JHK 2016

Editorial

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite VI-IX | Metropol Verlag

Autor/in: Herausgeber

Im Mittelpunkt der diesjährigen Ausgabe steht das Thema »Konspiration und Kommunismus«. Konspiration zählte von Beginn an zu den Grundprinzipien kommunistischer Parteiarbeit. Sie war zunächst das Resultat der politischen Verfolgung, die die politische Linke im ausgehenden 19. Jahrhundert in Europa im Allgemeinen und im zaristischen Russland im Besonderen erfahren hatte. Kommunisten waren gleichzeitig Projektionsfläche für verschwörungstheoretische, vielfach antisemitisch angereicherte Feindbilder ihrer Gegner wie auch selbst Vertreter einer Verschwörungsideologie in Gestalt des Marxismus-Leninismus. Demzufolge lenkten international vernetzte »Monopolherren« und deren »Agenten« die Politik der kapitalistischen Staaten. Zu diesen »Agenten des Monopolkapitals« wurden alsbald tatsächliche oder vermeintliche politische Abweichler, allen voran Leo Trotzki, hinzugerechnet. Im Großen Terror in der Sowjetunion der 1930er Jahre gipfelte diese Weltsicht in einem beispiellosen Gewaltexzess. Dysfunktionalitäten politischer und gesellschaftlicher Entwicklung, ökonomische Fehlschläge sowie menschengemachte Katastrophen aller Art standen in kommunistischen Regimen immer im Verdacht, Ergebnis der »Wühlarbeit des Gegners« zu sein, dem stets zugetraut wurde, sich bis in die höchsten Kreise der Partei oder der von ihr beherrschten Staaten eingeschlichen zu haben. Die Bereitschaft, überall Verschwörungen sowie Unterwanderung zu vermuten, resultierte keineswegs nur aus der eigenen Verfolgungserfahrung oder Ideologie. Sie war Ausdruck der politischen Praxis: Die kommunistischen Parteien und insbesondere die Kommunistische Internationale knüpften ein dichtes Netz von Geheimorganisationen zur Unterwanderung des politischen Gegners, aber auch zur Kontrolle der eigenen Bewegung. Wo immer eine kommunistische Partei die Macht errang, wurden die geheimen Parteistrukturen zum Nukleus von Geheimdiensten, die die eigene Herrschaft absicherten. Kommunistische Parteien sahen sich stets dem Verdacht ausgesetzt, zu taktieren, konspirative Praktiken zu verfolgen und subversiv zu wirken. Dass diese Vorhaltungen berechtigt waren, zeigen auch die Beiträge zum Schwerpunkt des Jahrbuchs für Historische Kommunismusforschung (JHK) 2016.

Zwölf der insgesamt fünfzehn Artikel sind dem Schwerpunkt »Konspiration und Kommunismus« gewidmet. Die Texte zeichnen die verschiedensten Formen von Unterwanderung, Überwachung, Täuschung, Misstrauen und Verrat nach, die gegen kommunistische Parteien gerichtet waren oder von diesen ausgingen.

Die ersten sechs Beiträge nähern sich dem Thema anhand biografischer Skizzen. Andreas Herbsts Porträt des KPD-Spitzenfunktionärs Wilhelm Hein, der bereits in der Weimarer Republik von der Politischen Polizei angeworben worden war, steht am Anfang. Daran schließt auch thematisch Udo Grashoffs Artikel an. Der Autor untersucht die kommunistische Widerstandsbewegung in Breslau während des Nationalsozialismus. Auch dort war die Führung der illegalen Kommunistischen Partei mithilfe von V-Männern der Gestapo unterwandert worden. Der dänische Wissenschaftler Morten Møller gewährt dagegen einen Einblick in die Arbeit der »anderen Seite« und porträtiert zwei dänische Geldkuriere, die im Auftrag des Geheimdienstes der Komintern handelten. So zeichnet er den Transfer von Millionenbeträgen von Moskau nach Europa nach, mit denen die Bruderparteien im europäischen Ausland unterstützt wurden. Sergej Bessonov ist Protagonist des Beitrages von Matthias Bürgel. Der frühere Sozialrevolutionär, dem eine Nähe zu Trotzki nachgesagt wurde, war von 1933 bis 1937 Botschaftsrat an der Bevollmächtigten Vertretung der UdSSR in Berlin. Nach seiner überraschenden Abberufung in die Sowjetunion im Januar 1937 wurde er dort augenblicklich verhaftet und war 1938 im dritten Moskauer Schauprozess gleichzeitig Zeuge und Angeklagter. Bodo Hechelhammer gibt der Vita Heinz Felfes weitere Kontur. In den 1950er Jahren avancierte dieser zu Moskaus Top-Spion beim KGB, war jedoch zuvor, zwischen 1947 und 1950, im Auftrag des britischen Geheimdienstes tätig und spähte Kommunisten in der britischen Besatzungszone aus. Den Abschnitt beschließt der finnische Historiker Kimmo Rentola mit seinem Artikel über Veikko Hauhia, einen Informanten in der Zentrale der Kommunistischen Partei Finnlands zwischen 1956 und 1976.

Im zweiten Teil des Schwerpunktes stehen Parteien und Institutionen im Mittelpunkt der Analyse. Eryk Krasucki untersucht anhand der Polnischen Kommunistischen Partei die Kultur des Misstrauens in den 1920er und 1930er Jahren. Ebenfalls am Beispiel der KP Polens analysiert Ute Caumanns das Verschwörungsdenken in der Parteiführung während des Kalten Krieges. Hans Schafranek schließt mit seinem Beitrag inhaltlich an die biografischen Skizzen von Andreas Herbst und Udo Grashoff im ersten Abschnitt an. Der Wiener Historiker wirft neues Licht auf die Unterwanderung der illegalen Kommunistischen Partei in Österreich während des Nationalsozialismus. Auch dort gelang es der Gestapo, Widerstandsgruppen und besonders die KP Österreichs mit V-Männern zu infiltrieren, die verantwortlich dafür waren, dass in kürzester Zeit 250 Aktivisten verhaftet und viele von ihnen zum Tode verurteilt wurden. Auf welche Weise eine kleine Splittergruppe in den ersten Nachkriegsjahren in Berlin zunächst konspirativ die Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD bekämpfte und danach gegen Parteilinke in der SPD arbeitete, beschreibt Tobias Kühne. Im Fokus seines Beitrages steht die von Walter Loewenheim gegründete Organisation Neu Beginnen, die 1929, in der späten Weimarer Republik, ursprünglich dazu angetreten war, die Spaltung der beiden großen Arbeiterparteien zu überwinden. Dieter Bacher stellt im Anschluss dar, wie britische und US-amerikanische Geheimdienste zwischen 1945 und 1955 die Aktivitäten der österreichischen KP beobachteten und einschätzten, zeichnet ihre Beweggründe, ihre »Erfolge« und die Ergebnisse der Überwachungen nach. Den Abschluss bildet der Beitrag des deutsch-dänischen Autorentrios Astrid Carlsen, Thomas Wegener Friis und Nils Abraham. Sie beschäftigen sich in ihrem Artikel mit der Strategie der DDR, bis zur diplomatischen Anerkennung in Skandinavien mit Freundschaftsgesellschaften eine alternative Außenpolitik zu etablieren, die rege Aufmerksamkeit bei den Geheimdiensten in Dänemark, Schweden und Norwegen fand. Der Beitrag untersucht die Überwachung dieser Gesellschaften durch die Nachrichtendienste des jeweiligen skandinavischen Staates.

Drei Miszellen runden die Ausgabe 2016 des Jahrbuchs ab. Nicht erst seit der Wittorf-Affäre 1928 standen sich Hugo Urbahns und Ernst Thälmann unversöhnlich gegenüber. Marcel Bois beschreibt Urbahns Wirken in der frühen Hamburger KPD. Jens Niederhut beschäftigt sich dagegen mit der Rolle der Anwälte bei den KPD-Verbotsprozessen in den 1950er Jahren in der Bundesrepublik, und Henrik Bispinck beschließt die Rubrik mit seiner Anlayse der Stimmung in der DDR-Bevölkerung nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956.

Ohne die Hauptpersonen – die Autoren – würde es dieses Jahrbuch wie immer nicht geben. Ihnen gilt der besondere Dank der Herausgeber und Beiräte, ebenso den externen Gutachtern für die zur Verfügung gestellte Expertise sowie den Übersetzern des Bundessprachenamtes und Andrea Rudorff, die Texte aus dem Dänischen, Englischen und Polnischen übertragen haben. Die Hermann-Weber-Stiftung in Mannheim und die Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung in Berlin haben die Erarbeitung der Ausgabe 2016 des Jahrbuchs großzügig gefördert und damit entscheidend zum Erscheinen des aktuellen Bandes beigetragen.

Ebenso gilt der Dank der Herausgeber und Beiräte der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die den nötigen materiellen Rahmen für das Jahrbuch zur Verfügung stellt. Schließlich danken die Herausgeber und Beiräte der Redakteurin Birte Meyer, ohne die das Jahrbuch nicht in dieser Qualität und Zuverlässigkeit erscheinen würde, sowie Friedrich Veitl für die verlegerische Betreuung.

Was bringt die Zukunft? Längst wird an den kommenden Ausgaben der Jahresschrift gearbeitet. 2017 wird sie dem Komplex der »Russischen Revolution«, ihren Folgen sowie Deutungen gewidmet sein. Darauf einstimmen soll die Vortragsreihe »›Talking about a revolution‹. Die Oktoberrevolution: Geschichte – Instrumentalisierung – Rezeption«, die im ersten Halbjahr 2016 in der Bundesstiftung Aufarbeitung stattfinden wird. Die Referenten legen mit ihren Vorträgen den Grundstein für das JHK 2017. 2018 soll dann das Thema »Die Stalinisierung der kommunistischen Parteien in den 1920er-Jahren. Mechanismen, Protagonisten, Widersacher« im Mittelpunkt stehen.

Den aktuellen Call for Papers für die jeweiligen Ausgaben finden Sie wie gewohnt auf der Website der Bundesstiftung Aufarbeitung.

Wir hoffen, dass der Band nicht nur von Wissenschaftlern, sondern auch von historisch interessierten Zeitgenossen gelesen wird, die sich im JHK über die Ergebnisse der deutschen und internationalen Kommunismusforschung informieren können, und wünschen eine anregende Lektüre!

Die Herausgeber
Berlin im Januar 2016 

Inhalt – JHK 2016

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