeitern für entsprechende Suche und Hinweise.

80 Am 1. Juni 1960 schrieb mir z. B. Lippmann, Anfang Juli »finden in Köln Besprechungen […] insbesondere mit Oberst Schmückle statt, der gemeinsam mit Manfred Hertwig an der Verbreitung unserer Vorstellungen sehr interessiert ist«. Und er schrieb, es gebe »Verhandlungen mit verschiedenen Stellen, um die materiellen Voraussetzungen zu schaffen«. Seiner Bitte, ich solle deswegen nach Köln kommen, konnte ich nicht nachkommen. Ob das Gespräch stattfand, weiß ich leider nicht.

81 MfS 10996/66, Bd. 8, S. 000054.

82 MfS, ebd., S. 000136.

83 In der Verlagsankündigung waren weitere Bücher vorgesehen, z. B. »Sozialdemokratie und Kommunismus«, »Hundert Fragen an deutsche Kommunisten«, »Die Deutsche Demokratische Republik«.

84 Das Buch wurde natürlich kein »Bestseller«, wie Jo gehofft hatte, aber 2007 zu den »50 Klassikern der Zeitgeschichte« gezählt. Siehe Siegfried Lokatis: Parteigeschichte als Chefsache. Hermann Weber als Antipode des »Historikers« Ulbricht, in: Jürgen Danyel/Jan-Holger Kirsch/Martin Sabrow (Hg.): 
50 Klassiker der Zeitgeschichte, Göttingen 2007, S. 80–83.

85 Nollau: Das Amt (Anm. 76), S. 227.

87 Erich Honecker: Letzte Aufzeichnungen. Mit einem Vorwort von Margot Honecker, Berlin 2012. Angegeben sind weder die Herausgeber noch die Verfasser der zahlreichen Fußnoten.

88 Da die Zeitschrift erst ab 1959 herauskam und Nollau damals noch kein Präsident war, ist diese Bezichtigung ebenso falsch wie die Angabe, im »Impressum war die IG Metall als Finanzquelle angegeben«.

89 Weber: links (Anm. 12), S. 208. Auch Herms: Lippmann (Anm. 11), S. 214, hat Zweifel. Dort auch in meinem Vorwort entsprechende Hinweise. Einzige Ausnahme war meine Meldung über den Ausschluss Max Köhlers (zu seiner Person siehe Weber/Herbst: Deutsche Kommunisten (Anm. 17), S. 466 f.) aus der Berliner SPD vom März 1961. Sowohl Lippmann wie Zöger gaben mir den Rat, statt »stalinistische Methoden« besser »eigenartige Methoden« zu schreiben, was mir voll einleuchtete. Mit dieser kleinen Veränderung erschien der Artikel im März 1961 (Briefe von Zöger und Lippmann in meinem Archiv vom 24. bzw. 21. März 1961).

90 Aus kleinen Beständen des Nachlasses von Lippmann in meinen Archiv, die ich erst jetzt durcharbeiten konnte, ergibt sich ein anderes Bild. Es handelt sich um Briefwechsel zwischen Lippmann und Zöger (Februar 1960 bis März 1961) sowie um Briefe zwischen Scholmer und Lippmann, das Redaktionsprotokoll vom 8. November 1961 usw.

91 Dies bestätigt die Antwort des BfV auf meine Frage, ob etwas über den Verbleib von Ferdinand Schuller bekannt sei. In der Antwort hieß es: »Aussagen bezüglich Personalien ehemaliger Mitarbeiter sind seitens des Amtes aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Daher kann ich Ihnen auch keine Auskunft darüber gegeben, ob Herr Schuller noch lebt.«

92 »Aus der Erklärung des in die DDR übergetretenen West-Berliner Journalisten Michael Gromnica«, Neues Deutschland vom 24. November 1961.

93 Siehe Weber/Herbst: Deutsche Kommunisten (Anm. 17), S. 1000.

94 Wegen des Abdrucks eines Artikels über den XXII. Parteitag der KPdSU von mir (»Neue Sozialistische Hefte«, Deutscher Arbeiterverlag Eitorf-Sieg, Nr. 3, September 1961, S. 64 ff.) gab es Ärger (siehe ebd., Nr. 4, S. 79).

95 Nicht nur Verfassungsschutzakten fehlen, aus dem kleinen (Teil-)Nachlass von Lippmann liegt ab 1963 nichts mehr vor. Auch der Aktenordner »Leserbriefe« reicht nur von 1959 bis 1961, lediglich wenige Briefe sind von 1962 und 1963.

96 Allerdings hat Jo Scholmer in einem Artikel »Geschichtsfälscher Ulbricht fühlt sich ertappt« im Januar-Heft 1964 die Auseinandersetzung über mein »Ulbricht fälscht Geschichte« thematisiert. Er hatte auch vermittelt, dass der sozialdemokratische »Vorwärts« bereits von Oktober bis Dezember 1963 sechs Folgen eines Vorabdrucks des Buches, das 1964 erschien, veröffentlicht hatte.

97 Hertwig (1924–2006) war im sozialdemokratischen Bildungswesen tätig, er schrieb u. a. eine Broschüre zum »dritten Weg« sowie 1972 zur Studentenbewegung »Vom antiautoritären Kampf zum autoritären Zentralismus« (ich danke seiner Witwe Dr. Gertrude Hertwig für die Überlassung). Siehe auch Weber: links (Anm. 12), S. 198, 203 ff. Siehe auch Müller-Enbergs (Hg.): Wer (Anm. 12), S. 538.

98 Der Aktenordner enthält die alphabetische Ablage von Leserbriefen, vor allem von 1959 bis 1961 aus dem Nachlass Lippmann im Archiv Weber. Auch Kuverts aus der DDR (teils mit Briefmarken mit Ulbrichts Porträt usw.) sind im Ordner, meist ohne Absenderangabe, aufbewahrt.

99 In »Der dritte Weg« Nr. 6 vom Oktober 1959 war der Brief »Dritter Weg = Dritter Weltkrieg« ebenso korrekt abgedruckt wie zwei positive Zustimmungen, darunter ein Schreiben aus Dresden.

Inhalt – JHK 2013

Copyright:

Eventuell enthaltenes Bildmaterial kann aus urheberrechtlichen Gründen in der Online-Ausgabe des JHK nicht angezeigt werden. Ob dieser Beitrag Bilder enthält, entnehmen Sie bitte dem PDF-Dokument.