In den Wochen und Monaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrten deutsche Kommunisten aus der Sowjetunion in den von der Roten Armee besetzten Teil Deutschlands zurück. Die allermeisten waren Überlebende der stalinistischen Säuberungen. Nach Jahren der Verfolgung im Vaterland der Werktätigen stellten sie sich vorbehaltlos in den Dienst jener, die sie, ihre Familien und Parteigenossen soeben noch terrorisiert hatten. Sie wurden zu Instrumenten und Akteuren einer Politik, die sie oft gegen die Mehrheit der Parteibasis einer zwangsvereinigten SED, ja oft gegen die Mehrheit der Alt-KPD-Mitglieder, durchsetzten. Diskussionen über die Entwicklung Deutschlands nach zwölf Diktaturjahren waren ebenso tabu wie die sowjetische Besatzungspolitik. Nibelungentreu rechtfertigten die Rückkehrer jede Facette der Moskauer Herrschaft, ja forderten und beförderten, worunter sie selbst gelitten hatten: die Bespitzelung in der Partei, die Anklagen der Parteikontrollkommission, Säuberungen und Verfolgungen. Dabei hatten sie alle bittere Erfahrungen mit diesen Instrumenten zur Ausrottung ganzer Parteiführungen machen müssen. Stalinistische Herrschaft bedeutete, so Hannah Arendt, nicht, »eine strukturlose ›klassenlose Gesellschaft‹, sondern eine atomisierte Massengesellschaft herzustellen«.[1] Eine Massengesellschaft, deren Revolutionselite vernichtet und durch eine junge, dem Führer ergebene, im stalinistischen Sinne abgerichtete Funktionärsschicht ersetzt wurde.[2]
Die folgenden Ausführungen basieren auf der Annahme, dass die Erfahrungen dieser Jahre wesentlich dazu beitrugen, dass aus den Moskauüberlebenden traumatisierte Erfüllungsgehilfen einer totalitären Machtpolitik wurden.[3] Der Text umreißt die Terrorerfahrung der sowjetischen Politemigranten, erklärt die Bedeutung der Moskaurückkehrer für die Machtdurchsetzung in der SBZ und skizziert, wo sich die Sowjetunionerfahrung in ihrem politischen Handeln zeigte, um abschließend zu erörtern, was von den am eigenen Leib erlebten Repressionserfahrungen auch nach Stalins Tod für das Herrschaftsgefüge relevant war.
I. Sowjeterfahrung
Annähernd 10 000 Kommunisten emigrierten mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten aus Deutschland. Rund die Hälfte von ihnen ging in die Sowjetunion. Die KPD-Führung schätzte die Anzahl der deutschen Exilanten, die 1936 in der UdSSR lebten und als »Politemigranten« anerkannt waren, auf 4600 Personen.[4] Für viele von ihnen wurde das Sowjetexil zur Falle. 1938 notierte Paul Jäkel, Leiter der deutschen Sektion in der Komintern, in einem Bericht: »Von Oktober 1937 bis März 1938 betrug die Zahl der Verhafteten [KPD-Genossen, AP] 470. Allein im Monat März 1938 wurden rund 100 verhaftet. […] Man kann sagen, dass über 70 Prozent der Mitglieder verhaftet sind. Wenn Verhaftungen in diesem Umfang wie im Monat März ihren Fortgang nehmen, so bleibt in drei Monaten kein einziges deutsches Parteimitglied mehr übrig.«[5]
Unter Stalin kamen mehr Mitglieder des KPD-Politbüros (nämlich sieben, inklusive Kandidaten) ums Leben als unter Hitler (fünf). Von den 131 ZK-Mitgliedern oder -Kandidaten der Weimarer Republik starben 18 unter den Nazis und 15 in den Händen des NKWD (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten). Von den 68 Spitzenfunktionären der KPD, die sich in der Sowjetunion aufhielten, wurden 41 ermordet.[6] 1019 tote Deutsche, in ihrer überwiegenden Mehrheit Parteimitglieder oder Sympathisanten, hingerichtet, verstorben in Lagern oder verschollen, lassen sich bis heute benennen.[7] Dazu kommen die Überlebenden der Lager, die Verbannten, die Kinder in den Heimen und die an die Gestapo Abgeschobenen.
In der Komintern waren von 394 Mitarbeitern des EKKI (Exekutivkomitee der Komintern) im Jahr 1936 im April 1938 noch 171 übrig.[8] Am Ende wurden zwei Drittel in die Gefängnisse und Erschießungskeller verschleppt: hunderte Funktionäre der kommunistischen Parteien Polens, Weißrusslands, der Ukraine, Italiens, Rumäniens, Spaniens, der Schweiz, Ungarns, Österreichs, Griechenlands, Irlands, Indiens und der drei baltischen Republiken. Am Ende der Verfolgungen gab es einen Großteil der kommunistischen Parteien und ihre weltweite Bewegung nicht mehr. »Der Kommunismus«, so der Nestor der KPD-Forschung Hermann Weber, »ist in der jüngeren Geschichte die einzige Bewegung, die mehr ihrer eigenen Führer, Funktionäre und Mitglieder ermordet hat, als das ihre Feinde taten«.[9] »In diesem Lande«, schrieb Susanne Leonhard, Freundin der Witwe Karl Liebknechts und selbst zwölf Jahre im Gulag, »in dem wir Kommunisten als politische Flüchtlinge Asyl suchten, spielen sich jetzt die umfassendsten und rigorosesten Kommunistenverfolgungen der Welt ab.«[10]
Die Schicksale von Kommunisten aus allen Ländern der Sowjetunion in den 1930er-Jahren sind vielfach beschrieben worden, meist gingen sie einher mit dem Schicksal ganzer Wohnheime, Kominternabteilungen, den Ausländergruppen in den Fabriken oder in Schulen, wie zum Beispiel der Karl-Liebknecht-Schule in Moskau.[11] Vorzeigeschule für Söhne und Töchter der Politfunktionäre wie Marianne Weinert, Viktor Bredel, Marianne Becher, Konrad und Markus Wolf, Gregor Kurella, Jo Kühnen, Sina Walden, Gerda und Käthe Lieben, Peter Florin, Jan Vogeler, Werner Eberlein, Wolfgang Leonhard – Erfahrungsort der dritten Führungsgeneration der DDR. Neben den Lehrerinnen und Lehrern verschwanden Eltern und Mitschülerinnen und Mitschüler. Von den 100 namentlich bekannten Pädagogen, die in die Sowjetunion gingen, wurden zwei Drittel Opfer der Verfolgungen, von den Lehrern der Karl-Liebknecht-Schule fast alle.[12] Gleiches gilt für jede andere Ausländerinstitution.
Haft, langjährige Folter, die Verhaftung des Ehepartners oder enger Freunde zerstörten Glaubenswelten, Identitäten zerbrachen.[13] »Jahre der Psychose«,[14] notierte Herbert Wehner. »Wo liegt in Zeiten wie der unseren die Grenze zwischen psychischer Normalität und Krankheit?«, fragte sich Nadežda Mandelʼštam.[15]
Das Parteiklima war von jeher durch Angst vor der Stigmatisierung als Abweichler und dem Ausschluss bestimmt. Aber es gab Regeln, die die Kader über Jahre internalisiert hatten. Sie wussten, wie sie sich zu verhalten hatten, wann es ratsam war, Schuld einzugestehen, um das Ränkespiel der Parteisäuberungen zu überstehen. Diese Regeln setzte Stalin außer Kraft. Unter seiner Herrschaft konnte jeder zum »Volksfeind« werden.
Vor diesem Bruch war klar gewesen, wie Parteibiografien ohne »schwarze Flecken« aussehen mussten. Nun aber versteckte sich hinter der Maske der makellosen Parteibiografie der »Feind«. »Wie ein listiger Fuchs greift er zu den mannigfaltigsten Methoden, um sich zu verbergen, Vertrauen zu erschleichen und die Wachsamkeit zu hintergehen«, warnte die Prawda.[16] Hinter den eifrigsten Aktivisten würden die besonders perfide getarnten Feinde lauern.[17]
Parteiloyalität ließ sich nicht mehr durch Denunziation bezeugen. »Die Verleumdung ehrlicher Mitarbeiter unter der Flagge der ›Wachsamkeit‹«, so Andrej Ždanov auf dem Parteitag vom März 1939, »ist gegenwärtig die verbreitetste Methode zur Tarnung und Maskierung der feindlichen Tätigkeit. Die noch nicht entlarvten Wespennester der Feinde sind vor allem unter den Verleumdern zu suchen.«[18] Im Überlebenskampf waren alle Regeln außer Kraft gesetzt. Der Terror schlug blindlings zu, vor Verhaftung gab es keinen Schutz mehr.
Hinter der Willkür des Terrors suchten die Emigranten nach einer Logik, die Gegenstrategien ermöglichen sollte. Die Situation war surreal. Die deutschen Kommunisten hatten sich vor Verfolgung, Folter und KZ aus Nazideutschland in die Sowjetunion gerettet, wo man weggesperrt, ausgeliefert oder ermordet wurde. In dem Land, für das man sein Leben riskiert hatte, war man nun ein Feind. Der Ort der Rettung war zum Ort der größten Gefahr geworden. Und die Freunde zu Mördern. Die Selbstverleugnungen, Rechtfertigungen, Denunziationen und Selbstkritiken in den Akten dokumentieren den Wahnsinn, es sind Zeugnisse der individuellen Zurichtung in einer bürokratisch organisierten Menschenvernichtung – dem Ziel stalinistischen Terrors. »Viele Ausländer«, so äußerte der Wirtschaftsberater Stalins Eugen Varga im März 1938 in Moskau, »[…] sind durch die ständige Angst halb wahnsinnig und nicht mehr zu Arbeit fähig.«[19] Paul Schwenk war 1937 verhaftet worden. Seine Frau Martha verfiel in eine »an physische und psychische Auflösung grenzende Depression«.[20] »Wenn ich die Biographie meiner Eltern, von mir und meiner Frau übersehe, ist das zum Wahnsinnigwerden«, schrieb Franz Schwarzmüller an Stalin nach der Verhaftung seiner Frau.[21] »Einige Frauen wollten sich im Büro der Deutschen Vertretung aus dem Fenster stürzen. Taube, Gertrud hatte die Absicht, ihr Kind unter die Straßenbahn zu werfen und Selbstmord zu begehen.«[22]
II. Die »Moskauer« als machtpolitischer Faktor
Von den 500 000 aus Deutschland Exilierten kehrten nur 30 000 zurück. Vier Fünftel gingen nach Westdeutschland, ein Fünftel in den Osten des Landes.[23] 10000 Kommunisten waren im Land geblieben, 5000 im Exil außerhalb der Sowjetunion. Für die Herrscher im Kreml war klar, dass die entscheidenden Partei- und Politstellen nur mit Moskaurückkehrern zu besetzen waren. Anfänglich erlaubten sie 116 deutschen »Moskau-Kadern« mit Walter Ulbricht an der Spitze und 151 Kriegsgefangenen aus den Antifaschulen die Rückkehr. Damit gab es in den ersten Monaten nach dem Krieg 267 geschulte Kader in der sowjetischen Besatzungszone. 1946/47 folgten ihnen 102 deutsche Sowjetunionkader.[24] Die Moskauer kamen als »Anhängsel« der 7. Abteilung der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee. Von dort erhielten sie ihre Aufträge, und dahin erstatteten sie auch Bericht.[25] Für den Kreml und damit für Ulbrichts Leute war klar: Vor der Staatseroberung musste der Parteiaufbau erfolgen.[26] Von 16 durch das sowjetische Politbüro abgesegneten Mitgliedern der neu gegründeten KPD waren 13 Moskauer Kader. Das Zentralkomitee existierte nur auf dem Papier, es trat nie zusammen.[27] Für jede wichtige Frage ließ man die KPD-Führer nach Moskau kommen.[28] Die Parteisekretariatsräume in der Wallstraße wurden von Moskauern dominiert. Von 218 Emigranten aus der Sowjetunion, die zwischen 1945 und 1947 zurückkehrten, wurden 66 sofort ins ZK, den Vorstand der KPD beziehungsweise später der SED oder als Mitarbeiter in der Berliner Parteizentrale übernommen. Für Hermann Brill, einstiger Buchenwald-Häftling, war das ZK wegen der Moskauer ein »Emigrantenkabinett«,[29] eine aus Moskau implementierte Führung, keinem gewählten Parteigremium verantwortlich. Diese Führung leitete die Funktionäre in den Bezirksleitungen, Verwaltungen und gesellschaftlichen Organisationen autoritär an.
Ähnliches vollzog sich in Schlüsselstellungen in Radio, Zeitungen,[30] Verlagen[31] und im Kulturleben.[32] Die ideologische und taktische Generallinie für die Medien kam aus der Abteilung Agitation, die von ergebenen Moskau-Emigranten geleitet wurde.[33]
Die »Moskauer« dominierten im Führungsgremium der Partei sowie im Apparat, in den Medien und der Kultur und konzentrierten sich auf Kaderarbeit und Propaganda, also auf Kampagnen, Umerziehung und Parteischulung.[34] Ihre Schaltstellen waren das Sekretariat, dessen Apparat, die Polizei, der sich aufbauende Geheimdienst und später die Parteikontrollkommission, in denen »die Moskauer Kader alle Schlüsselpositionen besetzen«.[35]
III. Stalinisierung der Partei
Von Anfang an setzten die Moskauer die Herrschaftspolitik des Kreml sowohl gegenüber den anderen Kaderfraktionen in der Partei als auch gegenüber der Parteibasis durch. Schon 1944 ging die KPD-Führung im Sowjetexil davon aus, dass die Partei nur noch in Form von »sektiererischen Zirkeln und Gruppen« im Land existiere.[36] Die Genossen seien zurückgeblieben »durch jahrelange Abgeschlossenheit in Konzentrationslagern und Zuchthäusern und die ideologische Autarkie des Faschismus«. Trotzkisten und stalinkritische Münzenberg-Anhänger befänden sich unter ihnen, ja, sie seien beeinflusst von der »faschistischen Ideologie«.[37] Nun erklärten die Moskauer den Überlebenden im Land die großen Politiklinien, installierten ihre Organisations- und politischen Leiter, maßregelten, sonderten aus, befahlen in Rundschreiben den Parteizirkeln die Parolen, Diskussionsthemen, ja, selbst an welchen Wochentagen die Zellenabende stattfanden, wurde in Moskau bestimmt.
Der Partei traten letztlich nur rund 5000 Kommunisten bei, die schon vor 1933 Mitglieder gewesen waren, d. h. nur jeder zweite überlebende Vorkriegskommunist. Viele wollten sich von den Moskauern nicht kommandieren lassen[38] und verlangten Aussprachen über die sowjetische Besatzungspolitik, über Reparationen, Ostgrenzen, Vergewaltigungen, Bandenunwesen, die Rückführung der Kriegsgefangenen und das Verschwinden von Zivilisten. Aber jede Diskussion wurde abgewürgt. Es müsse eine »Umerziehung« der Genossen stattfinden, so die Devise der Parteispitze. Bald tauchten in den Sitzungen stalinistisch geschulte Kader auf. Bernard Koenen, Gustav Sobottka und Richard Gyptner zogen als »Aufklärungsreisende« durchs Land. Wer von Missständen redete, hieß es bald, sei ein »Opfer der Reaktion und ihrer Propaganda geworden«.[39] Mit einer solchen Denunziation konnte man schon im Herbst 1946 ins Visier der Ideologiewächter geraten, ab 1948 kam es zum Entzug der Funktionen, zum Parteiausschluss und zu strafrechtlicher Verfolgung. Für viele blieb nur die Flucht in den Westen. So setzte man die Moskauer Politlinie bis in die kleinsten Parteiorganisationen autoritär durch.
Die anderen Kaderfraktionen in der Partei hielten die »Moskauer« mithilfe der sowjetischen Besatzer von den Machtstellen fern. Dies betraf zum einen die Überlebenden des kommunistischen Widerstands. Sie waren wenige und untereinander nicht verbunden, wussten aber – entgegen aller Propagandaerzählungen – um den stalinistischen Verrat gegenüber dem Widerstand. Damit stellten sie eine Gefahr dar und unterlagen von Anfang an strenger Parteiüberwachung. Eine weitere Gruppe bildeten die propagandistisch gefeierten Spanienkämpfer. Im Januar 1949 ließ die Parteispitze sie zentral erfassen. In die Dossiers ging Material über 2267 Mitglieder der Internationalen Brigaden ein, darin viele Verdächtigungen, auf die zur Einschüchterung zurückgegriffen werden konnte. So zitierte man viele von ihnen wegen ihrer Westkontakte vor die Parteikontrollkommissionen und klagte sie in Prozessen zwischen 1949 und 1954 an. Damit hatte sich auch der Machtanspruch dieser Gruppe erledigt.[40]
Die stärksten innerparteilichen Rivalen aber waren die Überlebenden der Konzentrationslager. Besonders die ehemaligen Insassen von Buchenwald hatten die Fähigkeit zur Selbstorganisation bewiesen, waren selbstbewusst und kannten die Volksfront-Direktiven. Viele von ihnen nahmen gleich nach ihrer Freilassung Funktionärsstellen ein. In der Parteiführung hatte man sofort angefangen, über sie Material zu sammeln. Noch im September 1945 wurden die ersten internen Anhörungen gestartet, in denen die Wahrheit über die Lagervorgänge detailliert zutage trat. Es gab Untersuchungen und Prozesse unter der Führung der Sowjetischen Militäradministration, führende Kommunisten des Lagerwiderstands wurden verhaftet und in den Gulag verschleppt.[41] 1953 löste die SED die in ihren Augen zu autonome Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes auf.[42] An ihre Stelle trat ein vom ZK der SED installiertes Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer. Damit war auch dieser Machtkampf entschieden.
Schließlich gab es noch die Gruppe der Westemigranten. Die Ersten kamen aus der Schweiz, Frankreich und Schweden zurück, die anderen 1946 oder noch später, als die einflussreichen Posten bereits vergeben waren. Dennoch wurde der Vorwurf der Westemigration in der Sowjetunion und im ganzen Ostblock zum Standardverdacht, der es erlaubte, alle, die nicht durch die Mühlen der stalinistischen Verfolgung gegangen waren, unter Druck zu setzen und gegebenenfalls auszuschalten. Überall in den Ostblockländern wurde Material über führende Funktionäre gesammelt, nachdem Stalin zur Nachkriegserneuerung der Moskauer Herrschaft wieder Schauprozesse inszenierte. Die in Moskau erstellten Prozessdrehbücher konstruierten ein weit verzweigtes, international agierendes und schwer durchschaubares Verschwörungs- und Spionagenetz, in dessen Zentrum vielfach der US-amerikanische Diplomat Noel H. Field stand, dessen verzweigte Rettungsaktionen für Flüchtlinge ihn im Zweiten Weltkrieg zum idealen Anknüpfungspunkt für diese Konstrukte machten.[43]
Auch in Deutschland begann die Verfolgung, die sich neben jüdischen Kommunisten vor allem gegen Westemigranten und Nicht-Moskauer richtete. Schritt für Schritt weiteten die Sowjets ihren Einfluss auf die deutsche Führungsspitze aus. Die von ihnen befeuerte Kampagne gegen »Titoisten, Trotzkisten und westliche Agenten« nahm Ende 1949 hysterische Züge an. Auf den Tagungen war nun von der »trotzkistisch-terroristisch-titoistisch-faschistischen Gefahr« und den »Agentennestern in der Partei« die Rede.[44] Wilhelm Pieck erklärte auf dem III. SED-Parteitag im Juli 1950, nun gehe es darum, »die trotzkistischen Agenturen aus unseren Reihen auszumerzen«.[45] Sowjetische Agenten begannen im Hintergrund, die Berichte, Denunziationen und Charakteristika so umzuschreiben, dass sie in Stalins gegen Westemigranten, Spanienkämpfer und jüdische Kommunisten gerichtete Verschwörungstheorie passten.[46]
Ebenfalls Attacken ausgesetzt war die Gruppe der Sozialdemokraten. Zur Machterringung meinte man einst nicht auf sie verzichten zu können, aber nach den Landtagswahlen 1946, in denen die SED in keinem Land die absolute Mehrheit erreichte, und den Berliner Volkskammerwahlen, in denen die SED nur 19,8 Prozent der Wähler für sich gewinnen konnte, sah man in den Sozialdemokraten nur noch »unzuverlässige« Elemente.[47] Die Sowjetunionrückkehrer sollten nun auch sie – wie schon in Moskau vor Kriegsende geplant – auf Kurs bringen. »Einheit ist die Frage der SPD«, hatte sich Pieck im April 1944 notiert, »sie wird dadurch ausgeschaltet«.[48]
Etliche der 700 000 SPD-Mitglieder, die im März 1946 in die SED gekommen waren, wurden nun mit dem grotesken Vorwurf des »Sozialdemokratismus« verfolgt. Sie traten aus, verloren ihre Stellen, flohen, wurden in Speziallager verschleppt, starben. Innerhalb von fünf Jahren schrumpfte der Anteil der einstigen SPD-Anhänger in der SED von 52 Prozent auf 6,5 Prozent im Jahr 1951.[49] Die einst starke Sozialdemokratie im Osten Deutschlands war damit zerstört.[50]
Unter der Anleitung Moskaus wurden stalinistische Strukturen und Methoden eingeführt, dazu gehörten Kritik und Selbstkritik, Säuberungen, Parteiausschlüsse, Inhaftierungen und Berufsverbote. Bald wurde unverhohlen mit der Ausgrenzung und Verfolgung Andersdenkender Politik gemacht.[51]
Das Hauptinstrument zur Durchsetzung dieser Politik war die Parteikontrollkommission, bei deren Einrichtung die Handlungsrichtlinien der sowjetischen Parteikontrolle der 1930er-Jahre in weiten Teilen fast wörtlich übernommen wurden. Wer Moskau überlebt hatte, wusste um die Funktion dieser Institution. Das von Moskauern dominierte Politbüro setzte durch, dass sämtliche Funktionäre im Partei- und Regierungsapparat, in der Verwaltung und in Industrieunternehmen, die länger als drei Monate im westlichen Ausland gewesen waren, durch die Zentrale Parteikontrollkommission (ZPKK) überprüft werden mussten.[52] Gleiches galt für ehemalige politische Abweichler.[53] Die Befragungen zogen sich über ein Jahr hin. Unter den betroffenen Genossen breitete sich Panik aus. Paul Bertz war nach Franz Dahlem und Paul Merker der ranghöchste Mann der Partei aus dem früheren KPD-Sekretariat in Paris. Als man ihn vor die Kommission lud, brachte er sich um. Der Journalist Rudolf Feistmann, der verdächtigt wurde, Kurierdienste für Field übernommen zu haben, beging im Juni 1950 Selbstmord.[54] Von den Moskaurückkehrern wurde indes niemand vor die zuständige Kommission geladen.
Auf dem III. Parteitag der SED im Juli 1950 beschlossen die Delegierten schließlich eine Überprüfung aller Mitglieder und Kandidaten der SED nach sowjetischem Vorbild. Ein gigantischer Apparat mit 30 000 Parteimitgliedern in 6000 Überprüfungskommissionen, unterteilt in Grund-, Kreis-, Landes- und Sonderkommissionen, wurde installiert. Die Parteikontrolle stellte »besonders bei den einfachen Arbeitern« eine »Angstpsychose« fest.[55] Kam es zum Parteiausschluss, hatte das weitreichende Folgen. Meist verlor man die Arbeitsstelle. 1,6 Millionen Mitglieder zählte die SED vor den Säuberungen, danach waren es 317 000 weniger. Demnach verlor die Partei jedes fünfte Mitglied durch Austritte, Ausschlüsse, Streichungen oder Überprüfungsverweigerungen.[56] Diejenigen, die die Säuberungen überstanden hatten, waren eingeschüchtert oder diszipliniert und hatten oftmals stalinistische Denkschemata verinnerlicht, die über Jahrzehnte weiterwirkten.[57]
Anfang 1949 war die SED, was sie immer sein sollte: eine marxistisch-leninistische Partei Moskauer Prägung, die sich unter der Führung der »Moskauer« zwischen 1948/49 und 1952 vollständig stalinisierte.[58]
IV. Ausschaltung der Nicht-Moskauer
Was die Moskauer in der Sowjetunion erlebt hatten, wiederholten sie als Führungskern in Ostdeutschland: die Methoden, die Feindkonstrukte, die Angst, den Terror, die fingierten Anschuldigungen, das Purgatorium der Partei. Es waren dieselben Rituale hasserfüllter Exkommunikation, Denunziation und eines ideologischen Fanatismus – nur dass es nun möglich war, sich mit der Flucht in den Westen zu retten. Denunziationen lösten wieder das soziale Band, erneut gab es Isolation und Selbsthass.
Diese Mechanismen waren in der Kommunistischen Partei nicht neu. Auch die Stalinisierung der Partei in der Zwischenkriegszeit war derart vollzogen worden.[59] Nun waren die Hauptakteure jedoch Menschen, die diese Herrschaftsmechanismen in einer Situation erlebt hatten, aus der es kein Entkommen gegeben hatte, und die diese Verschwörungskonstruktion inzwischen mehrheitlich durchschauten. Das zeigen die Verhörprotokolle der Spitzenfunktionäre sehr deutlich. Suchte man zu Beginn der Säuberungen in den 1930er-Jahren noch nach Gründen für Abschiebungen, Verfolgungen und Verhaftungen von Parteiführern und Genossen, Freunden und Verwandten, war vielen doch bereits während des »Großen Terrors« klar geworden, dass es nicht wirklich um Parteiverfehlungen oder Verrat ging. Den Erklärungen zu angeblichen Verrätern, Saboteuren und Volksfeinden glaubte schließlich niemand mehr.[60]
Den einflussreichen »Moskauern« blieb neben der Flucht aus Ostdeutschland, die nur die wenigsten überhaupt ins Auge fassten, am Ende nur die Befeuerung jener Politik, der sie gerade entronnen waren. So beförderte eine ganze Parteielite die Ausweitung der Katastrophe des Großen Terrors auf die deutschen Verhältnisse. Es herrschte eine Politclique, die die Charakteristika des Sowjetsystems der 1930er- und 1940er-Jahre vollständig verinnerlicht hatte. Damit sie diese niemals vergaßen, wurden sie nach dem Krieg in persönlichen Unterredungen mit Stalin und Molotov und in den unentwegten Belehrungen durch Sergej Tjulʼpanov, den Leiter der Propaganda-Abteilung der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland, daran erinnert.[61]
Von den 80 Mitgliedern des ersten Parteivorstandes 1946, also den SED-Gründern, wurden mehr als ein Viertel, 22 Personen, schließlich aller Funktionen enthoben. Acht von ihnen wurden inhaftiert. Auch das erste »gewählte« Politbüro von 1950 wurde fast zur Hälfte von »Parteifeinden« gesäubert, sieben von 15 Mitgliedern mussten gehen: Anton Ackermann, Franz Dahlem, Rudolf Herrnstadt, Hans Jendretzky, Fred Oelßner, Elli Schmidt, Wilhelm Zaisser. Obwohl die meisten von ihnen nach 1956 »rehabilitiert« wurden, blieben sie jahrelang »Unpersonen«.
Mit einer solch durchstalinisierten Partei aber konnte man auf die Gesellschaft zugreifen. Das Grenzregime wurde ausgebaut, die bewaffneten Kräfte aufgebaut, eine zentral gelenkte Wirtschaft eingeführt, das Rechtswesen umgebaut, Kunst und Kultur zensiert. Nun ging es um die »Beseitigung der Ausbeuterklasse«, und weiten Teilen der Gesellschaft wurde der Kampf angesagt. Mit der Steuerpolitik trieb man Mittelstand, Handwerker und Gewerbetreibende in den Ruin. Durch überhöhte Abgabeforderungen drängte man die größeren Landwirte zur Aufgabe und zwang alle Bauern Schritt für Schritt in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. In den Gefängnissen verdoppelte sich die Zahl der Häftlinge innerhalb eines Jahres. Von Anfang 1951 bis April 1953 floh eine halbe Million Menschen aus der soeben gegründeten »demokratischen Republik«.
V. Herrschaftsmoment »nach dem Terror«
Treibender Motor dieser Entwicklung war die Machtpolitik Stalins, der sich die Kader nach jahrlanger Einschüchterung willenlos unterordneten. Was aber geschah nach dem Tod Stalins, als sich Formen und Funktionen der Repressionen änderten? Die Speziallager wurden geschlossen, die Massenverschleppungen in die Sowjetunion beendet, die Erschießungen von Deutschen in Moskau eingestellt. Die geplanten Schauprozesse fanden nicht statt, innerhalb der Partei griffen wieder die alten Verhaltensregeln, wie mit Anschuldigungen, Machtgerangel und Stigmatisierung umzugehen war, um im internen Ränkespiel zu bestehen.
Diese Veränderung der Repression fußte aber weiterhin auf den Strukturen, die die Moskaurückkehrer der frühen Wellen in den vorangegangenen Jahren geschaffen hatten: den innerparteilichen Geheimdiensten, der krakenartig weiterwachsenden Staatssicherheit, den eingebrannten Erinnerungen. Vor allem fand in der Personalpolitik keine Entstalinisierung statt. Karrieren waren gesichert, aus ungelernten Bergarbeitern waren Minister geworden. Die meisten Moskaurückkehrer der ersten Jahre behielten ihre führenden Posten, manche, wie Markus Wolf, gar bis in die Endphase der DDR,[62] was eine Gerontokratie entstehen ließ. Mit dem fehlenden Austausch des Personals blieben die in den Jahren der Säuberung geschaffenen Machtverhältnisse bestehen. Millionen Menschen waren geflohen. Oppositionelle, eigenständige Akteure und Kritiker gab es kaum mehr. Die Machtfrage in Partei und Gesellschaft war geklärt, auch wenn sie mit dem 17. Juni 1953 kurzfristig noch einmal zur Disposition zu stehen schien.
Die Moskauer hielten Terror nicht per se für die einzige Herrschaftsoption, sondern für ein Instrument der Politik in einer bestimmten Situation. Die Folge ihrer Abrichtung war nicht die Vorstellung von Verhältnissen, in denen Gewalt und Terror alles bestimmten, sondern bei vielen von ihnen die Aufgabe jeglicher Selbstständigkeit und die willenlose Adaption von Vorgaben, egal wie unmenschlich sie waren. Daher ließ sich auch argumentieren, dass sich in den späten 1950er-Jahren die Repression nicht nur aufgrund von Veränderungen in Moskau wandelte, sondern auch aufgrund der Anpassung an eine geänderte Partei und Gesellschaft, in der der offene und dauerhafte Terror nach Jahren der stalinistischen Säuberungs- und Machtpolitik nicht mehr nötig war. Nachdem die Herrschaftsfrage in den stalinistischen Jahren der DDR geklärt worden war, brauchte es immer seltener Gewalt, um die Verhältnisse aufrechtzuerhalten. Diesem Zustand passten sich die Parteifunktionäre an, auch die Moskaurückkehrer.
Was unabhängig von allen veränderten Herrschaftsinstrumenten der Moskaurückkehrer blieb, war ihr Schweigen über die Realität in der Sowjetunion. Während sie von der »tiefen Verbundenheit mit dem Führer in Moskau« sprachen, wussten sie um die bittere Geschichte einer Partei, deren Mitglieder in Moskau einst auf Weisung Stalins pauschal als Verräter auszurotten waren. Sie schwiegen über Verhaftungen, das Verschwinden von Parteigenossen, den Terror und die Angst. Und sie schwiegen über die einstigen Genossen, die noch immer in den Lagern und der Verbannung um ihr Leben kämpften.
Erst nach Konrad Adenauers Rückholung der letzten deutschen Kriegsgefangenen aus den sowjetischen Lagern 1955 kam man auch in der DDR nicht mehr umhin, den überlebenden Genossen aus Kasachstan, Sibirien oder Workuta die Rückkehr nach Deutschland zu gestatten. Diese späten Rückkehrer waren zumeist Frauen mit ihren Kindern.[63] Auch ihnen erlegten die »Moskauer« sofort nach der Ankunft ein Schweigegebot auf, an das sich die Rückkehrerinnen – nachdem sie anfangs noch in Fragebögen, Lebensläufen und Befragungen offen über die Jahre im Gulag und der Verbannung Auskunft gegeben hatten – hielten,[64] um die Wohnung mit Heizung und fließendem Wasser, die medizinische Versorgung und ihre finanzielle Unterstützung nicht erneut zu verlieren.[65]
Auch mit Nikita Chruščëvs Bericht über die Verbrechen Stalins auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 blieben die Verfolgungen und das Schicksal der Ermordeten und Verschleppten Tabu. Unzensierte Informationen, ungeschönte Lebensläufe, offene Erzählungen und freies Sprechen hätten schnell die Realität der Moskaurückkehrer offenbart – und zu Fragen geführt: nach den Gründen für ihr Überleben, ihrer Gefolgschaft, ihrem fehlenden Eintreten für die eigenen Genossen, und vor allem dem Verrat, ohne den in den Terrorjahren nicht zu überleben war und von dem die Rückkehrer gegenseitig wussten. Das aber hätte ihre Machtstellungen im Dienst einer nun diskreditierten stalinistischen Politik mindestens unterminiert.
Am Ende hätte ein offenes Sprechen über die stalinistische Repression aber auch zu Fragen nach der stalinistischen Politik geführt: zu den fatalen Fehleinschätzungen wie der Sozialfaschismusthese und ihrem Anteil an der Machteroberung der Nationalsozialisten, dem fehlenden Aufruf zum Widerstand 1933, dem Hitler-Stalin-Pakt als Vorbedingung für Hitlers Eroberung ganz Westeuropas, den ignorierten Warnungen der eigenen Geheimdienstleute vor dem deutschen Angriff, dem skrupellosen Umgang mit dem deutschen Widerstand und vor allem den fatalen Kriegsfolgen durch die Liquidierung der gesamten Armeeführung. »Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.« Ein solches Mantra wäre ohne das Tabu über die Wahrheiten der 1930er-Jahre in der Sowjetunion nicht aufrechtzuerhalten gewesen. Die DDR aber lebte von den propagandistischen Sowjetmythen des heldenhaften Widerstandes, des Sieges über den Faschismus, der erfolgreichen Kriegsführung und dem Bild einer hoffnungsfrohen, industrialisierten Aufbruchsgesellschaft. Die Wahrheit über die Sowjetgesellschaft hätte die fragile Identität der jungen DDR in ihrem Fundament erschüttert. Das Schweigegebot blieb somit ein konstitutives Element der Herrschaft auch nach dem Terror. Nichts hat dies deutlicher gezeigt, als die Folgen von Gorbačёvs Glasnost-Politik, die Zensur für die Sowjetgeschichte aufzuheben.
[1] Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 1986, S. 523.
[2] Siehe Nikolaus Werth: Der Stellenwert des »Großen Terrors« innerhalb der stalinistischen Repressionen. Versuch einer Bilanz, in: Hermann Weber u. a. (Hg.): Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2006, Berlin 2006, S. 245–257.
[3] Diesen Zusammenhang habe ich an anderer Stelle versucht ausführlich darzustellen. Der Aufsatz bezieht sich in weiten Teilen auf: Andreas Petersen: Die Moskauer. Wie das Stalintrauma die DDR prägte, 2. Aufl., Frankfurt a. M 2019.
[4] Siehe Carola Tischler: Flucht in die Verfolgung. Deutsche Emigranten im Sowjetischen Exil – 1933 bis 1945, Münster 1996, S. 26, 97. Siehe auch Peter Erler: Deutsche Emigranten und die KPD-Führung während der »Großen Säuberung« 1936 bis 1938 in der Sowjetunion. Ein Überblick, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat (2018), H. 42, S. 3. Erler stützt sich dabei auf die unveröffentlichten Ergebnisse der Datenbank von Wladislaw Hedeler, in der 8011 Deutsche erfasst sind, die sich zwischen 1936 und 1945 in der Sowjetunion aufhielten. Angesicht der sonst wenig verlässlichen Daten zu den Deutschen in der Sowjetunion ist das die belastbarste Zahl.
[5] Bericht von Paul Jäkel vom 29. April 1938 an das ZK der KPD, Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Social’no-Političeskoj Istorii/Russisches Staatsarchiv für Soziale und Politische Geschichte (im Folgenden: RGASPI) 495/292/101, Bl. 13–18, zit. nach Oleg Dehl: Verratene Ideale. Zur Geschichte deutscher Emigranten in der Sowjetunion in den 30er Jahren, Berlin 2000, S. 143–149, hier S. 143 f. Von den 842 Verhafteten, die Jäkel nennt, wurden nur acht freigelassen.
[6] Siehe Hermann Weber: Einleitung: Bemerkungen zu den kommunistischen Säuberungen, in: ders./Ulrich Mählert (Hg.): Terror. Stalinistische Parteisäuberungen 1936–1953, Paderborn 1998, S. 23 f. Von den im von Weber und Andreas Herbst herausgegebenen »Biographischen Handbuch Deutscher Kommunisten« (2008) aufgeführten 1675 kommunistischen Funktionärinnen und Funktionären sind 256 im NS-Deutschland und 208 in der Sowjetunion ermordet worden. Von 500 Funktionärinnen und Funktionären im Führungskorps der 1920er-Jahre kamen 102 unter Hitler um, 41 unter Stalin (siehe Weber: Einleitung, in: Weber/Mählert: Terror, S. 24).
[7] Siehe Zahlenangabe Wladislaw Hedeler bzw. Arbeitsgruppe »Deutsche Antifaschisten im sowjetischen Exil« bei der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.
[8] Siehe Michael Buckmiller u. a. (Hg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte der Kommunistischen Internationale, Berlin 2007, S. 376.
[9] Hermann Weber/Ulrich Mählert (Hg.): Verbrechen im Namen der Idee. Terror im Kommunismus 1936–1938, Berlin 2007, S. 7.
[10] Susanne Leonhard: Gestohlenes Leben. Als Sozialistin in Stalins Gulag, Frankfurt a. M. 1988 (1956), S. 145.
[11] Umfassend aufgearbeitet in: Natalja Mussijanko/Alexander Vatlin: Schule der Träume. Die Karl-Liebknecht-Schule in Moskau (1924–1938), Bad Heilbrunn 2005.
[12] Siehe Christa Uhlig: Rückkehr aus der Sowjetunion. Politische Erfahrung und pädagogische Wirkungen. Emigranten und ehemalige Kriegsgefangene in der SBZ und DDR, Weinheim 1998, S. 41.
[13] Siehe z. B. Reinhard Müller: Verfolgt unter Hitler und Stalin. Lebensweg der Münchner Kommunisten Anna Etterer und Franz Schwarzmüller, in: Mittelweg 36 19 (2010), H. 1, S. 3–18.
[14] Herbert Wehner: Zeugnis, Köln 1982, S. 209.
[15] Nadeschda Mandelstam: Das Jahrhundert der Wölfe. Eine Autobiografie, Frankfurt a. M. 1971, S. 80.
[16] Prawda vom 7. August 1936, zit. nach Brigitte Studer/Berthold Unfried: Der stalinistische Parteikader. Identitätsstiftende Praktiken und Diskurse in der Sowjetunion der dreißiger Jahre, Köln 2001, S. 189.
[17] Alexander Vatlin: »Was für ein Teufelspack«. Die Deutsche Operation des NKWD in Moskau und im Moskauer Gebiet 1936 bis 1941, Berlin 2013, S. 189.
[18] Andrej Ždanov auf dem Parteitag der KPdSU vom März 1939, zit. nach Reinhard Müller: Menschenfalle Moskau. Exil und stalinistische Verfolgung, Hamburg 2001, S. 143.
[19] Zit. nach Vatlin: Teufelspack (Anm. 17), S. 227.
[20] Wehner: Zeugnis (Anm. 14), S. 199.
[21] Brief von Schwarzmüller an Stalin, Molotov, Berija, Dimitroff, Pieck vom 23. April 1939, RGASPI 495/74/39, Bl. 1–15.
[22] Bericht von Paul Jäkel vom 29. April 1938 an das ZK der KPD, RGASPI, 495/292/101, Bl. 13–18.
[23] Siehe Karin Hartewig: Zurückgekehrt. Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR, Köln 2000, S. 2.
[24] Die genaueste namentliche Auswertung findet sich bei Peter Erler: »Moskau-Kader« der KPD in der SBZ, in: Manfred Wilke (Hg.): Die Anatomie der Parteizentrale. Die KPD/SED auf dem Weg zur Macht, Berlin 1998, S. 229–292, hier S. 282–289; eine namentliche Auflistung der Kriegsgefangenen innerhalb der Gruppen findet sich bei Jörg Morré: Hinter den Kulissen des Nationalkomitees. Das Institut 99 in Moskau und die Deutschlandpolitik der UdSSR 1943–1946, München 2001, S. 96, 211–215. Keiderling spricht von 275 Kadern von KPD und NKFD (Nationalkomitee Freies Deutschland), die zwischen dem 1. Mai und dem 10. Juni 1945 im sowjetischen Kontrollgebiet aktiv waren. Gerhard Keiderling (Hg.): »Gruppe Ulbricht« in Berlin. April bis Juni 1945, Berlin 1993.
[25] Siehe Erler: »Moskau-Kader« (Anm. 24), S. 231.
[26] Siehe Wolfgang Leonhard: Die Revolution entlässt ihre Kinder, Köln 1992 (1955), S. 334 ff.; Keiderling: Gruppe Ulbricht (Anm. 24), S. 42 ff. Zum Aufbau eines Parteigeheimdienstes in einem Schreiben von Walter Ulbrich an Wilhelm Pieck vom 23.5.1945, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (im Folgenden: SAPMO-BArch), NY 4182/851, Bl. 141: »[…] aber in einer solchen Form, die nicht erkennen lässt, worum es sich handelt«.
[27] Unterschrieben hatten u. a. Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht, Anton Ackermann, Gustav Sobottka, Johannes Becher, Hermann Matern, Elli Schmidt, Bernard Koenen, Otto Winzer, Hans Mahle, Edwin Hoernle, Martha Arendsee und Michael Niederkirchner. Erler: »Moskau-Kader« (Anm. 24), S. 279; Erinnerungen Gyptner, SAPMO-BArch, NY 40/EA 0691, Bl. 131. Für das Politbüro waren vorgesehen: Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht, Anton Ackermann, Ottomar Geschke, Hans Jendretzky, Otto Winzer, Gustav Sobottka, Hans Mahle und Ellen Kuntz als Sekretärin (Frau von Albert Kuntz, der 1945 im KZ ermordet worden war).
[28] Siehe Michael Kubina: Aufbau des zentralen Parteiapparates der KPD 1945–1946, in: Wilke: Anatomie (Anm. 24), S. 49–118, hier S. 65.
[29] Manfred Overesch: Machtergreifung von links. Thüringen 1945/1946, Hildesheim 1993, S. 128.
[30] »Moskauer«, die für die zonenweit erscheinenden Zeitungen arbeiteten: Fritz Apelt als Chefredakteur für »Die Freie Gewerkschaft« beziehungsweise die »Tribüne«, Heinz Stern als Chef der »Jungen Welt«, Lilly Becher als Chefin der »Neuen Berliner Illustrierten«. Die KPD-Parteizeitung »Deutsche Volkszeitung« gaben Paul Wandel und Fritz Erpenbeck heraus; erster Leiter der 1946 gegründeten Allgemeinen Deutschen Nachrichtenagentur ADN war Georg Hansen, gefolgt von Max Keilson.
[31] Bernward Gabelin, Lotte Treuber, Erich Wendt, Friedrich Wolf.
[32] Präsident des »Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung« wurde Johannes R. Becher, sein Generalsekretär Heinz Willmann. Dem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern saß Willi Bredel vor, in Thüringen war es Theodor Plievier. An den Theatern wurden Hans Rodenberg, Gustav von Wangenheim und Maxim Vallentin eingesetzt – allesamt »Moskauer«.
[33] Darunter: Robert Korb, Heinz Prieß, Georg Wilhelm Hansen. Korb stieg im Ministerium für Staatssicherheit bis zum Generalmajor auf.
[34] Siehe Kubina: Aufbau (Anm. 28), S. 68; Erler: »Moskau-Kader« (Anm. 24), S. 279.
[35] Kubina: Aufbau (Anm. 28), S. 68.
[36] »Die Lage und die Aufgabe in Deutschland bis zum Sturz Hitlers« – handschriftliche Ausarbeitung Wilhelm Florins für das Referat vor der Arbeitskommission, auf der Sitzung am 8. Mai 1944 vorgetragen, in: Peter Erler/Horst Laude/Manfred Wilke (Hg.): »Nach Hitler kommen wir.« Dokumente zur Programmatik der Moskauer KPD-Führung 1944/45 für Nachkriegsdeutschland, Berlin 1994, S. 157.
[37] Ebd., S. 107.
[38] Siehe Jochen Laufer: »Genossen, wie ist das Gesamtbild?«. Ackermann, Ulbricht und Sobottka in Moskau im Juni 1946, in: Deutschland Archiv 29 (1996), H. 3, S. 355–371.
[39] Andreas Malycha: Die SED. Die Geschichte ihrer Stalinisierung 1946–1953, Paderborn 2000, S. 199.
[40] Siehe Michael Uhl: Mythos Spanien. Das Erbe der Internationalen Brigaden in der DDR, Berlin 2004.
[41] Siehe dazu Lutz Niethammer (Hg.): Der »gesäuberte« Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald, Berlin 1994.
[42] Siehe Thomas Klein: »Für die Einheit und Reinheit«. Die innerparteilichen Kontrollorgane der SED in der Ära Ulbricht, Köln 2002, S. 157 f.
[43] Siehe Bernd-Rainer Barth/Werner Schweizer: Der Fall Noel Field, Bd. 1, Berlin 2007.
[44] So Hermann Matern auf einer Tagung des Politbüros, in: Klein: Einheit (Anm. 42), S. 127. Siehe auch Sekretariat des ZK und die ZPKK [Zentrale Parteikontrollkommission] am 7./8.12.1950, SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/4/188, zit. nach Malycha: SED (Anm. 39), S. 421 sowie Für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen. Beschluss des Parteivorstandes der SED vom 29. Juli 1948, in: Dokumente der SED, Band II, Berlin 1952, S. 83 ff.
[45] Hermann Hodos: Schauprozesse. Stalinistische Säuberungen in Osteuropa 1948–1954, Berlin 2001, S. 183.
[46] Ebd., S. 183; Wolfgang Kießling: Willi Kreikemeyer, der verschwundene Reichsbahnchef, Berlin 1997, S. 16.
[47] Thomas Klein: SED-Parteikontrolltätigkeit in den vierziger Jahren, in: Siegfried Suckut/Walter Süß (Hg.): Staatspartei und Staatssicherheit. Zum Verhältnis von SED und MfS, Berlin 1997, S. 90.
[48] Beatrix Bouvier: Ausgeschaltet! Sozialdemokraten in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR 1945–1953, Bonn 1996, S. 11.
[49] Siehe Karl Wilhelm Fricke: Opposition und Widerstand in der DDR. Ein politischer Report, Köln 1984, S. 38 f.; Wolfgang Buschfort: Das Ostbüro der SPD, München 1990, S. 46; Peter Bordihn: Bittere Jahre am Polarkreis. Als Sozialdemokrat in Stalins Lagern, Berlin 1990.
[50] Siehe Andreas Malycha: Die Illusion der Einheit – Kommunisten und Sozialdemokraten in den Landesvorständen der SED 1946–1951, in: Michael Lemke (Hg.): Sowjetisierung und Eigenständigkeit in der SBZ/DDR (1945–1953), Köln 1999, S. 117.
[51] Siehe Morré: Kulissen (Anm. 24), S. 96.
[52] Sitzung ZPKK vom 21. Oktober 1949, SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/437, zit. nach Malycha: SED (Anm. 39), S. 410; Klein: Einheit (Anm. 42), S. 131.
[53] SAPMO-BArch, Berlin, Bestand SED, I 2/3/164. In der Akte Denunziationen von SED-Mitgliedern gegenüber Paul Merker, Leo Bauer u. a.
[54] Siehe Klein: Einheit (Anm. 42), S. 137.
[55] Ulrich Mählert: »Die Partei hat immer recht!« Parteisäuberung als Kaderpolitik in der SED (1948–1953), in: ders. (Hg.): Terror (Anm. 6), S. 404.
[56] Siehe Klein: Einheit (Anm. 42), S. 151. Der Bericht der Zentralen Kommission vom 2. April 1952 vermeldete 150 696 ausgeschlossene oder gestrichene Mitglieder und Kandidaten der SED, SAPMO-BArch, ZPA J IV /2 – 208.
[57] Siehe Malycha: SED (Anm. 39), S. 447.
[58] Ebd., S. 371. Im Prozess der Stalinisierung spielten zwei weitere Gruppen eine wichtige Rolle, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann: die ca. 8000 Kommunisten aus der KP Tschechiens, die als ausgesiedelte Sudetendeutsche nach Ostdeutschland kamen, und die 3200 rückkehrenden Antifa-Schüler und 200 Antifa-Lehrer aus der Sowjetunion. Hinzu kam eine sehr veränderte Mitgliederbasis. Ende 1948 betrug der Anteil der Mitglieder, die vor 1933 in der Arbeiterbewegung organisiert gewesen waren, nur noch 16 Prozent. Die Parteispitze drängte dazu noch darauf, dass die Altkommunisten in den Landes- und Kreisvorständen ersetzt würden. So wurde in den Wahlen 1949 nur noch ein Drittel der alten Leitungen wiedergewählt, was fast einer Neukonstituierung der Partei gleichkam. Allerdings galt jetzt als gesichert, dass von nun an stets mit 99,7 Prozent abgestimmt wurde (siehe Malycha: SED [Anm. 39], S. 335).
[59] Siehe Herman Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus. Die Stalinisierung der KPD in der Weimarer Republik, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1969.
[60] »Sogar in unserem Kinderheim«, so Wolfgang Leonhard, »war inzwischen bekannt geworden, dass 99 Prozent aller verhafteten Menschen niemals etwas gegen die Sowjetmacht getan hatten und daher selbst mit bestem Willen beim Verhör nichts gestehen konnten.« (Leonhard: Revolution [Anm. 26], S. 53) »Wir glauben nicht mehr an die Schuld aller Verhafteten«, schrieb die Ärztin Martha Ruben-Wolf in einem Brief im Mai 1938 an den stellvertretenden Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten. »Es sind zu viele bewährte Genossen darunter. Man verhaftet nach Berufsgruppen, Betrieben und Häuserblocks.« (Brief Martha Ruben-Wolf an M. M. Litvinov, stell. Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, vom 9. Mai 1938, RGASPI 495/205/774, Bl. 136 f., zit. nach Reinhard Müller: Juden – Kommunisten – Stalinopfer: Martha Ruben-Wolf und Lothar Wolf im Moskauer Exil, in: Exil (2006), H. 1, S. 5 f.
[61] Siehe Norman M. Naimark: Die Russen in Deutschland. Sie sowjetische Besatzungszone 1945 bis 1949, Berlin 1999, S. 398; Bernd Bonwetsch u. a. (Hg.): Sowjetische Politik in der SBZ1945–1949, Bonn 1998, S. 143 f.
[62] Markus Wolf erlebte Verhaftungen in der Karl-Liebknecht-Schule, in der Datschensiedlung seiner Familie und im engsten Freundeskreis, er erlebte die Angst seiner Eltern, wuchs auf mit seiner Halbschwester, der Tochter von Lotte Strub, später Rayß, der Geliebten von Friedrich Wolf und über Jahre Ersatzmutter für die Wolf-Kinder. Bis 1955 war Rayß im Lager und in der Verbannung. Wolf wusste das, hat sich jedoch nie um eine Freilassung bemüht. Ihre Stasiüberwachung in der DDR verfolgte er dagegen genau. Lotte Strub-Rayß: Verdammt und entrechtet. Stuttgart – Basel – Moskau. 16 Jahre Gulag und Verbannung. Autobiographie hrsg. von Konrad Rayss, Berlin 2018.
[63] Die genaue Zahl der zurückgekehrten Politemigranten nach Ostdeutschland ist schwer zu bestimmen. In den Jahren 1945 bis 1947 waren es wohl 400 bis 500. Von 1955 bis 1961 noch einmal 560, zu denen später weitere 50 Rückkehrer kamen. Sie brachten 250 Kinder und Enkelkinder mit. Wilhelm Mensing kommt in einer namentlichen Auflistung auf 1241 Rückkehrer plus Nachfahren (siehe Wilhelm Mensing: Remigration deutscher Politemigranten aus der Sowjetunion in die Sowjetische Besatzungszone/Deutsche Demokratische Republik 1945–1962, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat [2015], H. 38, S. 88–124).
[64] Siehe Carola Tischler: Die Sprache der Akten. Wie die SED das bezeichnete, was sie nicht benennen wollte, in: Das verordnete Schweigen. Deutsche Antifaschisten im sowjetischen Exil, Pankower Vorträge (2010), H. 148, S. 30–37.
[65] Ausführlich und sehr eindrücklich dokumentiert in: Meinhard Stark (Hg.): Du willst Deine Ruhe haben, schweige. Deutsche Frauenbiographien des Stalinismus, Essen 1991; ders.: »Ich muss sagen, wie es war«. Deutsche Frauen im Gulag, Berlin 1999.