Seit Philippe Ariès haben Arbeiten zur historischen Thanatologie innerhalb der kulturhistorischen Forschung eigentlich einen festen Platz. Die Geschichte des Sterbens und des Todes im kommunistischen Russland wurde jedoch eher selten beleuchtet;1 wenn, dann nur hinsichtlich einzelner Aspekte.2 Dabei lassen sich aus der Geschichte des Sterbens sowie durch die Analyse des sich in Ritualen, Symbolen, offiziellen Narrativen, in der Alltagspraxis und den Verhaltensnormen manifestierenden Todesdiskurses Erkenntnisse für ein besseres Verständnis der sowjetischen Geschichte und Kultur ziehen. Eine für diesen Beitrag unternommene Untersuchung des Todesdiskurses offenbart die Bedeutung des Nekrosymbolismus für die Herausbildung der sowjetischen Kultur, insbesondere zwischen 1917 und Ende der 1930er Jahre: Ein gewisses Todesstreben war eines der Charakteristika dieser Kultur.
Die Tendenz zur Lösung des Freud’schen Dilemmas zwischen Eros und Thanatos war in der russischen Kultur zugunsten von Letzterem bereits lange vor den Bolschewiki gegeben. Zuerst durch den düsteren revolutionär-radikalen Romantismus Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinem die Einstellungen eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung beeinflussenden Pathos der Zerstörung und Selbstzerstörung,3 später durch den Ersten Weltkrieg, der Zerstörung und Dehumanisierung zu Grundprinzipien erhob4 und zur »sichtbaren und spürbaren Verkörperung der thanatologischen Bestrebungen« wurde.5 Die thanatologischen Bestrebungen der sowjetischen offiziellen Kultur erreichten in Form eines eigentümlichen romantischen Kultes um die gefallenen Revolutionäre und eines zynisch-pragmatischen Diskurses über die Aneignung des Todes in der frühsowjetischen Periode ihren Höhepunkt.
Der Thanatologismus der frühsowjetischen Kultur schimmerte sowohl in der Blütezeit des bolschewistischen Eros der 1920er Jahre als auch in den Auseinandersetzungen über den Tod, den Selbstmord sowie die Unsterblichkeit stets durch. Die aus bestimmten bolschewistischen Kreisen hervorgehende »sexuelle Revolution« dieser Zeit, die damit verbundene »Glas-Wasser-Theorie« und die Theorie der »Liebe ohne Fliederbusch«,6 die Ideen, die »Früchte« dieser Liebe zur Erziehung dem Staat zu überlassen, und die weit verbreitete Praxis der offiziell gestatteten Abtreibungen stellten einen derart zynischen und leblosen Pragmatismus dar, dass diese »destruktive Sexualität« kaum als ernsthafte Alternative zum »roten Thanatos« betrachtet werden kann. Bemerkenswert ist auch die Einstellung, die in diesen Jahren zum Suizid herrschte. Hatte der (offiziell kriminalisierte) Selbstmord im revolutionären Diskurs und in der Tradition der politischen Märtyrerschaft des beginnenden 20. Jahrhunderts noch Symbolwert als höchst bedeutender politischer Akt, so ändert sich der Status des Suizids in der frühsowjetischen Zeit. Er wird nun zunehmend unter medizinischen Gesichtspunkten betrachtet und während der gesamten 1920er Jahre vorrangig von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus debattiert. Auf diese Weise verliert er nach und nach seinen symbolisch-heldenhaften Status. Die kategorische Ablehnung und Entthronung des Suizids aus ideologischen Gründen – seine Darstellung als antisowjetischer und unsozialer Akt – setzten sich in der sowjetischen Kultur jedoch erst ab Ende der 1920er Jahre durch.7 Dasselbe gilt für die äußert eigenartige Rezeption der Ideen des utopischen Kosmismus über die Überwindung des Todes in den 1920er Jahren. Das Interesse an der Idee der Auferstehung der Toten zeugte nicht unbedingt von einer Hinwendung zum existenziellen Sinn der Idee der Unsterblichkeit oder vom Wunsch, den lebensspendenden Eros zu bejahen,8 sondern vielmehr von einem krankhaften, vulgarisierten und pragmatischen Interesse an der »(Wieder)Belebung der Führer«. Eine ebenso vulgarisierte Aneignung der Ideen der Psychoanalyse fand im sowjetischen Russland der 1920er Jahre statt. Sie war ganz pragmatisch auf die »Umgestaltung des Menschen«, auf die »Erschaffung eines neuen Menschen« ausgerichtet und nahm dadurch misanthropische und selbstmörderische Formen an.9 Es sollte sich herausstellen, dass der nach außen demonstrierte »Lebenswille« der sowjetischen Kultur in den 1920er Jahren in Wirklichkeit auf paradoxe Weise von thanatologischen Absichten durchdrungen war.
Mit der Änderung der politischen Doktrin (vom »Revolutionismus« hin zum »Staatstum«) und mit der »neuen Orientierung« im Alltagsleben, zu der es Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre kam (die faktische Abwendung von der revolutionären Askese), wurde der Todesdiskurs durch einen aufoktroyierten »Diskurs der Freude« überdeckt. Die thanatologische Ausrichtung blieb jedoch, wenn auch in latent verschwommener Form, ein der sowjetischen offiziellen Kultur auch zu dieser Zeit innewohnendes Merkmal.
Im vorliegenden Beitrag werden die Besonderheiten der Darstellung, der Verbreitung und der Instrumentalisierung des Todes in der sowjetischen Kultur und die Rolle des Sterbediskurses bei der Herausbildung der Besonderheiten dieser Kultur aufgezeigt. Die Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf die ersten Jahrzehnte, in welchen sich der sowjetische Sterbediskurs herausbildete und am stärksten zutage trat.
Von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs bis zum Marsfeld: die Ursprünge des sowjetischen Nekrosymbolismus
Während des Ersten Weltkriegs bildeten sich zwei unterschiedliche Haltungen in Bezug auf das Sterben und die Verstorbenen heraus.10 Die erste, die stärker unter den Menschen auf den Schlachtfeldern und in den Frontgebieten zu finden war, zeichnete sich durch mangelnde Pietät und die emotionale und praktische Distanzierung von den Toten aus und äußerte sich auch in der Säkularisierung und Reduzierung der Bestattungsrituale. Eine andere Einstellung kennzeichnete das Verhalten der Bevölkerung in den Hauptstädten und den Städten des Hinterlandes. Sie entsprach dem Bedürfnis nach einem würdevollen Gedenken über den ehrenvollen »Tod für das Vaterland« hinaus und der Schaffung eines Gefallenenkultes. Dazu gehörten prunkvolle religiöse, militärische und gesellschaftliche Bestattungszeremonien und -rituale. Beide Herangehensweisen sollten später in der sowjetischen Kultur und im sowjetischen Todesdiskurs ihre Fortsetzung finden.
Gewissermaßen einen Schlussakkord für diese in den Kriegsjahren bestehende Disproportion in Bezug auf den Tod setzten die feierlichen Massenbeisetzungen der Opfer der Februarrevolution 1917. Hier spiegelten sich die beschriebenen unterschiedlichen Haltungen wider. Zur Verbreitung dieser Rituale trug auch die Tatsache bei, dass die Beisetzungen bildlich festgehalten wurden – zum Beispiel in Form von Postkarten.11 Besonders charakteristisch ist dafür die Bestattung der Revolutionsopfer auf dem Marsfeld in Petrograd am 24. März 1917. Einerseits werden der Prunk und die Feierlichkeit des eingeführten Rituals deutlich – die tönenden Schüsse aus den Kanonen von der Peter-und-Paul-Festung, die Musik, die feierliche Prozession der Bürger, die den Gefallenen die letzte Ehre erweisen. Andererseits fanden die Bestattungen trotz eigener Särge (für jeden Gefallenen, mit Namensband) doch gewissermaßen in einem »Massengrab« statt, in das die Verstorbenen der Reihe nach gelegt wurden. Dadurch verlor die Beisetzung an sich ihren individuellen Charakter, der Ort wurde anonymisiert und seine symbolische und emotionale Bedeutung »herabgesetzt«. Nicht ohne Grund verzichteten die Verwandten einiger Gefallener auf diese scheinbar prunkvolle Beerdigung und setzten die Verstorbenen auf anderen Friedhöfen bei. Der Effekt dieser Entindividualisierung wurde durch die »Technisierung« der Beisetzung, die eigentlich dazu dienen sollte, das Ganze feierlicher und organisierter wirken zu lassen, noch verstärkt: Mit dem Hinablassen jedes einzelnen Sarges in das Grab wurde ein kompliziertes System von Signalen in Gang gesetzt – vom Fahnenschwenken bis hin zum Abschuss der Kanonen aus der Peter-und-Paul-Festung.12 Die Massenbeisetzung wurde zu einer Art Plattform für experimentelle Übungen für die von revolutionären Stimmungen eingenommenen politischen und künstlerischen Kreise. Die Verstorbenen spielten bei diesen Bestattungen zwar eine unerlässliche, ganz bestimmt aber nicht die Hauptrolle. Insofern kann die Beisetzung auf dem Marsfeld durchaus als Teil der Massenfeierlichkeiten zur Februarrevolution betrachtet werden.13
Zwischen Krematorium und Mausoleum: Pragmatismus der »neuen Lebensweise« und pathetischer Kult
Jean Baudrillard hat die Spezifik dessen, wie der Tod im revolutionären Gedankengut wahrgenommen und von der revolutionären Macht instrumentalisiert wurde, überaus genau beschrieben. Er betonte, dass das Recht, Leben und Tod zu kontrollieren, in Lebende und Tote zu unterteilen und mit dem Tod zu manipulieren, die Grundlage jeder Herrschaft darstellt – »die Macht installiert sich auf dieser Barriere zum Tode«.14 Tatsächlich verfügte die revolutionäre Macht über die Entscheidungsgewalt (und zwar sowohl im realen als auch im symbolischen Sinne), wer zu sterben hatte und wer »lebendiger als alle Lebenden« blieb. Die Einteilung in Lebende und Tote stellt nach Baudrillard die erste Etappe der sozialen Hierarchisierung, ein Instrument der sozialen Diskriminierung dar. Deshalb waren für die Kultur des ersten sowjetischen Jahrzehnts auch die Rituale der symbolischen Beisetzung der »alten Welt« und ihrer Vertreter, der »Feinde«, oder die Rituale der symbolischen »Vernichtung« derselben so wichtig.15
Die Bedeutung dieses symbolischen Aktes der Einteilung in Lebende und Tote ebenso wie die Bedeutung des Todesdiskurses für die Formierung und Stabilisierung der Macht erklären die ernsthafte Fokussierung der bolschewistischen Machthaber des ersten Jahrzehnts auf die Errichtung eines »sowjetischen Todeskanons«. Das materialistische Verständnis, das die atheistischen Kommunisten von Leben und Tod hatten, führte, auch wenn die Äußerungen und Praktiken in dieser Hinsicht bis zu einem gewissen Grad variierten, zu einer relativ klaren Vorstellung von der »Endgültigkeit des Endes« und einer pragmatischen Sichtweise auf das Lebensende. Bekannt ist die wohlwollende Äußerung Lenins nach dem Selbstmord von Paul und Laura Lafargue, die im Jahr 1911 zu dem Schluss gekommen waren, dass das Alter ihnen die Möglichkeit auf ein vollwertiges Leben und den Dienst für den Sozialismus nehme: »Wenn man nicht mehr für die Partei arbeiten kann, dann muss man der Wahrheit ins Gesicht blicken und so sterben, wie es die Lafargues getan haben.«16 Dennoch lässt sich das Vorhandensein »romantisch-idealistischer« Elemente, die den Kommunisten aufgrund ihres deklarierten Atheismus eigentlich fremd waren, im sowjetischen Todeskanon erklären.
Die Konstruktion des heldenhaften Märtyrertodes und eines Kultes um die gefallenen »Kämpfer« und »Führer« der Revolution wurde zu einer wichtigen Erscheinungsform des kommunistischen Todeskanons. Das Modell des Heldentodes wurde in den sowjetischen Nachrufen und Würdigungen der Verstorbenen sorgfältig reproduziert.17 In der diskursiven Praxis wurden darin sogar jene Kommunisten, die in den ersten Jahren der Sowjetherrschaft aufgrund von Krankheiten verstarben, nicht selten als »im Kampf Gefallene« dargestellt. Nach Lenins Tod wurde in einer Reihe von Publikationen auch folgende Formulierung verwendet: »Der proletarische Führer wurde im Feuer des grausamen Kampfes getötet […]«18 Die sowjetische Variante des kulturellen Helden, des Opferhelden,19 ging relativ klar sowohl auf die Tradition der radikalen Mythologie des beginnenden 20. Jahrhunderts20 als auch auf den nach der Revolution 1917 künstlich unterbrochenen Kult um die gefallenen Soldaten und Offiziere des Ersten Weltkriegs zurück.21 Der Kult um die gefallenen Krieger äußerte sich in der verbreiteten Praxis der Visualisierung »unserer Toten« in der Presse und Literatur in den ersten Jahren der sowjetischen Herrschaft. So nahmen zum Beispiel Zeitschriften die Tradition der Postmortem-Fotografie begeistert wieder auf22 und druckten Fotos von russischen und europäischen kommunistischen Führern »auf dem Totenbett«.23 Später wurden Postkarten mit der Abbildung des verstorbenen Lenin gedruckt, sein Grab (das Mausoleum) wurde auf Postkarten und anderen Druckerzeugnissen dargestellt.24 Die Fotos der Leichname der von den Feinden getöteten »Kämpfer« visualisierten die »Stigmata« der kanonisierten »Heiligen« des Revolutionspantheons und die Opfer, die sie für die Revolution gebracht hatten, aber auch die Grausamkeit der Feinde – genau deshalb wurden sie so umfassend und in allen Details dokumentiert.25 Als überaus bedeutend erwies sich auch die Darstellung der Gräber der »roten Helden«. Sie bildeten den Rahmen für feierliche Rituale: Der feierliche Gang zu den Gemeinschaftsgräbern war ein wesentlicher Teil der frühsowjetischen Festlichkeiten, welche oft direkt an den Gräbern der Gefallenen abgehalten wurden – rund um diese wurden Tribünen und Triumphbögen aufgebaut.26 Das Lenin-Mausoleum wurde als »Quelle der Energie und des Mutes, Quelle des unerschöpflichen Lebensmutes für die Werktätigen der ganzen Welt im Kampf für die Umsetzung des Vermächtnisses Il’ičs« betitelt.27 Die bolschewistische Art, mit dem Tod umzugehen, machte den wichtigsten Platz des Landes zu einem Friedhof, und der »nekrophile« Diskurs wies Lenins Grab die Funktion des geistigen Zentrums des Landes und der Quelle revolutionärer Energie zu. Es wurde zur »Wiege der Freiheit für die gesamte Menschheit«.28 Die Gräber der Gefallenen spielten somit eine wichtige Rolle bei den Ritualen, die die Grundlage für das symbolische Universum des Regimes bilden und festigen sollten. Der Kult um die gefallenen Kämpfer hatte aber auch eine kommunikative und stabilisierende Funktion. Er bildete das Verbindungsglied in der »genealogischen Linie« zwischen der westeuropäischen und der russischen Protestbewegung und verband so symbolisch die Generationen der alten und neuen Revolutionäre. Gleichzeitig begründete dieser Kult den Mythos über die Herkunft der bolschewistischen Herrschaft und legitimierte ihn.
Charakteristisch für die frühsowjetische Presse war auch die ständige diskursive Einbeziehung der Toten in die Angelegenheiten der Lebenden. Die toten Genossen waren zwar tot, aber doch nicht ganz. Wie A. M. Lunačarskij es nach der Ermordung Volodarskijs ausdrückte: »Ich habe heute den Leichnam Volodarskijs gesehen, und auf mich machte er nicht den Eindruck eines Leichnams. Mir schien nicht, dass er einsam war, dass ihm kalt war, dass er gegangen ist. Ich habe gesehen: Er wurde von all jenen, die um ihn waren, mit einer unendlich warmen, ja feurigen Atmosphäre umgeben.«29 Als »lebendiger als alle Lebenden« erwies sich selbstverständlich der verstorbene Lenin: Denn »in Lenin war sehr wenig Sterbliches«,30 und »der physische Tod V. I. Lenins ist ein besonderer Tod, der der weltweiten Familie der Werktätigen den Körper ihres Führers genommen, jedoch den unauslöschlichen Geist des Leninismus nur noch weiter gehärtet hat […]«.31 In der sowjetischen Rhetorik zur Ehrung des verstorbenen Lenin klang eindeutig die bildliche Vorstellung von der Auferstehung Lenins mit: »Lenin ersteht in jedem Werktätigen auf, der sich den Reihen der RKP anschließt […]« Bei der feierlichen Inszenierung des Proletkultes 1926 wurde der Führer de facto in Gestalt der Heiligen Dreifaltigkeit dargestellt – als »Vater« und »Sohn« der Arbeiterklasse sowie als Heiliger Geist der Freiheit.32
Hinter der »Barriere des Todes« ging der Klassenkampf also weiter. Im Kontext des bolschewistischen »nekrophilen Diskurses« erschien die der Erinnerung an verblichene Genossen gewidmete Rubrik »Unsere Verstorbenen« (Naši mertveci«)33 in Kommunističeskij Internacional oder die Benennung eines biografischen Wörterbuchs der verstorbenen Mitglieder der Moskauer Stadtorganisation der RKP als »Gemeinschaftsgrab« (Bratskaja mogila) vollkommen alltäglich.34 Die Bewunderung für die Revolutionäre im Grab schloss jedoch die Kritik an ihren früheren Fehlern nicht aus: So wurde die Publikation des Allunionsbundes der Sträflinge und Verbannten Zuchthaus und Verbannung (Katorga i ssylka) 1929 für »unkritische Nekrologe« ehemaliger Mitglieder der Partei der sozialistischen Revolutionäre (ESER) und Menschewiken getadelt.35 Den stärksten Ausdruck fanden dieser Kult sowie die »diskursive Nekrophilie« in den Texten zum Tod Lenins. Zum Beispiel in dem begeisterten Bericht G. Zinov’evs (mit zahlreichen Ausrufezeichen) über den Säulensaal im Haus der Gewerkschaften, in dem der Leichnam Lenins aufgebahrt war: »Der wundervolle Saal im Haus der Gewerkschaften wurde zu einem Märchen. Dieser ganze Saal glich einer wundervollen, herrlichen, großen Trauersymphonie […]. Wer von uns wird diese sechs schlaflosen, beängstigenden, bleiernen, aber gleichzeitig auf unheimliche Weise wunderbaren Tage jemals vergessen?«36 Boris Volin stimmte mit ein: »Das Haus der Gewerkschaften, das Haus, das in diesen märchenhaften Tagen, diesen schweren Tagen, von ganz Moskau aufgesucht wurde, versinkt im frühmorgendlichen eisigen Nebel.«37
Die revolutionäre Idee schwanke, Baudrillard zufolge, »zwischen einer Dialektisierung des Todes als Negativität und dem rationalistischen Ziel einer Abschaffung des Todes: der am Ende im Kommunismus wie ein ›reaktionäres‹ Hindernis, das mit dem Kapital gekoppelt ist, dank Wissenschaft und Technik, die eine Unsterblichkeit des Gattungsmenschen erstreben, im Jenseits der Geschichte endet. Der Tod ist dann wie viele andere Dinge nur Überbau, dessen Schicksal durch die Revolutionierung der Basis geregelt wird.«38 In Zusammenhang mit dem zweifelhaften »Todeskämpfertum« der Bolschewiki stellt sich die Frage, welchen Einfluss die philosophischen Versuche des »russischen Kosmismus« auf sie hatten. Was den Verbreitungsgrad der Ansichten Nikolaj Fedorovs im Russland der 1920er Jahre betrifft, werden die Behauptungen über die »allgemeine Begeisterung« für diese Ideen, ihren Einfluss auf die sowjetische Kultur und das Einbringen der Ideen und Projekte Fedorovs in die offizielle Politik von Michael Hagemeister im Grunde widerlegt.39 In den ersten Jahren der Sowjetherrschaft war die stark vulgarisierte Idee Fedorovs von der künftigen Überwindung des Todes und der Auferstehung der Toten im Umlauf. Bei einigen wichtigen Bolschewiki und einem Teil der Bevölkerung rührte die Beliebtheit dieser Idee durchaus nicht von der eingehenden Beschäftigung mit dem Vermächtnis des Philosophen her, sondern war durch die allgemeine psychologische Haltung dieser Jahre bedingt, als die Euphorie um die möglichen sozialen Umwälzungen in Kombination mit der weltweiten rasanten Entwicklung der Naturwissenschaften und der Technik zu einer Illusion vom allmächtigen Menschen führte.
Entsprechend dieser rationalistischen Aufgabe – »Abschaffung« des Todes bzw. seine Unterordnung unter die Aufgaben des revolutionären Wandels – wurde der Kanon des »sowjetischen Todes« im Laufe des ersten Jahrzehnts der Sowjetmacht in einem Raum der Konkurrenz zweier Haltungen konstruiert, die sich in den Jahren der militärischen und sozialen Katastrophen abgezeichnet hatten: Dies waren der »Immoralismus der totalen Pragmatik«40 und der pathetische Kult um »unsere Toten«. Diese beiden Einstellungen überschnitten sich fortwährend, bis sie im Zuge des wichtigsten nekrosymbolistischen Aktes – der Beerdigung V. I. Lenins – zur Stabilisierung des bolschewistischen Regimes miteinander verschmolzen. Die prunkvolle Beerdigung Lenins, die bis zum Zerfall der UdSSR zur Matrix für alle noch folgenden Beerdigungen der sowjetischen Staatsführer werden sollte,41 war nicht nur Vorbild und stellte den Höhepunkt des sowjetischen thanatologischen Pathos des Kultes um die »toten Genossen« dar, sie spiegelte außerdem unterschiedliche Eigenschaften des zweiten Extrems des sich herausbildenden sowjetischen Todeskanons wider: dessen zynisch-pragmatische Variante. Diese fand ihren Ausdruck sowohl in der Tatsache, dass die Intimsphäre, die Gefühle der Angehörigen und ihre Wünsche (und auch die der Verstorbenen selbst) bezüglich der Bestattung völlig ignoriert wurden, als auch in symbolischen Akten der »Aneignung« des Parteiführers. Dazu gehörten zum Beispiel seine Obduktion und die detaillierte Publikation der Ergebnisse, ebenso die Entnahme und öffentliche Zurschaustellung des Gehirns. Auch die Entscheidung, Lenin zu balsamieren und nicht zu bestatten, sondern öffentlich zugänglich im Mausoleum aufzubahren, welches direkt über den Massengräbern der gefallenen Kämpfer an der Kremlwand errichtet wurde, trägt dieser zynischen Variante Rechnung.42 Benno Ennker beurteilt die Entscheidung, Lenins Leichnam einzubalsamieren und nicht zu begraben, völlig zu Recht als Sieg des utilitaristisch-pragmatischen Diskurses, der sich auf den Willen des »Volkes« bezieht und auf das Hauptargument der Enttabuisierung (»Warum nicht?«) stützt.43
Die Fokussierung der Machthaber auf die Problematik des Todes und seine Repräsentation wurde auch bei der Erörterung der praktischen Probleme in Bezug auf die »Optimierung« der Beisetzung der Verstorbenen deutlich. Vladimir Papernyj hat in seinem Konzept der Zyklizität der russischen Kultur, die sich im Wechsel zweier Modelle (»kultura 1« und »kultura 2«) entwickelt, den »Verbrennungspathos« – die Propaganda der Feuerbestattung und die ständige Gegenüberstellung derselben und des Friedhofes – als Merkmal der frühsowjetischen Kultur, der »kultura 1«, dargestellt.44 Tatsächlich sahen sich die Bolschewiki in den ersten Jahren der Sowjetherrschaft, nach der durch ein Dekret vom 7. Dezember 1918 umgesetzten Überführung der Friedhöfe und aller Bestattungsangelegenheiten in das Eigentum und den Aufgabenbereich der Gemeinden, mit enormen Problemen konfrontiert. Das organisatorische und bürokratische Durcheinander, die schlechte Koordination der Zusammenarbeit der Stadt- und Bezirkssowjets und ihrer für Bestattungsangelegenheiten verantwortlichen Abteilungen, und die sehr hohe Sterblichkeit aufgrund von Epidemien und Hunger45 führten in den Jahren 1918/1919 zu einem Kollaps des Bestattungssektors in den Städten. Die Friedhöfe kamen mit den Beerdigungen nicht nach, es türmten sich die Leichname.46 Die Sowjets und ihre Abteilungen sowie Unterabteilungen verfügten nicht über genügend Kräfte und Mittel, um das Problem lösen zu können. Außerdem waren die städtischen Friedhöfe einfach überfüllt. So konnten die 33 Moskauer Friedhöfe Ende 1919 lediglich den Bestattungsbedarf für die kommenden eineinhalb Jahre gewährleisten.47 Die verlassenen, ungepflegten und verfallenen Friedhöfe boten 1927 ein schreckliches Bild, sie waren voller Müll, die Gruften und Kapellen wurden als Toiletten benutzt und waren Treffpunkte für Kriminelle.48 Vor dem Hintergrund dieser Probleme wirkten die Feuerbestattungs-Propaganda und die Aufrufe zum Bau von Krematorien, die sich in der sowjetischen Presse entfalteten, durchaus begründet und überzeugend. Sie gipfelten darin, dass Ende Mai 1927 die Gesellschaft zur Entwicklung und Verbreitung der Idee der Feuerbestattung in der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (Obšestvo razvitija i rasprostranenija idej kremazii v RSFSR, ORRIK) gegründet und mit dem Bau des Moskauer Krematoriums begonnen wurde, das bereits im Oktober desselben Jahres eröffnet werden konnte.
Jedoch sollten die notwendigen Neuerungen nicht nur die Lösung der dringenden und kurzfristigen Aufgaben, sondern auch, und vor allem, einen starken propagandistischen und sogar sozialreformerischen Effekt mit sich bringen. Die Feuerbestattungs-Propaganda wurde von den Bolschewiki als angenehmes Instrument zur Säkularisierung des Alltags gesehen, als Instrument für den Aufbau der »neuen Lebensweise« und zur Verwurzelung einer utilitaristisch-pragmatischen Sichtweise auf alle Aspekte des menschlichen Lebens, einschließlich des Todes innerhalb der Bevölkerung. So sollten der Bruch mit der Vergangenheit erleichtert und jegliche Hindernisse auf dem Weg des kommunistischen Aufbaus beseitigt werden. Die Krönung dieses utilitaristischen Zugangs waren die vom ZK-Mitglied der Partei M. S. Ol’minskij im Juli 1924 geäußerten Vorstellungen: Er sprach sich für die »sinnvolle Nutzung« seines Körpers nach dem Tod aus – dieser sollte ohne jegliches Ritual zu einer Fabrik gebracht werden, wo man ihm das Fett für technische Zwecke und für die Herstellung von Düngemitteln entziehen sollte.49
Das Verhalten der Anhänger der Feuerbestattung war ein gutes Beispiel dafür, wie der »Immoralismus der totalen Pragmatik« im bolschewistischen Todesdiskurs zu etwas völlig Normalem wurde. Mit Wohlwollen konstatierten sie zwei Umstände, die die Umsetzung der Idee der Feuerbestattung im sowjetischen Russland sehr begünstigten. Zum einen die »außerordentliche Empfänglichkeit« der Massen »für alle Neuerungen, wenn sie nur praktisch, zielführend, angenehm und günstig sind«.50 Zum anderen führten die bolschewistischen Anhänger der Feuerbestattung zufrieden an: »Einerseits die seit einigen Jahren beobachtbare sinkende Pietät gegenüber den Toten unter der breiten Masse der Bevölkerung, mehr noch als ihre Gleichgültigkeit gegenüber der Erhaltung der Gräber; andererseits die Schwierigkeiten, die eine Minderheit bei dem Schutz der Gräber ihrer Angehörigen erlebt […] [Sie] schaffen eine günstige Konjunktur für die Propagierung der Kremation […]«.51 Auf diese Weise zeugten also die sich innerhalb der breiten Masse entwickelnde Gleichgültigkeit gegenüber den Verstorbenen und ihren Gräbern, aber auch ihr Enthusiasmus gegenüber allem Neuen und Bequemen vom Erfolg des pragmatischen bolschewistischen Todesdiskurses – eine wichtige Bedingung für dessen Weiterentwicklung war geschaffen.
Die Anhänger der Feuerbestattung beeilten sich, diesen Erfolg zu festigen, und nahmen dem Tod noch die letzten Tabus, indem sie Beschreibungen des Verwesungsprozesses veröffentlichten. So wurde vorgeschlagen, für den größeren Erfolg der Feuerbestattungskampagne »auf den Friedhöfen […] eigene Vitrinen mit Fotoaufnahmen aufzustellen, auf welchen der Verwesungsprozess der Leichname mit den sie auffressenden Insekten dargestellt wird […]«.52 Dieser düstere Diskurs wurde auch von den in der Zeitschrift Kommunal’noe chozjajstvo befragten sowjetischen Wirtschaftsfunktionären unterstützt: »Die Arbeiter, Kommunisten, die kommunistisch eingestellte Jugend und die den Geist des Kommunismus aufsaugenden Pioniere pfeifen darauf, wo sie enden werden: ob sie in der Erde verfaulen oder im Feuer verbrennen […]. Wenn jedoch die Avantgarde sich verbrennen lässt – dann werden auch die anderen sich entzünden.« Ein anderer konstatierte zufrieden, dass die Feuerbestattung »ein enormer Schritt zur Trennung der derzeit bestehenden Verbindungen der lebenden Menschen mit den Verstorbenen, die unter der Erde vermodern, ist«.53
Durch diesen Zugang wurde dem Tod nach und nach alles Sakrale und Intime genommen, er wurde entweder zum Laborversuch oder zu einer Attraktion stilisiert – man denke nur an die Massenexkursionen zum Moskauer Krematorium, die auch eine Vorführung der Verbrennung der Leichname beinhalteten.54 Die Vulgarisierung und symbolische »Herabsetzung« des Todes verdrängten diesen jedoch nicht aus der sowjetischen Kultur. Im Gegenteil, wie schon in den Jahren des Weltkriegs, wurde die Kultur vom Tod durchdrungen, indem der thanatologische Diskurs auf alle Bereiche des Lebens ausgeweitet wurde.
Vom »Todesdiskurs« zum »Diskurs der Freude«
Die Pragmatik des offenen Immoralismus verblasste bereits gegen Ende der 1920er Jahre: Die Konfrontation zwischen »Krematorium« (als Idee der Pragmatisierung und Universalisierung; einer eigentümlichen »Demokratisierung« des Todes) und »Friedhof« (als Idee eines von der Welt der Lebenden getrennten, hierarchisierten und sakralen Raumes) endete mit einem Sieg des Friedhofs. Die Stabilisierung der Macht und die Neuorientierung der politischen Doktrin vom »Revolutionismus« hin zum »Staatstum« und auch die »Neuorientierung« der Machthaber, was das Streben der Menschen nach materiellen Gütern betraf (der Übergang »vom puritanischen Asketismus zur Toleranz gegenüber Menschen, die das Leben genießen«),55 machten das Unbehagen über den triumphierenden Diskurs des grausamen und krankhaften Thanatos der frühsowjetischen Epoche deutlich spürbar.
Dies wurde noch dadurch verstärkt, dass im privaten Alltagsleben des »kleinen Menschen« das Todesstreben der sowjetischen Kultur durch die Neigung zu traditionellen Formen, Ritualen und Gewohnheiten aufgehoben wurde (und das trotz der oben beschriebenen Tendenz zur »Pragmatisierung« der Einstellung zum Tod). Diese Traditionen trugen – im Unterschied zur düsteren »Nekrophilie« der Revolutionszeit – zur Beibehaltung einer gesunden Balance zwischen Thanatos und Eros, den Grenzen zwischen dem Raum des Todes und jenem des Lebens, bei. Deshalb fanden viele Erinnerungsformen, darunter auch neue, die sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich praktiziert wurden, auf unterschiedliche Weise ihren Ausdruck in diesen Traditionen. So erfüllte die private sowjetische Tradition der Postmortem-Fotografie andere Funktionen als deren offizielle Ausformung: Man verstand darunter nicht die offene Demonstration der Postmortem-Fotografie im Alltagsleben.56
Der Raum des Todes wurde zwar nicht sakralisiert, man schuf aber nach und nach eine Distanz, eine Grenze zwischen ihm und der Welt der Lebenden – und zwar sowohl physisch (Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre machte man sich ernsthaft an die Aufräumarbeiten auf den Friedhöfen und errichtete Zäune) als auch symbolisch. So verschwanden die närrischen Inszenierungen von Begräbnisprozessionen, die für die frühsowjetische Zeit noch charakteristisch gewesen waren (die Beisetzung des »Kapitals« o. Ä.). Die diversen Feierlichkeiten kamen nun ohne Märsche zu den Gräbern der gefallenen Kämpfer und Trauerfeiern für diese aus – mit Ausnahme des Lenin-Mausoleums. Dieses blieb unerlässlicher Zeuge und Bestandteil aller feierlichen Umzüge. Die abgegrenzte Welt des Todes und des Friedhofes unterlag, wie auch die Gesellschaft der Lebenden, einer gewissen Ordnung, Individualisierung und Hierarchisierung. Dieser Umstand wurde durch normative Entwicklungen noch betont: Waren im Dekret des Rates der Volkskommissare vom 7. Dezember 1918 über die Friedhöfe und Bestattungsangelegenheiten noch das »gleiche Recht auf Bestattung« festgelegt, die Einteilung der Bestattungen nach Klassen aufgehoben und für alle Bürger gleiche Bestattungen eingeführt worden,57 und waren in den 1920er Jahren zur Verringerung der Bestattungskosten Beisetzungen in Gemeinschaftsgräbern zu drei, fünf, zehn oder fünfzehn Personen weit verbreitet gewesen,58 so wurden nach den Regeln des NKWD und des Volkskommissariats für Gesundheitswesen vom 7./11. Juni 1929 Bestattungen in Gemeinschaftsgräbern nicht mehr zugelassen (ausgenommen »in Momenten von Volkskatastrophen«). Außerdem wurden die Maße für die Gräber nun genau vorgeschrieben und eine Rangordnung für Bestattungen eingeführt – es gab unterschiedliche Tarife –, abhängig von den »materiellen Verhältnissen« des Verstorbenen und seiner Angehörigen.59 Die letzte Bestimmung legte den de facto bereits eingeführten »Klassenzugang« gesetzlich fest. Im Februar 1929 schrieb der Mossovet einheitliche Tarife für die Beerdigung auf dem Friedhof und die Feuerbestattung vor: einen Rubel für Arbeiter und Angestellte, fünf Rubel für Freiberufler und zwanzig Rubel für alle anderen Kategorien.60 1931 erfolgte dann eine Einteilung in vier Preisklassen von drei bis 35 Rubel: die erste Stufe für Arbeiter und Angestellte mit je drei Unterkategorien, abhängig vom Einkommen; die zweite für Handwerker, ebenfalls unterteilt in die Unterkategorien »selbständig« und »Lohnarbeit nutzend«; zur dritten Kategorie gehörten die Freiberufler, zur vierten die nicht arbeitende Bevölkerung.61
Abgesehen von den Verlusten, die ihm die »territoriale« Eingrenzung des Sterbens zufügte, wurde der frühsowjetische Todesdiskurs auch vom seit dem Ende der 1920er Jahre aktiv voranschreitenden »Diskurs der Freude« verdrängt. Dieser hatte die Funktion, eine emotionale Umkodierung der tragischen Ereignisse der Oktoberrevolution im kommunikativen und somit auch im historischen Gedächtnis der Menschen vorzunehmen – und zwar in die Kategorien der Freude und der Heiterkeit. Dadurch sollten die Umstände der »Geburt« des Regimes und seine aktuelle Politik legitimiert werden. Diese Tendenz hatte sich im Laufe der gesamten 1920er Jahre nach und nach entwickelt und kam im Zuge der Zehnjahresfeiern der Revolution schließlich überaus deutlich zum Vorschein. Die offiziellen Losungen für die Feierlichkeiten waren Musterbeispiele für den »Diskurs der Freude«: »Das zehnte Jubiläum des Oktobers vorzubereiten, bedeutet, sich selbst und alle anderen mit der hellen Freude der Oktobersiege zu durchdringen!« Oder: »Die Oktoberfeiern sind kein Feiertag für die Massen. Sie sind der Sieg der Massen selbst […]«.62 Die berühmte Äußerung Stalins aus dem Jahr 1935, »Das Leben ist besser geworden, das Leben ist fröhlicher geworden, Genossen«, war nur der Gipfel dieser Einstellung. Auch die ehemaligen utilitaristischen Anhänger der Feuerbestattung bemerkten den Trendwechsel – sie nahmen den »Diskurs der Freude« ganz ernsthaft auf, ohne dabei zu erkennen, in welch groteskem Widerspruch zum »Todesdiskurs«, der langsam verdrängt wurde, er stand. So äußerte Gvido Bartel’ 1932 seine ehrliche Freude darüber, dass die Zahl der eingeäscherten Kinder innerhalb der Gesamtzahl der eingeäscherten Personen anstieg, was seiner Meinung nach das Zeichen für einen Umbruch im Denken innerhalb des konservativen Lagers war, das sich bis dato gegen die Feuerbestattung ausgesprochen hatte.63
Jedoch konnten weder der ab Ende der 1920er Jahre aufoktroyierte und kultivierte »Diskurs der Freude« noch der in den 1930er Jahren aufblühende sowjetische sinnliche und lebensfrohe Eros64 die aus allen Ecken hervordringende Grabeskälte des Thanatos der sowjetischen Kultur überdecken. Der Todesdiskurs trat latent in Erscheinung – zum Beispiel wurde die thanatologische Pragmatik in den freudigen Mitteilungen über die Errichtung neuer Stadien, Plätze oder sogar Kinderspielplätze auf zerstörten Friedhöfen reproduziert oder auch in der nicht öffentlich gemachten, aber bis in die 1950er Jahre hinein weit verbreiteten Nutzung von Grabsteinen im Straßenbau und sogar als Fundament für neue Grabsteine.65 Die nicht offen verkündete thanatologische diskursive Pragmatik wurde stillschweigend umgesetzt – nicht nur durch die bürokratische Eingliederung der Bestattungsangelegenheiten in die sozialistische Planung,66 sondern auch durch die nackten Zahlen der geheimen Statistik über die Hungertoten der Jahre 1932/33, durch die unzähligen Todeslisten des Großen Terrors und durch die Art, wie mit dem Tod im Archipel Gulag umgegangen wurde. Der vom »Diskurs der Freude« aus dem offiziellen Gebrauch verdrängte Todesdiskurs materialisierte sich in der sowjetischen Realität der 1930er und 1940er Jahre. In eben diesem Zeitraum wurde auch der offiziell verlautbarte thanatologisch-pathetische Kult um »unsere Toten« aufgrund der neuen tragischen Ereignisse in der Geschichte – insbesondere aufgrund des Großen Vaterländischen Krieges – einer Erneuerung unterzogen.67 Es waren und sind eben diese Erinnerungen an die blutigen Opfer des sowjetischen Volkes im Großen Vaterländischen Krieg und an den Preis des Sieges sowie der damit verbundene heldenhafte Todesdiskurs, welche bis zum Ende der Sowjetära und zu einem beträchtlichen Ausmaß bis hinein in die postsowjetische Zeit zwei der wichtigsten Momente der sowjetischen (heute »russländischen«) Identität bilden.
Die symbolische Reproduktion des Todes und das Ende der Sowjetzeit
In den sowjetischen Nachkriegsjahrzehnten bis zum Ende der Sowjetunion trat die latente thanatologische Ausrichtung der sowjetischen Kultur nicht nur in Form der Exhumierungen in den 1960er Jahren (die Entfernung von Stalins Leichnam aus dem Mausoleum, die Öffnung des Grabes von Ivan dem Schrecklichen) zutage, die Vladimir Paperny als Beweis für die Rückkehr des »Pathos der Exhumierung« der »kultura 1« bezeichnete.68 Sie äußerte sich auch in der regelmäßigen Reproduktion nekrosymbolistischer Akte, wie der feierlichen Bestattung der Führer: 1953 Stalin, 1982 Brežnev und noch viele weitere. Es geschah also in Momenten, in denen aufgrund eines auftretenden Machtvakuums derartige nekrosymbolistische Akte besonders dringend zur Stabilisierung der Macht benötigt wurden, in denen man das Volk daran erinnern musste, wer »auf den Barrieren der Macht stand«. Die Bedeutung der nekrosymbolistischen Rituale für die Aufrechterhaltung der Ordnung sowie das Ansehen der Herrschenden wurden diesen umso bewusster, je schwächer ihre Macht in den Augen des Volkes wurde. Diese extrem in die Länge gezogenen und diskursiv entleerten Rituale, die sich ab Ende der 1970er Jahre oft wiederholten und nicht nur im ganzen Land, sondern auch im Ausland im Fernsehen gezeigt wurden, kompromittierten die Herrscher allerdings eher, boten sie doch eine possenhafte Darstellung des nekrosymbolistischen »Musterakts«: der Bestattung Lenins. Darüber hinaus konnten darin Anzeichen für die Degeneration der Herrschenden gefunden werden. Dazu gehörte auch der in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Zwischenfall bei der Beerdigung Brežnevs, als der Sarg des Generalsekretärs zu schnell und von einem lauten Knall begleitet ins Grab hinabgelassen wurde. Dieser Zwischenfall wurde breit diskutiert und beinahe als Ausfall des Herrschaftssystems behandelt.
Die Möglichkeiten des Nekrosymbolismus der sowjetischen Kultur, ihres Pragmatismus und ihres Pathos, die der Stabilisierung des neu entstehenden bolschewistischen Regimes hätten dienen sollen, waren bis zum Ende der Sowjetunion praktisch ausgeschöpft. Der zynische Pragmatismus – sowohl gegenüber den Lebenden als auch gegenüber den Toten – wurde zu einem der wichtigsten Punkte bei der Entlarvung der bolschewistischen Herrschaftspraktiken. Das thanatologische Heldenpathos aber funktionierte (mit einigen wenigen Ausnahmen, darunter der heldenhafte Tod der Gefallenen im Großen Vaterländischen Krieg) praktisch gar nicht. Es wurde vielmehr formalisiert, zu diskursiven Klischees umgewandelt und hatte keinerlei mobilisierende Funktion mehr. Mehr noch, die Gestalten der betagten und kränklichen »Führer« der »Kreml-Gerontokratie« dienten als Bestätigung der Schwäche des Regimes und stellten eine Karikatur des perversen thanatologischen Pathos dar.
Aus dem Russischen von Julija Schellander-Obid
1 Die einzige Arbeit dazu stammt von Catherine Merridale: Steinerne Nächte. Leiden und Sterben in Russland, München 2001.
2 Zum Tod und zur Bestattung Lenins siehe Nina Tumarkin: Lenin Lives! The Lenin Cult in Soviet Russia, Cambridge (Mass.)/London 1983; Benno Ennker: Die Anfänge des Leninkults in der Sowjetunion, Köln/Weimar/Wien 1997; Olaf B. Rader: Grab und Herrschaft. Politischer Totenkult von Alexander dem Großen bis Lenin, München 2003; zum Kult der Gefallenen im Großen Vaterländischen Krieg und zur Erinnerung an den Krieg siehe Sabine Arnold: Stalingrad im sowjetischen Gedächtnis. Kriegserinnerung und Geschichtsbild im totalitären Staat, Bochum 1998; zu sowjetischen Nekrologen siehe G. A. Orlova: Biografija (pri)smerti: zametki o sovetskom političeskom nekrologe [Biografie des (Bei)Todes: Anmerkungen zum sowjetisch-politischen Nekrolog], in: Neprikosnovennyj zapas 64 (2009), H. 2, in: magazines.russ.ru/nz/2009/2/or11-pr.html, ges. am 23. September 2014; zur Postmortem-Fotografie siehe O. Bojcova: »Ne smotri ich, oni plochie«: fotografii pochoron v russkoj kulture [»Schau sie nicht an, sie sind böse«: Bestattungsfotografien in der russischen Kultur], in: Antropologičeskij forum 2010, H. 12, S. 327–352; zum politischen Kult der Gefallenen siehe Guido Hausmann: Politischer Totenkult im 20. Jahrhundert, in: Manfred Hettling/Jörg Echternkamp (Hg.): Gefallenengedenken im globalen Vergleich. Nationale Tradition, politische Legitimation und Individualisierung der Erinnerung, München 2013, S. 413–440.
3 Siehe dazu L. V. Fesenkova: Tema smerti v russkom mentalitete i utopičeskom soznanii [Das Thema Tod in der russischen Mentalität und im utopischen Bewusstsein], in: Ju. V. Chen (Hg.): Ideja smerti v rossijskom mentalitete [Die Idee des Todes in der russischen Mentalität], St. Petersburg 1999, S. 30–47; M. B. Mogil’ner: Mifologija »podpol’nogo čeloveka«: radikal’nyj mikrokosm v Rossii načala XX veka kak predmet semiotičeskogo analiza [Die Mythologie des »illegalen« Menschen: der radikale Mikrokosmos in Russland Anfang des 20. Jahrhunderts als Gegenstand einer semiotischen Analyse], Moskau 1999.
4 Siehe Ju. N. Solonin: Opyt vojny: ot vpečatlenija k metafizike [Kriegserfahrung: vom Eindruck zur Metaphysik], in: Pervaja mirovaja vojna. Istorija i psichologija. Materialy Rossijskoj naučnoj konferencii 29-30 nojabrja 1999 g. v Sankt Peterburge [Der Erste Weltkrieg. Geschichte und Psychologie. Materialien zur russischen wissenschaftlichen Konferenz am 29./30. November 1999 in St. Petersburg], St. Petersburg 1999, S. 7 f.
5 E. G. Sokolov: Technologija proizvodstva žizni (Pervaja mirovaja vojna i tanatologičeskij diskurs Z. Frejda) [Die Technologie der Reproduktion des Lebens (Der Erste Weltkrieg und der thana-
tologische Diskurs S. Freuds)], in: Pervaja mirovaja vojna. Istorija i psichologija (Anm. 4), S. 19–23.
6 »Glas-Wasser-Theorie« (Teoriya »stakana vody«): Sexuelle Beziehungen sollen für die Menschen ebenso leicht, natürlich und einfach sein, wie ein Glas Wasser zu trinken; »Liebe ohne Fliederbusch« (Lyubov’ bez cheryemuhi): »freier Sex« ohne Bindung und tiefe Gefühle.
7 Siehe Susan K. Morrissey: Suicide and the Body Politic in Imperial Russia, Cambridge 2006, S. 14–16, 346, 349 f.; Kenneth M. Pinnow: Lost to the Collective: Suicide and the Promise of Soviet Socialism, 1921–1929, Ithaca/London 2010, S. 1 f.
8 Schließlich wurden die Freuden der Sexualität und des Gebärens in den relevanten philosophischen Arbeiten eher als Hindernis für die integrale Reinheit der Unsterblichkeit gesehen. Siehe Eric Naiman: Sex in Public: The Incarnation of Early Soviet Ideology, Princeton 1997, S. 28.
9 Siehe A. M. Etkind: Eros nevozmožnogo. Istorija psichoanaliza v Rossii [Der Eros des Unmöglichen: Die Geschichte der Psychoanalyse in Russland], St. Petersburg 1993, S. 420–424.
10 Siehe Svetlana Malysheva: Bereavement and Mourning (Russian Empire), in: 1914–1918-online. International Encyclopedia of the First World War, hrsg. von Ute Daniel u.a., Freie Universität Berlin, 8. Oktober 2014 Berlin; online: encyclopedia.1914-1918-online.net/article/Bereavement_and_Mourning_(Russian_Empire), ges. am 30. Oktober 2014.
11 Siehe zum Beispiel: Počtovaja otkrytka »Pochorony žertv Fevral’skoj revoljucii v Gelsingforse« [Postkarte »Beisetzung der Opfer der Februarrevolution in Helsingfors«], Helsingfors, 3. März 1917, in: Central’nyj gosudarstvennyj archiv istoriko-političeskoj dokumentacii Respubliki Tatarstan/Zentrales Staatsarchiv für historisch-politische Dokumentation der Republik Tatarstan (im Folgenden: CGAIPDRT), F. 8146, d. 3323, d. 2001.
12 Siehe Pochorony žertv revoljucii. Prazdnik vozroždenija [Die Beisetzung der Opfer der Revolution: Feiertag der Auferstehung], in: Novoe vremja, St. Petersburg vom 25. März (7. April) 1917.
13 Siehe O. Figes/B. Kolonitskii: Interpreting the Russian Revolution: The Language and Symbols of 1917, New Haven 1999, S. 33, 38, 43–47, 74, 81.
14 Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod, München 1982, S. 204.
15 Zum Beispiel das Verbrennen von Attributen der »alten Welt« und eines Modells der »eingenommenen Bastille« im Zuge der Feierlichkeiten zu Ehren der Oktoberrevolution im Jahr 1918. Siehe dazu Agitacionno-massovoe iskusstvo pervych let Oktjabrja. Materialy i issledovanija [Agitations- und Massenkunst der frühen Jahre nach der Oktoberrevolution. Materialien und Untersuchungen], Moskau 1971, S. 12, 44; O. Cechnovicer: Demonstracija i karnaval [Demonstration und Karneval], Moskau 1927, S. 80; oder die 1927 gezeigten Puppen der »Feinde des sowjetischen Landes«: Chamberlain, Poincaré, Piłsudski u.a. Siehe dazu O. Cechnovicer: Prazdnestva revoljucii [Die Feierlichkeiten zur Revolution], 2. Aufl. Leningrad 1931, S. 24.
16 N. K. Krupskaja: Vospominanija o Lenine [Erinnerungen an Lenin], Teil 2, in: Lenin. Revoljucioner. Myslitel’. Čelovek. [Lenin. Revolutionär. Denker. Mensch.], leninism.su/memory/1399-vospominaniya-o-lenine-chast-ii.html, ges. am 23. September 2014.
17 Nach G. Orlova spiegelten sie die »revolutionäre Biografie« wider. Siehe Orlova: Biografija (pri)smerti (Anm. 2).
18 V. Kolarov: U mogily tov. Lenina [Am Grab des Gen. Lenin], in: Pravda vom 24. Januar 1924.
19 Siehe Ch. Gjunter: Archetipy sovetskoj kultury [Archetypen der sowjetischen Kultur], in: Ch. Gjunter/E. Dobrenko (Hg.): Socrealističeskij kanon [Der sozrealistische Kanon], St. Petersburg 2000, S. 746.
20 Siehe Mogil’ner: Mifologija »podpol’nogo čeloveka« (Anm. 3), S. 41–60.
21 Zur Problematik der Kontinuität/Diskontinuität des militärisch-patriotischen Diskurses in Russland siehe Aaron J. Cohen: »Oh, That!« Myth, Memory, and the First World War in the Russian Emigration and the Soviet Union, in: Slavic Review 62 (2003), H. 1, S. 69–86; Karen Petrone: The Great War in Russian Memory, Bloomington 2011.
22 In Russland war die Tradition, Verstorbene zu fotografieren, bereits vor der Revolution verankert gewesen – sowohl in der öffentlichen als auch in der privaten Kultur. Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts tauchten Postmortem-Fotografien sowohl im öffentlichen als auch nach und nach im privaten Bereich auf. Siehe dazu Bojcova: »Ne smotri ich, oni plochie.« (Anm. 2), S. 328 f. Im öffentlichen Bereich existierten zwar gewisse, hauptsächlich von der Russisch-Orthodoxen Kirche ausgehende Verbote für das Fotografieren von Verstorbenen und von Bestattungen, der größte Teil der Fälle fiel jedoch nicht darunter.
23 Zum Beispiel »K. Libknecht v grobu« [»K. Liebknecht im Sarg«], »Ja. M. Sverdlov na smertnom odre« [»Ich. M. Sverdlov auf dem Totenbett«], »K. Libknecht na smertnom odre« [»K. Liebknecht auf dem Totenbett«]; »T. Samueli v grobu« [»T. Szamuely im Sarg«], in: Kommunističeskij Internacional, H. 1 vom 1. Mai 1919, S. 80 f., H. 5, September, S. 720 f.; H. 7/8, November/Dezember, S. 1128–1130 sowie »P. A. Kropotkin na smertnom odre« [»P. A. Kropotkin auf dem Totenbett«], in: Kommunal’nyj rabotnik 1921, H. 1/2 (70/71), S. 1.
24 Zum 10. Jahrestag der Oktoberrevolution bereitete die Bezirkskommission für Feiertage in Odessa eine Ausstellung vor, bei der ein ganzer Raum für ein großes Modell des Lenin-Mausoleums reserviert war. Siehe Gosudarstvennyj archiv Rossijskoj Federacii/Staatsarchiv der Russischen Föderation (im Folgenden: GARF), f. 3316, op. 42, d. 19, Bl. 322.
25 Zum Beispiel zeigt das Foto des getöteten ungarischen Volkskommissars für Militärangelegenheiten, Tibor Szamuely, dessen nackten Leichnam mit unnatürlich nach hinten gedrehtem Kopf (Kommunističeskij Internacional 1919, H. 7/8, November/Dezember, S. 1128–1130); oder die von Gabeln zerstochenen und von Äxten zerhackten Leichname der Mitglieder des Komsomol-Stadtkomitees von Bugulma, Chikmatov und M. Nabiullin und die Leichname der Kommunisten aus Zainsk, die bei antisowjetischen Bauernaufständen in der Wolgaregion 1920 getötet wurden. Siehe CGAIPDRT, f. 8146, d. 594; d. 2763.
26 Siehe Rossijskij gosudarstvennyj archiv social’no-političeskoj istorii/Russisches Staatsarchiv für sozialpolitische Geschichte (im Folgenden: RGA SPI), f. 17, op. 60, d. 676, Bl. 10ob.; d. 341, Bl. 9; d. 300, Bl. 33ob.-34ob.
27 L. Mitnickij: Mogila Il’iča [Das Lenin-Mausoleum], in: Pravda vom 27. Januar 1924.
28 »Das Grab Lenins ist die Wiege der Freiheit für die gesamte Menschheit« war eine der Losungen des Moskauer Komitees der KP nach Lenins Tod. Siehe Rabočaja Moskva, Sonderausgabe vom 22. Januar 1924.
29 [M.] V. Volodarskij (1891–1918), in: Kommunističeskij Internacional, H. 3 vom 1. Juli 1919, S. 349.
30 L. Sosnovskij: Ne stalo Lenina [Lenin ist verstorben], in: Bednota vom 24. Januar 1924.
31 A. Zorov: Černoe i krasnoe [Schwarz und Rot], in: Trud vom 24. Januar 1924.
32 Siehe Rossijskij gosudarstvennyj archiv literatury i iskusstva/Russisches Staatsarchiv für Literatur und Kunst (im Folgenden: RGALI) f. 1230, op. 1, d. 132, Bl. 34, 36, 41.
33 Kommunističeskij Internacional, Nr. 1, 1919.
34 Siehe V. Nevskij: Rec. Bratskaja mogila. Biografičeskij slovar umeršich i pogibšich členov Moskovskoj organizacii RKP [Rezension von Das Gemeinschaftsgrab. Biografisches Wörterbuch der verstorbenen und ums Leben gekommenen Mitglieder der Moskauer Organisation der RKP], 2. Aufl., Moskau 1923, in: Proletarskaja revoljucija, Bd. 1, 1924, S. 239.
35 Siehe Leserbrief von M. Ol’minskij, in: Proletarskaja revoljucija 1929, Bd. 12, S. 223.
36 G. Zinov’ev: Šest’ dnej, kotorych ne zabudet Rossija [Sechs Tage, die Russland nicht vergessen wird], in: Pravda vom 29. Januar 1924.
37 Boris Volin: U kryški groba (Poslednee utro) [Auf dem Sargdeckel (Der letzte Morgen)], in: Rabočaja Moskva vom 30. Januar 1924.
38 Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod (Anm. 14), S. 236.
39 Siehe Michael Hagemeister: Nikolaj Fedorov. Studien zu Leben, Werk und Wirkung, München 1989, S. 343.
40 Den Begriff prägte V. V. Gudkova: Roždenie sovetskich sjužetov: tipologija otečestvennoj drami 1920-ch – načala 1930-ch godov. [Die Geburt der sowjetischen Sujets: Typologie des vaterländischen Dramas der 1920er, Anfang der 1930er Jahre], Moskau 2008, S. 324.
41 Zum »Kanon des sowjetischen Bildschirmnekrologs« siehe Rašit Jangirov: Proščanie s mertvym telom. Ob odnom sjužete rossijskogo ekrannogo oficioza i ego podtekstach [Verabschiedung von einem toten Körper. Über ein Sujet der russischen Offiziösität und seine Subtexte], in: Otečestvennye zapiski 35 (2007), H. 2, strana-oz.ru/2007/2/proshchanie-s-mertvym-telom, ges. am 23. September 2014.
42 Zu diesen Aspekten siehe Ennker: Die Anfänge des Leninkults (Anm. 2), S. 71.
43 Ebd., S. 164.
44 Siehe Vladimir Paperny: Kultura Dva [Kultur Zwei], 2. Aufl. Moskau 2006, S. 42.
45 Im Jahr 1919 war die Mortalitätsrate in Moskau doppelt so hoch wie vor dem Krieg und sogar dreimal so hoch wie die Geburtenrate. Siehe Smertnost’ i roždaemost’ v Moskve [Sterblichkeit und Geburtenraten in Moskau], in: Kommunal’noe chozjajstvo, H. 1, Moskau 1924, S. 42.
46 Siehe A. Anserov: Etapy pochoronnogo dela v Moskve [Etappen der Bestattungsangelegenheiten in Moskau], in: Kommunal’noe chozjajstvo, H. 8/9, Moskau 1922, S. 9.
47 Siehe Moskovskoe kommunal’noe chozjajstvo za 4 goda revoljucii [Die Moskauer Kommunalwirtschaft vier Jahre nach der Revolution], in: Kommunal’noe chozjajstvo, H. 7, Moskau 1921, S. 41.
48 Siehe Člen sekcii Mossoveta Chal’nov. Kladbišča g. Moskvy [Sektionsmitglied des Mossovets Chal’nov. Die Friedhöfe der Stadt Moskau], in: Kommunal’noe chozjajstvo, H. 17/18, Moskau 1927, S. 26.
49 Siehe Merridale: Steinerne Nächte (Anm. 1), S. 196 f.
50 S. Anserov: Kremacija i ee osuščestvlenie [Die Feuerbestattung und ihre Umsetzung], in: Kommunal’noe chozjajstvo, H. 11, Moskau 1922, S. 7.
51 Sanvrač V. Fedynskij: Kladbiščenskij krizis v Moskve i kremacija [Die Friedhofskrise in Moskau und die Feuerbestattung], in: Kommunal’noe chozjajstvo, H. 9/10, Moskau 1926, S. 28–30.
52 F. Lavrov: K otkrytiju Moskovskogo krematorija [Zur Eröffnung des Moskauer Krematoriums], in: Kommunal’noe chozjajstvo, Nr. 11/12, Moskau 1927, S. 6.
53 Naša anketa o kremacii [Unsere Umfrage zur Feuerbestattung], in: ebd., S. 26 und 34.
54 Ein Jahr nach der Eröffnung des Moskauer Krematoriums waren bereits an die 2 000 Führungen mit insgesamt 90 000 Teilnehmern durchgeführt worden (siehe Godovščina kremacii [Der Jahrestag der Feuerbestattung], in: Kommunal’noe chozjajstvo, H. 19/20, Moskau 1928, S. 140), im Zuge derer »jedes Mitglied der Exkursionsgruppe die Möglichkeit hat, sich mit dem Ablauf des Einäscherungsprinzips vertraut zu machen«. (Godovoj otčet Obščestva razvitija i rasprostranenija idei kremacii v RSFSR [Jahresbericht der Gesellschaft zur Entwicklung und Verbreitung der Idee der Feuerbestattung in der RSFSR], 1. Oktober 1927 – 1. Oktober 1928, in: Kommunal’noe chozjajstvo,
H. 23/24, Moskau 1928, S. 114.
55 Š. Ficpatrik: Povsednevnyj stalinizm. Social’naja istorija Sovetskoj Rossii v 30-e gody: Gorod. [Der alltägliche Stalinismus. Sozialgeschichte des sowjetischen Russlands in den 1930er Jahren: Die Stadt], Moskau 2001, S. 111–113.
56 Siehe Bojcova: »Ne smotri ich, ony plochie.« (Anm. 2), S. 340 f., 344–350.
57 Siehe A. Anserov: Etapy pochoronnogo dela v Moskve [Etappen des Bestattungsgeschäfts in Moskau], in: Kommunal’noe chozjajstvo, Nr. 12, Moskau 1922, S. 9.
58 Siehe z. B. die monatlichen Berichte der Friedhöfe in Kazan für die Jahre 1922–1926: Nacional’nyj archiv Respubliki Tatarstan/Nationalarchiv der Republik Tatarstan (im Folgenden: NART), f. R-1803, op. 1, d. 235, Bl. 1-155; f. R-1130, op. 1, d. 333, Bl. 5-12, 42-47, 53, 182, 198 u. a.
59 Siehe Regelung Nr. 198/B/197/mv des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten und des Volkskommissariats für Gesundheitswesen »Über die Organisation der Friedhöfe und die Bestattungsordnung«, 7./11. Juni 1929, in: Bjulleten’ NKVD [Bulletin des NKVD], 1929, Nr. 23/24, S. 459 f.
60 Siehe Gvido Bartel’: Značenie železnodorožnogo transporta v dele razvitija kremacii [Die Bedeutung des Eisenbahntransports für die Entwicklung der Feuerbestattung], in: Kommunal’noe chozjajstvo, Nr. 3/4, Moskau 1929, S. 26.
61 Siehe Gvido Bartel’: Razvitie kremacii v Moskve v 1930-1931 gg. [Die Entwicklung der Feuerbestattung in Moskau in den Jahren 1930–1931], in: Kommunal’noe chozjajstvo, Nr. 6, Moskau 1932, S. 63.
62 NART, f. R-732, op. 1, d. 1062, Bl. 78, 80, 81.
63 Siehe Bartel’: Razvitie kremacii v Moskve v 1930-1931 gg. (Anm. 61), S. 61.
64 Siehe C. Scheide: Kinder, Küche, Kommunismus: das Wechselverhältnis zwischen sowjetischem Frauenalltag und Frauenpolitik von 1921 bis 1930 am Beispiel Moskauer Arbeiterinnen, Zürich 2002; N. Černjaeva: Proizvodstvo materej v Sovetskoj Rossii: učebniki po uchodu za det’mi epochi industrializacii [Die Herstellung von Müttern im sowjetischen Russland: Lehrbücher zur Kindererziehung in der Epoche der Industrialisierung], in: Gendernye issledovanija 2004, H. 12, S. 120–138.
65 Zum Beispiel in Moskau 1936, siehe A. F. Rodin: Planirovka goroda i deti [Stadtplanung und Kinder], in: Stroitel’stvo Moskvy 1936, H. 17, S. 4. Das Fundament des 1956 vom Kulturministerium der Republik Tatarstan auf einem Friedhof in Kazan errichteten Denkmals für den tatarischen Dichter G. Tukaj bestand teilweise aus einem Grabstein aus dem 19. Jahrhundert. Als 2011 Restaurationsarbeiten am Denkmal durchgeführt wurden, konnte die Autorin des vorliegenden Artikels selbst die zerfallenen Teile des Denkmals mit ihren widersprüchlichen Aufschriften, welche die thanatologische Pragmatik ihrer Errichter entlarvten, sehen: »Gabdulla Tukaj. 1886-1913. Ot Ministerstva kul’tury TASSR« und »Marija Andrejevna Tolstaja. Rod. 17 aprelja 1827. Skonch. 9 fevralja 1893« [»Gabdulla Tukaj. 1886–1913. Vom Ministerium für Kultur der Tatarischen ASSR« und »Marija Andreevna Tolstaja. Geb. 17. April 1827, verstorb. 9. Februar 1893«].
66 Siehe z. B. Pokazateli rosta proizvodstva, vypolnenija plana i sniženija sebestoimosti za 1935 g. (v rubljach) po kladbiščam Baumanskogo rajona [Kennzahlen des Produktionswachstums, der Planerfüllung und der Senkung der Selbstkosten für das Jahr 1935 (in Rubel) auf den Friedhöfen des Baumanskij-Bezirks], in: NART, f. R-1130, op. 2, d. 371, Bl. 10 u.a.
67 Siehe dazu Arnold: Stalingrad im sowjetischen Gedächtnis (Anm. 2); Hausmann: Politischer Totenkult im 20. Jahrhundert (Anm. 2). Dort betonen die Autoren die Unterschiede zwischen den privaten Ausformungen des Kults und der Erinnerung an die Verstorbenen gegenüber den offiziellen Ausformungen, die die Trauerveranstaltungen in einen Triumph der Ideen des Sozialismus verwandelten.
68 Paperny: Kultura Dva (Anm. 44), S. 116.