JHK 2013

Ungewöhnliche Konversionen? Von Mao zu Moses. Linksradikalismus und jüdische Zugehörigkeit im Frankreich der späten Siebzigerjahre

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 137-152 | Aufbau Verlag

Autor/in: Sebastian Voigt

»Dass mein Fall gewöhnlich ist, man darf sich dabei nicht täuschen, besagt, dass er wunderbar ist […]. ›Von Mao zu Moses‹ ruft man aus, und vergisst, dass, um genau zu sein, es von Moses zu Mao, von Mao zu Moses heißen müsste, das bedeutet also, von Moses zu Moses im Vorbeigehen an Mao. Das gewöhnliche Schicksal des Juden – das Wunder – liegt in der Offenbarung dieser Unbeweglichkeit, trotz der ganzen Bewegungen des Jahrhunderts.«1

Dieses Zitat aus einem 2003 postum veröffentlichten Werk stammt von Benny Lévy. Rückblickend auf seinen Lebensweg betonte er dessen Gewöhnlichkeit, die darin bestehe, dass ein Jude immer ein Jude bleibe, egal welche Umwege er auch eingeschlagen habe. Letztlich kehre er zu seinen Wurzeln zurück. »Moses«, als Prophet des Volkes Israel, sei der unumgängliche Ausgangs- und Endpunkt.2

Der 1945 in Ägypten geborene Lévy, Sohn einer assimilierten Familie der Mittelschicht, kam nach der Suezkrise 1956 nach Frankreich. Er studierte an der Pariser Eliteuniversität École normale supérieure und wurde Mitglied der Union des étudiants communistes [Union kommunistischer Studenten], der Studentenvereinigung der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF). Nach den Ereignissen des Pariser Mai 1968 wurde er einer der Anführer der maoistischen Gauche Prolétarienne [GP, proletarische Linke] und einer der bekanntesten Linksradikalen in Frankreich. Die GP gab auch die Zeitung La Cause du Peuple [Die Sache des Volkes] heraus. Im Mai 1970 wurde die Gruppierung schließlich aufgrund ihrer Radikalität vom französischen Staat verboten. Aus Solidarität übernahm Jean-Paul Sartre die Herausgeberschaft der Zeitung, die fortan unter anderem Namen erschien, und kam auf diese Weise mit Benny Lévy in Kontakt.

Nachdem die GP 1970 als Organisation verboten worden war, tauchte Lévy unter. 1973 machte ihn Sartre, der damals schon fast erblindet war, zu seinem Privatsekretär. 1978 entdeckte Lévy schließlich die Philosophie von Emmanuel Levinas, ging in eine Jeschiva, eine jüdische Religionsschule, nach Straßburg, und begann, Hebräisch zu lernen. Knapp zwanzig Jahre später, 1997, wanderte er nach Israel aus und gründete zusammen mit zwei anderen Protagonisten der Nouveaux Philosophes [Neue Philosophen], Alain Finkielkraut und Bernard-Henri Lévy, das Institut für Levinas-Studien in Jerusalem, das er bis zu seinem Tod 2003 leitete.

Eine heftige Kontroverse über die Frage der jüdischen Zugehörigkeit entfachte Lévy mit seiner Schrift L’espoir maintenant. Les entretiens de 1980 [Hoffnung jetzt. Die Gespräche von 1980]. In diesem Buch hält er Gespräche fest, die er mit Sartre kurz vor dessen Tod geführt hat.3 Dieser hatte sich seit Jahrzehnten mit dem Antisemitismus auseinandergesetzt.4 Bereits in den 1946 veröffentlichten Überlegungen zur Judenfrage wies Sartre darauf hin, dass der Antisemitismus kein jüdisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem sei und die Sicherheit der einzelnen Juden in einer Gesellschaft den Gradmesser für ihre emanzipatorische Entwicklung darstelle.5 Außerdem würden die Juden in den meisten Fällen erst durch den Antisemitismus zu Juden gemacht. In den Gesprächen mit Lévy gab er seinem Denken jedoch eine ungeahnte Wendung. Er betrachtete die Juden jetzt nicht mehr nur als ex negativo durch die Judenfeindschaft bestimmt, sondern hob hervor, dass eine »jüdische Realität« existiere.6 Neben Themen wie Gewalt, Hoffnung, Verzweiflung und Brüderlichkeit, die er in einer gänzlich neuen Weise diskutierte, waren viele Leser darüber verwundert, dass der strikte Atheist die Bedeutung der messianischen Hoffnung als Quelle für revolutionäre Ideen unterstrich: »Zu der Zeit, als ich die Überlegungen zur Judenfrage schrieb, war der Messianismus für mich eine sinnlose Idee. Wenn er heute eine reiche Bedeutung für mich angenommen hat, so zum Teil dank unserer Gespräche, die mich verstehen ließen, was er für dich repräsentierte.«7

Aufgrund der Prominenz Sartres hatte das Buch von Lévy zwar eine herausgehobene Position, war seinerzeit aber nicht das Einzige seiner Art. Im Gegenteil: In der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre erschienen mehrere Publikationen ehemaliger jüdischer Linksradikaler, die sich mit der Frage der Zugehörigkeit befassten. Zu nennen ist hier etwa die im Gefängnis verfasste Autobiografie Dunkle Erinnerungen eines in Frankreich geborenen polnischen Juden von Pierre Goldman (geb. 1944), die bei Erscheinen 1975 breit rezipiert wurde.8 Sein Freund und politischer Weggefährte, Luc Rosenzweig (geb. 1943), der als Journalist für die linke Tageszeitung Libération tätig war, führte in La Jeune France Juive [Das junge jüdische Frankreich] Interviews mit jungen französischen Juden.9 Der Titel war eine ironische Anspielung auf das antisemitische Pamphlet La France Juive [Das verjudete Frankreich] von Édouard Drumont aus dem Jahre 1886.10 Zeitgleich gab Rosenzweig die Textsammlung Catalogue pour des Juifs de maintenant [Katalog für die Juden von heute] heraus, die unterschiedliche Facetten jüdischen Lebens im Nachkriegsfrankreich thematisierte.11 1980 erschien Alain Finkielkrauts (geb. 1949) Le Juif imaginaire [Der eingebildete Jude]. Darin versuchte er eine Form der Zugehörigkeit zu begründen, die sich nicht ausschließlich auf die Leiden in Auschwitz stützte. Er konstatierte einen Zusammenhang zwischen dem Niedergang der radikalen Linken im Zuge der Siebzigerjahre, der Fortexistenz des Antisemitismus nach 1945 und einer Renaissance der Debatte um das Jüdischsein.12

Seinerzeit brachen keineswegs alle linken Juden mit ihren bisherigen politischen Überzeugungen, aber augenscheinlich ist dennoch, dass alle aufgezählten Bücher innerhalb einer Zeitspanne von fünf Jahren publiziert wurden. Der Bruch mit der kommunistischen Bewegung wurde gerade von Intellektuellen vollzogen, die bis heute eine wichtige Rolle in der französischen Diskussion spielen.

Um die Gründe für diese auffällige Tendenz zu eruieren, müssen die Bedeutung Frankreichs für die jüdische Geschichte diskutiert und die Veränderungen zwischen 1945 und 1980 dargelegt werden, die das Selbstverständnis der französischen Juden tangierten. Nur vor diesem Hintergrund sind die Abwendung vom universellen Emanzipationsversprechen, das sowohl in der Französischen Revolution als auch im Kommunismus enthalten war, und die Hinwendung zu einer partikularen Zugehörigkeit zu verstehen. Die aufgeworfene Thematik behandelt somit die Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit universalistischer Ideologien, die sich paradigmatisch im Nachkriegsfrankreich zeigte und insbesondere die Juden als »Minderheit par excellence« betraf.13

Die Bedeutung Frankreichs für die jüdische Geschichte

Die Französische Revolution spielte eine eminent wichtige Rolle in der jüdischen Geschichte, weil den Juden durch sie historisch erstmals die rechtliche Gleichberechtigung zuerkannt wurde.14 Damit einher gingen jedoch das Assimilationspostulat und die erzwungene Absage an jegliche Form religiöser Partikularität.15 Stanislas de Clermont-Tonnerre, ein Abgeordneter der Nationalversammlung, brachte diese Überzeugung in einer auf alle gesellschaftlichen Minderheiten angewandten, klassisch gewordenen Wendung auf den Punkt: »Man muss den Juden als Nation alles verweigern und den Juden als Individuen alles zugestehen.«16 Dieser Ausspruch enthält in nuce die Ambivalenz des Universalismus. Der sich im 19. Jahrhundert vollziehende Akkulturationsprozess ermöglichte den Juden einen außergewöhnlichen sozialen Aufstieg. Jedoch existierte in Frankreich damals auch ein starker Antisemitismus. Das bekannteste Beispiel war die Dreyfus-Affäre, im Zuge derer sich eine moderne bürgerliche Gesellschaft an der »Judenfrage« spaltete.17 Diese Widersprüche kommen in der Redensart von den deux Frances, den zwei Frankreich, zum Ausdruck.18

Die Situation der französischen Juden änderte sich grundlegend durch die starke Migrationsbewegung aus dem östlichen Europa, die durch die Pogrome Anfang des 20. Jahrhunderts ausgelöst wurde und nach dem Ersten Weltkrieg vermehrt Flüchtlinge nach Frankreich brachte.19 Infolge der Einwanderung aus Ostmitteleuropa entstanden in Paris jiddischsprachige Viertel, und es wurde zur Stadt mit der größten jüdischen Bevölkerung Westeuropas.20 Es wurden jüdische Organisationen innerhalb der Arbeiterbewegung gegründet, und viele Migranten schlossen sich der 1920 gegründeten KPF an. Mitte der Zwanzigerjahre wurden spezielle Sektionen für eingewanderte Arbeiter ins Leben gerufen (Main d’oeuvre étrangère, seit 1932 Main d’oeuvre immigré), darunter auch eine jiddischsprachige Gruppierung.

Noch in der Zwischenkriegszeit war Frankreich das klassische Asylland, das politisch Verfolgten Aufnahme bot. Für viele Juden symbolisierte Frankreich die Hoffnung auf eine Gesellschaft ohne Unterdrückung. Es verkörperte den Universalismus der Aufklärung und hatte damit eine Strahlkraft weit über die eigenen Grenzen hinaus. Dieses Bild geriet zunehmend ins Wanken und zerbrach nach der französischen Niederlage im Zweiten Weltkrieg 1940.

Der Waffenstillstandsvertrag mit dem NS-Regime im Juni 1940 teilte das französische Territorium. In der unbesetzten Zone in Vichy errichtete der Held des Ersten Weltkriegs Marschall Philippe Pétain ein Regime, das auf die autoritäre Umstrukturierung der Gesellschaft abzielte.21 Bereits am 3. Oktober 1940 erließ die Regierung das »Judenstatut«. Im März 1941 wurde das »Generalkommissariat für Judenfragen« eingerichtet. Es entwickelte sich eine weitreichende Kollaboration mit dem NS-Regime. Diese wäre ohne die aktive Beteiligung oder die stillschweigende Akzeptanz eines Großteils der französischen Bevölkerung kaum möglich gewesen.22

Der Widerstand in Frankreich formierte sich langsam, und eine politische Strömung beteiligte sich zunächst überhaupt nicht daran: die Kommunistische Partei. Nach Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts im August 1939 rechtfertigte die KPF diesen vielmehr als Notwendigkeit zum Schutz der Sowjetunion und als reine Defensivaktion.23 Der Krieg wurde als innerimperialistische Angelegenheit interpretiert und jegliche antifaschistische Aktivität eingestellt. Dies evozierte bei vielen jüdischen Parteimitgliedern erste Zweifel am Kurs der Partei, die jedoch nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion wieder zerstreut werden konnten.

Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lebten ungefähr 330 000 französische Juden in Frankreich, hinzu kamen an die 40 000 geflohene deutsche und österreichische Juden. Bereits seit Mitte 1941 wurden regelmäßig antijüdische Razzien in der besetzten Zone durchgeführt, die später auf das ganze Land ausgedehnt wurden. Am 27. März 1942 begannen die Transporte nach Auschwitz. Bis zur Befreiung Frankreichs im August 1944 wurden 76 000 Juden deportiert – ein Viertel aller bei Kriegsbeginn dort lebenden Juden.24

Französische Nachkriegsmythen

Nach einer kurzen Phase der wilden Säuberung gegen Kollaborateure mit der deutschen Besatzung unmittelbar nach der Befreiung Frankreichs im Herbst 1944, in der mehr als 8000 Personen standrechtlich erschossen wurden oder unzähligen weiteren Vergeltungsmaßnahmen zum Opfer fielen, wurden die Racheakte in administrative Bahnen gelenkt.25 In den kommenden Jahren wurden mehr als 300 000 Fälle der Zusammenarbeit mit dem Feind an die französische Justiz weitergeleitet. Gut ein Drittel wurde verhandelt, 75 Prozent davon endeten mit einer Verurteilung. Das härteste Strafmaß traf die Führungsriege des Vichy-Regimes. An die 1600 Personen wurden zum Tode verurteilt und exekutiert. Marschall Pétain entging der Erschießung nur, weil seine Strafe in eine lebenslange Gefängnisstrafe umgewandelt wurde.26

Bald nach 1945 entstanden wirkmächtige Mythen, die aus dem Umgang mit dem Vichy-Regime und dem Holocaust resultierten. Sie dienten der Herstellung eines neuen Zusammenhalts in einer ideologisch zutiefst gespaltenen Gesellschaft. Über politische Differenzen hinweg, also von den Kommunisten bis zu den Gaullisten, wurde der Mythos der gesamten Nation im Widerstand und der Selbstbefreiung genährt. Andere Kriegs- und Opfererfahrungen blieben ausgeblendet. Das Vichy-Regime wurde aus dem Verlauf der französischen Geschichte gleichsam exterritorialisiert und die Kollaboration von Teilen der Bevölkerung nicht thematisiert. Es passte nicht in das heroische Selbstbild. Das »Vichy-Syndrom«, wie der französische Historiker Henry Rousso es nannte, bestimmte das kollektive Gedächtnis Frankreichs über Jahrzehnte.27 Somit hatte der durchaus bedeutende spezifisch jüdische Anteil an der Widerstandsbewegung keinen Platz im offiziellen Narrativ.

Ein weiterer Faktor verdeckte die Wahrnehmung der années noires [dunklen Jahre] zwischen 1940 und 1944: die Entkolonisierung des französischen Kolonialreichs. Gerade in Frankreich standen das Ende des Zweiten Weltkriegs und der Beginn einer äußerst brutal verlaufenden Dekolonisierung in engem Zusammenhang, der an einem einzigen Tag seinen Ausdruck fand: am 8. Mai 1945. An diesem Tag wurde nicht nur die bedingungslose Kapitulation der deutschen Streitkräfte unterzeichnet, sondern auch die Bevölkerung im algerischen Sétif von der französischen Kolonialmacht massakriert. Die Angaben über die Toten schwanken sehr stark.28

Diese Koinzidenz einschneidender Ereignisse am 8. Mai 1945 war von kaum zu überschätzender symbolischer Bedeutung.29 Während der Konflikt in Nordafrika unter der Oberfläche weiter brodelte und Frankreich 1947 außerdem einen Aufstand in Madagaskar blutig erstickte, verschob sich der Fokus der Dekolonisierung vorläufig nach Französisch-Indochina. Dort endete ein achtjähriger Krieg 1954 mit der als schmachvoll empfundenen Niederlage der französischen Armee in der Schlacht von Dien Bien Phu.

Nur ein halbes Jahr nach dem Massaker am 8. Mai 1945 wandelte sich die schwelende Auseinandersetzung in Algerien zu einem offenen Krieg. Dieser führte zur schwersten Krise der 1946 gegründeten Vierten Französischen Republik. Erst am 18. März 1962 schloss der vier Jahre zuvor in die Politik zurückgekehrte Charles de Gaulle einen Friedensvertrag mit der Algerischen Unabhängigkeitsbewegung. Frankreich befand sich nun zum ersten Mal seit 1944 nicht mehr in einem bewaffneten Konflikt. Dies war eine einzigartige Situation im Nachkriegseuropa. Frankreich hatte sich als Staat zwischen Juni 1940 und August 1944 zwar nicht am Zweiten Weltkrieg beteiligt, im Jahr 1945 jedoch, als für die meisten europäischen Länder eine Zeit des Friedens einkehrte, brachen für Frankreich Kolonialkriege aus, die bis 1962 andauerten. Die besondere französische Konstellation zwischen 1940 und 1962 lässt sich folgendermaßen auf den Punkt bringen: Es herrschte Frieden im Krieg und Krieg im Frieden.30 Die Auseinandersetzung um den Kolonialismus bestimmte die politischen Debatten der Zeit und überlagerte jede Beschäftigung mit dem Vichy-Regime und vor allem mit dem Holocaust.

Die permanente Rückkehr des Verdrängten

Nur scheinbar im Widerspruch dazu stand, dass bereits im Algerienkrieg immer wieder aus dem Gedächtnisarsenal des Zweiten Weltkriegs geschöpft wurde und sowohl Befürworter als auch Gegner sich in der Tradition der antifaschistischen Résistance verorteten. Gedacht wurde in der französischen Gesellschaft nach 1945 jedoch ausschließlich der aus politischen Gründen Deportierten. Das Symbol für die Barbarei des Nationalsozialismus war deshalb das Konzentrationslager Buchenwald und nicht das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Das jüdische Schicksal der »rassischen« Verfolgung war in der hegemonialen Erinnerung nicht präsent.31

Noch eine weitere Konsequenz des Algerienkrieges erwies sich für die mehrheitlich säkularen französischen Juden als folgenreich. Nach der Unabhängigkeit setzte eine Massenflucht nordafrikanischer Juden ein. Insgesamt waren es über 200 000 sephardische Juden, die Frankreich zum Land mit der mit Abstand größten jüdischen Bevölkerung Westeuropas machten und das jüdische Leben stark veränderten. Die Flüchtlinge waren religiöser als die Mehrheit der französischen Juden. Diese begegneten damals häufig erstmals einer traditionellen Lebensweise. Die offene Artikulation religiöser Praktiken stand nicht nur dem laizistischen Selbstverständnis der französischen Republik entgegen, sondern konfrontierte auch die säkularisierten Juden mit ihrer Zugehörigkeit.

Ein weiterer Einschnitt im Verhältnis der Juden zu Frankreich war der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967. De Gaulle verhängte ein Waffenembargo, obwohl Frankreich lange zu den wichtigsten militärischen Verbündeten Israels gehört hatte. Als im November desselben Jahres der Staatspräsident die Juden auf einer Pressekonferenz »ein elitäres, selbstsicheres und herrschsüchtiges Volk« nannte, markierte dies den Höhepunkt einer fundamentalen Verschlechterung im ehemals engen bilateralen Verhältnis. Außerdem versetzten diese Äußerungen vielen Juden einen Schock und provozierten eine hitzige Diskussion über das jüdische Selbstverständnis.32

Auch für einige linksradikale Juden markierte dies eine Zäsur, selbst wenn sie keine Zionisten waren. Sie teilten den oft vehementen Antizionismus der französischen Linken nicht. Beispielhaft hierfür stand die Reaktion Pierre Goldmans, der große Freude über den israelischen Sieg empfand.33 Darin erblickte er die Widerlegung des antisemitischen Topos der jüdischen Feigheit. Aus seiner Sicht bewies dies der ganzen Welt, dass Juden sich verteidigen und gewinnen konnten. Er nahm gar an einer pro-israelischen Demonstration teil: »Ich traf auch zwei jüdische Genossen, Marxisten-Leninisten und mutmaßliche Antizionisten, die sich heimlich über die Kampfkraft und Geschicklichkeit von Dayans Truppen freuten. Ich lächelte über dieses schreckliche und verborgene Einverständnis, das wir insgeheim in unserem Judentum teilten. Es war einfach. Juden kämpften, führten Krieg, gewannen. Sie wuschen das jüdische Volk von dem ehrenrührigen Vorwurf der Feigheit rein.«34 Goldmans Reaktion war folglich kein Einzelfall. Auch andere jüdische Mitstreiter begrüßten den israelischen Sieg und divergierten damit von der linken Mehrheitsposition. Während viele nicht-jüdische Linke den Sechs-Tage-Krieg mit klassischen Analysekategorien des Antiimperialismus und der Solidarität mit den kolonisierten Völkern der Dritten Welt bewerteten, stand für viele Juden hierbei die Erfahrung der Vernichtung im Nationalsozialismus im Vordergrund. Den Staat Israel betrachteten sie als eine notwendige Konsequenz der Tatsache, dass Juden vom NS-Regime als Juden, also aufgrund ihrer Herkunft verfolgt worden waren.

Die schwerste Erschütterung der französischen Latenzkonstellation nach 1945 stellten aber die Ereignisse im Mai 1968 dar. Die unterschwellige Omnipräsenz der Vichy-Vergangenheit zeigte sich in der Rhetorik, der Bildsprache, aber auch in den Parolen auf den Demonstrationen. Die Vierzigerjahre schienen in den Mai ’68 hinein verlängert und dort in der Imagination auf allen Seiten ihre Fortsetzung zu finden. Die heftige Eruption verdrängter Erinnerungsschichten hing eng mit den Biografien der Protagonisten der französischen 68er-Bewegung zusammen. Drei der vier wichtigsten Aktivisten der Studentenbewegung hatten einen jüdischen Familienhintergrund. Dies traf zum einen auf Daniel Cohn-Bendit zu, der zum Gesicht des Protests wurde. Seine Eltern flohen 1933 als deutsche Juden aus Berlin. Er selbst wurde 1945 als Staatenloser in Südfrankreich geboren. Zum anderen sind noch zwei weitere Anführer der Revolte zu nennen: Alain Krivine (geb. 1941), dessen Vorfahren Anfang des 20. Jahrhunderts nach Pogromen aus der Ukraine eingewandert waren, und Alain Geismar (geb. 1939), der aus einer elsässisch-jüdischen Familie stammte.

Allgemein waren 1968 und in den Jahren darauf Juden in linksradikalen Organisationen stark repräsentiert. Viele bezogen sich positiv auf den antifaschistischen Kampf jüdischer Kommunisten, der nicht selten die Erfahrung der eigenen Eltern spiegelte. Dies traf sowohl auf die trotzkistische Ligue Communiste Révolutionnaire (Revolutionär-kommunistische Liga, LCR) als auch auf die maoistische GP zu.35 Im Interview mit Rosenzweig beschrieb eine ehemalige politische Aktivistin dies folgendermaßen: »Viele Juden sind sehr in die Geschichte der radikalen Linken der letzten Jahre verstrickt. Beispiel: Zehn von zwölf Mitgliedern, die die Ligue Communiste gegründet haben, sind Juden.«36 Die meisten maßen ihrer Zugehörigkeit subjektiv jedoch einstweilen keine Bedeutung bei. Dies änderte sich dann ab Mitte der Siebzigerjahre.

Der zerbrochene Spiegel

Als Reaktion auf die Ereignisse des Pariser Mai begann eine neue Episode in der Auseinandersetzung mit der Vichy-Vergangenheit. Paradigmatisch hierfür war der Film Le chagrin et la pitié [dt. Titel: Das Haus nebenan – Chronik einer französischen Stadt im Kriege] von Marcel Ophüls aus dem Jahr 1969, der einen Skandal auslöste. In der Dokumentation über Vichy-Frankreich kamen ehemalige Résistancekämpfer, Kollaborateure und hohe politische Entscheidungsträger zu Wort. Es wurde deutlich, dass ein beträchtlicher Teil der französischen Bevölkerung Sympathien für das Vichy-Regime gehegt und mit den deutschen Besatzern kollaboriert hatte. Auf politischen Druck hin durfte der Film zunächst nicht im Fernsehen gezeigt werden.

Für eine explizite Beschäftigung mit dem Holocaust war aber noch ein anderes Ereignis ausschlaggebend: die Begnadigung Paul Touviers durch den französischen Präsidenten Georges Pompidou 1971. Touvier war für Judendeportationen und die Infiltration der Résistance verantwortlich gewesen. Außerdem hatte er sich am Vermögen deportierter Juden bereichert. Sein Fall verwies auf die personelle Kontinuität einflussreicher Vichy-Beamter nach 1945 und führte zur ersten Debatte über die Beteiligung von Franzosen an den Verbrechen gegen die Juden.37

Parallel vollzog sich noch eine weitere Entwicklung. Nachdem sich die gesellschaftliche Lage im Juni 1968 wieder stabilisiert hatte, setzte ein Zerfallsprozess der Linken in unzählige Kleingruppen ein. Anlässlich eines Gerichtsprozesses traten die verschiedenen Strömungen jedoch nochmals gemeinsam auf: Ende 1974 wurde das Verfahren gegen Pierre Goldman eröffnet, der dadurch zu einer Ikone des sich bereits in Auflösung befindenden Linksradikalismus wurde. Goldman war 1944 in Lyon geboren worden. Seine Eltern, polnische Kommunisten jüdischer Herkunft, hatten im Widerstand gegen die Deutschen gekämpft. Er hielt die Erinnerung an sie wach und folgte ihren politischen Überzeugungen. Früh schloss er sich linksradikalen Gruppierungen an. Doch die Situation in Frankreich entsprach nicht seiner Vorstellung von politischem Kampf. Deshalb ging er Mitte der Sechzigerjahre mehrmals nach Lateinamerika, um an der Seite von Guerillas zu kämpfen. Als er 1969 schließlich nach Paris zurückkehrte, beging er mehrere Raubüberfälle und wurde verhaftet. Außerdem wurde ihm ein Doppelmord zur Last gelegt. Er saß bereits vier Jahre im Gefängnis, bevor er für den angeblich begangenen Doppelmord vor Gericht gestellt wurde.38 Dies sorgte bei jüdischen Intellektuellen für große Unruhe; immer wieder wurde die Verurteilung Alfred Dreyfus’ als Vergleich herangezogen. Erneut stand ein Jude vor Gericht, der eines Verbrechens beschuldigt wurde, das er in den Augen vieler nicht begangen hatte. Für viele politische Aktivisten hatte es damals den Anschein, als ob Goldman zum Sündenbock gemacht und einer Justiz ausgeliefert worden sei, die ihn aufgrund seiner Radikalität und seiner jüdischen Herkunft bereits für schuldig befunden hatte. Bei aller Kritik am Verfahrensablauf blendete diese Haltung die Differenz zwischen einem antisemitisch motivierten Schauprozess Ende des 19. Jahrhunderts und einem rechtsstaatlichen Verfahren aus. Der Prozess vergrößerte dennoch die kritische Distanz vieler junger Juden gegenüber der Gesellschaft. Die Nachkriegsgeneration stand der Ideologie der französischen Republik und deren inhärenter Forderung nach Assimilation vor dem Hintergrund des historischen Verlaufs ohnehin skeptisch gegenüber. Die von der Elterngeneration noch hoch gehaltenen Traditionen der Revolution von 1789 hatten das Vichy-Regime und die Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland nicht verhindern können. Frankreich war für die um 1945 geborenen Juden nicht mehr ausschließlich das Land von »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit«. Es war nun auch das Land von Vichy und Drancy sowie der Ermordung der französischen Juden.

Holocaustleugnung und ein Mord

In den Augen seiner politischen Weggefährten stand Pierre Goldman Mitte der Siebzigerjahre als jüdischer Linksradikaler vor Gericht, während sich nach 1945 viele wichtige Funktionsträger des Vichy-Regimes und Nazi-Kollaborateure einer Bestrafung gänzlich entzogen. Louis Darquier de Pellepoix etwa, der ab Mai 1942 »Generalkommissar für Judenfragen« gewesen war, hatte sich ins franquistische Spanien abgesetzt. Dort lebte er unbehelligt, bis er sich in einem Interview mit der Zeitschrift L’Express im Oktober 1978 zu Wort meldete, das für großes Aufsehen sorgte. Darin leugnete er den Massenmord an den Juden. Zwar habe es in Auschwitz Gaskammern gegeben, aber vergast worden seien lediglich Läuse. Erst danach forderte Frankreich offiziell seine Auslieferung.39

In dem Interview meinte Goldman, der nach einem Revisionsprozess 1976 des Mordes für unschuldig befunden und nach Verbüßung der Strafe für die Überfälle schließlich freigekommen war, lediglich einen weiteren Ausdruck einer langen Tradition des Antisemitismus in Frankreich zu erkennen, die in engem Zusammenhang mit den Mythen der Nachkriegszeit stehe, über die er einen Artikel schrieb.40 Bezeichnend war nicht nur, dass er diesen für die jüdische Zeitschrift L’Arche verfasste und nicht etwa für eine der linken Zeitungen, in denen er sonst publiziert hatte, sondern auch der Titel, den er wählte: »Nous, Juifs d’après Drancy« [Wir, Juden nach Drancy]. Er sprach explizit in der ersten Person Plural, von »Wir, Juden«. Vor dem Hintergrund der Aussagen Pellepoix’ ging es ihm nicht mehr um politische Gemeinsamkeiten. Der Bezug auf den Antifaschismus beispielsweise schien ihm nicht mehr ausreichend, um die unterschiedlichen Geschichtserfahrungen zu nivellieren. Die ehemalige Ikone des Linksradikalismus nahm nun bewusst einen partikularen Standpunkt ein, von dem aus er die französische Gesellschaft scharf kritisierte. Den propagierten Universalismus und das nationale Selbstverständnis hielt er für Heuchelei und brachte damit eine unter seinen politischen Weggefährten weit verbreitete Haltung zum Ausdruck.

Nur knapp ein Jahr später, am 20. September 1979, wurde Goldman auf offener Straße mitten in Paris von drei Unbekannten erschossen. Zum Attentat bekannte sich eine Organisation namens Honneur de la police [Ehre für die Polizei]. Diese Art von öffentlicher Hinrichtung eines Linksradikalen rief Ängste vor einem neuen rechten Terror hervor, der Frankreich bereits während des Algerienkriegs erschüttert hatte. Doch für viele Juden bedeutete dies noch in anderer Hinsicht eine Zäsur: Ein Jude war am helllichten Tag in Paris getötet worden.

Luc Rosenzweig, ein enger Freund, verfasste am Tag darauf speziell für Goldman ein Kaddisch, ein Totengebet: »Wem steht es zu, dein Kaddisch zu sprechen? Viele Juden deiner Generation fordern heute diese hohe Ehre […].« Vor allem diejenigen, die die Erinnerung an die Pogrome und die Nazigräuel wachhielten, so fuhr er fort, seien durch die aktuellen Geschehnisse verunsichert: »Drei Kugeln reichen, damit das Anzeichen unmittelbar funktioniert, das den Juden deutlich macht, dass die Zeit der Tränen gekommen ist. [...] Nie wieder gedemütigte Juden. Deinen Hass auf die Antisemiten, den wir manchmal übertrieben und unangebracht fanden, nehmen wir voll und ganz in unser Handeln auf.«41 In diesem Text deutete Rosenzweig den Mord als einen Pogrom, der an einem Einzelnen verübt wurde. Dadurch wurde das individuelle Schicksal Goldmans in einem größeren Zusammenhang betrachtet und ihm kollektive Relevanz für die jüdische Erinnerung zugesprochen. Seine Ermordung müsse für alle Juden eine Warnung vor der Gefahr des Antisemitismus sein. Diesen ernst zu nehmen und zu bekämpfen, wie Goldman es seit jeher als entscheidende Konsequenz aus dem Nationalsozialismus gefordert hatte, sei nun die Aufgabe all derjenigen, die sein Vermächtnis fortzuführen gedächten. Dieser Appell erfuhr erneut Dringlichkeit, als Paris fast genau ein Jahr später von einer Serie antisemitischer Anschläge auf jüdische Einrichtungen erschüttert wurde.42

Der Bruch mit dem Kommunismus und die Entstehung des Antitotalitarismus

Die Ermordung Goldmans kann als Ende der Epoche des Nachmai gelten.43 Auf der einen Seite wurde der Tote als Märtyrer gesehen, der die Politik bis in die äußerste Radikalität gesteigert hatte, andererseits symbolisierte er – in den Worten Rosenzweigs – »die Wiederentdeckung einer verleugneten Sache: Wir hatten das Judentum zugunsten der Universalität verleugnet«.44 Auch seine 1979 erschienenen Bücher verfasste Rosenzweig unter dem Schock der Ermordung seines Freundes. Diese habe aber nicht nur für ihn einen Bruch bedeutet, wie er es rückblickend formulierte: »Es war ein Zeitpunkt, wo schon – das scheint mir von heute aus gesehen einige prophetische Züge zu tragen – eine ganze Generation junger Juden, die vom Engagement für das kommunistische Ideal geprägt waren, davon Abschied genommen hatte.«45

Rosenzweig stellte folglich selbst einen Zusammenhang zwischen der Abkehr vom Kommunismus und der Hinwendung zum Judentum her. Neben dem republikanischen Selbstverständnis der französischen Nation war nun also auch noch eine zweite Säule des Universalismus zusammengefallen. Die mit der affirmativen Annahme einer partikularen Herkunft einhergehende Aufgabe der kommunistischen Ideologie erreichte mit dem Attentat auf Goldman jedoch lediglich ihren Höhepunkt. Begonnen hatte sie bereits früher.

Die Tragweite dieser Entwicklung ist nur vor dem Hintergrund der politischen Stärke der KPF nach 1945 zu verstehen. Bei den ersten Wahlen nach der Befreiung hatten die Kommunisten mit über 25 Prozent die meisten Stimmen erhalten. Sie beanspruchten das Erbe des Widerstands und inszenierten sich als »le parti des 75 000 fusillés«, die Partei der 75 000 Erschossenen.46 Dies war übertrieben und die Zahl dürfte realiter bei 25 000 gelegen haben.47 Außerdem ließ das heroische antifaschistische Selbstbild außer Acht, dass die Kommunisten sich erst nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 am Widerstand beteiligt hatten.

Auch viele Intellektuelle hatten sich während der deutschen Besatzung nicht nur nicht dem Widerstand angeschlossen, sondern kollaboriert. Nach 1945 legten sich einige eine Résistancegeschichte zurecht, leugneten ihre Vergangenheit und nicht wenige näherten sich der KPF an. Über Jahrzehnte übte diese in Frankreich eine kulturelle Hegemonie aus, die auch in den Siebzigerjahren noch weitgehend intakt war.48

Die KPF war jedoch nicht nur die stärkste kommunistische Partei Westeuropas, sondern auch die dogmatischste. Dies zeigte sich etwa in ihrer Haltung zum Aufstand in Budapest 1956 und in ihrer Ablehnung der Entstalinisierung selbst noch nach dem XX. Parteitag der KPdSU, sowie hinsichtlich der französischen Studentenproteste 1968. So bezeichnete der spätere Generalsekretär Georges Marchais den Repräsentanten der Studentenbewegung Daniel Cohn-Bendit am 3. Mai 1968 in einem Artikel der Parteizeitung L’Humanité als »deutschen Anarchisten«.49 Damit betonte er Cohn-Bendits Nicht-Zugehörigkeit zur französischen Nation und bediente damit zugleich einen antisemitischen Subtext, der außerdem die historische »Erbfeindschaft« gegen Deutschland evozierte. Die Studentenproteste waren in der Perspektive der KPF also von einem subversiven Ausländer, einem deutschen Juden, gesteuert.

Diese Haltung wurde von einigen linken Schriftstellern und Philosophen bereits kritisiert. Der entscheidende Bruch zwischen vielen Intellektuellen und dem Kommunismus vollzog sich aber Mitte der Siebzigerjahre und hing mit der Veröffentlichung von Alexander Solschenizyns Der Archipel Gulag zusammen, das im Juni 1974 auf Französisch erschien.50 Aufgrund der Beschäftigung mit den Verbrechen des Stalinismus setzte eine antitotalitäre Wende ein, die durch verschiedene Bücher symbolisiert wurde. Das wichtigste Werk stammt von André Glucksmann (geb. 1937), dessen Eltern kommunistische Juden aus dem Habsburgerreich waren. Es trägt den Titel Köchin und Menschenfresser. Über die Beziehung zwischen Staat, Marxismus und Konzentrationslager und ist eine radikale Kritik am Marxismus, aber auch an den Grundlagen des abendländischen Denkens, das den Kommunismus hervorgebracht habe und das von der französischen Aufklärung idealtypisch verkörpert würde.51 In die gleiche Kerbe schlug einige Jahre später Bernard-Henri Lévy (geb. 1948) mit Die Barbarei mit menschlichem Gesicht.52 Sowohl Lévy als auch Glucksmann wurden zu Vordenkern der Neuen Philosophen, einer sich Ende der Siebzigerjahre herauskristallisierenden antitotalitären Richtung, deren Protagonisten mehrheitlich ehemalige linksradikale Juden waren.

Die Aneignung verdrängter historischer Erfahrungen

Für diejenigen, die sich nicht völlig vom Kommunismus lossagten, aber dennoch zu Anti-
stalinisten wurden, war oftmals die Aneignung der Erfahrungen jüdisch-kommunistischer Dissidenten der ausschlaggebende Grund. Paradigmatisch hierfür steht die 1977 zuerst auf Jiddisch erschienene und im selben Jahr ins Französische übersetzte Autobiografie von Moshe Zalcman, der als polnisch-jüdischer Kommunist nach einem Aufenthalt in Frankreich 1933 in die Sowjetunion kam, 1937 verhaftet wurde, zehn Jahre im Gulag verbrachte, später wieder nach Paris floh und mit dem Kommunismus brach.53 Es verwundert nicht, dass es Pierre Goldman war, der für die Tageszeitung Libération eine euphorische Rezension verfasste: »Der Titel des Buches drängt den Gegenstand des Berichts aufs Engste zusammen. In ihm wird eine vierfache Tragödie beschrieben: die der polnischen Geschichte im Allgemeinen, die der polnischen Juden, die der polnischen Kommunisten und schließlich die Tragödie der Aufbaujahre des stalinistischen Sozialismus. Man kennt das schreckliche Schicksal Polens, das Schicksal der jüdischen Bevölkerung, aber weit weniger das der polnischen KP, deren Führungskader 1937 von Stalin liquidiert wurden.«54 Die Autobiografie wurde in der französischen Presse breit wahrgenommen, und auch Luc Rosenzweig widmete sein eigenes Buch Moshe Zalcman.

Diese Auseinandersetzung mit den Lebenswegen jüdischer Kommunisten markierte auch den Beginn einer intensiveren Beschäftigung mit der Geschichte der eigenen Herkunft. Bisher hatte diese bestenfalls im familiären Rahmen Gehör gefunden. Dies sollte sich sukzessive ändern. So begannen Alain Brossat und Sylvia Klingenberg Interviews mit osteuropäischen Juden zu führen, die in der Zwischenkriegszeit nach Frankreich eingewandert waren und sich dem Kommunismus zugewandt hatten. 1983 erschien ihr Buch Le Yiddishland révolutionnaire [Das revolutionäre Jiddischland].55 Ihre Intention war es, diese Tradition der Vergessenheit zu entreißen. Die osteuropäischen Revolutionäre verkörperten ihrer Ansicht nach die dramatischsten Wendungen der jüdischen Geschichte. Angetreten zum Kampf für eine Verbesserung der Gesellschaft und eine irdische Erlösung der Menschheit im Allgemeinen sowie des jüdischen Volkes im Besonderen wurden sie von allen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts getroffen. Im Epilog heißt es deshalb: »Der Revolutionär aus dem Jiddischland ist die tragische Person unserer Geschichte schlechthin. Er hat doppelten Tribut an das Schreckensregister unseres Jahrhunderts gezahlt. Auf der Seite der Arbeiterbewegung wie auf der des Judentums hat er die Erfahrung des absolut Negativen gemacht, des Gefühls des Weltendes ohne jenseitigen Erlöser; seine Existenz war vom Durchmarsch der vier apokalyptischen Reiter zertrampelt.«56

Jüdische Kommunisten waren nicht nur Opfer des Holocaust geworden, sondern auch häufig in die Mühlen des stalinistischen Terrors geraten. Nicht wenige, die in sowjetischen Gulags inhaftiert wurden, waren davor Komintern-Funktionäre oder Kader der Kommunistischen Partei gewesen, hatten das stalinistische Regime folglich jahrelang mitgetragen.57 Die Nachkriegsgeneration junger Juden konnte deshalb nicht mehr an den Optimismus früherer Generationen anknüpfen, die gehofft hatten, dass das universalistische Versprechen des Kommunismus zu einer besseren Welt führen und jegliche partikulare Zugehörigkeit auflösen würde.

Universalismus und Partikularismus

Die späten Siebzigerjahre erwiesen sich als entscheidend für eine neue Diskussion über jüdische Zugehörigkeit im Nachkriegsfrankreich. Sie stellten allerdings nur den Höhepunkt einer längeren Entwicklung dar. Vorausgegangen waren die Verdrängung der Vichy-Vergangenheit nach der Befreiung und damit die Marginalisierung der jüdischen Geschichtserfahrungen. Über allem schwebte stattdessen die Debatte um den Kolonialismus.

In den Tagen des Mai 1968 zeigte sich, dass Juden noch immer die Avantgarde im Kampf um die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse waren.58 Dies setzte sich in den sich im Nachmai gründenden Gruppen zunächst fort. Parallel zum Niedergang des Linksradikalismus begann eine gesellschaftliche Beschäftigung mit der verdrängten Vergangenheit. Dies veränderte auch den Blick vieler Juden auf Frankreich. Es war nicht mehr primär das Land der Revolution und ihres Emanzipationsversprechens, sondern das Land von Drancy, dem Sammellager, von dem aus die Transporte zu den Vernichtungslagern abfuhren. Eine gewisse Zeit ruhte die Hoffnung der im Nachkriegsfrankreich politisierten Juden noch auf dem Befreiung versprechenden Kommunismus. Diese wurde bei nicht wenigen einerseits durch die Beschäftigung mit den Verbrechen des stalinistischen Regimes zerstört, für die exemplarisch die Rezeption von Solschenizyn steht, und andererseits durch eine Aneignung der Geschichte jüdisch-kommunistischer Dissidenten. Die historischen Kämpfe der Arbeiterbewegung und die Oktoberrevolution hatten den Antisemitismus eben nicht überwunden. Juden wurden im Lauf des 20. Jahrhunderts vielmehr nolens volens auf ihre Herkunft zurückgeworfen und als Juden angegriffen, auch in der Sowjetunion.59

In den späten Siebzigerjahren wandten sich deshalb viele um 1945 geborene Juden in doppelter Weise vom Universalismus ab. Selbstverständlich blieben noch immer unzählige Juden in der Kommunistischen Partei oder kleineren linksradikalen Gruppen aktiv, aber die Tendenz dieser Zeit ist doch augenscheinlich. Die Abkehr vom Selbstbild Frankreichs und die vom Kommunismus fielen zusammen und bedingten sich gegenseitig. Der Bruch mit diesen Formen des Universalismus, die ihre historischen Ansprüche nicht einhalten konnten, musste keineswegs so extrem ausfallen wie bei Benny Lévy, der sich der orthodoxen Religiosität zuwandte. Prinzipiell wurde aber nun die Anerkennung partikularer Perspektiven eingeklagt. Goldman, Rosenzweig und viele andere wollten schlichtweg nicht mehr widerspruchslos in einer Gesellschaft leben, in der die spezifische Geschichte und das Gedächtnis der Juden keinen Platz hatten. Dessen Berechtigung begannen sie auf unterschiedliche Weise vehement einzufordern.


1 »Que mon cas soit ordinaire, il ne faut pas s’y tromper, signifie qu’il est miraculeux. […] «De Mao à Moïse», s’exclame-t-on [à mon sujet], oubliant que pour être exact, il faut dire de Moïse à Mao, de Mao à Moïse, c’est-à-dire de Moïse à Moïse en passant par Mao. Le destin ordinaire du Juif – le miracle – tient dans la révélation de cette immobilité, en dépit de tous les mouvements du Siècle.« Benny Lévy: Être Juif. Étude lévinassienne [Jude sein. Studien zu Levinas], Paris 2003, S. 14. Übersetzung von S. V.

2 Zur Biografie Lévys siehe Philippe Lardinois: De Pierre Victor à Benny Levy, de Mao à Moïse? [Von Pierre Victor zu Benny Levy, von Mao zu Moses?], Paris 2008.

3 Siehe Jean-Paul Sartre: L’espoir maintenant. Les entretiens de 1980, présentés et suivis du mot de la fin par Benny Lévy [Hoffnung jetzt. Die Gespräche von 1980. Vorgestellt und mit einem Nachwort von Benny Lévy], Paris 1991 (dt. Ausgabe: Jean-Paul Sartre: Brüderlichkeit und Gewalt. Ein Gespräch mit Benny Lévy, Berlin 1993). Es provozierte einen Skandal, dass Simone de Beauvoir die Authentizität der Gespräche anzweifelte und Lévy unterstellte, er habe den angeschlagenen Gesundheitszustand Sartres ausgenutzt, um ihn zu bestimmten Aussagen zu bewegen. Siehe Simone de Beauvoir: La cérémonie des adieux. Suivi de entretiens avec Jean-Paul Sartre, Août-Septembre 1974, Paris 1981, S. 150 f. (dt. Ausgabe: Simone de Beauvoir: Die Zeremonie des Abschieds und Gespräche mit Jean-Paul Sartre: August-September 1974, Reinbek bei Hamburg 1983).

4 Siehe Jonathan Judaken: Jean-Paul Sartre and the Jewish Question. Anti-Antisemitism and the Politics of the French Intellectual, Lincoln/London 2006.

5 Jean-Paul Sartre: Überlegungen zur Judenfrage, 2. Aufl. Reinbek bei Hamburg 1994.

6 Sartre: Brüderlichkeit (Anm. 3), S. 62.

7 Ebd., S. 61.

8 Pierre Goldman: Souvenirs obscurs d’un Juif polonais né en France, Paris 1975 (dt. Ausgabe: Pierre Goldman: Dunkle Erinnerungen eines in Frankreich geborenen polnischen Juden, Frankfurt a. M. 1980).

9 Luc Rosenzweig: La jeune France juive [Das junge jüdische Frankreich], Paris 1979.

10 Édouard Drumont: La France Juive, 1886 (dt. Ausgabe: Das verjudete Frankreich. Versuch einer Tagesgeschichte, Berlin 1886).

11 Luc Rosenzweig: Catalogue pour des Juifs de maintenant. Textes réunis et présentés par Luc Rosenzweig [Katalog für die Juden von heute. Texte gesammelt und vorgestellt von Luc Rosenzweig], Paris 1979.

12 Siehe Alain Finkielkraut: Der eingebildete Jude, Frankfurt a. M. 1984 (Erstausgabe München 1982), S. 173.

13 Diese Formulierung verwendete Hannah Arendt in einem Brief an Erich Cohn-Bendit, den Vater Daniel Cohn-Bendits, im Januar 1940. Abgedruckt ist der Brief in: Hannah Arendt: Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher. Beiträge für die deutsch-jüdische Emigrantenzeitung »Aufbau«, 1941–1945, S. 225–234, hier S. 226.

14 Siehe David Feuerwerker: L’émancipation des Juifs en France. De l’Ancien Régime à la fin du second Empire [Die Emanzipation der Juden in Frankreich. Vom Ancien Regime bis zum Ende des Zweiten Kaiserreichs], Paris 1976, vor allem S. 241–448.

15 Siehe Michael R. Marrus: The Politics of Assimilation. The French Jewish Community at the Time of the Dreyfus Affair, Oxford 1971, S. 86–162.

16 »Il faut tout refuser aux Juifs comme nation et tout accorder aux Juifs comme individus.« Opinion de M. Le Comte Stanislas de Clermont-Tonnerre, député de Paris, le 23 decembre 1789, in: L’Assemblée nationale constituante. Motions, Discours & Rapports. La Législation nouvelle 1789–1791[Die verfassungsgebende Nationalversammlung. Anträge, Reden & Berichte. Die neue Gesetzgebung 1789–1791] 
(= La Révolution française et l’émancipation des Juifs [Die Französische Revolution und die Emanzipation der Juden], Bd. 7), Paris 1968, S. 77–94, hier S. 91. Übersetzung von S.V.

17 Siehe Eckhardt Fuchs/Günther Fuchs: »J’accuse!«: Zur Affäre Dreyfus, Mainz 1994.

18 Bereits 1889 trug ein Buch diesen Titel. Mathurin Lescure: Les deux France. Histoire d’un siècle, 1789–1889: récits d’une aïeule centenaire à ses petits enfants [Die zwei Frankreich. Geschichte eines Jahrhunderts, 1789–1889: Erzählungen einer hundertjährigen Großmutter an ihre Enkelkinder], Paris 1889.

19 Siehe Paula Hyman: From Dreyfus to Vichy. The Remaking of French Jewry, 1906–1939, New York 1979, S. 63–88.

20 Siehe Nancy Green: The Pletzl of Paris. Jewish Immigrant Workers in the Belle Epoque, New York 1986.

21 Zur Errichtung des Vichy-Regimes und seinen ideologischen Grundlagen siehe Jean-François Muracciole: La France pendant la Seconde Guerre mondiale [Frankreich während des Zweiten Weltkriegs], Paris 2002, S. 73–167.

22 Eine differenzierte Untersuchung zur öffentlichen Meinung unter dem Vichy-Regime ist Pierre Laborie: L’opinion française sous Vichy. Les Français et la crise d’identité nationale 1936–1944 [Die französische Meinung unter dem Vichy-Regime. Die Franzosen und die Krise der nationalen Identität 1936–1944], Paris 2001.

23 Diese Haltung der Kommunistischen Partei entfremdete zugleich auch viele Intellektuelle von ihr und führte zur Abwendung von Teilen der Mitgliedschaft. Siehe David Caute: Communism and the French Intellectuals, London 1964, S. 137–146.

24 Siehe Serge Klarsfeld: Vichy–Auschwitz. Le rôle de Vichy dans la solution finale de la question juive en France, 1943–1944 [Vichy – Auschwitz. Die Rolle von Vichy in der Endlösung der Judenfrage in Frankreich, 1943–1944], Paris 1993.

25 Die genaue Zahl derjenigen, die außergerichtlichen Säuberungsaktionen zum Opfer fielen, variiert je nach Untersuchung stark und ist bis heute in der wissenschaftlichen Forschung umstritten. Robert Aron spricht von 30 000 bis 40 000 Opfern. Siehe Robert Aron: Histoire de l’épuration [Geschichte der Säuberung], 
3 Bde., Paris 1967–1975.

26 Zu den Zahlen siehe Henry Rousso: L’épuration en France, une histoire inachevée [Die Säuberung Frankreichs, eine unerledigte Geschichte], in: Vingtième siècle – Revue d’histoire (Januar–März 1992), Heft 33, S. 78–105, hier S. 102.

27 Henry Rousso: Le syndrome de Vichy. De 1944 à nos jours, deuxième édition revue et mise à jour 
[Das Vichy-Syndrom. Von 1944 bis heute, zweite durchgesehene und aktualisierte Ausgabe], Paris 1990.

28 Siehe Annie Rey-Goldzeiguer: Aux origines de la guerre d’Algérie 1940–1945. De Mers El-Kébir aux massacres du Nord-Constantinois [Über die Ursprünge des Algerienkriegs 1940–1945. Von Mers El-Kébir zu den Massakern in Nord-Constantinois], Paris 2001.

29 Siehe Dan Diner: Gegenläufige Gedächtnisse. Über Geltung und Wirkung des Holocaust, Göttingen 2007, S. 64–103.

30 Siehe Dan Diner: Vom Stau der Zeit. Neutralisierung und Latenz zwischen Nachkrieg und Achtundsechzig, in: Hans Ulrich Gumbrecht/Florian Klinger (Hg.): Latenz. Blinde Passagiere in den Geisteswissenschaften, Göttingen 2011, S. 165–172, hier S. 171.

31 Der Holocaust wurde erst 1994 zum Bestandteil der offiziellen staatlichen Erinnerungspolitik, als der französische Präsident François Mitterrand an der Einweihung eines Denkmals für die Opfer antijüdischer Razzien teilnahm. Ein Jahr später räumte der neue Staatspräsident, Jacques Chirac, eine Mitschuld von Franzosen an der Deportation der Juden ein. Siehe Mechthild Gilzmer: Die Shoah in der französischen Erinnerungskultur, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 13, hg. von Wolfgang Benz, Berlin 2004, S. 213–230, hier S. 226.

32 Zu den Konsequenzen des Sechs-Tage-Kriegs für die französischen Juden siehe Anette Wieviorka: Vers une communauté? Les Juifs en France depuis la guerre des six jours [Hin zu einer Gemeinschaft? Die Juden in Frankreich während des Sechstagekriegs], in: collectif (Hg.): Les Juifs de France de la Révolution à nos jours [Die Juden in Frankreich von der Revolution bis heute], Paris 1998, S. 363–400.

33 Judith Friedlander nennt Goldman als Beispiel für einen jüdischen Linksradikalen, der mit der politischen Linken wegen ihrer Haltung zu Israel gebrochen habe. Siehe Judith Friedlander: Vilna on the Seine, Jewish Intellectuals in France since 1968, New Haven 1990, S. 34–37.

34 Goldman: Dunkle Erinnerungen (Anm 8.), S. 85.

35 Zur LCR siehe Jean-Paul Salles: La Ligue communiste révolutionnaire (1968–1981). Instrument du Grand Soir ou lieu d’apprentissage? [Die revolutionäre kommunistische Liga 1968–1981. Werkzeug des großen Bruchs oder Ort der Lehre?], Rennes 2005. Zum Maoismus in Frankreich siehe Christophe Bourseiller: Les maoïstes. La folle histoire des gardes rouges françaises [Die Maoisten. Die verrückte Geschichte der französischen Roten Garden], Paris 2008.

36 »Beaucoup de Juifs sont très impliqués dans l’histoire de l’extrême-gauche de ces dernières années. Exemple: dix membre, sur les douze qui ont fondé la Ligue communistes, sont juifs.« Rosenzweig: Jeune France (Anm. 19), S. 22. Übersetzung S.V. Eine ähnliche Anekdote schildert Daniel Cohn-Bendit in seiner Autobiografie: »In Frankreich könnten sich die ZKs der Linksextremen auf Jiddisch verständigen, selbst wenn sie sich sonst nicht einig wären.« Daniel Cohn-Bendit: Der große Basar, Gespräche mit Michel Lévy, Jean-Marc Salmon, Maren Sell, München 1975, 9 f.

37 Siehe Rousso: Le syndrome (Anm. 27), S. 136–149.

38 Es existiert kaum Literatur zu Pierre Goldman in deutscher Sprache. In Frankreich sind dagegen zwei Biografien erschienen: Michaël Prazan: Pierre Goldman. Le frère de l’ombre [Der Schattenbruder], Paris 2005 und Antoine Casubolo: La vie rêvée de Pierre Goldman [Das geträumte Leben des Pierre Goldman], Paris 2005.

39 Das Interview erschien in L’Express vom 28. Oktober 1978. Darquier de Pellepoix wurde nie ausgeliefert und starb 1980 in Spanien. Zum vehementen Antisemitismus von Pellepoix siehe Laurent Joly: Darquier de Pellepoix, »champion« des antisémites français (1936–1939) [Darquier de Pellepoix, »Meister« der französischen Antisemiten 1936–1939], in: Une passion sans fin. Entre Dreyfus et Vichy. Aspects de l’antisémitisme français [Eine endlose Leidenschaft. Zwischen Dreyfus und Vichy. Aspekte des französischen Antisemitismus], hg. vom Centre de Documentation Juive Contemporaine, Nr. 173, Paris 2001, S. 35–61.

40 Pierre Goldman: Nous, Juifs d’après Drancy [Wir, Juden nach Drancy], in: L’Arche. Le mensuel du judaïsme français (Dezember 1978), Heft 261, S. 21 f.

41 Luc Rosenzweig: Kaddish pour Pierre [Kaddisch für Pierre], in: Libération vom 21. September 1979, S. 4.

42 Une série d’attentats antisémites à Paris. Plusieurs institutions israélites ont été mitraillées [Eine Serie antisemitischer Attentate in Paris. Mehrere israelitische Institutionen sind beschossen worden], in: Le Monde vom 27. September 1980, S. 38 und Les attentats antisémites. Six personnes gardées à vue. Une dizaine de perquisitions dans les milieux néo-nazis [Die antisemitischen Attentate. Sechs Personen in Polizeigewahrsam. Etwa zehn Hausdurchsuchungen im neonazistischen Milieu], in: Le Monde vom 
28. September 1980, S. 26.

43 Siehe Hervé Hamon/Patrick Rotman: Les années de rêve [Die Jahre des Traumes], (= Génération [Generation], Bd. 1), Paris 1987, S. 9.

44 So Luc Rosenzweig im Gespräch mit Elisabeth Weber, in: Elisabeth Weber (Hg.): Jüdisches Denken in Frankreich. Gespräche mit Pierre Vidal-Naquet, Jacques Derrida, Rita Thalmann, Emmanuel Lévinas, Léon Poliakov, Jean-François Lyotard, Luc Rosenzweig, Frankfurt a. M. 1994, S. 183–202, hier S. 184.

45 Ebd., S. 183.

46 Siehe Stéphane Courtois/Marc Lazar: Histoire du Parti communiste français [Geschichte der 
Kommunistischen Partei Frankreichs], Paris 1995, S. 213–237.

47 Stéphane Simonnet: Atlas de la Libération de la France. Des débarquements aux villes libérées 
[Atlas der Befreiung Frankreichs. Von den Landungen zu den befreiten Dörfern], Paris 2004, S. 68.

48 Siehe Jürg Altwegg: Die langen Schatten von Vichy. Frankreich, Deutschland und die Rückkehr des Verdrängten, München/Wien 1998, S. 62–84.

49 Georges Marchais: De faux révolutionnaires à demasquer [Die falschen Revolutionäre entlarven], 
in: L’Humanité vom 3. Mai 1968, S. 1.

50 Zur Rezeption von Solschenizyns »Der Archipel Gulag« in Frankreich siehe Michael Scott Christofferson: French Intellectuals against the Left. The Antitotalitarian Moment of the 1970s, New York/Oxford 2004, S. 89–155. Er wendet sich gegen eine Überschätzung der Relevanz von Solschenizyns Buch und führt andere Faktoren an, die bereits früher zu seiner sukzessiven Loslösung französischer Intellektueller von der kommunistischen Bewegung geführt hätten. Unbestritten bleibt jedoch, dass die Veröffentlichung des Buches in Frankreich der Kulminationspunkt dieser Entwicklung war. Besonders traf dies auf jüdische Linksradikale zu.

51 André Glucksmann: La cuisinière et le mangeur d’hommes. Essai sur les rapports entre l’État, le marxisme et les camps de concentration, Paris 1975 (dt. Ausgabe: Köchin und Menschenfresser. Über die Beziehung zwischen Staat, Marxismus und Konzentrationslager, 1976).

52 Bernard-Henri Lévy: La barbarie à visage humain, Paris 1977 (dt. Ausgabe: Die Barbarei mit menschlichem Gesicht, Reinbek bei Hamburg 1978).

53 Moshe Zalcman: La Véridique histoire de Moshé. Ouvrier juif et communiste au temps de Staline, Paris 1977 (dt. Ausgabe: Als Moshe Kommunist war. Die Lebensgeschichte eines jüdischen Arbeiters in Polen und der Sowjetunion unter Stalin, Darmstadt 1982).

54 Die Rezension ist in Auszügen auf dem Umschlag der deutschen Ausgabe abgedruckt. Siehe ebd.

55 Alain Brossat/Sylvia Klingenberg: Le Yiddishland révolutionnaire [Das revolutionäre Jiddischland], Paris 1983.

56 Ebd., S. 273.

57 Hierfür steht exemplarisch der Lebensweg Adam Rayskis. Siehe Adam Rayski: Nos illusions perdues [Unsere verlorenen Illusionen], Paris 1985.

58 Siehe Percy Cohen: Jewish Radicals and Radical Jews, London 1980. Zur historischen Dimension dieses Phänomens siehe Yuri Slezkine: Das jüdische Jahrhundert, Göttingen 2006.

59 Siehe Arno Lustiger: Rotbuch. Stalin und die Juden, Berlin 1998.

Inhalt – JHK 2013

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