JHK 2015

Neues zum »Spiegel-Manifest« von 1977/78. Zwei Stasi-Dokumente werfen Fragen auf

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 237-260 | Metropol Verlag

Autor/in: Siegfried Suckut

Erweist sich der Versuch, einen Begriff klar zu definieren und operationabel zu machen, als aussichtslos, wird in den Sozialwissenschaften gern von dem Versuch gesprochen, einen Pudding an die Wand zu nageln.1 In der Geschichtswissenschaft geht es in der Regel um andere unüberwindbare Forschungsbarrieren, vorrangig um Informationsdefizite, die es trotz allen Bemühens nicht erlauben, Sachverhalte zu klären, sei es aus Quellenmangel, sei es, dass sich noch lebende Akteure widersprüchlich äußern, falsche Fährten legen oder beschlossen haben zu schweigen. Sich dennoch mit einem solchen Thema zu befassen, an dem sich schon andere vergeblich versucht haben, kommt mitunter der Absicht gleich, ein nasses Stück Seife in den Griff zu bekommen.

Die Öffnung der DDR-Archive nach der Vereinigung hat es in vielen Fällen ermöglicht, Antworten auf offene Forschungsfragen zu geben und Hintergründe auszuleuchten, die bisher im Dunkeln geblieben sind – eine Sternstunde für die einschlägige Zeitgeschichtsschreibung. Die früher oft zur Spekulation verdammten Analytiker schwelgten in Informationen, die es jetzt zuweilen im Überfluss gab. Man denke nur an den riesigen Aktenbestand des früheren Ministeriums für Staatssicherheit, den ein mutiger Gesetzgeber ohne Sperrfrist zugänglich gemacht hatte. Doch schon bald wurde klar, dass manch bedauerliches Quellendefizit geblieben war. Die »Protokolle« der Sitzungen des SED-Politbüros etwa erwiesen sich weithin als bloße Auflistungen der Tagesordnungspunkte. Auch was der SED-Chef in den wöchentlichen Vieraugengesprächen mit Sicherheitsminister Mielke beriet, ist so unbekannt wie zuvor. Ganz zu schweigen von den Verhandlungen der DDR-Oberen mit den Vertretern der sowjetischen Führungsmacht, von denen nur wenig dokumentiert und zugänglich ist.

Das Spiegel-Manifest – Inhalt, Informations- und Diskussionsstand vor 1990

Zu den Episoden deutscher Nachkriegsgeschichte, die vor der Vereinigung stets geheimnisumwittert waren, gehörte das vom Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel Ende 1977/Anfang 1978 veröffentlichte »Manifest« eines »Bundes Demokratischer Kommunisten Deutschlands« (BDKD) in der DDR. Dessen Endfassung hatte der Ost-Berliner Wirtschaftsprofessor Hermann von Berg formuliert und unter abenteuerlichen Umständen weitergeleitet: Rund um Weihnachten 1977 lud er den Spiegel-Korrespondenten Ulrich Schwarz zu sich nach Schöneiche bei Berlin ein und diktierte ihm etappenweise den umfangreichen Aufruf der bis dahin unbekannten Gruppe von oppositionellen SED-Mitgliedern. Schwarz erlebte vermutlich seine Sternstunde als Journalist und schrieb sich – nicht nur im übertragenen Sinne – die Finger wund.2

Die Veröffentlichung im Nachrichtenmagazin als »Manifest der ersten organisierten Opposition in der DDR« Anfang Januar 1978 schlug in der westdeutschen Öffentlichkeit hohe Wellen.3 In allen Medien, selbst in den Fernsehnachrichten, wurde spekuliert, wer wohl die anonymen Verfasser sein könnten, wer hinter ihnen stand und was der Aufruf einer SED-internen Oppositionsgruppe deutschlandpolitisch und in der SED bewirken könnte.4

Die Autoren des Papiers wandten sich an die »Öffentlichkeit Deutschlands«, speziell an die DDR-Bevölkerung, und hatten es als Aufruf zum Handeln formuliert: »Propagiert und organisiert!« Sie warben dafür, in ganz Deutschland eine »demokratisch-kommunistische Ordnung« zu schaffen, und sahen sich in der Tradition von August Bebel, Rosa Luxemburg, Wolfgang Harich, Robert Havemann und Rudolf Bahro, nur bedingt auch in der von Marx und Lenin. Als Vorbild nannten sie die »Eurokommunisten«. Wie diese lehnten sie eine Diktatur des Proletariats ab, versprachen Parteienpluralismus, freie Wahlen und Gewaltenteilung. Zusammen mit Sozialisten und Sozialdemokraten wollten sie auf die Wiedervereinigung Deutschlands hinarbeiten, das sie sich als entmilitarisierten, neutralen Staat, als »Brücke zwischen Ost und West« vorstellten. Es gelte, einen eigenen deutschen Weg zum Sozialismus zu suchen. Die Zustimmung ihrer Adressaten hofften sie offenbar vor allem mit einer schroffen, zum Teil ins Persönliche gehenden Kritik an den Machtträgern in der Sowjetunion und der DDR zu gewinnen. Die in Moskau titulierten sie als neofaschistische Machthaber, als »objektiv reaktionär« wirkende »parasitäre Bürokraten«, sie seien »korrupt bis auf die Knochen«. Ähnlich klang, wie sie die Situation in der DDR beschrieben. Unter Honecker habe sich das »organisierte Chaos« bis zur »Unerträglichkeit« vergrößert, noch nie seien die »Werktätigen« so intensiv ausgebeutet worden wie heute. Zwei Dutzend Familien verhielten sich wie in einem Selbstbedienungsladen. Korruption, Amtsmissbrauch, Schmarotzertum und Nepotismus seien an der Tagesordnung. Protest sei unter diesen Umständen »die erste Bürgerpflicht«.

Nur unbestimmt äußerten sich die Autoren zur angestrebten demokratisch-kommunistischen Wirtschaftsordnung. Beeindrucken wollten sie mit Kritik am Bestehenden, nicht mit einem Entwurf des Zukünftigen. Deutlich wurde immerhin, dass sie Befürworter des Leistungsprinzips waren, »reale, kostendeckende Preise« befürworteten und die Einkommen von Funktionären auf die der Arbeiter begrenzen wollten. Im Durchschnitt seien das 600 DDR-Mark im Monat. Allerdings sollte die DDR-Währung zukünftig frei konvertierbar sein. Keine Frage, auf die Mitglieder im Bund Demokratischer Kommunisten wartete noch viel Programmarbeit. Dessen waren sie sich wohl auch bewusst, denn sie betonten, das Manifest sei erst der Beginn einer Verständigung und Diskussion.

Über den West-Berliner Rundfunk war der Wortlaut auch in der DDR bekannt und mitgeschnitten geworden. Tonbänder seien dort mittlerweile Mangelware, behauptete eine westdeutsche Tageszeitung.5 Doch die Resonanz im Osten war verhalten. Eine oppositionelle Initialzündung blieb aus. Nach den Turbulenzen um die Ausbürgerung Wolf Biermanns und der Inhaftierung Rudolf Bahros in den Jahren zuvor begann für den Staatssicherheitsdienst eine eher ruhige Zeit.

Umso heftiger waren die Reaktionen in Bonn. Selbst der Bundestag debattierte über das Papier, die politischen Hintergründe und möglichen Folgewirkungen.6 Skeptiker wie der SPD-Politiker Egon Bahr und der Publizist Peter Bender wunderten sich über die Wortwahl und bezweifelten, dass es sich um einen Text (allein) von SED-Funktionären handelte.7 Der ausgebürgerte Liedermacher Wolf Biermann dagegen glaubte, »klares DDR-Deutsch« gelesen zu haben. Inhaltlich decke sich das meiste mit seinen Erfahrungen und Ansichten.8 Er empfahl den Autoren, anonym zu bleiben,9 und widersprach Wolfgang Harich, dem SED-Oppositionellen früherer Jahre, als der in einem dpa-Interview die Überzeugung äußerte, Biermann sei der Verfasser des Manifests, denn »Einfälle, Vergleiche, Bilder und Formulierungen« seien typisch für dessen Sprache.10 Andere spekulierten über Machtkämpfe in der SED oder witterten eine Intrige aus den Reihen der KPdSU-Führung.

Stellung beziehen musste nicht zuletzt die Bundesregierung, die deutlich zu erkennen gab, dass ihr diese ins Persönliche gehende Fundamentalkritik an der SED-Führung ungelegen kam, weil sie das noch zarte Pflänzchen Entspannungspolitik zu gefährden schien. In »stillschweigendem Einverständnis« mit den Machtträgern in Ost-Berlin sahen die Sozialdemokraten um Kanzler Schmidt darin ein »dubioses Machwerk«, wie der Spiegel zu seinem Bedauern feststellen musste.11 Die Regierung hielt eisern an ihrer Klarstellung fest, »dass der Bundesnachrichtendienst und andere Behörden der Bundesrepublik Deutschland« mit der Veröffentlichung »nicht das geringste« zu tun hätten.12 Das war glaubhaft, weil die sozialliberale Koalition kein Interesse hatte, im Zeichen einer seit Helsinki deutlich an Fahrt gewinnenden Entspannungspolitik die Position ihres Ost-Berliner Ansprechpartners zu untergraben.

Dokumentiert findet man mittlerweile, zu welchen Einschätzungen die Analytiker im zuständigen Ressort, dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (BMB) und dessen Forschungseinrichtung, dem Gesamtdeutschen Institut, Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben, gelangten. Was sie zum Spiegel-Manifest erarbeitet und gesammelt hatten, fassten sie in einem aus zwei Bänden bestehenden »Sonderordner 3580« zusammen. Neben den Analysen der hauseigenen DDR-Forscher sind in einem Beihefter auch deren Arbeitsmaterialien, speziell die Presseveröffentlichungen von Januar 1978, aufgenommen worden. Der Ordner ist jetzt, noch unpaginiert, im Bundesarchiv Koblenz zugänglich.13

Schon am 2. Januar 1978 legten die Experten im Ministerium eine Kurzanalyse des Manifests vor, dessen erste Kapitel gerade im Spiegel veröffentlicht worden waren. Noch war nicht bekannt, wie der Text an das Hamburger Magazin gelangt war. Die Sprache, so ihr Befund, lasse »weniger auf Verfasser in der DDR schließen«, sie deute auf »westliche Autoren« hin, »beispielsweise aus dem Bereich der K-Gruppen«. Eine Annahme, die jedoch gleich wieder verworfen wurde, denn als Wortmeldung einer kommunistischen Splittergruppe sei das Manifest »zu knapp und präzise im Magazinstil formuliert«. Zumindest eine Überarbeitung durch den Spiegel sei »nicht auszuschließen«. Spürbar sei die unterschwellige Sorge der Autoren, die DDR könnte gegen Korrespondenten vorgehen.14 Den Hinweis auf den »gut lesbaren Magazinstil« übernahm die Bundesregierung in ihren Bericht an den Bundestagsausschuss für innerdeutsche Beziehungen »Über die aktuellen Ereignisse im Verhältnis zur DDR«, den sie gleich nach Erscheinen des zweiten Teils des Manifests am 9. Januar 1978 erstattete.15 Ähnliches war bereits in der öffentlichen Diskussion geäußert worden, am deutlichsten von Peter Bender, einem der profiliertesten deutschlandpolitischen Publizisten in der Bundesrepublik. In einem Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk, gleich nach der Publikation des ersten Teils, stand für ihn fest: »So schreiben Leute, die für den Spiegel schreiben« und einen »flotten West-Journalisten-Ton« treffen wollen, nicht von der SED Ausgebildete. Aus westlicher Sicht befürchtete er einen »Flurschaden« für die Deutschlandpolitik und bedauerte, dass die »offenkundige Fragwürdigkeit« des Textes weder vom Spiegel noch von den meisten Kommentatoren »bemerkt oder beachtet« worden sei. Stattdessen kommentiere jeder »drauflos«. Den Hauptschaden werde Honecker haben.16

In einem internen Gutachten des Gesamtdeutschen Instituts vom 3. Januar wurde die Vermutung geäußert,17 der Text könnte auf Tonband aufgenommen und in West-Berlin abgeschrieben worden sein. Darauf deuteten stilistische und sprachliche Besonderheiten hin, die für eine westliche Autorenschaft sprächen. Diese semantischen Hinweise tauchten auch im BMB-Entwurf des Berichts der Bundesregierung an den Bundestagsausschuss wieder auf, mit der abschließenden Klarstellung, der Regierung lägen »keine Kenntnisse über die Existenz der vom Spiegel genannten Gruppe« vor.18 Das konnte nur bedeuten, dass auch der Bundesnachrichtendienst über keine entsprechenden Informationen verfügte. In den überlieferten Regierungspapieren wurde durchweg die zunehmende Gewissheit deutlich, es handele sich nicht um eine Initiative der Stasi oder des KGB.19 Fasste man den aus dieser Akte abzuleitenden Kenntnisstand der Bundesregierung zusammen, so handelte es sich vermutlich um eine Ausarbeitung westlicher Provenienz, die aber nicht von staatlichen Stellen der Bundesrepublik, also auch nicht vom BND, verfasst worden war. Eine mögliche Autorenschaft der westdeutschen Splitterpartei KPD/Aufbauorganisation spielte in der Diskussion bald keine Rolle mehr, nachdem deren Chef, Christian Semler, das dementiert und darauf hingewiesen hatte, seine Partei würde nie befürworten, am »bürgerlichen Parlamentarismus« festzuhalten und auf die Diktatur des Proletariats zu verzichten, wie es die Autoren des Manifests getan hätten.20

Vor diesem Hintergrund ist die Spiegel-Meldung vom 16. Januar 1978 nicht überzeugend, das Bundeskabinett sei sich einig gewesen, »dass an der Authentizität des Papiers kaum zu zweifeln sei«.21 Bestätigt fühlen durften sich dagegen die Skeptiker im BMB, als sie die Information des Bundespresseamtes über eine Rundfunkdiskussion britischer Journalisten auf die Schreibtische bekamen. Im deutschsprachigen Programm der BBC hatte deren früherer Berlin-Korrespondent Trehan Jones auf den Punkt gebracht, was ihm am Spiegel-Manifest aufgefallen war, und, ähnlich wie schon Peter Bender, befunden, es sei im »Ton eines westlichen Intellektuellen« formuliert. Die »leitenden Herren dieser Zeitschrift«, so sein Eindruck, wollten »etwas Politisches erreichen«. Ihre Absicht scheine gewesen zu sein, Honecker noch mehr »zum Wackeln« zu bringen. Die Veröffentlichung des Manifests stelle die Bemühungen der SED-Führung infrage, nach der Biermann-Ausbürgerung wieder »Herr im Haus« zu werden.22 Waren nicht Oppositionelle in der SED Initiatoren der Publikation, sondern »leitende Herren« des Spiegel? Leider ist dieser Hypothese bisher wissenschaftlich nicht nachgegangen worden.

Wohl um solchen Vermutungen vorsorglich entgegenzutreten, betonten die Repräsentanten des Magazins früh und mit Nachdruck die Authentizität des von ihnen Veröffentlichten. Rudolf Augstein machte in seiner Einleitung zur hauseigenen Dokumentation zufrieden darauf aufmerksam, dass das westliche Ausland die Echtheit des Manifests »fast durchweg akzeptiert« habe, und versicherte, beim Spiegel hätten sie nie an selbiger gezweifelt.23 Am 2. Januar hatte Ulrich Schwarz im ZDF noch dementiert, das Manifest an sein Blatt weitergeleitet zu haben, gleichwohl aber betont, der Spiegel habe sich »sehr genau« davon überzeugt, dass das Dokument echt sei.24 Zwei Tage später versicherte Verlagsdirektor Becker fast wortgleich im Deutschlandfunk, sie überblickten »klar und genau den Übermittlungsweg«,25 und Schwarz wiederum ergänzte kurz darauf, der Spiegel wolle die Namen der Autoren nicht nennen, um dem Staatssicherheitsdienst »keine Hinweise« zu liefern. Es sei deren Sache, »ob sie anonym bleiben« oder sich »selbst öffentlich stellen« wollten.26 Kannte der Spiegel also die Namen der SED-Oppositionellen? Der Verfasser fragte bei Ulrich Schwarz nach. Er dementierte.

Keinen Hehl machte der Spiegel aus den von Trehan Jones vermuteten weitreichenden politischen Absichten. Schon der Veröffentlichung des Manifests hatte das Blatt zusammenfassende Ausführungen zur politischen Lage in der DDR vorangestellt, die als Charakterisierung des Ist-Zustands daherkamen, mehr aber die Hoffnungen der für das Magazin Verantwortlichen benannten, was sich in naher Zukunft entwickeln könnte, wenn nur ein Funke zündend übersprang. Ihn hätte das Manifest auslösen können. Die Opposition innerhalb der SED, so klärte das Blatt seine westdeutschen Leser auf, sei »weder tot noch entmutigt«. Selbst in »Keimzellen der ostdeutschen Staatspartei« werde erstmals seit den 1950er Jahren Widerspruch laut. Mittlere und höhere Parteifunktionäre hätten sich »in kleinen Zellen und konspirativ« zusammengeschlossen. Mit dem Gang in die Öffentlichkeit gewinne der Widerstand gegen die SED-Führung eine »neue Qualität«. Anders als in Westdeutschland sei das Thema Wiedervereinigung im Osten nach wie vor virulent und die Abscheu vor allem, was aus Moskau komme, gewachsen.27 In der ARD-Tagesschau räumte Chefredakteur Erich Böhme ein, er wisse nicht, wie viele Autoren an dem Text beteiligt waren, sei aber zuversichtlich, dass noch »wesentlich mehr dahinter stehen werden«, wenn das Manifest erst in der DDR bekannt würde. Dass es folglich Zweck der Veröffentlichung sei, den Verfassern eine größere Gefolgschaft zu sichern, verneinte er, doch ging es offenbar genau darum. Optimistisch war Böhme, weil er im Text »ein paar ganz entscheidende Dollpunkte« sah, »die die Leute in der DDR wahnsinnig machen« müssten. Er dachte unter anderem an die Prärogative der Sowjetunion in Ideologie und Wirtschaft.28 Der eng mit dem Spiegel kooperierende Wolf Biermann unterstützte indirekt diese Zuversicht und betonte, in der DDR gebe es »Tausende von kleinen Gruppen miteinander befreundeter Kommunisten«, die »ähnlich denken und hoffen wie wir«.29 Das hatte offenbar auch die DDR-Führung erkannt. Das Gerücht gehe um, so Biermann, sie rechne jetzt mit einem »echten [!] oppositionellen Manifest«.30

Gemessen an den eigenen Erwartungen muss Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein enttäuscht gewesen sein, als er in einem Kanzler-Interview mit seiner These, im Zuge der Entspannungspolitik werde es »im Grunde zu einer immer stärkeren Destabilität des DDR-Systems« kommen, auf staatsmännische Zurückhaltung stieß.31 Doch er sollte recht behalten. Sein Blatt konstatierte in den folgenden Monaten trotz ausbleibender offener Resonanz auf die Publikation des Manifests im Osten eine »fortdauernde Unruhe« in der DDR und sprach sich selbst Mut zu: »Dass Honecker seine Herrschaft auf Dauer stabilisiert hat, scheint zweifelhaft. Denn seine Probleme sind geblieben.«32

Diese Einschätzung war, nicht nur im Hinblick auf das Ende der DDR, realistisch. Die Ausbürgerung Biermanns hatte die Macht der SED spürbar geschwächt. Erstmals übten selbst prominente Parteimitglieder offen Kritik an der Politik ihrer Führung: Was mit der Veröffentlichung des Manifests erreicht werden sollte, war bereits ein erstes Mal DDR-Wirklichkeit geworden. Die Ausbürgerung war auch machtpolitisch eine Fehlentscheidung, von der sich die Partei nicht mehr völlig erholen sollte. Bewirkt hatte sie ausgerechnet Sicherheitsminister Mielke, dem es nach langem Bemühen gelungen war, Honecker zu dem Beschluss zu bewegen.33 Zusammen mit der Verhaftung Bahros und der »Kaffeekrise« im September 1977 schien die Herrschaft der SED erschüttert, was sich auch den Stimmungsberichten aus der Bevölkerung entnehmen ließ.34 Der Bürgerrechtler Jens Reich fragte sich später, ob nicht schon im Herbst 1977 der Versuch, die SED-Herrschaft durch Bürgerinitiative zu beenden, eine Chance gehabt hätte.35

Nach der Vereinigung

Erwartet werden durfte, dass sich alle Zweifel an der Echtheit des Aufrufs nach der Vereinigung leicht würden widerlegen lassen. Die BDKD-Mitstreiter würden sich der Öffentlichkeit präsentieren und über ihre abenteuerliche Aktion informieren. Das hätte eine viel beachtete Pressekonferenz werden können mit gebührendem Lob für den Mut namenloser Oppositioneller in der SED. Doch nichts geschah, was manchen Beobachter argwöhnen ließ, es spreche »alles dafür«, dass es sich beim Manifest um »eine Fälschung, von welcher Seite auch immer produziert«, handele.36 Diese These blieb unbewiesen, sie ist bislang aber auch nicht widerlegt worden.

Zweifel an der Echtheit versuchte postwendend der Leipziger Historiker Heinz Niemann zu entkräften, der nach eigenen Angaben »Beteiligter« am »informellen Geflecht« war, aus dem die Informationen stammten, auf denen das Manifest basierte. Doch blieben seine Ausführungen wenig erhellend.37 Er glaubte zu wissen, dass die Stasi sich in einer Dissertation mit dem Wirken der Gruppe befasst und bestätigt gefunden habe, dass es sich beim Manifest um ein »authentisches DDR-Produkt« gehandelt habe, das von westlicher Seite lediglich »mitinitiiert« worden sei. In der Redaktion des Spiegel, so habe er gehört, kursiere eine Kopie der Arbeit.38 Die Recherche in den Verzeichnissen der Hochschulschriften des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) ergab jedoch, dass keine solche Untersuchung angefertigt worden war. Ulrich Schwarz teilte dem Verfasser auf Anfrage mit, er könne sich nicht daran erinnern, sie in der Redaktion gesehen zu haben. Einen weiteren Dämpfer erhielten Aufklärungshoffnungen, als Hermann von Berg 1994 mitteilte, seine schriftlichen Unterlagen umgehend verbrannt zu haben, nachdem er den Text weitergeleitet hatte.39 Das war plausibel, für jeden Rechercheur aber demotivierend: Mal wieder war das nasse Stück Seife weggeflutscht.

Mit Bedauern wird dies damals vor allem der West-Berliner Historiker Dominik Geppert zur Kenntnis genommen haben, der etwa zeitgleich den Versuch startete, mehr Licht in diese Grauzone deutscher Nachkriegsgeschichte zu bringen, und die Entstehung des Manifests, die Ziele seiner Verfasser und die Reaktionen in Ost und West zum Forschungsthema machte.40 Gepperts Befunde sind widersprüchlich. Sein zentrales Untersuchungsergebnis fasst er einleitend in dem Satz zusammen: »Das ›Manifest‹ ist das authentische Dokument einer SED-internen Opposition gegen die Politik Erich Honeckers.«41 Es sei »das letzte wichtige Zeugnis innerparteilicher Opposition in der DDR« gewesen vor Beginn der Friedens- und Umweltschutzbewegung.42 Andererseits kommt er zu der Erkenntnis: »Ein BDKD hatte nie existiert.«43 Lediglich ein »Grüppchen kritischer Geister« habe es gegeben. Doch, dass die den »Schritt an die Öffentlichkeit beschlossen haben«, sei »unwahrscheinlich«.44 Nach diesem Zwischenbefund hätte es nahegelegen, mit neuen Fragen zu klären zu versuchen, wer das Manifest verfasst und die Veröffentlichung initiiert hatte. Leider unterblieb dies. In den SED-Archivalien hatte Geppert offenbar kaum Neues gefunden und stellte nach Durchsicht auch der einschlägigen Akten des MfS bedauernd fest, dass das vergebliche Bemühen der Stasi, den Fall aufzuklären, zwar ein »Glück« für die Autoren des Manifests, für die zeitgeschichtliche Forschung aber ein »Unglück« gewesen sei.45

Zwanzig Jahre später hat sich die Quellenlage in einem wichtigen Punkt gebessert. Gepperts Hoffnung auf Neuigkeiten aus den Stasi-Akten war nicht unberechtigt. Bei der Auswertung einer ungeordneten Sammlung vom MfS konfiszierter Schreiben stieß der Autor dieses Beitrages auf ein Papier, bei dem es sich inhaltlich offensichtlich um eine Vorfassung des später im Spiegel veröffentlichten Manifests handelt.46 Hermann von Berg, damals Professor an der Humboldt-Universität, war nach eigener Aussage kein Mitglied des BDKD, aber politischer Mitstreiter der Oppositionellen. Er stand in engem Kontakt zu dieser Gruppe und war beauftragt, deren Öffentlichkeitsarbeit wahrzunehmen. Er hatte nach seiner 1988 veröffentlichten Darstellung im November 1977 den Entwurf einer »Erklärung des Bundes demokratischer Kommunisten Deutschlands« von den Autoren in der DDR zur Stellungnahme erhalten.47 Inhaltlich könnte das der von der Stasi archivierte Text gewesen sein.

Man findet ihn in vollem Umfang im Wortlaut des Aufrufs wieder, wie ihn von Berg Ende Dezember 1977, so der bisherige Informationsstand, in seinem Wohnzimmer dem Spiegel-Korrespondenten Ulrich Schwarz in die Feder diktiert hatte. Die dann veröffentlichte Endfassung ist lediglich um einzelne eingeschobene Absätze erweitert. Wie von Berg später betonte, hatte er den verlesenen Text allein formuliert. Es habe sich um eine »Zusammenfassung« von »vorher zur Diskussion verbreitet gewesenen Papieren« der oppositionellen Gruppe gehandelt.48 Gleich darauf habe der Spiegel ihn dann veröffentlicht.49

Eine Stasi-Unterlage wirft neue Fragen auf

Bisher galt das Original des Manifests als verschollen. Auch Hermann von Berg verfügt über kein Exemplar mehr.50 Die äußerliche Beschaffenheit des unter den MfS-Archivalien überlieferten Papiers spricht für seine Authentizität. Wie die Autoren im Manifest einleitend mitteilten, hatten sie den Text hektografisch vervielfältigt.51 Wo der Apparat gestanden hat und wie viele Exemplare sie anfertigten, daran konnte sich Hermann von Berg auf Rückfrage des Verfassers nicht mehr erinnern. Bei der im Stasi-Archiv aufbewahrten Unterlage handelt es sich in der Tat um die Fotokopie eines Papiers, das als Abzug vorgelegen hatte.52 Wie im Spiegel wiedergegeben, endet das Dokument mit der Autorenangabe: »Berlin, Oktober 1977, BDKD Zentrale Koordinierungsgruppe«. Lediglich die Kommata sind zum Teil anders gesetzt. Gegen die Identität der Archivalie scheint dagegen auf den ersten Blick ihr Umfang zu sprechen: Nach den Angaben des Spiegel umfasste die Urfassung des Manifests »30 Schreibmaschinenseiten«53– die hier überlieferte aber nur 14. Jedoch lässt sich dieser Widerspruch leicht auflösen: Einzeilig geschrieben, hatte der Text auch auf knapp 14, in der Endfassung, wie noch zu erläutern, auf circa 15 Seiten Platz. Da Matrizen in der DDR ein rares Gut waren, wäre es nur logisch, wenn die Autoren versuchten, ihren Aufruf auf möglichst wenigen Seiten unterzubringen.

Unerklärlich erscheint folglich, warum sie den Text auf 30 Manuskriptseiten ausgedehnt haben sollen. Gab es also noch ein ganz anderes, inhaltlich identisches, ebenfalls hektografiert vorliegendes Manuskript, das aufgrund eines anderen Layouts 30 Seiten umfasste? Das ist schwer vorstellbar. Möglicherweise hat Schwarz vom Umfang seiner Mitschrift auf den der Vorlage geschlossen. Wie er dem Verfasser mitteilte, hat er das verlesene Papier nicht persönlich in Augenschein nehmen können. Seine im Hause von Bergs angefertigten Aufzeichnungen, da war sich Schwarz sicher, habe er zum Schluss in die Dokumentationsstelle des Blattes gegeben. Eine Anfrage des Verfassers ergab dann leider, dass dort keine Unterlagen zur Entstehungsgeschichte des Spiegel-Manifests existieren.54 Das ist schwer zu verstehen und sehr zu bedauern, denn Ulrich Schwarz’ handgeschriebene Seiten wären es wert gewesen, im Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn ausgestellt zu werden. Das nasse Stück Seife …

Augenfällig sind äußerliche Differenzen zwischen dem Stasi-Dokument und der publizierten Fassung. Der Spiegel hat den Text stärker gegliedert, Trennungen eingefügt, Schreibfehler vermieden, eine andere Interpunktion gewählt, eigene Abkürzungen eingefügt, andere aufgelöst: normale Abweichungen, wenn ein diktierter Wortlaut wieder verschriftlicht und in eine druckreife Fassung gebracht wird. Aus der Kapitelüberschrift »IV. Die innere Lage in der DDR« wird im Spiegel »IV. Zur inneren Situation der DDR«.55 Möglicherweise hat der Vorleser von Berg die Formulierung spontan oder unbewusst variiert.

Im zweiten Teil des Manifests sind in der im Spiegel veröffentlichten Fassung verschiedentlich Sätze absatzweise eingefügt, die in dem vom MfS archivierten Papier noch nicht enthalten waren. Auffällig ist, dass diese Absätze aus den beiden letzten Kapiteln des Manifests stammen, jener Teil, über den von Berg, nach seinen Aussagen gegenüber Geppert, noch mit seinen Mitstreitern hatte diskutieren wollen, bevor er ihn Schwarz diktierte.56

Heinz Niemann, ein Vertrauter der Familie von Berg und der Einzige, der sich später als Mitdiskutant im BDKD zu erkennen gab, berichtete schon 1991, Hermann von Berg habe die Endfassung hergestellt und sie »in frustrierter Stimmung mit entsprechenden Ausführungen garniert«, die auf den »einfachen Bürger« zielten.57 Inhaltlich entsprachen die Einfügungen dieser Charakterisierung. Entschieden verwahrte sich von Berg gegen die Vermutung des Verfassers dieses Beitrages, er habe, vielleicht extemporierend, Schwarz den einen oder anderen Satz, abweichend von seiner Vorlage, in den Block diktiert. Auch die polemische Bezeichnung »Lüla« (Lügen-Lamberz) für den SED-Agitationsverantwortlichen habe so schon in der Vorlage gestanden.58 In dem von der Stasi archivierten Exemplar ist dagegen durchgängig der korrekte Name verwendet worden.

Als der Verfasser bei seinem Besuch Hermann von Berg eine Kopie des MfS-Dokuments vorlegte, kam dieser schon nach oberflächlicher Sichtung zu dem Urteil, es könne sich bei dieser Fassung nicht um den Originalwortlaut des Manifests handeln, wie er ihn Ende 1977 Schwarz diktiert habe. Allein die Überschrift »Manifest« in der Stasi-Unterlage mache ihm das klar. Die Gruppe habe viel vorsichtiger argumentiert und sinngemäß vom Beginn einer Verständigung über bestimmte Forderungen und Festlegungen gesprochen. Diese Formulierung ist allerdings sowohl in den einleitenden Sätzen der MfS-Archivalie als auch in der im Spiegel publizierten Fassung enthalten. Verwechselt von Berg hier vielleicht Überschrift und vorangestellte Charakterisierung? Ulrich Schwarz bestätigte, eine Überschrift »Manifest« sei ihm nicht diktiert worden, die habe der Spiegel später selbst zur Charakterisierung des Textes gewählt.59

Auch das äußere Erscheinungsbild des Dokuments ließ von Berg stutzen: Er hatte den Text offenbar als voluminöser und heterogener in Erinnerung. Das könnte zusätzlich dafür sprechen, dass er die ergänzenden Absätze zum Schluss schriftlich vorformuliert und in die Vorlage eingefügt hatte. Aufgrund ihres Umfanges und ihrer Bedeutung wäre das ein plausibles Verfahren gewesen.

Endgültig sicher war sich von Berg, als ihn der Verfasser auf die Schreibweise einzelner Wörter aufmerksam machte: Die SED-Wirtschaftsprogrammatik der 1960er Jahre, das »Neue Ökonomische System der Planung und Leitung« (NÖSPL) wird in der Stasi-Unterlage kontinuierlich mit NÖSPEL abgekürzt.60 Da lachte der frühere Ökonomieprofessor laut auf: Nein, der Text könne nicht von ihm stammen. Zwar war es Alltagspraxis in der DDR, die Abkürzung NÖSPL wie ein Wort auszusprechen, phonetisch war dann vor dem L auch ein E herauszuhören, in der schriftlichen Abkürzung selbst aber wäre es völlig deplatziert gewesen. Nur DDR-Unkundigen konnte eigentlich ein solcher Fehler unterlaufen – nicht gestandenen SED-Funktionären und -Ökonomen wie Hermann von Berg und seinen Mitstreitern im »Bund«. Auch der Spiegel hatte bei der Wiedergabe offenbar kein Problem. Er brachte die korrekte Abkürzung.

Als ähnlich befremdlich empfand von Berg die Schreibweise von »Trabby-Fahrer«.61 Der Volkswagen der DDR, der Trabant, wurde umgangssprachlich als »Trabi« verniedlicht. Die anglizistisch gefärbte Schreibweise mit y aber war DDR-untypisch. In der Wiedergabe des Spiegels war vom »Trabbifahrer« die Rede.62

Dem im Archiv des MfS überlieferten Entwurf des Manifests ist leider nicht zu entnehmen, woher er stammte und wie er in den Besitz des Dienstes gelangte. Auch wie die Auswerter damit weiter verfuhren, ist nur andeutungsweise zu erkennen. Hatte die Stasi einen heimlichen Zuträger in den Reihen des BDKD? Verwunderlich wäre es nicht. Doch dann hätte es entsprechende Hinweise in der Akte geben müssen. Lediglich Hermann von Berg soll langjährige Kontakte zu der für Desinformation zuständigen Abteilung X der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS unterhalten haben.63 Da kaum Namen von Mitstreitern bekannt sind, und diese sich, nach Darstellung von Hermann von Berg, abgesprochen hatten, auch zukünftig keine zu nennen,64 ist eine Recherche in den MfS-Unterlagen nicht möglich. Dieses Manko ist umso bedauerlicher, als die Existenz von Inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi auch Hinweise hätte geben können, wer womöglich zugleich für einen westlichen Dienst arbeitete, denn vom BND ist bekannt, dass neun von zehn seiner »DDR-Quellen« Doppelagenten waren.65

Handschriftliche Anstreichungen am Rand der vorletzten Seite der MfS-Unterlage mit dem Vermerk »Spiegel« deuten darauf hin, dass die Offiziere im zahlenmäßig nur schwach besetzten Referat »Staatsfeindliche Hetze/Schriftenfahndung« in der Hauptabteilung XX bei einem Textvergleich festgestellt hatten, dass im letzten Teil nicht alles, was der Spiegel bereits veröffentlicht hatte, in diesem Papier nachzulesen war. Es konnte sich folglich nicht um eine bloße Abschrift aus dem Hamburger Nachrichtenmagazin handeln, von dem auch immer einige Exemplare offiziell, andere illegal, in die DDR gelangten und weitergegeben wurden.66 Das scheint die Auswerter eher beruhigt zu haben. Auf der Rückseite des letzten Blattes notierten sie Namen und dienstliche Telefonnummer des Leiters der Abteilung XXII (»Terrorabwehr«) sowie von einem seiner Mitarbeiter, möglicherweise die aus ihrer Sicht für die weitere Bearbeitung Zuständigen. Bei genauerer Analyse hätten sie durchaus auf Sachverhalte stoßen können, die sich im Sinne der DDR-offiziellen Bewertung so hätten deuten lassen, es habe sich bei der Veröffentlichung um eine vom Westen gesteuerte Aktion gehandelt. Noch bevor am 30. Dezember 1977 auch die DDR-Bevölkerung aus einer Vorabmeldung von ARD und ZDF vom Manifest erfuhr,67 warnte die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) des Staatssicherheitsdienstes Minister Mielke, es lägen Erkenntnisse vor, wonach »entspannungsfeindliche Kräfte« in der Bundesrepublik aktuell »umfangreiche Anstrengungen« unternähmen, um mithilfe des Bundesnachrichtendienstes die »angebliche Existenz von ›oppositionellen‹ Kräften in den Reihen der SED nachzuweisen«.68 Genannt wurden die Fragestellungen des Arbeitsauftrages und die Deckadresse der zuständigen BND-Verbindungsstelle in Berlin-Tegel, die mit der West-Berliner Dependance des »Gesamtdeutschen Instituts« kooperiere.69 Spiegel-Korrespondent Ulrich Schwarz wirke dabei als »Überbringer von Aufträgen, Instruktionen und Materialien« und wende »geheimdienstliche Mittel und Methoden« an. Am 31. Dezember 1977, als das Heft bereits zu kaufen war, informierte Mielke Honecker und Lamberz mit einer Kurzfassung des Berichts.70 Sie veranlassten offenbar, dass die Information des Sicherheitsdienstes (ohne Hinweis auf die Quelle) sogleich als ADN-Meldung in der Presse erschien und so der Bevölkerung bekannt wurde.71 Über den Inhalt des Manifests schwiegen sich die DDR-Medien aber aus.

Erst zwei Wochen später gab das MfS eine inhaltlich ähnlich lautende Information an die befreundeten Dienste. Als Urheber des »antisozialistischen Pamphlets« wurde dort der Spiegel-Verlagsdirektor Hans Detlev Becker genannt, der aus dem »NS-Spionagedienst« stamme, jetzt Agent des BND sei und in dessen Auftrag die Redakteure Mettke und Schwarz »gesteuert« habe. Erweitert hatte das MfS seine Liste der inhaltlich mitverantwortlichen West-Berliner »Organe für Wühl- und Zersetzungsaktionen«: Zusätzlich erwähnt wurden jetzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, die Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen sowie die für Gesamtdeutsche Arbeit in Berlin zuständige Abteilung III des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen. Diese Institutionen, wie die Korrespondenten, stünden unter »strengster politisch-operativer Kontrolle« des Staatssicherheitsdienstes. Die Leser werden sich vermutlich gefragt haben, wie dann das Manifest in den Westen gelangen konnte, und dürften verwundert gewesen sein, dass die DDR-Kollegen nun baten, »weitere Erkenntnisse« an sie zu übermitteln.72

Obwohl der Staatssicherheitsdienst in seinem Bericht verblüffend konkrete Informationen weitergab und selbst Straßen und Hausnummern der angeblich beteiligten westlichen Institutionen nannte, erscheint es zweifelhaft, dass Mielkes Offiziere tatsächlich schon wussten, wie das Manifest zustande gekommen war, denn sie warteten nicht mit Beweisen und Hintergrundinformationen auf, sondern nur mit allgemeinen Feststellungen. Auch diese leiteten sie nicht im Voraus an die politische Führung weiter, sondern erst nachdem die Westmedien berichtet hatten. Welche Fragestellungen der BND seinen Agenten in der DDR mit auf den Weg gab, das konnte man ahnen. Dass Bundeseinrichtungen wie das Gesamtdeutsche Institut in West-Berlin mit dem BND zusammenarbeiteten, war gut vorstellbar, so allgemein behauptet aber nur eine bloße Unterstellung, die nicht an Überzeugungskraft gewann, wenn der Name des thematisch zuständigen Referates aus dem Geschäftsverteilungsplan angegeben werden konnte.

Erst zu Beginn des neuen Jahres schien der DDR-Geheimdienst auf der Höhe der Entwicklungen angekommen zu sein. Mielke konnte Honecker, Agitationschef Lamberz und die sowjetischen Verbündeten vorab darüber informieren, dass nach »internen Hinweisen«, die offenbar aus der Redaktion des Spiegel stammten, im nächsten Heft der zweite Teil des Manifests erscheinen werde, mit »Angaben aus dem persönlichen Leben und Umgang von Persönlichkeiten der Partei- und Staatsführung«.73 Es gehe unter anderem um »Protektion« und »Begünstigung« sowie geforderte »Kaderveränderungen«. Den »Hinweisen der Quellen« zufolge sei die Veröffentlichung »bis in Kreise verantwortlicher Mitarbeiter des Spiegel hinein sehr umstritten«. Es bestünden »erhebliche gegensätzliche Auffassungen«. Mitarbeiter befürchteten, dass »die Sache in das Gegenteil umschlagen« und für »die journalistische Arbeit mehr Schaden als Nutzen« entstehen könne, denn die Formulierungen ließen erkennen, dass der Verfasser »kein Funktionär der DDR« sei. Es sei »leicht zu erkennen«, dass es sich um »unglaubwürdige und unhaltbare Darlegungen« handele. Sie gäben die Auffassungen von »Rechtsstehenden« wieder. Das »Machwerk« stamme von »alten engagierten Antikommunisten« oder sei unter deren »Mitwirkung« entstanden. Kein SED-Funktionär würde »ein derart wirres Pamphlet anerkennen und unterschreiben«. Es ziele eigentlich auf die Bundesrepublik, dort solle »Druck auf die innenpolitische Situation« erzeugt werden.

Auf den SED-Generalsekretär dürften die Informationen seines Sicherheitsministers beschwichtigend gewirkt haben: Eigentlich ging es nicht um alarmierende Entwicklungen in der SED, sondern um ein westliches »Störmanöver«. So hatten führende Sozialdemokraten das Manifest eingestuft, allerdings in ganz anderer politischer Konnotation: als Versuch, die Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition zu hintertreiben. Der Begriff hatte Honecker offenbar gefallen. Er folgte dem telefonischen Ratschlag von Bundeskanzler Schmidt: »Je gelassener die DDR reagiere, umso wirksamer werde dies sein.«74

Honeckers mysteriöse Post aus Beckum, ein zweiter »komischer Findling«75

Kurz nach dem Telefonat von Honecker und Schmidt traf in Ost-Berlin ein an »Herrn DDR-Chef Honecker« adressierter, mysteriöser Brief aus der Bundesrepublik ein, der sich in seinem Grundanliegen wie die schriftliche Affirmation des von Kanzler Schmidt telefonisch Geratenen las.76 Er war laut Poststempel am 13. Januar im westfälischen Beckum aufgegeben worden und trug keinen Absender. Schon allein das garantierte, dass er von den Postkontrolleuren des DDR-Staatssicherheitsdienstes geöffnet und gelesen wurde. Mit ins Kindliche verstellter Handschrift, aber in der Diktion eines Erwachsenen, meldete sich ein Paul-Dimitrij Ohlrich, offenbar ein Pseudonym, zu Wort und tat so, als kenne er den Verfasser des Manifests und dessen Intention. Dessen Absicht sei nicht gewesen, Honecker »seelische Verletzungen« zuzufügen, es gehe um die Verbesserung des Systems. Der Verfasser habe nicht als »Racheengel«, sondern aus »Liebe« gehandelt. Brüder im politischen Geiste also? Nicht nur der Poststempel verwies darauf, dass es sich hier um eine Wortmeldung aus der »westlichen Hemisphäre« handelte. Der Verfasser dieses Beitrages stieß auf den Brief, als er nach seinem ersten Zufallsfund zum Spiegel-Manifest nach weiteren Nadeln im Heuhaufen der von der Stasi konfiszierten Papiere suchte.

Die Offiziere der Staatssicherheit scheinen die Zuschrift aus dem Westen zwar einbehalten, aber nicht weiter beachtet zu haben. Honecker wird den Brief nicht zu Gesicht bekommen haben. Hermann von Berg versicherte, von einem Paul-Dimitrij Ohlrich nie etwas gehört zu haben, schon gar nicht im Zusammenhang mit der Entstehung des Manifests.77 Handelte es sich hier um den Versuch eines westlichen Geheimdienstes, mit den »Kollegen« von der anderen Seite zu kommunizieren? Hatten jene vielleicht recht, die vermuteten, ein westlicher Dienst habe das Manifest initiiert oder gar verfasst, vielleicht ohne Wissen der Bundesregierung, und müsse jetzt zurückrudern, nachdem die sich für eine Politik des Abwiegelns und der Schadensbegrenzung gegenüber der DDR entschieden hatte?

Dem Verfasser war es allemal eine Anfrage wert. Er legte dem Bundesnachrichtendienst eine Kopie des Briefes aus Beckum vor und bat um Auskunft, ob es in dessen Unterlagen Hinweise auf die Entstehungsgeschichte und politische Zielsetzung des Schreibens gebe. Der BND teilte mit, dass die Recherche zu dem mit »Paul-Dimitrij Ohlrich« unterzeichneten Schreiben »negativ« verlaufen sei, das ergebe sich »aus dem derzeitigen Erschließungsgrad der Altunterlagen« des Dienstes.78 Der Brief aus Beckum ist folglich zunächst wenig erhellend, er regt zu weiteren Spekulationen an. Selbst Wolfgang Harich, der Einzige, der sich bei der Suche nach dem Verfasser des Manifests namentlich festgelegt hatte, wäre wohl bei seiner Überzeugung geblieben, bei dem »Kind«, das so scharf kritisierte, was es eigentlich »liebte«, handele es sich um Wolf Biermann.

Zugleich hatte der Verfasser den Bundesnachrichtendienst gebeten, ihm in die Unterlagen Einsicht zu gewähren, die generell dokumentierten, was er über die Entstehungsgeschichte des Spiegel-Manifests wusste. Vorgelegt wurden schließlich Materialien zu zwei Signaturen: Unterlagen aus dem offenen Teil (OT) der auf das Manifest bezogenen Signatur 2226 und ein unter der Signatur 180-113 archivierter Tonbandmitschnitt einer Sendung des DDR-Hörfunks zum Manifest. Bei den aus der Signatur 2226 zugänglich gemachten Archivalien handelt es sich um eine Sammlung gedruckter Quellen, die zu den Arbeitsmaterialien des BND gehörten. Anstreichungen und Randnotizen lassen erkennen, was dem Dienst der besonderen Beachtung wert schien. Vermerkt ist etwa, wenn ein Zeitungsredakteur seinen geplanten Artikel zur inneren Lage in der DDR den BND-Spezialisten vorab zum »Gegen-Check« am Telefon vorgelesen hatte.79 Die Propaganda-Verantwortlichen in der DDR hätten das sicher als Beleg für eine zentrale Steuerungsfunktion des westlichen Dienstes gewertet. Doch ginge das schon allein aufgrund der Unabhängigkeit und Vielfalt der Medien in der Bundesrepublik an der Realität vorbei. Was der BND tatsächlich über die Entstehungsgeschichte wusste, was er dem Kanzleramt gemeldet hat, welche Rolle er in der Debatte um das Manifest spielte, wird man vermutlich erst erfahren, wenn im Jahr 2023, so der Vermerk in der Akte, auch die anderen Teile der Signatur deklassifiziert und für die Forschung zugänglich sind. Doch selbst dann werden sich die Verantwortlichen sicher mit personenbezogenen Informationen zurückhalten.

So bleibt es bei dem bisherigen marginalen Kenntnisstand zur Rolle des BND. Festzuhalten ist die wiederholte Versicherung der Bundesregierung, staatliche Stellen hätten mit dem Manifest nichts zu tun und sie selbst habe, folgt man ihrem internen Eingeständnis, nichts von der Existenz dieser Gruppe DDR-Oppositioneller gewusst.80 Gewichtiger erscheinen politische Argumente, die gegen eine Eigeninitiative des Dienstes sprechen. Die Bundesregierung hatte rasch deutlich gemacht, dass sie nicht daran interessiert war, die Position Honeckers zu untergraben. Die Veröffentlichung des Manifests empfand sie deswegen als Aktion, die ihren deutschland- und entspannungspolitischen Zielen zuwiderlief. Ausgeschlossen werden kann, dass der BND dann heimlich eine entgegengesetzte »Neben-Deutschlandpolitik« betrieben und das oppositionelle Klima in der DDR anzuheizen versucht hat. Durchaus möglich erscheint jedoch, dass er über die Hintergründe der Aktion im Bilde war und wusste, wer das Manifest verfasst hatte.

Fazit

Bei der in den MfS-Archivalien aufgefundenen Ausarbeitung handelt es sich offenbar um eine Vorfassung des »Spiegel-Manifests«. Sie lässt Rückschlüsse auf dessen inhaltliche Entstehungsgeschichte zu und erkennen, welche Textpassagen zum Schluss, vor der Weiterleitung an das Magazin, eingefügt wurden – vermutlich vom Endredakteur Hermann von Berg, obwohl der sich nicht mehr daran erinnern kann. Wesentliche alte Fragen sind weiterhin unbeantwortet: Wer waren die Mitstreiter und Verfasser im BDKD, aus deren Federn der Text oder einzelne seiner Teile stammten? Ist es als Wortmeldung allein von Oppositionellen in der SED zu werten oder gab es westliche (Mit-)Initiatoren und Verfasser? Unwiderlegt bleibt sowohl Christoph Kleßmanns oben zitierte These, beim Manifest handele es sich um eine »Fälschung, von welcher Seite auch immer«,81 als auch Dominik Gepperts abschließende Einschätzung, der »Bund Demokratischer Kommunisten Deutschlands« habe »nie existiert«.82 Neue Fragen drängen sich auf: Wie kam die fehlerhafte Abkürzung »NÖSPEL« in die Ausgangsfassung, wie die DDR-untypische für den Trabant? Kann es sein, dass SED-Funktionäre das selbst formuliert oder überlesen hatten? Wer schrieb den mysteriösen Brief aus Beckum?

Das vom MfS archivierte Papier geht inhaltlich vollständig in die Fassung ein, die Hermann von Berg nach eigener Aussage selbst schlussredigiert und Schwarz diktiert hat. Das veröffentlichte »Manifest« ist, so gesehen, sein Text. Wie ist es aber dann zu erklären, dass er aufgrund einzelner Schreibweisen spontan befindet, das Stasi-Dokument könne unmöglich von ihm stammen. Hatte er eine – ebenfalls hektografierte – 30 Schreibmaschinenseiten umfassende Ausgangsfassung in Händen ohne die Überschrift »Manifest«, eine Fassung, in der der Name des ZK-Sekretärs Lamberz bereits als »Lüla« verballhornt wurde? Wie verlässlich ist in diesen Punkten sein mitunter lückenhaftes Erinnerungsvermögen? Das Dokument aus dem Stasi-Fundus wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet.

Bestätigt fühlen werden sich all jene, die von Anfang an überzeugt waren, das Manifest sei ein Papier westlicher Provenienz. Wer diese These jetzt umso entschiedener vertritt, ist aufgefordert, der frühen Vermutung nachzugehen, der Spiegel könnte womöglich nicht nur Verteiler, sondern Mitverfasser des Textes gewesen sein. Wer es als originäres Ost-Produkt gewertet sehen möchte, müsste mit Belegen dafür aufwarten, dass es den Bund Demokratischer Kommunisten in der DDR als Verfasser tatsächlich gegeben hat und die Annahme unzutreffend ist, es handele sich um eine bloße Fälschung.

Unerfüllt bleibt die Hoffnung manch früherer SED-Mitglieder, wie Heinz Niemann, der Aufruf des BDKD könnte als Beleg dafür dienen, dass es mutige Oppositionelle nicht nur in den Reihen der DDR-Bürgerbewegung, sondern auch in denen der Staatspartei gegeben habe, um so dem »penetranten Alleinvertretungsanspruch ehemaliger Bürgerbewegter« entgegentreten zu können.83 Ohne Substanz ist sein Einwand dennoch nicht. Zahlreich sind die Schreiben, in denen SED-Mitglieder versuchten, ihren Generalsekretär auf die tatsächliche Lage im Land aufmerksam zu machen, mitunter heftige Kritik an seiner Politik übten und Reformen anmahnten – im Gegensatz zu den Autoren des Manifests zuweilen mit Namen und Adresse und inhaltlich sachlicher als das Papier des BDKD, das durch von Berg zu Recht zum bloßen »Pamphlet« abgewertet wurde.84

Die im Folgenden aufgeführten Passagen entstammen dem im Spiegel im zweiten Teil des Manifests abgedruckten Beitrag. Sie waren in dem vom MfS archivierten Papier noch nicht enthalten.85

Der Spiegel vom 9. Januar 1978, S. 26:

»Warum ist der Datschismus zur Hauptform des Lebens geworden?

Wir könnten weitere Fragen aus einzelnen Lebensbereichen stellen, deren Beurteilung für das Politbüro genauso niederschmetternd wäre, selbst, wenn es die Statistiken noch mehr fälschen ließe. Der letztliche Grund für diese deprimierenden, dem sozialistischen ›neuen Menschen‹ hohnsprechenden Tatsachen ist im politischen Überbau ohne demokratische Spielregeln, in der skandalösen Differenz zwischen der ethischen Theorie einerseits und der ahumanen Praxis andererseits, im Widerspruch zwischen PK [Produktivkräften] und PV [Produktionsverhältnissen] zu suchen. Die DDR ist der Abklatsch einer 16. Unionsrepublik [der Sowjetunion], wobei deren negative Seiten mit deutscher Gründlichkeit vergröbert sind.«

S. 27:

»Dafür, dass trotz alle Jahre wieder erfolgender Ministerratsbeschlüsse zur Reduzierung des Apparates auch die staatliche Verwaltung immer weiter wächst, wächst, wächst? Und das alles, obwohl ein Dutzend Computer in der Lage wäre, 100 000 Verwalter für die bitter benötigten Dienstleistungen freizusetzen?«

»Wozu braucht die DDR ein Heer von Journalisten, die alle genau das wiedergeben, was Lülas [Werner Lamberz] Agitkommission per Fernschreiber dekretiert? Und ein Heer von ML-Leuten, vom Kindergarten bis zur Hochschule, die alle das gleiche lebensfremde Dogma sülzen?«

»Drei weltfremde Leute, seit Jahrzehnten im Getto lebend, sorgfältig von jeder Regung des Volkes abgeschirmt, fachlich ungebildet, dekretieren Offenställe, die Sowjet-Wissenschaft ist schließlich führend. Der LPG-Bauer zahlt. Durch Überalterung auch in der politischen Urteilsfähigkeit gehemmt, kanalisieren sie den Fachverstand von Tausenden. Kein Wunder, dass Wirtschaft, Gesellschaft und Staat qualitativ absacken.«

S. 28:

»Schaut sie euch genau an: So etwas schafft ein politisch-ideologisches Klima, das dazu führt, dass der DDR-Bürger in einer halbschizophrenen Situation lebt: Öffentlich und verbal ist er für diesen seltsamen Sozialismus, privat und im Herzen träumt er, meist viel zu positiv, vom Westen und praktiziert täglich geistige und irgendwann reale Republikflucht.

Diese Clique an der Spitze schadet der sozialistischen Idee in Deutschland und Europa mehr als alle sogenannte Feind-Propaganda. Sie verfahren nach dem Rezept aller Kurpfuscher, viel hilft viel, und erreichen durch die Überdosis den politischen Tod ihrer Klienten. Solche Zustände erklären, weshalb die Partei 1953 in der DDR, 1956 in Polen und Ungarn, 1968 in der CSSR über Nacht handlungsunfähig geworden war.

Die angeführte Schizophrenie lebt auch unter den Kommunisten, die gegen besseres Wissen parieren müssen. Der undemokratische Zentralismus vernichtet sonst ihre politische, materielle und ökonomische Existenz. Sie können sich nicht wehren. In der Partei, in der Gewerkschaft, in der Konflikt-Kommission, beim Arbeitsgericht, bei der ABI [Arbeiter-und Bauern-Inspektion], in den Parlamentsausschüssen, kurz, wo immer sie auch Klage führen wollen, ertönt immer nur die eine Stimme der Nummer eins der jeweiligen Leitungsebene, des dazugehörigen Fachsekretärs und seines diensthabenden Apparatschiks.

Wir sind unter die reaktionäre Feudalordnung zurückgeworfen. Wir haben vor-zaristische Zustände.

Dies tötet jede Initiative, jedes Verantwortungsgefühl, öffnet den Weg für Schludrigkeit, Unordnung, Vergeudung, Diebstahl und stranguliert den gesellschaftlichen Fortschritt. Dies bringt zuwege, dass sich die DDR politisch, ökonomisch und national im Kreise dreht: Im Osten nichts Neues.«

S. 29:

»Wir erklären: Kein DDR-Bürger ist zur Einhaltung bestimmter politischer Gesetze verpflichtet, wenn die Führung ihre Verpflichtungen nicht einhält. Protest ist die erste Bürgerpflicht. Wir sind für Marx, nicht für Murx. Die Sekretärs-Diktatur versteift sich auf ihre verfälschenden Begriffe rechts und links. Wir sind dafür, zwischen oben und unten zuerst zu unterscheiden, und kein Übel währt ewig. Man kann nicht 17 Millionen lebenslänglich einsperren.«

»Unterstellen wir, die Politbürokraten hätten zumindest die ersten Kapitel von Marx’ Hauptwerk, dem ›Kapital‹ gelesen. Sie wissen also was das Wertgesetz ist. Folglich wäre es sinnvoll, den ökonomischen Mechanismus zu nutzen und mit realen Preisen real zu planen. Dies geht aber nicht, weil sie stolz darauf sind, völlig unreale Preise zu haben, sogenannte stabile, die in Wirklichkeit seit Jahren überall anziehen, von Grundnahrungsmitteln abgesehen, was für die Landwirtschaft sehr schädlich ist, weil auch sie subventioniert werden muss und der Arbeiter aus der Industrie den Zuschuss zu erwirtschaften hat.«

S. 30:

»Wir fordern den Abbau der riesigen, altmodischen und unmodernen Verwaltungsapparate von SVK [Sozialversicherungskasse], DER [Staatliches Reisebüro], DSF [Deutsch-sowjetische Freundschaft] usw. Ferner der riesigen Kaderabteilungen in allen Betrieben und Einrichtungen, die genau gesehen nur Filialen der Staatssicherheit sind. Überall lassen sich hier Mittel und Arbeitskräfte freisetzen. Hier muss die Sparsamkeit ansetzen. Genosse Bahro hat das alles detailliert beschrieben.«

»Wir fordern nachdrücklich die Beseitigung des Verbots, über Fragen der Lebensqualität, besonders über die ökologischen Probleme öffentlich zu diskutieren. Die Gefahren für die Gesundheit unserer Bürger müssen beim Namen genannt und abgewandt werden. Die Datschisten an den Seeufern sollten enteignet werden. Wir brauchen ruhige Erholungsplätze für überarbeitete Werktätige.

Genossen, propagiert unsere Kritik, popularisiert das Ideengut der Reformkommunisten Europas und Japans, fordert die Veröffentlichung der grundsätzlichen Dokumente der westeuropäischen und japanischen Bruderparteien, entlarvt mit allen Mitteln die widerlichen Praktiken der selbsternannten Parteibürokraten auf Lebenszeit! Zeigt den moralischen Verfall der SED, beweist, wie widerlich Karrieristen, Zyniker, angepasste Apparatschiks mit den primitivsten Regeln menschlichen Anstandes unablässig auf Kriegsfuß leben!

Propagiert und organisiert!«

1 Begriffsbildend wirkte in der jüngeren deutschen Literatur vor allem der Mannheimer Politikwissenschaftler Max Kaase, siehe ders.: Sinn oder Unsinn des Konzepts »Politische Kultur« für die Vergleichende Politikforschung; ders.: Der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln, in: ders. (Hg.): Wahlen und politisches System: Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 1980, Opladen 1983.

2 Siehe seine Ausführungen im Interview mit Horch und Guck (März 2010), H. 69, S. 17 und in Ulrich Schwarz: Gift und Galle, in: einestages.spiegel.de/static/authoralbumbackground/1106/gift_und_ galle. html., ges. am 17. Dezember 2014. Der Übermittlungsweg an den Spiegel war lange Zeit geheim gehalten worden. In einem Interview im ZDF heute-journal am 2. Januar 1978 legte Ulrich Schwarz noch Wert auf die Feststellung, er sei nicht der Überbringer gewesen, es gebe noch viele andere Wege, siehe ZDF heute-journal, 21.00 Uhr, Nachrichtendienst des Bundespresseamtes, Bundesnachrichtendienst, Akte 2226-OT.

3 Siehe »Wir sind gegen die Einparteien-Diktatur. Das Manifest der ersten organisierten Opposition in der DDR«, in: Der Spiegel Nr. 1 vom 2. Januar 1978, S. 21–24, online unter: www.spiegel.de/spiegel/print/d-40693805.html, ges. am 22. Dezember 2014; sowie »Korruption, wohin man blickt. Das Manifest der ersten organisierten Opposition in der DDR – Zweiter Teil«, in: Der Spiegel Nr. 2 vom 9. Januar 1978, S. 26–30, online unter: www.spiegel.de/spiegel/print/d-40693713.html, ges. am 22. Dezember 2014.

4 Siehe die hektografiert vorliegenden Mitteilungen der Nachrichtenabteilung des Bundespresseamtes.

5 Siehe Die Welt vom 10. Februar und 20. Januar 1978.

6 Siehe Deutscher Bundestag, 8. Wahlperiode, 65. Sitzung vom 19. Januar 1978, S. 4964–5041.

7 Siehe Die Welt vom 11. Januar 1978 zu Egon Bahr; den Vorwärts vom 5. Januar 1978 zu Peter Bender. Dem Zeit-Redakteur Theo Sommer war Ähnliches aufgefallen. Er gab aber zu bedenken, es könnte sich um die »Sprache einer jungen Generation« in der DDR handeln, siehe Die Zeit vom
13. Januar 1978, S. 1.

8 Die Zeit vom 27. Januar 1978, S. 29.

9 Siehe ebd., S. 30.

10 Süddeutsche Zeitung vom 14./15. Januar 1978, S. 6, auch zum Dementi Biermanns. Siehe zu den Reaktionen einzelner Politiker und Prominenter den Informationsdienst des Bundespresseamtes und die vom Spiegel erstellte, quellenkritisch zu nutzende Dokumentation: Günter Johannes/Ulrich Schwarz (Hg.): DDR – Das Manifest der Opposition. Eine Dokumentation. Fakten. Analysen. Berichte, mit einem Vorwort von Rudolf Augstein, München 1978.

11 Der Spiegel Nr. 2 vom 9. Januar 1978 (Anm. 3), S. 17.

12 Zwischen Bundeskanzleramt, Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (BMB) und Bundespresseamt abgestimmte Leitlinien vom 6. Januar 1978 für die mündliche Demarche des Leiters der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, Günter Gaus, am selben Tag im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Bundesarchiv Koblenz Akte B/137/9277, Akte noch ohne Paginierung. Siehe auch die gleichlautenden Ausführungen von Bundeskanzler Helmut Schmidt am 19. Januar 1978 im Bundestag, Deutscher Bundestag, 8. Wahlperiode (Anm. 6), S. 4964.

13 Siehe Bundesarchiv Koblenz, Akte B/137/9277. Der Verfasser dankt der Benutzer-Abteilung des Archivs, ihn auf diese Akte aufmerksam gemacht zu haben.

14 Gutachten Aktenzeichen II 1 – 3580, Bonn, 2. Januar 1978, hier insbesondere S. 4 f., Bundesarchiv Koblenz, Akte B/137/9277, Akte ohne Paginierung.

15 Siehe 2. Entwurf des BMB: Bericht der Bundesregierung über die aktuellen Ereignisse im Verhältnis zur DDR, Aktenzeichen: II 1 – 3580, Bonn, 10. Januar 1978, ebd.

16 WDR, Sendung »Politik heute« vom 2. Januar 1978, 19.10 Uhr, Informationsdienst des Bundespresseamtes, zitiert nach Bundesnachrichtendienst, Pullach, Akte 2226-OT, Paginierung 423. (Beim BND werden z. T. mehrere Seiten unter einer Paginierung subsumiert.)

17 Siehe Wortlaut des Gutachtens, Aktenzeichen II 1 – 19206 vom 3. Januar 1978, Bundesarchiv Koblenz, Akte B/137/9277.

18 Bericht der Bundesregierung (Anm. 15).

19 Siehe Gutachten vom 3. Januar, ebd., und den Anhang des zitierten Berichts der Bundesregierung in der Akte mit zusätzlichen »Bewertungen und Hintergrundüberlegungen«. Der Anhang war ausdrücklich nicht für den Bundestagsausschuss bestimmt.

20 Siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. Januar 1978.

21 »Deutschlandpolitik: Jetzt mal nachdenken«, in: Der Spiegel Nr. 3 vom 16. Januar 1978, S. 19–21, hier S. 19, online unter: www.spiegel.de/spiegel/print/d-40693620.html, ges. am 22. Dezember 2014.

22 Sendung vom 12. Januar 1978, 20.30 Uhr MEZ, Nachrichtendienst des Bundespresseamtes, zitiert nach Bundesarchiv Koblenz, Akte B/137/9277. An dem Gespräch nahmen ferner Werner Kastor, BBC, und Leslie Collit, Financial Times, teil.

23 Johannes/Schwarz: DDR. Das Manifest der Opposition (Anm. 10), S. 7 f.

24 ZDF heute-journal vom 2. Januar 1978, 21.00 Uhr, Nachrichtendienst des Bundespresseamtes, zitiert nach Bundesnachrichtendienst, Akte 2226-OT, Paginierung 420.

25 Siehe Johannes/Schwarz: DDR. Das Manifest (Anm. 10), S. 88.

26 Interview mit Ulrich Schwarz im Deutschlandfunk, 7. Januar 1978, 12.05 Uhr, Nachrichtendienst des Bundespresseamtes, zitiert nach Bundesarchiv Koblenz, Akte B/137/9277.

27 Siehe »DDR-Widerstand: Sehnsucht nach Demokratie«, in: Der Spiegel Nr. 1 vom 2. Januar 1978, S. 19–21, online unter: www.spiegel.de/spiegel/print/d-40693804.html, ges. am 12. Januar 2015.

28 Siehe zum Wortlaut des Interviews am 2. Januar 1978, ARD-Tagesschau, 22.30 Uhr, den Informationsdienst des Bundespresseamtes, zitiert nach Bundesnachrichtendienst, Akte 2226-OT, Paginierung 419.

29 Die Zeit vom 27. Januar 1978, S. 29.

30 Ebd.

31 »Gleiches nicht mit Gleichem vergelten. Bundeskanzler Helmut Schmidt über Ostpolitik, Konjunktur, Renten und die Wahlaussichten 1978«, in: Der Spiegel Nr. 3 vom 16. Januar 1978, S. 29–34, hier S. 30, online unter: www.spiegel.de/spiegel/print/d-40693623.html, ges. am 22. Dezember 2014.

32 »Bei uns gilt die Diktatur des Proletariats«, in: Der Spiegel Nr. 11 vom 13. März 1978, S. 29–34, hier S. 29 bzw. 34, online unter: www.spiegel.de/spiegel/print/d-40617146.html, ges. am 12. Januar 2015.

33 Siehe Siegfried Suckut (Hg.): Die DDR im Blick der Stasi 1976. Die geheimen Berichte an die SED-Führung, Göttingen 2009, S. 27–30.

34 Siehe dazu Jens Gieseke: Bevölkerungsstimmungen in der geschlossenen Gesellschaft. MfS-Berichte an die DDR-Führung in den 1960er- und 1970er-Jahren, in: Zeithistorische Forschungen 5 (2008), H. 2, S. 236–257, hier S. 253. Die »Kaffeekrise« war entstanden, weil aufgrund von Devisenmangel die preiswerteste Sorte aus dem Handel genommen und ein qualitativ schlechter Mischkaffee eingeführt worden war.

35 So Reich im Mai 1996 in einer mündlichen Stellungnahme auf der Jahrestagung der Abteilung Bildung und Forschung der Stasi-Akten-Behörde zum Themenfeld Staatspartei und Staatssicherheit.

36 So Christoph Kleßmann im Januar 1991: Opposition und Dissidenz in der Geschichte der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament (1991), B5, S. 52–62, hier S. 60.

37 Siehe Heinz F. Niemann: Der sogenannte »Bund Demokratischer Kommunisten Deutschlands« in der Opposition und Dissidenz der DDR. Zu einem Artikel von Christoph Kleßmann in Aus Politik und Zeitgeschichte, in: DeutschlandArchiv 24 (1991), H. 5, S. 533–538, hier S. 534.

38 Ebd., S. 538.

39 Siehe Hermann von Berg: Positionen der Linken zur nationalen Problematik in Deutschland, in: Konrad Löw (Hg.): Verratene Treue. Die SPD und die Opfer des Kommunismus, Köln 1994, S. 207–233, hier S. 209.

40 Dominik Geppert publizierte seine Ergebnisse später unter dem Titel Störmanöver: Das »Manifest der Opposition« und die Schließung des Ost-Berliner »Spiegel«-Büros im Januar 1978, Berlin 1996. Diese Arbeit prägte den bisherigen Forschungsstand. Geppert ist mittlerweile Professor für Geschichte an der Universität Bonn.

41 Ebd., S. 11.

42 Ebd., S. 12.

43 Ebd., S. 124.

44 Ebd., S. 125.

45 Ebd., S. 119.

46 Siehe Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (im Folgenden: BStU), Bestand Ministerium für Staatssicherheit (im Folgenden: MfS), Hauptabteilung (im Folgenden: HA) XX ,13080, Blatt 73-86.

47 Siehe Hermann von Berg: Vorbeugende Unterwerfung. Politik im realen Sozialismus, München 1988, S. 207.

48 Von Berg: Positionen (Anm. 39), S. 209. Diese Aussage von Bergs ist missverständlich. Dass er aus mehreren Papieren einen Entwurf fertigte und diesen dann Schwarz diktierte, dafür fehlt bisher jeder weitere Hinweis. Mit der Zusammenfassung ist vermutlich der Entwurf gemeint, den von Berg im November 1977 von den Mitstreitern im Bund vorgelegt bekommen hatte. Er basierte wahrscheinlich auf Einzelpapieren. Darauf deutet auch die Feststellung von Heinz Niemann hin, der davon ausgeht, dass dem Manifest ursprünglich mehrere Papiere zugrunde gelegen hatten, siehe Niemann: Der sogenannte »Bund Demokratischer Kommunisten Deutschlands« (Anm. 37), S. 534.

49 Nach diesem mehrere Jahre zurückliegenden Aktenfund in den Stasi-Unterlagen regte der Verfasser des vorliegenden Beitrages beim Spiegel an, in einem Eigenprojekt des Magazins die Entstehungsgeschichte und historische Relevanz des Dokuments zu klären, und teilte die Signatur mit. Der Vorschlag blieb ohne Resonanz. Er beschloss nunmehr, selbst nach einer Antwort zu suchen und weiter zu recherchieren. Einbezogen wurden auch die wenigen mittlerweile für die Forschung zugänglichen Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes (BND) und die oben zitierte Akte des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen im Bundesarchiv Koblenz. Die Ergebnisse werden an dieser Stelle veröffentlicht und zur Diskussion gestellt.

50 So von Berg gegenüber dem Verfasser in einem Telefonat am 5. Februar 2013 und einem zweistündigen Gespräch in seiner Wohnung in Schöneiche am 19. Februar 2013. Mit Ulrich Schwarz sprach der Verfasser am Rande von Veranstaltungen und zu Einzelfragen telefonisch, zuletzt am 15. Juni 2014. Er dankt beiden für ihre Auskunftsbereitschaft, die geholfen hat, die Stasi-Unterlagen zu bewerten.

51 Siehe »Wir sind gegen die Einparteien-Diktatur«, in: Der Spiegel (Anm. 3), S. 21.

52 Das Dokument ist überliefert in der Akte BStU, MfS, HA XX 13080, Blatt 73-86. Die folgenden Angaben beziehen sich auf diese Unterlage.

53 Siehe »Wir sind gegen die Einparteien-Diktatur«, in: Der Spiegel (Anm. 3), S. 20. So auch Erich Böhme bereits am 2. Januar 1978 in der ARD, siehe Johannes/Schwarz (Hg.): DDR – Das Manifest (Anm. 10), S. 86.

54 Siehe schriftliche Anfrage des Verfassers vom 18. Juni 2014 und telefonische Antwort von Dr. Janssen, Leiter der Spiegel-Dokumentation, vom 3. Juli 2014.

55 Siehe BStU, MfS, HA XX 13080, Blatt 80 bzw. »Korruption, wohin man blickt«, in: Der Spiegel (Anm. 3), S. 26.

56 Siehe Geppert: Störmanöver (Anm. 40), S. 66. Siehe außerdem den Wortlaut der zusätzlichen Passagen am Ende dieses Beitrages.

57 Niemann: Der sogenannte »Bund Demokratischer Kommunisten Deutschlands« (Anm. 37), S. 536.

58 So von Berg auch bereits in: ders.: Vorbeugende Unterwerfung (Anm. 47), S. 208.

59 So auch der Spiegel-Chefredakteur Erich Böhme in einer ARD-Fernsehdiskussion am 11. Januar 1978, 23.00 Uhr und die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. Januar 1978 sowie Schwarz in seinem Interview mit der Zeitschrift Horch und Guck (Anm. 2), S. 17.

60 Siehe BStU, MfS, HA XX 13080, Blatt 81 und 83.

61 Siehe ebd., Blatt 81.

62 »Korruption, wohin man blickt«, in: Der Spiegel (Anm. 3), S. 28.

63 So die Angaben von Dominik Geppert: Auf dem Dritten Weg zu einem sozialistischen Gesamtdeutschland: Revisionistische Opposition und nationale Frage in der DDR, in: ders./Udo Wengst (Hg.): Neutralität. Chance oder Schimäre? Konzepte des Dritten Weges für Deutschland und die Welt 1945–1990, München 2005, S. 79–95, hier S. 91.

64 So von Bergs wiederholter Hinweis, etwa auf einer Veranstaltung in Potsdam Anfang 2008, siehe den Konferenzbericht im Neuen Deutschland vom 9. Februar 2008. 1995 hatte von Berg die Namen von sechs Mitstreitern im »Bund« öffentlich gemacht. Wie Geppert feststellen musste, konnten vier von ihnen allerdings nicht mehr befragt werden. Sie waren bereits verstorben. Ein Fünfter war trotz intensiver Recherche nicht auffindbar, siehe Geppert: Störmanöver (Anm. 40), S. 123.

65 So Ullrich Wössner, Direktor beim BND, in seinem Tagungsbeitrag für die Abteilung Bildung und Forschung der Stasi-Unterlagen-Behörde: Angriffe des MfS auf den Bundesnachrichtendienst, in: Georg Herbstritt/Helmut Müller-Enbergs (Hg.): Das Gesicht dem Westen zu … DDR-Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland, Bremen 2003, S. 393–404, hier S. 401.

66 In einem Leserbrief schrieb der DDR-Historiker Karl-Heinz Gräfe, der offizielle DDR-Verteiler sei im Falle der ersten beiden Hefte des Jahres 1978 nicht beliefert worden. Einen Beleg dafür führt er nicht an. Siehe Neues Deutschland vom 2. August 1994, S. 2. Nach einem zusammenfassenden Bericht von Dominik Geppert wurde den Abteilungsleitern im ZK der SED die Lektüre der Zeitschrift »verboten«. Die Mitglieder des Politbüros seien verpflichtet worden, die Hefte mit dem Manifest »gleich nach der Lektüre zurückzugeben«. Siehe ders.: Aufstand gegen Honecker. Das »Manifest« der SED-Opposition und der SPIEGEL, in: Der Spiegel Nr. 38 vom 16. September 1996, S. 70–92, online unter: www.spiegel.de/spiegel/print/d-9092721.html, ges. am 22. Dezember 2014. Belege werden dort nicht angeführt.

67 Siehe Erich Böhme (Hg.): Deutsch-deutsche Pressefreiheit – Vom Grundlagenvertrag bis zur Schließung des Spiegel-Büros, Hamburg 1978, S. 49.

68 Bericht K 3/24a (o. D. BStU-Datierung: 28. Dezember 1977), in: Henrik Bispinck (Bearbeiter): Die DDR im Blick der Stasi. Die geheimen Berichte an die SED-Führung 1977 (elektronische Datei ohne Paginierung), Göttingen 2012, auch für die folgenden Angaben.

69 Wie Bispinck ermittelte, waren die Angaben zur Adresse der BND-Verbindungsstelle zutreffend, siehe ebd., Fußnote 1.

70 Siehe Bericht K 3/24b vom 31.12.1977, ebd.

71 Siehe Neues Deutschland vom 2. Januar 1978, S. 2. Dieser Argumentation folgte Honecker auch in einem vertraulichen Fernschreiben an die Ersten SED-Bezirkssekretäre am 10. Januar 1978, siehe zum Wortlaut: Dokumente zur Deutschlandpolitik, Band VI/5, 1977/78, München 2011, S. 481–483.

72 Information des MfS vom 13. Januar 1978, BStU, MfS, ZAIG 2789, Blatt 1-5.

73 Information über politisch bedeutsame Aspekte zur »Spiegel«-Veröffentlichung und damit zusammenhängenden beachtenswerten Reaktionen vom 6. Januar 1978, BStU, MfS, ZAIG 2787, Blatt 1-3, auch für die folgenden Zitate.

74 Siehe die Aufzeichnung des Telefonats vom 18. Januar 1978 von westlicher Seite: Dokumente zur Deutschlandpolitik (Anm. 71), S. 493–496, hier S. 495. Wie man der östlichen Wiedergabe des Gesprächs entnehmen kann, brachte Honecker den Begriff in das Gespräch ein, siehe ebd., S. 496–498, hier S. 497. Siehe ferner ausführlich zu den Reaktionen der Regierung und der Parteien in Bonn: Geppert: Störmanöver (Anm. 40), S. 92–109.

75 So hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner das Manifest in der Bundestagsdebatte am 19. Januar 1978 charakterisiert, siehe Deutscher Bundestag (Anm. 6), S. 4992.

76 Der Brief ist überliefert in der Akte BStU, MfS, HA XX 12746, Blatt 84, der Umschlag ebd., Blatt 85.

77 Telefonat des Verfassers mit Hermann von Berg am 16. Mai 2014 nach schriftlicher Anfrage vom
13. Mai 2014.

78 Antwort des BND vom 16. April 2014 auf die schriftliche Anfrage des Verfassers vom 20. Januar 2014.

79 Siehe Bundesnachrichtendienst, Akte 2226-OT, Paginierung 432.

80 Siehe Bericht der Bundesregierung (Anm. 15).

81 Siehe Kleßmann: Opposition und Dissidenz (Anm. 36).

82 Geppert: Störmanöver (Anm. 40), S. 124.

83 So Heinz Niemann im Neuen Deutschland vom 27. Juli 1994.

84 Siehe ders.: Positionen der Linken (Anm. 39), S. 222. Von Berg übernimmt dabei – wohl unbewusst – die Charakterisierung, die Honecker in seinem Rundschreiben an die Ersten SED-Bezirkssekretäre vom 10. Januar 1978 getroffen hatte, siehe Dokumente zur Deutschlandpolitik (Anm. 71), S. 481.

85 Siehe »Korruption, wohin man blickt. Das Manifest der ersten organisierten Opposition in der DDR – Zweiter Teil« (Anm. 3).

Inhalt – JHK 2015

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