Spielen im Staatssozialismus. Zwischen Sozialdisziplinierung und Vergnügen
Ein Forschungsfeld zwischen den Disziplinen
Gewonnen hatte, wer auf dem Spielbrett den Westen erreichte: Entweder schaffte es die Spielfigur im tschechischen »Soudruhu, nezlob se!« (Genosse, ärgere dich nicht!) in die Bundesrepublik, oder sie musste in eine geschlossene psychiatrische Anstalt.[1] War dieses jenseits der offiziellen Produktion gefertigte Spiel, das auf die Repressionspraktiken des Staates verwies, nur wenigen Personen in privaten Kontexten bekannt, gestalteten sich die Spielräume der Brettspiele, die über die Ladentheken der staatssozialistischen Länder gingen, anders: Sie erkundeten die jeweiligen Heimaten und brachten die Spielenden – je nach Land und Jahrzehnt – zum Mars, zum Mond oder zumindest in eine gut ausgestattete Wohnung. Spielen war in den staatssozialistischen Ländern eine verbreitete Alltagspraxis. In Millionen Wohn- und Jugendzimmern, in Kasernen und Ferienlagern, in Klassenzimmern und auf Schulhöfen, in Kneipen und in Privatgärten wurde gespielt: Brett- und Kartenspiele, später Computerspiele von kommerziellen oder staatlichen Verlagen, importierte oder selbst hergestellte.
»Spielräume« im übertragenen Sinne sind in den vergangenen Jahren immer mehr in den Fokus der Forschung über den Staatssozialismus gerückt. Das Spannungsfeld zwischen Regulierung und individuell eroberten Freiräumen diskutierten Historikerinnen und Historiker bisher an Beispielen aus Populärkultur, Tourismus und Freizeit.[2] In diesem Themenband wollen wir einen Schritt zurücktreten und uns jenseits des Metaphorischen tatsächlichen Spielarrangements, Spielräumen und Spielzeiten sowie Spielerinnen und Spielern zuwenden. Denn wir argumentieren, dass der analytische Nahblick auf Spielen, Spiele und Spiel gerade für die Staatssozialismen zentrale Erkenntnisse im Hinblick auf Praktiken der Sozialdisziplinierung und der Unterhaltung ermöglicht.
Spielen bedeutet in zweifacher Hinsicht »Als-ob«. Zum einen findet in ihm ein »Probehandeln« statt: Es werden »Gesetze des realen Alltags vereinfacht«, sie können generations- und schichtenübergreifend nachvollzogen werden.[3] Entsprechend lassen sich Spiele als Medien und Praktiken begreifen, mit denen niedrigschwellig zeitspezifische Werte und Normen kommuniziert werden. Indem sich Menschen freiwillig zu einem System von Regeln bekennen, treten sie zugleich in eine symbolische Welt ein, in der sie sich dem Schicksal von Würfeln oder Karten unterwerfen und den strategischen Angriffen ihrer Gegenspielerinnen und Gegenspieler aussetzen. Das Spiel wird daher zum anderen als »Zauberkreis« gedeutet, der die Spielenden in eine parallele Realität hebe und die tatsächlichen Raum-Zeit-Bezüge vergessen mache.[4]
Die Vorstellung vom »Zauberkreis« des Spiels stammt vom niederländischen Kulturanthropologen Johan Huizinga, der den Menschen als Homo ludens, also als spielendes Wesen definierte, das durch spielerisches Verhalten Kultur erschaffe. Wenngleich die Grundannahmen Huizingas inzwischen mehrfach – und aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven – erweitert und kritisiert worden sind, ist sein Konzept bis heute von zentraler Bedeutung für die interdisziplinäre Spielforschung. Forschungen zum Spiel und Spielen finden sich inzwischen in zahlreichen Fächern, von der Pädagogik, die dem Spielen im Bereich der (frühkindlichen) kognitiven Entwicklung Aufmerksamkeit widmet, über die Sportwissenschaft, die den Wettbewerbscharakter des Spiels fokussiert, bis zu den Medienwissenschaften und den Game Studies.[5] Angesichts dieser Entwicklung fällt auf, dass sich die Geschichtswissenschaft bislang sehr zurückgehalten hat, und damit das Fach, vor dessen Hintergrund wir schreiben.[6] Bisherige Perspektiven konzentrieren sich vor allem auf Geschichtsbilder im Computer- und weniger im Brettspiel. Erst langsam werden Spiele von der Geschichtswissenschaft als lohnende Quelle für eine Alltagsgeschichte oder die Frage nach der »Durchherrschung« von Gesellschaft und »Grenzen« von Macht entdeckt.[7]
In der ersten Hermann-Weber-Konferenz zur Historischen Kommunismusforschung, die im Dezember 2019 am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin in Kooperation mit der Universität Augsburg und dem Deutschen Historischen Institut Warschau stattfand, haben wir erstmals Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammengebracht, die sich aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven und Motivationen für das Spielen und die Spiele im Staatssozialismus interessieren.[8] Die Grundintention der Hermann-Weber-Konferenzen, die im Gedenken an den Mannheimer Historiker Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Weber (1928–2014) von der Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung finanziert und unterstützt werden, ist es, Projekte zur Kommunismusgeschichte zu vernetzen und neue Themenfelder zu definieren. In diesem Sinne brachten wir nicht nur Historikerinnen und Historiker aus unterschiedlichen Ländern zusammen, deren Forschungsschwerpunkte aus den Bereichen Dissidenz, Kindheit, Emotion, Technik und/oder Medien sie sonst selten ins Gespräch bringen. Die Konferenz regte auch Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zu ersten Papieren zum Themenfeld an und beförderte das interdisziplinäre Gespräch. So diskutierten Historikerinnen und Historiker mit Vertreterinnen und Vertretern aus den Bereichen Medienwissenschaft und Sportwissenschaft sowie Praktikerinnen und Praktikern aus einschlägigen Archiven und Berufsfeldern über den Ort des Spielens im Staatssozialismus.
Wo, wann und wie dienten Spiele zur Einübung von Regeln, vielleicht sogar zur Sozialdisziplinierung in den verregelten Gesellschaften der staatssozialistischen Länder? Wer entschied über die Herstellung von Spielen, wer über ihre Verbote? Inwiefern konnte das Spiel, das seine »eigene und unbedingte Ordnung« besitzt und damit im Widerspruch zu den Steuerungsbedürfnissen der staatssozialistischen Diktaturen steht,[9] einen Raum für eigensinniges Handeln (nach Alf Lüdtke) schaffen? Forderte es widerständiges und systemkritisches Verhalten genauso heraus wie herrschaftsstabilisierende Handlungsweisen, da es »nur ein Spiel« war, das im Gegensatz zur Realität keine einschneidenden Konsequenzen befürchten ließ?
Eine Mediengeschichte des Spiels fragt nach Narration, Ästhetik und Distribution von Deutungsangeboten. Sie hilft auf diese Weise, die Medialität der staatssozialistischen Gesellschaften besser zu verstehen. Denn über den bisherigen Fokus auf Presse, Fernsehen und Radio hinaus rückt mit den Spielen ein Alltagsmedium in den Mittelpunkt, dessen Erzählungen in Text und Bild häufig übersehen werden. Dies ist umso erstaunlicher mit Blick auf die spezifische, auf Wiederholung angelegte, niedrigschwellige Rezeptionspraxis: Spiele werden in der Regel nicht nur einmal gespielt, sondern immer wieder. Im Sinne einer Konsum- und Wirtschaftsgeschichte muss nach Produktion, Handel und dem Nachbau von Spielen gefragt werden. Denn dem Mangel an ideologiefreien Spielen begegneten die Menschen häufig mit Erfindungsreichtum und Spaß am Basteln und Handwerken.
Als emotionale Praktik ist das Spielen Gegenstand einer Geschichte der Gefühle. Zum spezifischen Vergnügen in und am Spielen gesellen sich nach der Spieltheorie Huizingas lustvoll erlebte Spannungen zwischen Ordnung und Unordnung, Hoffnung und Enttäuschung, Erfolg und Misserfolg.[10] Spannungen werden im Spiel nicht einfach abgebaut, sondern gesucht. Spielerinnen und Spieler wünschen sich geradezu eine Achterbahn der Gefühle. Allerdings stellen Vergnügen bzw. Missvergnügen ein in der Geschichtswissenschaft bisher eher unentdecktes Terrain dar. Gerade über die Verbindung von Spieltheorie mit einer Geschichte der Emotionen lassen sich – so unsere Annahme – neue Erkenntnisse über sozialistische Gesellschaften generieren. Denn Gefühle motivieren Handlungen und steuern Entwicklungen. Sie sind und waren daher bevorzugter Gegenstand von Manipulation und Instrumentalisierung – in politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen ebenso wie im privaten und zivilgesellschaftlichen Bereich. Insofern kann das Vergnügen (im und am Spiel) geradezu als »eine spektakuläre Kategorie zur Gesellschaftsanalyse profiliert werden«.[11]
Im Versuch, diesen unterschiedlichen Blickwinkeln Rechnung zu tragen, schlagen wir drei Erkenntnisachsen vor, entlang derer sich Bedeutung und Praxis des Spiels unter den sozialen und politischen Bedingungen des Staatssozialismus systematisieren und periodisieren lassen: Betrachtet man die Länder des östlichen Europa zwischen der DDR und der Sowjetunion erstens als »Erziehungsdiktaturen«,[12] rückt der Anspruch, einen »neuen Menschen« zu schaffen, in den Fokus. Nicht nur dem kindlichen Spiel kam in diesem utopischen Unterfangen eine zentrale Rolle zu. Fantasie war hierfür wichtig, doch musste sie gerahmt und kontrolliert werden. Zweitens lassen sich Spiele, Spielen und die gezielte Förderung bestimmter Spielzeuge als Ausdruck gesellschaftlicher Modernisierung im Wettstreit der Systeme lesen, die vor dem Hintergrund des Kalten Krieges in einen systemübergreifenden Wettbewerb eingebettet war. Eine dritte Schneise lässt sich schließlich mit Blick auf die »Konsumsozialismen« schlagen, die im Laufe der Zeit und in den unterschiedlichen Ländern ganz verschiedene Ausprägungen fanden.
In unserer Terminologie nehmen wir Bezug auf den Philosophen und Soziologen Roger Caillois, der sich um eine klarere Eingrenzung und Systematisierung des Spiels bemühte. Wie Huizinga geht er vom Spiel als einer prinzipiell freien, abgetrennten, ungewissen, fiktiven und dennoch geregelten Betätigung aus. Huizingas Vorstellung von der Unproduktivität des Spiels spezifiziert er so, dass auch die Verschiebung des Eigentums innerhalb des Spielerkreises, und damit Glücksspiele und Wetten, in die Definition passen.[13] Zugleich teilt er die Spiele in vier Kategorien ein, die jeweils durch die Dominanz unterschiedlicher Momente – Wettstreit (Agon), Zufall (Alea), Maskierung (Mimikry) oder Rausch (Ilinx) – bestimmt sind. Innerhalb dieser Rubriken lassen sie sich wiederum hinsichtlich ihrer Regulierung unterscheiden: Das Spektrum reicht vom ungeregelten Spiel (Paida) bis zum geregelten Spiel (Ludus) und führt zu einer Differenzierung, die im Englischen mit play (freies Spiel, Rollenspiel) und game (Regelspiel) wiedergegeben wird.[14]
Keinem der analytischen Zugriffe auf das Thema lässt sich eine einzige disziplinäre Perspektive zuordnen. Im Gegenteil, eine Zusammenschau durch die Linse der Spiele unterstreicht die starke Verflechtung unterschiedlicher Diskurse und Praktiken. So vermengen sich im gesellschaftlichen Diskurs über das Computerspielen Fragen der Pädagogik mit jenen der Modernisierung; die Frontstellung des Kalten Krieges lässt sich auf der Ebene der Spieleindustrie oder des internationalen Sports ebenso nachzeichnen wie mit Blick auf Spielbretter oder Geländespiele. Das »sozialistische Spiel« werden wir daher wohl kaum finden. Eine historische Einbettung des Spielens im Staatssozialismus wirft aber neues Licht auf den Zusammenhang von Sozialdisziplinierung und Vergnügen und fragt nach dessen Wandel im Zeitverlauf.
Das Spiel mit Regeln: Kontrollierte Spielräume in Erziehungsdiktaturen
Um Spiele und Spielen in den verschiedenen sozialistischen Gesellschaften im Spannungsfeld zwischen sozialer Disziplinierung und Vergnügen verorten zu können, erweist sich die Konzentration auf kontrollierte Spielräume der »Erziehungsdiktaturen« als produktiv: auf Klassenzimmer, Kindergärten oder die angeleiteten Spielpraktiken im Rahmen der Kinder- und Jugendorganisationen. Denn im Zentrum der pädagogischen Diskurse und Praktiken der sozialistischen Gesellschaften stand die Idee, den »neuen«, »sozialistischen« Menschen als Träger der entwickelten sozialistischen Gesellschaft zu erziehen.[15] Der spezifische pädagogische Optimismus hinsichtlich des Erfolges eines solchen Erziehungsprojektes hatte seine Wurzeln im Werk des bedeutenden sowjetischen Pädagogen Anton Semënovič Makárenko (1888–1939).[16]
Neuen Kindern neue Spiele lautete dementsprechend eine pädagogische Handreichung aus dem Jahr 1927 in der Sowjetunion.[17] Sie steht beispielhaft dafür, wie sehr auch »alte« Praktiken wie das kindliche Spiel in den Dienst der Erziehung des »neuen Menschen« gestellt wurden. Entsprechend dem zentralen Ziel, der Herausbildung »neuer sozialistischer Persönlichkeiten«, war in den Erziehungsplänen schon für die kleinsten Kinder nachzulesen, was diese zu lernen haben. Genauso stand detailliert in den Handreichungen für Lehrerinnen und Lehrer, welche von der Staatsmacht erwünschten Fertigkeiten und Emotionen vermittelt werden sollten. Durch diese »Bewußtseinsformung der Jugend« sollte die Anerkennung von »Autorität, Hierarchie und Leistung [sowie] Disziplin und systematischem Lernen« verinnerlicht werden.[18] Zugleich waren diese Handreichungen gefüllt mit praxisorientierten Vorschlägen, wie genau das Kind zur »sozialistischen Persönlichkeit« erzogen werden könne. Spiele und Spielen nahmen darin einen signifikanten Platz ein. Auf dem Diktum Makárenkos von der Erziehungsbedürftigkeit der Kinder und auf seinen marxistisch-leninistischen Konzepten zur Erziehung sozialistischer Persönlichkeiten beruhte der pädagogische Diskurs der 1950er-Jahre in allen sozialistischen Gesellschaften.
Dieser Erziehungsoptimismus fand in den staatssozialistischen Gesellschaften institutionell seinen Niederschlag in kleinschrittigen Festlegungen und Regulierungen von Erziehungs- und Bildungsprozessen und einer zunehmenden Verzahnung der Erziehungsinstitutionen Schule und Jugendorganisation. Die Kehrseite dieser für das Erziehungssystem als totalitär zu bezeichnenden Durchplanung und Regulierung der Lebenswege der Heranwachsenden war die damit erzeugte Notwendigkeit von Kontrolle. In dem Maße, in dem Alternativen in jugendlichen Lebenswegen herausgeplant wurden, stieg das Verlangen nach Sicherheit, nach Überwachung und Kontrolle der Erziehung der Kinder und Jugendlichen. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Forschung häufig den Praktiken dieser »Erziehungsdiktaturen« gewidmet. Dabei zeigte sich die methodische Herausforderung, Reichweite und Grenzen zu bestimmen.[19] Vor diesem Hintergrund offenbaren pädagogische Konzeptionen zum »sozialistischen Spielen« einen dezidierten Einblick in Herrschaftspraktiken, aber auch in deren Grenzen. Gab es eine geteilte sozialistische Idee des Spiels? Welche Spiele bzw. Spielzeuge wurden mit welchen pädagogischen Zielen entwickelt? Lassen sich im Laufe der Zeit signifikante Veränderungen feststellen? Wie sollte das Spielen angeleitet werden?
Trotz dieser Fragen wäre es analytisch verschenkt, Spiele als ein bloßes Instrument von Erziehungsdiktaturen zu betrachten. Denn das Spielen fand zwar in einem Raum statt, der Regeln und Ordnung vorgab,[20] es hat aber zugleich das Potenzial, als vergnügliches, geselliges Tun überzuschäumen. Daher lässt sich Spielen ganz im Verständnis der neueren Emotionsgeschichte als eine »emotionale Praktik« begreifen, eine Praktik also, mit der Emotionen benannt, gemanagt und kommuniziert werden.[21] Dieser Zugriff auf das Spielen in den geregelten Räumen einer »Erziehungsdiktatur« ermöglicht es, die Grenzen der Spielräume klarer herauszustellen und das Spielen im Spannungsfeld von »Herrschaft« (im Sinne vom Erlernen erwünschter Emotionen, Einstellungen und Handlungen) und »Eigensinn« (im Verständnis von ungesteuertem emotionalen Erleben und Grenzüberschreitungen durch Fantasie und Kreativität) zu analysieren.[22]
Die Beiträge zeigen diese Ambivalenz im Detail auf. Einerseits wird deutlich, wie die Staatsmacht die »Spielregeln« für das zweckdienliche Spielen festlegte und überwachte. Andererseits fragen die Autorinnen und Autoren danach, wo dieser Regulierungsrausch in der Praxis an seine Grenzen stieß. So wurde die Spieleproduktion genauestens koordiniert und überwacht, um sicherzugehen, dass die richtigen Spiele in den kontrollierbaren Spielräumen der Kindergärten, Pionierhäuser, Schulen oder Jugendklubs ankamen. Jedoch ließen sich die dem Spiel immanenten Fantasieräume nicht kontrollieren. In den Beiträgen wird deutlich, wie wenig die »Erziehungsdiktatur« in den entsprechenden Erziehungsinstitutionen dem Zufall überließ. Dementsprechend betont auch Thomas Lindenberger in seinem Beitrag, wie es in den kommunistischen Diktaturen kein »freies Spiel der freien Kräfte« geben durfte: »Genau diese auf Regeln bezogenen, aber dennoch ergebnisoffenen Praktiken, in der Reichweite und der Beteiligung eindeutige und vielfältige Grenzen zu ziehen, ist ein wesentliches Merkmal kommunistischer Diktaturen.«[23]
In ihrer Bandbreite spiegeln die Beiträge die zentralen Ziele sozialistischer Erziehung und deren Umsetzungspraktiken durch das Spielen wider. Anhand der Geschichte des Militärsportspiels »Zarnitsa« stellt Alexandra Evdokimova dar, wie Disziplin und Kollektivität in dem Geländespiel eingefordert und trainiert wurden. Die Spiele in der sowjetischen Pionierorganisation der KPdSU dienten, so die Autorin, als »pädagogisches Werkzeug zur Kollektiverziehung und spielerischen Einübung sozialistischer Normen«.[24] Wie sich das spezifische sozialistische Arbeitsethos in Spielangeboten und Spielmaterialien in tschechoslowakischen Kindergärten widerspiegelte, stellt Cathleen M. Giustino in ihrem Beitrag dar. Interessant ist der Befund, dass die Spielzeuge der 1950er-Jahre trotz sozialistischer Ideologie, die die Mitarbeit von Frauen in technischen Berufen proklamierte, durchaus traditionellen Geschlechterrollen verhaftet blieben.[25] Auch wenn die Grenzen manchmal in der Sandkiste zu verwischen schienen, in illustrierten Pädagogikbüchern standen die Mädchen auffällig oft in der Spielzeugküche und die kleinen Jungen arbeiteten mit Baggern. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass die Kinder durch das Nachspielen, eine Mimesis von klassischen Situationen aus der sozialistischen Arbeitswelt, nicht nur das Arbeitsethos einüben sollten. Zugleich wurden Fantasie und Vorstellungskraft gefordert und gefördert, mithin zentrale Elemente des freien Spiels. Die Nachahmung war demnach das zentrale Element des Kinderspiels.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch der Beitrag von Juliane Brauer über das sozialistische Spiel in der Pionierorganisation der DDR. Die entsprechenden Spielangebote zu den Pioniernachmittagen hatten zwar unübersehbar die Funktion, sozialistische Haltungen und Einstellungen zu vermitteln, dennoch sollten Märchen- oder Reisespiele immer auch Fantasie und Kreativität fördern. Nicht zuletzt unterstreicht Maren Röger, wie in den 1950er-Jahren Heimatliebe durch Reisespiele eingeübt werden sollte. Diese Heimatliebe war spezifisch für die 1950er-Jahre und ist vor dem Hintergrund der ersten Hochphase des Kalten Krieges zu erklären, in der die Bundesrepublik Deutschland unter Konrad Adenauer den Weg der »Westintegration« einschlug und die DDR in das Wirtschafts- und Militärbündnis des Ostblocks integriert wurde. Spezifisch war auch der Trend der Militarisierung des Pionierspiels, wie Evdokimovas Fallstudie zu »Zarnitsa« zeigt. [26] Dennoch betont Maren Röger, dass es keine Militarisierung der Brettspiele gab.[27] Zwar machte die »Wehrerziehung« in zahlreichen Ländern des Ostblocks einen Teil des Unterrichts bzw. der angeleiteten Freizeit in den Pionierorganisationen aus, und auch Kriegsspielzeug war verbreitet, jedoch wurde – so konstatierte zumindest Matthias Rogg für die DDR – in der Öffentlichkeit nicht dafür geworben.[28]
»Diktatur und Spielen: Eine Antinomie?«. Dieser Frage geht Thomas Lindenberger in seinem Beitrag nach, und allein im Hinblick auf die Frage nach Anspruch, Reichweite und Grenzen der »Erziehungsdiktatur« zeigen die Texte in diesem Band eindrücklich, dass es sich mitnichten um eine »Antinomie« handelt, sondern um eine ambivalente Beziehung. Sebastian Möring, der aus der Perspektive der Game Studies mit Verweis auf Brian Sutton-Smith den »mehrdeutigen« bzw. »uneindeutigen« Charakter von Spielen im Hinblick auf Computerspiele hervorhebt, spricht daher von Paradoxa, um Spielräume zu beschreiben.[29]
Spiel um Platz eins: Modernisierung im Systemwettbewerb
Wettstreit, in Cailloisʼ Terminologie das agonale Moment des Spielens, wird vornehmlich mit freier Marktwirtschaft und demokratischen Gesellschaften assoziiert. Dennoch hat er auch – vielleicht sogar gerade – im Staatssozialismus seinen festen Platz.[30] Mit Blick auf Produktivität und Planerfüllung etablierten die kommunistischen Parteien nach dem Vorbild der Sowjetunion einen kollektiven »sozialistischen Wettbewerb« und kürten jene Brigaden, die mehr als nur ihr Soll erfüllten.[31] Noch deutlicher lässt sich die Wettstreit-Rhetorik mit Blick auf das internationale Kräftemessen verfolgen: Nicht erst retrospektiv ist vom »Wettlauf ins All« die Rede, der Teil eines »Wettrüstens« zwischen den Systemen war. Mit der Losung »Amerika einholen und überholen« hatte Nikita Chruščëv 1957, im Jahr der ersten erfolgreichen Sputnik-Mission, dieses hohe Ziel gesteckt und das technologiebasierte Modernisierungsprojekt des Ostens damit zum Bestandteil eines Wettstreits mit dem Westen erklärt.[32]
Eine solche Verquickung von Systemkonkurrenz und sozialistischer Fortschrittsutopie zielte darauf ab, die Überlegenheit von Planwirtschaft und Staatssozialismus gegenüber kapitalistischer Marktwirtschaft und parlamentarischer Demokratie zu beweisen. Dieser Anspruch schlug sich nicht nur in einer propagandistischen Förderung von Wirtschaft, Technik, Militär, Raumfahrt und Sport, sondern ab den 1960er-Jahren auch zunehmend im Spiel nieder. Wie in den hier versammelten Beiträgen sichtbar wird, waren es insbesondere zwei Arenen, in denen dieser Wettstreit ausgetragen wurde: das Sportspiel und die »spielerische« Auseinandersetzung mit Wissenschaft und Technik. In beiden Bereichen lassen sich Versuche der Administrierung, Institutionalisierung und Ideologisierung, der Förderung und Steuerung beobachten, die die körperliche oder geistige Tätigkeit eines leistungsorientierten Spielens betreffen und zugleich selbst Bestandteil einer übergreifenden staatlichen »Gewinnstrategie« waren.
Ebenso wie das kindliche Spiel im pädagogischen Diskurs mit der Erziehung des »sozialistischen Menschen« verbunden wurde, sollten auch Breiten- und Leistungssport weit mehr als einem Selbstzweck dienen. Die Rolle des Mannschafts- wie des Einzelsports, vor allem des internationalen Leistungssports, ist in der Forschung bereits ausführlich beschrieben worden. Gerade Letzterer stellte eine Bühne dar, auf der das eigene Weltniveau präsentiert werden konnte. Für die DDR galt dies in besonderem Maße: Leistungssport wurde als »Diplomatie im Trainingsanzug« angesehen und damit als Möglichkeit, internationale Anerkennung zu erlangen.[33] Und dies durchaus erfolgreich: Seit 1968 gelang es der DDR, »im Wettkampf der Systeme besser abzuschneiden als die Bundesrepublik«.[34] Dabei betraf der internationale Wettbewerb keineswegs nur physische Anstrengungen, wie die bedeutende Rolle des Schachspiels in der Sowjetunion offenbart. Die UdSSR trieb ihre gesamtgesellschaftliche Förderung des Spiels in bisher unbekannte Höhen. Die sowjetischen Schachgroßmeister nahmen nicht nur Spitzenpositionen bei internationalen Turnieren ein, das herausragende Prestige des Denkspiels verlieh ihnen auch einen hohen Status in Politik und Gesellschaft.[35]
Zugleich führte die staatliche Wertschätzung sportlicher Leistung zu verschiedenen Aufwertungs- und Anerkennungsinitiativen, die »bloßes« Spiel in den Rang des Sports befördern und somit politisch legitimieren sollten. Dies geschah aufgrund unterschiedlicher Motivationen und konnte sowohl vom Staat als auch von den Spielerinnen und Spielern selbst ausgehen. Um ihre private Spielpraxis ebenso wie das aufwendige Turnierwesen als Teil einer »sinnvollen« Freizeitgestaltung auszuweisen, bemühten sich etwa die Skatspielerinnen und -spieler in der DDR immer wieder um eine rhetorische Annäherung des Kartenspiels an den Sport.[36] Im Gegensatz dazu legen die von Kai Reinhart geschilderte Eingliederung der Dresdner Skateboarder in eine Betriebssportgemeinschaft und die von Angela Schwarz beschriebenen Bemühungen der Gesellschaft für Sport und Technik, das in den 1980er-Jahren zunehmend populäre Computerspiel in einer Sektion »Computersport« zu verankern, Zeugnis davon ab, wie das unregulierte Spielen durch eine Administrierung im Bereich des Sports eingehegt werden sollte. Gelingen konnte dies freilich nur sehr bedingt, denn gerade den Skateboardern ging es um weit mehr als das sportliche Können – um den Habitus einer Subkultur nach westlichem Muster.[37]
Das Beispiel des »Computersports« verweist darüber hinaus auf Spielzeuge bzw. Spiele, denen ein direkter fachlicher Nutzen für das sozialistische Modernisierungsprojekt zugeschrieben wurde. Neben den von Maren Röger und Juliane Brauer beschriebenen Brett- und Pionierspielen, die eine Faszination für Wissenschaft und Technik wecken sollten, sind hier vor allem Computer und technische Spielzeuge zu nennen. Letztere wurden, wie Mario Bianchini in seinem Beitrag schildert, seit den 1960er-Jahren vom Volkseigenen Betrieb PIKO (Pionierkonstruktion) in der DDR vertrieben. Das Lernspielzeug hatte die Aufgabe, zukünftigen Ingenieurinnen und Ingenieuren erste selbstständige Schritte in die Welt der Technologie zu ermöglichen, und gehört damit in den Kontext der Polytechnisierung, die seit Chruščëvs Schulreform in allen sozialistischen Ländern vorangetrieben wurde.[38] Zugleich liest Bianchini die erzieherische Funktion, die dem Computerspielzeug zugeschrieben wurde, als Ausdruck der zunehmenden Veralltäglichung des technologischen Utopismus. Ganz ähnlich lässt sich der Diskurs um die in den 1980er-Jahren langsam zunehmende Computerisierung deuten: Als Inbegriff technischen Fortschritts sollte der Computer helfen, die »Wissenschaftlich-technische Revolution« und damit die sozialistische Vormachtstellung zu vollenden.[39]
Der Verweis auf die polytechnische Erziehung rückt die besondere Rolle von Kindern und Jugendlichen in den Fokus, die das Ideal in der Zukunft einlösen sollten. Anders als bei Brettspielen, die häufig auch mathematisch-naturwissenschaftliche Spieloperationen verlangten,[40] war der Umgang mit Computern – konkret der mit Computer- bzw. Videospielen – umstritten. Denn hier stellte sich die Frage der Nützlichkeit in besonderer Weise. Welchen Stellenwert durfte das Spielen am und mit dem Computer einnehmen? Wie konnten technischer Fortschritt und spielerisches Lernen sinnvoll verbunden werden? Wie ließen sich diese neuen Praktiken des Spielens in privaten Kinderzimmern und öffentlichen Computerclubs staatlicherseits im Blick behalten? Diesen und weiteren Fragen widmen sich Patryk Wasiak mit Bezug auf die polnische Computerisierungsbewegung, Jaroslav Švelch mit Blick auf die Tschechoslowakei und Angela Schwarz am Beispiel der DDR. Ebenso wie Gleb J. Albert zeigen sie in ihren Fallstudien auch, wie sehr die technische Elite der Zukunft dabei vor einem schlichten Versorgungsproblem stand. Wenngleich in unterschiedlichem Maße, war man in allen genannten Ländern auf Westimporte angewiesen, um im Wettbewerb Schritt zu halten.
Jenseits der auf vielen Ebenen sichtbaren Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität offenbart das Spielen im Licht der Systemkonkurrenz ein grundsätzliches Dilemma, vor dem die staatssozialistischen Diktaturen angesichts des Agonalen standen: Die prinzipielle Ergebnisoffenheit des spielerischen Wettkampfes stand einerseits im Widerspruch zur Geschichtsphilosophie des historischen Materialismus und der Diktatur des Proletariats. Andererseits kollidierte das Moment der Kontingenz, das Thomas Lindenberger in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt, mit dem staatlichen Anspruch umfassender gesellschaftlicher Kontrolle. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Spieltheorie in der DDR beschreibt Lindenberger daher als wissenschaftsgeschichtliche Episode, die Anfang der 1970er-Jahre mit der Erkenntnis geendet habe, dass sich das Spielelement »nicht in die ›wissenschaftliche Weltanschauung der Arbeiterklasse‹ integrieren« lasse. [41]
Doch auch jenseits der Kybernetik lassen sich viele der hier diskutierten Beispiele als Versuche einer gezielten Kontingenzminimierung lesen: So ist der kompetitive Charakter des Kalten Krieges in den Brett- und digitalen Spielen des Ostens oft zurückgenommen, auf Nebenschauplätze verschoben oder zugunsten einer Inszenierung der eigenen Überlegenheit ganz eliminiert. Die freie Entfaltung spielerischer Strategien und damit der mögliche Sieg der »falschen Seite« musste im Zweifelsfall durch die Spielmechanik verhindert werden.[42] Auch jenseits einer inszenierten Blockkonfrontation lassen sich Einschränkungen des kompetitiven Moments beobachten, wie das Beispiel des Spiels »Gazdálkodj okosan!« (Wirtschafte vernünftig!) zeigt, das Anfang der 1960er-Jahre als »Ostvariante« von »Monopoly« in Ungarn auf den Markt kam. Anders als bei der kapitalistischen Vorlage blieben die Handlungsoptionen im planwirtschaftlichen Kontext hier auf ein Minimum reduziert: Nicht Strategie, sondern Glück entschied über den Sieg.[43] Was sich hier ebenso wie in anderen Gesellschaftsspielen zeigt, ist demnach die Reduktion des agonalen Spielprinzips zugunsten von Mimikry oder Alea – aus Wettkampf wurde Rollen- oder Glücksspiel.[44]
Spielen – zumal konkrete Spielverläufe – zu kontrollieren, war freilich nur bedingt möglich. Indem sie Spiele kopierten oder selbst herstellten, unterliefen Computer- wie Brettspielerinnen und Brettspieler die staatlich bereitgestellte Infrastruktur. Obendrein überstieg die Überwachung computergestützter Interaktion schnell die technischen Kompetenzen der zuständigen Behörden. Und auch die Versuche einer umfassenden Steuerung und Optimierung des Leistungssports, die selbst vor einer medizinischen Einflussnahme nicht Halt machten, waren begrenzt. Weder konnten sie Siege garantieren, noch ließen sie sich ohne Weiteres auf Mannschaftssportarten übertragen. Letztere konnten daher in besonderer Weise zum emotionalen Austragungsort politischer Konflikte werden, wie zahlreiche berühmt gewordene Wettkämpfe belegen.[45] Dies betrifft nicht nur das Kräftemessen zwischen Ost und West, sondern auch zwischen einzelnen sozialistischen Ländern und ihrem »Großen Bruder«: Von höchster Brisanz waren hier die sportlichen Begegnungen mit der Sowjetunion, die im Nachgang der niedergeschlagenen Revolutionen von 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei stattfanden.[46] Was formal ein Spiel war, wurde zum bitteren Ernst, das sportliche Match zur Revanche für politische Unterdrückung.
Wirtschaft, Politik und Mimikry: Spielen zwischen Konsumgüterindustrie und Bastlerkultur
Was und wo gespielt werden konnte oder nicht gespielt werden sollte, gaben oft genug die pädagogisch-ideologischen Prämissen des Systems vor. Pädagoginnen und Pädagogen definierten sinnhafte Spielsachen und Spiele, und die Manufakturen und Betriebe richteten ihre Fertigungen danach aus. Dabei waren die Abläufe je nach Land und Zeitpunkt durchaus verschieden: Installierte die Sowjetunion bereits im Jahr 1932 das sowjetische Allunionsinstitut des Spieles in Sagorsk (heute Sergijew Possad), das wissenschaftlich-experimentellen Aufgaben nachging und in erster Linie die Prüfung neuer, aber auch bestehender Spielwaren auf ihre Systemkonformität sowie nach ästhetischen, unfallverhütenden und pädagogischen Überlegungen durchführte, scheinen vor allem in der frühen Nachkriegszeit in Ländern mit etablierten Spiel(zeug)industrien Top-down- und Bottom-up-Prozesse parallel existiert zu haben.
In der Nachkriegszeit, in der Kriegszerstörungen überwunden werden mussten und zugleich die Umstrukturierung des Wirtschaftssystems im Gange war, gehörte die Spiele- und Spielzeugindustrie nicht zu den Schlüsselindustrien. Dennoch wurde sie, wie Daniel Böhme am Beispiel einer Puppenfabrik in Zentralpolen zeigt, Schritt für Schritt in das neue System überführt.[47] Die Spielzeugindustrie zählte in der Volksrepublik Polen zum sogenannten Kleingewerbe, das der Kontrolle der Woiwodschaftsämter und indirekt dem Ministerium unterstand und von der Verstaatlichung ebenso betroffen war wie andere – systemrelevantere – Industriezweige. Nach und nach wurden privatwirtschaftliche Akteure verdrängt, und sowohl Spiele als auch Spielzeug wurden – ebenso wie andere Güter des täglichen Bedarfs – von den »örtlichen Industrien«, die zentralisiert wurden, hergestellt. Ähnliche Prozesse sind für einige der anderen Länder dokumentiert. So ist für die DDR gesichert, dass ab Anfang der 1970er-Jahre keine Privatfirmen mehr an der Spieleherstellung beteiligt waren.[48] Die Geschichte der Firmen als Teil der Konsumgüterindustrien ist größtenteils noch zu schreiben, zumal als weiterer interessanter Aspekt zu benennen ist, dass einige der Industrien durchaus auf Export angelegt waren. Die Spielbretter, Spielzeuge und Spielkarten wurden in andere staatssozialistische Länder geliefert, aber auch in jene West- und Nordeuropas, um Devisen zu erwirtschaften.
Nach dem Krieg spiegelte sich in den Betrieben mancher Länder das ethnic engineering, die Mordpolitiken und Zwangsmigrationen, der Kriegs- und Nachkriegszeit wider: Firmen wechselten den Besitzer. Sie gingen von jüdischen Inhaberinnen oder Inhabern, die enteignet und ermordet worden waren, mitunter an Volksdeutsche andere Personengruppen über, die wiederum nach 1945 selbst fliehen mussten oder vertrieben wurden, bis der Besitz schließlich dem ethnisch bereinigten Nationalstaat zugeführt und kollektiviert wurde. Mit der Migration der Personen wanderten in dieser Phase, aber auch in den späteren Emigrationswellen aus dem östlichen Europa, Prototypen von Spielzeugen und/oder Spielideen – die transnationale Welt der Spiele und des Spielens ist noch auszuloten. Was Kinder im Osten und Westen im Einzelfall in den Händen hielten, mag so unterschiedlich gar nicht gewesen sein. Die diskursive Aufladung hingegen umso mehr.
Ein Vergleich mit den Spieleentwicklungen anderer Länder zeigt, dass der Markt für Gesellschaftsspiele in den staatssozialistischen Ländern auf Kinderspiele fokussiert blieb. 80 Prozent der Gesellschaftsspiele in der DDR seien Kinderspiele gewesen.[49] Vergleichbare Zahlen liegen für die anderen Länder nicht vor, doch zeigen kursorische Blicke in Spielanleitungen, dass diese sich meistens an Kinder und Heranwachsende richten. Im Westen entstand hingegen spätestens in den 1960er-Jahren ein Markt für Erwachsenenspiele. Ein Ausgangspunkt dieser Entwicklung waren die USA, wo Simulation Games Teil des universitären Curriculums in den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fächern waren und zudem vom Militär für strategische Überlegungen genutzt wurden. Gleichzeitig wurde Brettspielen eine gesellschaftliche Aufwertung zuteil, indem Spielerezensionen in Tageszeitungen erschienen und sich ein Kritikersystem mit Preisen entwickelte – eine deutliche Spiegelung der Marktentwicklung und gleichzeitig der Professionalisierung des Spielediskurses.
In den im Osten transformierten oder neu geschaffenen Spieleverlagen waren hingegen häufig Autorenkollektive am Werk; namentliche Nennungen von Spieleautorinnen oder -autoren gab es bis zum Zusammenbruch der Staatssozialismen nicht. Es fehlen bislang biografische Aussagen der Projektantinnen und Projektanten, die Rückschlüsse auf Ausbildungen und Karrierepfade, aber auch Einblicke in Arbeitsabläufe und interne Diskussionen zulassen. Hier sollte in der Zukunft angesetzt werden, auch um den Umgang mit Spieleideen aus dem Westen zu erforschen. Denn auf der Produktebene wird deutlich, dass sich die Macherinnen und Macher von Spielprinzipien westlicher Produkte inspirieren ließen, wie Christin Lumme am Beispiel von Brettspielen der Bundesrepublik und der DDR zeigen kann. Wie wurden die Adaptionen jedoch diskutiert? Wer bestimmte, ob die Referenz auf die Religion wegfiel, wie im Beispiel vom westdeutschen »Denk-Fix!« zum ostdeutschen »Schlaumeier«? Hier können in der Zukunft Interviews ebenso Aufschluss geben wie eine systematische Auswertung der Firmenunterlagen, sofern sie überliefert sind. Auch andere Leerstellen sind noch zu erforschen. Freie Spieleautorinnen und -autoren, die von außen Ideen einsendeten, hatten – so zumindest die Darstellung der Abgelehnten– kaum eine Chance auf Realisierung ihrer Ideen durch die staatlichen Betriebe.[50] Wer, so lässt sich fragen, versuchte überhaupt, Spiele unterzubringen?
Da Spieleautor/in kein Ausbildungsberuf war, sind diejenigen, die sich selbst an Spielen versuchten, ganz unterschiedlichen Milieus zuzuordnen. Eine große Schnittmenge besteht zur Bastler- bzw. Do-it-yourself-Kultur. Da es an Erwachsenenspielen fehlte, bauten Personen in zahlreichen staatssozialistischen Ländern ihre eigenen Fantasiewelten. Darunter waren liebevoll gestaltete Spiele, die durchweg apolitisch waren, aber auch solche, die ätzende Kritik am System formulierten, wie Nikita Lomakin an einigen Beispielen aus der Sowjetunion ausführt. Zudem gab es Nachbauten von Westspielen. Dieses Phänomen hat Martin Thiele-Schwez für die DDR untersucht, wo die Aneignung von Westprodukten eine besondere Rolle spielte. Zum einen war der Westen mit seinen Konsumlandschaften über Westverwandtschaft oder die Rezeption von Westmedien, sei es das Fernsehen oder die importierte Burda, stets präsent. Westliche Konsumgüter waren im Fall der DDR leichter greifbar als in den anderen staatssozialistischen Ländern, da keine Sprachbarrieren bestanden. So mussten Bastler – seltener Bastlerinnen – Spieleanleitungen nicht erst mühsam übersetzen, wie es etwa Zeitzeugen aus der Volksrepublik Polen schildern. Zum anderen aber schotteten die Verantwortlichen die DDR stärker von den Konsumgütern des Westens ab. Die Einfuhr von »Monopoly«, aber auch anderen Westspielen, wurde an der deutsch-deutschen Grenze strikter überwacht als an jenen zwischen den staatssozialistischen und den demokratisch-kapitalistischen Systemen. Das potenziell Überschäumende des Spiels blieb dem »Grenzland DDR« suspekter als anderen Ländern, die kulturelle Westimporte durchaus ebenfalls beobachteten, kommentierten und verboten.[51]
In den heutigen Erzählungen der Brett-, Karten- und Computerspielerinnen und -spieler, der freien Spieleautorinnen und -autoren sowie der Bastler und Skateboardfahrer gibt es eine geteilte Beobachtung: Der Mangel habe sie an- bzw. umgetrieben und sie zu ihrem jeweiligen Hobby gebracht. Bleibt bei manchen die Erzählung vom Mangel abstrakter, konkretisieren andere, das Fiktionale, Bunte habe es so in den heimischen Spielen nicht gegeben.[52]
Den Mangel an attraktiven Spielen empfanden nicht nur die Brettspielfans, sondern auch die zumeist männlichen Technikbegeisterten im Osten, deren Hobby Computerspiele waren. Patryk Wasiak zeigt für Polen, wie stark der Wunsch zu spielen zur Annäherung an das neue Medium des Heimcomputers motivierte. So versuchten staatlich geförderte Computerclubs, ihren Interessenten eine begrenzte Spielzeit zu ermöglichen, die aber gleichzeitig eingehegt wurde, um den Forderungen nach sinnhafter Zeitverwendung des Regimes zu entsprechen. In allen staatssozialistischen Ländern gab es Versuche, an westliche Computerspiele zu gelangen. Es existierten – ähnlich wie bei den Skatspielerinnen und -spielern, den Skateboardern und den Brettspielerinnen und -spielern – systemübergreifende Netzwerke, die zur Zirkulation beitrugen. In der Tschechoslowakei eigneten sich jugendliche Computerspieler westliche Spiele an, die sie systemkritisch weiterentwickelten. Diese dissidentischen Spiele zirkulierten, wie Jaroslav Švelch zeigt, in begrenztem Rahmen. Ähnliches galt für dissidentische Brettspiele, wie Nikita Lomakin und Martin Thiele-Schwez in ihren Beiträgen argumentieren.
Doch Brettspiele waren nicht nur Konsumprodukte, sondern auch Möglichkeitsräume des Wirtschaftens. So proklamierten die Spieleverlage die Chancen des Anfang der 1970er-Jahre ausgerufenen Konsumsozialismus.[53] Waschmaschinen, Kühlschränke und Wohnungsmobiliar waren zu erspielen – hier nur symbolisch als Papierkärtchen. Zudem kanalisierten jene populären Brettspiele den Konsumwunsch insofern, als betont wurde, dass zu einem sinnhaften Leben deutlich mehr als Konsum gehöre: So nahmen Arbeitswelten, aber auch Bildungsmöglichkeiten in Theater und Kunstmuseum ebenfalls großen Raum ein. In den 1980er-Jahren erodierten die Einhegungen weitgehend und der Kapitalismus wurde spielbar, wie Maren Röger an Brettspielen aus Polen und der UdSSR zeigen kann. Konsummöglichkeiten ohne entsprechende ideologische Rahmung eröffneten hingegen die Turniere, die der DDR-Skatverband veranstaltete. Attraktive Konsumgüter, für die in der DDR sonst lange Warteschlangen bestanden, motivierten zahlreiche Skatspielende zur Teilnahme an Turnieren, wie Sabine Stach zeigt.
Fazit und Ausblick
So zeitlos die Praktik des Spielens ist, so deutlich wird anhand der Beiträge ihre Zeitgebundenheit. In den staatssozialistischen »Diktaturen der Grenzen« war auch das Spielen in spezifischer Weise begrenzt.[54] Unterschiedliche Akteurinnen und Akteure in Wissenschaft, Wirtschaft, Pädagogik und Politik gaben Spielregeln vor, maßen Spielräume ab und versuchten sie so zu gestalten, dass der Zauberkreis des Spiels ein utilitaristischer Zirkel wurde, der den Plänen der Modernisierungsdiktaturen im Systemwettstreit folgte, auf die Erziehung sozialistischer Persönlichkeiten abzielte und den Rausch des Spiels auf akzeptierte emotionale Anker, die kleinräumige Heimat oder den vernünftigen Konsum lenkte.
Mit dem Fokus auf Spiel, Spielen und Spielzeug lässt sich eine solche Steuerungsgeschichte in einem übersteuerten System schreiben. Doch gilt es auch hier, Themenfelder noch genauer zu beleuchten. So sollten Fragen der Militarisierung und Polytechnisierung der Gesellschaften über Spiel, Spielzeug und Spielen weiter erforscht werden, auch, um das Mit- und Gegeneinander der unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure mit ihren je eigenen Agenden nachzuvollziehen. Zudem sollten die Begründungen für manche Grenzen des Spielbaren genauer nachvollzogen werden – nicht zuletzt in komparativer Perspektive. Denn die scheinbar strikte Praxis der Konfiszierung von Spielen an der innerdeutschen Grenze durch die DDR-Beamten kann zwar im Kontext des Kalten Krieges gelesen werden. Bezieht man jedoch mit ein, dass die Bundesrepublik mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften und des Jugendschutzes zeitgleich eine in Europa einzigartige Institution geschaffen hat, stellt sich die Frage im Rahmen einer deutsch-deutschen Geschichte von Spielzensur gegebenenfalls neu.
Doch auch die Spielgeschichte jenseits der Steuerung ist unbedingt weiterzuschreiben. Denn staatliche Akteure mögen ihre Interessen formuliert haben, aber die Beharrungskräfte von Freizeitnetzwerken der Skateboardfahrer, Bastler, Brettspielerinnen und Brettspieler waren ausgeprägt, sodass die Ausübung unpolitischer Hobbys zunehmend politisch werdende Penetranz brauchte. Auch eine Geschlechtergeschichte des Spielens steht noch aus. Im ersten Zugriff fällt ins Auge, dass in den meisten der untersuchten Freizeitkulturen Männer dominierten. Für das private Werken und Spielen scheinen sich die doppelbelasteten Frauen in den Staatssozialismen deutlich weniger Zeit genommen zu haben. Es bleibt zu untersuchen, ob ihr ludischer Ort zumeist am Spielbrett mit den Kindern blieb.
Ein zentrales Ergebnis der hier versammelten Detailstudien betrifft die Verzweckung des Spiels, die in den sozialistischen Staaten offenbar besonders ausgeprägt war, denn im Kern ging es schließlich um nicht weniger als die Erziehung »neuer Menschen«. Hier freilich stellt sich die Frage, ob es überhaupt zweckfreies Spielen geben kann, wie es Johan Huizinga formulierte. In seiner Spieltheorie beschreibt er das Spiel als eine Flucht vor dem Alltag, indem »das Spiel bindet und löst. Es fesselt. Es bannt, das heißt: es bezaubert. Es ist voll von den beiden edelsten Eigenschaften, die der Mensch an den Dingen wahrzunehmen und auszudrücken vermag: es ist erfüllt von Rhythmus und Harmonie.«[55] Das Spielhandeln bei den Pioniernachmittagen, bei den Geländespielen der Komsomolzen oder in den Kindergärten der Tschechoslowakei brauchte und forderte Fantasie vor allem aus einem Grund: Im Spielhandeln sollten durch Mimesis sozialistische Werte, Wirklichkeit und Zukunftsvorstellungen eingeübt werden – so weit die zeitgenössische Festlegung auf den Spielzweck. Fantasie und Kreativität, denen hierfür Raum gegeben werden musste, waren freilich nicht vollständig kontrollierbar. Wer sich einmal vorstellt, in einem Flugzeug oder Raumschiff zu sitzen, der kann auch mit seiner Einbildungskraft alle Länder der Welt und alle Galaxien bereisen. Die Grenzziehung zwischen sozialistischer Utopie und alternativer Wirklichkeitsvorstellung in solchen Spielsettings ist kaum möglich.
Insofern ist dem sozialistischen Spielen die Kategorie des Eigen-Sinns als »deutendem und sinnproduzierendem Aspekt individuellen, wie kollektiven Handelns« eingelagert.[56] Lernen und Vergnügen, Fantasie und Mimesis treffen somit in den Spielsettings der »Erziehungsdiktaturen« ganz selbstverständlich aufeinander. Das kann in der Theorie des »Eigen-Sinns« zur »Reproduktion herrschaftskonformer Handlungsweisen« führen und damit »herrschaftsstabilisierend« wirken. Zugleich bleibt die Möglichkeit, dass durch das Einüben von Fantasie und Einbildungskraft möglicherweise eine »Herrschaft in Frage stellende Wirkung« entstand.[57]
Um die individuelle Aneignung der Spiele jenseits ihrer utilitaristischen Inanspruchnahme zu vermessen, braucht es jedoch mehr erfahrungsgeschichtliche Quellen, als in den hier versammelten Beiträgen zu Wort kommen. Zu einem vertiefenden Verständnis über konkrete Spielpraktiken innerhalb und außerhalb der regulierten Spielräume müssen erst noch systematisch Interviews geführt werden. Bekannte und unbekannte Quellen der Legislative und Judikative müssen mit diesen Fragen neu oder gegen den Strich gelesen werden. Mit einer solchen Quellenbasis könnte ein performativer Ansatz helfen, den Zusammenhang auszuleuchten, in dem das spielerische Kräftemessen innerhalb von Gesellschaftsspielen mit jenem in der gesellschaftlichen Wirklichkeit stand. Denn feststeht: Den Homo ludens gänzlich einzuhegen, gelang den staatssozialistischen Modernisierungsdiktaturen nicht.
Ein anderes Problem, das unser Band aufzeigt und zu weiterer Reflexion einlädt, betrifft die nostalgische Rahmung des Forschungsobjektes. So kann dieses wie kaum ein anderes von spezifisch positiven Erinnerungen überblendet werden: Als Phänomen der Kindheit hat das Spiel Potenzial, zu Erzählungen einer materiell limitierten, aber glücklichen Kindheit zu gerinnen. Damit verknüpft sind weitere Fragen nach dem Nachleben von Spielen aus dem Staatssozialismus: Das Militärspiel »Zarnitsa« dient heute der patriotischen Vergemeinschaftung im Putin-Russland. Ebenso leben die ersten »kapitalistischen« Spiele aus der Volksrepublik Polen in Neuauflagen fort. Wie aber ändern sich die Erzählungen der schon im Staatssozialismus produzierten Spiele und deren Aneignung? Bei Brettspielen ist dies besonders interessant, denn in der Folge von 1989/91 überlebten die meisten Spieleproduzenten die Transformation nicht. Die großen Lücken, die sich aus einer fehlenden staatlichen Archivierung von Brett- und Computerspielen ergeben haben, werden heute von Fans gefüllt, die eifrig die alten Spiele sammeln, in Onlineforen präsentieren und vertreiben. Der oft nostalgisch motivierte Wunsch, Objekte der eigenen Kindheit zum Leben zu erwecken und den eigenen Kindern nahezubringen, steht so nolens volens als Ausgangspunkt für viele der hier diskutierten Fragen und Themen. Zugleich ist er zur Basis eines zunehmend breiteren Angebots an Spielzeugen und Spielen geworden, die das Leben im Staatssozialismus im Retro-Stil spielerisch umsetzen. Welchen Einfluss solche Darstellungen auf unser Bild von der Vergangenheit haben, ist ebenfalls interessant, aber eine andere Frage.
[1] Das Spiel wurde laut Kateřina Goroškov, PR-Beauftragte des Efko-Verlages, 1982 vom Sänger, Liedermacher und Komiker Ivan Mládek entwickelt und 1987, nach einigen Jahren rein privaten Gebrauchs, von Bekannten im Selbstverlag herausgegeben. 1997 erfolgte dann die erste offizielle Edition. Siehe Florian Greiner/Maren Röger: Den Kalten Krieg spielen. Brett- und Computerspiele in der Systemkonfrontation, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 16 (2019), H. 1, S. 46–73, hier S. 68. Ausführlicher zum Spiel, das dort allerdings irrtümlich auf die 1990er-Jahre datiert wird, siehe Marketa Spiritova: »Genosse ärgere dich nicht!« Brettspiele als Zugang zur populären Erinnerungskultur im östlichen Europa, in: Karl Braun/Claus-Marco Dieterich/Angela Treiber (Hg.): Materialisierung von Kultur. Diskurse, Dinge, Praktiken, Würzburg 2015, S. 551–560.
[2] Siehe u. a. Włodzimierz Borodziej/Jerzy Kochanowski/Joachim von Puttkamer (Hg.): »Schleichwege«. Inoffizielle Begegnungen sozialistischer Staatsbürger zwischen 1956 und 1989, Köln 2010; Cathleen M. Giustino/Catherine J. Plum/Alexander Vari (Hg.): Socialist Escapes. Breaking Away from Ideology and Everyday Life in Eastern Europe, 1945–1989, New York 2013; Christine Gölz/Alfrun Kliems (Hg.): Spielplätze der Verweigerung. Gegenkulturen im östlichen Europa nach 1956, Köln u. a. 2014; Ulrike Häußer/Marcus Merkel (Hg.): Vergnügen in der DDR, Berlin 2009.
[3] Max Kobbert: Kulturgut Spiel, Münster 2010, S. 111, 99.
[4] Johan Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbek b. Hamburg 2009 [1938], S. 18.
[5] Dies soll nicht als erschöpfende Aufzählung missverstanden werden, sondern in der Knappheit unterstreichen, wie interdisziplinär das Forschungsfeld ist. Eine entsprechend interdisziplinär angelegte Ludologie gibt es in Deutschland zwar auch, gebündelt am Berliner Institut für Ludologie, doch wird man sie kaum als Kernfach im universitären Curriculum bezeichnen können.
[6] Allerdings ist es wohl kein Zufall, dass wir in unseren Forschungsprofilen (und akademischen Sozialisationen) an den Schnittstellen von Geschichte, Public History, Emotionsgeschichte sowie Kultur- und Medienwissenschaften zu verorten sind.
[7] Siehe Thomas Lindenberger: Die Diktatur der Grenzen. Zur Einleitung, in: ders. (Hg.): Herrschaft und Eigen-Sinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR, Köln u. a. 1999, S. 13–44, hier S. 20.
[8] Angela Schwarz und Patryk Wasiak konnten an der Konferenz selbst nicht teilnehmen, weshalb der in diesem Band abgedruckte Kommentar von Sebastian Möring ihre Beiträge nur partiell berücksichtigt. Zusätzlich als Beiträger gewonnen werden konnte Mario Bianchini.
[9] Huizinga: Homo Ludens (Anm. 4), S. 19.
[10] Ebd.
[11] Stefan Zahlmann: Vergnügen in der DDR. Oder: Die Unvereinbarkeit als Möglichkeit, in: Häußer/Merkel (Hg.): Vergnügen (Anm. 2), S. 9–13, hier S. 11.
[12] Zum Begriff der »Erziehungsdiktatur« siehe Dorothee Wierling: Die Jugend als innerer Feind. Konflikte in der Erziehungsdiktatur der sechziger Jahre, in: Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka/Hartmut Zwahr (Hg.): Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 404–425, hier S. 404.
[13] Roger Caillois: Definition und Einteilung der Spiele (1958), in: Hans Scheuerl (Hg.): Theorien des Spiels, Weinheim 1997, S. 157–165, hier S. 163.
[14] Ebd., S. 163 f.
[15] Siehe Erziehungsplan für den Kindergarten, bestätigt vom Ministerium für das Bildungswesen der RSFSR [Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik] am 18. Juli 1968, in: Oskar Anweiler/Friedrich Kuebart/Klaus Meyer (Hg.): Die sowjetische Bildungspolitik von 1958 bis 1973. Dokumente und Texte. Heidelberg 1976, S. 171–175.
[16] Alexander Bolz/Edgar Günther: Makarenko heute, Berlin 1973, S. 16; auch interessant ist die »Bibliographie der in der DDR erschienenen Werke von und über Makarenko«, ebd., S. 213–237.
[17] M. Kornil’eva-Radina/E. Radin: Novym detjam novye igry [Neuen Kindern neue Spiele], Moskau 1927.
[18] Oskar Anweiler: Die »entwickelte sozialistische Gesellschaft« als Lern- und Erziehungsgesellschaft, in: ders.: Wissenschaftliches Interesse und politische Verantwortung: Dimensionen vergleichender Bildungsforschung. Ausgewählte Schriften 1967–1989, Opladen 1990, S. 163–175, hier S. 166.
[19] Siehe: Juliane Fürst: Stalin’s Last Generation. Soviet Post-War Youth and the Emergence of Mature Socialism, Oxford 2010; Anna Saunders: Honecker’s Children: Youth and Patriotism in East(ern) Germany, 1979–2002, Manchester 2007; Juliane Brauer: Zeitgefühle. Wie die DDR ihre Zukunft besang, Bielefeld 2020.
[20] Kobbert: Kulturgut Spiel (Anm. 3), S. 99 und S. 111.
[21] Monique Scheer: Emotionspraktiken. Wie man über das Tun an die Gefühle herankommt, in: Matthias Beitl/Ingo Schneider: Emotional Turn?!: Europäisch ethnologische Zugänge zu Gefühlen & Gefühlswelten, Wien 2016, S. 15–36, hier S. 31–35.
[22] Thomas Lindenberger benennt »Herrschaft« und »Eigensinn« als »konzeptionellen Rahmen« für die Erforschung der »Durchherrschung« der Gesellschaft, siehe ders.: Die Diktatur der Grenzen (Anm. 7), S. 21.
[23] Beitrag von Thomas Lindenberger in diesem Band.
[24] Beitrag von Alexandra Evdokimova in diesem Band.
[25] Siehe Beitrag von Cathleen M. Giustino in diesem Band.
[26] Siehe den Beitrag von Alexandra Evdokimova in diesem Band.
[27] Siehe den Beitrag von Maren Röger in diesem Band.
[28] Siehe Hannes Adomeit/Hans-Hermann Höhmann/Günther Waggenlehner (Hg.): Die Sowjetunion als Militärmacht, Stuttgart 1987; zur DDR Matthias Rogg: Armee des Volkes? Militär und Gesellschaft in der DDR, Berlin 2008.
[29] Siehe den Beitrag von Sebastian Möring in diesem Band.
[30] Katalin Miklóssy/Melanie Ilic: Introduction. Competition in State Socialism, in: dies. (Hg.): Competition in Socialist Society, London 2014, S. 1–9.
[31] Thomas Reichel: »Sozialistisch arbeiten, lernen und leben«. Die Brigadebewegung in der DDR (1959–1989), Köln u. a. 2011.
[32] Jutta Scherrer: »To Catch and Overtake« the West. Soviet Discourse on Socialist Competition, in: Miklóssy/Ilic: Competition (Anm. 31), S. 10–22.
[33] Gunter Holzweißig: Diplomatie im Trainingsanzug. Sport als politisches Instrument der DDR in den innerdeutschen und internationalen Beziehungen, München 1981.
[34] Hans Joachim Teichler: Einleitung, in: ders./Klaus Reinartz: Das Leistungssportsystem der DDR in den 80er Jahren und im Prozess der Wende, Köln 1999, S. 9. Siehe dazu auch: Uta Andrea Balbier: Kalter Krieg auf der Aschenbahn. Der deutsch-deutsche Sport 1950–1972. Eine politische Geschichte, Paderborn u. a. 2007; Jutta Braun: Klassenkampf im Flutlicht – Innerdeutscher Sportverkehr 1974–1989, in: Hans Joachim Teichler (Hg.): Sport in der DDR. Eigensinn, Konflikte, Trends, Köln 2003, S. 61–132; sowie Hajo Bernett (Hg.): Körperkultur und Sport in der DDR. Dokumentation eines geschlossenen Systems, Schorndorf 1994.
[35] D. J. Richards: Soviet Chess. Chess and Communism in the USSR, Oxford 1965.
[36] Siehe den Beitrag von Sabine Stach in diesem Band.
[37] Siehe die Beiträge von Kai Reinhart und Angela Schwarz in diesem Band. Ganz ähnliche Bemühungen einer Integration in die DDR-Sportstrukturen beschreiben René Wiese und Ronald Huster im Falle des Windsurfens: René Wiese/Ronald Huster: Entstehung und Entwicklung des Brettsegelns in der DDR, in: Teichler: Sport in der DDR (Anm. 35), S. 425–500.
[38] Emmanuel Droit: Die »Arbeiterklasse« als Erzieher? Die Beziehung zwischen Schulen und Betrieben in der DDR (1949–1989), in: ders./Sandrine Kott (Hg.): Die ostdeutsche Gesellschaft. Eine transnationale Perspektive, Berlin 2006, S. 35–52, hier S. 42 f.
[39] Beitrag von Mario Bianchini in diesem Band.
[40] Siehe dazu den Beitrag von Maren Röger in diesem Band.
[41] Beitrag von Thomas Lindenberger in diesem Band.
[42] Siehe dazu auch: Greiner/Röger: Den Kalten Krieg spielen (Anm. 1); J. Peter Lemcke: Spiele in der SBZ und der DDR oder Sind Spiele gefährlich?, in: Arbeitskreis Bild Druck Papier (Hg.): Tagungsband Dresden 2005, Münster 2006, S. 103–110, hier S. 108 f.
[43] Ferenc Hammer: Nem kellett élt vasalni a farmerbe. Mindennapi élet a szocializmusban [In Jeans gab es keine Kante zum Bügeln. Alltag im Sozialismus], Budapest 2013, S. 31–55, hier S. 49–54.
[44] Aus der Perspektive des Spiels beschreibt Thomas Lindenberger auch den »sozialistischen Wettbewerb« in der Produktion eher als Schauspiel, denn als tatsächlichen Wettkampf. Siehe den Beitrag von Lindenberger in diesem Band.
[45] Bereits zwei Jahre vor dem berühmten »Sparwasser-Tor« bei der Fußball-WM 1974, das die DDR zum Sieger über die Bundesrepublik kürte, lieferte der Basketball einen Triumph, der sich bestens politisieren ließ: In letzter Sekunde hatte die UdSSR im Finale der Olympischen Spiele 1972 in München das Spiel gegen die USA für sich entschieden. Einige Verweise auf legendäre Fußballbegegnungen und auch deren literarische Verarbeitungen finden sich in: Christian Lübke/Dirk Suckow/Stephan Krause (Hg.): Der Osten ist eine Kugel. Fußball in Kultur und Geschichte des östlichen Europa, Göttingen 2018.
[46] Als brutales »Blutspiel« ging etwa das Wasserballspiel zwischen Ungarn und der UdSSR 1956 bei den Olympischen Spielen in Melbourne in die Geschichte ein. Ebenso spannungsgeladen war die Auseinandersetzung zwischen der ČSSR und der UdSSR bei der Eishockey-Weltmeisterschaft 1969: Nur wenige Monate nach dem Einmarsch der Soldaten des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei musste die Sowjetunion auch hier am Ende zwei Niederlagen hinnehmen.
[47] Siehe Beitrag Daniel Böhme in diesem Band.
[48] Siehe Lemcke: Spiele in der SBZ (Anm. 43), S. 105.
[49] Siehe Cynthia Schönfeld: Spiele und Spieleherstellung in der DDR, in: Michael Geithner/Martin Thiele (Hg.): Nachgemacht. Spielekopien aus der DDR, Berlin 2013, S. 55–58, hier S. 56.
[50] Siehe Beispiele in den Beiträgen von Martin Thiele-Schwez und Maren Röger.
[51] Siehe zu den Argumenten Greiner/Röger: Den Kalten Krieg spielen (Anm. 1).
[52] Siehe Interview mit Wojciech Pijanowski, geführt von Jakub Gałęziowski, Warschau im Dezember 2017. Audiodatei im Privatarchiv M. R.
[53] Siehe zum Konsumsozialismus Paul Betts: The Politics of Plenty, in: Stephen Anthony Smith (Hg.): The Oxford Handbook of the History of Communism, Oxford 2014, S. 424–438.
[54] Siehe Lindenberger: Die Diktatur der Grenzen (Anm. 7).
[55] Huizinga: Homo Ludens (Anm. 4), S. 19.
[56] Thomas Lindenberger: SED-Herrschaft als soziale Praxis, Herrschaft und »Eigen-Sinn«. Problemstellung und Begriffe, in: Jens Gieseke (Hg.): Staatssicherheit und Gesellschaft: Studien zum Herrschaftsalltag in der DDR, Göttingen 2007, S. 23–47, hier S. 32.
[57] Ebd., S. 34. Eigen-Sinn konnte Herrschaft stabilisieren oder infrage stellen. Damit ist er für Lindenberger (basierend auf Alf Lüdtke) »polyvalent«.