JHK 2015

Edith Anderson, die Frauen und die Kommunistische Partei der USA

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 151-160 | Metropol Verlag

Autor/in: Birgit Schmidt

Zu einem literarischen Geheimtipp wurden die 2007 vom Basisdruck Verlag erstmals herausgegebenen Erinnerungen der amerikanischen Schriftstellerin und Journalistin Edith Anderson. In Liebe im Exil beschreibt sie ihr Leben in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), wohin sie ihrem Ehemann, dem deutschen Kommunisten Max Schroeder, 1947 gefolgt war, und in der DDR. Aber Anderson war nicht allein aus Liebe nach Ostdeutschland gegangen. Sie wollte arbeiten. Und auch sie war Kommunistin, Mitglied der Kommunistischen Partei der USA (KPdUSA).

Es ist schwierig, genaue und vor allem richtige Angaben über die Mitgliederzahlen der KPdUSA zu finden, die unter allen anderen – von der Komintern geleiteten bzw. kontrollierten – kommunistischen Parteien eine Sonderstellung einnahm. Die französische Historikerin Marianne Debouzy geht davon aus, dass sich die im Jahr 1921 gegründete Partei nach zahlreichen Spaltungen und Wiedervereinigungen immer durch eine starke Fluktuation ihrer Mitglieder ausgezeichnet hat.1 Während sie in dem traditionell durch den Syndikalismus geprägten Land anfangs nur 5000 bis 6000 Mitglieder habe mobilisieren können, sei es ab 1922 zu einem Aufschwung gekommen; Debouzy schreibt: »Von Anfang 1922 bis Mitte 1925 schlossen sich 20 000 neue Mitglieder der Partei an, 6000 blieben, etwa 14 000 traten wieder aus. Mit einem Wort, auf jedes neu gewonnene Mitglied kamen zwei verlorene.«2 Im Jahr 1934 habe die Parteispitze angegeben, dass der Partei mehr als 23 000 Mitglieder angehörten, 1938 habe sie die Zahl der Mitglieder auf 75 000 beziffert, 1939 sei gar von 100 000 die Rede gewesen, und 1944, als der Generalsekretär der Partei, Earl Browder, der Partei ein anderes Gesicht geben wollte, seien 80 000 Genossinnen und Genossen schockiert gewesen.3

Marianne Debouzy legte ihren Zahlenangaben Material zugrunde, das von der Parteiführung der KPdUSA selbst stammte, realistischer dürfte also die Einschätzung des ehemaligen marxistischen DDR-Historikers Wolfgang Kießling sein, der 1994 zu dem Schluss kam: »Der Partei gelang es nie, wie vorher schon den Sozialdemokraten, in der nordamerikanischen Gesellschaft wirklich Fuß zu fassen. Die Zahl ihrer eingetragenen Mitglieder lag in diesem großen Land mit einer in die Millionen gehenden Arbeiterschaft zu keiner Zeit über 50 000. Andere Angaben waren geschönt. Trotz aller krassen sozialen Probleme in den hochindustrialisierten USA brachte keine noch so gut gemeinte Propaganda für die Sowjetunion der KPUSA einen nennenswerten Zulauf an Mitgliedern.«4

Dass die Kommunistische Partei niemals zu einer wirklichen Kraft innerhalb des politischen Spektrums der USA werden konnte, hatte mehrere Gründe: Zum einen standen zahlreiche Einwanderinnen und Einwanderer, insbesondere aus Osteuropa und Russland, der syndikalistischen Organisationsform näher. Auch aus anderen sozialen Gruppen entstanden Konkurrenzbewegungen zur KP wie beispielsweise aus der La Follette-Bewegung, die ihren Höhepunkt im Jahr 1924 hatte.5 Darüber hinaus erfasste mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg im Dezember 1941 eine patriotische Welle das Land, vor deren Hintergrund sich auch die KPdUSA Arbeitskämpfe und Streiks verbot. So hieß es am 18. März 1944 im Wirtschaftsblatt Business Week über die Kommunisten, sie »[...] achten von allen Arbeiterorganisationen am besten darauf, dass nicht gestreikt wird. Sie sind die aktivsten Befürworter einer Kooperation zwischen Arbeit und Management und die einzigen, die ernsthaft für leistungsbezogene Löhne eintreten.«6

Der damalige Generalsekretär Earl Browder vertrat vor dem Hintergrund des Krieges tatsächlich die Auffassung, dass vor diesem alles andere zurückstehen müsse. Da die Partei sich 1940 unter dem Druck der entsprechenden amerikanischen Gesetzgebung aus der Umklammerung der Komintern gelöst hatte, konnte er mit ihr einen Sonderweg beschreiten, dem die Erkenntnis zugrunde lag, dass die überwältigende Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner keine sozialistische Gesellschaft wünschte.

Browders Vorschlag, die Partei in eine demokratisch organisierte Assoziation zu überführen, wurde auf dem Parteitag im Mai 1944 angenommen. Doch im April 1945 wurde Browder von dem französischen Kommunisten Jacques Duclos, einem Mitglied des Exekutivkomitees der Komintern, scharf angegriffen und als Generalsekretär der Assoziation abgewählt. Im Juli 1945 wurde die KPdUSA schließlich erneut als marxistisch-leninistische Partei aus der Taufe gehoben.

Doch sie konnte – auch vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Konflikte
zwischen den Blöcken – den Niedergang nicht mehr aufhalten, der zeitgleich mit den
Prozessen in Moskau, Mitte/Ende der 1930er Jahre eingesetzt hatte.7 Nach dem Tod Roosevelts und dem Beginn des Kalten Krieges waren weder die amerikanische Regierung noch zahlreiche Bürgerinnen und Bürger gewillt, die Kommunisten weiterhin zu tolerieren. Dass die Hinrichtung der KPdUSA-Mitglieder Ethel und Julius Rosenberg im Jahr 1953 trotz einer breiten internationalen Protestkampagne möglich war, der sich sogar der Papst angeschlossen hatte, zeigt, dass die US-amerikanische Regierung auf die Kommunisten und ihre Sympathisanten keinerlei Rücksicht zu nehmen brauchte.

Im weiteren Verlauf dieses Textes wird jedoch deutlich werden, dass nicht nur die genannten Gründe, sondern auch der mangelnde Wille der Parteispitze, den Bedürfnissen der schwarzen Bevölkerung und denen der Frauen Rechnung zu tragen, maßgeblich zu ihrer Nichtrelevanz beigetragen hatte. Eine herausragende Zeugin dafür ist die 1915 in New York geborene Schriftstellerin und Journalistin Edith Anderson, die sich der KPdUSA angeschlossen hatte, noch bevor sie zwanzig war, weil sie sich, wie sie schrieb, »[...] eine Welt wünschte, in der ich nie wieder, wie 1930 und 1931, an rotgesichtigen Obdachlosen vorbeigehen müsste, die im Laufe der Nacht in den Hauseingängen erfroren waren, oder an kleinen Kindern, die in der U-Bahn Zeitungen verkauften und eigentlich in ein warmes Bett gehörten«.8

Edith Anderson arbeitete als Redakteurin für das Parteiorgan Daily Worker und nahm im Jahr 1942 einen Job als Zugschaffnerin in New York an. Bis zu diesem Zeitpunkt war Frauen diese Tätigkeit untersagt, doch die kriegsbedingte Abwesenheit von Männern und die Erfordernisse der Kriegsindustrie hatten nicht nur eine ökonomische Krise beendet, sondern auch das Berufsleben in den USA komplett umgestaltet: »Zum Zeitpunkt des Eintritts der USA in den Krieg gegen den Faschismus«, schreibt der Historiker Philip S. Foner, »gab es noch mehr als fünf Millionen erwerbslose Arbeiter. Mitte 1943 waren es nur noch 600 000. Mit einem Wort, die große Wirtschaftskrise fand erst durch einen Krieg ihr Ende.«9

Bisher benachteiligte Bevölkerungsgruppen, insbesondere die Schwarzen und die Frauen, hatten auf Arbeitsplätze gehofft, doch der schwarzen Bevölkerung verschaffte der gewaltige Bedarf an Arbeitskräften nur sehr langsam einen besseren Zugang auch zu qualifizierteren Arbeitsplätzen, Rassismus und Abwehr überwogen lange. In einigen Städten kam es nach der Einstellung von schwarzen Arbeitern sogar zu sogenannten Hate Strikes vonseiten der weißen Belegschaft gegen ihre schwarzen Kollegen. Auch bei der Eisenbahn nahm man nur deshalb Frauen, weil man keine Schwarzen wollte. So stellt Anderson einen Dialog zwischen einem Gesellschafter und einem Angehörigen der Eisenbahner-Bruderschaft an den Anfang ihres Romans Liebe im Exil: »›Ich mache gar keinen Spaß‹, sagte Marshall. ›Von unserem Standpunkt aus sind Neger viel wertvollere Arbeitskräfte als Frauen. Wir brauchen uns keine grauen Haare wachsen lassen, wenn sie sich auf dem Gepäckwagen oder beim Rangierdienst mal weh tun. Sie werden nicht immerzu krank feiern wie die Frauen …‹ Hall sprang auf. ›Sie haben effektiv die Absicht …?‹, rief er. Larkins Fröhlichkeit war verflogen. ›Mr. Marshall will Mord und Totschlag bei der Bahn!‹, sagte er. ›Glauben Sie, jemand aus der Bruderschaft wird neben einem Nigger arbeiten?‹ ›Das wird er, wenn es seine patriotische Pflicht ist‹, erklärte Marshall. ›Wir haben Krieg. Arbeitskräfte sind knapp.‹ Hall tobte. ›Wissen Sie nicht, dass es nichts Fauleres gibt als einen Nigger?‹, schrie er. ›Nein‹, erwiderte Marshall ruhig. ›Davon ist mir nichts bekannt. Ich glaube, wenn man Negern solche Stellungen gibt, werden sie so eifrig versuchen, sich zu bewähren, dass sie mehr leisten als die Weißen.‹ Marshall spielte nur mit den Vertretern der Bruderschaft. Er hatte ihr Zögern und ihre Bedingungen hinsichtlich der Einstellung von Frauen satt. Die Gesellschaft dachte nicht im Traum daran, Neger einzustellen. Das war ihre Politik, seit die ersten Schienen gelegt wurden. […] Hall und Larkin jedoch, wild gemacht von ihren blinden Vorurteilen, hüpften wie Marionetten verrückt hin und her. Ihre Hirngespinste vom Sturm der Frauenhorden gegen die Bahn wurden verdrängt von dem viel schrecklicheren Bild anstürmender Neger.«10

Weil Arbeitskräfte gebraucht wurden, diese aber keine Schwarzen sein sollten, zogen zwischen 1941 und 1944 fünf Millionen Frauen als Arbeiterinnen in die Betriebe, über 250 000 von ihnen fanden einen Job in der Schwerindustrie. Rosie the Riveter, Rosie die Nieterin, zierte am 29. Mai 1943 das Titelbild der Saturday Evening Post, eine kräftige junge Frau mit muskulösen Oberarmen und in einem blauen Overall, die gerade Pause macht. Auf ihren Beinen liegt schweres Arbeitsgerät, unter ihren Füßen zerbröselt ein Exemplar von Hitlers Mein Kampf.

Für einige Jahre wurden sie geduldet, Rosie die Nieterin, ihre zahlreichen Kolleginnen und Edith Anderson, die sich in einer Umgebung behaupten musste, von der sie sagt: »Als Gruppe waren die Eisenbahner bösartig antikommunistisch, ausländerfeindlich, anti-schwarz, antisemitisch und frauenfeindlich. Auf einfache Arbeiter sahen sie hinab, sie hielten sich für etwas Besseres.«11

Anderson wusste, wovon sie sprach: Lokführer, Heizer, Weichensteller und das Zugpersonal hatten sich bereits im 19. Jahrhundert als Arbeiteraristokratie bezeichnet und in sogenannten Brotherhoods, Bruderschaften, organisiert. 1893 war unter der Ägide des Sozialisten Eugene Debs die American Railway Union gegründet worden, von der – gegen den erklärten Willen von Debs – Schwarze ausgeschlossen blieben.12 Mit dem Kriegseintritt der USA aber sahen sich die Bruderschaften mit weiblichen Arbeitskräften konfrontiert, die Aufnahme begehrten.

Für Edith Anderson wurde die Tatsache, dass sie für eine Weile einen vorgeblichen Männerberuf hatte ausüben dürfen, zum Thema ihres Lebens; immer wieder ist die spätere Schriftstellerin darauf zurückgekommen: So erinnert sie sich in der Kurzgeschichte Eine Laterne, die 1969 in der DDR veröffentlicht wurde, wie während eines Aufenthaltes in dem Städtchen South Lehigh eine ältere Frau reagierte, als sie sie als Schaffnerin erkannte. Die Frau war begeistert: »Sie betrachtete meine Uniform von oben bis unten und las beschwörend laut die Aufschrift auf meiner Mütze: ›Schaffner … Schaffner.‹ Langsam zog ein Lächeln über ihr Gesicht, als sie träumerisch sagte: ›Ach, das ist großartig – eine Schaffnerin! Ja, Schaffnerin! Frauen können alles!‹ Ihre Stimme wurde lauter. ›Die Männer sagen nein, ich sage doch. Meinen Sie nicht auch?‹«13

Doch aller Euphorie zum Trotz: Der Arbeitsalltag einer Schaffnerin war hart. Er bedeutete Arbeitszeiten von mindestens 14 Stunden, in der Regel bis zu 18. Dann war man abgerädert, wie es – in der deutschen Übersetzung – in dem Roman Gelbes Licht heißt, in dem Edith Anderson die Erfahrungen, die sie als Schaffnerin gemacht hatte, literarisch verarbeitet hat. Darüber hinaus waren die Arbeitszeiten unregelmäßig, und man hatte in manchen Städten Wartezeiten von bis zu acht Stunden zu überbrücken.

Anspruch auf einen regulären Dienstplan hatte man erst nach einigen Arbeitsjahren, mit der sogenannten Seniorität – die aber konnten Frauen, da sie von vornherein nur für die Kriegsdauer eingestellt worden waren, gar nicht erreichen. Und obwohl die Männer behaupteten, Frauen könnten die anstrengende Arbeit körperlich und psychisch nicht bewältigen, schanzten sie ihnen für gewöhnlich die aufreibenden und sich selbst die guten Strecken zu. Dazu kamen die stetigen Ausbrüche sexuell-aggressiver Heiterkeit, die die Schaffnerinnen über sich ergehen lassen mussten: »›Die Fahrkarten bitte!‹ sagte Toby. Sofort ließen die Soldaten, die noch wach waren, ein Geheul los wie ein Zoo zur Fütterungszeit. ›Hoho! Ah! Mädchen spielen Schaffner! Mädchen! Ein Mädchen! Komm doch mal her, Süße! Willste nich auf meinen Schoß kommen? Ich sammle dir auch die Fahrkarten ein! Brauchste keinen zum Helfen? Sieht sie nicht flott aus? Hei, die ist aber oho! Guck mich an, Süße, ich bin dein Typ. Hör nicht auf den da, das ist ein Schürzenjäger. Hoho!‹«14

Gegen Übergriffe und Regelverletzungen konnte sich nur wehren, wer Mitglied der Bruderschaft war. Die jedoch lehnte Frauen – vorerst – ab, bis sich, zumindest im Roman, einige von ihnen den Zugang erkämpften, wobei die Hauptperson Jessie Lamb eindeutig mit autobiografischen Zügen Andersons unterlegt ist.

Edith Anderson hat unmittelbar nach ihrer Ankunft in der SBZ, wo sie sich nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Intellektuellensiedlung in Berlin-Grünau etabliert hatte, mit dem Schreiben an Yellow Light begonnen. 1956 beendete sie die Arbeit an dem Roman, der unter dem Titel Gelbes Licht noch im selben Jahr beim Aufbau Verlag erschien, in dem Max Schroeder 1946 die Aufgaben des Cheflektors übernommen hatte.

Erst kurz vor ihrem Tod 1999 kam hingegen das literarisch gearbeitete Tagebuch Love in Exile in den USA heraus (2007 auf Deutsch unter dem Titel Liebe im Exil), in dem sie insbesondere über ihr Leben in der SBZ und der DDR berichtet. Darin und in Gelbes Licht erzählt Anderson aber auch von der Zeit, als der Bedarf an weiblichen Arbeitskräften obsolet geworden war, weil der Krieg beendet war: »Im Oktober«, heißt es in Gelbes Licht über das Jahr 1947 und die Protagonistinnen, »nahmen die noch Überlebenden ihre Lohntüten in Empfang und räumten ihre Spinde aus – zum letzten Mal. Zum ersten Mal seit 1943 fuhren in dieser Nacht die Züge der Hudson & Potomac Railroad nur mit männlichem Personal, und bis in die Betten hörten die Mädchen das Pfeifen der Züge.«15

So weit der Roman. Im realen Leben suchte Edith Anderson Rat bei Elizabeth Gurley Flynn, eine der namhaftesten Kommunistinnen, die 1937 aus der syndikalistischen Bewegung zur KPdUSA gestoßen war.16 »Das Problem war«, konstatiert Anderson in Liebe im Exil in Erinnerung an jenen Zeitpunkt, als ihr die Gefahr der Entlassung bewusst wurde, »an wen sonst konnten wir arbeitenden Frauen uns denn wenden? Es musste etwas getan werden für die dringend erforderliche Gründung einer Frauengewerkschaft, um zu gewährleisten, dass wir unsere sogenannten kriegsbedingten Jobs auch nach Kriegsende behielten. Kriegsbedingt hießen die traditionell Männern vorbehaltenen Arbeiten, doch dieser Begriff hatte sich wie Mehltau auch auf Arbeiten gelegt, die vor dem Krieg keine Männerdomäne gewesen waren.«17 Anderson musste jedoch feststellen, dass Gurley Flynn kein Interesse daran hatte, sich mit Andersons Anliegen zu identifizieren: »›Glauben Sie, weil ich eine Frau bin, müsste ich mich für Frauenfragen interessieren?‹, unterbrach sie mich empört, als hätte ich sie zu Mode- und Kosmetikfragen konsultieren wollen, als ob jeder sowieso wüsste, dass es sich bei Frauenfragen nur um dummes Zeug handeln kann. Sie dachte, sie könne sich nach Belieben vom weiblichen Geschlecht lossagen. Ich bin vielen Frauen begegnet, die so dachten, aber die standen nicht an der Spitze einer kommunistischen Partei. ›Mein besonderes Interesse gilt den Bergarbeitern‹, knurrte Flynn.«18 Flynn war mit ihrer Haltung nicht allein: Die wenigen Kommunistinnen bzw. Frauen, die der KPdUSA nahestanden oder ihr angehörten, weigerten sich, einen Frauenstandpunkt einzunehmen, und konzentrierten sich auf andere Gebiete: Auch Ella Reeve Bloor, zwischen 1932 und 1948 Mitglied des ZK der KPdUSA, war stolz darauf, insbesondere mit Minenarbeitern zu tun zu haben: »My years in the Communist Party«, schreibt sie in ihrer Autobiografie, »have been years of closest association with the workers and farmers of our country, years of great privilege, because I have learned far more from the workers than I have ever tought them.«19

Reeve Bloor agitierte nach dem Ersten Weltkrieg unter den Minenarbeitern in Colorado, reiste 1921 als Delegierte in die Sowjetunion, widmete sich nach ihrer Rückkehr der Verteidigung politischer Gefangener, arbeitete danach unter den Minenarbeitern in Illinois und schloss sich 1927 der Sacco-Vanzetti-Verteidigung an.20 Danach kehrte sie wieder zu den Minenarbeitern zurück: »[...] I turned to the struggles of the miners.«21

Was aber wäre ein Frauenstandpunkt? Welches sind die Interessen, die Frauen allein deshalb unter den Nägeln brennen, weil sie Frauen sind? In erster Linie sind natürlich diejenigen Forderungen zu nennen, die auf der gegebenen biologischen Differenz basieren, Forderungen nach Mutterschutzgesetzen und nach Möglichkeiten, Berufstätigkeit mit der Betreuung kleiner Kinder zu verbinden. Dazu kamen diejenigen, die aus der Tatsache resultieren, dass Frauen als bürgerliche Individuen nicht mit den gleichen Rechten ausgestattet waren wie Männer; sie wurden auf allen Gebieten des Lebens diskriminiert.22 Den amerikanischen Frauen wurde gar bis in die 1930er Jahre hinein das Recht auf ihren eigenen Namen verwehrt; auch Ella Reeve Bloor schreibt beispielsweise von einer »Mrs. Harry Pollitt«.23

In einer Lage, die mit der der Frauen vergleichbar war, befanden sich die Schwarzen. Beide Bevölkerungsgruppen sahen sich in ihren Bürgerrechten stark eingeschränkt, hatten nicht den gleichen Zugang zu Bildungsinstitutionen und Arbeitsplätzen wie weiße Männer, und beide Gruppen waren damit konfrontiert, dass man ihnen im alltäglichen Umgang im günstigsten Fall mit wohlwollender Herablassung begegnete und sie für bestimmte Tätigkeiten und Leistungsanforderungen nicht für geeignet hielt.

Auch seinen schwarzen Mitgliedern gegenüber hat die KPdUSA versagt: Edith Anderson hatte 1939 den schwarzen Schriftsteller Richard Wright kennengelernt, einen der wenigen schwarzen Intellektuellen in der Partei. Wright war mit einer weißen Frau verheiratet – ein Umstand, von dem Anderson wusste, dass er die Vorstellungskraft auch der Mehrheit der damaligen Kommunisten überstieg.24

Über Wright und sein Verhältnis zur Partei schreibt sie: »Während des Krieges hatte ihn die Zögerlichkeit der Partei, mehr Rassenfragen zu behandeln, tief verstört. Von Negern25 wurde erwartet, für ein Land zu kämpfen, das ihnen nicht einmal erlaubte, Offizier zu werden, und die Partei sah dem nachsichtig zu. Sogar die Blutbanken waren getrennt, ein Neger mit einer geringfügigen Wunde konnte verbluten, wenn kein ›schwarzes‹ Blut zur Verfügung stand, aber als die ausschließlich schwarze Bruderschaft der Bahnhofsgepäckträger zu einem Protestmarsch nach Washington gegen die Praktiken aufrief, weigerte sich die Partei, sie zu unterstützen. Dick ging ins Nationalkomitee, und ihm wurde erklärt, die ›Kriegsanstrengung‹ habe Vorrang.«26

Der schwarzen Bevölkerung blieb nichts anderes übrig, als sich ihre Emanzipation außerhalb der Kommunistischen Partei zu erkämpfen.27 Auch die Fortschritte, die die amerikanischen Frauen errangen, gingen auf das Konto anderer. Bereits die Einführung des Frauenwahlrechts in den USA und in Kanada 1920 war in erster Linie von Feministinnen aus dem bürgerlichen Lager erstritten worden. Margaret Sanger, die zeitweise den Anarchisten nahestand und niemals mit der KPdUSA sympathisierte, hatte den Kampf gegen das Verbot von Verhütungsmitteln auch für verheiratete Paare, das erst 1965 aufgehoben werden sollte, aufgenommen.28 Als Erste auf die Problematik der Prostitution hingewiesen zu haben, die damals weißer Sklavenhandel genannt wurde, konnte mit Emma Goldman eine Anarchistin für sich beanspruchen.29 Insofern verwundert es wenig, dass Edith Anderson, als sie zuerst 1967 und noch einmal 1968 für einen begrenzten Zeitraum in die Staaten zurückging, von ihrer ehemaligen Partei nur noch kümmerliche Überreste vorfand. Auch über diese beiden Aufenthalte hat sie ein literarisches Tagebuch geführt, doch während sich Liebe im Exil an das US-amerikanische und später an das gesamtdeutsche Publikum richtete, hatte sie Der Beobachter sieht nichts. Ein Tagebuch zweier Welten explizit für die Leser in der DDR geschrieben und bedient darin die damaligen Klischees über einen angeblich dekadenten Westen, übersteigertes Konsumverhalten, Kriminalität und Ausbeutung. Tatsächlich jedoch war die US-amerikanische Gesellschaft Ende der 1960er Jahre angesichts des Krieges in Vietnam und dem gespalten, was noch immer als Rassenfrage bezeichnet wurde.

Die Kommunistische Partei befand sich währenddessen, nach jahrelangen Verfolgungen während der 1940er und 1950er Jahre, in einem halblegalen Zustand, der – das schreibt Edith Anderson – erst von Angela Davis beendet worden sei: »Um die Wirkung zu verstehen, die Angela Davis auf das Bewusstsein der Amerikaner ausübte«, heißt es im Vorwort der zweiten Auflage von Der Beobachter sieht nichts aus dem Jahr 1975, »muss man in Betracht ziehen, dass es den Mitgliedern der Partei in nahezu zwanzig Jahren ungewohnt geworden war, sich öffentlich als solche zu bekennen. Während der McCarthy-Ära hatte ein Kommunist drei Alternativen: sich als ›ausländischer Agent‹ registrieren zu lassen (was niemand tat); die Mitgliedschaft unter Meineid (Mindeststrafe fünf Jahre) zu leugnen oder das ›Fifth Amendment‹ in Anspruch zu nehmen, nämlich das nach der Verfassung der Vereinigten Staaten garantierte Recht, Aussagen gegen sich selbst zu verweigern. […] Im Jahre 1969 wurde Angela Davis als Professor der Philosophie an die Universität von Kalifornien berufen. Von einem Geheimagenten des FBI auf den Zahn gefühlt, antwortete sie in aller Ruhe: ›Ja, ich bin Kommunistin. Und das Fifth Amendment will ich nicht in Anspruch nehmen. Meine politischen Überzeugungen belasten mich nicht.‹«30

Diese Darstellung ist in der Sache korrekt. Angela Davis, die 1968 der KPdUSA beigetreten war, wurde kurz darauf, als sie eine Stellung an der Universität von Los Angeles angetreten hatte, vom Kanzler befragt. Darüber schreibt sie in ihren Erinnerungen: »Ich beantwortete den Brief des Kanzlers mit einer eindeutigen Bestätigung, dass ich der Kommunistischen Partei angehörte. Ich protestierte scharf dagegen, dass die Frage überhaupt gestellt worden sei, aber machte ihnen klar, dass ich offen, als Kommunistin zu kämpfen gedächte.«31

Tatsächlich erregte Angela Davis mit diesem Vorgehen ein ungeheures Aufsehen – was mit großer Wahrscheinlichkeit der Grund war, warum sie im Januar 1971 vom Staat Kalifornien zu Unrecht wegen Mord, Entführung und Verschwörung angeklagt wurde. Ihre Verhaftung und die Anklage hatten eine breite Solidaritätskampagne zur Folge.

Nach ihrem Freispruch wegen erwiesener Unschuld nutzte Davis ihre große Popularität, um sich als Kandidatin der KPdUSA um das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu bewerben. Doch wie ihre Vorgängerin Charlene Mitchell kämpfte Angela Davis in erster Linie für die Emanzipation der schwarzen Bevölkerung; frauenspezifische Forderungen spielen in ihrer Autobiografie genauso wenig eine Rolle wie in der von Ella Reeve Bloor.32 Erst Edith Anderson hat sowohl in ihrem Roman als auch in ihren beiden literarischen Tagebüchern darauf bestanden, dass diese weder lächerlich noch unwichtig seien.

Ihrem Roman Gelbes Licht stellte sie die Zeichnung von drei Signalen voran: Stellung eins, rotes Licht: Halt. Stellung zwei, grünes Licht: Weiterfahren. Stellung drei, gelbes Licht: Nächstes Signal anfahren, auf Halt einstellen. Indem sie dem Roman den Titel Gelbes Licht gab, formulierte sie das Prinzip, dem sie sich als feministische Kommunistin unterworfen sah: Es geht zwar immer ein Stück voran, dann aber müssen die Frauen sich wieder auf Halt einstellen.

1 Die Sozialistische Partei spaltete sich im Jahr 1919, also im Gründungsjahr der Komintern. Die Linksabspaltung teilte sich wiederum in die Communist Party und in die Communist Labor Party. Beide Parteien vereinigten sich 1920 wieder zur United Communist Party, spalteten sich erneut und wiedervereinigten sich ein zweites Mal im Mai 1921 zur Communist Party of America. Siehe dazu Marianne Debouzy: Das Scheitern des Sozialismus in den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankfurt/M./Berlin/Wien 1984.

2 Ebd., S. 67.

3 Ebd., S. 69.

4 Wolfgang Kießling: Partner im »Narrenparadies«. Der Freundeskreis um Noel Field und Paul Merker, Berlin 1994, S. 96 f.

5 Robert La Follette, ehemaliger Gouverneur von Wisconsin, trat 1924 mit der Progressiven Partei als Präsidentschaftskandidat auf. Als Liberaler, der sich gegen den Kriegseintritt der USA im Jahr 1917, für Meinungsfreiheit trotz Krieg, gegen Großkonzerne und Trustbildung engagiert hatte, genoss er hohes Ansehen und hatte eine große Gefolgschaft.

6 Philip Yale Nicholson: Geschichte der Arbeiterbewegung in den USA, Berlin 2006, S. 264.

7 Dazu schreibt Maria Diedrich: »Die entscheidende Schwächung der KPUSA, von der sie sich bis heute nicht erholen konnte, erfolgte mit den Moskauer Prozessen zu einem Zeitpunkt, als sich die Partei infolge der Welle antifaschistischen Engagements breiter Kreise der Bevölkerung, entfacht durch die Ereignisse des Spanischen Bürgerkrieges, auf dem Höhepunkt ihres Einflusses auf amerikanische Intellektuelle befand.« Maria Diedrich: Kommunismus im afroamerikanischen Roman. Das Verhältnis afroamerikanischer Schriftsteller zur Kommunistischen Partei der USA zwischen den Weltkriegen, Stuttgart 1979, S. 117.

8 Edith Anderson: Liebe im Exil, München 2010, S. 292.

9 Philip S. Foner: Die amerikanische Arbeiterbewegung von der Kolonialzeit bis 1945, Berlin 1990, S. 331.

10 Anderson: Liebe (Anm. 8), S. 60 f.

11 Ebd., S. 38.

12 Siehe Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Hg.): Das andere Amerika. Geschichte, Kunst und Kultur der amerikanischen Arbeiterbewegung. Katalog zur Ausstellung Staatliche Kunsthalle Berlin 1983, S. 155.

13 Edith Anderson: »Eine Laterne«, in: dies.: Leckerbissen für Doktor Faustus, Berlin/Weimar 1969, S. 51 f.

14 Dies.: Gelbes Licht, Berlin 1956, S. 38.

15 Ebd., S. 383.

16 Elizabeth Gurley Flynn (1890–1964) war eine irischstämmige Syndikalistin, eine bekannte Rednerin der Gewerkschaft I. W. W. (Industrial Workers of the World), die 1937 in die Kommunistische Partei der USA eintrat.

17 Anderson: Liebe (Anm. 8), S. 337 f.

18 Ebd., S. 338.

19 Ella Reeve Bloor: We are many. An Autobiography, London 1941, S. 160 f.

20 Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti waren zwei italienische Einwanderer, die 1921 wegen Raubmord vor Gericht gestellt und in einem sich bis 1927 hinziehenden Indizienprozess zum Tode verurteilt wurden. Der Fall löste eine internationale Solidaritätsbewegung aus, die davon ausging, dass man die beiden angeklagt hatte, um sie für ihr anarchistisches Engagement zu bestrafen. Dennoch wurden sie hingerichtet.

21 Ebd., S. 217.

22 Als Syndikalistin hat Elizabeth Gurley Flynn sich noch für die Lage der Frauen interessiert. »Die Frauen hatten kein Wahlrecht«, schreibt sie in ihren Erinnerungen über die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, »und besaßen kein Entscheidungsrecht über ihre Kinder, ihr Heim und ihr Eigentum. Viele Schulen, führende Hochschulen und Berufe waren ihnen praktisch verschlossen. […] Die Frauen in der Industrie arbeiteten dort, wo sie zugelassen waren, bis zur Erschöpfung und wurden in schändlicher Weise unterbezahlt – sie erhielten für die gleiche Arbeit stets weniger Lohn als die Männer. Man verweigerte ihnen jede Möglichkeit, qualifizierte Berufe zu erlernen, und von den Arbeiterorganisationen erhielten sie nur geringen Schutz. […] Väter und Ehemänner ließen sich den Lohn der Frauen aushändigen, manchmal sogar von der Kasse des Betriebs.« Elizabeth Gurley Flynn: Das Rebellenmädchen. Eine Autobiographie, Berlin 1963, S. 59 f.

23 Bloor: We are many (Anm. 19), S. 254.

24 Siehe Anderson: Liebe (Anm. 8), S. 47.

25 Der Begriff »Neger«, der aus heutiger Sicht rassistisch konnotiert ist, wird nur im Zitat benutzt und muss historisch eingeordnet werden. Edith Anderson, der man keinerlei rassistischen Dünkel vorwerfen kann, hat ihn im Kontext ihrer Zeit benutzt.

26 Anderson: Liebe (Anm. 8), S. 50.

27 »Wir hatten der kommunistischen Partei vorgeworfen,« schreibt auch die Kommunistin Angela Davis für den Zeitraum vor ihrem Parteieintritt 1968, »dass sie den nationalen und rassistischen Aspekten bei der Unterdrückung der schwarzen Menschen nicht genügend Beachtung schenke und daher die besonderen Kennzeichen unserer Unterdrückung in der allgemeinen Ausbeutung der Arbeiterklasse untergehen lasse.« Angela Davis: Mein Herz wollte Freiheit. Eine Autobiographie, München/Wien 1975, S. 177.

28 Margaret Sanger (1879–1966) begründete im Jahr 1921 die »American Birth Control League«.

29 Siehe Emma Goldman: »Der Frauenhandel«, in: dies.: Das Tragische an der Emanzipation der Frau, Berlin 1987.

30 Edith Anderson: Der Beobachter sieht nichts. Ein Tagebuch zweier Welten, Berlin 1976, S. 11 f.

31 Davis: Mein Herz (Anm. 27), S. 206.

32 Reeve Bloor, die vier Kinder hatte, konnte ihr großes Pensum an politischer Arbeit nur bewältigen, weil sich eine schwarze Bedienstete um ihre Kinder kümmerte.

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