Der Widerstand gegen das NS-Regime nach der Annexion Österreichs im März 1938 wies eine Reihe von Besonderheiten auf, die seine Ausgangsbedingungen im Vergleich mit anderen besetzten europäischen Ländern unter der NS-Herrschaft erheblich erschwerten. Erstens war dem »Anschluss« Österreichs 1938 die fünfjährige Diktatur des »Austrofaschismus« vorangegangen, ein Regime, das nach der militärischen Niederschlagung des Republikanischen Schutzbundes (Wehrformation der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs, SDAPÖ) im Februar 1934 ausnahmslos alle Arbeiterorganisationen illegalisierte bzw. teilweise zerstörte und die sozialpolitischen Errungenschaften der Ersten Republik zunichte machte. Nicht einmal am Vorabend der deutschen Annexion erklärte sich das dem Untergang geweihte Schuschnigg-Regime bereit, auch nur ein taktisches Aktionsbündnis mit den illegalen Gewerkschaften einzugehen, um die österreichische Unabhängigkeit zu verteidigen oder zumindest gegenüber der Weltöffentlichkeit ein symbolisches Zeichen des Widerstandes zu setzen.
Zweitens konnte sich der Widerstand gegen die NS-Herrschaft, von der letzten Phase abgesehen, nicht auf eine nationale Grundlage stützen, denn das Bewusstsein einer nationalen Identität Österreichs war nur rudimentär entwickelt. Die österreichische Sozialdemokratie hatte nach dem Machtantritt Hitlers 1933 zwar den »Anschluss« an Deutschland aus ihrem Parteiprogramm gestrichen, hielt aber gleichwohl an einer »großdeutschen« Orientierung fest.
Darüber hinaus war unter vielen Repräsentanten des früheren »Ständestaates« eine starke »Deutschtümelei« festzustellen, die vor 1938 in der Formel von »Österreich als dem zweiten deutschen Staat« ihren Ausdruck fand. Lediglich die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) propagierte seit März 1938 die Wiederherstellung einer unabhängigen, demokratischen Republik Österreich als strategisches Ziel. Dieses wurde jedoch in der Periode des Hitler-Stalin-Paktes durch die Komintern-Linie kompromittiert, nach der jene Forderung als »Losung des britischen Imperialismus« abzulehnen sei.
Drittens war der Widerstand in Österreich in organisatorischer Hinsicht parteipolitisch überaus stark fragmentiert und konnte sich zwar auf verschiedene Exilvertretungen, jedoch nicht auf eine von der Anti-Hitler-Koalition anerkannte Exilregierung stützen. Nichtsdestotrotz ist es gerechtfertigt, von einem spezifisch österreichischen Widerstand zu sprechen, weil Verbindungslinien zu deutschen Gruppen, sofern vorhanden, nur sehr lose waren und in keinem Fall eine organisatorische Verschmelzung stattfand bzw. angestrebt wurde.
Der Terminus »überparteilich« genießt im Kontext der Geschichte kommunistischer Organisationsstrukturen keinen allzu guten Ruf. Insbesondere im Zusammenhang mit dem antifaschistischen deutschsprachigen Exil von 1933 bis 1945 stand dieser Begriff häufig als Synonym für kommunistische Propagandastrategien, die den Zweck verfolgten, sozialdemokratische oder bürgerliche Intellektuelle, Künstler und Politiker auf vielfältige Weise zu vereinnahmen und zu instrumentalisieren, ohne die machtpolitischen Hebel kommunistischer Apparate in den Blick zu nehmen. Allerdings weist die Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus – sowohl im »Altreich« als auch in Österreich nach 1938 – eine Reihe von bemerkenswerten Beispielen auf, die den Begriff »überparteilich« trotz kommunistischer Dominanz durchaus gerechtfertigt erscheinen lassen. Die 1942 von der Berliner Gestapo zerschlagene Schulze-Boysen-Harnack-Gruppe, besser bekannt unter der Bezeichnung »Rote Kapelle«, kann hier etwa als bedeutendstes Netzwerk angeführt werden.[ftnref]1[/ftnref] [ftnref]2[/ftnref]
Über einen weitaus geringeren Bekanntheitsgrad verfügt das von dem slowenischen KP-Aktivisten Karl Hudomalj 1942 in Wien gegründete »Anti-Hitler-Komitee« und die darauf basierende »Anti-Hitler-Bewegung«, obwohl die politischen Auswirkungen dieser Initiative, Kommunisten, Sozialisten und Christlichsoziale für einen gemeinsamen Widerstandskampf zu gewinnen, nach dem Urteil des bekannten Historikers Radomir Luža »gar nicht hoch genug eingeschätzt werden« können.3
Neben dem bereits genannten Spezifikum der Überparteilichkeit fällt bei der Erforschung des genannten Widerstandsnetzwerkes ein ungewöhnlich hoher Frauenanteil auf. Er betrug etwa 55 Prozent und lag damit beträchtlich über dem aller anderen bekannt gewordenen Widerstandsgruppen, die in Österreich nach dem »Anschluss« 1938 gegen das NS-Regime aktiv wurden. Die vorliegende Untersuchung zielt nicht nur darauf ab, neben der organisatorisch-politischen Entwicklung der »Anti-Hitler-Bewegung« insgesamt die in ihr tätigen Frauen in den Fokus zu nehmen. Zwangsläufig rückt auch die Frage nach den Gründen für den außergewöhnlich hohen Anteil an Widerstandskämpferinnen in den Vordergrund. Die naheliegende Vermutung ideologisch-politischer Motivationsstränge würde als Erklärungsfaktor indes in die Irre führen: Alle Aktivistinnen der »Anti-Hitler-Bewegung«, über die jeweils zumindest einige biografische Eckdaten bekannt sind, hatten organisatorisch oder zumindest im Hinblick auf ihr politisches Nahverhältnis einen sozialistischen oder kommunistischen Sozialisationshintergrund, während die nach 1938 im Untergrund agierenden sozialistischen und kommunistischen Widerstandsgruppen in Österreich einen Frauenanteil aufwiesen, der sehr weit unterhalb jenem in der »Anti-Hitler-Bewegung« lag (s. u.). Deshalb werden zur Klärung jener Fragestellung die spezifischen Betätigungsfelder der involvierten Frauen eingehend behandelt. Hier fällt auf, dass sich neben der regen illegalen Propaganda und der Bildung von betrieblichen Kampfkomitees ein erheblicher Teil der Aktivitäten der »Anti-Hitler-Bewegung« auf die Schaffung einer Infrastruktur für Aktivistinnen und Aktivisten konzentrierte, die nicht »nur« illegal tätig waren, sondern ausschließlich im Untergrund lebten, wie z. B. sowjetische Funk- und Fallschirmagenten oder entflohene sowjetische Zwangsarbeiter bzw. Kriegsgefangene. Die Sicherung dieser Untergrundtätigkeit erforderte in einem weit stärkeren Ausmaß die Einbindung ganzer Familien und von zahlreichen, oftmals weiblichen Verwandten, als dies etwa bei einer illegalen Propagandatätigkeit einzelner Männer in einem Betrieb der Fall gewesen wäre. Dies führt zu der weitverbreiteten Annahme, Frauen hätten im Widerstand zumeist »nur« untergeordnete, gleichwohl mit hoher Zuchthaus- oder Todesstrafe bedrohte Hilfsdienste geleistet. Aus der Untersuchung geht klar hervor, dass jene Annahme zumindest im Fall der »Anti-Hitler-Bewegung« nicht zutrifft. Eine Frau war im vierköpfigen Leitungsgremium tätig, andere spielten eine initiative Rolle bei der Vorbereitung und Durchführung von betrieblichen Sabotageakten. Auch die Etablierung von Kurierlinien nach Slowenien erfolgte durch eine Widerstandskämpferin.
Schwerpunkte der politisch-organisatorischen Tätigkeit und Anteil der Frauen am Widerstandsnetzwerk
Der slowenische Kommunist Karl Hudomalj hatte bereits eine bewegte politische Vergangenheit aufzuweisen,4 als er – so die späteren Erkenntnisse der Gestapo – im Februar 1942 nach Wien kam. Dort lebte er im Untergrund unter den Decknamen »Juri« und »Kerner«.5 Als eine der ersten Anlaufstellen diente ihm Ottilie Schörg, eine Schneiderin, die er von früheren Aufenthalten in Wien kannte. Sie brachte ihn zunächst bei ihrer Mutter unter und vermittelte dann den Kontakt zu Johann Rothfus, einem Kommunisten aus dem Wiener Bezirk Hernals.6 Zur Existenzsicherung Hudomaljs trug in einem erheblichen Ausmaß auch Otto Steindl bei, ein Buchdruckereibesitzer, mit dem der slowenische Kommunist seit 1936 politisch in Verbindung stand. Schon zu dieser Zeit hatte Steindl größere Mengen illegaler kommunistischer Zeitungen und Flugblätter in serbokroatischer Sprache hergestellt.7 Seine Buchdruckerei befand sich in einem städtischen Gemeindebau in Hernals (Zeillergasse 63), und Franz Burda (geb. 1919), ein damals zur Wehrmacht eingezogener KP-Sympathisant und Aktivist der Hudomalj-Gruppe, betonte später in einem Interview den bemerkenswerten Umstand, dass auch nach fast fünf Jahren NS-Herrschaft die Solidarität vieler Hausbewohner gegenüber politisch Verfolgten nicht gebrochen werden konnte: »Zu derselben Zeit – ohne dass ich es gewusst habe – muss es in dem Bau mit 16 Stiegen mindestens auf jeder Stiege irgendwelche Vertrauensleute von uns gegeben haben, weil nachher unsere illegalen U-Boote […] alle dort Unterschlupf gefunden haben. Von einer Wohnung gewissermaßen in die andere haben wandern können.«8 Tatsächlich konnten zahlreiche Personen – 11 Frauen und 10 Männer – aus dem Umfeld Hudomaljs identifiziert werden, die 1942/43 unter dieser Adresse oder in der näheren Umgebung wohnten.9
Unter den 70 namentlich eruierten Personen, die der »Anti-Hitler-Bewegung« nach bisherigen Recherchen zugeordnet werden können, fanden sich 39 Frauen – ein in der Geschichte des österreichischen Widerstandes gegen das NS-Regime sehr ungewöhnlicher Befund.10 Radomir Luža untersuchte anhand eines Samples von 2795 Personen die organisatorische Zugehörigkeit, die Altersstruktur, das Geschlecht, den Familienstand und andere wichtige Merkmale von neun Gruppen des österreichischen Widerstandes: Kommunistische Partei, Revolutionäre Sozialisten und Sozialdemokraten, Fabrikszellen, Legitimisten, Traditionalisten, Militär, Zeugen Jehovas, Allösterreicher und ehemalige Heimwehr-Angehörige.11 Diese Zuordnung erscheint in mancherlei Hinsicht fragwürdig.12 Trotzdem darf man davon ausgehen, dass die geschlechtsspezifische Verteilung insgesamt eine halbwegs zuverlässige Annäherung an die historische Realität enthält. Von den 2795 Personen, über die entsprechende Daten vorlagen, waren 2452 Männer (87,7 Prozent) und 338 Frauen (12,1 Prozent). Den höchsten Frauenanteil finden wir – allerdings auf Grundlage eines sehr kleinen Samples – bei den Zeugen Jehovas (42 Prozent), gefolgt von Revolutionären Sozialisten und Legitimisten (jeweils 16,5 Prozent), den niedrigsten bei den Fabrikszellen (1,3 Prozent). Beim kommunistisch orientierten Widerstand lag – etwas überraschend – der weibliche Anteil mit 11,5 Prozent knapp unterhalb des österreichischen Durchschnitts. Insbesondere die zuletzt genannte Zahl scheint mit der gängigen Annahme einer beträchtlichen Anzahl kommunistischer Widerstandskämpferinnen und auch einem gewissen Bekanntheitsgrad von etlichen politisch verfolgten Frauen aus diesem Milieu zu kollidieren. In absoluten Zahlen ergibt sich tatsächlich eine ganz andere Verteilung: Von den 338 politisch verfolgten Frauen, deren Daten erhoben wurden, kamen 143 (42,2 Prozent) aus kommunistischen Widerstandsgruppen.13
In der frühen Phase seines politischen Wirkens (Sommer/Herbst 1942) konnte Hudomalj vor allem mit der Unterstützung einer Reihe von KP-Aktivistinnen und Aktivisten rechnen, die infolge konspirativer Umsicht oder einer gewissen Isolierung den bisherigen Verhaftungswellen der Gestapo entgangen waren. Dazu gehörten: die Postsparkassenangestellte Irma Machalek, Leopoldine Flandera,14 Wilma Trawnitschek, der Bäckergehilfe Johann Rothfus sowie der Schlossergehilfe Gustav Schwella und dessen Ehefrau Marie, geb. Freismuth.15 Hinzu kamen eine Reihe von ehemaligen sozialistischen Parteifunktionären, etwa der Mittelschulprofessor Karl Suchanek sowie das Ehepaar August und Marie Kamhuber.16 Letztere stellte eine Verbindung mit Dr. Alfred Migsch her, einem ehemaligen Spitzenfunktionär der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), der im Herbst 1942 eine »Bestandsaufnahme« unter seinen früheren Genossen machte, um festzustellen, »wer noch da ist, nicht umgefallen war und für den Aufbau neuer politischer Beziehungen in Betracht kommt«.17
Im November 1942 konstituierte sich das Initiativkomitee der »Anti-Hitler-Bewegung«, dessen Leitung zunächst aus Hudomalj, Karl Suchanek sowie August und Marie Kamhuber bestand. Es fanden wöchentliche Zusammenkünfte statt, auf denen vor allem über die neuesten Nachrichten des Moskauer und Londoner Rundfunks debattiert und über die Stimmung unter der Wiener Bevölkerung berichtet wurde.18 Über Irma Machalek dehnte Hudomalj seinen Bekanntenkreis nach Graz aus. Ende November 1942 stellte sie ihm Willibald Wallner vor, einen KP-Sympathisanten, der in der Wehrmacht diente und sich gerade auf Heimaturlaub befand. Hudomalj schlug ihm vor, zu desertieren, was dieser nach Rücksprache mit seinen Grazer Genossen jedoch ablehnte. Wallner war mit einer NS-Parteigängerin verheiratet, und man befürchtete, bei der zu erwartenden Fahndung nach ihm würde die Frau seinen ganzen Bekanntenkreis der Gestapo preisgeben. Allerdings erklärte sich Wallner bereit, bei einer sich bietenden Gelegenheit zur Roten Armee überzulaufen und nach Möglichkeit unter dem Decknamen »Peter Münzer« über Radio Moskau eine Nachricht mitzuteilen. Dazu kam es nicht – Wallner fiel am 22. März 1943.19
Trotz seines ambitionierten Programms, das neben einer regen publizistischen Tätigkeit vor allem auf die Bildung von »Anti-Hitler-Komitees« als einheitliche Kampforgane in Betrieben und Kasernen abzielte, mied Hudomalj jeglichen Kontakt mit der von Gestapo-Spitzeln infiltrierten Stadtleitung, aber auch mit den Bezirksleitungen der illegalen KPÖ. Stattdessen versuchte er, auf direktem Weg eine Verbindung mit der Moskauer Exilparteiführung bzw. der Kommunistischen Internationale (Komintern) herzustellen. Dabei sollten ihm Wehrmachtsangehörige helfen, die an der russischen Front überlaufen und der Parteileitung Informationen übermitteln bzw. Instruktionen entgegennehmen sollten.
Im früheren Schutzbundlokal des Gemeindebaus in der Zeillergasse 63 hielt er kurz vor Weihnachten 1942 eine Besprechung ab, an der Franz Burda (Obergefreiter der Wehrmacht) sowie dessen spätere Ehefrau, Friederike Stolba, und Schwiegermutter, Josefa Stolba, teilnahmen. Der junge Soldat erklärte sich bereit, Instruktionen entgegenzunehmen und zur Roten Armee überzulaufen, um eine Verbindung mit Johann Koplenig, dem KPÖ-Vorsitzenden im Moskauer Exil, herzustellen. Hudomalj verfasste auf Leinen in winziger Schrift zwei in russischer Sprache geschriebene Briefe – einen, den Burda bei der Gefangennahme einem sowjetischen Offizier übergeben sollte, und einen zweiten für Georgi Dimitroff (Vorsitzender der Kommunistischen Internationale), mit dem der Verfasser persönlich bekannt war. Diese brisanten Schriftstücke nähte der deutsche Soldat in seinen Uniformrock ein, zahlreiche inhaltliche Details lernte er zudem auswendig. Nach wochenlangen Vorbereitungen an der russischen Front gelang es Burda im Februar 1943 tatsächlich, im Kessel von Demjansk seine gefährliche Mission zu erfüllen und zur Roten Armee überzulaufen.20 Ein von ihm im Kriegsgefangenenlager verfasster, 21-seitiger Bericht stellt ein in seiner Art einzigartiges Dokument dar, das nicht nur exakte Informationen über die bis Ende 1942 geleistete Arbeit enthält, sondern vor allem die Perspektiven der zukünftigen Aktivitäten sehr genau umreißt. Sie sahen u. a. den Einsatz von sowjetischen Funk- und Fallschirmagenten vor, mit genauer Beschreibung der infrage kommenden Absprungzonen und Ausrüstungsgegenstände. Hudomaljs Vorschläge und Instruktionen dokumentieren deutlich, dass er weitaus umsichtiger operierte als die meisten der vor ihm aus Moskau entsandten Emissäre, die zur Reorganisation der illegalen KPÖ nach Österreich eingeschleust worden waren. Darüber hinaus zeigen sie aber auch, dass sich Hudomalj frühzeitig auf eine enge Kooperation mit französischen und russischen »Fremdarbeitern« hin orientierte. Interessanterweise lässt sein Konzept in einem Teilbereich auch eine als erforderlich erachtete geschlechtsspezifische Arbeitsteilung erkennen, und zwar im Zusammenhang mit dem geplanten Absetzen einer Reihe von Fallschirmagenten in Österreich: »4–6 Teilnehmer, darunter der eine oder zwei französische Genossen, die Genossen, die die Organisation in Linz und der Obersteiermark aufbauen sollen, werden ausgesucht und kehren auf die besprochene Art unter meiner [d. h. Burdas, H. S.] Führung, da ich mit den örtlichen Lebensverhältnissen, Kontrollen, Reisebestimmungen usw. am besten vertraut bin, nach Österreich zurück. Dieser Rückkehr soll vorangehen: eine ausreichende Ausbildung im Funken, um in Österreich in der Lage zu sein, das Wissen und Können an dort lebende Genossinnen weitergeben zu können, da die Genossen anderweitig verwendet werden sollen.«21 Auf dem Territorium des Deutschen Reiches handelte es sich hierbei um den einzigen bekannten Fall, bei dem ein Unternehmen dieser Art nicht von Moskau aus, sondern »im Land« konzipiert wurde.
Im Januar 1943 erschien die erste von Hudomalj und Suchanek verfasste Nummer der Zeitschrift Wahrheit. Organ des Initiativ-Komitees der Anti-Hitler-Bewegung Österreichs, von der Hudomalj Franz Burda vor Beendigung seines Fronturlaubs noch einige Manuskripte zeigte. Heinrich Klein, ein Jugendfreund Burdas, stellte Friederike Stolba (geb. 1923, später Burdas Ehefrau) eine Schreibmaschine zur Verfügung. Zur Vervielfältigung wurde ein Handabziehapparat verwendet, der von einem Mitarbeiter aus dem achten Bezirk stammte. Das nötige Papier und die Farbe besorgte der Druckereibesitzer Otto Steindl. Die Matrizen wurden anfangs von Stolba geschrieben, auch das Abziehen, Kuvertschreiben und teilweise die Beförderung der Zeitungen waren ihre Aufgabe.22 Die Auflage der bis November 1943 monatlich erscheinenden23 illegalen Zeitung betrug anfänglich etwa 100, in der Folge 250 Exemplare.24 Einen Teil des Vertriebes übernahm auch Wilma Trawnitschek, die Zeitungen an Frontsoldaten verschickte oder – in mehreren Wiener Bezirken – Personen, die ihr als Antifaschisten bekannt waren, sich aber nicht direkt im Widerstand engagierten, in den Briefkasten steckte. Allmonatlich warf sie auch ein Exemplar in das Postfach des Schweizer Konsulats. So machte die Gruppe auch im neutralen Ausland auf ihre Existenz und den Widerstand in Österreich aufmerksam. Als erhofftes, wenn auch nicht wirklich erwartetes Resultat veröffentlichten die Basler Nachrichten im September 1943 einen Auszug aus der Wahrheit,25 woraufhin im Völkischen Beobachter eine wütende Replik erschien.26 Etwa 20 bis 30 Exemplare jeder Ausgabe der Wahrheit verteilte Irma Machalek, die die hektografierten Schriften teils in Wien und Umgebung, teils in Graz verbreitete.27 Außergewöhnlichen Mut bewies auch Marianne Kühnlein, eine Mitarbeiterin von Dr. Alfred Migsch, der als Beamter beim sogenannten Familienunterhalt (Fürsorgestelle für die Familien von eingezogenen Wehrmachtsangehörigen) ein Büro im Wiener Rathaus unterhielt und für Hudomalj einen Teil der von ihm erhaltenen Manuskripte für die Wahrheit redigierte. Kühnlein sorgte für die maschinenschriftliche Abschrift der Texte und half auch bei der Verteilung einiger Nummern der illegalen Zeitung.28
Von den vielfältigen sonstigen Aktivitäten der Frauen in der österreichischen »Anti-Hitler-Bewegung« seien hier nur einige wenige genannt. So etablierte Wilma Trawnitschek eine Kurierlinie nach Slowenien, um Kontaktmöglichkeiten mit Partisanen zu organisieren: »In dieser Partisanenangelegenheit fuhr ich im Auftrag von Hudomalj nach Zagorje [Hudomaljs Heimatort, H. S.], dem damaligen Edlingen, zu Frau Eli Mann, die dann auch später nach Wien zu einer Besprechung bezüglich Gründung einer Auffangs- und Weiterleitungsstelle in Zagorje [kam], um Wehrmachtsangehörige zu den Partisanen weiterzuleiten. Auch mit Max Gersak aus Crno, einem alten illegalen Mitarbeiter von Hudomalj in Jugoslawien, hatte ich in Klagenfurt einige Zusammenkünfte in gleicher Angelegenheit. So hatte ich schon zwei Verbindungsmänner in Jugoslawien, die mir dann auch sehr zu Hilfe kamen, als ich aus Österreich flüchten musste.«29
Der Bereich »Sabotage« ist vor allem mit der Tätigkeit von Friederike Burda verknüpft, die Franz Burda in erster Linie heiratete, weil sie eigentlich als Nachrichtenhelferin nach Saloniki versetzt werden sollte und nicht für die Wehrmacht arbeiten wollte. Tatsächlich konnte sie daraufhin in Wien bleiben und wurde bei den Optischen Werken Reichert dienstverpflichtet. Der auf Rüstungsproduktion umgestellte Betrieb erzeugte u. a. Fernwinkelrohre für die Wehrmacht und beschäftigte vor allem französische, griechische und jugoslawische Arbeiter. Friederike Burda fand hier relativ günstige Bedingungen für die Vorbereitung und Durchführung von Sabotageakten vor, weil der Werkstättenleiter Willy Horwath und mehrere österreichische Arbeiter sie deckten,30 obwohl sie nicht mit der »Anti-Hitler-Bewegung« in Verbindung standen.
Hudomalj bewies seine organisatorischen Fähigkeiten auch durch die Gründung und den Ausbau einer Parallelorganisation von sowjetischen Zwangsarbeitern bzw. Kriegsgefangenen, die nach Wien oder Niederösterreich deportiert worden waren. Unter Hudomaljs Leitung waren Michail Zenenko und der aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager geflüchtete Oberleutnant Michail Iwanow für die Organisation verantwortlich. Von der Existenz dieser »Anti-Hitler-Bewegung der Ostarbeiter« erfuhr die Gestapo erstmals Ende Oktober 1943.31 In zahlreichen Rüstungsbetrieben wurde ein Netz von Kampfkomitees errichtet, das sich über fast alle Wiener Bezirke spannte.32 Die strikte organisatorische und personelle Trennung zwischen der Hudomalj-Gruppe und den Mitgliedern der »Ostarbeiter-Bewegung« konnte nicht aufrechterhalten werden, auch deshalb nicht, weil eine Reihe von russischen Kriegsgefangenen bzw. Zwangsarbeitern flüchtete und mit Quartieren und Lebensmitteln versorgt wurde. Dadurch erweiterte sich der Kreis von mehr oder weniger eingeweihten Kontaktpersonen erheblich.
Auch in diesem Bereich der Widerstandsaktivitäten waren Frauen maßgeblich beteiligt, wie im September 1945 Jakob Halir berichtet: »Am 27. September 1943 lernten meine Frau und meine Tochter den sowjetrussischen Fliegeroffizier Mischa Bogdanow aus Leningrad […], mit illegalem Namen genannt ›Peter‹, bei der Genossin Schwella kennen: Genossin Schwella trat an uns heran, ob wir nicht den Russen ins Quartier nehmen möchten? Meine Frau kam nach Hause und gab mir das Ansuchen der Genossin Schwella bekannt, das ich sofort bejahte.33 Bis zur Verhaftung der Familie Schwella und (des) Genossen Rothfus,34 welche nach 7 Wochen erfolgte, war Peter 5 Wochen bei mir. […] Nach der Verhaftung der Genossen übernahm ich Peter ganz in unsere Obhut (gemeinsam mit Genossin Zamis, wohnhaft: Wien 9., Alserstrasse 59), welche 13 Monate dauerte. Während dieser Zeit verschaffte ihm meine Tochter Leopoldine eine Pistole und auch Quartiere.«35
Die praktischen Vorbereitungen der »Anti-Hitler-Bewegung« für den Widerstand gegen das NS-Regime lassen erkennen, dass sie eines der militantesten Netzwerke im Untergrund darstellte und im Herbst 1943 den Status einer bloßen Propagandagruppe längst hinter sich gelassen hatte. So wurden nicht nur Vorbereitungen für die Durchführung von größeren Sabotageaktionen gegen die NS-Kriegsmaschinerie getroffen; darüber hinaus sind im Kern die Konturen einer im Aufbau begriffenen Stadtguerilla zu erkennen, d. h. die Orientierung auf den bewaffneten Kampf wird deutlich. Hans Steykal etwa, ein Wehrmachtsangehöriger aus Stadlau, »organisierte« im Arsenal ein Maschinengewehr, ein zweites wurde in der Wohnung von Irma Machalek versteckt.36
Die Mission der Fallschirmagenten-Gruppe aus Moskau
Erst viele Jahre nach seiner Rückkehr aus der UdSSR erfuhr Franz Burda, dass seine gefährliche Mission – das Überlaufen im Kessel von Demjansk und die Übermittlung des Berichts von Hudomalj – nicht vergebens gewesen war. Tatsächlich billigten die Komintern und die KPÖ-Exilleitung die Vorschläge einer Kurierverbindung mittels Funk- und Fallschirmagenten, wenn auch mit erheblichen Modifikationen. Im Mai/Juni 1943 bereiteten sich in Moskau Gregor Kersche (geb. 1892), Hilde Mraz (geb. 1911) und Aloisia Soucek (geb. 1908) auf ihren bevorstehenden Einsatz in Österreich vor. Kersche, ein Mitbegründer der KPÖ in Kärnten und langjähriges ZK-Mitglied, lebte seit 1935 in der Sowjetunion, Hilde Mraz37 und Aloisia Soucek waren 1934 bzw. 1931 emigriert. Hilde Mraz, die Funkerin, erhielt vor dem Abflug aus Moskau Personaldokumente, die sie als »Margarete Buchgraber« auswiesen, aus der Reservefunkerin Soucek wurde »Ernestine Andechsner«, und Kersches Papiere lauteten auf den Namen »Johann Pirker«. Außerdem erhielten sie Parteinamen, mit denen die Funktelegramme unterzeichnet werden sollten: »Peter« (Kersche), »Susi« (Mraz), »Luci« (Soucek). Kersche, der »Resident«, sollte nicht nur, wie dies bei früheren Fallschirmagenten-Unternehmen der Fall war, militärisch und politisch wichtige Informationen sammeln und auswerten. Koplenig schärfte ihm ein, seine Anstrengungen besonders auf die Arbeit unter antifaschistisch gesinnten Wehrmachtsoldaten zu konzentrieren und die Grundlagen für eine breite Partisanenbewegung zu schaffen. Die letzten praktischen Anweisungen erhielt das Trio von Morosow (Leiter der operativen Abteilung), der Geld, Funkgerät und Dokumente aushändigte. Am 27. Juni 1943 setzte ein sowjetisches Bombenflugzeug die drei Österreicher per Fallschirm bei Rikki, in der Nähe von Warschau, ab, wo sie von polnischen Partisanen in Empfang genommen wurden. Die zwei Frauen blieben zunächst bei den Partisanen, während Kersche nach Warschau fuhr, eine konspirative Wohnung bezog und dort zusätzliche Papiere und Informationen erhielt. Eine Woche später folgten ihm die beiden Frauen.38 Am 15. Juli 1943 telegrafierte Pawel Finder39 nach Moskau: »Die österreichischen Genossen Peter, Luci und Susi befinden sich in Warschau, fahren dieser Tage weg.«40
Aus Sicherheitsgründen fuhr das Dreierteam nicht gemeinsam nach Wien, die beiden Funkerinnen verblieben vorläufig noch in Warschau. Auch das Fehlen einer vorbereiteten Basis in Wien führte dazu, dass Kersche, der zum Auskundschaften und zur Vorbereitung eines Quartiers für die zwei Frauen am 16. Juli vorausfuhr, zunächst Anna Schmidgunst (Schwester von Aloisia Soucek) aufsuchte und anschließend die Schwiegermutter von Hilde Mraz.41 Diese Vorgehensweise war zwar angeblich schon in Moskau vereinbart worden,42 widersprach aber den elementarsten Regeln der Konspiration. Die Angehörigen der beiden Frauen verhielten sich – wohl aufgrund der verständlichen Angst vor einer Gestapo-Provokation – überaus abweisend. In der zweiten Julihälfte fanden Aloisia Soucek und Hilde Mraz jedoch einen vorläufigen Unterschlupf bei Sophie und Friedrich Exter,43 anschließend bei Eduard Freisinger, der allerdings – ebenso wie seine Frau – erst bei den brutalen Gestapo-Verhören im Januar 1944 erfuhr, wen er beherbergt hatte.44 Auch Leo Mistinger (nach 1945 SPÖ-Nationalrat und Vorsitzender des Bundes Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer) und seine Schwester Anna, zwei weitere Quartiergeber, dürften über die Identität der zwei Funkerinnen im Unklaren gewesen sein.
Kersche selbst konnte zunächst bei dem Schneider Franz Konrad (1944 hingerichtet) untertauchen,45 anschließend fand er eine Unterkunft bei Irma Machalek (Wien 12., Koppreitergasse 11).46 Die äußerst umtriebige Aktivistin organisierte auch eine erste Zusammenkunft zwischen Hudomalj und Kersche, und zwar im Fotostudio von Monika Pölzl, einer Freundin Machaleks.47 Nachdem sich der KPÖ-Emissär überzeugt hatte, dass der »Kleine« (so die Bezeichnung Hudomaljs in den KGB-Berichten) mit dem in Moskau beschriebenen Mann identisch war, stellte Hudomalj in Aussicht, eine Verbindung mit August Suchanek herzustellen. Des Weiteren wurde Kersche zum Verfasser der zukünftigen Leitartikel in der Wahrheit bestimmt. Er beauftragte Hudomalj, den Kontakt zu einem ZK-Mann zu knüpfen, weitere Quartiere und Lebensmittel zu besorgen sowie einen Radiofachmann zur Unterstützung heranzuziehen. Kersche legte dem Leiter der »Anti-Hitler-Bewegung« eine in Moskau erstellte »Plattform«, d. h. politische Leitlinien vor, die im Wesentlichen folgende Punkte umfassten: 1. Herausbildung eines Blocks der antifaschistischen Kräfte bei führender Rolle der Arbeiterklasse. 2. Vorbereitung eines Volksaufstandes gegen die deutschen Okkupanten. 3. Schaffung von Bürgerkomitees zur Leitung der Sabotage, der Streiks und anderer Formen des Kampfes. 4. Darauf aufbauend: Vorbereitungen zur Errichtung einer provisorischen Regierung.
Die »Plattform« wurde von den Mitgliedern der Hudomalj-Gruppe diskutiert, und einen Monat später fand – unter Teilnahme des Redakteurs Suchanek – ein Treffen statt, auf dem Kersches Konzeption zugestimmt wurde.48
Kersche sammelte alle politisch und militärisch relevant scheinenden Informationen und kümmerte sich auch um die Fälschung von Personaldokumenten. So ließ er Monika Pölzl den Wehrunfähigkeitspass von Rudolf Mekiskas fotografieren, um durch dessen Weiterbearbeitung sechs Deserteuren einen Ausweis zu verschaffen. Eine der wichtigsten Aufgaben – die Herstellung einer Funkverbindung mit Moskau – scheiterte jedoch an unüberwindlichen technischen Schwierigkeiten bei der Reparatur des Funkgeräts.
Gestapo-Aktionen gegen die »Anti-Hitler-Bewegung«
Die Entlarvung und Zerschlagung der »Anti-Hitler-Bewegung« durch die Gestapo erfolgte in drei Etappen. Am 15. Oktober 1943 wurde der Buchdrucker Ilja Kirnosow als erstes Mitglied der »Ostarbeiter«-Organisation festgenommen.49 Durch die erprügelten Geständnisse kam die Gestapo weiteren Mitarbeitern auf die Spur und resümierte zwei Wochen später: »Zum Zwecke der Durchführung dieser Punkte sollen in verschiedenen Wiener Bezirken Komitees gebildet werden, die Terror- und Sabotagetrupps zu errichten haben. Die terroristischen Trupps haben die Aufgabe, hervorragende Führer in Politik und Wirtschaft zu beseitigen sowie die Sprengung von kriegswichtigen Objekten durchzuführen, während die letzteren durch entsprechende Aktionen den Arbeitsprozess und die Kriegsproduktion zu hemmen und lahmzulegen haben. Das zentrale Anti-Hitler-Komitee übernimmt die Verantwortung der Ausstattung mit Sprengmitteln der terroristischen Trupps. Es sind in diesem Zusammenhang Namen von Ostarbeitern bekannt geworden, die einer eingehenden Beobachtung unterzogen werden.«50
Eine zweite Verhaftungsaktion betraf vor allem die Kontaktpersonen aus dem »Anti-Hitler-Komitee«. Zwischen dem 27. und 29. November wurden neben weiteren sowjetischen Zwangsarbeitern ebenso festgenommen: Gustav Schwella, Marie Schwella, Eleonore Schwella, Karl Rimmer, Marie Kamhuber, August Kamhuber, Johann Hobl, Johann Rothfus sowie Tatjana Rothfus.51 August Suchanek befürchtete, ebenfalls ins Visier der Verfolger zu geraten und verübte gemeinsam mit seinen Eltern Selbstmord.
In den innersten Kreis vermochte die Gestapo erst um die Jahreswende 1943/44 einzudringen und zwar durch den Einsatz von V-Leuten.52 Aus Sicht des KGB (im Kontext des Rehabilitierungsverfahrens von Kersche) stellte sich die Endphase folgendermaßen dar: »Kersche warf vor dem ›Kleinen‹ die Frage der Notwendigkeit einer zeitweiligen Einstellung der Tätigkeit und der Überlassung einer verlässlicheren konspirativen Wohnung für sich auf. Der ›Kleine‹ erzählte Kersche, er habe vor kurzer Zeit Verbindung mit einem Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Österreichs aufgenommen und er werde versuchen, über ihn eine Wohnung außerhalb Wiens ausfindig zu machen. Dabei sprach er von seiner Absicht, das Mitglied des ZK als Vertreter der KP in seine Gruppe aufzunehmen. Kurz darauf erhielt Kersche über einen Verbindungsmann die Mitteilung, eine Wohnung sei gefunden. Am 2. Jänner 1944 stellte der ›Kleine‹ dem Kersche den Verbindungsmann des erwähnten ZK-Mitglieds der KP Österreichs vor, der ihn zur konspirativen Wohnung bringen sollte. Damit gingen sie auseinander, und da es zu spät war, um zur eigentlichen Wohnung zu gelangen, brachte der Verbindungsmann den Kersche kurzfristig für eine Nacht bei einem Bewohner des 10. Bezirks in Wien unter. Am nächsten Tag, dem 3. Jänner, kam der Verbindungsmann in die Wohnung, um Kersche abzuholen, und sie gingen zur Straßenbahnhaltestelle, wo Kersche von als Gaswerksarbeitern verkleideten Gestapoleuten verhaftet wurde.«53
Das vermeintliche »ZK-Mitglied« war Georg Weidinger (geb. 1907),54 ein ehemaliger Kommunist, der 1941 von der Gestapo »umgedreht« worden war und sich als V-Mann besonders beim Aufspüren von Fallschirmkundschaftern und deren Unterstützern hervortat.55 Auch der angebliche »Verbindungsmann« konnte identifiziert werden. Es handelte sich um Josef Lochmann, einen weiteren Gestapo-Spitzel, der eng mit Weidinger kooperierte.56
Unter den geschilderten Umständen wäre es demnach für die Gestapo ein Leichtes gewesen, einen bereits anderweitig »bewährten« Spitzel in einer organisatorisch exponierten Position zu platzieren und die »Anti-Hitler-Bewegung« von oben nach unten stark zu infiltrieren. Frühere kommunistische Leitungsgremien wurden auf diese Weise über viele Monate kontrolliert, zersetzt und systematisch unterwandert. Einige legitimistische Gruppierungen standen sogar über Jahre hindurch unter Beobachtung, um alle Verbindungen aufzudecken. Dass die Gestapo im Fall des Hudomalj-Netzwerkes anders verfuhr und bereits wenige Tage nach der Ausforschung Hudomaljs eine große Verhaftungswelle auslöste, kann als Indiz für die Stärke und Militanz dieser Bewegung angesehen werden, die sich zu einem »unkontrollierbaren« Faktor entwickelt hatte und – vor allem in Verbindung mit den »Ostarbeiter«-Komitees – bereit war, binnen kurzer Zeit den bewaffneten Kampf gegen die NS-Staatsmacht zu eröffnen.
Zwischen dem 4. und 11. Januar 1944 verhaftete die Gestapo Karl Hudomalj, Alfred Migsch, das Ehepaar Pirker, Irma Machalek, Aloisia Soucek, Hilde Mraz sowie zahlreiche weitere Mitglieder der »Anti-Hitler-Bewegung«, ebenso eine Reihe von Personen, die den beiden Fallschirmspringerinnen Unterschlupf gewährt oder sie mit Geld und Lebensmitteln versorgt hatten.57 Hudomalj widersetzte sich der Festnahme, indem er einen Schuss aus seiner Pistole abfeuerte, durch den jedoch niemand verletzt wurde. Seine Lage war völlig aussichtslos, zumal bei ihm Adressmaterial und eine Reihe von Manuskripten gefunden wurden, die für die Januar-Ausgabe 1944 der Wahrheit bestimmt waren.58
Die »Untersuchungen« teilten sich das »Ostarbeiter-Referat« (Rudolf Hitzler) und das von Kriminalrat Johann Sanitzer geleitete Referat IVA2 (Sabotage, Funk- und Fallschirm-
agenten). Hitzler und Sanitzer gehörten zu den brutalsten Schlägern am Morzinplatz (Wiener Gestapo-Zentrale) – einige Inhaftierte wurden zu Tode gefoltert – und erhielten 1948 bzw. 1949 eine lebenslange Haftstrafe, die sie jedoch nicht bis zum Ende verbüßen mussten.59 Sanitzers Prozess vor dem Wiener Volksgericht (Januar 1949) sorgte in der Öffentlichkeit für großes Aufsehen und enthüllte einige der Qualen, die seine zahlreichen Opfer erleiden mussten, etwa Anna Mistinger60 oder Kersche. Letzterer war während der Verhöre so schwer misshandelt worden, dass Irma Machalek ihn bei einer Gegenüberstellung zunächst nicht wiedererkannte.61 Der Leiter des Referats IVA2 trug bei den Verhören gelegentlich einen Wachstuch-Umhang, um seine Kleidung nicht mit dem Blut der Häftlinge zu bespritzen.62
Nach dem Abschluss der »Untersuchungen« zwang Sanitzer Kersche und die beiden Funkerinnen zur Durchführung eines sogenannten Funkspiels, d. h., nach der durch brutale Gewalt erzwungenen Preisgabe des Funkschlüssels und sonstiger Unterlagen eröffnete die Gestapo im Februar 1944 den Funkverkehr mit der Komintern bzw. ihren Nachfolge-Institutionen.63 Dieses Funkspiel erhielt von der Gestapo den Codenamen »Lindwurm«. Zwischen Februar 1944 und April 1945 sandte das Referat IVA2 in Kersches Namen 86 Funksprüche nach Moskau. Ob die dortige Zentrale von deren Authentizität überzeugt war oder das »Funkspiel« durchschaute, vermochte Jahrzehnte später auch der KGB nicht mehr zu ermitteln. Dafür, dass der Täuschungsversuch gelang, sprachen die lange Dauer des Funkverkehrs und die große Anzahl der Funktelegramme. Andererseits wurde z. B. der Forderung, weitere Kundschafter nach Österreich zu entsenden, ebenso wenig entsprochen wie dem Ansinnen, »Anlaufadressen« oder sonstige Informationen zu übermitteln, die österreichischen Widerstandskämpfern zum Verhängnis hätten werden können.64
Eine Reihe von Aktivistinnen konnte sich dem Zugriff der Gestapo entziehen. Im Falle Wilma Trawnitscheks bewährte sich nun die von ihr selbst aufgebaute Kurier- und Verbindungslinie nach Slowenien: »Ich entging meiner Verhaftung nur dadurch, dass ich […] einen Krankenurlaub in Klein-Reifling verbrachte, weil ich damals durch die aufreibende illegale Arbeit gesundheitlich nicht auf der Höhe war […].
Bei meiner Rückkehr aus Kl. Reifling schlich ich nachts unvorsichtigerweise in meine Wohnung, niemand [einige Worte im handschriftlichen Text unleserlich, H. S.] zum Glück und am nächsten Morgen um 5h früh war die Gestapo an meiner Tür. Ich hörte, wie meine Nachbarin sagte, ich sei auf Erholung und so hat die Gestapo meine Wohnungstür nicht aufgebrochen und [die Gestapo-Leute] sind wieder weggefahren. Ich schlich mich sofort in den Keller, blieb den ganzen Tag unten und abends, als es dunkelte, verließ ich das Haus. Ich trieb mich noch 4 Tage in Wien herum. Während die Gestapo in meiner Wohnung auf meine Rückkehr wartete, versuchte ich noch, die vereinbarten Treffs einzuhalten – aber leider ist niemand mehr gekommen; so hatte ich die Gewissheit, dass alle Kameraden der Gestapo in die Hände gefallen sind. Ich stand plötzlich ganz allein auf mich angewiesen da. Ich überlegte aber nicht lange, denn mir blieb sowieso nur der eine Weg zu den Partisanen offen […].
Die Reise nach Jugoslawien war für mich als Frau leichter, weil nur Männer kontrolliert wurden und nur Schnellzüge, also fuhr ich mit dem Personenzug und kam auch unbehelligt durch. Sehr beschwerlich war dann der Weg zu den Partisanen, weil es nicht leicht war, die Verbindung zu bekommen, da doch gerade Zagorje schwer besetzt [sic] war. […] Nach etlichen vergeblichen Versuchen, gelang es dann Max Gersak am
10. März 1944, mich zu den Partisanen zu bringen. Trotz der großen Strapazen, die ich durchmachen musste, fühlte ich mich frei mit der Genugtuung […] mithelfen zu können, Hitlers Kriegsmaschine zum Stehen zu bringen. Zuerst war ich eine Zeitlang im
II. slowenischen Batt. [Bataillon, H. S.], dann kam ich zum österr. Batt., wo ich bis Kriegsende verblieb.«65
Die SS ermordete Hudomalj am 27. September 1944 im KZ Mauthausen, ebenso seinen Mitkämpfer Hans Rothfus. Einige weitere Widerstandskämpfer wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet bzw. starben in anderen Konzentrationslagern (Dachau, Flossenbürg).66 Nach bisherigen, noch nicht abgeschlossenen Forschungen ließ die Wiener Gestapo mindestens 23 Frauen aus der »Anti-Hitler-Bewegung« in das KZ Ravensbrück überstellen, zumeist zwischen Juli und Oktober 1944. Die Verfolgungsgeschichte dieser Frauen ist in der Historiografie bisher unbeachtet geblieben,67 obwohl von etlichen Überlebenden Erinnerungsberichte und Opferfürsorgeakten vorliegen.
Kersche, Soucek und Hilde Mraz blieben bis zum 5. April 1945 im Gewahrsam der Wiener Gestapo, dann ergriffen sie – ebenso wie einige andere zum Funkverkehr gezwungene Fallschirmkundschafter – die Flucht. Die Kersche-Gruppe konnte sich nur wenige Tage der wiedererlangten Freiheit erfreuen. Der vormalige »Resident« und die beiden Funkerinnen schlugen sich zu einem Stab der Roten Armee durch, erstatteten Bericht über ihre fehlgeschlagene Mission und wurden vom SMERSCH (militärische Spionageabwehr) in Haft genommen.68
Lebenswege
Im Folgenden werden drei biografische Skizzen von Frauen präsentiert, deren Lebenswege bis zur Tätigkeit in der »Anti-Hitler-Bewegung« und auch nach der Verhaftung durch die Gestapo teilweise recht unterschiedlich verliefen. Deshalb knüpfen die Biografien von Marie Kamhuber und Aloisia Soucek zwar an den Textteil an, jedoch mit einer Fokussierung auf biografische Aspekte, die den Rahmen der allgemeinen Darstellung gesprengt hätten. Anders verhält es sich mit der ebenfalls porträtierten Sophie Leifheim, die im vorhergehenden Text keine Erwähnung fand. Im Gegensatz zu den allermeisten Protagonistinnen der »Anti-Hitler-Bewegung« war sie nicht durch einen proletarischen Hintergrund geprägt, sondern entstammte einem bürgerlichen Milieu. Zudem steht Sophie Leifheim exemplarisch für den Grazer »Ableger« des thematisierten Widerstandsnetzwerkes; ihre Aufnahme erfolgte auch deshalb, weil über diesen steirischen Zweig ansonsten sehr wenig bekannt ist.
Marie Kamhuber
Marie Marchhardt (auch: Marchart) entstammte einer kinderreichen Bauernfamilie aus dem Waldviertel (Niederösterreich) und wurde am 21. Juli 1893 in Weitersfeld geboren, wo sie sieben Jahre lang die Volksschule besuchte. Trotz geringer Schulbildung interessierte sie sich als Kind sehr für Geografie und Geschichte: »Ich hatte da immer die Gespräche meiner Großmutter vor Augen, die mir von der 1848er-Revolution, vom Preußen-Krieg und von den Bauernkriegen erzählte«, schrieb sie 1945 in einem Lebenslauf. 1911 starb der Vater, die Mutter blieb mit sieben unversorgten Kindern zurück. Karl Marchhardt (geb. 1898), der einzige Bruder von Marie, wurde 1916 zum Militär eingezogen und kehrte, auf Krücken gehend, zwei Jahre später aus dem Krieg zurück. Wenig später starb er an den Folgen seiner schweren Verletzungen. Marie Marchhardt und zwei ihrer Schwestern verließen den elterlichen Bauernhof und gingen nach Wien. Als Stubenmädchen in einer Pension beschäftigt, kam sie in Wien erstmals mit sozialistischen Studentinnen in Berührung und lernte schon bald August Kamhuber (geb. 1896) kennen, ihren späteren Ehemann, der damals Funktionen in der sozialistischen Jugendbewegung innehatte. Nach der Heirat im Jahr 1920 trat Marie Kamhuber der SDAPÖ bei und war zunächst als »Sektions-Vertrauensmännin« (sic!) sowie als zweite »Obmännin« tätig, später als Mitglied des Parteivorstandes von Hernals. Sie besuchte Rednerschulen für Funktionärinnen und die Parteihochschule. Nach der Niederlage des Republikanischen Schutzbundes im Kampf gegen das »austrofaschistische« Regime und dem Verbot aller sozialdemokratischen Organisationen (Februar 1934) wandte sie sich den Revolutionären Sozialisten zu und war am Vertrieb illegaler Zeitungen beteiligt. Nach dem »Anschluss« Österreichs (März 1938) sympathisierten Maria Kamhuber und ihr Ehemann mit der kommunistischen Bewegung; ob sie der KPÖ beitraten, ist jedoch ungewiss. 1942 wandte sich Hans Rothfus mit der Bitte an sie, einen »Emigranten« aufzunehmen. Auf diese Weise kam Maria Kamhuber mit Karl Hudomalj in Kontakt, dessen richtigen Namen sie erst viel später, bei den Gestapo-Verhören erfuhr. Über diese Verbindung sagte sie: »Es entspann sich sehr bald eine ideologische Gemeinschaft, bestehend aus mehreren Genossen, an der auch ich, als gleichberechtigtes Mitglied, teilnahm. Es war dies vorerst das Initiativ-Komitee der Anti-Hitler-Bewegung, vertreten durch Sozialisten und Kommunisten, späterhin das Anti-Hitler-Komitee der Anti-Hitler-Bewegung Österreichs. Die Besprechungen wurden in unserer Wohnung abgehalten und führten zu dem Beschluss, eine eigene Zeitung herauszugeben.«
Am 27. November 1943 wurde das Ehepaar Kamhuber festgenommen, allerdings wurde bei der Hausdurchsuchung nichts Belastendes gefunden, die sonstigen Verdachtsmomente waren in dieser Phase recht vage und verdichteten sich erst Anfang 1944, als Hudomalj, Kersche und andere der Gestapo in die Hände fielen. Im Zusammenhang mit der Entlarvung des Widerstandsnetzwerkes wurde am 1. Januar 1944 auch Viktor Bergner verhaftet, der Schwager Marie Kamhubers. Viktor Bergner war Polizeimeister (Schutzpolizei), deshalb verhandelte man seinen Fall vor dem SS- und Polizeigericht in München. Das Verfahren endete mit dem Todesurteil. Am 30. August 1944 wurde Bergner im KZ Dachau erschossen. Marie Kamhuber hatte von ihrem Schwager die Adressen von neun sympathisierenden Polizeiangehörigen erhalten, welche die Wahrheit zugesandt erhielten. Da von weiteren Verfahren gegen Schutzpolizisten in diesem Kontext nichts bekannt ist, kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass Marie Kamhuber und Viktor Bergner deren Namen nicht preisgaben. Bis Anfang Oktober 1944 verblieb Marie Kamhuber im Untersuchungsgefängnis an der Wiener Elisabethpromenade – allen politischen Häftlingen des »austrofaschistischen« wie auch des NS-Regimes unter der Bezeichnung »auf der Liesl« ein vertrauter Begriff. Am 8. Oktober 1944 erfolgte ihre Überstellung ins KZ Ravensbrück, laut Schutzhaftbefehl wegen »Unterkunftgewährung eines kommunistischen Funktionärs der österr. Widerstandsbewegung (Anti-Hitler-Bewegung) und Abhören von Moskauer Rundfunksendungen in Gemeinschaft mit mehreren Personen«. In Ravensbrück war sie als Wäscheverwahrerin im Krankenblock eingesetzt. Nach der Befreiung des KZs kehrte Marie Kamhuber am 20. Juli 1945 nach Wien zurück, stellte sich der KPÖ zur Verfügung und wurde zur Frauenleiterin der Bezirksorgansation Wien XVII (Hernals) bestellt, eine Funktion, von der sie 1947 aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat.69
Sophie Leifheim
Sophie Hennicke war die Tochter von Malvine und Dr. Adalbert Hennicke und kam am 30. November 1890 in Graz zur Welt, wo sie die Volksschule und das Mädchenlyzeum besuchte. Anschließend studierte sie vier Semester an der Universität Graz (Kunstgeschichte). Bis 1917 lebte sie bei ihren Eltern und bei Verwandten in Deutschland. Sophie Hennicke war schriftstellerisch tätig und heiratete 1917 den deutschen Lyriker Hans Leifheim, mit dem sie die folgenden Jahre in Berlin verbrachte. 1923 zog das Ehepaar nach Graz.
1926 trat Sophie Leifheim der SDAPÖ bei und war hauptsächlich in der Bildungsarbeit sowie in der Fürsorge tätig. Nach dem Schutzbund-Aufstand im Februar 1934 bemühte sie sich intensiv um Rechtshilfe für angeklagte Sozialdemokraten, die sie u. a. aus dem Fürsorgeverein kannte. Die von Sophie Leifheim eingerichtete Rechtshilfestelle kooperierte eng mit der Liga für Menschenrechte in Paris. 1934 zerbrach die Ehe aufgrund des starken sozialistischen Engagements von Sophie Leifheim – das Paar ließ sich scheiden. Schon 1923 war sie eng mit Dr. Albert (»Axl«) Leskoschek befreundet, dem Redakteur der sozialdemokratischen Zeitung Arbeiterwille. Leskoschek wirkte auch als vielseitig begabter Künstler, der Leifheim in die Kunstszene einführte (u. a. in die Künstlervereinigung »Freiland«). Nach dem Verbot der SDAPÖ trat Leskoschek der bereits seit 1933 illegalen KPÖ bei. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war es auch Leskoschek, auf dessen Initiative Leifheim der KPÖ beitrat. Weil sie Leskoschek in der Illegalität unterstützt hatte, bestritt Leifheim gegenüber der Polizei jegliche kommunistische Tätigkeit, als sie im März 1936 in Graz verhaftet wurde. Nach dreimonatiger Haft verlieren sich Leifheims Spuren für etliche Jahre. 1943 trat sie in Graz der »Anti-Hitler-Bewegung« bei, wahrscheinlich zählte sie zu den Kontaktpersonen Irma Machaleks. Anfang 1944 geriet sie in die Fänge der Gestapo. Trotz eines schweren Herzleidens wurde sie mit einem Sammeltransport im Sommer 1944 ins KZ Ravensbrück deportiert, wofür Kriminalrat Sanitzer verantwortlich war. In Ravensbrück erhielt Sophie Leifheim keine Medikamente und verstarb schon nach kurzer Zeit.70
Aloisia Soucek
Aloisia Jarosch war das zwölfte Kind einer Arbeiterfamilie und wurde am 8. Februar 1908 in Wien als Tochter eines Schlossers und einer Wäscherin geboren. Sieben Geschwister starben noch im Kindesalter. Aloisias Schwester Johanna und deren Mann, der Radiotechniker Alois Peismann, gehörten bereits seit 1919 der KPÖ an und lebten seit 1923 in Moskau. Einer ihrer Brüder war Sozialdemokrat. Nach dem Abschluss der achtjährigen Volksschule besuchte Aloisia Jarosch die Handelsschule und arbeitete zugleich als Laufmädchen, später als Buchhalterin in der AEG-Union. 1929 fuhr sie in die UdSSR, um ihre Schwester zu besuchen, und wurde nach ihrer Rückkehr »wegen sowjetischer Propaganda« fristlos entlassen. Von kurzfristigen Gelegenheitsarbeiten abgesehen, blieb sie in der Folge bis 1931 beschäftigungslos. 1929 heiratete sie den Elektriker Josef Soucek (seit 1930 Mitglied in der KPÖ), der gleichfalls einer Arbeiterfamilie entstammte. Hatte sie von 1926 bis 1930 der SDAPÖ angehört, ohne dort jedoch Funktionen auszuüben, trat sie 1930 oder 1931 der KPÖ bei.71 In der Stadlauer KPÖ-Zelle fungierte sie als Frauenleiterin sowie als – wie sie selbst sagte – »Agitpropmann und Schriftführer«. Im Oktober 1931 fuhr sie auf der Suche nach Arbeit via »Intourist« in die UdSSR und erhielt im Moskauer Marx-Engels-Lenin-Institut eine Beschäftigung als Stenotypistin.72 Ihr Mann, der ihr etwas später nachfolgte, fand im Moskauer Kugellagerwerk »Kaganowitsch« als »Brigadier« in der Elektrowerkstätte eine Beschäftigung. 1933 wurde Aloisia Soucek von der Komintern an die KUNMZ (Kommunistische Universität der nationalen Minderheiten des Westens) »kommandiert« und erhielt den Decknamen »Aloisia Kurz«. Ihr Studium musste sie jedoch schon im November 1934 wieder aufgeben, nachdem ihr Sohn kurz nach der Geburt im August 1934 schwer erkrankt war. Von Oktober 1935 bis zur Auflösung der KUNMZ im Mai 1936 war sie dort als Stenotypistin beschäftigt, anschließend als Sekretärin im österreichischen Sektor der Internationalen Lenin-Schule. Als diese nach einer umfassenden Dezimierung des Lehrpersonals durch den stalinistischen Terror im April 1938 ebenfalls »liquidiert« wurde, fand Soucek eine Beschäftigung als Sekretärin im Verlag für fremdsprachige Literatur.73
Im September 1941 wurde Aloisia Soucek auf Vorschlag der Vertretung des ZK der KPÖ und auf Beschluss des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) in die »Spez-Schule« der Komintern geschickt, an der Funk- und Fallschirmagenten ausgebildet wurden, die in den NS-besetzten europäischen Ländern zum Einsatz kommen sollten. Infolge der akuten militärischen Bedrohung Moskaus im Herbst 1941 wurden alle staatlichen Institutionen evakuiert, die »Spez-Schule« nach Kuschnarenkowo bei Ufa verlegt. Im März 1942 kehrte Aloisia Soucek nach Moskau zurück und setzte ihre funktechnische Ausbildung fort (Deckname »Michajlowa Kurz«). Im Mai 1943 übermittelte V. Jegorow die Testergebnisse bei den Kontrollübungen.74 Diesen Angaben folgte das knappe Fazit: »Gen. Michajlowa kann selbständig als Funkerin arbeiten.« Wenige Tage später folgte die nominelle Auflösung der Komintern, was jedoch an den organisatorischen Strukturen ebenso wenig änderte wie an den konkreten Arbeitsbedingungen. Lediglich die Bezeichnung der Institution war neu, die für den Auslandseinsatz vorgesehenen Funk- und Fallschirmagenten unterstanden nun dem NII 100 (Wissenschaftliches Forschungsinstitut 100). Neun Tage vor ihrem Abflug aus Moskau, am 18. Juni 1943, richtete sie einen persönlichen Brief an Georgi Dimitroff, den Vorsitzenden der Komintern: »In der Zeit meiner Abwesenheit – falls Sie es als notwendig erachten, meinen Sohn Erich Soucek (er befindet sich im Lesnij-Kurort) wegzubringen, dann bitte ich Sie, ihn meiner sehr nahen Genossin Stolz Ruth zu geben, die sich derzeit an der Front befindet, sie wird ihn erziehen, ich gebe ihr alle Rechte einer Mutter für die Erziehung. Sie bitte ich inständig, meinen Buben materiell abzusichern […] Falls sich meine Schwester Peismann Johanna finden sollte, die sich an einem mir unbekannten Ort befindet,75 kann man ihr auch meinen Sohn zur Erziehung übergeben, ebenfalls mit materieller Unterstützung.« Der Vater des Kindes, Josef Soucek, war seit 1941 Angehöriger der Roten Armee und befand sich während der gesamten Kriegsdauer im Fronteinsatz.
Aloisia Soucek sollte weder ihren Mann noch ihr Kind je wiedersehen. Die dramatische Entwicklung zwischen dem Fallschirmabsprung in Polen und der Verhaftung durch die sowjetische Spionageabwehr in Wien wurde bereits dargestellt. Nach einigen Wochen Haft erfolgte die Deportation von Kersche, Mraz und Soucek in die UdSSR.
Am 8. August 1945 verurteilte ein OSO-Tribunal (Sonderberatung) des NKWD in Moskau Aloisia Soucek in einem Schnellverfahren wegen »Vaterlandsverrats« zu einer achtjährigen Lagerhaft, die sie im GULag-Komplex SZDL (Nördliches Eisenbahnlager) der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Komi verbrachte. Gregor Kersche und Hilde Mraz wurden am selben Tag zu zehn bzw. acht Jahren Lagerhaft verurteilt. Von der kräftezehrenden Zwangsarbeit bereits sehr geschwächt, verfasste Soucek im September 1947 im Lazarett »Ropca« einen Bittbrief an die Auslandsabteilung des ZK der KPdSU, in dem sie nochmals ihre Situation nach der Verhaftung durch die Gestapo beschrieb: »Am 6. Januar [1944] gab mir der Leiter der Gestapo das Protokoll, das Kersche schon unterschrieben hatte, zum Lesen. In diesem Protokoll waren alle Angaben über unsere Arbeit und Aufträge schon von Kersche gemacht. Außerdem machte man eine Gegenüberstellung zwischen Kersche und mir. Mein Schweigen nützte nichts. Durch mich ist ein Mann verhaftet worden. Auf die Frage der Gestapo nach den Namen aller, die mit mir gelernt haben,76 sagte ich, dass ich nur Vornamen wie Wasja, Wanja, Myra, Sonja usw. wüsste. Anfang Mai stellte mich der Leiter der österr. Gestapo vor die Alternative, entweder mit der Gestapo zu arbeiten, d. h. die Radioverbindung mit Moskau aufzunehmen, oder es würden alle, die mit unserer Sache in Verbindung waren, erschossen. Nach 3 Tagen reiflicher Überlegung gab ich meine Einwilligung, aber keine Unterschrift. Ich habe auf alle mögliche Art u. Weise versucht, Moskau in Kenntnis zu setzen, dass nicht wir arbeiten, sondern die Gestapo.77 Und meiner Meinung nach ist es auch gelungen, denn das Resultat war gleich Null. Man hatte uns keine Leute aus Moskau geschickt u. die Antworttelegramme gaben keine Angaben. Dies ist alles kontrollierbar.« Das MGB (Ministerium für Staatssicherheit) sah jedoch laut einer Mitteilung vom 22. Oktober 1947 »keine Grundlagen für eine Revidierung des Beschlusses« in der Causa Soucek. Am 7. März 1948 verstarb sie im Nördlichen Eisenbahnlager des GULag.
17 Jahre später, am 27. Januar 1965, hob das Militärtribunal (MVO) den OSO-Beschluss aus dem Jahr 1945 auf und stellte »wegen des Fehlens des Tatbestands eines Verbrechens« das Verfahren ein.78
[ftntext] Der vorliegende Text ist das erste Zwischenergebnis eines Forschungsprojektes (Überparteilich. Patriotisch. Transnational. Die »Anti-Hitler-Bewegung Österreichs« im Widerstand gegen das NS-Regime 1942–1944), das vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank, dem Kulturamt der Stadt Wien (MA 7) und der Hochschuljubiläumsstiftung der Stadt Wien (MA 8) gefördert wird. Der Verfasser möchte sich an dieser Stelle bei den genannten Institutionen für die Förderungen bedanken.[/ftntext]
[ftntext]Die Rezeptionsgeschichte der »Roten Kapelle« war jahrzehntelang von einer Traditionslinie dominiert, die publizistisch durch frühere Mitarbeiter der Gestapo oder der militärischen Abwehr geschaffen bzw. befördert wurde. Politisch »seitenverkehrt«, entwickelten hagiografische und heroisierende Darstellungen in der DDR eine ebenso verzerrte Sicht auf dieses Widerstandsnetzwerk. Es gehört zu den Verdiensten der Gedenkstätte Deutscher Widerstand (Berlin), dieser doppelten Mystifizierung und Legendenbildung eine differenzierte Sichtweise entgegengesetzt zu haben. Siehe etwa Hans Coppi/Jürgen Danyel/Johannes Tuchel (Hg.): Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus (= Schriften der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Bd. 1), Berlin 1994.[/ftntext]
3 Radomir Luža: Der Widerstand in Österreich 1938–1945, Wien 1985, S. 172.
4 Geb. 18. Oktober 1905 in Zagorje (Edlingen) als Sohn einer Arbeiterfamilie. Schlossergehilfe, seit 1923 Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes. 1924 in bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Organisation jugoslawischer Nationalisten (Organizacija Jugoslavenskih Nacionalista, ORJUNA) involviert, einer frühfaschistischen, zwischen 1921 und 1929 existierenden Bewegung in Jugoslawien. 1924 Mitglied der Kommunistischen Partei Jugoslawien (KPJ), 1929 bis 1931 Studium an der Kommunistischen Universität der nationalen Minderheiten des Westens (KUNMZ) in Moskau. Seit 1934 Mitglied des ZK der KPJ, 1936/37 illegale Tätigkeit in Wien. 1937 bis 1941 Instrukteur des ZK für die Arbeit unter den jugoslawischen Emigranten in Frankreich, Belgien und den Niederlanden. 1941 in einem deutschen Rüstungsbetrieb. Siehe France Filipic: Slovenci v Mauthausnu [Slowenen in Mauthausen], Ljubljana 1998, S. 431; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (im Folgenden: DÖW), 1.080, Franz Kloper (Ljubljana), einige Angaben über Karl Hudomalj, November 1962.
5 Siehe DÖW, 8.478, Staatspolizeileitstelle Wien, Tagesbericht Nr. 2, 7.–10. Januar 1944.
6 Siehe ebd., Staatspolizeileitstelle Wien, Tagesbericht Nr. 9, 1.–3. Februar 1944.
7 Siehe Herbert Exenberger/Heinz Riedel: Militärschießplatz Kagran (= Schriftenreihe des DÖW zur Geschichte der NS-Gewaltverbrechen, Bd. 6), Wien 2003, S. 26.
8 DÖW, Sammlung »Erzählte Geschichte«, Interview mit Franz Burda, 25. Juli 1984, Transkript (Interviewer Hans Safrian).
9 In der Zeillergasse 63: Josefa Stolba, Friederike Burda (geb. Stolba), Franz Burda, Emma Mayerhofer, Karl Suchanek sowie dessen Eltern; in der Zeillergasse 74: Gustav Schwella, Marie Schwella, Eleonore Schwella, Karl Rimmer; in der Pretschgogasse 3: August Kamhuber, Marie Kamhuber, Viktoria Chmel; in der Ferchergasse 11: Johann Rothfus; in der Wattgasse 88: Dr. Alfred Migsch; in der Wattgasse 98: Jakob Halir, Leopoldine Halir; in der Wurlitzergasse 87: Magdalene Onigas; in der Rötzergasse 31: Therese Pleschko.
10 Irma Machalek, Leopoldine Flandera, Marie Schwella, Eleonore Schwella, Katharina Rothfus, Tatjana Rothfus, Marie Kamhuber, Marie Pirker, Leopoldine Veit, Sophie Leifheim, Risa Roschitz, Margarete Snitily, Ottilie Schörg, Magdalena Onigas, Josefa Stolba, Friederike Burda (geb. Stolba), Wilma Trawnitschek, Rosl Mekiska, Johanna Pleschko, Therese Pleschko, Dora Hofmann, Else Hofmann, Anna Slivka, Erna Vachal, Johanna Kloc, Monika Pölzl, Hedy Grusch, Hilde Mraz, Luise Soucek, Emma Mayerhofer, Maria Freisinger, Sophie Exter, Frau Büchler, Marianne Kühnlein, Hilde Hasenauer, Anna Wagner, Viktoria Chmel, Julianne Rappold, Leopoldine Halir.
11 Siehe Luža: Widerstand (Anm. 3), S. 327–329.
12 Es fehlt z. B. der wichtige Bereich des individuellen, nicht organisierten Widerstandes, worauf bereits Wolfgang Neugebauer (Der österreichische Widerstand 1938–1945, Wien 2008, S. 16 f.) hingewiesen hat. Wodurch sich die »Allösterreicher« definierten bzw. von den NS-Verfolgungsinstanzen definiert wurden, bleibt unklar. Schließlich wird nicht ausgewiesen, ob bei den Kommunisten die Angehörigen des Kommunistischen Jugendverbandes inkludiert sind – ein Manko, das eventuelle Verzerrungen bei der Berechnung der Altersstruktur impliziert.
13 Siehe Luža: Widerstand (Anm. 3), S. 331. Eine jüngst erschienene Untersuchung über Widerstand und Verfolgung in Österreich unter dem NS-Regime differenziert nach anderen Kriterien die einzelnen Kategorien von Opfern aus dem Widerstand und basiert mit annähernd 8000 Personen auch auf einem wesentlich breiteren Sample. Siehe dazu Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Opferschicksale. Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus. Jahrbuch 2013, Wien 2013. Siehe besonders die Beiträge von Brigitte Bailer: Zur Frage nach Quantifizierungen der NS-Opfer, S. 89–100; Wolfgang Form/Ursula Schwarz: Österreichische Opfer der NS-Justiz, S. 137–161; außerdem Neugebauer: Der österreichische Widerstand (Anm. 12), S. 233–272. Im Hinblick auf die geschlechtsspezifische Zusammensetzung kommt diese Studie jedoch zu ähnlichen Ergebnissen. Siehe dazu Neugebauer, ebd., S. 236 ff.
14 Archiv Hans Schafranek, Nachlass Irma Machalek. Gedächtnis-Protokoll zum Fall Gregor Kersche, Louise Soucek, Hilde Mraz und Karl Hudomalj, o. D.
15 Siehe DÖW, 329, Bericht Wilma Trawnitschek, 19. November 1963; 8.477, Staatspolizeileitstelle Wien, Tagesbericht Nr. 1, 1.–3. Dezember 1943.
16 Siehe DÖW, 5.934, Bericht Maria Kamhuber, 28. Februar 1963. Siehe auch die ausführliche Biografie von Marie Kamhuber am Ende dieses Beitrags.
17 Siehe DÖW, 5.934, Bericht Dr. Alfred Migsch, 10. November 1969.
18 Siehe ebd., Bericht Marie Kamhuber: Die Tätigkeit der österreichischen Antihitlerbewegung.
19 Siehe Nachlass Irma Machalek (Anm. 14), Gedächtnis-Protokoll, S. 2.
20 Siehe DÖW, Sammlung »Erzählte Geschichte«, Interview mit Franz Burda (Interviewer: Hans Safrian), 25. Juli 1984, Transkript S. 10–24.
21 DÖW, 879, Bericht des Gen. Franz Burda an das Z. K. der Komm. Partei Österreichs. Kriegsgefangenenlager Nr. 87, 5. 4. 1943 (Ms. Abschrift).
22 Siehe DÖW, 329, Bericht Friedl Burda, o. D.
23 Siehe DÖW, 8.476, Staatspolizei-Leitstelle Wien, Tagesbericht Nr. 23, 16.–18. November 1943.
24 Siehe DÖW, 5.934, Bericht Marie Kamhuber: Die Tätigkeit der »Antihitlerbewegung«.
25 Siehe DÖW, 329, Bericht Wilma Trawnitschek, 19. November 1963.
26 Siehe Völkischer Beobachter (Wiener Ausgabe) vom 13. November 1943 (»Basler Giftmischer«).
27 Siehe Nachlass Irma Machalek (Anm. 14), Gedächtnis-Protokoll, S. 2.
28 Siehe DÖW, 5.934, Bericht Dr. Alfred Migsch, 10. November 1969.
29 DÖW, 329, Bericht Wilma Trawnitschek, 19. November 1963.
30 Siehe DÖW, 3.424, Namensliste.
31 Siehe DÖW, 8.476, Staatspolizei-Leitstelle Wien, Tagesbericht Nr. 19, 1.–4. November 1943.
32 Siehe ebd., Staatspolizei-Leitstelle Wien, Tagesbericht Nr. 25, 23.–25. November 1943.
33 In diesem Kontext sei auf einen vergleichbaren Fall im Ruhrgebiet hingewiesen. Von März bis August 1943 war hier ein aus der Sowjetunion kommender Fallschirmagent (Franz Zielasko) illegal tätig, nach dessen Verhaftung 56 seiner Mitarbeiter und Unterstützer der Gestapo in die Hände fielen. Der Volksgerichtshof (VGH) verhängte 17 Todesurteile, von denen 14 vollstreckt wurden. Anders als bei der Hudomalj-Gruppe ging bei jenen Unterstützungsaktionen die Initiative ausnahmslos von den (Ehe)-Männern aus, was einigen angeklagten Frauen das Leben rettete, da ihnen der VGH zugute hielt, sie hätten nicht aus eigenem »Täterwillen« gehandelt. Siehe dazu Hans Schafranek: Inseln der Solidarität. Lebens- und Überlebensbedingungen im antifaschistischen Untergrund am Beispiel eines kommunistischen Widerstandsnetzes im Bergarbeitermilieu des Ruhrgebiets 1943, in: Alfred Ableitinger/Martin Moll (Hg.): Licence to detect. Festschrift für Siegfried Beer zum 65. Geburtstag, Graz 2013, S. 371–397. Ein Vergleich der justiziellen Praxis ist allerdings nicht möglich, da die verhafteten Frauen aus dem Hudomalj-Komplex nicht vor Gericht gestellt, sondern in Konzentrationslager überstellt wurden.
34 Eleonore Schwella (Tochter von Gustav und Marie Schwella) war mit Rudolf Rothfus verheiratet. DÖW, 3.424, Namensliste lt. Angabe von Friedl Burda, Frühjahr 1965.
35 DÖW, 5.934, Bericht Jakob Halir, 20. September 1945.
36 Siehe Nachlass Irma Machalek (Anm. 14), Gedächtnis-Protokoll, S. 9.
37 Zur Biografie von Hilde Mraz siehe Barry McLoughlin/Josef Vogl: »… Ein Paragraf wird sich finden«. Gedenkbuch der österreichischen Stalin-Opfer (bis 1945), Wien 2013, S. 379–381.
38 Siehe Zentralarchiv des russischen Inlandsgeheimdienstes (Federalnaja sluschba besopasnosti Rossijskoi Federazii, FSB), Moskau, Straf- und Ermittlungsakte Gregor Kersche und andere, Vernehmungsprotokoll Aloisia Soucek (SMERSCH, militärische Spionageabwehr), 19. April 1945, Bl. 124 ff. Alle hier und im Folgenden angeführten Dokumente wurden aus dem Russischen übersetzt.
39 Pawel (urspr.: Pinkus) Finder (geb. 1904) war ein prominenter polnischer KP-Führer, der Ende 1941 als Fallschirmagent in Polen abgesetzt wurde, um die fast völlig zerschlagene polnische KP wiederaufzubauen. Er wurde am 26. Juli 1944 im Warschauer Pawiak-Gefängnis ermordet.
40 Rossijskij gosudarstvennyj archiv social’no-političeskoj istorii/Russländisches Staatsarchiv für Soziale und Politische Geschichte (im Folgenden: RGASPI), 495/187/2.911, Kaderakte Aloisia Soucek, Telegramm Finder, 15. Juli 1943.
41 Siehe Wiener Stadt- und Landesarchiv (im Folgenden: WStLA), Vg 11c Vr 586/47, Protokoll der Hauptverhandlung gegen Johann Sanitzer, 14. Januar 1949, Zeugenaussagen Anna Schmidgunst und Sophie Exter.
42 Siehe Zentralarchiv des FSB, Straf- und Ermittlungsakte Gregor Kersche und andere, Bericht des KGB: Die Tätigkeit der Einsatzgruppe des »Peter« in Österreich, o. D. [ca. 1965].
43 Siehe Nachlass Irma Machalek (Anm. 14), Gedächtnis-Protokoll, S. 7, 15. Friedrich Exter wurde 1944 in Torgau hingerichtet.
44 Siehe WStLA, Vg 11c Vr 586/47, Protokoll der Hauptverhandlung gegen Johann Sanitzer, 14. Januar 1949. Eduard Freisinger sagte dazu aus: »Ich wurde am 12. 1. 1944 verhaftet, mein Sohn hatte mir zwei Mädel gebracht mit dem Bemerken, sie hätten Hunger und ich solle sie schlafen lassen. Dass sie Fallschirmspringerinnen und Agentinnen einer ausländischen Macht seien, sagte er nicht. Er gab sie als Verwandte oder Bekannte seiner Schwiegereltern aus, ohne die Namen zu nennen. Ich fragte die Mädchen nie aus, da ich zeitig in der Früh in die Arbeit ging und erst abends heimkam.«
45 Siehe Zentralarchiv des FSB, Straf- und Ermittlungsakte Gregor Kersche und andere, Bericht des KGB: Die Tätigkeit der Fallschirm-Agentengruppe »Peter« in Österreich (1944–1945), o. D. [ca. 1945].
46 Nachlass Irma Machalek (Anm. 14), Gedächtnis-Protokoll, S. 4.
47 Siehe ebd., S. 5. Nach den bereits mehrfach zitierten KGB-Berichten soll diese Zusammenkunft Mitte September 1943 stattgefunden haben. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, da sich Kersche zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Monate in Wien aufhielt.
48 Siehe Zentralarchiv des FSB, Straf- und Ermittlungsakte Gregor Kersche und andere, Bericht des KGB: Die Tätigkeit der Fallschirm-Agentengruppe »Peter« in Österreich (1944–1945).
49 Siehe DÖW, 8.476, Staatspolizei-Leitstelle Wien, Tagesbericht Nr. 6, 19.–21. Oktober 1943.
50 DÖW, 8.477, Staatspolizei-Leitstelle Wien, Tagesbericht Nr. 1, 1.–4. November 1943.
51 Siehe ebd., Tagesbericht Nr. 1, 1.–3. Dezember 1943.
52 Siehe DÖW, 5.080, Bericht der Gestapo Wien über die Tagung der N-Referenten, 28. März 1944.
53 Zentralarchiv des FSB, Straf- und Ermittlungsakte Gregor Kersche u. a., KGB-Bericht: Die Tätigkeit der Einsatzgruppe des »Peter« in Österreich; ähnlich, jedoch ausführlicher im Vernehmungsprotokoll (SMERSCH) von Gregor Kersche, 29. September 1945.
54 Tatsächlich existierte zu dieser Zeit in Österreich weder ein ZK noch eine sonstige Inlandsleitung der KPÖ. Auch die von der Gestapo stark infiltrierte Wiener Stadtleitung war bereits im Frühjahr 1943 zerschlagen worden.
55 Siehe Zentralarchiv des FSB, Straf- und Ermittlungsakte Georg Weidinger, Vernehmungsprotokoll (Ministerstwo Gossudarstwennoi Besopasnosti/Ministerium für Staatssicherheit, MGB) Georg Weidinger, 17. September 1948.
56 Siehe dazu Hans Schafranek: Wiener Gestapo-Spitzel im Umfeld sowjetischer Funk- und Fallschirm-
agenten und als Mitbegründer der 4. illegalen Inlandsleitung der KPÖ (1942), in: Zeitgeschichte, 40 (November/Dezember 2013), H. 6, S. 323–337.
57 Siehe DÖW, 8.478, Staatspolizeileitstelle Wien, Tagesberichte, Nr. 2, 7.–10. Januar 1944; Nr. 3, 11.–13. Januar 1944; WStLA, Vg 11c Vr 586/47, 11.–14. Januar 1949.
58 Siehe DÖW, 8.478, Staatspolizeileitstelle Wien, Tagesberichte, Nr. 2, 7.–10. Januar 1944.
59 Hitzler wurde 1955 aus der Haft entlassen, Sanitzer wenige Wochen nach seiner Verurteilung in die UdSSR deportiert, von wo er 1955 nach Österreich zurückkehrte. Trotz rechtskräftiger Verurteilung zu lebenslanger Haft am 14. Januar 1949 verblieb er, ohne jegliche Auflagen, in Freiheit, was einen monatelangen Proteststurm in der antifaschistischen Öffentlichkeit bewirkte.
60 Siehe WStLA, Landesgericht Wien, Volksgerichtsverfahren gegen Johann Sanitzer, Vg 4c Vr 586/47, Bd. 1, Polizeidirektion Wien, Abt. I, Protokoll der Niederschrift Anna Mistinger, 17. Dezember 1946. Ähnlich im Protokoll der Hauptverhandlung: ebd., Bd. 3, Zeugeneinvernahme Anna Mistinger, 12. Januar 1949.
61 Siehe ebd., Zeugeneinvernahme Irma Machalek, 12. Januar 1949.
62 Siehe ebd., Zeugeneinvernahme Hans Veit, 14. Januar 1949.
63 Die Komintern wurde offiziell am 10. Juni 1943 aufgelöst, jedoch blieben zahlreiche technische und andere Einrichtungen bestehen.
64 Siehe Zentralarchiv des FSB, Straf- und Ermittlungsakte Gregor Kersche, KGB-Bericht: Die Tätigkeit der Einsatzgruppe des »Peter« in Österreich.
65 DÖW, 329, Bericht Wilma Trawnitschek, 19. November 1963.
66 Siehe Filipic: Slovenci (Anm. 4), S. 432; DÖW, 3.424, Namensliste von Angehörigen der Hudomalj-Gruppe.
67 So enthält z. B. das zweibändige Werk von Amesberger und Halbmayr über Österreicherinnnen im KZ Ravensbrück keinerlei Hinweise auf die zahlreichen Frauen aus der »Anti-Hitler-Bewegung«. Siehe Helga Amesberger/Brigitte Halbmayr: Vom Leben und Überleben – Wege nach Ravensbrück. Das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück in der Erinnerung. Bd. 1: Dokumentation und Analyse, Wien 2001; Bd. 2: Lebensgeschichten, Wien 2001.
68 Siehe Zentralarchiv des FSB, Vernehmungsprotokolle Gregor Kersche, 8. Juni 1945, 29. September 1945.
69 Siehe DÖW, 8.477, Gestapoleitstelle Wien, Tagesbericht Nr. 1, 1.–3. Dezember 1943; 50.104/13, Bestand Ravensbrück, Berichte über das KZ Ravensbrück, geschrieben von Frauen, die dort inhaftiert waren und überlebten. Lebensläufe Marie Kamhuber, 20. Oktober 1945, 6. Januar 1948; 50.104/433, Eidesstattliche Erklärung Marie Kamhuber, 15. September 1945; 20.000/k 67, Opferfürsorgeakte Marie Kamhuber.
70 Siehe Landesgericht Wien, 26 Vr 5.431/36, Strafsache gegen Dr. Albert Leskoschek und Sophie Leifheim; DÖW, 50.104/359, Sammlung Ravensbrück. Emma Mayerhofer.
71 Die entsprechenden Angaben in der Komintern-Kaderakte sind unterschiedlich. In Lebensläufen und Mitteilungen diverser sowjetischer Dienststellen wird stets 1931 als Beitrittsjahr angeführt, während das von der Bezirksorganisation Wien-Stadlau ausgestellte Mitgliedsbuch den 3. August 1930 als Tag des Beitritts zur KPÖ ausweist. RGASPI, 495/187/2.911, Kaderakte Aloisia Soucek.
72 In der Kaderakte Aloisia Souceks wird dafür stets der Begriff »Maschinistin« verwendet, auch in Dokumenten, die in deutscher Sprache verfasst wurden.
73 Über Souceks Staatsbürgerschaft in der UdSSR liegen unterschiedliche Angaben vor. Am 26. April 1936 richtete Aloisia Soucek an die Auslandsabteilung des Präsidiums des Moskauer Gebietskomitees (Mosoblispolkom) ein Ansuchen um die sowjetische Staatsbürgerschaft. In einem Bittgesuch aus der Haft (1947) führte sie an, seit 1941 Sowjetbürgerin zu sein. Einer Auskunft der Kaderabteilung (5. März 1943) war jedoch zu entnehmen: »Ohne Staatsbürgerschaft, ehemalige österreichische Staatsangehörige«. RGASPI, 495/187/2.911, Kaderakte Aloisia Soucek.
74 Diese lauteten wie folgt: 1. Übermittlung von Ziffern – 14 Gruppen pro Min.; 2. Übermittlung eines Textes – 105 Zeichen pro Min.; 3. Empfang von Ziffern – 18 Gruppen pro Min.; 4. Empfang eines Textes – 110 Zeichen pro Min.; 5. Theorie – Zufriedenstellend; 6. Kenntnis der Codes und des Jargons – Zufriedenstellend; 7. Praxis der Arbeit mit Rundfunksendern – Zufriedenstellend. V. Je-
gorow an I. A. Morosow, 31. Mai 1943. RGASPI, 495/187/2.911, Kaderakte Aloisia Soucek.
75 Johanna Peismann wurde 1941 in die Udmurtische ASSR evakuiert. Nach der »Proverka« (Überprüfung der Parteidokumente) 1935 wurde sie aus der KPdSU ausgeschlossen, weil sie ihr Mitgliedsbuch verloren hatte.
76 Gemeint ist die Funkausbildung in der Sowjetunion.
77 Alle alliierten Auftraggeber und Leitstellen mussten damit rechnen, dass ihre Funk- und Fallschirm-
agenten von den Deutschen gefasst und gezwungen würden, unter der Kontrolle des Feindes zu funken, d. h. an einem »Funkspiel« teilzunehmen. Deshalb wurden gelegentlich vor dem Einsatz »security checks« vereinbart, um sicherzustellen, dass der Funkverkehr »sauber« war. Auch durch leicht verstümmelte Telegramme konnten die Adressaten der Funksprüche gewarnt werden. Die einfachste Variante bestand darin, einen bestimmten Satz leicht zu variieren. Als »security check«
78 konnte z. B. der Satz »Freund Pedro gut angekommen« fungieren, während »Freund Peter gut angekommen« eine Überwachung des Funkverkehrs signalisierte. Im Grunde genommen befanden sich inhaftierte Funkagenten in einem ausweglosen Dilemma, da gerade die erfolgreiche Täuschung des Gegners ein lebensbedrohliches Risiko für sie schuf. In solchen Fällen mussten sie darauf vertrauen, dass die gewarnte Leitstelle sich entschloss, ein »triple play« zu eröffnen, was nicht sehr häufig vorkam. Eher wurde unter solchen Vorzeichen der Funkverkehr eingestellt, was mitunter einem Todesurteil gleichkam. Die meisten funktechnischen Warnungen gefangener alliierter Agenten, die zu »Funkspielen« gezwungen wurden, dürften in London bzw. Moskau nicht erkannt worden sein. Verheerende Konsequenzen aus dem mehrfachen Ignorieren solcher Warnungen ergaben sich für die niederländische Widerstandsbewegung, als die deutsche Abwehr mehr als zwei Jahre hindurch ein »Funkspiel« mit der britischen SOE (Special Operations Executive) durchführte. Siehe dazu Hans Schafranek: Unternehmen »Nordpol«. Das »Englandspiel« der deutschen militärischen Abwehr in den Jahren 1942–1944, in: Hans Schafranek/Johannes Tuchel (Hg.): Krieg im Äther. Widerstand und Spionage im Zweiten Weltkrieg, Wien 2004, S. 247–291.